Niels KRACK, Valle de San Lorenzo:
SYMBOLKUNDLICHE INTERPRETATIONSVERSUCHE
ZUM THEMA DER „WELLENKREISE"
Das Thema der weitverbreiteten „megalithischen Petroglyphen" in Form
von konzentrischen Kreisen und Spiralen wurde von IC-M. H. Biedermann
zuletzt in dem Aufsatz „Weitere Nachträge zum Thema der 'RingwellenSymbole'
im Jahrbuch ALMOGAREN IX/X, 1978-79, S. 255 ff. aufgegriffen.
Der Autor war auch in diesem Beitrag zum Problem der Symboldeutung
von jeder übersteigerten Spekulation weit entfernt und um exakte
Methodik bemüht.
Jedoch ist jeder Versuch einer Ausdeutung solcher Zeichen spekulativ,
auf unsere heutigen Denk- und Vorstellungsbilder und vor allem auf das
Vorhandensein von Phantasie angewiesen. Zweifellos sind diese Ritzbilder
in Stein auf uns gekommene letzte Zeichen eine beachtlichen Kultur und
Religiosität, die den Wert der Welt mehr in der Verinnerlichung und Vergeisterung
sah denn in einer Überbewertung des Stofflichen; eine Überwertung,
die in unserer Zeit bis zur Vergöttlichung des Materiell-Technischen
geht.
Ehe man sich mit jener vorsichtigen und an den (von Menschen unserer
Zeit errichteten) Grenzzäunen der Wissenschaft orientierten Ausdeutung
dieser Ritzbilder begnügt, sollte man aber auch die Möglichkeit wahrnehmen,
eine umfangreichere und andere Deutung solcher Zeichen kennenzulernen,
die nun auf einer weitergehenden Einflußnahme der Phantasie und
auf dem weiterführenden Vergleich mit bereits Bekannten beruht. Da man
diese erweiterte (und auch andere) Deutung nicht gut mit einer strengen
wissenschaftlichen Ausdeutung vermengen kann, muß eine solche gesondert
erscheinen. Der Verfasser legt eine solche erweiterte Ausdeutung als
Deutungsversuch (!) hier vor. Er ist sich dabei des Spekulativen dieses Vorgehens,
das keine Kritik, sondern eine Unterstützung der Biedermann'
schen Arbeit sein soll, durchaus bewußt.
Zunächst aber sei gesagt, daß der Verfasser in den zur Deutungshilfe herbeigezogenen
uralten Mythen der nordischen Welt, der Sumerer, Babylonier,
Ägypter, Griechen u. a. m., letztlich auch der Inder und anderer fernöstlicher
Völker vor allem der nördlichen Halbkugel der Erde, das sich in
einer Sintflut untergegangene reiche „atlantische Wissen" wiederspiegeln
sieht. Auf die Spekulationen um Atlantis soll hier nicht eingegangen werden;
es genügt zu glauben, daß es einmal irgendwo in irgendeiner Form existiert
(etwa im Sinne der Spengler'schen Auffassung) und großen Einfluß
auf die damalige Welt genommen hat.
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1. KONZENTRISCHE RINGE:
Sie si~d ein Symbol für „Wasser". Sie entstehen als Bild in der Natur, wenn
irgendetwas (ein Stein, ein Wassertropfen usw.) auf die Oberfläche eines ruhenden
Wassers trifft. Dann breiten sich von diesem Punkt konzentrische
Kreise in der Gestalt kreisrunder Wellenbewegungen aus.
„Wasser" steht in der alten Symbolik immer für die geistige Welt, für den
geistigen Urgrund alles Seins, alles Lebendigen, für die göttliche Kraft der
Erde, für das Empfangende, Aufnehmende, Hervorbringende, Gebärende.
Wasser steht als Symbol für die Fruchtbarkeit, für das Weibliche in der Natur.
Wasser ist in chinesischer Deutung yin. Zu Beginn der Schöpfung
schwebte der Geist Gottes über den Wassern.
Konzentrische Kreise mit Näpfchen im Zentrum. Petroglyphen von der
bronzezeitlichen Fundstätte Carschenna im Kanton Graubünden, Schweiz.
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Notgedrungen tritt der Mensch in Beziehungen zu dieser geistigen Welt,
zur göttlichen erdhaften Kraft, denn sie ist ja auch ein Teil seiner selbst und
formt und bestimmt sein persönliches Schicksal mit.
Die Wassertaufe ist der feierliche Akt der Verbindung mit dem Geiste.Jesus
sitzt auf dem Rand eines Brunnens, wenn er mit der Samariterin
spricht. Er verwandelt Wasser zu gutem Wein (Wein ist ein höherer Grad
der Vergeistigung). Er weist hin auf das Wasser des ewigen Lebens. Aber er
sagt auch zu der Menschheit „Wasser allein tut es nicht".
2. SPIRALIGE KREISE:
Sie können ein Symbol für die Sonne sein, auch in übertragenem Sinne für
das Feuer. Das Feuer der Sonne ist der Gott der Erde, der Geist Gottes, der
aus dem brennenden Dornbusch (zu Moses) spricht. Das innere Feuer reinigt
als „weiße Flamme" für den Menschen seine geistige Welt. Im Feuer
des Fiebers verbrennen Krankheiten und Infekte. Blickt man in die Sonne
oder in ein sehr starkes Feuer, dann hat man oft die Erscheinung von sich
drehenden Spiralen im Nachbild des geblendeten Auges. Der Mensch soll
Gott nicht schauen. Samsuiluna, d. h. · ,,Die Sonne ist unser Gott", war der
Name des Sohnes und Nachfolgers des großen Gesetzesgebers Hammurabi
(nach 1686 v. Zw.).
Sich drehende Spiralen, Sonnenräder, Hakenkreuze (Svastikas) sind seit
altersher Symbole für die Sonne, für das große schöpferische, gebende, befruchtende,
herrschende Männliche göttlichen Prinzipes. Ihm entspricht
das yang der Chinesen.
Yin und yang zusammen erst ermöglichen das Bestehen des Lebens und
alles Seins auf der Erde und in der Welt. Das Männliche und das Weibliche
müssen zusammenkommen und sich vereinigen, damit das Leben entstehen
und weitergehen kann. Ohne die beiden göttlichen (d. h. schöpferischen)
Kräfte des Himmels (Sonne) und der Erde (Wasser, Geist) ist kein Leben
möglich. Erst das Zusammenwirken Beider schafft das Wunder des Lebens
und des Lebendigen. Im schöpferischen Miteinander von an sich Gegensätzlichem
besteht das wahre Wesen echter Polarität.
Die Sonne ist für die Erde und für das Leben und das Lebendige auf der
Erde der Himmelsgott, der werden und vergehen läßt. Die Spirale birgt in
sich das Prinzip des Werdens und des Vergehens, wie Biedermann richtig
bemerkt. Besser aber sagt man, daß sie das Vergehen und das WiederW
erden zum Ausdruck bringt. Eine Spirale erzeugt, wenn sie stark auf das
Auge, auf den Gesichtssinn wirkt, den Eindruck von Bewegung. Dabei
schwingt sie aus sich heraus, ohne Anfang und ohne Ende.
So gibt es durch die Kraft der Sonne im Leben keinen Stillstand und keinen
natürlichen, endgültigen Tod. Es stirbt zwar im natürlichen Gang das
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Lebendige, aber nicht stirbt das Leben als solches, wie uns das GilgameschEp
s lehrt.
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3. KONZENTRISCHE HALBKREISE:
Es kann sich dabei, wie Biedermann vermutet, um halbierte konzentrische
Kreise handeln. Es ist aber sehr gut eine andere Erklärung möglich. Die Sigel
der überlieferten alten Symbole hatten auch in ihren Einzelheiten ihre
besonderen Bedeutungen. Alle solche Einzelheiten in der Darstellung muß
man als solche besondere Bedeutungen beachten und darf sie nicht als
Schluderei dessen werten, der sie vor Aeonen in den Fels gegraben hat.
Bei einem echten Sigel hat jeder Teil seine Bedeutung und ist, bei dem sicher
vorhandenen gewesenen beachtlichen Kulturstand der damaligen
Menschen und bei der großen Bedeutung solcher Zeichen, auch stets in seinem
vollen Wert dargestellt worden.
Betrachtet man diese konzentrischen Halbkreise genau, dann stellt man
fest, daß die Abstriche der einzelnen Halbkreise etwas länger ausgezogen
sind als dies bei halbierten Halbkreisen der Fall sein würde. Sie haben mehr
die Form eines Torbogens als eines Halbkreises.
Die vielen in einander gestellten „Torbogen" ergeben das Bild einer
Grotte, eines Dolmen, also der Stätte, an der die Seelen der Verstorbenen
auf ihre Wiederauferstehung warten. In jener Zeit, aus der diese Zeichen
stammen, wurden die Toten in natürlichen oder in künstlich errichteten
Grotten beigesetzt. Christus wurde in einer Grotte aufgebahrt, aus der er
dann wieder auferstand. In der Apsis der christlichen Kirchen, am reinsten
wohl noch in jenen romanischer Bauweise, finden wir das Motiv der Grotte
wieder: Dort hat der in Brot und Wein wiederauferstandene Gott seine
Heimstatt.
Grottenhafter Charakter haben auch die Grabkapellen und die Heiligenhäuschen
am Wegesrand, vor denen man für die Seelen der Verstorbenen
betet.
Die Grotten öffnen sich nach außen hin, sie sind nicht verschlossen und
die Luft kann hinein und heraus gehen. Die Luft ist aber ein altes Symbol
für die Seele, die sich bei der Vereinigung von yin und yang als mittelndes
Glied des Lebendigen bildet.
In allen Völkern der Erde findet sich der uralte Kult der Verehrung dessen,
was wiederaufersteht, sei es Gottes Sohn, sei es die Kraft der höher steigenden
Sonne, sei es das Leben überhaupt, das sich im Lebendigen manifestiert
und das im Schoße der Natur, des Weibes, aufkeimt und immer wieder
neu geboren wird. Auch auf die wiederkehrende Gesundheit kann sich
dieser Kult beziehen. Wundertätige Marienerscheinungen, die Kranken
_wunderbare Heilungen von bösem Leid brachten, hat man vorwiegend in
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. auf em. e m W ellenkre1se . - im
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Grotten gehabt. Grottenkulte hängen immer eng mit der Anwesenheit von
See en, die auf ihre Wiederauferstehung warten, zusammen - aber auch
mi Hoffnungen, die sich auf die Wiederkehr von Gesundheit richten. Die
Seele, das ist das Leben in seinen guten und gesunden Formen, aber auch in
seinen negativen Kräften, das im Lebendigen tätig ist.
Grotten und Wasser und auch deren Kulte und Symbole finden sich oft
beieinander. So haben seit ältester Zeit Quell-Grotten eine besondere Verehrung
gefunden. Auch ist denkbar, daß stehendes Wasser in Grotten ,zur
Meditation eingeladen hat. Dies konnte verstärkt sein durch das Fallen einzelner
Wassertropfen und die dadurch erzeugten konzentrischen Ringe,
oder auch durch die Spiegelung von mystischen Zeichen und kultischen Sigeln
in eben diesem Wasser, schließlich auch in der Reflexion des Sonnenlichtes
im Wasser (siehe auch weiter unten). - Menschen jener Zeit, die
nicht in einer Perfektionierung der Technik (F. G. Jünger), sondern in der
Vergeistigung den Sinn ihres Lebens fanden, konnten so meditativ
entrückt-angeregt zur Erkenntnis höherer Weisheiten gelangen. Es ist dies
die stille Versenkung in die geistige Welt, die sich im Wasser wiederspiegelt.
Aber nur in solchen Spiegeln soll der Mensch versuchen, in die geistige
Welt einzudringen. Bei einem Versuch des direkten Kontaktes zum wahren
Geist, der ja das Wesen des strahlenden Sonnengottes ist, würde der
Mensch verglühen, verbrennen oder geblendet werden. - Unter diesem
Gesichtspunkt sollen weiter unten u. a. die „Grabnische" bei den Externsteinen
und auch ähnliche Stätten betrachtet werden.
4. WELLEN-LINIEN:
Die Wellenlinie gibt das Bild der Schlange wieder. Die Schlange, der Drache,
der Skorpion, auch der Adler, überhaupt: das Untier, stehen in der
überlieferten Mythologie der Völkersymbolhaft da als Feinde des Lebens,
des Weiterlebens, der Fortpflanzung und der Wiederauferstehung und der
Gesundung.
Der Sonnengott kämpft mit einem solchen Untier, wobei er zunächst
von diesem bezwungen wird und in die untere Welt (des Winters) untergehen
muß und dann dort verharrt, bis er strahlend wieder auferstehen kann.
Dazu muß aber das Untier von einem jungen heldenhaften Gott, der meist
der verjüngte gleiche Gott ist, zuvor bezwungen werden.
In der Symbolik der Überlieferungen beißen diese Untiere dem personifizierten
Lebensgott das Geschlechtsteil (,,das Geschlecht") ab oder aber deren
Symbole: Herakles wird der aufgereckte Zeigefinger (ein Phalluszeichen)
von einem Löwen abgebissen. Auf Mithrasbildern beißt dem Stier
der Skorpion die Zeugungsteile ab. Auf Darstellungen des alten Babylon
beißt der Adler dem Stier die Geschlechtsteile ab. Der blinde Hödur' ( d. h.
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der ohne Sonnenlicht ist) tötet auf Geheiß von Loki (dem Herrn der Unteren
Welt) den Licht-Gott Wotan mit einem Ger aus Mistelholz. (Die Mistel
galt stets als eine besondere Pflanze, sie wächst nicht in der Erde und sie ist
immer grün. Mit Mistelextrakten versucht man von altersher und auch
heute noch die Krebs-Krankheit zu besiegen. Hier hat die Todeswaffe also
zugleich den Symbolgehalt der Wiederauferstehung). - Siegfried wird von
dem finsteren Hagen erschlagen, als er aus der Quelle das Wasser der ewigen
(geistigen) Lebens trinken will. - Dem Gralskönig Amfortas entsinkt
der Wunder-Speer (Phallus-Symbol), als Kundry ihn schwächt, und Klingsor
nimmt diesen Speer auf: So geht die Macht über das Geschlecht (die Sippe
und die Fortpflanzungskraft) von dem gefallenen Menschen (der sein
Geschlecht und die Geschlechtslust nicht beherrschen kann) auf die irdische
Welt und auf neue Mächte über. - Die Schlange beißt dem Menschen
in die Ferse (Fersenschmerz bei Impotenz!) und er muß sie zertreten. Adam
und Eva erliegen der Schlange und werden aus dem Paradies vertrieben. -
Dabei ist der Himmel in der Schöpfung die Stufe des Geistes, die mentale
Form des Daseins. Das Paradies ist im Rahmen der Schöpfung die Stufe der
Seele, der Ort der „Seligkeit", die astrale Form des Daseins (also durchaus
abweichend von dem Deutungsversuch R. Steiners!). Die Erde schließlich
ist die Stufe des Körperlichen in der Schöpfung, die irdische, strebliche
Form des Daseins. - Diese Aufzählung ist lang und doch bei weitem noch
nicht vollständig.
Der Mensch, der dem Angriff der Schlange (des Drachens usw.) erliegt,
fällt dadurch aus allen Himmelswassern, aus der geistigen Welt und aus der
Welt des Lichtes der Sonne, herab in die Tiefen der Nacht, in das irdischeerdgebundene,
materielle Dasein. Er muß sterben. Seine Seele aber harrt in
den Grotten und bei den Quellen auf die Wiederauferstehung.
Die Schlange bzw. die Wellenlinie symbolisiert auch den Ozean, d. h.
den natürlichen und den Ur-Ozean der Sage. Sie symbolisiert aber auch den
Lauf der Sonne (nach Robert Eisler, zitiert nach Frobenius), die aus dem
Wasser des die Erde umgebenden Ur-Ozeans aufsteigt und wieder darin
nach ihrem Lauf über den Himmel versinkt. Wieder werden wir, wie schon
zuvor, an die meditative Versenkung in den Anblick von Quellwassern in
Grotten erinnert, in denen Wellenkreise und Sonnenstrahlen ein geheimes
Spiel treiben. Solche Meditation kann zu den Anfängen der Schöpfung und
allen Seins führen. Auch die „Grabnische" mit dem vermutlich wassergefüllten
„Sarg" bei den Extrensteinen kann solchem Schauen gedient haben.
Die doppelte Wellenlinie kann unterschiedliche symbolische Bedeutung
haben: Die Ausgießung des Wassers (des reinen Geistes) auf alles Irdische
(Aquarius-Wassermann-Symbolik) und die Sehnsucht des vergänglichen
M.enschen nach dem „Wasser des Lebens". Es kann somit auch „das
Leben" schlechthin bedeuten und dies ist - anders formuliert - für den
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Menschen jener Zeit die Bewußtwerdung seiner Seele und ihres Wertes. In
uns1rer Zeit leugnet die Wissenschaft von der Seele die Existenz der Seele.
In• der Sintflut-Erzählung Indiens sagt Gott Wishnu (in der Gestalt des
Fischgottes Mina) zu Satyvrade, dem indischen Vorbild für die NoahGestalt:
,,Wenn ein Wind das Schiff (die Arche) auf dem Meer herumtreibt,
dann sollst Du es mit einer großen Meerschlange an meinem Horn befestigen".
- Auch hier steht das Symbol Wasser für die geistige Welt. Somit ist
die Meerschlange, die durch eine doppelte Wellenlinie dargestellt sein kann,
die Schlange der geistigen Welt, die für den unersättlich forschenden Menschen
gleiche Gefahren bringt wie die Schlange des Erdreiches dem nur
dem Irdischen verhafteten Menschen. - Die „große Meerschlange" aber
kann auch dem im geistigen Chaos (dem Meere) irrenden Menschen einen
festen Halt (am „Horn") geben.
Der Mensch darf Gott nicht sehen und nicht in seiner Allgewalt völlig erkennen,
er darf nur gläubig ahnen und bedarf dazu einer festen An-Bindung
(religio). Dringt der Mensch in seinem Erkenntnisdrang zu weit in die geistige
Welt ein, verliert er die feste Bindung, reißt er mit frevelnder Hand
den Vorhang im Tempel beiseite, so wird er geblendet (und ist
,,verblendet"!) und wird dann in dauernde Nacht gestürzt.
So sind Wellenlinie (Schlange) und doppelte Wellenlinie (Meerschlange,
Sehnsucht nach dem Meer von Wasser des reinen Geistes und feste AnBindung)
für den Menschen Warnungen: Er soll keiner solcherart möglichen
Versuchung nachgeben, er soll trachten im Paradiese, im Reich der
Seele, zu bleiben und er soll seine religio zu Gott und zum geistigen Prinzip
nicht aufgeben. ,,Denn was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze
Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele".
5. KOMBINATIONEN:
In den megalithischen Ritzbildern, die wir als Kultmäler von großer und
starker Aussagekraft werten und die den Menschen mahnen sollen, den
rechten Weg nicht zu verlassen, finden wir oft in einer Darstellung mehrere
Sigel zueinander gestellt.
So stehen nebeneinander die Sigel für Wasser und für Sonne, d. h. für das
geistige, gottähnliche und für das irdische Leben. Dies kann aber auch ein
Zeichen für einen verehrten hochstehenden Menschen sein, der die höheren
geistigen Bereiche des Lebens durch innere Arbeit errungen hat.
Oft findet sich daneben auch das Symbol für die Schlange, die dies Leben
gefährdet und dieses Sein beenden kann.
Auf die warnende Bedeutung des Zeichens für „Schlange" und „Meerschlange"
wurde bereits hingewiesen. Der Mensch soll, auch oder gerade,
wenn versucht, Erkenntnisse über die geistig-göttliche Welt und über die
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Reich verzierter Wandstein des Ganggrabes von Knockmany, County Tyrone,
Irland: konzentrische Kreise, Augenornamente und andere Glyphen
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irdisch-stoffliche Welt zu erringen, vorsichtig und demütig bleiben. Seine
wahre Welt war die des Paradieses, die Welt des seelischen Lebens. Die Seele
, nd ihre Welt stehen als verbindendes Glied zwischen der geistigen Welt
des Himmels und der stofflichen mechanischen (und vergänglichen) Welt
der Erde, im Menschen als verbindendes und formendes Glied zwischen
den Elementen des Geistes und des Körpers.
Rund um diese Symbole finden wir dann auch die Zeichen für Grotten,
in denen Seelen auf ihre Wiederauferstehung warten. Oft sind es viele solcher
Grottenzeichen, vielleicht als Hinweis auf eine große Gemeinde oder
Familie. Manchmal finden sich nur einzelne solcher Grottenzeichen. Und
schließlich finden wir auch Grottenzeichen, in denen man glaubt stilisierte
Seelen zu erkennen: Kleine Lebenskreise mit einem wellig herabhängenden
Lebensfaden ( den die Nornen abgeschnitten haben).
Damit aber verläßt man das Reich der einfachen und einfach zu deutenden
Sigel und betritt das bedeutend spekulativere Gebiet der gegenständlichen
Darstellungen und deren Ausdeutungen. Hierhin gehören auch die
Wiedergabe von Augenpaaren und Gesichtern, die für uns heutigen Menschen
einen magischen oder auch einen ängstlich-fragenden Ausdruck haben:
Spricht aus ihnen die Angst vor dem Kommenden, die Angst dessen,
der die sichere Gewißheit des Gläubigen verloren hat? Diese Gesichter, diese
Augen aus einer uns heutigen Menschen schon so fernen Zeit vermögen,
einmal erschaut, uns in unsere Gedanken zu verfolgen, ja, sie bringen U nruhe,
Zweifel, Ungewißheit und das große Bangen in suchende Seelen. Sollen
sie das vielleicht?
Übrigens haben Rentiere einen ähnlich fragenden Augenausdruck und
vergleichbare Kopfform und Kopfhaltung und können einen ähnlich beeindruckend
ansehen. Vielleicht erklären sich solche Ritzbilder viel einfacher
- oder aber es liegt in ihnen noch eine andere, unserer Erkenntnis noch unzugängliche
Symbolik.
Jedes Zeitalter·, vor allem jene, in denen die Menschen einer Verinnerlichung
zustrebten und sich nicht vom Stofflich-Technischen beherrschen
ließen, hat sein besonderes Paideuma gehabt, und das Seelenhafte dieser
Kulturen vermag durch Zeichen und Bilder mahnend auf später lebende
und dafür empfängliche Menschen zu wirken - und für uns heutigen Menschen
kann sich die Frage erheben, ob wir bereit sind, uns mahnen zu lassen
....
Wir wollen dies so besonders spekulative Gebiet der Ausdeutungen gegenständlicher
( oder uns gegenständlich erscheinender) Ritzbilder verlassen
und uns mit den zwar ebenfalls immer spekulativen (wenn auch in geringerem
Maße) Reich der reinen Symbole in unseren Versuchen einer Ausdeutung
bescheiden. Hier finden wir (zu mindestens glauben wir dies) einen bedeutend
sichereren Boden unter den Füßen, denn hier können wir uns auf
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Bekanntes stützen, auf das Wissen um magische Zeichen, wie solches Wissen
von praktisch allen Großkulturen der Vorzeit gepflegt und uns überliefert
worden ist. Wir dürfen wieder Biedermann dankbar sein, daß er uns
hierzu viel Wissenswertes vermittelt hat.
Diese Überlieferungen und dieses Wissen erlauben uns die Ritzbilder des
Megalithikums als noch immer wahre und weiterhin gültige religiöse Mahnungen
an den Menschen zu erkennen und zu deuten, als Mahnungen, den
rechten Weg nicht zu verlassen und notwendige Bindungen nicht aufzuheben,
damit man nicht des Paradieses endgültig verloren geht, das man immer
noch auf Erden haben kann. Zugleich erkennen wir diese Zeichen als
eine Verkündigung jener großen Hoffnung, daß nach dem Sterben des Lebendigen
das Leben als solches wieder aufersteht und weitergeht, in neuen
Formen des Lebendigen. Denn so lehrt uns die älteste bekannte Dichtung
der Menschheit, das Gilgamesch-Epos: ,,Das Lebende stirbt, nicht aber
stirbt das Leben."
LITERATUR-HINWEISE:
ANDREE, R.:
Die Flutsagen. Braunschweig 1891.
BACHOFEN:
Versuch einer Gräbersymbolik der Alten. 1859.
BIEDERMANN H.:
Das europäische Megalithikum, Frankfurt-Berlin, 1962.
BIEDERMANN H.:
+Schwarz-Winkelhofer: Das Buch der Zeichen und Symbole, Knaur, 1975.
BIEDERMANN H.:
Handlexikon der magischen Künste, Graz 1973.
BIEDERMANN H.:
Wellenkreise, Hallein, 1977.
BIEDERMANN H.:
Weitere Nach träge zum Thema der „Ringwellen-Symbole" in den Megalithischen
Petroglyphen. ALMOGAREN 1978-79, S. 255 ff.
CLES-REDEN S. v.:
Die Spur der Zyklopen, Köln, 1960.
DACQUE, E.:
Urwelt, Sage und Menschheit. München 1924.
DACQUE, E.:
Natur und Seele. München, 1926.
FRIEDMANN, H.:
Wissenschaft und Symbol. München 1949.
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FROBENIUS, L.:
Kulturgeschichte Afrikas. Zürich, 1959.
JüNbER, FR. G.:
Die Perfektion der Technik. Frankfurt/M., 1953.
KÜHN,H.:
Wenn Steine reden. Wiesbaden, 1966.
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Griechische Mythologie, 2 Bände. Hamburg, 1955.
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Menschentypen. Leipzig, 1939.
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Astrologie neu gesehen, der Kosmos in uns. Freiburg 1973.
SCHMOKEL, H.:
Hammurabi von Babylon. Darmstadt, 1975.
SCHMÖKEL, H.:
Das Gilgamesch-Epos. Stuttgart, 1978.
(Zum Thema G. weitere Übersetzungen und Kommentare).
SPENGLER, 0.:
Frühzeit der Weltgeschichte. Fragmente aus dem Nachlaß. München, 1966.
STEINER, R.:
Geheimwissenschaft im Umriß. Dornach, 1962.
STEINER, R.:
Wie erlangt man Kenntnis der höheren Welten?, Dornach, 1975.
STEINER, R.:
M ysteriengestaltung. Dornach, 1979.
STERNEDER, H.:
Der Tierkreis im Sonnenjahr. München, 1956.
STERNEDER, H.:
Der Wunderapostel, Wien, 1951.
WACHSMUTH, G.:
Die Entwicklung der Erde. Basel 1950.
WACHSMUTH, G.:
Erde und Mensch. Konstanz, 1957.
WACHSMUTH, G.:
Werdegang der Menschheit. Dornach, 1953.
VON WINTER:
Die Menschentypen. Berlin, 1966.
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