Almogaren XXII / 1991 Hallein 1992 33 -46
Helmut Stumfohl
Die Wanderungen des Herakles I
1) Mythos und Geschichte
Zur Wortbedeutung: Ursprünglich hieß gr. "mythos" Erzählung, Wort,
Rede. Schon bei Pindar bekommt das Wort die Nebenbedeutung "lügenhafte,
trügerische Erzählung". Hier hebt sich Pindar ab gegen die positive Bedeutung
des Wortes "Erzählung von Anfängen, durch eine numinose Macht gestiftet"
(]).
Es gibt Mythen der verschiedensten Art; sie lassen sich auf zwei Klassen
zurückführen: Mythen, die Historisches auf irgendeine Weise enthalten und
solche, die ahistorisch sind. Immer aber ist von Anfängen die Rede: der Welt,
der Götter, der Menschen, einer ersten Tat, eines Heros. Die Entstehung des
Kosmos, der Götter, der Menschen: das sind keine geschichtlichen Mythen. Die
Entstehung der Erde oder des Sonnensystems ist kein Thema der Geschichte,
auch wenn dabei zeitliche Aussagen gemacht werden. Die Erzählung von einer
Urtat, einem Urheros, von der Entstehung eines Heiligtums:das impliziert Geschichtliches,
aber nicht als Wissenschaft, nicht als Kunde, nicht als Logos,
eben als Mythos.
Der Mythos, der uns den Ursprung eines Heiligtums erklären will, zielt
immer auch auf die Erklärung des Kultus an dieser Stätte ab; was in Delphi oder
Dodona zum erstenmal geschah, wird durch den Kultus wiederholt; der Mythos
versucht die besondere Heiligkeit des Ortes zu erklären. Bethel, der Ort an dem
Jakob sein Gotteserlebnis hatte - in Gestalt eines Kampfes - wird heiliger Ort,
wird Bundesheiligtum; Jakob richtet eine Massebah auf, einen heiligen Stein,
den er mit Öl salbt, und nennt ihn Bethel, d.i. Wohnstatt Gottes. Durch den
heiligen Ort entsteht eine Mitte, die durchaus nicht geographisch sein muß,
Jerusalem ist keine geographische Mitte, Delphi oder der Ayers Rock in Australien
sind es. Heilige Orte schaffen besondere Verbindungen: In Bethel berührten
sich Himmel und Erde, was uns im Symbol einer Leiter oder eher Treppe
gesagt wird, ein Symbol übrigens, das sowohl mesopotarnisch als auch ägyptisch
ist.
Mythos und Kultus stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander;
die heilige Zeremonie, die stiftende Wiederholung muß regelmäßig vollzogen
werden. Mythos erschafft Kultus, aber Kultus, besonders wenn seine Anlässe
vergessen wurden, schafft neue Mythen.
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Mythos und Kultus sind ineinander verzahnt und bedingen sich
gegenseitig; der Kultus dient der Vergegenwärtigung oder Aussage eines nwninosen
Wesens; Kultus ist immer wiederholendes heiliges Tun. Aber es ist nicht
so, daß der Kultus erst den Mythos erschüfe, wie eine religionswissenschaftliche
Schule einst meinte; das hieße das Pferd beim Schwanze aufzäumen; der Mythos
hat Priorität.
Eine besondere Art von Mythen, die in verflachter Form als Sagen und
Legenden weiterleben, sind nun jene, die sich an Personen heften, die durch
heiliges, beispielhaftes Tun, eine Urtat ausgezeichnet sind; griechisch gesprochen
Heroen, die oft göttlicher Abstammung sind und vergöttlicht werden. Bei
Herakles trifft beides zu. Heroen halten zwischen Göttern und Menschen die
Mitte: Theseus, Prometheus, Bellerophon.
Der Mythos kann später religionsphilosophisch umgedeutet werden und
in einer Erlösungsreligion Dienst tun, etwa in den verschiedenen gnostischen
Systemen, die erlösendes Wissen an die Stelle des Glaubens setzen und durch
umgedeutete Mythen darstellen. Auch das Alte und Neue Testament verwenden
mythisches Gut- etwa in den beiden parallelen Erzählungen von der Erschaffung
des Menschen.
Eine besondere Form des Mythos, oft nicht als solche erkannt und daher
falsch eingeschätzt, ist der literarische Mythos. Sein Schöpfer ist Platon (2). So
der Mythos vom Krieger "Er, der aus dem Jenseits zurückkommt" oder der am
meisten mißverstandene aller Mythen, der Atlantismythos. Dieser gab ja zu
unzähligen falschen Deutungen und Phantasien Anlaß, weil man die literarische
Fiktion nicht erkannte und den Ort der Mythen im platonischen Werk nicht
ins Kalkül zog; die platonischen Mythen sind keine historischen Berichte, sondern
literarische Mythen, die eine Idee illustrieren sollen. Dabei werden historische
Stoffe mit verwendet; diese gilt es erst zu sondern. Wer die Atlantiserzählungen
in den beiden Dialogen Kritias und Timaios wörtlich nimmt, geht in
die Irre.
Eine andere Form des Mythos zielt nicht auf die Anfänge, sondern auf
die Endzeit, das Weitende: der Weltenbrand Heraklits oder des ahd. Gedichtes
vom Muspilli; der Mythos von Ragnarök in der altnordischen Überlieferung
oder der Mythos vom Jüngsten Gericht, theologisch umgedeutet.
Wiederum andere Formen mythischer Erzählungen wollen erklären, wieso
das Böse in die Welt kam, gewöhnlich durch eine Tricksterfigur und die Schuld
des Menschen, der durch Nichtbeachtung einer götttlichen Weisung den Tod in
die Welt brachte.
Der Mythos ist eine ganzheitliche Weise die Wirklichkeit zu erfassen,
indem der Grundstoff verdichtet wird. Wer das Mythische völlig analysiert,
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allegorisch erklärt, wer völlig entmythologisiert, zerstört das Mythische, ohne
daß er imstande wäre, etwas Anderes an seine Stelle zu setzen. Die Wissen-
1schaft ersetzt das Mythische nicht wirklich, nur scheinbar. Der Mythos faßt die
Wirklichkeit symbolisch, das Symbol aber enthält immer auch das Auf gewiesene
schon in sich.
Der Mythos sieht die Welt als ein unreflektiertes Ganzes. Den Übergang
zur rationalen und wissenschaftlichen Darstellung stellt der Logos-Begriff dar.
In ihm beginnt ein rationales Element, ohne daß es auflösend, rein analytisch
wirkt. Das beginnt mit der Logos-Lehre des Heraklit, hinter der die iranische
Idee vom Weltgeist steckt und wird in der Logos-Lehre der Stoa ausgebildet
(3).
Bei Heraklit widerspiegelt der Logos-Begriff auch den Einfluß des iranischen
mathra-Begriffes, der das ordnende und schaffende Wort des Weltgeistes
darstellt. Auch in der Genesis erscheint schon das ordnende und schöpferische
Wort Gottes in der dynamischen Formulierung "Und Gott sprach ... ",
der der Prolog des Joahnnesevangeliums genau entspricht. Philo von Alexandrien
und die alexandrinischen Theologen der frühen Kirche bauten dann den LogosBegriff
weiter aus (4).
Ein Mythos muß uns nicht erklärt werden. Er gehört dem Bereich der
symbolischen Formen an, die für sich selbst durch sich selbst sprechen (5).
Der Mythos gewährt einen unmittelbaren, sozusagen verkürzten Zugang
zur Wirklichkeit; er ist nicht Religion, er ist nicht Poesie oder Märchen; er ist
nicht ungeschickte Formulierung unwissender Hinterwäldler, sondern hat mit
der Grundstruktur des menschlichen Denkens zu tun. Der ursprüngliche Mensch
denkt mythisch; der Mythos gibt keine Begründungen, sondern gründet (6).
Mythos, recht verstanden, kann ein Korrektiv gegen die rein mechanistische,
rein rationale Weltsicht darstellen (7).
Der erste Vertreter der europäischen Geistesgeschichte, der den Mythos
nicht bloß als Poesie auffaßte, war Giambattista Vico (1670-1744). In seiner
"Neuen Wissenschaft" (1744) faßt er den Mythos als eine Art Ursprache der
Menschheit auf (Herder wird ihm in dieser Vorstellung folgen), zwar nicht als
die allererste - das ist die Adam von Gott gegebene Ursprache der Menschheit
- sondern als die "zweite" Sprache, "eine phantastische Sprechweise, vermittelst
der belebten Substanzen, die größtenteils als göttlich vorgestellt wurden"
(8).
Nach Vico ist der Mythos "wahre Rede" und daher fallen bei ihm die
symbolische Redeweise und die etymologische Deutung zusammen; Etymologie
ist ihm wahre Rede von den Ursprüngen, die aus den Dingen selbst zwingend
hervorgeht. Vico begriff, daß Wortdeutung in der Mythologie eine wesent-
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liehe Rolle spielen kann, allerdings nicht so, wie Max Müller meinte, daß der
Mythos sich aus sprachlichen Mißverständnissen erklären lasse .. .
Der Mann aber, der am tiefsten begriff, daß Mythos und Geschichte
zusammengehören, war Johann Jakob Bachofen ( 1815-1887) (9). Der Mythos
folgt unbewußten Gesetzmäßigkeiten; man kann Anfang und Ziel des Geschichtlichen
nicht verstehen, wenn man nicht die mythischen Anfänge, die
heiligen Anfänge, die II Arche II im griechischen Sinne kennt. Jede tiefere Erforschung
des Altertums muß daher mit dem Mythos beginnen, ehe sie verwissenschaftlicht
wird (10).
Mythos verdichtet nicht nur Geschichtliches, Mythos beeinflußt auch
Geschichtliches. Daß die Azteken etwa sich gegen Cortez nicht entschieden zur
Wehr setzten, beruhte auf einer Verbindung mythischen und kultischen Denkens.
Indem man Mythisches als Verdichtung des Geschichtlichen nachweise,
zeige ich eine besondere Weise geschichtlichen Seins; dabei sind Mythen stets
sehr komplexe Erscheinungen.
Das Wesen des Komplexen nicht ins Kalkül zu ziehen, zählte zu den
schwersten Fehlern der religionswissenschaftlichen Schulen, die alles Mythische
und im Endergebnis damit auch die Religion aus einem einzigen Prinzip ableiten
wollten: aus Todesfurcht, aus Naturverehrung, aus Priestertrug, aus Offenbarung,
aus der Verehrung des Feuers oder dem Mißverständnis einer Fata
Morgana, aus wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gegebenheiten.
Dieser Fehler ist auch in der Analyse mythischer Vorstellungen zu vermeiden,
die sich auf heilige Personen, Heroen etc. beziehen. Siegfried oder
Herakles sind ebenso wenig versteckte oder mißverstandene Sonnengötter wie
etwa bloße Stammesheroen oder Ahnherren. Herakles ist auch nicht bloß Reflex
einer orientalischen Gestalt, des Simson oder des Gilgamesch, obgleich es
da Berührungen gibt, die über den mediterranen Bereich hinaus nach Mesopotamien,
ja Indien führen. Herakles und Gilgamesch steigen beide in die Unterwelt
- aber damit endet auch die Gleichung; Herakles tut es, um den Höllenhund
hervorzuholen, Gilgamesch, um das Kraut des Lebens zu holen ( 11).
Das mythenbildende Vermögen des Menschen ist eine Kraft sui generis,
ein ursprüngliches grundeigentümliches Vermögen, das die Vorstufe jeder
Religiosität ist; es stellt auch sozusagen den Einbruch des Numinosen in den
Alltag dar. Das Mythische hebt den Alltag auf im doppelten Sinne des Wortes;
es hat daher eine ganz besondere Verbindung mit dem Fest, der Feier; das
Mythische will getan, begangen werden; es ist dynamisch.
Eine wesentliche Vorbedingung des Mythischen wird uns im Begriff des
Archetypischen faßbar; er ist einfache, aber keineswegs simple Gestalt, die
dem Menschen, um mit C.G. Jung zu reden, kollektiv eignet; Archetypus ist
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eine Wlbewußt wirkende gestalthafte Disposition, die offenbar genetisch fixiert
ist, aber als sozusagen freie, vom bloßen Instinkt losgelöste Disposition ins
~ewußtsein gehoben wird, ohne rational reflektiert zu sein. Der Mythos enthält
stets ein Moment des Außerrationalen - nicht des Irrrationalen! Die mythischen
Grundstrukturen sind aber noch immer wirksam, auch wenn sie oberbewußt
auf gelöst, rationalisiert erscheinen; W1terbewußt wirken sie um so stärker fort:
z.B. der Archetypus des Helden, dem wir in Herakles begegnen, dem siegreichen
Helden, der Überwinder des Bösen, Stifter des Guten ist.
Der Mythos ist, um es noch einmal deutlich zu sagen, dynamische Wirklichkeit,
kein bloß poetisches Bild, das aus Unvermögen geschaffen wordem
wäre, kein Märchen, das zu W1serer Erbaullllg an die Wände der Wirklichkeit
projiziert worden wäre. "Auch der Mythos nämlich meinte W1ter anderem von
wirklichen Hergängen Bericht zu erstatten. Wenn aber die Wissenschaft ihn
hinlänglich entwertet glaubt, weil sie ihm vorzuhalten vermag, er habe, statt
Tatsachen festzustellen, von Dämonen gefabelt, so vergißt sie, daß umgekehrt
er ihr vorwerfen könnte, sie rede mit ihren sämtlichen Seinsbegriffen gänzlich
vorbei am Ereignischarakter der Wirklichkeit, wovon gerade er uns Rechenschaft
gibt" sagt Klages (12).
Mythos hat keinen einheitlichen Bezug zur Zeit. Die kosmogonischen
oder anthropogonischen Mythen schweben im Zeitlosen: Mythen von den heiligen
Anfängen hingegen, heiliger Orte, heiliger HandlW1gen, heiliger Wesenheiten
sind zeitlich Wld örtlich geordnet, zentriert. Mit ihnen befassen wir WlS
hier. Der Held wird, wie ein heiliger Ort, Mitte der Menschenwelt. Eine heilige
Handlllllg bestätigt die Mitte, stellt sie immer wieder her.
Mit solchen Mythen ist der erste Schritt zur Historisierllllg getan, wenn
auch ein noch so vager Zeitbezug hergestellt wird. In ihn werden, mit wachsendem
Bewußtsein, immer konkretere Bezüge eingebaut. Eine Möglichkeit, den
Zeitbezug zu konkretisieren ist die Konstruktion heroischer und mythischer
Genealogien; hier wird ein Urheros als Anfang gesetzt, als Erzeuger des Stammvaters.
Damit werden vorgeschichtliche BeziehW1gsgefüge symbolisiert.
Indem etwa Illyrios in Böotien zum Stammvater des Kadmos gemacht
wird, so werden hier zwei Ethnien in Beziehung gesetzt, überraschenderweise -
für den, der mythische Denkweise nicht kennt - Illyrier und Phönizier. Das muß
natürlich nicht heißen, daß dies im Sinne einer tatsächlichen Ethnogenese stimme.
Es heißt aber, daß man eine historische Beziehung kannte: Illyrier als Volkstum,
das in die Volkwerdllllg griechischer Stämme einging; Phönizier als frühe
Siedler am böotischen Gestade.
Ein geschichtlicher Sachverhalt wird hier gezeigt auf knappe, ökonomische
Weise, das uns lange historische AbhandlW1gen und Beweisführungen
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erspart. Für Herodot war Geschichte die Erzählung von Geschehenem, im Idealfall
aus eigener Anschauung (13). Unser eigenes Wort Geschichte enthält noch
immer den Begriff des Erzählens; für die Griechen galt das Wort "historia", das
eigentlich das "selbst Gesehene, selbst Gewußte" bedeutet. Die denkende und
systematische Betrachtung der Geschichte, besonders das Bestreben, in ihr
Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, wird uns Geschichtsphilosophie (14).
Aus der landläufigen klassischen Philologie ergab sich die große Versuchung,
Geschichte nur insofern anzuerkennen, als sie Gegenstand schriftlicher
Aufzeichnungen war. Aber auch mündliche Überlieferungen, Archäologie, enthalten
Geschichte. Häufig wird übersehen, daß es noch einen weiteren Bereich
geschichtlicher Aussage gibt: die Sprache selbst. Sprache ist in einem hervorragenden
Sinn Geschichte - für viele Völker sozusagen die einzige greifbare. Von
daher erhält die Etymologie als Hilfswissenschaft ihre eigentliche Legitimierung.
Herakles umspannt das Mittelmeer, das uns Einheit in Vielheit ist. Er ist
der mediterrane Held par excellence, der keineswegs nur den Griechen gehört,
auch wenn ihm die Griechen die stärkste Ausprägung, sein deutlichstes Profil
verliehen.
Im zeitbezogenen und lokal ausgerichteten Mythos beginnt die unbewußte
Geschichte sich ihrer bewußt zu werden: Die 2.eit tritt als Dimension der
Geschichte ins Bewußtsein.
2) Herakles und Hercules
a) Allgemeines
Giambattista Vico sagt, daß jede Nation ihren Herakles habe (15). Das
ist ein erleuchtetes Wort: Die Gestalt des Herakles ist vielfältig, viele Völker
und Landschaften nehmen an ihm Teil.
Schon die Antike war sich darüber klar - im Gegensatz zu manchen
klassischen Philologen - daß es sich bei Herakles um eine vielfältig strukturierte,
Gestalt handele, die nicht einfach einem bestimmten Volkstum, etwa den
Dorern, ausschließlich zukäme; Herakles ist mehr als ein dorischer Kraftlackei.
Diodorus Siculus ( 15) unterscheidet drei Heraklesse. Er nennt den ägyptischen
- vermutlich als den ältesten - den kretischen und den jüngsten, den
Sohn der Alkmene. Der ägyptische Herakles bleibt vage. Diodorus Siculus ( 16)
nennt den ägyptischen Herakles Som oder Chon. Dahinter erscheint der Gott
Chons, der eher als "Chensu" zu vokalisieren ist. Auf den ersten Blick bietet
dieser Gott kaum Anknüpfungspunkte für eine "interpretatio aegyptiaca". Macht
man sich aber klar, daß Chons/Chensu an sich schon eine vielfältig schillernde
Gestalt war, ein synkretistischer Gott, der mit allen möglichen ägyptischen
Gaugöttem identifiziert wurde - ursprünglich ein falkenköpfiger Gott - und
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überdies noch der "Wanderer " hieß, so bieten sich dennoch Möglichkeiten der
Anknüpfung an. Chon/Chensu hatte sein Kuhzentrum in Theben, in einem der
Tempel des großen Komplexes von Karnak. Der Wanderer unter den ägyptischen
Göttern konnte mit dem Wanderer Chensu gleichgesetzt werden (17).
Wie vielfältig Herakles gedacht war, zeigt schon seine Existenz als kretischer
Daktylos. Herakles Daktylos tritt hier sogar, völlig unvermutet, in Zwergengestalt
auf. Die Daktyloi waren Begleiter der großen kretischen Bergmutter,
der Mutter des kretischen Zeus. Hier begegnen wir zum ersten - und beileibe
nicht zum letztenmal - der besonderen Beziehung des Herakles zur weiblichen
Welt. Die Daktyloi, oft als identisch mit den Kureten und Korybanten auf gefaßt,
den ekstatisch tanzenden Begleitern der großen Mutter, galten später als
Schmiededämone. Dies gilt außer für Kreta ganz besonders für den Kabirenkult
auf der Insel Samothrake.
Der Name der Daktyloi - "Fingerlinge" oder "Däumlinge" (lat. digitus) -
hat sexuellen Bezug: Der Daktylos ist der verselbständigte Phallos, das nackte
männliche Prinzip, das mit dem Fruchtbarkeitsaspekt der großen Mutter korrespondiert.
Die Schmiededämonen - nicht immer als Däumlinge gedacht - haben
zweierlei Bezug: zum einen den dämonischen Schmied, der ob seiner unbegreiflichen
Kenntnisse zugleich gefürchtet und begehrt ist und die Tätigkeit des
Schmiedens, die eine leicht durchschaubare sexuelle Metapher darstellt.
Ein letzter Rest solcher Zusammenhänge erscheint in der Gestalt des
Hephaistos, Wielands des Schmiedes und der schmiedekundigen Zwerge, welche
die Rüstung des Helden schmieden - die Rüstung Siegfrieds etwa.
Cicero ruft aus (18) "Ich möchte doch wissen, welchen Herakles wir als
den mächtigsten verehren sollen!?" und zählt dann sechs verschiedene
Heraklesse bzw. Herculesse auf.
Zuerst erwähnt er einen sonst unbekannten Hercules als Sohn des Jupiter
und der Lysithoe. Diese sonst nicht bekannte Sterbliche oder Heroin hat einen
sprechenden Namen: "Die schnell Lösende", wobei sich das zugrundeliegende
Verbum "lyein" = "lösen" wohl auf eine sexuelle Komponente bezieht; hinter
Lysithoe verbirgt sich eine der vielen lokalen Ausprägungen der Muttergöttin.
Es ist dieser sonst kaum bekannte Herakles, der mit Apollo in Delphi in
Streit gerät. Herakles kämpft mit Apollo um den Dreifuß der Pythia. Dieser
Herakles erscheint also als eine Art Orakelgott; er ist damit eines der Numina,
die um den Besitz des Orakelheiligtums streiten.
Das Orakel, das etwa l 000 Jahre lang funktionierte, war aber schon von
Apollon usurpiert worden, der es der Erdgöttin, symbolisiert durch die PythonSchlange
(oder-Drachen), entrissen hatte.
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Der zweite oder ägyptische Herakles ist laut Cicero ein Sohn des Nils
und Verfasser oder Kompilator der heiligen Bücher Phrygiens, von denen wir
sonst so gut wie nichts wissen. Dahinter wird die Vorstellung deutlich, daß das
Ägyptische mit dem Phrygischen, übrigens auch mit dem Kolchischen, verwandt
sei. Das ist nicht so naiv, wie es zunächst klingt - darin steckt vielmehr
eine Ahnung altrnediterraner zusammenhänge.
Der dritte Herakles ist der Daktylos vom kretischen Berge Ida. Der vierte
Herakles ist der Sohn Jupiters, also des Zeus, und der tyrischen Nymphe
Asteria; das ist jener Herakles, der mit Melqart identifiziert wurde. Es ist der
phönikische Herakles, der seine Herkunft auch durch den Namen seiner Mutter
Asteria verrät. Asteria, die "Gestirnhafte", wie die griechische Lautgebung nahelegt,
ist in Wirklichkeit eine griechisierte Astarte, volksetymologisch umgedeutet.
Dem Herakles, der mit Melqart identifiziert wird, schreibt man auch die
Vaterschaft der Nymphe Karthago zu - eine durchsichtige Zuschreibung: Die
Nymphe steht für die Stadt am Meer.
Der fünfte Herakles ist der indische, der laut Cicero Belus hieß; dahinter
verbirgt sich natürlich ein Ba'al, der seinerseits das altindische "Balam" widerspiegelt,
das einfach "Kraft" bedeutet.
Der sechste Herakles endlich ist der uns wohlbekannte Herakles, der
Sohn der Alkmene, aus göttlichem Ehebruch erzeugt und seinem Vater Amphitryon
unterschoben.
Servius, in seinem Kommentar zu Vergils Aeneis (19) weiß von nicht
weniger als 44 Heraklessen, eine z.T. künstliche Unterscheidung; aus den verschiedenen
Funktion einer Heraklesgestalt werden mehrere Heraklesse abstrahiert.
Herakles als Daktylos und als ihr Anführer ist auch in Olympia zuhause;
d.h. die "olympische Religion inkorporierte den unolympischen Herakles, weil
er nicht zu überwinden war" (20).
Herakles der Daktylos - der nicht unbedingt als Däumling, als Zwerg zu
denken ist - hat als Mutter die Nymphe Anchiale, was wörtlich "die am Meere
Wohnende" bedeutet.
In all diesen antiken Ausprägungen der Gestalt des Herakles kündigt
sich schon die Ahnung an, daß er mit dem Ganzen des Mittelmeers verbunden
ist. Um so befremdlicher muten die Meinungen mancher klassischer Philologen
an, die Herakles als eine rein griechische Gestalt betrachten; ja seine mediterranen
Beziehungen nicht sehen zu wollen oder zu können, war geradezu
bezeichnend für die ältere klassische Philologie. Typisch dafür ist etwa Bernhard
Schweitzer (21), der sich entschieden gegen die Ansicht wendet, daß
Herakles schon pelasgisch sei, was wiederum für Jane Harrison (22) selbstver-
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ständlich ist. Einige Sätze später gibt Schweitzer allerdings zu, daß in der Gestalt
des Herakles doch Vorgriechisches enthalten sei, allerdings durch "grie-
9hische Aufpfropfung veredelt" (23).
Nur der Herakles eines Teils der klassischen Taten gehört der Welt der
Dorer bzw. der Griechen an, aber selbst die klassischen Taten reichen schon
über diese Welt hinaus; sie beziehen sich schon auf das mittlere Mittelmeer und
einige sogar auf das westliche Mittelmeer, das viel früher in den Horizont der
mykenischen, kretischen, karischen, ugaritischen und phönizischen Seefahrer
getreten ist, als es die klassische Archäologie wahrhaben wollte.
Es ist genau die Hälfte der klassischen Taten (24), die den Rahmen des
rein Griechischen sprengen; der kretische Stier, die thrakischen Rosse, die
Amazonen, das Geryoneus-Abenteuer, die Heraufholung des Kerberos, die Äpfel
der Hesperiden.
In der Frühzeit wird Herakles übrigens nicht als Muskelprotz mit
Löwenhaut und Keule dargestellt, sondern als kräftiger Krieger mit Helm und
Lanze. Er tritt also als Hoplit auf, als routinemäßig bewaffneter Fußsoldat der
griechischen Schlachtordnung, der Phalanx. Daneben tritt Herakles bereits als
nackter Heros auf, nach dem Bilde des nackten Kämpfers im Gymnasium (25).
Der dümmliche Muskelprotz der späteren Darstellung ist nach dem Bilde des
römischen Gladiators gemacht, einer reinen Kampf- und Tötungsmaschine; das
ist nicht mehr der wahre Herakles.
Unter den archaischen Darstellungen des Herakles, die dem 7. Jahrhundert
v.Chr. angehören, fallen einige auf, die den Rahmen sprengen und in einen
weiteren Zusammenhang zu stellen sind: Wir sehen Herakles (26) nicht vom
Löwenhaupt der Löwenhaut bekrönt, sondern er blickt uns direkt aus dem Löwenrachen
an. Der Löwe ist hier das zweite Ich des Herakles, sein Alterego, sein
Nagual, um den aztekischen Ausdruck zu gebrauchen. Ähnliche Darstellungen
kennen wir aus Mexiko und dem alten China.
b) Nördliche Beziehungen des Herakles
Schon der Gott, den man so gerne als den klassisch griechischen Gott
par excellence angesehen hat, nämlich Apollo, hat nördliche Beziehungen oder,
wie die Griechen sagen: "hyperboreische", "nördlich des Nordwindes befindliche".
Die Griechen selbst ahnten durchaus weitgespannte Beziehungen (27).
Arkader treten als beständige Begleiter des Herakles auf; dazu muß man wissen,
daß die Arkader den Griechen als eine uralte, archaische Bevölkerung
galten, als Volk, das schon vor der Entstehung des Mondes in Arkadien siedelte
(28), was eine griechische Metapher für uralt und archaisch war.
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In der dritten der klassischen Arbeiten ist dem Herakles von Eurystheus
auf getragen, die kerynitische Hirschkuh zu fangen, ohne sie zu verletzen. Diese
Hirschkuh wird geweihtragend dargestellt; dahinter verbirgt sich eine Ahnung
nördlicher Verhältnisse. In der kerynitischen Hirschkuh erscheint die
Renkuh; das Ren ist die einzige Hirschart, in der auch das Weibchen ein Geweih
trägt (29). Hier haben wir Herakles bei den Hyperboreern, denn er verfolgt
die Hirschkuh ein Jahr lang bis ins Land der Hyperboreer.
Sozusagen die erste Station dieses Weges stellt das Abenteuer mit den
Rossen des thrakischen Königs Diomedes dar, dessen menschenfressende Rosse
von Herakles überwunden werden, wobei ihnen Diomedes selbst zum Fraß
vorgeworfen wird (8. Arbeit).
Darin spiegelt sich die thrakische Beziehung der Griechen, die sehr
ambivalent, aber sehr vielfältig war. Die Griechen wußten um die mögliche
Verwandtschaft dieser halbbarbarischen Vettern im Balkangebirge und nördlich
davon; sie betrachteten sie aber auch als wilde Gebirgsleute, die aber dennoch
einen beträchtlichen Anteil an der griechischen Mythologie hatten: Orpheus
und Dionysos waren Thraker; Thraker hatten ein ständiges Quartier in
Athen und so mancher edle Grieche hatte thrakische Vorfahren.
Aber die kerynitische Hirschkuh - das Wort Kerynis bedeutet vermutlich
an sich "Gegend gehörnter Tiere, Hirschgegend" - führt uns noch weiter. Indem
Herakles sich der Feindschaft der Hera ausgesetzt sieht und mit Artemis wegen
der Hirschkuh in Konflikt gerät - Artemis, die selbst eigentlich die Hirschkuh
als Hirschgöttin ist - hat Herakles mit zwei einander entgegengesetzten weiblichen
Numina zu tun: Artemis in Hirschgestalt, Hera in der Gestalt einer Kuh
(3 0). Hier erscheinen verdunkelte mutterrechtliche Züge, die der vorgriechischen
mediterranen Welt angehören.
Doch die Bezüge sind noch weiter gespannt. Indem Herakles ins Land
der Hyperboreer zieht, die ihrerseits einmal jährlich eine Gesandtschaft nach
Delos schicken, zieht er die Bernsteinstraße nach Norden, die zwischen der
Weichsel- und der Memelmündung an die Ostsee stieß und in Triest begann,
einem der großen frühgeschichtlichen Handelsplätze dernördlichen mediterranen
Welt; übrigens bedeutet der Name Triests selbst nichts weiter als Handelsplatz
(illyrisch "Tergeste" zu "tergum" = Markt).
Im Namen der Hyperboreer erscheint, volksetymologisch entstellt und
griechisch umgedeutet, das thrakische Wort "bora", das einfach Berg bedeutet.
Im Hyperboreerkomplex treffen sich Griechisches, Thrakisches, Baltisches und
vermutlich Finnisch-Lappisches. Prokopios (31) nennt im Lande der Hyperboreer
sogar die "Skritiphinoi", die "Sehreitfinnen" - eine germanische Bezeichnung
für ein schi- oder schneeschuhlaufendes Volk, wie dies bereits auf karelischen
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und südschwedischen Felsbildern dargestellt ist (32).
Hinter Herakles steht aber auch die Auseinandersetzung zwischen vater -
und mutterrechtlichen Vorstellungen.
1
Die griechische Phantasie ließ Herakles auch am Zuge der Argonauten
teilnehmen, in dem sich ja fiühgriechische Handelsbeziehungen zwischen Griechenland
und dem westlichen kaukasischen Vorland, der Kolchis, spiegeln.
Während des Argonautenzuges bleibt er seiner Rolle als Bekämpfer von Ungeheuern
treu: Er tötet Seeungeheuer vor Troja (33).
Über den Bereich des Schwarzen Meeres hinaus wird Herakles aber
auch mit den Skythen in Beziehung gesetzt. Herakles sucht die ihm von den
Skythen geraubten Pferde und findet sie in einer Höhle, in der sich zugleich ein
halb schlangengestaltiges, halb weibliches Wesen aufhält; mit dieser Gestalt
oder Erscheinungsform der alten Erdmutter zeugt er die Stammväter der Skythen,
Agathyrses, Gelonos und Skythes. Man erinnert sich dabei an die drei
Stammväter der Germanen (34). Hier hat Herodot, vermutlich in Olbia oder
Odessos, eine skythische Genealogie gehört und vielleicht etwa mißverstanden.
In den Namen der drei Stammväter erscheinen Stammesnamen. Bei der Besprechung
der Gelonoi verrät uns Herodot auch den Namen der halb
schlangengestaltigen Urmutter der Skythen, nämlich Echidna (35). Die
Agathyrsoi waren allerdings ein thrakischer Stamm, der im Raume des heutigen
Siebenbürgens wohnte. Die Gelonoi sind nicht nur ein skythischer Stamm,
d.i. auch der Name einer skythischen Stadt (36), die durch hölzerne Palisaden
geschützt war - eine der zahlreichen skythischen Holzburgen, die auf den Höhen
der westlichen Bergufer der Flüsse standen. In Gelonos ließ Herakles seinen
Bogen zurück, den nur Skythes zu spannen vermochte; also fiel ihm die
Herrschaft zu - ein weitverbreitetes Motiv, das sich bis nach Indien verfolgen
läßt (Odysseus in der Auseinandersetzung mit den Freiern, die Wettbewerbe im
Bogenspannen im Mahabharatam).
Zwei weitere nördliche Beziehungen zeigen sich in den Gestalten des
keltischen und des germanischen Herakles, die uns durch die Brille der "Interpretatio
romana" sichtbar werden, sicher aber nicht nur auf willkürlich herausgehobenen
Bezugspunkten, sondern auf tatsächlichen Ähnlichkeiten oder
Analogien beruhen. Die fraglichen Numina müssen noch irgendwie wesensverwandt
gewesen sein.
Lukian v. Samosata hat eine merkwürdige kleine Schrift über den
gallischen Herakles verfaßt; er gibt darin vor, ein Bild zu beschreiben (37). Da
Lukian immerhin längere Zeit als wandernder Rhetor in Gallien lebte, können
wir annehmen, daß sich in der Bildbeschreibung nicht nur der Spötter Lukian
äußert. Jan de Vries (38) hält Lukians Beschreibung und Ausdeutung für glaub-
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würdig. Auf dem Bilde war nämlich ein alter Mann dargestellt, dlllkelhäutig
und glatzköpfig, aber mit allen Attributen des Herakles, Keule und Löwenhaut.
Dieser fremdartige gallische Herakles zieht eine Menge freudig bewegter Leute
an Seilen nach sich, die von ihren Ohren ausgehen und in der Zungespitze
des Herakles enden. Während Lukian vor dem Bilde steht, gesellt sich ihm ein
alter gebildeter Gallier zu, der Griechisch spricht und erklärt ihm das Bild. Es
bedeutet nach ihm, daß Beredsamkeit stärker sei als selbst kriegerische Macht.
Hier erscheint der Kriegsgott als ein Gott der Beredsamkeit; de Vries vergleicht
ihm den gallischen Ogmios und dazu den altirischen Ogma. Tatsächlich haben
wir es mit einer typisch altkeltischen Auffassung zu tun: Der Kriegsheld muß
zugleich ein gewaltiger Redner sein! Das tritt übrigens auch an einigen Stellen
der homerischen Epen zutage.
Ja die Kelten scheinen sich überhaupt der Abstammung von Herakles
gerühmt zu haben; so sagt Parthenios in seiner erotischen Schrift über die "Liebesleiden"
( l . Jh. ), daß sich Herakles mit einer Keltine, die Tochter des Bretannos
gewesen sei, vereinigte und den Keltos zeugte (39).
Tacitus sagt in der "Germania" (40): "Man erzählt, daß Hercules bei
ihnen (den Germanen) gewesen sei und daß sie ihn als den ersten, der in den
Kampf zieht, besingen." In seinen "Annalen" ( 41) lesen wir, daß sich die Germanen
zur Zeit des Germanicus in einem heiligen Hain im Wesergebiet versammelten;
dieser Hain war dem Hercules geweiht. Damit ist hier das Problem
gestellt: Handelt es sich um eine einheitliche Figur? Hercules, der als erster in
den Kampf zieht, muß ein Heros gewesen sein oder wenigstens von den
Gewährsmännem des Tacitus so auf gefaßt worden sein. Heilige Haine hingegen
waren Göttern geweiht. Dieser Gott kann nur eine kriegerische Gestalt
gewesen sein, kann nur Donar/Thor gewesen sein. An einer Stelle unterscheidet
Tacitus zwischen Hercules und dem Kriegsgott, den er mit Mars gleichsetzt:
"Den Mars und den Hercules verehren sie durch Tieropfer" (42). Hercules und
der Kriegsgott, Donar also, erscheinen zwar als getrennte Wesenheiten; der
Heros Hercules dürfte aber nichts anderes als die irdische Erscheinung des
Kriegsgottes gewesen sein (43).
Tacitus erwähnt auch Säulen des Hercules bei den Friesen. Das dürften
weniger die Felsen von Helgoland als vielmehr Reflexe der Irminsul gewesen
sein, von deren Verehrung man eine dlllkle Kunde hatte.
Anmerkungen:
(1) Pindar, Olympische Oden 1,29, nach der Ausgabe bzw. Übersetzung Oskar
Werners, München o.J.
(2) Joseph Pieper, Über die platonischen Mythen, München 1965
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(3) Die Nachsokratiker, in Auswahl übersetzt und herausgegeben von Wilhelm
Nestle, Jena 1923, Bd. 2, pp. 1-98
(4) Lorenz Duerr, Die Wertung des göttlichen Wortes im Alten Testament und
im antiken Orient. Zugleich ein Beitrag zur Vorgeschichte des neutestamentlichen
Logosbegriffes, Leipzig 193 8 = Mitteilungen der vorderasiatisch-ägyptischen
Gesellschaft
(5) Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Darmstadt 1977 =
Bd. 2
(6) Manfred Lurker et alii, Wörterbuch der Symbolik, Stuttgart 1979, Sammlung
Kröner, pp.97-399
(7) Karl Kerenyi, Die Eröffnung des Zugangs zum Mythos, Darmstadt 1982 =
Wege der Forschung 20
(8) Giambattista Vico, Die Neue Wissenschaft, übersetzt von Erich Auerbach,
München 1924, pp. 167-170
(9) Johann Jakob Bachofen, Der Mythus als Quelle geschichtlicher Erkenntnis,
in: Das Mutterrecht Bd. 2,1, Basler Gesamtausgabe 1948, pp. 15-17
(10) Alfred Baeumler, Bachofens romantische Deutung des Altertums, München
1960, zuerst 1926
(11) Peter Jensen, Das Gilgameschepos in der Weltliteratur, 2 Bde. Straßburg
1906 & 1929. Dazu Hermann Gunkel, Jensens Gilgameschepos in der Weltliteratur,
in: Das Gilgamesch-Epos = Wege der Forschung 215, Darmstadt 1977,
pp. 74-84. Gunkel über Jensen: "wilde Phantasien".
(12) Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele Bd.l, 1937 = p. 36.
Mircea Eliade, Mythos und Wirklichkeit, Frankfurt a/M. 1989
(13) Herodot 11,99
(14) Friedrich Wilhelm Hegel, Philosophie der Geschichte, Reclam-Ausgabe,
ed. F. Brunstäd, p. 41, o.J.
(15) Vico, op. cit. p.45
( 16) Diodorus Siculus III, 73
(17) Hermann Kees, Der Götterglaube im alten Ägypten, Leipzig 1941, pp.
354-355
(18) Cicero, De natura deorum III, 42
(19) Servius ad Aen. VIII, 564.
(20) Pausanias VIII, 31 , 3
(21) Bernhard Schweitzer, Aufsätze zur griechischen Religions- und Geistesgeschichte,
Tübingen 1922
(22) Jane Harrison, Prolegomena to the study of Greek Religion, New York
1908,p. 346
(23) Schweitzer, op. cit. p. 4
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(24) Frank Brommer, Herakles, die zwölf Taten des Helden in antiker Kunst
und Literatur, Köln-Wien 1972; ders. Herakles II, die unkanonischen Taten des
Helden, Darmstadt 1984
(25) Lexicon lconographicum Mythologiae Classicae, Bd. IV, München - Zürich,
Tafeln Nr. 5-1696
(26) British Museum, London, und Boston, Museum of Fine Arts = Lexicon
Iconographicum op. cit. Nr. 11 und 12
(27) Diodorus Siculus IV, 36,5
(28) Apollonios Rhodios, Argonautica 14,264
(29) Apollodoros, Bibliotheke II, 5,3; Diodorus Siculus IV, 13
(30) Karl Kerenyi, Die Mythen der Griechen 2, 1966, DTV, pp. 120-122
(31) Prokopios, Bellum Gothicum II, 15
(32) Tacitus, Germania cp. 46, nach der Ausgabe Muchs, Jankuhn, Lange; dazu
Leonhard Franz, Hyperboreisches, in: Festschrift für Karl Pivec = Innsbrucker
Beiträge zur Kulturwissenschaft 12, 1956, pp. 65-68
(33) Diodorus Siculus IV, 41-43
(34) Herodot IV, 8-1 O; Diodorus Siculus II, 43
(3 5) Herodot IV, l 0
(36) Herodot IV, 109-109
(37) Wielands Übersetzung Bd.5, pp. 14-19
(38) Jan de Vries, Keltische Religionsgeschichte, in: Religionen der Menschheit
18, Stuttgart 1971, pp. 61-71
(39) Parthenios, Liebesleiden cp. 30
(40) Tacitus, Germania cp. 3 und 9,2
(4l)TacitusAnnalen II, 12
(42) Tacitus, Germania 9, 2
(43) Muchs, Jankuhn, Lange, op. cit. p. 77
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