Almogaren XXXVII / 2006 Wien 2006 247 - 252
Hans-Joachim Ulbrich
Altkanarische Toponyme in einem Text
von Luis Morote über Lanzarote
Key words: Canary Islands, Lanzarote, linguistics, history, aborigines, place-names
Zusammenfassung:
Der spanische Literat und Politiker Luis Morote besuchte Lanzarote 1910. Sein Bericht
enhält einige Schreibweisen von altkanarischen, also prähispanischen Ortsnamen, die
von jenen anderer Quellen abweichen. Es wird die Glaubwürdigkeit seiner Aufzeichnungen
untersucht sowie die mögliche Authentizität der Namensvarianten.
Abstract:
The Spanish writer and politician Luis Morote visited Lanzarote in 1910. His report
contains some prehispanic toponyms whose spellings differ from those of other sources.
We examine the credibility of Morote's records and the possible authenticity of the
mentioned name variants.
Resumen:
EI literato y politico espafiol Luis Morote visito Lanzarote en 1910. Su informe contiene
algunas grafias de toponimos prehispanicos que diferen de las de otras fuentes. En el
presente trabajo se analiza Ja credibilidad de sus anotaciones, asi como la posible
autenticidad de las variantes de los nombres.
Die Person Luis Morote
Bereist man die Kanarischen Inseln, dann stößt man immer wieder auf
Straßen, Gassen, Gebäude und Tagungsräume, die nach Luis Morote benannt
sind. 1910 besuchte er die östlichen Kanarischen Inseln Gran Canaria, Fuerteventura
und Lanzarote. Sein Reisebericht, der im gleichen Jahr noch in Paris
veröffentlicht wurde (Titel siehe S. 249), enthält bezüglich Lanzarote einige
Ortsnamen aus prähispanischer Zeit, die hier untersucht werden sollen. Um
Morotes Bedeutung für die jüngere spanische und speziell kanarische Geschichte
zu erfassen und um die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen zu
ermitteln, sei zunächst sein Lebensweg und sein Wirken in knapper Form
dargestellt. Damit soll auch geklärt werden, ob seine Schreibweisen der Ortsnamen
möglicherweise als Erinnerungsfehler bzw. Falschschreibung zu werten
sind, oder ob er sie tatsächlich so vor Ort gehört hat.
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Luis Morote y Greus1 wurde 1862 in Valencia geboren. Sein Vater, Aureliano
Morote y Perales, stammte aus einer Goldschmiedfamilie, die ursprünglich
in Lorca (Prov. Murcia) beheimatet war; er heiratete in die Familie der Greus'
ein, die in Benifay6 (Prov. Valencia) Ländereien für Obst- und Gemüseanbau
besaßen. Das elterliche Umfeld kann damit als gehoben bzw. finanziell bessergestellt
bezeichnet werden. Und auch das intellektuelle Ambiente scheint -
gemessen an den politischen Vorlieben und Aktivitäten der Familie - überdurchschnittlich
gewesen zu sein.
Mit vierzehn schloss der strebsame Luis Morote die Schule erfolgreich ab
und schrieb sich als Student an der Universität von Valencia ein. Sein Studium
der Rechts- und Sozialwissenschaften war von Ideen begleitet, die dem
Krausismo zugerechnet werden können. Die Licenciatura (Staatsexamen) erwarb
er mit außergewöhnlichem Lob. In der Folge siedelte er nach Madrid
um, wo er an der dortigen Universität sein Doktorat begann. Als Thema hatte
er sich die Analyse der Freiheitsidee von der Antike bis zur Gegenwart ausgesucht.
Mit zwanzig erwarb er seinen Doktortitel in Staatsrecht.
Zurück in Valencia ließ er sich als Rechtsanwalt nieder, begann aber gleichzeitig,
seine politische und journalistische Karriere aufzubauen. Mehrfach
machte er durch allseits beachtete Artikel auf dem Gebiet des Strafrechts, der
Kriminologie und .der sozialen Entwicklung auf sich aufmerksam. Für die dem
Mittelstand zugerechnete Tageszeitung EI Mercantil Valenciano war er ein
gern publizierter Autor.
Ab 1889 hielt sich Morote wieder in Madrid auf, wo er hauptsächlich für
die Zeitungen EI Liberal und Heraldo de Madrid arbeitete. Dies war auch die
Zeit, in der er sich der intellektuellen und z.T. politischen Bewegung des
Regeneracionismo2 annäherte und einer ihrer glühendsten Verfechter wurde.
Auslandsaufenthalte und/oder Korrespondententätigkeit in der letzten Dekade
des 19. und ersten Dekade des 20. Jhs. brachten ihn nach Andalusien, Russland,
Marokko (inkl. Melilla), Frankreich, Italien und Cuba. In Portugal war
er 1907 an der Vorbereitung der Revolution (Abschaffung der Monarchie) beteiligt.
Neben der Pressearbeit entstanden in dieser fruchtbaren Zeit zahlreiche
sozialkritische und zum Teil antiklerikale Bücher.
Parallel arbeitete der vielseitige und engagierte Morote an seiner politischen
Laufbahn: 1905 war er republikanischer Abgeordneter für Madrid in
1 Die biografischen Angaben zu Luis Morote wurden den beiden Arbeiten von J. S. Perez
Garzon entnommen (siehe Bibliografie).
2 Der Regeneracionismo bezeichnet eine geistige Bewegung, die im 19. und 20. Jh. mit
wissenschaftlichen Mitteln die Dekadenz in Spanien ergründen, dokumentieren und bekämpfen
wollte, insgesamt aber eine mehr pessimistische Grundhaltung zeigte.
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Umschlagtitel
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den Cortes (Parlament), dito 1907 für Gran Canaria. Gleichzeitig war er Herausgeber
der Tageszeitungen La Maiiana und La Noche. In diese Zeit fällt
auch die bereits erwähnte Reise zu den östlichen Kanarischen Inseln, die er
von Cadiz aus antrat. Seine Erlebnisse schildert er sehr lebendig in seinem
Buch "La Tierra de los Guanartemes", das 1910 in Paris veröffentlicht wurde.
Die Angaben über den Reiseverlauf - z.B. die Verkehrszeiten der Dampfer -
sowie statistische Informationen bringt er minutiös.
An der Wahl der Titel für diesen Bericht3 und für seine Doktorarbeit können
wir ein gesteigertes Interesse an protohistorischen und geschichtlichen
Zusammenhängen ablesen. Dies und seine aufrechte, wahrheitsliebende Haltung
lassen uns einen zuverlässigen und glaubhaften Autor all seiner Arbeiten
annehmen - also auch der Namensnennung in seinen Ausführungen über Lanzarote.
Eine intensive Korrespondenz und persönliche Freundschaft mit vielen
großen europäischen Geistern seiner Zeit zeugt von der Wertschätzung,
die man ihm entgegenbrachte.
Luis Morote y Greus starb jung am 4. Mai 1913 in Madrid. Er hinterließ ein
intellektuelles, literarisches und politisches Vermächtnis von hunderten von
Artikeln, zahlreichen Vorträgen, Kritiken und Übersetzungen sowie über 10
Büchern, das ihm bis heute Bewunderung einbringt. Letzteres drückt sich bezüglich
Lanzarote u.a. in Straßennamen aus, die in den Ortschaften Arrecife
und Maguez ihm gewidmet wurden.
Die von Luis Morote benützten Ortsnamen
Im Cafe Miramar in Arrecife traf sich Luis Morote mit den Intellektuellen
der Insel zum Gedankenaustausch und Diskutieren. Vor den politischen Zirkeln
der Inselhauptstadt hielt er Vorträge. Die ländlichen Gebiete Lanzarotes
wurden Morote von mehreren Einheimischen vorgestellt, die zusammen mit
ihm die Sehenswürdigkeiten und Naturwunder aufsuchten.
Im Lauf seiner Exkursions-Beschreibungen erwähnt Morote folgende
lanzarotische Ortsnamen, die aus vorspanischer Zeit stammen:
• Janubio, Yaiza, Uga, Fenauso (Valle de Fena), Jeria (Valle de Geria), Diama,
Muyai, Tinajo, Tinguaton, Tiagua, Teguise, Haria
• Tirmanfaya (für Timanfaya; S. 243, 245, 249, 254), Tasmia (für Tamia; S.
255), Tas (für Tao, S. 255), Femara (für Famara, S. 262).
Die erste Gruppe umfasst Bekanntes, wie es auch aus zahlreichen anderen
Quellen überliefert ist (siehe Ulbrich 1995). Die zweite Gruppe, um die es
hier geht, enthält ungewöhnliche Schreibweisen solcher Ortsnamen.
3 "Guanarteme" bezeichnet einen König der grancanarischen Urbevölkerung, die erst im
15. Jh. von den Spaniern unterworfen wurde.
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Zu Tirmanfaya:
Tirmanfaya mit r ist eine neue Schreibweise des wohlbekannten Toponyms
Timanfaya (ausführlich behandelt in Ulbrich 1995: 275f); es bezeichnet heute
einen Vulkan im Westen Lanzarotes, ehemals auch ein Dorf, welches von den
Ureinwohnern (Mahos) gegründet und bei den Vulkanausbrüchen von 1730-
1736 zerstört wurde. Die Bemerkung "Timanfaya o Tirmanfaya, que de los
<los modos se dice" (S. 245) zeigt uns, dass Morote tatsächlich beide Aussprachen
gehört hat und dies exakt wiedergibt. Die Schreibweise mit r wirft einige
Fragen auf, wurde doch Timan- von Wölfel (1965) als berberisches Konstrukt
aus tin-w-an = das des / der Ort des angesehen (komplett also tin-w-anfaya
- zu faya sehe man Ulbrich 1995: Nr.3). Stimmt jedoch tirma-, dann wäre
in eine ganz andere Richtung zu forschen. Der Ortsname Tirma findet sich auf
Gran Canaria wieder, wo er als ehemals heiliger Berg der dortigen Ureinwohner
bekannt ist. Eine überzeugende Etymologie für tinna ist jedoch bis heute
noch keinem Linguisten gelungen. Im neuzeitlichen Dialekt der Kanarischen
Inseln finden sich zahlreiche Beispiele für Weglassungen des r oder willkürliche
Hinzufügungen desselben; dies spielt wohl bei dem exakt überlieferten
Tirma keine Rolle, vielleicht aber bei Tirmanfaya. Trotzdem könnte Tirmanfaya
meine in Ulbrich (1995: 276) geäußerte Vermutung bestätigen, dass Timanfaya
und Tinguafaya/Tingafa zwei verschiedene Namen und Lokalitäten
auf Lanzarote sind. Das Kompositum tirma-n-faya scheint aufgrund der
Glaubwürdigkeit von Morotes Bericht ebenfalls möglich zu sein.
Zu Tas/Tasmia:
Auf S. 255 des Buches beschreibt Morote den Vulkanausbruch von 1824,
der das Zentrum von Lanzarote unweit der Ortschaft Tao verwüstete. In diesem
Zusammenhang erwähnt er den Berg Tasmia und das Dorf Tas. Es liegt
nahe, eine etymologische Verwandtschaft für Tasmia und Tas anzunehmen -
immer vorausgesetzt, die Namensvarianten von Morote stimmen. Bei Tasmia
kann es sich nur um die Mfia. Tamia handeln, einen alten Vulkan, der unmittelbar
westlich an Tao angrenzt (man sehe Ulbrich 1995: 264 hinsichtlich beider
Toponyme). Bei Tas kann nur Tao gemeint sein, bei dem der Vulkanausbruch
tatsächlich stattfand. Zieht man wieder die Wortverschleifung der Canarios
heran, dann kommt man auf die weitverbreitete Unsitte, Schluss-s und
intervokalisches S zu verschlucken oder S vor Konsonanten wegzulassen. Es
wäre deshalb Tasmia > Tamia denkbar, sowie im Einzelfall Taso > Tao (Einzelfall
deshalb, weil es auf den Kanaren wohl auch Ortsnamen mit einem originären,
echten Tao-Anteil gibt). Wölfe! (1965: 685) beschreibt mehrere prähispanische
Ortsnamen wie Tazo/Taso oder Komposita aus ar- und -taso/-tazo;
man denke an Beispiele von La Gomera oder Gran Canaria. Interessanter-
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weise bringt auch der Geograf Pascual Madoz (19. Jh./ 1986) die Schreibweise
Tas für Tao, die ich in Ulbrich (1995: 221) als Verschreibung ansah.
Zu Femara:
Der Ortsname bezeichnet einen Steilabhang bzw. eine Kette von Felsabstürzen
und küstennahen Bergen im Nordwesten der Insel. "Femara", die
Schreibweise bei Morote, könnte eine dialektale Abwandlung der Spanier sein,
statt des gängigeren "Famara". Ein afi oder afe - vermutlich altberberisch -
kommt jedoch solitär oder in Wortkombinationen mehrfach in lanzarotischen
und fuerteventurischen Felsinschriften vor, die dem latino-kanarischen Typ
zugerechnet werden. Fraglich ist, ob Famara/Femara aus einer einzigen dreikonsonantigen
Wurzel gebildet ist oder ein Kompositum darstellt. Zu Famara
und berberisch afa (Wurzel f) sehe man Ulbrich (1995: 235), zu afe auch Ulbrich
(1995: 228f). Ein Element mar(a) gibt es im Altkanarischen.
Trotz aller Erklärungsversuche bleibt die Frage, warum Morote bzw. seine
Informanten diese seltenen Schreib- und Sprechvarianten benutzten. Sollten
Morotes Begleiter auf Lanzarote noch im beginnenden 20. Jh. über sehr weit
zurückreichende Familientraditionen verfügt haben, bei denen Ortsnamen der
Ureinwohner so ausgesprochen wurden, wie sie im 15. Jh. und vielleicht noch
im 16. Jh. vorgefunden wurden?
Bibliografie:
Madoz, Pascual (1986*): Diccionario geografico-estadistico-hist6rico de Canarias.-
Ambito Ediciones / Editorial Interinsular Canarias, Valladolid, 229
S. [*Das Buch bringt nur die kanarischen Stichwörter aus der 16-bändigen
Ausgabe von 1845-1850, die ganz Spanien umfasst.]
Morote, Luis (1910): La tierra de los guanartemes (Canarias Orientales).- Sociedad
de Ediciones Literarias y Artisticas (Libreria Paul Ollendorff), Paris, 432 S.
Perez Garz6n, Juan Sisinio (1976): Luis Morote, Ja problematica de un republicano
(1862-1913).- Editorial Castalia, Madrid, 158 S.
Perez Garz6n, Juan Sisinio (1997): Pr61ogo.- in Morote, Luis*: La moral de Ja
derrota.- Ed. Biblioteca Nueva, Madrid, 262 S. [*Erstdruck 1900]
Ulbrich, H.-J. (1995): Prähispanische Ortsnamen von Lanzarote (Kanarische
Inseln).- Almogaren XXVI, Hallein, 213-350
Wölfe!, D.J. (1965): Monumenta Linguae Canariae. Die Kanarischen Sprachdenkmäler.-
ADEVA, Graz, 928 S.; spanisch: Wölfe!, D.J. (1996): Monumenta
Linguae Canariae. Monumentos de Ja lengua aborigen canaria.- Direcci6n
General de! Patrimonio Hist6rico (Gobierno de Canarias), Sta. Cruz de
Tenerife, 2 ts. 1-402 / 403-1115 [übersetzt von IC-Vorstandsmitglied Marcos
Sarmiento Perez]
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