Almogaren I / 1970 13
ICDIGITAL Separata I-1
14 Almogaren I / 1970
ICDIGITAL
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Almogaren I / 1970 15
Inhaltsverzeichnis
(der kompletten Print-Version)
Grußworte & Vorwort ......................................................................................................... 5
A. Closs:
Der Anteil Österreichs an der Erforschung der kanarischen Altertümer ....... 17
F. Anders:
Das Archivum Canarium Wölfel, Planung und Inhalt ......................................... 39
H. Nowak:
Neue Gesichtspunkte zur Bearbeitung des kanarischen Megalithikums ....... 55
S. Jiménez Sánchez:
Belege für megalithischen Kult der alten Canarios ............................................... 75
S. Jiménez Sánchez:
Das Gebiet von Tirma auf der Insel Gran Canaria ................................................. 91
H. Biedermann:
Altkreta und die Kanarischen Inseln ........................................................................ 109
S. Jiménez Sánchez:
Die anthropomorphen Felsmalereien der Insel Gran Canaria ......................... 125
P. Tarquis Rodríguez:
Juan Bethencourt y Alfonso ........................................................................................ 135
J. Bethencourt Alfonso:
Notizen zu den prähistorischen Studien
auf den Inseln Gomera und Hierro ............................................................................. 141
•
16 Almogaren I / 1970
Hinweis der Redaktion: Mehrsprachige Zusammenfassung des Aufsatzes auf S. 37-38.
Closs, Alois (1970): Der Anteil Österreichs an der Erforschung der kanarischen
Altertümer.- Almogaren I (Institutum Canarium), Hallein (Austria), 17-38
Zitieren Sie bitte diesen Aufsatz folgendermaßen / Please cite this article as follows:
Almogaren I / 1970 17
Almogaren I / 1970 Hallein 1970 17 - 38
Alois Closs
Der Anteil Österreichs an der Erforschung
der kanarischen Altertümer
Dem Institutum Canarium in Hallein zum Geleit
Keywords: Canary Islands, North Africa, aborigines, anthropology, linguistics, archives
Unter den Habsburgern Spaniens entstanden zuerst solche "primä-re
Quellen" über die Kanaren, das sind früheste ausführliche Augen-zeugenberichte
über die für die Seefahrt nach Amerika bedeutsam
gewordene Inselgruppe am Westrand der alten Welt, die sich nicht in
erster Linie mit der Entdeckung und Eroberung, sondern mit der Land-schaft,
der Bevölkerung und den Zuständen beschäftigten, und zwar
nicht nur mit jenen auf einzelnen dieser Inseln, sondern auf allen sie-ben.
Unter ihnen ragen die Beschreibungen des Leonardo TORRIANI,
dessen Vorfahre durch Karl V. zur Anlage von Festungen dorthin ge-schickt
worden war, und des Franziskaners ABREU GALINDO heraus,
weil sie die Gesamtdarstellungen eröffnen und die späteren Schilde-rungen
"der Altertümer" an Aussagewert über die ältesten Kulturzu-stände
der Eingeborenen in mancher Hinsicht übertreffen.
Als sich der von F. ANDERS (1) als Initiator und kraftvoller Fortsetz-er
der Kanarienforschung in Österreich gewürdigte D.J. WÖLFEL von
seinem Fach als junger Ethnologe, hierzu angeregt von der Aufde-ckung
eines physischen Zusammenhanges der alten Kanarier mit den
Eurafrikanern durch den damals führenden deutschen Anthropolo-gen
E. FISCHER und durch die Auffassung seines Lehrers in Völker-kunde,
W. SCHMIDT, anschickte, diese Inseln als Rückzugsgebiet von
Westeuropa und von Nordafrika näher ins Auge zu fassen, begann er
seine Arbeit mit Archivforschungen in Rom, in Madrid und in Portu-gal,
photokopierte die ihm dort bekannt gewordenen, noch unveröf-fentlichten
einschlägigen Handschriften und schuf sich so für seine
weiteren Studien sein wieder von F. ANDERS beschriebenes pri-vates
Archivum Canarium (2). Es folgten Publikationen über diese
Funde und die Herausgabe jenes Manuskriptes, das er schon damals
18 Almogaren I / 1970
als das wichtigste erklärte, worin ihm heute die Experten durchaus
zustimmen. Es war dies die erwähnte Beschreibung und Geschichte
des Königreichs der Kanarischen Inseln von L. TORRIANI (3), die
der Verfasser persönlich König Philipp II. überreichen konnte. Die
Ausgabe WÖLFELs enthält den Urtext mit einer deutschen Überset-zung
und mit ethnologisch richtungweisenden Anmerkungen und An-hängen,
vor allem aber mit einer einleitenden Übersicht und die Ge-schichte
der Kanaristik, die der Autor mit einer chronologischen Lis-te
der primären Quellen (S. XIII - XVII) beginnt, bevor er die Stel-lung
des TORRIANIbuches unter diesen primären Quellen ausführ-lich
darlegt. Seine Auffassung darüber wird durch ein paar kleine Irr-tümer,
die ihm dabei unterlaufen sind (4), nicht wesentlich beeinträch-tigt.
Erweitert und vertieft wurde dann diese Einleitung zum TORRI-ANIbuch,
soweit sie die primären Quellen und ihre Zusammenhänge
betrifft, im ersten Teil des posthum erschienenen Hauptwerkes WÖL-FELs,
in den Monumenta Linguae Canariae (5), im folgenden Text
kurz "MLC" genannt. Samt dem fünften Teil, in dem erstmals eine
Art von altkanarischem Namenbuch vorliegt, ist dieser erste zu ei-nem
feststehenden Baustück für die weitere Forschung geworden,
abseits der Probleme des vierten Teiles, die sich an die Zusammen-hänge
des zunächst aus dem Berberischen erklärten Wortschatzes mit
Kulturwörtern in anderen alten Sprachen knüpfen.
Unter den dem Zeitalter der primären Quellen folgenden und sie
erstmals verarbeitenden "Universalhistorikern" der Kanarischen In-seln
steht, wie auch WÖLFEL urteilt, VIERA y CLAVIJO als der Va-ter
der kanarischen Geschichtsschreibung da. Sein Werk wurde noch
zu Lebzeiten WÖLFELs als erstes in einer von A. CIORANESCU,
einem Fachhistoriker, in einer Reihe von altkanarischen Schriften zum
Druck gebracht (6). Ein anderes Werk dieser Gattung, von BORY de
SAINT VINCENT, das erst am Anfang des 19. Jahrhunderts entstan-den
ist, erfährt nun an derselben Stelle, wo die MLC erschienen sind,
besorgt vom ethnologischen Lektor der Grazer Akademischen Druck-und
Verlagsanstalt, H. BIEDERMANN, einem Schüler WÖLFELs, ei-nen
photomechanischen Neudruck (7).
Almogaren I / 1970 19
Das eigentliche Verdienst WÖLFELs auf diesem Wissensgebiet liegt
jedoch darin, dass er als erster den Gesamtstand der Nachrichten über
die alten Kanarier und ihre Kulturreste zuerst systematisch in ver-gleichende
Sicht gestellt hat, und zwar sowohl in sprachlicher (8) als
auch in kulturwissenschaftlicher (9) Hinsicht. Zum Vergleichsgebiet
wählte er dabei zunächst den kulturellen Komplex des alten "Eurafrika"
und innerhalb von diesem das Megalithikum, von dem aus er sogar
seine Kreise bis nach Mittelamerika (10) hinüber zu ziehen wagte,
ohne jedoch diesbezüglich schon strikte Behauptungen aufzustellen.
In sprachlicher Hinsicht fand er sich freilich fürs erste auf das geogra-phisch
näherliegende Nordafrika verwiesen, des näheren auf den ber-berischen
Sprachstamm (zuletzt jedoch nicht gerade auf das heutige
Festlandberberisch, MLC S. 371), in dem er Wortschichten, die einer-seits
zu den Ägyptern, andererseits ausgiebiger nach Nordwesteuropa,
in kulturellen Dingen aber auch zu den klassischen Völkern, weisen,
feststellen zu können glaubte (11).
Ein österreichischer Experte in linguistischer Afrikanistik, H. G.
MUKAROVSKY, hat dann in einer Besprechung der MLC (12) in-nerhalb
des Berberischen das Mauretanische denn Kanarischen im
allgemeinen als enger verwandt erwiesen und gleichzeitig, in sehr er-regender
Weise, Übereinstimmungen gerade solcher kanarischer Wör-ter,
die mit dem Herrschertum zusammenhängen, mit der Sprache
Ghanas geltend gemacht. Dadurch wurde von Afrika her die sprach-wissenschaftliche
Heuristik über die Kanarischen Inseln ins Rollen
gebracht. Den Anlass dazu haben aber doch wieder die mehr von den
Kanaren nach auswärts gerichteten Vorarbeiten WÖLFELs gegeben.
Noch in anderer Weise hat sich inzwischen in Österreich die For-schung,
wenn auch nicht in allem ihm zustimmend, auf seinen Bahnen
fortgesetzt. Dies geschah fürs erste hinsichtlich der Schrift. Diesbezüg-lich
hat H. BIEDERMANN die von WÖLFEL behauptete Beeinflus-sung
aus Kreta näher untersucht und innerhalb engster Grenzen auch
bestätigt gefunden (13) und den von WÖLFEL "megalithische Petro-glyphen"
genannten Typ einer spezifisch megalithischen Form der
20 Almogaren I / 1970
Bilderschrift (14) auf den Kanaren stark vertreten erklärt.
Von H. BIEDERMANN war auch der entscheidende Impuls zum
Druck der MLC in der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt in Graz
ausgegangen, wo er als Sachbearbeiter in verschiedener Hinsicht auf-bauend
wirkt. Er übernahm die Korrespondenz mit der auf den Kana-ren
heimischen Gelehrtenwelt, voran mit dem dortigen Hauptförderer
E.SERRA RAFOLS, als der damalige Lehrbeauftragte für Ethnologie
an der Phil. Fak. Graz, Al. CLOSS, um dem von ihm durch ein Gutach-ten
empfohlenen Werk seines Freundes unter der Ägide einer Univer-sitätsarbeit
zum Druck zu verhelfen, in die Bearbeitung der stückhaft
vorhandenen und ihm nur nach und nach erreichbaren Teile dieser
Monumenta eintrat, sich aber vor große Schwierigkeiten gestellt sah,
weil WÖLFEL die kanarischen Erscheinungen seit 1950 in sein Manu-skript
nicht mehr eingearbeitet hatte, dieses Schrifttum jedoch nicht
nur in Graz, sondern auch im weiten Umkreis nicht erreichbar war.
Unter diesen Umständen gab es schließlich keinen anderen Ausweg,
als den Text WÖLFELs ohne das zugewachsene Schrifttum herauszu-bringen.
Damit waren aber die am Druckort sich erhebenden Schwie-rigkeiten
noch keineswegs umgangen. Es bedurfte mehrerer Anfragen
an die Universität La Laguna über Abkürzungen, deren sich WÖLFEL
bedient hatte, ohne sie genügend zu erklären. Auch dieser Aufgabe unter-zog
sich H. BIEDERMANN und er fand auch hierfür in dankenswerter
Weise Entgegenkommen bei Professor SERRA RAFOLS, d.h. also bei
jenem Fachmann, den CLOSS dem Verlag als den für die Herausgabe
eigentlich zuständigen Forscher bezeichnet hatte.
Beim Studium des Gesamtwerkes von WÖLFEL in seiner Be-ziehung
zu den MLC stellten sich dann in weiterer Folge neue Fra-gen,
die nur an Ort und Stelle zu klären waren. Hierfür schien ein
begeisterter Anhänger WÖLFELs und genauer Kenner all seiner Pu-blikationen,
H. NOWAK, der, des Spanischen kundig, durch seine
familialen Verbindungen zu den Kanaren befähigt zu sein. Ihm wur-de
durch CLOSS dazu verholfen, gelegentlich einer touristischen Ex-kursion,
zu deren Leitung er ausersehen war, gemäß seinem Vermö-gen
auch wertvolle wissenschaftliche Hilfsdienste zu leisten. Zunächst
Almogaren I / 1970 21
war geplant, dass er sämtliche kanarischen Bilderschriften photo-graphiere
und gesammelt herausbringe. Dieses Hauptziel war jedoch
in der zur Verfügung stehenden Zeit nur zum Teil von seinem Stand-quartier
auf Gomera aus erreichbar, hauptsächlich auf der nahe-gelegenen
Insel Hierro, wo die Inschriften zahlreich sind und offen-kundig
zu einem Kultplatz gehören. Eine wissenschaftlich nicht be-langlose
Frucht war der von NOWAK unternommene Versuch, den
Rest altkanarischer Wörter auf Gomera aufzudecken (15). Er wurde
mit methodischer Vorsicht durchgeführt.
Nicht minder nützlich war eine andere Aufgabe, um die sich NOWAK
annahm, nämlich die Nachprüfung, Dokumentation und genaue Unter-suchung
solcher Stätten, auf deren kultische Anlage sich WÖLFEL zwar
bezogen hat, ohne sie aber an der betreffenden Stelle (16) zu nennen,
oder aber über die er missverständliche Angaben älterer Gewährsmänner
weitergab und durch eigene Redeweisen bei seinen Lesern irrtümliche
Meinungen erzeugte, wie dies hinsichtlich des nichtkultischen Teiles der
"Concheros" auf Hierro der Fall war, oder auch, wenn er den Hinweis
auf ein Bauwerk unterließ, über das sich klassische Autoren unbestimmt
äußerten und zu dessen Erklärung die jetzigen einheimischen Gelehr-ten
bis dahin nichts veröffentlicht hatten. NOWAKs Bemühungen waren
in allen diesen Punkten erfolgreich. Die von WÖLFEL an der bezeich-neten
Stelle geschilderten, aber nicht genannten heiligen Berge wurden
als die Montaña Bentaiga bei Tejeda und die Montaña Bermeja bei Telde
erkannt. Die angenommenen schalenartigen Vertiefungen an den
kreisförmigen Resten von Wohnhütten am Heiligtum von El Julan auf
Hierro wurden nicht angetroffen, wohl aber Wohnhöhlen. Vorallem wur-den
aufhellende Beobachtungen an der von WÖLFEL übergangenen
Fortaleza auf Gomera angestellt. Sie fanden dann in einer ausgezeich-net
bebilderten Monographie in der Schweiz ihren Niederschlag (17).
Beschrieben werden darin ein Steinhaufenaltar, ein doppelter Stein-kreis,
aufgerichtete Steine, von denen einer am Innenrand eines Stein-kreises
steht, und Libationsgruben. Zur megalithischen Deutung durch
den Autor und zur Abschichtung dieser Struktur von den wohl erst
später mit der mediterranen Hochkultur auf die Kanaren, haupt-
22 Almogaren I / 1970
sächlich nach Gran Canaria, gekommenen höheren megalithischen
Formen vergleiche man die Besprechung dieser Arbeit an einer ande-ren
Stelle des vorliegenden Jahrbuchs.
Im Zug seiner Besichtigungen, auch auf der benachbarten Insel Hierro,
erwarb sich H. NOWAK jene Eigenständigkeit, die sich dann in der unter
dem Titel "Neue Gesichtspunkte zur Bearbeitung des kanarischen Mega-lithikums"
(18) erschienenen Studie ausdrückte. Inzwischen mit der zum
überwiegenden Teil auf die Lokalinterpretation sich beschränkenden ein-heimischen
Literatur vertraut geworden, geht er der durch Autopsie ge-wonnenen
Übersicht folgend, auch schon zur Kritik von Erklärungen und
Anschauungen autochthoner Experten über. Was diese darauf etwa zu
erwidern haben, wird natürlich nicht weniger zu beachten sein.
Vorrang vor solchen Auseinandersetzungen hat jedoch speziell für
Österreich das selbstkritische Eindringen in die Stellungnahmen WÖL-FELs
zum kanarischen Megalithikum, aber auch zu seinen Ansichten
über das Megalithikum überhaupt. Die daran sich eröffnenden Frage-stellungen
und das Streben, Irrtümer zu überwinden, in die man etwa
selbst, sei es aufgrund eines Missverständnisses der Darlegungen
WÖLFELs oder seiner eigenen unzulänglichen Äußerungen hineinge-raten
ist, sind jedenfalls dringlicher. Dass manches an den Ausführun-gen
WÖLFELs noch näher zu erklären, zu ergänzen, zu vertiefen, zu
erweitern, aber da und dort auch zu verbessern sei, hatte schon vorher
Al. CLOSS anlässlich einer bedeutenden Gelegenheit, nämlich einer
Geburtstagsfeier der Deutschen Ethnologischen Gesellschaft in Wien
für R. HEINE-GELDERN, den Eröffner der ethnologischen Megalith-forschung
(19) in den Vordergrund gerückt (20) und in einem erwei-ternden
Aufsatz (21) näher entwickelt und in weite Sicht gebracht. Der
Grund für die Auswahl gerade dieses Themas war, dass der an jenem
Abend gefeierte Gelehrte als erster das Megalithikum systematisch auch
bei schriftlosen Völkern (in Südostasien und Polynesien) festgestellt und
einen Zusammenhang mit dem europäischen Megalithikum, wie es dann
WÖLFEL in seiner Gesamtübersicht der vorindogermanischen Religi-onen
Alteuropas am meisten heraushob, über noch nicht näher anzuge-bende
Mittelglieder angenommen hat.
Almogaren I / 1970 23
Zwischen WÖLFEL und HEINE-GELDERN war insoferne eine Mei-nungsverschiedenheit
entstanden, als dieser die Zuordnung des Him-melsgottes
zum Megalithikum, die WÖLFEL für sicher hielt, bestritten
hat. Der WÖLFELsche Standpunkt war freilich der, dass er eigentlich
nur den Himmelsherrscherglauben für megalithisch erachtete, wenn er
dies auch vielleicht zu wenig ausdrücklich sagte. Diesen Himmelsherr-scherglauben
hielt er für ein wesentliches Element des megalithischen
Substrates bei den Westindogermanen, das bis zu den Kanaren durch-zuverfolgen
sei. Er rechnete dazu vor allem den regnator omnium der
Semnonen (22), den CLOSS für eine Ausprägung des Irminglaubens,
der seinerseits mit dem Weltsäulenglauben verbunden sei, erklärt hatte.
Diese Ansicht ließ sich unter zwei Voraussetzungen mit der WÖLFEL-schen
vereinigen, erstens wenn zu diesem in der indogermanischen In-terpretation
als der "weithin Waltende" charakterisierten, aber als sol-cher
nur bei den Germanen vorhandenen "Gott" Irmin die Irminsul ge-hört,
er aber nicht als deren Hüter, der bei den Germanen Heimdall ist,
sondern als der (am ehesten aus einer megalithischen Denkweise zu
verstehende) Himmelsgott dasteht, der die Welt und die um ihn sich ver-sammelnde
Menschengruppe zusammenhält; zweitens, wenn die Irmin-säule
selber zwar den arktischen Weltenwirtel zum Hintergrund hat, aber
schon von der megalithischen Vorstellung des Weltenpfeilers und des
dahinterstehenden Weltenberges mitbestimmt ist. Begegnen sich die
Dinge innerlich und kulturhistorisch auf diese Weise, dann eröffnete
sich von da aus auch ein Ausblick auf den Glauben der alten Kanarier,
soweit er vom Megalithikum geformt gelten kann.
In die angedeutete Richtung zielte Alois CLOSS mit einem Auf-satz
"Kanarier- und Ur-Indogermanentum", den er während seiner
Beschäftigung in der Landesbibliothek in Graz für eine Festschrift
zum 60. Geburtstag des dortigen Direktors J. F. SCHÜTZ beitrug,
in Erwägung des Umstandes, dass der Gelehrte, dem die Ehrenga-be
vermeint war, u. a. eine auch auf den Kanaren wohlbeachtete
Bibliographie der Kanarischen Inseln (23) veröffentlicht hatte. Hin-sichtlich
des Himmelsherrscherglaubens konnte sich darin CLOSS an WÖL-FEL
anschließen. Den dabei von ihm angenommenen inneren Zusam-
24 Almogaren I / 1970
menhang mit der Weltsäulenvorstellung, die kurz vorher O. RÖSSLER,
ein deutscher Gelehrter, für die Kanaren sichern zu können geglaubt
hatte, hat aber WÖLFEL wieder nur für die mediterrane Welt ange-nommen,
für die Kanaren jedoch in Zweifel gezogen. Seine Einwände
gegen die RÖSSLERschen Beweismittel schienen jedoch nicht schlecht-hin
durchschlagend zu sein. Weil aber die erwähnte Festschrift nur
handschriftlich überreicht worden und für den nahen 65. Geburtstag
eine zweite, die zum Druck kommen sollte, in Aussicht genommen war,
entschloss sich CLOSS von einer Drucklegung des genannten Aufsat-zes,
in dem u.a. auch das Verhältnis der kanarischen Maguadas zu den
römischen Vestalinnen behandelt wurde, zunächst abzusehen und für
eine spätere reifere Veröffentlichung zurückzustellen; so reichte er für
die zweite Festschrift einen anderen Artikel ein, der sich nicht auf die
Kanaren bezog. Eine spätere Beschäftigung mit der Religionsethnologie
der Altgermanen auf einer methodisch orientierten Tagung ergab neue
Gesichtspunkte, speziell über den Zusammenhang dieser Probleme mit
dem Megalithikum (24). Der Blick auf dieses trat nun nur noch mehr
voran, und auch sonst schien es für einen, der den Anteil der Germa-nen
und der Kanarier daran in die Auseinandersetzung mit WÖLFEL
deutlicher erkennen wollte, notwendig zu sein, das Erscheinen des
WÖLFELschen Hauptwerkes, der MLC, zu dessen Bearbeitung er auf-gefordert
worden war, abzuwarten, um die mit jener These verbunde-nen
philologischen Probleme aus diesem neuen Werk besser beurteilen
zu können. Es handelt sich dabei um Wörter, die stark an germanische
Bezeichnungen anklingen, von WÖLFEL aber im Gegensatz zu ande-ren
Forschern dem Substrat zugeschrieben werden (25) und um im
Anschluss daran sich etwa ergebende weitere Fälle dieser Art.
All das lag im Hintergrund der früher erwähnten CLOSSschen Ausführun-gen
über die Probleme des kanarischen Megalithikums und ihrer bis dahin be-kannt
gewordenen Deutungen. Die Schlussfolgerung, zu der er dabei gelangte,
ging dahin, dass an den kanarischen Steinsetzungen das Megalithische viel
sorgfältiger herausgearbeitet und typologisch bestimmt werden müsse, vor
allem aber, dass sowohl die bestehenden Übereinstimmungen als auch die
Verschiedenheiten gegenüber den kontinentalen und mediterranen Anlagen
Almogaren I / 1970 25
Roque Bentaiga, Gran Canaria
(Zeichnung: Herbert Nowak 1970)
Anmerkung der Redaktion: Der Bentaiga-Felsen (Name aus der Sprache der Urein-wohner)
ist ein Höhenheiligtum der Altkanarier von Gran Canaria. Zu beobachten
ist ein Kultplatz mit Libationsrinnen sowie libysch-berberische Felsinschriften.
Beides hat vermutlich nicht das gleiche Alter; die jüngeren Inschriften, die noch
nicht befriedigend gelesen bzw. übersetzt wurden, könnten aber ebenso einen Be-zug
zur Wertigkeit des Felsens als hochgelegener, numinoser Platz haben. hju 2009
26 Almogaren I / 1970
dieser Kategorie erst noch genau zu ermitteln seien, zumal man sich auf
den Kanaren selbst, wenigstens damals noch, in diesen Dingen merklich
zurückhielt und meist einfach mit dem Hinweis auf WÖLFEL begnügte.
Aufgrund der von H. NOWAK übermittelten Daten, Skizzen und
Bilder, und nicht zuletzt der von ihm beschafften Zeitschriftenartikel
aus den kanarischen Forschungszentren war indessen die Erprobung
des Programmpunktes an einem von mancherlei Dunkelheiten umwit-terten
Objekt möglich geworden. Sie erfolgte indem dem Gedächtnis
W. SCHMIDTs gewidmeten Anthroposband des Jahres 1968/69 in ei-nem
Artikel über den schon früher erwähnten von VERNEAU unzweck-mäßig
und leicht missverständlich als "Concheros" bezeichneten Kult-platz
im Süden von Hierro (26). CLOSS entschied sich gerade für die-ses
Thema im Sinne des Strebens, die WÖLFELschen Ausführungen
über megalithische Strukturen auf den Kanaren stringenter zu machen.
Der Kultplatz schien dazu besonders geeignet zu sein. Es bedurfte näm-lich
nicht nur einer weiteren Klärung der Fehlmeinungen, die durch
die inzwischen schon als der Wirklichkeit nicht angepasst erkannten
Bezeichnungen "concheros" für die Kultanlage in El Julan und "cella"
für ihren innersten Kern, entstanden waren. Es mussten nun auch die
von WÖLFEL nicht mehr in sein Gesamtbild vom Megalithikum die-ser
Insel eingearbeiteten Untersuchungen von J. ALVAREZ DELGADO
(1945-46) und L. DIEGO CUSCOY (1947 und 1966) mitberücksichtigt
werden. Während CUSCOY die Frage eines Megalithikums abseits lie-gen
lässt, vertrat ALVAREZ DELGADO die Ansicht, dass 6 km östlich
von El Julan, bei den sogenannten Santillos, die er als die beiden my-thischen,
das Stammelternpaar repräsentierenden "Kultfelsen" der In-sel
erklärt, eine structura megalithica vorliege. Es entstand nun die Fra-ge,
wie weit sich beides trotz der Entfernung und des dazwischen-liegenden
unwirtlichen Geländes als eine Einheit verstehen lässt, und
es schien heuristisch angebracht zu sein, die eine wie die andere Kult-stätte
an den von C. SCHUCHARDT behaupteten archäologischen und
der von HEINE-GELDERN gewissermaßen als dahinterstehend an-genommenen
ethnologischen Grundform des Megalithikums zu mes-sen.
Es zeigte sich, dass die Verhältnisse in El Julan und bei den Santillos
Almogaren I / 1970 27
keiner davon ganz entsprachen. Es findet sich hier archäologischerseits
weder die Kombination des von einem Steinkreis umgebenen Men-hirs
(der später mit der Sonne in Verbindung gebracht wurde), noch
der von SCHUCHARDT als eine Umwandlungsform der Höhlengräber
aufgefassten Dolmen, und ethnologischerseits ist das Hauptmerkmal
von Errichtungen zu Geistersitzen zum mindesten schwer erweisbar.
Als einziges kaum bestreitbares Anzeichen für Megalithikum steht
vorläufig der Menhir von Malpaso da, der im Gebirgshintergrund
zwischen beiden Heiligtümern gefunden wurde und von ALVAREZ
DELGADO abgebildet wird. Die Steinkreise hier wie dort, vor allem
aber der von CUSCOY tagóror genannte große Steinkreis von El Julan,
könnten aber doch auch als Ahnensitze gegolten haben. Ein Zusam-menhang
der nach CUSCOY besonders in El Julan häufigen Höhlen-gräber
mit einer von den "concheros" zirka 200 m östlich liegenden
Pyramiden aus grob geschichteten Steinen (CUSCOY, 1947, 190) ist
nicht nachweisbar. Doch kann es nicht als ausgeschlossen gelten, dass
derartige Steinschichtungen, und wären sie der Form nach auch nur
ein Kerkur, in der Nähe von Höhlengräbern, speziell auf den Ostinseln
an Stelle der erst im Westen zu erwartenden Dolmen, errichtet wur-den.
Die WÖLFELsche Anschauung, die Beziehung zweier Felsen auf
Hierro zu kosmisch verstandenen Stammeltern, in Verbindung mit der
Höhle eines Orakelschweines, sei ein eigener, verhältnismäßig älterer
Typus des megalithischen Komplexes, erfordert eine Ausweitung des
Kultvergleiches auf die sonstigen mythischen Beziehungen und die
rituellen und kulturhistorischen Bedingtheiten der Megalithen. Ein
schwieriger Punkt ist die Opferlosigkeit des Stammelternkultes und
die Lämmeropfer und Milchlibationen bei der Regenbitte an Berg-heiligtümern.
Die Diskussion über diese Dinge, speziell aber über das Verhältnis
zu den sonstigen Vorstellungen der Weltsäule und des Weltpfeilers,
kann noch nicht als beendet gelten. Vorbehaltlich der Haltbarkeit der
Lokalisierung der beiden Felsen durch ALVAREZ DELGADO an den
Santillos ist dies der Fragenkomplex, an dem sich die Richtigkeit der
WÖLFELschen Interpretation entscheidet.
28 Almogaren I / 1970
Durch die inzwischen erschienene für die Verifikation des Mega-lithikums
auf den Kanaren bedeutsame Typologie der einschlägigen
Steinbauten, allerdings nur jener auf den Ostinseln, zusammengestellt
vom Oberhaupt der staatlichen Kommission der Ausgrabungen S. JI-MENEZ-
SANCHEZ (27) öffnen sich hinsichtlich der Einordnung der
Kultanlagen von El Julan neue, im Artikel von Al. CLOSS noch nicht,
oder doch noch zu wenig, verfolgten Gesichtspunkte. Um diese für das
Thema möglichst nutzbar zu machen, bedarf es freilich einer Konfron-tierung
dieser regionalen Typologie mit der allgemeinen des Megali-thikums,
die D.J. WÖLFEL (RE 173-193 und 195-292) aufgestellt hat.
Am meisten vermisst man bei jener des S. JIMENEZ SANCHEZ die
Einbeziehung auch des Gräbermegalithikums, das nach den vorange-gangenen
mannigfachen Veröffentlichungen dieses Gelehrten auf den
Westinseln reich differenziert und auf den Ostinseln aber, wo die
Höhlengräber anscheinend allein vorkommen, überhaupt nicht begeg-net.
Dass das von der Gräberserie des Megalithikums zwar meist für
ursprünglich gehaltene Element, nämlich der Dolmen, zumal in seiner
spezifischen Form als Steintisch zumindesten selten vorkommt, wäh-rend
nach der Erklärung von JIMENEZ SANCHEZ der niedrige Stumpf-kegel
über einem Grab (28) anstelle des Dolmen auf Gran Canaria öfter
anzutreffen ist, dürfte wohl die bedeutendste Feststellung von JIMENEZ
SANCHEZ auf diesem Gebiet sein, und es ist deshalb umso begrü-ßenswerter,
dass er wenigstens diese Stumpfkegel in seine Typologie
aufgenommen hat. Noch ein anderer Punkt kommt beim Vergleich
zwischen WÖLFEL und JIMENEZ SANCHEZ hinsichtlich des Mega-lithikums
aufs Tapet, wenn nämlich einerseits WÖLFEL (Torriani-Buch,
Seite 238) behauptet, es gäbe in Gáldar einen Nuraghen und JIMENEZ
SANCHEZ in der Archäologie von Tauro Alto bei Mogán an der West-küste
Gran Canarias von einem solchen Stumpfkegel sagt, es liege dort
"una specie de túnel en rampa ascendente" (29) vor. Das sieht so aus,
als ob solche Stumpfkegel gleichzeitig als Vorfahren der Nuraghen in
Betracht kämen. Die nähere Aufklärung dieser Probleme wäre, zumal
in den Reihen der um das Gedächtnis WÖLFELs sich sammelnden Mit-glieder
des INSTITUTUM CANARIUM, ein dringliches Bedürfnis,
Almogaren I / 1970 29
"Casa Honda", Fuerteventura, nach Barker-Webb & Berthelot 1842
(zeichnerische Adaption: Herbert Nowak 1970)
Anmerkung der Redaktion: Casas hondas sind im spanisch-kanarischen Sprach-gebrauch
den Ureinwohnern (Altkanariern) der Ostinseln eigene Wohnbauten, die
halb im Erdreich und halb oberirdisch angelegt sind; letzteres wird durch einen
Trockensteinbau – wie oben zu sehen – gebildet. Auf Fuerteventura und Lanzarote
kann eine casa honda (wörtlich übersetzt "tiefes [bzw. tiefangelegtes] Haus" auch
aus einer natürlichen Gasblase unter einer Lavadecke und einem nur rudimentä-ren
Trockensteinbau bestehen, der aus wenigen Steinen zusammengefügt ist und
quasi ein kleines Portal oder einen simplen Windschutz darstellt. Man spricht dann
auch von einer "casa honda falsa". hju 2009
30 Almogaren I / 1970
dem aber nur von der an Ort und Stelle wirkenden Fachwelt abgehol-fen
werden könnte.
Die megalithische Zentrierung bleibt jedenfalls für die weitere
österreichische Bemühung um die Kanaren im Vordergrund, weil
WÖLFEL seine schon mehrfach erwähnte, in einem weltanschaulich
bedeutsamen Rahmen erschienene Darstellung der "Religionen des
vorindogermanischen Europa" auf diesen Punkt zugespitzt hat und dies-bezüglich
noch vieles zu bereinigen sein wird. Ob und wie sich auch
das inzwischen nach Tenerife übersiedelte Mitglied des Österrei-chischen
Geschichtsforschungsinstitutes, C. PLANK, seinem Zeichen
nach vorwiegend der Historie aus schriftlichen Quellen, aber doch auch
vielleicht der Prähistorie zugewendet, daran beteiligen wird, muss abge-wartet
werden. In seiner Situation hat er die Möglichkeit, hinsichtlich
des auch für die ethnologische Beurteilung von altertümlichen Stein-bauten
und auch sonst so wichtigen, die Berichthistorie und die Prä-historie
verbindenden chronologischen Momentes größere Klarheit zu
schaffen. Demnach bestünde ein um so größeres Bedürfnis, als ein
anderer österreichischer Forscher, der in nordafrikanischer Linguistik
sehr erfahrene W. VYCICHL, allerdings ohne jede Orientierung an den
Arbeiten der autochthonen Experten, nur eine sehr späte Entstehung
der vorkonquistatorischen kanarischen Kultur gelten lässt (30). Seine
Ansicht hat zwar keine entscheidende Stütze am Urteil eines der füh-renden
Fachleute der universalen Prähistorie, F.E. ZEUNER, denn die-ser
rechnet ja mit "neolithischen Überresten" mindestens auf Gran
Canaria (31), nur sagt er damit noch nichts aus über die Entstehung der
altkanarischen kulturellen Einheit und über die Stellung von Stein-bauten
in dieser, auf die er sich nicht bezieht. Vom Nachweis der Zuge-hörigkeit
von solchen zum Neolithikum hängt es aber ab, wie weit der
ursprüngliche Ansatz zu einer altkanarischen Kultur zurückliegt.
D.J. WÖLFEL suchte diesem Problem hinsichtlich des Megali-thikums
durch vergleichende Ausblicke, hauptsächlich nach dem
Mittelmeergebiet und durch das Feststellen der von dort ausge-henden
Einflüsse auf die Kanarischen Inseln beizukommen, konn-te
aber dabei gerade für die älteren Formen, wie sie sich im süd-
Almogaren I / 1970 31
westlichen Portugal befinden, keine spezifischen Übereinstimmungen
anführen. Daher wendet sich jetzt, zumal nun durch ZEUNER auf
kanarische Entsprechungen in Steinwerkzeugen in Marokko hingewie-sen
wurde, die vergleichende Forschung an bereits näher zum Mega-lithikum
gehörenden Gebilden nach Nordafrika hin. Offenkundig von
dem erwähnten Hinweis ZEUNERs auf diesen den Kanaren am näch-sten
liegenden Erdteil beeindruckt, überschritt J. ALVAREZ DELGADO
die Linie der Lokalinterpretation. Er ging damit bereits als erster unter
den einheimischen Forschern ausnahmsweise selbst schon in einem Detail
(32) zur vergleichenden Forschung über, indem er kanarische Beispiele
zu den von A. DENIS berichteten kultischen Spuren an Felsen in Marokko
beibrachte. Das Vergleichsmaterial von ALVAREZ DELGADO ist heu-ristisch
ein geeigneter Ansatz, denn die Rillen zwischen würfelförmigen
Aussparungen (Anmerkung 32, Fig. 4-6) und Vertiefungen im Stein (An-merkung
32, Fig. 1) hätte WÖLFEL für Libationsstellen erklärt, und er
rechnete solche zu den Ritualien im Megalithikum, in deren eurafri-kanische
Phänomenologie die Libation wohl auch eingegangen ist. Nä-here
diesbezügliche Entsprechungen in formaler Hinsicht zwischen den
Kanaren und Weißafrika hätten ihn ohne Frage sehr beeindruckt. Ein
spezieller Zusammenhang zwischen beiden geographisch einander am
nächsten liegenden Gebieten im Gräbermegalithikum, und zwar in sei-nen
Anfangsformen wäre natürlich noch bedeutsamer, und die Nachfor-schung
hätte diesbezüglich in erster Linie der von JIMENEZ SANCHEZ
erkannten Stellvertretung von Stumpfkegel und Dolmen zu gelten, zumal
der Prähistoriker K. NARR die Dolmen in Nordafrika für wenig typisch
erklärt hat (33). Andererseits scheinen gerade die Stumpfkegelgräber in
der Monographie des afrikanischen Grabbaues von M. REYGASSE (34)
nicht vorzukommen. Gut entsprechen dagegen die von M. SCHMIDL
(35) beschriebenen Steinsetzungen denen auf den kanarischen West-inseln,
nur liegen sie weit im Südosten Nordafrikas im Bahr el Ghazal.
Wichtig wäre es zu erkunden, wie es in diesen Dingen gerade an der
den Kanarischen Inseln am nächsten gelegenen Stelle der atlantischen
Küste bestellt ist, von der aus nach dem Urteil des Vertreters der histori-schen
Geographie, A. HERRMANN (36), des Herausgebers von WÖL-
32 Almogaren I / 1970
FELs TORRIANIbuch, die Besiedlung des Kanarischen Archipels am
leichtesten stattfinden konnte.
Eben dorthin zielt sachgerecht der erste Expeditionsplan, der jüngst
im Salzburgischen von Schülern und Freunden WÖLFELs zu seinem
Gedächtnis unter dem zukunftsvertrauenden Titel "Institutum Ca-narium"
gegründeten Gesellschaft. Ist ihr, nach Überwindung der Do-kumentationslücke,
die in der Heimat durch den Verkauf des Archiv-um
Canarium WÖLFELs an die Universität Kiel und seiner Biblio-thek
an das Ibero-Amerikanische Institut in Berlin entstanden ist, und
im angestrebten und bereits weitgehend erreichten Kontakt, vor al-lem
mit den spanischen und kanarischen Forschungsstellen, des wei-teren
aber auch mit jenen des deutschen Sprachraumes (37), Erfolg
beschieden, dann würde sich dadurch die Kanaristik mit der Afrika-nistik
enger zusammenschließen, deren linguistischer Grund vom
Steirer S. L. REINISCH (38) gelegt wurde und an deren ethnologi-schem
Ausbau sich so viele Reisende und Völkerkundler aus Öster-reich
beteiligt haben.
Umso ertragreicher wird dann der Ausblick zurück nach dem alten
Westeuropa sein, das für die WÖLFELsche Kanarienforschung in
megalithicis im Vordergrund stand.
Das an die Universität Kiel verkaufte "Archivum Canarium Wölfel" befindet sich
inzwischen im Besitz des Institutum Canarium (Wien).
Anmerkung zu (2), (5), (13), (15):
Die Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz (Österreich), abgekürzt als
ADEVA bekannt, war 1972-1979 auch Verleger der Almogaren-Jahrbücher.
Almogaren I / 1970 33
Anmerkungen:
(1) F. ANDERS, Dominik Josef Wölfel (1888 - 1963), in: Wiener Völ-kerkundliche
Mitteilungen, Nr. 11, N. F. 6, 1963, 1-6. - Auf Wölfels
Zusammenarbeit mit E. FISCHER bezieht sich auch der Bericht
österreichischer Mediziner, die auf den Kanaren Finger- und Hand-abdrücke
und Blutproben aufnahmen (Österreichische Hochschul-zeitung,
Nr. 15, 1963).
(2) F. ANDERS, Das Archivum Canarium Wölfel – Planung und In-halt,
in: Mitteilungen der Akademischen Druck- u. Verlagsanstalt,
Seite 15-64, Graz, 6.10,1965.
(3) Leonardo TORRIANI, Die Kanarischen Inseln und ihre Urein-wohner.
Ital. Urtext in deutscher Übersetzung, sowie mit völker-kundlichen,
historisch geographischen, sprachlichen und archäolo-gischen
Beiträgen. Quellen und Forschungen zur Geschichte der
Geographie und Völkerkunde, 6, Leizpig 1940.
(4) H. KÜHNE, Leonardo Torrianis "Beschreibung der Kanarischen
Inseln". Eine kritische Würdigung der Bedeutung Torrianis als His-toriker,
in: Wiener Völkerkundliche Mitteilungen, Nr. 11, N. F. 6, 7-
15, Wien 1963.
(5) D.J. WÖLFEL, Monumenta Linguae Canariae, Akademische Druck-und
Verlagsanstalt, Graz 1965. Hierzu Al. CLOSS: Die Kanarischen
Sprachdenkmäler, in: Österr. Hochschulzeitung, Seite 3, 1.10.1965.
– Im Literaturverzeichnis mit anderen Hauptwerken von Wölfel
geführt von W.E. MÜHLMANN, Geschichte der Anthropologie, 2.
verbesserte Auflage, Seite 310, Frankfurt/Main 1968.
(6) Es wurde von WÖLFEL, wie auch die von A. CIORANESCU, Te-nerife,
besorgte Ausgabe des ABREU GALINDO und dann des
TORRIANI in die betreffenden Paragraphen des ersten Teiles der
MLC nicht mehr eingearbeitet.
(7) J.B.G.M. BORY de St. VINCENT, Essais sur les Isles Fortunées et
l'antique Atlantide, ou précis de l'histoire générale de l'Archipel des
Canaries. Paris 1803. Neudruck angekündigt: Akademische Druck-und
Verlagsanstalt, Graz 1969.
34 Almogaren I / 1970
(8) D.J. WÖLFEL, Eurafrikanische Wortschichten als Kulturschichten,
Universidad de Salamanca, 1955.
(9) D.J. WÖLFEL, Die Hauptprobleme Weißafrikas, Archiv Anthro-pologie,
N. F. 27, 1942.
(10) D.J. WÖLFEL, Megalithikum und Archaische Hochkulturen,
Handbuch der Weltgeschichte, Herausgeber A. RANDA, Seite 173-
182, Olten, 1961.
(11) Die blieb der Hauptgedanke auch in seinen MLC.
(12) H. G. MUKAROWSKY, in: Wiener Völkerkundliche Mitteilungen,
Nr. 13, Seite 101-107, Wien 1966. Weitere Klärungen aus dem Feld
der linguistischen Afrikanistik sind wohl auch noch von einem an-deren
gelehrten Freund Wölfels, vom Dozenten an der Universität
Marburg, Dr. A. Jungraithmayr, zu erwarten. Seine Rezension der
MLC befindet sich im Druck.
(13) H. BIEDERMANN, Altkreta und die Kanarischen Inseln, in: Mit-teilungen
der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt, Nr. 9, Sei-te
7-13, Graz 1966.
(14) H. BIEDERMANN, Das europäische Megalithikum, in: Ullstein
Kunstgeschichte, Band 4, Seite 7-54, Zürich 1963.
(15) H. NOWAK, Altkanarische Sprachreste im heutigen Spanisch der
Insel Gomera, in: Mitteilungen der Akademischen Druck- und Ver-lagsanstalt,
Nr. 11, S. 23-24, Graz 1967.
(16) D.J. WÖLFEL, Die Religionen des vorindogermanischen Europa,
in: Christus und die Religionen der Erde, Band 1, 424 f. , Wien 1951
(17) H. NOWAK, Fortaleza von Chipude – Ein Bergheiligtum der
Altgomerer, in: RAGGI, Nr. 4, Zürich 1969.
(18) H. NOWAK, Neue Gesichtspunkte zur Bearbeitung des Kanari-schen
Megalithikums (siehe Anmerkung 39)
(19) R. HEINE-GELDERN, Die Megalithen Südostasiens und ihre
Bedeutung für die Klärung der Megalithfrage in Europa und Po-lynesien,
in: Anthropos, Nr. 23, 1928.
Almogaren I / 1970 35
(20) Al. CLOSS, Das kanarische Megalithikum – Probleme und Deu-tungen,
in: Wiener Völkerkundliche Mitteilungen, Nr. 13, Seite 1-7,
Wien 1966.
(21) Al. CLOSS, Fragen und Gesichtspunkte zum Megalithikum an
kanarischen Steindenkmälern, in: Mitteilungen zur Kulturkunde,
Nr. 1, Seite 102-116, Frankfurt am Main 1966.
(22) D.J. WÖLFEL, oben Anmerkung (16), Seite 358.
(23) J. F. SCHÜTZ, Bausteine einer Bibliographie der canarischen,
madeirischen und capverdischen Inseln und der Azoren bis 1920.
Braunschweig, 1929.
(24) "Germanischer Anteil am Megalithwesen", in: Al. CLOSS, "Eth-nologische
Bestimmung des Altgermanentums", Theorie und Pra-xis
der Zusammenarbeit zwischen den anthropologischen Diszipli-nen.
Herausgegeben: E. BREITINGER, J. HAEKEL und R. PIT-TIONI,
2. Österr. Anthropologensymposion Wartenstein, 173 f. , Horn
1961.
(25) Monumenta Linguae Canariae, Seite 460.
(26) Al. CLOSS, "Los Concheros" – Kultur- und Religionshistorisches
über Steinbauten und Felsen auf Hierro, in: Anthropos Nr. 63/64,
Seite 892-903, 1968/1969
(27) S. JIMENEZ SANCHEZ, Exponentes megalíticos cultuales de
los canarios aborigines, in: Actas de V Congreso Panafricano de
Prehistoria y de Estudio del Cuaternario, 2, Seite 153-164, Santa
Cruz de Tenerife 1963.
(28) S. JIMENEZ SANCHEZ, Síntesis de la Prehistoria de Gran
Canaria, Las Palmas 1963. Seite 10: "Tumulario tronco-cónico, a
veces estructura dolménica. "
(29) S. JIMENEZ SANCHEZ, El complejo arqueológico de Tauro Alto
en Mogán, Serie der "Excavaciones arqueológicas en España", Nr.
39, 1961. Seite 14:" por una especie de túnel en rampa ascendente".
(30) W. VYCICHL, Das Alter der Kanarischen Kultur, in: WZKM Nr.
52, Seite 27-35, 1953/55.
36 Almogaren I / 1970
(31) F.E. ZEUNER, Summary of the Cultural Problems of the Canary
Islands, in: Actas de V Congreso Panafricano de Prehistoria y de
Estudio del Cuaternario, 2, Publicaciones del Museo Arqueológico
en Santa Cruz de Tenerife, Seite 277-288, Santa Cruz 1966, Seite
288: "But it looks as though there were neolithic elements in it".
(32) J. ALVAREZ DELGADO, Analogías arqueológicas canario-africanas,
in: Revista de Historia Canaria, Nr. 153-156, Seite 194-
196 mit Bildern, La Laguna Tenerife, 1967. Im allgemeinen hatte in
megaliticis die Blickrichtung nach Weißafrika allerdings schon
vorher in der Einleitung des oben (Anmerkung 27) angeführten
Programmartikels (Seite 153) JIMENEZ SANCHEZ eröffnet.
(33) K. NARR, in: Paideuma, Nr. 6, Seite 248-250, 1954-1956.
(34) M. REYGASSE, Monuments funeraires de l'Afrique du Nord,
Paris 1950.
(35) M. SCHMIDL, in: MWAG, Seite 96, 1935.
(36) A. HERRMANN, Triton und die hellfarbigen Libyer, in: Rheini-sches
Museum, 89 f. , 1937.
(37) Die afrikanische Linguistik in Hamburg (E. ZYHLARZ und W.
GIESE) ging hinsichtlich der Kanaren andere Wege als WÖLFEL.
Eine ethnologische Dissertation über diese Inseln in Göttingen (W.O.
HESS, 1950) wird noch zurückgehalten. – Licht fällt auch auf kultur-historische
Probleme aus den "Morphologischen Studien auf den
Kanarischen Inseln" von H. KLUG in den "Schriften des Geogra-phischen
Instituts der Universität Kiel", Nr. 24, 3, 1968) – vor allem
insofern, als sich nun (H. KLUG. 29 ff.) die von WÖLFEL zu gene-rell
dem Megalithikum zugeschriebenen "Terrassen" besser von den
natürlichen unterscheiden lassen.
(38) Biographie des S.L. REINISCH in Vorbereitung von F. ANDERS.
(39) Erschienen in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft
in Wien, Nr. 100, 1970, sowie überarbeitet in dieser Ausgabe von
"ALMOGAREN".
Almogaren I / 1970 37
SUMMARY:
Professor Closs deals with the contributions made by Austrian
anthropologists to our knowledge of the pre- and protohistory of the
Canary Islands. These attempts are based on the studies of the late
Professor Dominik Josef Wölfel, whose colleagues and disciples (Pro-fessor
Closs, Anders, Biedermann, Jungraithmayr, Nowak and others)
now try to keep in touch with local authorities of the Canary Islands
(Jiménez Sánchez, Alvarez Delgado, Diego Cuscoy, Serra Ràfols and
others) and to continue Wölfel's efforts to clarify problems, such as
the importance of megalithic features in the archaeology of the Canary
Islands and the determination of the religious rites of the aborigines
of the archipelago relating to historical reports and to the interpretation
of archaeological sites.
RESUMEN:
El profesor Closs examina la contribución al estudio de la prehistoria
e historia antigua de Canarias, llevada a cabo por historiadores
austriacos. La base de estos trabajos dedicados a las Islas Canarias es,
para el autor, la obra del fallecido profesor Wölfel, cuyos colegas y
alumnos (Closs, Anders, Biedermann, Jungraithmayr, Nowak y otros),
siguiendo con la tradición del ilustre erudito vienes, procuran per-manecer
en contacto y colaborar estrechamente con los especialistas
canarios (Alvarez Delgado, Jiménez Sánchez, Serra Ràfols y otros
tantos) con el fin de contribuir a esclarecer los problemas esenciales
que son la importancia arqueológica del megalítico canario, y la de-finición
del culto religioso entre los autóctonos canarios, aprovechando
las fuentes históricas existentes y los hallazgos arqueológicos.
RÉSUMÉ:
Le professeur Closs examine la contribution à l'étude de la préhistoire
et de l'histoire ancienne des Canaries apportées par des historiens
autrichiens. La base de ces travaux consacres aux îles Canaries est,
pour l'auteur, l'oeuvre du
38 Almogaren I / 1970
regrette professeur Wölfel dont les collègues et élèves (Closs, Anders,
Biedermann, Jungraithmayr, Nowak et d'autres), voulant poursuivre
la pensée de l'illustre erudit viennois, souhaitent rester en contact et
collaborer étroitement avec les spécialistes canariens (Alvarez Delgado,
Jiménez-Sánchez, Serra Ràfols etc.) dans le but de contribuer à l'éc-laircissement
des problèmes essentiels que sont l'importance arché-ologique
du mégalithique canarien et la définition du culte parmi les
autochtones canariens, en exploitant les sources historiques existen-tes
et les trouvailles archéologiques.