ALMOGAREN 48-49/2017-2018MM185
48-49/2017-2018
ICDIGITAL Separata 48-49/7
186MMALMOGAREN 48-49/2017-2018
ICDIGITAL
Eine PDF-Serie des Institutum Canarium
herausgegeben von
Hans-Joachim Ulbrich
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Inhaltsverzeichnis
(der kompletten Print-Version)
Franz Trost
Tierfabeln und Tiergeschichten der Twareg
(Kel-Ahaggar und Kel-Adrar) ........................................................................ 7
Hans-Joachim Ulbrich
Phalli and vulvae as apotropaic geoglyphs in
a sacred plain south of Albacete (Spain) ....................................................... 39
Alain Rodrigue
Note sur le gisement paléolithique
de Tibasksoutine (Zagora, Maroc) ............................................................... 79
Friedrich Berger
Neue Überlegungen zur geographischen Lage von Jam ............................... 87
Andoni Sáenz de Buruaga
Notas y reflexiones acerca del proceso de la investigación
arqueológica en el Sahara Occidental: hitos históricos, implicaciones
políticas y orientaciones teóricas de futuro en la gestión patrimonial ......... 125
Enrique Gozalbes Cravioto & Helena Gozalbes García
Jebabra (región de Asilah), un nuevo centro megalítico
y de cazoletas (cupules) en el Norte de Marruecos ..................................... 159
Hans-Joachim Ulbrich
Zum Thema Trockenstein-Technik:
ein kleiner Rundbau bei Máguez (Lanzarote) ........................................... 189
Hartwig-E. Steiner, Paz Fernández Palomeque,
María Luisa Morales Ayala, Marcos Sarmiento Pérez
Islas Salvages de José Agustín Álvarez Rixo
del legado del erudito canario universal ..................................................... 199
Paul Horley & Hartwig-E. Steiner
Face petroglyphs in Easter Island caves
as a possible sign of their special status ...................................................... 253
Hartwig-E. Steiner
Ana Mata eine Höhle mit Make Make-Petroglyphen
beim Nordkap der Osterinsel / Rapa Nui, Polynesien ................................. 303
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Ulbrich, Hans-Joachim (2018): Zum Thema Trockenstein-Technik: ein kleiner
Rundbau bei Máguez (Lanzarote).- Almogaren 48-49 / 2017-2018 (Institutum
Canarium), Wien, 189-198
Zitieren Sie bitte diesen Aufsatz folgendermaßen / Please cite this article as follows:
ALMOGAREN 48-49/2017-2018MM189
Almogaren 48-49 Wien 2018 189 - 198
Hans-Joachim Ulbrich
Zum Thema Trockenstein-Technik:
ein kleiner Rundbau bei Máguez (Lanzarote)
Keywords: Canary Islands, Lanzarote, dry-stone buildings, rural architecture
Zusammenfassung
Die Kanarischen Inseln sind im ländlichen Bereich von zahlreichen Trockensteinbauten
geprägt: vom Mauerwerk mit seinen örtlichen Besonderheiten über die historischen Stein-hütten
bis zu den Stufenbauten ("Pyramiden"). Die Erbauer sind sowohl in den Reihen
der Ureinwohner zu suchen, als z.T. auch bei den europäischen Kolonisten. Die Urheber-schaft
für einen dieser mörtellosen Kleinbauten bei Máguez, Lanzarote, zu ermitteln, ist
Ziel dieses Aufsatzes. Eine zeitliche Einordnung erweist sich als schwierig.
Abstract
The rural regions of the Canary Islands are characterized by numerous dry-stone buildings:
walls with their local particularities, the historical stone huts and the step-buildings
("pyramids"). The constructors can be found among the aborigines and to a lesser extent
among the European colonists. To determine the creators of one of these cementless small
structures near Máguez, Lanzarote, is aim of this article. A chronological classification
seems to be difficult.
Resumen
Las zonas rurales de las Islas Canarias están marcadas por numerosas construcciones de
piedra seca: desde paredes con sus peculiaridades locales, pasando por chozas de piedra
historicas, hasta construcciones escalonadas ("pirámides"). Sus constructores han de bus-carse
tanto en las filas de los aborígenes canarios como en parte también entre los colo-nizadores
europeos. El objetivo de presente artículo es determinar la autoría de una de
estas pequeñas construcciones sin mortero cerca de Máguez, Lanzarote. Su encuadra-miento
cronológico resulta difícil.
Was wir heute als Bandbreite ländlicher Architektur wahrnehmen, ist bei
vielen mörtellosen Bauten sicher ein Ergebnis der letzten Jahrhunderte. Die
ersten Anfänge der Trockenstein-Bautechnik sind aber bereits im Neolithi-kum
zu finden, besonders bei Einfriedungen und bestimmten sakralen Groß-bauten.
Es handelt sich also in solchen Fällen um sehr frühe Prozesse der Seß-haftwerdung
und der bäuerlichen Kultur. Bezüglich der riesigen Bauten, die
in späteren Jahrtausenden auf den Kanaren entstanden, kann man jedoch an-zweifeln,
dass kleine bäuerliche Gruppen der letzten 500 Jahre dazu in der
Lage waren. Muss man sich nicht von der Vorstellung lösen, dass selbst eine
kanarische Großfamilie monatelang oder sogar über ein Jahr hinaus an einem
aufwändigen Stufenbau arbeiten konnte, ohne ihre Pflichten im täglichen Le-benskampf
zu vernachlässigen? Man sollte demnach neben Profanbauten auch
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vor- bzw. nichtchristliche Sakralbauten im Blick haben; letztere konnten als
Gemeinschaftsanstrengung und mit dem Ziel, göttliche Belohnung zu erlan-gen,
deutlich größer und langfristiger angelegt werden. Es kommt hinzu, dass
das Alter vieler kanarischer Trockensteinbauten nicht bekannt ist. Belastbare
historische Quellen fehlen oft, was gerade bei größeren Konstruktionen wich-tig
wäre. Lohnenswert ist aber auch eine Betrachtung von weniger aufwändi-gen
Architekturzeugnissen aus dem ländlichen Milieu der Kanaren.
Überall auf Lanzarote finden wir die kleineren Exemplare der mörtellosen
Steinbauten als Feldhütten, die – wie anderswo auch – zum Unterstellen von
Garten- und Ackerbaugeräten, als vorübergehende Schlechtwetter-Unterkunft,
als Jagdhütte oder nur als Sonnenschutz verwendet wurden, auf den Kanaren
aber auch zum Schutz von neugeborenen Ziegen (baifillos) vor Raubvögeln.
Ein Nebeneffekt auf Lanzarote war die Verwertung der allgegenwärtigen vulka-nischen
Feldsteine, so dass die Reinigung benachbarter Äcker unterstützt wurde.
Die Hütten verursachten einen Bau-Aufwand, den ein Bauer oder Hirte ne-ben
der eigentlichen Tagesarbeit noch betreiben konnte. Sie gehören zu der Pro-fanarchitektur,
die sowohl den Ureinwohnern (Mahos/Maxies) als auch den spa-nischen,
portugiesischen und französischen Siedlern zugeschrieben werden
kann. Die Gesellschafts- bzw. Wirtschaftsentwicklung nach der Conquista und
Christianisierung von Lanzarote 1402-1404 brachte zahlreiche solcher Zweck-bauten
hervor – auf der Seite der Ureinwohner bis ins 16. Jahrhundert (Ulbrich
1990: 54-55) und bei den Europäern, die die Maho-Familien absorbierten, bis
zum Ende des 19. Jahrhunderts,vereinzelt möglicherweise bis in die ersten Jah-
Abb.1 - Trockensteinbau bei Máguez, Lanzarote; Südwestseite mit Eingang
(Photo: Hans-Joachim Ulbrich).
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re des 20. Jahrhunderts. Dabei wurden auch Bau-formen
der Ureinwohner von den Europäern auf-gegriffen
bzw. Maho-Bauten weiterverwendet, u.a.
für die Käsereifung. Nicht beschrieben ist nach wie
vor die technische und logistische Handhabung der
zum Teil sehr großen und extrem schweren Steine.
Hungersnöte, Heuschreckenschwärme, Land-flucht,
die wachsende Agrar-Konkurrenz und die
Abwendung von landwirtschaftlichen Berufen
führten jedoch zu einem stetigen Verlust des not-wendigen
Wissens, welches heute kaum noch vor-handen
ist. Der Verfall der archäologischen und ethnologischen Monumente
mit Trockensteintechnik ist auf allen Inseln des Archipels zu beobachten. Zu
welcher Zeit und zu welchen Erbauern gehört nun die vorliegende Steinhütte
(Abb. 1), die sich nördlich von Máguez unweit der Straße nach Yé befindet?
Zunächst eine allgemeine Beschreibung: Es handelt sich um einen Rund-bau
von ca. 3,5 m Durchmesser. Der auffallend niedrige Eingang ist auf der
Südwest-Seite; er wird oben durch ein breites Felsstück als Türsturz begrenzt.
Abb.3 - Vereinfachte bzw. idealisierende
Darstellung eines mediterranen Rund-bau-
Typs mit kleiner Kragkuppel. Um
diese herum besteht im vorliegenden Fall
ein flacher Absatz. Die Konstruktion
wird dadurch schwieriger und aufwändi-ger.
Man sehe auch Abb. 8.
(Zeichnung: Hans-Joachim Ulbrich)
Von der äußeren Form her entspricht der
Bau in Abb.1 exakt dieser Darstellung.
Abb.4 - Dach-Typen von Steinhütten (cabaña, choza) wie sie auf Lanzarote öfters anzu-treffen
sind; mit rundem oder rechtwinkeligem Basis-Grundriss. Bei niedrigen Dach-konstruktionen
sieht es in manchen Fällen wie eine simple Stein-Aufhäufung aus und
nicht wie eine bewusst durchgeführte Dachgestaltung. (Zeichnung: H.-J.Ulbrich)
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Auf der SSO-Seite existiert ein rechteckiges Guckloch (Abb.5). Der hintere
nordwestliche bzw. nördliche Teil weist Beschädigungen auf. Der am Boden
festgestellte flache Absatz um die kuppelartige Erhebung herum wird durch
das Satellitenphoto (Abb.2) bestätigt. Ob im Innenraum tatsächlich eine durch
Kragbauweise hergestellte Kuppel vorhanden ist (wie bei Abb.3), konnte we-gen
der Mülleinbringung (Abb.6) und der Einsturzgefahr nicht eruiert wer-den.
Es besteht deshalb die Möglichkeit, dass – wie bei Abb. 4 erwähnt–, nur
eine runde Aufschüttung vorliegt. Die Ausführung macht insgesamt einen gro-ben
und sehr alten Eindruck mit kaum eingepassten vulkanischen Steinen
(Pyroklasten), darunter auch größere, sehr unhandliche Exemplare (Abb. 5/6).
Überdies sind kantige Pyroklasten schwieriger aufzuschichten als flach her-stellbare
Platten aus Kalkgestein, welches auf Lanzarote auch vorhanden ist.
Die Flora der Umgebung ist fast ausschließlich durch die buschartige, suk-kulente
Verode (Kleinia neriifolia) charakterisiert, die auf den Abb.1/5/7 gut
erkennbar ist. Trotz einiger alter Trockenstein-Mauern in der Umgebung (Hin-tergrund
Abb.5) ist direkt um die Steinhütte herum kein ehemaliger Ackerbau
erkennbar. Eine neuzeitliche Bodennutzung würde durch eine kontinuierlich
aufgetragene, Feuchtigkeit speichernde Schicht von Lapilli (vulkanische Asche
= span. picón bzw. lanz. rofe) auffallen. Keine drei Meter vom Eingang ent-fernt
liegt ein alter Autoreifen und wie generell an den einsamsten Stellen der
Insel kann man in Glasscherben treten.
Die äußere Bauform vermittelt auf den ersten Blick nichts Auffälliges; dass
die Kuppel oder Pseudokuppel den ganzen Durchmesser abdeckt (wie in Abb.
Abb.5 - Trockensteinbau bei Máguez, Lanzarote; Südsüdostseite mit Luke oder
Guckloch (Photo: Hans-Joachim Ulbrich).
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4) ist aber nicht der Fall. Dies ist für Lanzarote eine Besonderheit, die ich bei
früheren Explorationen auf der Insel nicht feststellen konnte oder die mir
schlichtweg nicht aufgefallen ist. Auch bei kanarischen Autoren, die über lo-kale
Trockensteinbauten publizierten, wurde dieser Sub-Typ bislang nicht the-matisiert.
Was aber öfters angetroffen und deshalb auch ausführlicher beschrie-ben
wird, sind Steinhütten mit Dachformen und Grundrissen wie in Abb. 4.
In vielen Artikeln (inkl. älterer eigener) und auf zahlreichen einschlägigen
Internetseiten (Blogs) werden lanzarotenische Steinhütten, wie die hier vor-liegende,
unter dem altkanarischen Begriff taro subsummiert. Dies ist meiner
Meinung nach nicht korrekt, da ein Taro – per definitionem (lat. turris) – stets
eine viel spitzere und höhere Bauform aufweisen sollte. Exakt solche Ausfüh-rungen
sind auf Lanzarote tatsächlich mehrmals vorhanden. Man muss
allerdings einräumen, dass die zu weit gehende Verwendung von "taro" sicher
nicht eine Erfindung von heutigen Autoren ist, sondern ihren Ursprung im
verallgemeinernden Sprachgebrauch bäuerlicher Kreise der europäischen
Siedler hat. Wir sollten also neben Taro auch von cabaña (span. "ländliche
Hütte", oft aus Stein) sprechen, die natürlich auch als vorspanische Variante
existiert, deren altkanarische Bezeichnung aber leider nicht überliefert ist.
Nun einige Überlegungen, die im vorliegenden Fall entweder für oder ge-gen
altkanarische Erbauer sprechen.
Abb.6 - Trockensteinbau bei Máguez, Lanzarote; Eingang und Innenraum sind mit
großen Plastikbehältern, die möglicherweise einmal Chemikalien (Pflanzenschutz-mittel
?) oder Trinkwasser enthielten, zugestellt (Photo: Hans-Joachim Ulbrich).
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Argumente für eine prähispanische Einordnung:
Die rohe Aufschichtung der Steine und die allgemein schlechte Verfassung
der Wände und des Daches, inkl. des beschädigten Abschnittes deuten auf
ein hohes Alter (allerdings eine ungenaue, dehnbare Schlussfolgerung). Ge-rade
Spanier werden sich im eigenen Feldbetrieb kaum um nicht weiter
benötigte Taros und Cabañas der Ureinwohner gekümmert haben.
Die grobe, unregelmäßige Ausführung aller Seiten des Eingangs. Tatsäch-lich
ist bei neuzeitlich entstandenen Cabañas zu beobachten, dass mehr
Sorgfalt auf glatte Seitenwände und Kanten des Eingangs gelegt wird. Man
sieht das sehr schön bei Abb.8 und bei den kanarischen Beispielen von Abb.
9 bzw. 10. Die Entstehung der Hütte in Abb.8 wird von Fachleuten in der
Mitte des 19. Jhs. vermutet (Sebas 2017), was ich unterstützen würde.
Die zum Hochtal ausgerichtete Luke, die der Beobachtung feindlicher Clans
gedient haben könnte (gegenseitiger Viehraub wie bei Tuaregs?).
Die für Lanzarote extrem seltene Bauform. Sind andere Beispiele bekannt?
Der sehr niedrige Eingang – bei Cabañas von Lanzarote öfters anzutreffen
– könnte auf eine leichtere Verteidigung abgestimmt sein. Bei vorspani-schen
Trockensteinhütten von Fuerteventura kann ebenfalls dieser niedri-ge
Eingang beobachtet werden.
Abb.7 - Trockensteinbau bei Máguez (Lanzarote), Westseite. Links im Bild die Nord-seite
mit den erwähnten Beschädigungen (Photo: Hans-Joachim Ulbrich).
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Die fehlende Einbindung in europäisch-spanische Feldwirtschaft direkt bei
der Hütte, in Kombination mit der Nähe zu einer weiteren – vermutlich vor-spanischen
– Cabaña, die deutlich keinen landwirtschaftlichen Zweck hat.
Argumente gegen eine prähispanische Einordnung:
Die Bauform wird auch bei rezenten Cabañas der Iberischen Halbinsel ein-gesetzt
(Abb.8). Ist dieser Typ eine allein mittelalterliche bzw. neuzeitliche
Erfindung oder gibt es ältere Vorbilder? Kuppelgräber mit Sockel wurden
schon in der iberischen Kupferzeit errichtet. Spanische Bauern könnten von
Vater zu Sohn tradierte Kenntnisse nach Lanzarote mitgebracht haben.
Der Verfall kann ebenso vor 200-300 Jahren seinen Anfang genommen
haben, als man vermutlich begann, Cabañas nicht weiter zu pflegen.
Die Luke kann auch eine spanische Maßnahme sein; man denke an einen
ähnlichen Einsatz wie bei den lokalen torres de vigilancia (Überwachungs-türme
für Weiden etc.; Farray & Montelongo 2004).
Niedrige Eingänge sind auch bei rezenten Cabañas zu beobachten.
Darüber hinaus wurden im 15.-17. Jh. von den Kanaren und intensiv auch
von Lanzarote aus Mauren versklavt, die als Hirten und Landarbeiter auf
der Insel eingesetzt wurden, so dass sich früh-neuzeitliche Berber eventu-
Abb.8 - Parallele zu den Abb.1 und 3; auf dem spanischen Festland entdeckt beim
Cerro Lutero, Bordecorex, Soria (Photo: Francesc García aus Sebas 2017).
Der Bau ist auf der hier rechten Seite beschädigt.
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ell eigene Behelfsunterkünfte außerhalb der Dörfer und Höfe errichteten.
Für diese grausamen Aktionen – unter anderem durch den andalusischen
Adelsmann Diego de García Herrera y Ayala (Nominal-König von Gran
Canaria, Tenerife und La Palma, Señor von Lanzarote) – wurde 1478 extra
ein Stützpunkt an der nahen afrikanischen Küste errichtet: das berühmt-berüchtigte
Fort Santa Cruz de Mar Pequeña, ehemals südlich des heutigen
Sidi Ifni (Marokko) gelegen.
Abb.9 - Rezente Cabaña westlich von Tinajo, Lanzarote: glattflächig ausgeführter
Eingang (Photo: Hans-Joachim Ulbrich).
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Der Vergleich beider Argument-Gruppen erbringt weder für die eine noch
die andere Seite einen deutlichen Vorsprung. Allerdings verstärkt sich die
prähispanische Seite etwas, wenn wir daran denken, dass ein Großteil der Ur-einwohner
Lanzarotes aus Nordafrika stammt. Auch dort gibt es – oft mit
religiösem Zweck – Trockenstein-Bauten mit z.T. sehr langer Tradition. Für
den profanen, volkstümlichen Bereich in Marokko sehe man Battais (2007).
Abb.10 - Rezente Cabaña östlich von Máguez, Lanzarote: glattflächig ausgeführter
Eingang, der zum Teil verputzt ist (Photo: Hans-Joachim Ulbrich). Über dem Tür-sturz
aus Holz wurde – wohl aus alter Sitte heraus –ein Querstein eingebaut, wie er
früher für den oberen Abschluss des Eingangs verwendet wurde (siehe Abb. 9).
198MMALMOGAREN 48-49/2017-2018
Nicht zu vergessen ist auch der römische, phönizische und neupunische
Einfluss auf die jüngeren – also protohistorischen bis spätantiken – Alt-kanarier
der Ostinseln Fuerteventura und Lanzarote. Wie sehen bei den Rö-mern
und Phöniziern, deren kulturelle Ausstrahlung in diesem Fall bis in den
nordafrikanischen Atlantik reichte, die ländlichen Trockensteinbauten aus?
Hier scheint es noch größeren Forschungsbedarf zu geben.
Literatur:
Battais, Sylviane (2007): Les tazotas et les toufris de la région des Doukkala
(Maroc): un résumé.- CERAV,
(besucht Januar 2018)
Farray Barreto, José; Montelongo Franquíz, Antonio J. (2004): Refugios
agrícolas, torres de vigilancia y taros en Lanzarote.- X Jornadas de Estudios
sobre Lanzarote y Fuerteventura t.II (Cabildo de Lanzarote / Cabildo de
Fuerteventura), Arrecife, 93-106
Sebas, Paco (Dez. 2017): Cabañas de piedra seca.-
(besucht Januar 2018)
Ulbrich, Hans-Joachim (1990): Felsbildforschung auf Lanzarote.- Almogaren
XXI/2/1990 (Institutum Canarium), Hallein 1991, 319 S.
[U.a. über die Fortdauer eingeborener Strukturen trotz der bereits vorherr-schenden
Europäer und ihrer Kultur.]
Nachtrag:
Borut Juvanec vom Institute of Vernacular Architecture der Universität von
Ljubljana (Slowenien) hat die hier behandelte Cabaña (bei ihm "Guinate 2")
bereits 2009 untersuchen können und hat eine Kragkuppel festgestellt, die im
Innenraum direkt am Boden beginnt. Er stuft den Bau als rezent ein. Ich dan-ke
Frau Renate Löbbecke für diesen Hinweis.
Man sehe auch: Juvanec, Borut (2012): "Taro". Lanzarote's stone architec-ture:
so important and unknown / "Taro". La arquitectura de piedra de Lanza-rote:
tan importante y desconocida.- Revista "Piedras con Raíces" 33/invierno
2012 (ARTE / Asociación por la Arquitectura Rural Tradicional de Extrema-dura),
Cáceres, 28-39 [zweisprachig]
Die von Prof. Juvanec 2009 auf Lanzarote aufgesuchten Steinbauten wur-den
z.T. akribisch vermessen. Die danach angefertigten Zeichnungen (Grund-risse,
Seitenansichten etc.) wurden in einer Arbeitsunterlage der heimischen
Universität veröffentlicht: Juvanec, Borut (2010): Taro, architecture in stone,
Lanzarote.- Documentation, Ljubljana University. Diese Skizzen wurden auch
in dem oben genannten Artikel von 2012 stark verkleinert abgebildet. Ob die
rezente Einordnung ausnahmslos zutrifft, lässt sich spontan nicht entscheiden
und soll in einem kommenden Aufsatz untersucht werden.