Almogaren XX/ 1 / 1989 Hallein 1990 60-138
Hans-Joachim Ulbrich
Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jh.:
Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier
l. Das geschichtliche Vorfeld
Trotz der bereits prähistorischen Besiedlung der Kanaren
war die Kunde über ihre Existenz in der Antike, die uns die
ersten Hinweise auf diese ostatlantische Inselgruppe liefert, sehr
verschwommen oder uns genauer nicht überliefert. Was wir den
antiken Quellen entnehmen können, bewegt sich bis auf wenige
Ausnahmen im Bereich des Sagenhaften und Mythologisierten.
Konkrete geographische Ansätze sind daher - zumindest
bei den frühen Autoren - äußerst problematisch.
Auffallend ist, daß die in mehreren Schüben bis in die ersten
christlichen Jahrhunderte hinein stattgefundene Besiedlung des
Archipels nicht zu einem nachweisbaren Rückkontakt zum
iberischen oder afrikanischen Festland geführt hat. Ob dies an
den widrigen nautischen Verhältnissen - Gegenströmung durch
den Kanarenstrom, Gegenwind durch Passat und Harmattan -
gelegen hat oder kulturelle Hemmnisse vorhanden waren, läßt
sich schwer nachvollziehen. Daß es parallel zur Besiedlung
sehrwohl auch einzelne, entdeckungsgeschichtlich relevante
Besuche aus dem Mittelmeerraum bzw. vom nahen Festland
aus gegeben hat, wissen wir aus einigen antiken Berichten und
aus archäologischen Hinweisen auf den Inseln selbst.
Wir können mit einiger Sicherheit annehmen, daß bei
Fahrten vom Festland aus neben reiner Entdeckerlust schon
sehr früh auch wirtschaftliche und politische Interessen eine
Rolle spielten. Dies trifft zumindest auf die Betreiber des Pur-
60
Abb.1 Antike Münze mit dem
Bildnis des Königs Juba II. von
Mauretanien
purhandels zu, die die Gewässer der benachbarten atlantischen
Inseln und afrikanischen Küsten befuhren. überliefert ist dies
von den Phöniziern und von dem mauretanischen König Juba
II., der schon um 20v.Chr. eine Kanaren-Expedition aussandte,
die erstmals greifbare wissenschaftliche Ergebnisse brachte.
Aufgrund der damit gefestigten Kenntnisse über die "Insulae
Fortunatae" bzw. "Insulae Canariae" ist es um so erstaunlicher,
daß die Inseln im Europa des frühen Mittelalters nahezu
in Vergessenheit gerieten und in den Schriften jener Zeit mit
wenig Realismus beschrieben wurden. Auch der sich ab dem 7.
Jh. bis nach Nordwestafrika und ab 711 bis nach Spanien ausbreitende
Islam scheint die Kanaren kaum in seine hegemonistischen
Absichten einbezogen zu haben, was natürlich einzelne
Entdeckungsfahrten, zufällige Besuche und gezielte Raubzüge
der Mauren nicht ausschließt. Besonders letzteres sollte
der kanarischen Bevölkerung noch bis in das 18. Jh. zu schaffen
machen.
Genauer historisch verifizierbare und damit auch besser
datierbare Expeditionen zu den Kanaren sind erst für das 14.
Jh. bzw. eingeschränkt für das 9. bis 13. Jh. festzustellen. Der
Zeitraum bis zur normannisch-spanischen Eroberung ab 1402
wird gerne als ''vorspanische Geschichte der Kanaren" bezeichn~
t, was aber, wie wir sehen werden, nicht korrekt ist, da Kata-
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lanen, Andalusier und Basken in größerem Ausmaß und mit
weitreichenden Folgen bereits im 14.Jh. an der Entdeckung der
Kanaren teilhatten. Überhaupt ist der hier beschriebene Zeitraum
für die kanarische Geschichte und die ihres politischen
Umfeldes im Hinblick auf die Christianisierung der Inseln und
auf die portugiesisch-spanischen Kolonialbestrebungen von größter
Bedeutung. Aus ethnologischer Sicht bringen die SeefahrerBerichte
dieser Expeditionen die ersten völkerkundlichen Informationen
über die altkanarischen Ureinwohner.
2. Die angebliche Handschrift des lbn-al-Qutiyya
Abu Bakr lbn-al-Qutiyya (?-1032) ist uns als historische
Persönlichkeit überliefert: Er wirkte als Chronist, Imam und
Lehrer im damals arabischen C6rdoba und gehörte zu den
wichtigen Männern des Reiches. In dem Buch "Resumen de la
geografia fisica y politica, y de la hist6ria natural y civil de las
islas Canarias" (Sta. Cruz de Tenerife 1844) bringt der kanarische
Autor Manuel OSUNA Y SAVINON die Zusammenfassung
eines Manuskripts, das er lbn-al-Qutiyya zuschreibt und
das in der französischen Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt
sein soll.
Die Handschrift enthält, so behauptete OSUNA, den Bericht
einer arabischen Kanaren-Expedition von 999, den wir hier in
groben Zügen wiedergeben: Der arabische Kapitän Ben-Farroukh
war zur Bewachung der portugiesischen Küste abkommandiert,
als er die vielversprechenden Berichte einheimischer
Seeleute über die "Glücklichen Inseln" hörte. Mit 130 Mann
Besatzung segelte er daraufhin im Februar des Jahres 334 der
Hedschra (945 nach unserer Zeitrechnung/ OSUNA gibt fälschlicherweise
999 an) nach Gran Canaria und landete in der Nähe
von Gando. Er durchstreifte das bewaldete Innere und stieß auf
andere Araber, die bereits vor ihm die Insel entdeckt hatten
und offenbar in Frieden mit den Eingeborenen verkehrten. Die
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Landsleute führten ihn nach Galdar, wo er mit dem Häuptling
: des Kantons, Guanariga, zusammentraf. Ben-Farroukh wurde
vom "König" und seinem Rat freundlich aufgenommen; umsomehr,
als er vorgab, der Kalif Abd-el-Meluk habe ihn geschickt,
um Guanariga Freundschaft und einen Beistandspakt anzutragen.
Der Häuptling war sehr angetan und versorgte die Besucher
mit Fleisch, Früchten und Gofio (geröstetes Mehl).
Ben-Farroukh wendete sich von Gran Canaria aus zu der
Westgruppe des Archipels (Tenerife, Gomera, La Palma und
Hierro) und segelte dann nach Osten, wo er Fuerteventura und
Lanzarote entdeckte. Zwei Fachkollegen OSUNAs, Gregorio
CHIL Y NARANJO und Rene VERNEAU, haben noch im 19.
Jh. vergeblich nach diesem Manuskript des Ibn-al-Qutiwa gesucht
und es ist deshalb mit Recht zu vermuten, daß OS UNA der
Fachwelt einen Bären aufgebunden hat. Konkrete Fehler konnte
BONN ET RE VER ON (1944b) nachweisen. SERRA RAFOLS
(1926) spricht von "Betrug".
3. Das frühe arabische Wissen über die Kanarischen Inseln
Die Kunde über die Kanarischen Inseln bei den arabischen
Schriftstellern jener Zeit war durchaus in gewissem Umfang
vorhanden. Zwar ungenau und verbrämt, wenn es sich um
übernahmen der antiken Berichte handelt, aber etwas realer,
wenn eigene, arabische Erkenntnisse verarbeitet wurden. So
schreibt der andalusische Geograph Abu Ubayd AL-BAKRI
(1040-1094) in seinem Werk "Kitab al-masalik wa-1-mamalik"
über die Glücklichen Inseln ("Furtunätash") im Ozean, gegenüber
Tanger und dem Atlas-Gebirge, wo Wälder, Gemüse, hervorragende
Früchte und aromatische Kräuter wachsen würden.
Der Text scheint allerdings ein Auszug aus dem "Tractatio
geographiae" ("Etimologiae" liber XIV/ cap. V) des ISIDORUS
von Sevilla (ca.-560- 636) zu sein, der die Insulae Fortu-
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natae behandelt. In der Placierung der Inseln gehen die Angaben
jedoch auseinander: Wo AL-BAKRI zwar detaillierter, aber
zu nördlich ist, spricht ISIDOR US etwas unbestimmt von "Mauritanien
gegenüber".
Ein anderer Bericht von AL-BAKRI ist uns durch Sams
AL-DIN DIMASQI (?-1327) erhalten geblieben. Darin heißt
es, daß ein Sturm einige Seefahrer zu den Glücklichen Inseln
verschlagen habe. Sie hätten von einer Insel ausgehend die anderen
erforscht. Dabei hätten die Eingeborenen erzählt, daß vor den
Besuchern noch niemand aus dem Osten gekommen sei und
man habe daraus geschlossen, daß außer dem umgebenden Meer
nichts existiere. Die Seeleute seien dann mit vielen wunderbaren
Dingen nach Andalusien zurück gesegelt und hätten viel
zu berichten gewußt. Daraufhin habe eine andere Gruppe von
Schiffen den Versuch gemacht, diese Inseln zu finden, sei aber
erfolglos und durch Stürme dezimiert zurückgekehrt. Das erwähnte
Inseldenken dürfte allerdings nicht für Lanzarote bzw.
Fuerteventura zutreffen, dessen Bewohner nach AL-EDRISI
Anfang des 12. Jahrhunderts die marokkanische Küste kannten
( > Kapitel 4 ).
Einen derfrühesten Berichte liefert uns Ibn Abd al-Munim
AL-HIMYARI (?-1494). In seinem "Kitab ar-Rawd al-Mitar"
erzählt er, daß Jasjas, ein junger Mann aus C6rdoba, in der Mitte
des 9. Jhs. mit einigen Freunden in den Ozean hinausgesegeJt
sei. Sie hätten die Gewässer zwischen dem Negerland und Britannien
befahren. Nach einiger Zeit seien sie mit zahlreichem
Vieh und wundersamen Nachrichten zurückgekehrt. In diesem
Ozean würden gegenüber dem Negerland sechs Inseln liegen,
genannt al-Chalidat, "die Ewigen". Auch bei YAQUT IBNABDALLAH
(1179-1229, zitiert in BIEDERMANN 1983) sind
es sechs Ewige Inseln, die am äußersten Rand des Maghreb zu
finden sind. Bei IBN FATIMA (in IBN SAIDAL-MAGRIBI /
13. Jh. a) sind die Ewigen Inseln eher die Madeiren oder die
Azoren. Denn er schreibt, die 24 (sie) "Glücklichen Inseln" (Djazair
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al-Sa'adat) würden zwischen den Ewigen Inseln und dem Festland
(hier wohl Afrika) liegen.
Ibn al-Zayyat AL-TADILI (?-1230) vermerkt in seinem
biografischen Werk "Kitab al-tasawwuf ita riyal al-taqawwuf",
daß der Mystiker und Reisende Abu Yahya al-Sa'ih um 1200
die Inseln im Meer des Magrib al-Aqsa besucht hätte, wo eine
Vielzahl von Völkern leben würde, denen der Islam unbekannt
sei. Al-Sa'ih hätte diesen Menschen die Lehren des Islam gepredigt
und hätte sie erst verlassen, als diese das Gebet "Tasbih"
beherrschten. Die Richtigkeit dieser Überlieferung vorausgesetzt,
war der islamische Einfluß auf die Religion der
Insulaner sicher nicht von nachhaltiger Bedeutung.
Einen weiteren Hinweis gibt uns IBN SAID AL-MAGRIBI
(ca.1214- ca.1286; inAL-MAQQARI 16. Jh.). Er spricht von
sieben Ewigen Inseln westlich der marokkanischen Stadt Sale.
Die Inseln seien bei klarem Wetter zu sehen. Dies gelingt nur,
wenn die Kanaren gemeint sind, und zwar von dem heutigen
Tarfaia (Cap Juby) aus, aber nicht von Sale. AL-MAGRIBI
berichtet weiter, man würde auf diesen Inseln sieben männliche
Götzenbilder vorfinden. In diesem Zusammenhang ist interessant,
daß Niccoloso da RECCO ( > Kapitel 8) bei der
portugiesischen Expedition von 1341 in einem Tempel auf Gran
Canaria eine männliche Statue entdeckte. Neben diesen in
menschlichen Dimensionen beschriebenen Statuen wird aber
auch - z.B. von dem bereits erwähnten YAQUT IBN-ABDALLAH
- sehr fabelhaft von riesigen Bildsäulen gesprochen, die
auf den sechs "Glücklichen Inseln" vorbeifahrenden Schiffen
als Orientierungspunkte und Grenzmarkierungen dienen würden.
Im Fragment des Pseudo-IBN QUTAYBA (SERRA
RAFOLS 1949) ist von zwei weiteren Figuren die Rede, von
denen die eine mit den Kanaren in Verbindung gebracht werden
könnte; die andere ist wohl jenes sagenhafte Felsgebilde
auf Corvo, in dem man einen Reiter zu erkennen glaubte, der
mit einem Arm nach Westen weist. Daß es sich hierbei um die
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arabische Verarbeitung der antiken Berichte von den Säulen
des Herkules und z.T. auch um Assoziationen mit den meerseitig
sichtbaren Felstürmen der Kanarischen Inseln und Azoren
handelt, können wir mit großer Sicherheit annehmen.
Und schließlich erfahren wir aus der "Muqaddima" des IBNKHALDUN
(1332-1406), daß von den "zahlreichen" Ewigen Inseln
im Atlantik, nahe dem Festland, die drei größten auch die
bekanntesten seien und daß diese bewohnt wären (siehe auch
Kapitel 16).
4. Die acht Abenteurer des Edrisi
Der angesehene arabische Geograph und Reisende, AbuAbdallah-
Muhammad AL-EDRISI ( 1090-1166 ), gibt uns in seinem
Werk "Nuzhat al-mustaq fi ijtiraq al-afaq" (lateinische Übersetzung:
Geographia Nubiensis) den detailliertesten Bericht über
arabische Aktivitäten in Richtung Kanarische Inseln. EDRISI,
der sich selbst in dem damals maurischen Lissabon (Achbouna)
aufgehalten hatte, konnte diese Geschichte aus erster Hand
erfahren haben.
Demnach hatten sich acht verschwägerte Araber aus Lissabon
zusammengetan, um ein kleines Handelsschiff zu bauen.
Sie rüsteten es mit Trinkwasser und Proviant aus und stachen
damit 1124 in See. Das Ziel der Mugharrirun genannten
Abenteurer stand offenbar nicht genau fest. Mit Hilfe östlicher
Winde erreichten sie nach elf Tagen einen Meeresteil, der ihnen
wegen seiner hohen Wellen, seines dichten, übel riechenden
Nebels und der zahlreichen Klippen wenig zusagte. Sollten dies
die Azoren mit ihren vulkanischen Ausdünstungen gewesen sein,
dann müßte korrekterweise die "Süd"-Angabe im folgenden Satz
eine Südost-Angabe sein.
Weitere zwölf Tage Fahrt in südlicher Richtung brachten
sie zur ersten Insel, auf der sie landeten. Sie nannten sie ElGhanam,
die "Kleinvieh-Insel" ("Kleinvieh" kann bei den Ara-
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bern Schaf oder Ziege bedeuten; letzteres erscheint am sinnvollsten),
da sie auf ihr große Mengen kleiner Ziegenvorfanden,
deren Fleisch sich aber als ungenießbar bitter erwies. Die
den Haustieren zugehörigen Hirten entdeckten sie nicht auf der
"großen, mit einer dichten Finsternis (Nebel) umgebenen Insel",
dafür aber "eine Quelle mit sprudelndem Wasser, beschattet
von einem wilden Feigenbaum". Sie nahmen nur die Felle
der Tiere mit und segelten nochmals zwölf Tage in südlicher
Richtung, wo sie auf eine Insel stießen, die kultiviert und bewohnt
aussah. Als sie sich der Insel näherten, tauchten Boote
mit Eingeborenen auf, die die Seefahrer gefangen nahmen.
Während einer drei Tage dauernden Gefangenschaft lernten
sie die Insulaner als gutgebaute, kupferhäutige Männer mit langen,
lockeren Haaren kennen. Auch die Frauen sollen von großer
Schönheit gewesen sein. Als die Mauren vor den Häuptling
gebracht wurden und ihr Abenteuer erzählten, hielt er ihnen
die Nutzlosigkeit ihres Umherirrens vor. Schon sein Vater hätte
einmal einige Untertanen losgeschickt, die nach einem Monat
fruchtloser Fahrt wieder zurückgekehrt seien. Es existierte also
durchaus nautisches Können und Entdeckergeist unter den Altkanariern.
Eigenschaften, die möglicherweise mit den zunehmenden
Raubzügen zu ihren Inseln zugunsten einer freiwilligen
Isolation aufgegeben bzw. auf den insularen Raum beschränkt
wurden. Interessanterweise soll bei der Unterhaltung mit dem
Häuptling ein Arabisch sprechender Eingeborener als Dolmetscher
gedient haben.
Die Gefangenen wurden wieder in ihre Hütte zurückgebracht.
Und als einmal der (seltene) Westwind wehte (wie bei
winterlichen Tiefdrucklagen), setzte man sie mit verbundenen
Augen in "drei Tagen und drei Nächten" zur marokkanischen
Küste über, wo sie an einem Strand mit auf den Rücken gebundenen
Händen freigelassen wurden. Dort fand sie die berberische
Bevölkerung und einer der Leute befragte sie nach der
Entfernung zu ihremHeimatland. Sie antworteten, sie könn-
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ten nicht viel mehr erzählen, als daß zwei Monate Fahrt dazwischen
liegen würden. Worauf der Anführer rief: "Va asafi !",
sinngemäß "Oh, was ist mir widerfahren". Von diesem Ausruf
soll diese Ankerbucht den Namen Asafi erhalten haben. Heute
die Stadt Safi, die .über 500km im Nordosten von Lanzarote
liegt, was allerdings die lange Zeit für das Übersetzen erklären
würde. Enttäuscht und desillusioniert kehrten die Abenteurer
nun nach Lissabon zurück.
Trotz aller fabulierenden Züge kann diesem Bericht des
EDRISI nicht ein realer Kern abgesprochen werden. Der eine
oder andere Hinweis scheint durchaus auf die Kanaren zuzutreffen:
z.B. die auffallende Schönheit der Menschen, die immer
wieder auch von den späteren Konquistadoren erwähnt wird,
der arabisch sprechende Dolmetscher und die Nähe zum marokkanischen
Festland. Nimmt man einige Angaben hinzu, die
EDRISI an anderer Stelle macht, dann könnte auch die Konstellation
der Inseln für die Kanaren sprechen. Er erwähnt nämlich
AI-Akhwayn-al-Sahharayn, die "Insel der Zauber-Brüder", die
Safi gegenüber liegen soll. Dies würde für Madeira zutreffen,
das aber wegen seiner Unbewohntheit nicht in Frage kommt.
Eher scheint hier Lanzarote oder Fuerteventura gemeint zu sein,
wobei eine dieser Inseln vermutlich auch jene ist, die die acht
Seefahrer als bewohnt vorfanden.
Der französische Historiker D'AVEZAC (1848) sah in den
beiden Zauber-Brüdern, die bei EDRISI Chiräm und Chirhäm
heißen, die Lanzarote nördlich vorgelagerten Felsen Roque de]
Este und Roque del Oeste. Nach EDRISI waren die beiden Brüder
Piraten, die von den kanarischen Gewässern aus ihr Unwesen
trieben und von Gott zur Strafe in zwei Felsen verwandelt wurden.
EDRISI erwähnt ergänzend, daß die Entfernung zur "Insel der
Zauber-Brüder" so gering gewesen sei, daß die Bewohner des
Kontinents dort Rauch hätten aufsteigen sehen. Letzteres ist
freilich nur erklärbar wenn es sich um einen Vulkanausbruch
gehandelt hat. Interessant, wenn auch sehr mit Vorsicht zu
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genießen, ist EDRISis Bemerkung, daß die Insel nach dem
lVerschwinden der beiden Piraten wieder bewohnt war. Zur Zeit
der Besetzung ihrer Insel wären demnach die Ureinwohner
vertrieben gewesen. Der marokkanische Almoraviden-Sultan
Ali-ben-Yusuf-ben-Tashufin (1106-1146) soll sogar - angeregt
durch die wundersame Nachrichten der Mugharrirun über die
nahen Inseln - geplant haben, diese zu erobern, was aber sein
überraschender Tod verhindert habe.
EDRISI erwähnt im Zusammenhang mit einer Gruppe von
sechs "ewigen" Inseln, bei denen Ptolemäus die Zählung seiner
Längengrade begonnen habe, also die Kanaren, noch weitere
Namen: Masfahan mü einem runden Berg in der Mitte (Tenerife)
und "Lagous" oder "Lamghush", das als Nachbarinsel von
"Masfahan" Gran Canaria sein könnte. EDRISI, der bei der
Beschreibung dieser Inseln eine sehr phantastische Version der
Säulen-Geschichte bringt, erwähnt aber andererseits sehr konkret
die Qualität des Ambras (Darmstein des Pottwals), das an ihren
Küsten gefunden würde. Wale und Robben waren zur
damaligen Zeit in den kanarischen Gewässern sehr häufig. Noch
heute zeugen Ortsnamen, wie 'Lobos" (Seehund-Insel) und "Ca]eta
del Sebo" (Bucht des Talgs -hier in der Bedeutung von Walfett
/ Graciosa) von dieser Tatsache.
Die von den Abenteurern zuerst entdeckte Ziegeninsel
mit dem Quellwasser dürfte mit ziemlicher Sicherheit Madeira
gewesen sein, das offiziell erst 1419-20 von den Portugiesen
Joäo Gon~alves Zarco und Tristäo Vaz Teixeira wiederentdeckt
wurde und bis dahin unbewohnt war -von gelegentlichen Besuchen
der Phönizier abgesehen, die es im Rahmen ihrer Purpurgewinnung
anliefen. Von diesen könnten allerdings die herrenlosen
(verwilderten) Ziegen stammen und auch die Feigenbäume,
die sich von Vorderasien kommend im Mittelmeergebiet
ausbreiteten. Die Portugiesen fanden zwar angeblich keine
nennenswerten Säugetiere auf Madeira vor, was aber nicht
unbedingt gegen die Existenz der Ziegen spricht, die sich in un-
69
70
zugängliche Gebiete zurückgezogen haben konnten. Dies um
lso mehr, als zur Rodung ein Feuer gelegt wurde, das mehrere
Jahre gebrannt haben soll (BARROS 1552). Valentin FERDINAND
( 1507) berichtet sogar ausdrücklich von Ziegen auf PortoSanto,
mit deren Fleisch die Kastilier auf ihren Fahrten von
Andalusien zu den Kanarischen Inseln schon lange vor 1418 ihr
Proviant aufzufrischen pflegten. Die Lage Madeiras im Norden
der Kanaren würde auch erklären, warum die acht Seefahrer
die relativ lange Zeit von 12 Tagen benötigten, um zur nächsten
Insel im Süden zu gelangen. Stimmt die Angabe "nach Süden",
dann kann die Ziegeninsel kaum eine der Kanaren-Gruppe gewesen
sein, die sich in öst-/westlicher Richtung au sdehnt. Nahe
der Ziegeninsel lag - nach EDRISI - auch Raca oder Toyour,
die "Vogel-Insel", die sich dann mit Porto-Santo identifizieren
ließe.
Es bleibt noch zu erwähnen, daß der arabische Schriftsteller
IBN AL-WARDI (1260-1349) den Text des EDRISI
aufgreift und damit wohl die erste Sekundärliteratur zu diesem
Thema geschaffen hat. Im 14. Jh. folgte der marokkanische
Reisende und Geschichtsschreiber IBN-BA TUT A ( 1304-1377)
und im 15. Jh. AL-HIMYARI. Mit den geschilderten Überlieferungen
wird - trotz allem Nebulösen - deutlich, daß maurische
Seefahrer des 9. bis 12. Jhs. in Richtung der makaronesischen
Archipele einen mehr oder weniger zielbewußten Entdeckergeist
entwickelten, der den seefahrenden Europäern jener
Zeit offenbarfehlte. Große Anstrengungen der Araber blieben
aber wohl aus der traditionellen Angst vor dem "Meer der
Finsternis" (Atlantik) aus.
5. Genuesen und der Weg nach Indien: die Fahrten der Vivaldis
Auf Initiative und mit großem finanziellem Engagement
des Genuesen Tedisio d'Oria, Sohn des berühmten Admirals
71
Lamba d'Oria, wurde im Winter 1290 eine Expedition vorbereitet,
deren Ziel es war, den Seeweg von Genua nach Indien
zu öffnen. D'Oria verzichtete zwar auf eine Teilnahme, konnte
aber die Gebrüder Vadino und Ugolino (Guido) Vivaldi für
die Fahrt gewinnen„Unter ihrer Leitung stachen im Mai 1291
die zwei Galeeren "Al1egranza" und "Sant'Antonio", beladen mit
Handelsgut, in See. Nach einem Aufenthalt auf Mallorca und
Zwischenstops an der spanischen Küste passierten sie die Straße
von Gibraltar und segelten die afrikanische Küste entlang
nach Süden. Die letzte Sichtung der beiden Schiffe erfolgte ( nach
der Chronik des Jacopo D'ORIA, Genova 1294) bei "Gozora"
(oder Gozola, nach dem Berberstamm der Guezzoula) in der
Nähe des Cap Noun. Was dann geschah entzieht sich weitgehend
unserer Kenntnis.
Ein wenig Licht in das Dunkel bringt uns - mit allem
Vorbehalt - die Erzählung eines anderen genuesischen AfrikaFahrers:
Antoniotto USODIMARE, der 1455 bis zum Fluß
Gambia gekommen war. In der Handschriftensammlung "Itinerarium
Antonii Ususmaris Civis Januensis" (17. Jh. / aufbewahrt
in der Biblioteca Universitaria di Genova) ist die Kopie
eines Briefes enthalten, den USODIMARE am 12. Dezember
1455 in Lissabon an seine Gläubiger in Genua schrieb. Darin
berichtet er sehr unglaubhaft, er habe im Gebiet des Gambia
einen Landsmann getroffen, der von sich behauptete, der einzige
überlebende Nachkomme der Besatzung der VivaldiExpedition
zu sein. Und in einer anderen Handschrift der
Sammlung heißt es, daß ein Schiff der Expedition auf der Höhe
von Guinea gestrandet se'i, während es das andere bis Menam
in Äthiopien geschafft habe. Im "Libro del conoscimiento", einer
Sammlung geographischer Informationen (Sevilla 1350 / > Kapitel
12), wird erzählt, daß ein Schiff Amenuan in Äthiopien erreicht
habe, wo es "zerbrochen sei" (in einem Sturm?) und von der
Besatzung noch verlassen werden konnte. Das andere Schiff sei
"entkommen" ( diesem Sturm ?) ohne daß man wisse, was dann
geschah. Da für letzteres keine genaue Ortsangabe gemacht wird,
~st offen, ob dies ebenfalls bei Amenuan passierte oder schon
früher. Übereinstimmend berichten beide Quellen von der Gefangennahme
der einen Schiffsbesatzung in Menam bzw.
Amenuan. Der Kompilator des "Itinerarium", der bis auf den
Brief nicht identisch mit USODIMARE ist, hat hier wohl auf
Informanten zurückgegriffen, die das "Libro del conoscimiento"
oder eine grobe Version davon kannten und verfälschte Teile
daraus weitergaben.
Die Daheimgebliebenen in Genua machten sich zunächst
keine Sorgen wegen des langen Ausbleibens der Vivaldi-Brüder,
mußte man in der damaligen Zeit doch mit ungefähr zehn
Jahren für eine Afrika-U mrundung rechnen. Erst 1312 machte
sich die erste Such-Expedition unter Lancelotto Malocello auf
den Weg ( > Kapitel 6) und - nach der Kalkulation einiger
Historiker um 1315 ( > HENNIG 1953) oder 1325 (BONNET
REVERON 1944c, SALV ADORI 1942) - eine zweite unter Sor
Leone Vivaldi, Sohn des U golino. Die Route seiner Suchaktion
verlief je nach Hypothese zu Lande nach Ostafrika, über
den Atlantik ( um Afrika herum) oder über das Arabische Meer,
wobei er schließlich in Mogadischu eine Spur seines Vaters
gefunden haben soll. Die einzige Quelle über letzteres, auf der
das ganze Denkgebäude seiner Suche basiert, ist das erwähnte
"Libro del conoscimiento". Beide Fahrten der Vivaldis bewegen
sich trotz dieser Informationen doch sehr im Ungewissen
und Legendenhaf ten, was letztlich eine Bewertung des Erfolgs
oder Mißerfolgs äußerst schwierig gestaltet. Vor allem die Suche
des Sor Leone könnte eine romantisierende Erfindung des Autors
des "Libro del conoscimiento" sein. Modeme Kritiker geben zu
Bedenken, daß das von ihm genannte "Magdasor" auch das
marokkanische Mogador (Essaouira) und nicht das somalische
Mogadischu sein könnte (PEREZ EMBID 1948). Die Vivaldis
der ersten und vermutlich einzigen Expedition hätten es dann
nur bis zur nordwestafrikanischen Küste geschafft, wobei die
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Mannschaften Schiffbruch erlitten und/ oder von berberischen
Piraten ins Landesinnere verschleppt wurden - eine Interpretation,
die vernünftig erscheint (Marokko lag damals im Krieg
mit der Republik Genua).
Ob die Expedition der Gebrüder Vivaldi auch Kontakt mit
den Kanaren hatte, muß - obwohl manches dafür spricht - im
Bereich des Spekulativen bleiben. Auszuschließen ist eine Sichtung
oder sogar ein Betreten aufgrund der Meerenge zwischen
Süd-Marokko und Fuerteventura bzw. Lanzarote nicht. Es ist
auch zu vermuten, daß die Genuesen von der Existenz der Kanaren
wußten und zum Zweck der Rast und Proviantauff rischung wohl
lieber die "Glücklichen Inseln" als die unwirtliche afrikanische
Küste angelaufen hätten. Einen vagen Hinweis finden wir bei
dem italienischen Dichter Francesco PETRARCA ( 1304-1388).
In seinem Werk "De vita solitaria" (1346) spricht er von einer
"januensium armata classis", die nach der Überlieferung der Väter
auf den Kanaren gelandet sein soll. Ist dabei einer der beiden
Franziskaner-Missionare, die auf der ersten Vivaldi-Expedition
mitgenommen wurden, auf den Kanaren zurückgeblieben? In
einem von TORRIANI zitierten Passus aus der leider verschollenen
Chronik des Advokaten Antonio de TROYA (Las Palmas
1530 - Sta. Cruz de La Palma 1577) heißt es sinngemäß,
daß hundert Jahre bevor Bethencourt (um den Jahreswechsel
1405/6) die Insel Hierro unterwarf, also ca. 1306, ein gewisser
Yone (Yofie bei VIERA, Jonne bei MARIN DE CUBAS; liegt
hier eine Verstümmelung von "Giovanni" vor?) kurz vor seinem
Tod die Ankunft des wahren Gottes prophezeit hätte. WIPF
( 1988) vermutet in Y one einen christlichen Missionar und setzt
sein Wirken, fälschlicherweise von 1419 (nach TORRIANI) als
Ankunftszeit Bethencourts ausgehend, in die Zeit Lancelotto
Malocellos auf den Kanaren, die erst mit dem Jahr 1312 begann.
Das Todesjahr des Yone rückt aber zeitlich eher in die
Nähe der Vivaldi-Expedition von 1291. Diese Ankunftszeit hätte
Yone dann um rund 15 Jahre überlebt, was realistisch erscheint.
74
AL VAREZ DELGADO ( 1967: 320) signalisiert die Möglich-lkeit,
daß der Name des ebenfalls als christlicher Missionar
interpretierbaren Eiunche von Gotnera eine Variante des Yone
(iunech) von Hierro ist. Wir hätten es dann nur mit einer einzigen
Person zu tun, die auf den beiden Nachbarinseln den chdstIichen
Glauben verbreitete.
Für einen Kontakt der Vivaldi-Expedition mit den Kanarischen
Inseln spricht auch die auffällige N arnensgleichheit der
einen Galeere mit der Insel Alegranza, auf die man bei einer
Annäherung von dem oben genannten Cap Noun als erste gestoßen
sein konnte. Nach einer Hypothese von MAGNAGHI
(1935) haben die Gebrüder Vivaldi den Seeweg nach Indien
nicht um Afrika herum, sondern westwärts über den Atlantik
gesucht und hatten die Kanarischen Inseln dabei fest im Visier.
Selbst wenn die Planung einer Atlantik-Überquerung nach
den damaligen Kenntnissen unwahrscheinlich ist, bleibt immer
noch die Möglichkeit, daß die Kanarischen Inseln auf dem Weg
zum Äquator zufällig oder bewußt angelaufen wurden.
Als Denkmodell für eine Namensgebung durch die Vivaldis
sei folgender Ablauf skizziert: Die '1Allegranza" strandete
an der nördlichsten Kanaren-Insel, die daraufhin den Namen
dieses Schiffes erhielt. Das Schiff mußte aufgegeben werden
und seine komplette Besatzung wurde von der "Sant'Antonio"
aufgenommen. Nach dem Besuch anderer Inseln des Archipels
(s.o.) stellte man f~st, daß zwar der Proviant erneuert werden
konnte, daß aber die Verhältnisse an Bord (fehlender Stauraum
für doppelte Vorräte und Platznot in den Quartieren, erschwerte
Manövrierfähigkeit) gegen eine Fortsetzung der Expedition
sprachen, die ja unbekannte Gewässer und Küsten zum Ziel
hatte. Die "Sant'Antonio" segelte darauf in Richtung Festland
zurück, wo sie von Arabern gekapert wurde. Die Abenteuer in
den kanarischen Gewässern und die damit verbundene Namensgebung
wurden von den Besatzungsmitgliedern während ihrer
Gefangenschaft bzw._Versklavungweitererzählt und Kenntnis
75
darüber gelangte nach dem nicht allzu fernen Sevilla und von
dort nach Genua. Letzteres allerdings nicht vor 1312, denn erst
zu diesem Zeitpunkt startete Malocello seine Suchaktion. In
Sevilla hörte der Autor des "Libro del conoscimiento" von den
Vivaldis und verarbeitete die Nachrichten zu einer reichlich
phantastischen Geschichte, deren realer Kern nur schwer zu
extrahieren ist.
Die Kanaren als Etappenziel oder Brückenkopf bei längeren
Seefahrten zu benützen liegt auf der Hand und wurde in
den folgenden Jahrhunderten ausgiebig praktiziert, sowohl bei
der Eroberung Amerikas als auch bei der Entdeckung des indischen
und pazifischen Ozeans. Wie auch immer die Realität
im Fall der Vivaldi-Expedition aussehen mag, so muß ihr doch
zugesprochen werden, daß sie eine Ära der Entdeckungen
einleitete, die vor allem den Seefahrern des westlichen Mittelmeerraumes
neuen Auftrieb zur Erforschung der afrikanischen ·
bzw. atlantischen Gewässer gab.
6. Die Landnahme des Lancelotto MaloceJlo
In den Annalen der Stadt Genua finden wir vom Anfang
des 12. bis zum Ende des 14. Jhs. immer wieder Angehörige
der Familie Malocello ( oder Marocello) unter den höheren Beamten
der Republik (BONNET REVERON 1944c). Ein Mitglied
der Familie, Lancelotto Malocello, machte sich 1312 auf
die Suche der verschollenen Gebrüder Vivaldi, ob aus eigenem
Antrieb oder mit amtlichem Auftrag ist unbekannt. Über den
Verlauf seiner Seereise erfahren wir nur Bruchstückhaftes aus
verschiedenen alten Quellen.
1629 und 1630veröffentlichte Pierre Bergeron in Paris
Ausgaben des als "Canarien" ( > BOUTIER & LEVERRIER
1405) bekannt gewordenen Augenzeugenberichts über die
Eroberung der Kanaren durch Jean IV. de Bethencourt und
Gadifer de la Salle. Basierend auf einer durch Jean V. de Be-
76
thencourt gefälschten Vorlage heißt es im Kapitel XXXII über
leine Episode auf Lanzarote: " ... und einige Tage später schickte
Gadif er einige Leute los, um Gerste zu suchen, denn sie hatten
nur noch wenig Brot übrig; alsdann sammelten sie große Mengen
des Getreides und lagerten es in einer alten Burg, die Lancelote
Maloisel vor langer Zeit errichtet hatte, wie man sagt." Die gleiche
Textstelle heißt in der 1888 wiederentdeckten Salle-Version des
Canarien: " ... und lagerten es in einer alten Burg, die Lancelote
Maloisel vor langer Zeit errichtet hatte, als er dieses Land
eroberte, wie man sagt." Offenbar wollten die Nachkommen Jean
IV. nicht, daß der Ruhm der Eroberung Lanzarotes einem anderen
zugesprochen wird, denn in der Bethencourt-Version des Canarien
wird immer wieder der Versuch unternommen, die Rolle
Jean IV. in übertriebener Weise zu glorifizieren.
Dies rief nun einen Zweig der Familie Malocello auf den
Plan, die mittlerweile in der Normandie unter dem Namen
Maloisel seßhaft geworden war. Ein Anonymus aus dieser Familie
veröffentlichte 1632 in Caen ein Traktat, in dem er gegen die
Darstellung im Canarien protestiert und seinen italienischen
Vorfahren als den ersten und wirklichen Eroberer Lanzarotes
darstellt. In einem Brief, den der französische Schriftsteller Abbe
J. Paulmyer am 19. April 1659 an den Historiker Du Chesne in
Rauen schreibt (RONCIERE 1896 ), erfahren wir weiteres:
Demnach bekräftige die Familie Maloisel Dokumente zu besitzen,
die den Anspruch Malocellos, die Kanaren zuerst erobert
zu haben, beweisen würden. Die Expedition habe er 1312
unternommen, angeregt durch einen (sehr zweifelhaften) Bericht
normannischer Seeleute aus Cherbourg, die an der spanischen
Küste Handel getrieben hätten und durch einen Sturm
zu den Kanaren verschlagen worden seien. Sollte die Fahrt der
"matelots de Cherebourg" jedoch auf Tatsachen beruhen, dann
stellt sich die Frage, was wirklich der Grund für Malocello war,
seine Expedition zu unternehmen: die Suche nach den Vivaldis
oder der Wunsch neue Inseln zu erobern ? Oder wollte er
77
sogar das eine mit dem anderen verbinden? Letztlich muß ihm
sein eigenes kleines "Reich" auf Lanzarote wichtiger gewesen
sein, als die Suche nach den Landsleuten fortzusetzen; dies um
so mehr, als Malocello während seines Kanaren-Aufenthaltes
von dem Schicksal der versklavten Vivaldis, so wie es in Kapitel
5 angedeutet ist, erfahren haben konnte.
Dem Brief Paulmyers entnehmen wir weiterhin, daß sich
Malocello zumindest einen Teil von Lanzarote unterwarf und
ein Fort erbaute. Er lebte dort 20Jahre, bis er durch einen Aufstand
der Insulaner mit Hilfe ihrer "Nachbarn" (Bewohner des nicht
unterworfenen Teils der Insel oder Eingeborene von Fuerteventura
?) vertrieben wurde. Warum waren die Eingeborenen
so schlecht auf ihn zu sprechen? Hat er möglicherweise Angehörige
von ihnen als Sklaven verkauft ?
1328, also zur Z~it Malocellos auf den Kanaren, nahmen
Mallorkiner zwanzig Untertanen des maurischen Königs von
Granada gefangen (SEVILLANO COLOM 1972). Unter diesen
befandt sich auch ein "Assamar ben Ali al-Canari". War dies
ein Maure, der zufällig einen Namen hatte, der an die Kanaren
anklingt, oder war es ein Maure, der die Kanaren besucht hatte,
oder war es ein kanarischer Sklave, der seine Herkunft im
Namen zum Ausdruck brachte? Die entsprechenden Dokumente
(Archivo Hist6rico de Mallorca) bringen leider keine restlose
Klärung.
Das bereits zitierte "Libro del conoscimiento" liefert zusätzliche
Informationen über Malocello. Angeblich hat sein Autor
selbst eine Reise zu den Kanaren unternommen und erfährt
dort von seiner maurischen Begleitung, Lanzarote sei nach dem
Genuesen "Larn;arote" benannt, der dort von den Eingeborenen
umgebracht worden sei. Letzteres kann wahrscheinlich
verneint werden, denn nach RONCIERE (1925-27 Bd.2) trat
Malocello 1338 - wie einige andere Familienmitglieder auch -
in französiche Dienste und nannte sich dann "Maloisel". Einen
weiteren Hinweis finden wir in den Notariatsakten von Genua.
78
Demnach hat dort am 1. April 1330 ein Lancerotto Marocello
l eine Unterschrift geleistet (BONNET REVERON 1944c). Nach
den Aussagen der Maloisels im 17. Jh. hat Malocello aber mindestens
bis 1332 auf Lanzarote gelebt. Entweder stimmt dieses
Datum nicht und Malocello kehrte früher zurück, oder er hat
seinen Aufenthalt auf Lanzarote tatsächlich unterbrochen.
Weitere Details verdanken wir dem kanarischen Chronisten
und Gelehrten TomasArias MARIN DE CUBAS (1694).
In seinem Geschichtswerk "Historia de las siete Islas de Canaria"
erwähnt er im Libro I / Cap.II, daß ein Lan~eloto Mailesol
1320 (!) Handel auf den Kanaren betrieb. Wenn Malocello
tatsächlich als Händler auftrat, dann benötigte er auch Nachschub.
Laufende Kontakte mit dem Festland während seines
Kanaren-Aufenthaltes wären somit nicht unwahrscheinlich. Auch
ein Besuch der anderen Inseln liegt nahe. MARIN DE CUBAS
vermerkt darüberhinaus (Cap.III), daß Malocello im "Puerto
de Guanapayo", der heutigen Famara-Bucht an der Nord-Küste
Lanzarotes, ein Fort erbaute, dessen Grundmauern Bethencourt
90 Jahre später vorfand und "vieu chastel" nannte. Tatsächlich
soll das Fort der Überlieferung zufolge auf dem Vulkan
Guanapay angelegt worden sein, der sich 6,6 km von der
Küste entfernt bei der Stadt Teguise erhebt. Auf den Ruinen
der Malocello-Burgwurde von den spanischen Herren der Insel
zum Schutz vor PiratenüberfäJlen erneut ein kleines Fort errichtet,
daß aber seiner Aufgabe nicht gewachsen war.
Als der spanische König Felipe II. 1587 den italienischen
Ingenieur und Festungsbauer Leonardo TORRIANl beauftragte,
die Möglichkeiten einer Befestigung der Kanarischen Inseln
zu untersuchen, kam TORRIANI 1590 auch nach Lanzarote.
1596 wurde das von Piraten stark ramponierte Castillo de
Guanapay unter der Berücksichtigung der Vorschläge von
TORRIANI restauriert und zur heute noch existierenden Erscheinungsform
umgebaut. Die Hypothese des kanarischen
Autoren Simon BENITEZ PADILLA (1960), wonach er den
79
PLA..iVTA DE L CASTiLLO D.ELAMO .
. TAJVA DE GVANAPAi DELA JSLA FJLAN
<;'AROTE.
s
t?· 9
Abb. 3 Grundriß des Castillo de Santa Barbara oder Castmo de Guanapay auf
Lanzarote nach der Restaurierung von 1596 (Zeichnung von Pedro Agustin del
Castilloy Ruizde Vergara 1686)
80
Platz der Malocello-Burg an der Stelle des heutigen Castillo
lde San Gabriel in Arrecif e vermutet, erscheint wenig fundiert;
ebenso die Annahme von AL V AREZ DELGADO ( 1957b ), die
Burg sei im Ru bic6n errichtet worden. Beide Lokalitäten sind
strategisch weitaus weniger günstig als der Vulkan Guanapay.
1984 ging eine Meldung durch die kanarische Presse, wonach
die lanzarotischen Amateur-Archäologen Antonio Romero Mora
und Agustin Pallares Lasso in unmittelbarer Nähe des Castillo
de Guanapay ein Stück Mauer und andere Siedlungsspuren fanden,
die man mit der MaloceHo-Burg in Verbindung brachte. Dies
erwies sich jedoch als unhaltbar, da es sich offenbar um neuere
Reste im Zusammenhang mit dem Umbau handelte.
Für einige Konfusion im Zusammenhang mit Lancelotto
Malocello sorgte eine Textstelle im dritten Band der Historia
de Portugal, die der portugiesische Historiker Fortunato de
ALMEIDA 1925 in Coimbra veröffentlichte. Er gibt dort den
Text von drei Dokumenten wieder, in denen der portugiesische
König Fernäo I. 1370 die Inseln "Nossa Senhora a Franca" ( =
Lanzarote) und "Gomeira" ( = Gomera) seinem Admiral Lan<;
arote da Franca und später auch dessen Sohn, Lopo Afonso
da Franca, vermacht. Die Authentizität dieser Dokumente wurde
von der Fachwelt stark angezweifelt, da ALMEIDA weder das
Original, noch eine Kopie beischaffen konnte. Vielmehr behauptete
der Autor, die Dokumente stammten aus einem Privatarchiv,
das aber später zerstört worden sei. Die portugiesische
Geschichtsforschung überging daraufhin diese Texte durch
Nichtbeachtung. Lediglich Joäo Martins da SIL VA MARQUES
druckte sie in seiner 1944 erschienenen Dokumentensammlung
"Descubrimentos Portugueses" ab.
Das allerdings veranlaßte den angesehenen belgischen
Historiker Charles VERLINDEN (1958), diesen Dokumenten
einen gewissen Wahrheitsgehalt beizumessen. In seinem Beitrag
verweist er auf die hohe Bedeutung, die genuesisches
nautisches Wissen für die Expansionspolitik Portugals hatte.
81
Dies ist, wie wir im Fall der Genuesen Niccoloso da Recco und
Emmanuele Pessagno wissen, durchaus zutreffend. Letzterer
wurde 1317 sogar zum portugiesischen Erb-Admiral ernannt.
Extrem hypothetisch wird es aber, wenn VERLINDEN Lancelotto
Malocello mit jenem Lan~arote da Franca identifiziert und
seine Entdeckung Lanzarotes in das Umfeld der nautischen
Aktivitäten des Admirals Pessagno stellt. Eine genaue Analyse
seiner Argumentation ( > SERRA RAFOLS 1961) fördert
einige chronologische Ungereimtheiten zutage, die seine These
als sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen. Ganz abgesehen
von dem weiter oben Aufgeführten, sowie den Seekarten
ab 1339, in denen die Umrisse Lanzarotes mit dem genuesischen
Wappen gefüllt sind. Die Geographen der damaligen Zeit
haben Lanzarote als Territorium der Republik Genua angesehen.
Ja, mit der Zuerkennung der Souveränität über Genua wurden
König Robert v. Neapel 1343 vom Papst sogar die ganzen Kanaren
zugesprochen (Odorico RINALDI: "Annales Ecclesiasticae"für
1344 ). So wenig wir letztlich über die Unternehmung Malocellos
wissert - mit ihr beginnt die konkrete Geschichtsschreibung
der Kanarischen Inseln.
7. Unsichere Kontakte mit Gran Canaria 1339
Es sei kurz auf eine Quelle eingegangen, die uns einige
schwer zu bewertenden Informationen über den ersten aragonesischen
bzw. mallorkinischen Kontakt mit den Kanaren gibt:
Fray Jose de SOSA ( 1678) erwähnt in seiner "Topografia de la
Isla Fortunada Gran Canaria", daß Gran Canaria 1339von zwei
mallorklnischen Schiffen angelaufen worden sei. Die Besatzung
habe freundschaftlich mit den Eingeborenen verkehrt und habe
sogar zwei Kapellen errichtet, gewidmet der Hln. Catalina bzw.
dem HI. Nicolas. Der Bau dieser Kapellen wird übrigens von
allen anderen Chronisten späteren Fahrten zugeordnet und wäre
wohl auch der Expedition von 1343 aufgefallen.
82
Bei der Abfahrt sollen die Mallorkiner versprochen ha-
! ben, die Canarios ein zweites mal zu besuchen. Sollte SOSA
hier keine Daten mit späteren Ereignissen, etwa den Fahrten
von 1342 oder 1352, verwechselt haben (wofür alles spricht),
dann ist der in Kapitel 13 beschriebene Beginn der organisierten
mallorkinischen Christianisierung der Inseln viel früher
anzusetzen. Und zwar vor den Besuch Reccos auf Gran Canaria
! Erklärt sich dadurch sein freundlicher Empfang durch die
Eingeborenen oder war es nur die unbekümmerte, noch nicht
getrübte Neugier des "Wilden"? Für die Angaben SOSAs existieren
keine nachprüfbaren dokumentarischen Unterlagen, so
daß diese Expedition sehr vorsichtig, wenn nicht sogar apokryph
zu behandeln ist.
8. Reccoundderßeginn portugiesischer Expansionspolitik
Erst im 19. Jh. erhielt die Geschichtsforschung Kenntnis
von einer Expedition, die Portugal im 14. Jh. zu den Kanaren
geschickt hatte. Sebastiano Ciampi entdeckte in der Biblioteca
Magliabecchi (heute Biblioteca Nazionale Centrale, Florenz)
eine lateinisch abgefaßte Sammelhandschrift und darin das Manuskript
"De Canaria Et De lnsulis Reliquis Ultra Hispaniam
In Oceano Noviter Repertis". Es fälschlicherweise Bocaccio
zuschreibend veröffentlichte er das Manuskript 1827 in Florenz.
Von da ab erfuhr es zahlreiche italienische, portugiesische,
spanische und französische Übersetzungen. Eine komplette
deutsche Übersetzung liegt m. W. bislang nicht vor (Teilübersetzungen
in HENNIG 1953 und LÖHER 1876). Der Text wurde
von florentinischen Händlern Ende 1341 in Sevilla aufgezeichnet
und gibt den Bericht des Niccoloso da RECCOwieder.
Eine vollständige Übersetzung des Textes würde den
Rahmen dieses Aufsatzes sprengen; deshalb an dieser Stelle
nur eine Zusammenfassung, ohne wichtige völkerkundliche Details
auszulassen:
83
Vom portugiesischen König Afonso IV. beauftragt, verließen
am 1. Juli 1341 zwei Karavellen und ein kleineres Schiff den
Hafen von Lissabon. Sie standen unter der Leitung des Florentiners
Angiolino del Tegghia dei Corbizzi. Navigator der Expedition
war der Genuese Niccoloso da RECCO. Die Besatzungen
setzten sich aus Florentinern, Genuesen, Kastiliern und
"aliorum hispanorum" (vermutlich Portugiesen und Katalanen)
zusammen. Zur Ausrüstung der Schiffe gehörten auch Pferde
und allerlei Kriegsgerät (was eindeutig den Charakter der
Unternehmung wiederspiegelt, deren Ziel die politisch motivierte
Eroberung der Kanaren war). Nach fünf Tagen erreichten
sie die erste Insel. Sie war sehr felsig und unbebaut, aber es
gab große Mengen von Ziegen und anderen Tieren (vermutlich
Fuerteventura). Die zahlreichen wild aussehenden Bewohner
liefen nackt umher. Den größten Teil ihres Raubgutes an
Fellen und Talg nahmen die Schiffe von dieser Insel mit.
Die folgende Insel war nur unwesentlich größer (Gran
Canaria). Die große Menschenmenge, die sie am Strand empfing,
war nahezu nackt. Einige davon schienen sozial über den
anderen zu stehen. Sie trugen gelb und rot gefärbte Ziegenfelle,
die fein verarbeitet waren mit kunstvollen Nähten aus Darmfäden.
Sie hatten auch einen Häuptling, dem sie viel Respekt
und Gehorsam entgegenbrachten. Durch Gebärden zeigten die
Leute an, daß sie mit den Schiffen Handel treiben wollten. Die
Matrosen ruderten zum Strand, stiegen aber nicht aus, als sie
feststellten, daß sie die Sprache nicht verstanden, die sehr schön
und lebendig klang. Als die Insulaner sahen, daß man nicht an
Land ging, begannen vier von ihnen zu den Booten hinauszuschwimmen.
Diese vier Eingeborenen wurden zurückgehalten
und nach Lissabon mitgenommen. Die Schiffe umrundeten nun
die Insel und man entdeckte, daß der Norden stärker bebaut
war als der Süden. Sie sahen viele kleine Häuser, umgeben von
Feigenbäumen und Palmen, sowie Gärten mit Hülsenfrüchten,
Kohl und anderem Gemüse. Bei einem Erkundungsgang an Land
84
fiel die exakte Bauweise der Hütten mit rechteckigen Steinen
1 und schönen Dachhölzern auf. In den Häusern, die von ihren
' Bewohnern angesichts bewaffneter Eindringlinge verlassen wurden
(ihre schrillen Rufe hörte man noch in der Umgebung), fand
man ausgezeichnete getrocknete Feigen, die in Palmkörben
aufbewahrt wurden; ebenso Gerste und Weizen, der ihnen viel
größer und schwerer als der heimische vorkam. Die Räume waren
sehr sauber und die Wände geweißt. Sie stießen auch auf eine
Art Tempel, der in keiner Weise verziehrtwar, sondern nur eine
Statue aus Stein enthielt. Sie stellte einen Mann dar, der bis
auf einen Lendenschurz aus Palmwedeln nackt war und in der
einen Hand eine Speer trug. Diese Statue wurde nach Lissabon
mitgenommen (und ist uns aber leider nicht erhalten geblieben).
Als man weitersegelte, entdeckte man eine Inselmiteiner
großen Zahl wunderbar gewachsener, hoher Bäume (Hierro
). Die Nachbarinsel (Gomera) fiel durch ihre vielen Bäche
mit hervorragendem Wasser, ihre Wälder mit wohlschmeckenden
wilden Tauben und ihren Reichtum an allerlei Raubvögeln
auf. Sie stießen dann auf eine Insel, die hoch aufstieg und deren
Gipfel von Wolken verhangen waren, die sich oft abregneten
(La Palma). Sobald der Himmel einmal aufklarte, sah man
eine annehmbare Landschaft, die bewohnt erschien. Über dem
imposanten Gipfel einer weiteren Insel türmte sich "etwas Weißes"
zu wunderlichen Gebilden auf (Tenerif e mit Rauchentwicklung
über dem Teide ). Schließlich steuerten sie durch ruhiges Meer
noch weitere sieben Inseln an, die zum Teil bewohnt und zum
Teil unbewohnt waren (Lobos, von der das Seehundfleisch
stammen dürfte, Lanzarote und die Isletas).
Obwohl die genannte Zahl exakt mit den noch fehlenden
Inseln des kanarischen Archipels übereinstimmt, kann nicht
ausgeschlossen werden, daß mit einer ( oder mehreren) der
unbewohnten Inseln die Madeira-Gruppe gemeint ist, die bei
der Rückkehr nach Lissabon gestreift wurde. Für diese Mög-
85
lichkeit spricht die Tatsache, daß Madeira schon ab 1350 (Libro
del Conoscimiento) und dann in den Karten von 1351, 1375,
1385 und 1413 - also schon lange vor der Wiederentdeckung
durch Zarco und Teixeira - mit dem italienischen Wort "legna~
me" (Holz) benannt wurde.
Generell vermerkt RECCO noch, 5 der 13 Inseln seien
unterschiedlich stark besiedelt gewesen, wobei sich die Insulaner
wegen ihrer Dialekte nicht von Insel zu Inse.l verstehen würden.
Auch gebe es keine Wasserfahrzeuge, um von der einen zur
anderen Insel überzusetzen. Insgesamt seien die Inseln nicht
sehr reich, aber das Erbeutete ( 4 jugendliche Sklaven, viele
Ziegenfelle, Talg, Fischöl, Robben, rötliche Hölzer, rotbraune
Tonerde und anderes) würde die Ausgaben wieder wett machen.
Die Heimatinsel der Gefangenen heiße Canaria und sei die am
dichtesten besiedelte. Die Eheschließung sei dort üblich und
im Gegensatz zu den verheirateten Frauen, die wenigstens einen
Bastrock tragen würden, liefen die Jungfrauen ohne Scham ganz
nackt herum. An Haustieren gebe es viele Ziegen, Schafe und
Wildschweine, aber keine Ochsen, Kamele und Esel.
Die gefangenen Jungen werden als unbeschnitten, barfüßig,
bartlos und von schöner Figur beschrieben. Sie trugen einen
Lendenschurz aus Bast oder Palmfasern, der so befestigt war,
daß weder Wind noch sonst etwas ihre Genitalien freilegen konnte.
Ihr blondes(!) Haar trugen sie lang bis zum Nabel. Ihr Körperbau
war kräftig, bei einer Größe, die nicht die ihrer neuen Herren
überschritt. Wenn die Gefangenen sangen war es angenehm zu
hören, und wenn sie tanzten, erinnerte es an französische Tanzschritte.
Ihr Auftreten wird als tapfer, intelligent, höflich, al·
truistisch und heiter bezeichnet. Die Verständigung mit ihnen
erfolgte per Zeichensprache. Gebackenes Brot kannten sie nicht
aber es schmeckte ihnen. Wein wiesen sie zurück und tranken
nur Wasser. Käse war ihnen bekannt.
Das Manuskript schließt mit der erstmaligen Überlieferung
altkanarischer Sprachbeispiele, einer hochinteressanten
86
Aufzählung der Zahlen von 1 bis 16: nait, smetti, ammelotti,
acodetti, simusetti, sesetti, satti, tamatti, alda morana, marava,
nait-marava, smatta-marava, amierat-marava, acodat-marava,
simusat-marava, sesatti-marava ( eine Untersuchung der Zahlen
ist bei PIETSCHMANN 1879, BONNET REVERON 1945a,
CABRERA BARRETO 1971, KRÜSS 1976und WÖLFEL 1954/
1965 zu finden). Das abrupte Ende der Aufzählung bei 16 ist
wahrscheinlich damit zu erklären, daß uns der Bericht nur in
einer Abschrift erhalten ist. RECCO könnte demnach mehr oder
- bei späteren Hinzufügungen - auch weniger Zahlen genannt
haben. Mit dieser Vielzahl kultureller Hinweise kommt dem
Recco-Berichtjedenfalls eine eminente Bedeutung zu. Erstmals
bewegte sich die Berichterstattung im glaubhaft Realen.
Nachdem die Expeditionsleiterwohl einsahen, daß mit ihrer
kleinen Armada die Inseln nicht zu erobern waren, segelten sie
zurück nach Portugal. Ihr Bericht mußte dort großes Aufsehen
erregt haben. Auch Afonso IV. mußte sich in seinem Versuch,
vor Kastilien Rechtsansprüche auf die Kanaren geschaffen zu
haben, bestätigt gesehen haben. Um so unverständlicher ist es,
daß von portugiesischer Seite die nächsten 74 Jahre kein weiterer
Eroberungsversuch stattfand ( erst wieder 1415 durch Joäo
de Trasto ). Afonso IV. versucht das in seinem Brief vom 12.
Februar 1345 an Papst Clemens VI. (Dok. VIERA Y CLAVIJO
1982, II: 950) damit zu erklären, daß er durch die Kriege
mit Kastilien und den Sarazenen abgehalten wurde. Die gefestigte
Kenntnis über die Kanaren durch die Recco-Fahrt breitete
sich jedenfalls mit Windeseile im westlichen Mittelmeerraum
aus und führte zu weitreichenden Aktivitäten u.a. durch
die Königreiche Mallorca, Arag6n und Kastilien und durch den
Heiligen Stuhl in Avignon.
9. Die ersten mallorkinischen Expeditionen von 1342-1345
Nur wenige Monate nach der Rückkehr der portugiesi-
87
sehen Expedition von 1341 werden bereits die ersten Unternehmungen
von Mallorca aus gestartet. Am 16. April 1342 stellt
Roger de Rovenach, Stellvertreter des mallorkinischen Königs
Jaume III., zwei Dokumente aus, in denen der Mallorkiner
Francesc Desvalers und seine Geschäftspartner die Lizenz
erhalten, die "kürzlich entdeckten" ("noveylament trobades")
Inseln anzulaufen und "eine von den genannten Inseln oder irgendeine
Ortschaft oder befestigte Ansiedlung .... einzunehmen
und ihrem Lehnsherrn zu übereignen". Die kolonialistischen
Absichten Jaumes III. sind damit klar erkenntlich. Desvalers
wird dazu zum Kapitän ernannt, mh allen zivilen und gerichtlichen
Vollmachten. Eine ähnlich abgefaßte Konzession erhalten
der mallorkinische Kapitän Bernat Valls und sein Kompagnon
Guillem Safont (RUMEU DE ARMAS 1986). Beide Expeditionen
- zumindest jene mit Desvalers -verlassen noch im
April Palma de Mallorca und segeln Richtung Kanaren: Francesc
Desvalers mit den Koggen "Sta. Creu" und "Sta. Magdalena",
Bernat Valls mit der "Santa Barbara". Neben diesen offiziell
favorisierten Unternehmungen gab es noch zwei weitere,
mehr private Expeditionen, die ebenfalls im April eine Lizenz
für die Kanaren erhielten: die "Sant Joan" mit ihrem Eigner
Domingo Gual und ein Schiff unbekannten Namens mit seinem
Eigner Guillem Pere.
Der Verlauf der Reisen ist in allen vier Fällen weitgehend
unbekannt. Nur von der Fahrt des Francesc Desvalers wissen
wir, daß die Schiffe nach ca. fünfeinhalb Monaten zurückkehrten
und möglicherweise auch das marokkanische Festland gestreift
hatten (s.u.). Desvalers selbst verfaßte noch 1350 ein Testament
(ACPM). Aus einer Notariatsakte vom 26. Oktober 1342 geht
weiterhin hervor, daß einer der Mitfahrer von Desvalers, Pere
Magre (Eigner der Sta. Creu), verstorben war, ohne dem Matrosen
Guillem Jaffe den Lohn für die Kanarenfahrt ausgezahlt
zu haben (AHM). Diesen forderte er nun von den Erben ein.
Ob schon von diesen oder erst von den in den Jahren 1343-
88
1345 nachfolgenden Fahrten Sklaven mitgebracht wurden läßt
sich nicht genau rekonstruieren. Die mallorkinischen Archive
bieten jedenfalls zahlreiche Hinweise in diesem Zusammenhang.
Zum Personal der Familie Desvalers gehörte 1345 auch
ein Sklave von "Gutzola" (VICH & MUNTANER 1945: 207).
1345 war der "Barbier und Chirurgicus" Pedro Pujada Schiffsarzt
bei einer 6 Monate dauernden Expedition der Schiffsherren
Llorens Osset und Bernat Isern zu den "illes de Canaria e
Gutzola" (LLOMPART 1987: Dok. 2). Wenn man diese geographische
Angabe als "Inseln von Canaria und Inseln von Gutzola"
liest, dann wäre der Sklave der Familie Desvalers möglicherweise
kanarischen Ursprungs; andernfalls wäre es ein Berber
des Guezzoula-Stammes, der einen Küstenstreifen im Süden
Marokkos (gegenüber den Kanaren) bewohnte. Ein weiterer
kanarischer Gefangener taucht in einer polizeilichen Untersuchung
vom 3. August 1345 als Arbeiter des Mallorkiners Jaume
de Olesa auf (LLOMPART 1984: 390). Wie wir noch sehen werden,
waren dies nicht die einzigen Sklaven von den Inseln.
Weitere Informationen liefert uns eine Quelle, die in diesem
Zusammenhang etwas überrascht: Der Züricher Domherr Felix
Malleoli (1389 - ca.1460), besser bekannt unter seinem Pseudonym
HEMMERLIN, gibt in seinem Werk "De nobilitate et
rusticitate dialogus" ein fiktives Gespräch zwischen einem
Edelmann und einem Bauern wieder, dessen Inhalt in Wirklichkeit
der Bischof von Tortosa, Jaime de Arag6n, einem
Unbekannten mitgeteilt hatte. Da der Bischof bereits 1396 in
Valencia gestorben war, konnte Hemmerlin ihn nicht persönlich
gekannt haben. Es ist deshalb zu vermuten, daß seine Informationen
über die Kanaren-Fahrten, die er erwähnt, aus der
Feder eines unbekannten Schweizer Geistlichen stammen, der
das tatsächliche Gespräch mit dem Bischof führte.
Hier erfahren wir nun, daß ein Schiff des aragonesischen
Königs hartnäckig von Piraten verfolgt wurde und auf der Flucht
mehr zufällig die Kanaren entdeckte. Nach neun Tagen, in denen
89
sie ein stürmischer Ostwind vorantrieb, kam endlich die Sonne
wieder heivor und sie sichteten am Morgen des zehnten Tages
eine Insel mit spitzen Bergen (Gran Canaria). "Als sie sich ihr
nähern, erkennen sie in ungegerbte Tierhäute eingehüllte Männer
und Frauen, die wie Hunde bellen. Dies war jedoch ihre gemeinsame
Sprache, in der sie sich klar verständigen konnten.
Sie hatten im allgemeinen flache Gesichter, ähnlich den Affen."
(Diese Angaben sind typisch für die damalige ungenaue
Beobachtungsweise und die Überheblichkeit gegenüber dem
"Wilden". Die "flachen Gesichter" könnten allerdings auf einen
Cromagnon-Typus hinweisen.) Ohne genau zu wissen, was sie
tun sollten, umrundeten die Seeleute nun die Insel und lande·
ten schließlich entkräftet. Die Eingeborenen nahmen sie freundlich
auf und als man mittels Zeichensprache deutlich machte,
daß man Hunger habe, rückten sie freiwillig Ochsen (Falschangabe,
da Rindvieh unbekannt war), Schafe und Vögel (keine
domestizierten) heraus. Die Eingeborenen pflegten das Fleisch
roh zu essen ( definitiv nicht) und als sie sahen, wie die Fremdlinge
es über Feuer kochten, mit Salz würzten und aßen, wurden
sie neugierig. Sie bekamen etwas von dem Fleisch ab, das
ihnen sehr gut schmeckte und quittierten dies mit freudigen
Ausrufen (dies ist sicher eine phantasievolle Ausschmückung,
denn der Gebrauch des Salzes dürfte bekannt gewesen sein).
Nach einigen friedlich verlaufenen Tagen unternahmen
die Aragonesen eine Erkundungsfahrt zu den benachbarten drei
Inseln, bei der man sogar einige Eingeborene (als Fremdenführer)
mitnahm. Der Empfang auf diesen Inseln war ähnlich
freundlich, wie auf der ersten. Die Eingeborenen sprachen allerdings
einen anderen, deutlich von Insel zu Insel unterscheidbaren
Dialekt ( ein durchgängiges sprachliches Substrat ist aber
nach den Untersuchungen von DIAZ ALA YON / 1990 für alle
Inseln anzunehmen). Sie entdeckten dann auf einen Hinweis
der eingeborenen Führer hin im Westen noch eine fünfte Insel
(Gomera ?), deren Bewohner aber aufgrund ihrer Wildheit keine
90
Annäherung zuließen (RECCO sprach auch von fünf bewohnten
Inseln). Sie kehrten daraufhin zur ersten Insel zurück, wo
sie die Eßgewohnheiten der Eingeborenen beobachteten, aber
auch das freizügige Sexualverhalten: " ... Männer und Frauen vereinigten
sich in aller Öffentlichkeit" und die "Frauen waren
Allgemeingut". Hier könnte die Gastprostitution gemeint sein,
die nach GOMEZ ESCUDERO auf Gran Canaria üblich war
(siehe auch Kap. 16). Der von Hemmerlin berichtete ungenierte
Geschlechtsverkehr ist die einzige Schilderun&_ dieser Art und
es ist schwer zu beurteilen, ob dies eine reale Beobachtung oder
eine Übertreibung ist. Letzteres würde zu dem von Pseudo-Wissen
und Vorurteilen geprägten Bild passen, daß man sich zu jener
Zeit von heidnischen Völkern machte. Aufschlußreich sind
dagegegen die geographischen Kenntnisse der Eingeborenen,
die von interinsularen Kontakten zeugen.
Bemerkenswert sind auch die Informationen über die Abreise
der Aragonesen: Demnach wurden ihnen quasi als Unterpfand
eines Paktes oder der Vasallenschaft freiwillig einige Geisel
mitgegeben. Und als man versicherte, wiederkehren zu wollen,
schied man in bestem Einvernehmen. HEMMERLIN erwähnt
ergänzend, daß dieses glücklich verlaufene Unternehmen zu einer
weiteren Kanaren-Expedition der gleichen Personen angeregt
hätte. Gerade diese letzten Details deuten auf die Fahrten von
1343 und 1352 hin. Denn für 1351 sind auf Mallorca zwölf Frauen
und Männer von Gran Canaria dokumentarisch nachgewiesen,
die christianisiert waren, katalanisch sprechen gelernt hatten
und als ortskundige Unterstützung für die Missionare der großen
Expedition von 1352 vorgesehen waren (RUMEU DE ARMAS
1986; s.u. ). Aus einer amtlichen Untersuchung des 15. Jhs.
(PEREZ DE CABITOS 1477 / 1901: 184) wissen wir außerdem,
daß die Geiselmitgabe z.B. auf Tenerife durchaus Usus
war. Die Seeleute aus Mallorca, dessen Übernahme durch den
aragonesischen König Pedro IV. damals kurz bevorstand, konnten
für spätere Chronisten auch als Aragonesen gelten.
91
Einige Analytiker des Hemmerlin-Textes geben zu Bedenken,
daß die hier beschriebene Fahrt zu den Kanaren rein zufällig
und ungewollt war. Sie stützen sich dabei auf eine Text~
stelle, in der es heißt: "Ohne Hoffnung und gegen ihren Willen
stürzten sie sich mit.vollen Segeln in die Unermeßlichkeit des
Ozeans." Dies könnte sich meines Erachtens auch auf die Verfolgung
durch die Piraten und auf den Sturm beziehen, die sie
von ihrer ursprünglich geplanten Route abbrachten. Hinzu kommt
die Orientierungslosigkeit durch schlechte Sicht und sonnenlosen
Himmel. Die Expedition von 1343 kann jedenfalls als geplant
eingestuft werden.
Hier die Fakten: Es gibt einen Hinweis auf einen "Jaume
Olzina" aus Pollensa (Mallorca), einen entfernten Vorfahren
des späteren Bischofs von Gran Canaria gleichen N arnens ( >
Kap. 20); ersterer soll 1343 auf den Kanaren gestorben sein
(ROTGER 1897). Die erwähnte Rückkehr der Aragonesen läßt
sich mit der Fahrt von 1352 in Verbindung bringen, bei der ein
gewisser Guillem Fusser einer der Lizenzempfänger war. Ein
Mann gleichen Namens wird in den Akten einer gerichtlichen
Untersuchung vom September 1343 erwähnt, nach der ein Geistlicher
aus lnca (Mallorca) mit ihm zusammen an einer Kanaren-
Expedition teilgenommen hatte und nach dieser Fahrt im
Roussillon (Südfrankreich) unterwegs war, wo er beraubt wurde
(LLOMPART 1984: 386). Dieser Seereise kann man auch
das kanarische Sklavenpaar zuordnen, von dem der mallorkinische
Händler Francesc des Portells am 17. Dezember 1343
eine Frau mit dem christlichen Taufnamen "Joana" an Pedro
IV. von Arag6n verkaufte (LLOMPART 1987: Dok.1). Aus dem
Dokument geht weiterhin hervor, daß Jaurne III. von Mallorca
diese Fahrt autorisiert hatte.
10. Luis de la Cerda, erster "Fürst" aller Kanaren
Die Kunde von den neu entdeckten Inseln wurde natür-
92
lieh auch in klerikalen Kreisen mit großem Interesse auf genommen.
Besonders die päpstliche Kurie mußte hier ein vielversprechendes
Betätigungsfeld gesehen haben, in dem es galt,
frühzeitig kirchlichen Einfluß zu verankern und diesen durch
geographisch-politische Maßnahmen abzusichern. So erließ Papst
Clemens VI. am 15. November 1344 in Avignon die Bulle 'Tuae
devotionis sinceritas" (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/11: 943ff),
in der er Don Luis de la Cerda unter der Oberherrschaft des
Papstes als "Principe de Ja Fortuna" einsetzt. Merkwürdigerweise
werden in der Bulle nur elf Inseln aufgezählt und dazu
noch in einer konfusen Benennung, die die Reisen von Malocello,
Recco und Desvalers sowie die Seekarte von Dulcert ignoriert
und weitgehend eine Adaption der von Plinius aufgeführten Namen
darstellt: Canaria, Ningaria, Pluviana, Capraria, lunonia,
Embronea, Athlantia, Hesperidum, Cernent, Gorgones und
Goleta. Letztere sollte merkwürdigerweise noch im Mittelmeer
liegen (gemeint war die Insel La Galite vor der tunesischen Küste).
Diese Konzession gab Clemens VI. nur wenig später in
Briefen vom 11. Dezember (Dok. DEPREZ 1925: Nr. 1316 /
1317) an die Könige von Kastilien, Arag6n und Portugal bekannt
und bat gleichzeitig um Unterstützung (Erlaubnis für das
Chartern von Schiffen, den Kauf von Lebensmittel und die
Anwerbung von Soldaten) für den geplanten Kreuzzug des Don
Luis zu den Insulae Fortunatae. Ähnliche Briefe (Dok. DEPREZ
1925: Nr. 1314 / 1315 / 1348 / 1349) gingen am 23. Dezember
an die Herrscher von Frankreich, Neapel, Genua und der
Dauphine. Der erste dieser Briefe löste lebhaften Protest aus:
vom portugiesischen König Afonso IV., der auf seine Rechte
durch die Expedition von Angiolino del Tegghia verwies (Dok.
VIERA Y CLA VIJO 1982/11: 949), und vom kastilischen König
Alfonso XI., der seine ererbten Rechte gefährdet sah und von
den afrikanischen Eroberungen seiner Vorfahren schrieb (Dok.
VIERA Y CLAVIJO 1982/11: 951). Beide Monarchen erkannten
aber schließlich widerwillig den päpstlichen Erlaß zugun-
93
sten Luis de la Cerdas an, ohne konkrete Hilfe anzubieten. Die
Diskussion über die Besitzrechte war damit aber noch nicht
abgeschlossen, sondern sollte in den kommenden Jahrzehnten
verstärkt entbrennen.
Noch am 28. November 1344 (Dok. VIERA Y CLA VIJO
1982/11: 947) gelobte Luis de la Cerda, genannt Luis de Espafia,
Infant von Kastilien, dem Papst treue Vasallenschaft und
erhielt darauf aus den Händen des Pontifex Krone und Szepter
als Zeichen seiner neuen Würde. Die Person des Don Luis ist
uns recht gut bekannt: Er war Urenkel Alfonso X. von Kastilien
bzw. der vierte Sohn des Alfonso de la Cerda und wurde
während dessen Exil in Frankreich geboren. Erwuchs in Spanien
auf, wo er 1306 in erster Ehe Dofia Leonor de Guzman
heiratete (nach ihrem Tod vermählte er sich mit Guiote d'Uzes).
Wieder in Frankreich, erwarb er sich im Dienste Philippes
IV. große Anerkennung und wurde daraufhin mit einigen
französischen Ortschaften belehnt, darunter Talmont-sur-Gironde,
nach dem er sich gerne Comte de Talmont nannte. 1340
wurde er zum französischen Admiral ernannt und nahm als solcher
an den Kämpfen gegen die Engländer teil. 1344 war Don Luis
einer der französischen Botschafter am päpstlichen Hof in Avignon.
In dieser Eigenschaft hatte er direkten Kontakt zu Clemens VI.,
den er von seinen Plänen in bezug auf die Kanarischen Inseln -
ausgelöst durch seinen Wunsch nach einer eigenen Krone, die
ihm durch die Enterbung seines Vaters verwehrt geblieben war
- überzeugen konnte.
Im Besitz seines neuen Titels nahm er Verhandlungen mit
dem Dauphin des Viennois, Humbert III., auf und schloß mit
ihm Januar 1345 einen Vertrag (V ALBONNAIS 1722, I: 334,
II: 502) über die Bereitstellung von 18 Schiffen ab. Warum er
für die Ausrüstung seiner Expedition zusätzlich den König von
Arag6n ansprach, können wir nur vermuten: Schon die Vorbereitungen
für den Bau einer Flotte dürften dem ungeduldigen
Don Luis zu lange gedauert haben. Sicher sah er Pedro IV., der
94
aufgrund seiner politischen Interessenlage freigiebiger als die
Monarchen von Portugal und Kastilien sein mochte und dazu
über Schiffe und mallorkinische Seeleute mit Kanaren-Erf ahrungverfügte,
als noch besseren Partner für seine Pläne an. Nach
Vorgesprächen, die der Erzbischof von Neopatria, Jacobus de
Patrajik, und der Edelmann Rodolfo de Lofeira im Namen Don
Luis' führten, fand im August 1346 in dem katalanischen Kloster
Poblet ein Treffen zwischen den beiden statt. Man diskutierte
die Modalitäten einer Zusammenarbeit und Pedro IV.
war mit großem Interesse bereit, logistische und materielle Hilfe
zu leisten und darüberhinaus die Werbetrommel für das Unternehmen
zu rühren. Er stellte drei Schiffe bereit und erlaubte
eine weitgehende Versorgung mit Kriegsgerät und Lebensmitteln
innerhalb seiner Länder, einschließlich des damals katalanischen
Sardinien. Seine Untertanen in Mallorca forderte
er sogar auf, einige der kanarischen Sklaven an Don Luis zu
verkaufen und keine weiteren Raubzüge zu den Inseln zu unternehmen,
ohne dessen Erlaubnis einzuholen (Dok. ACA /
VINCKE 1961: Nr.9).
Zur tatsächlichen Durchführung der Eroberungsfahrt mit
den in Barcelona bereit liegenden Schiffen kam es jedoch nicht.
Genua verstand sich aufgrund der Unternehmung Malocellos
als alleiniger Souverän der Kanarischen Inseln und erinnerte
Pedro IV. an einen gemeinsamen Vertrag, nach dem jeder
aragonesische Hafen, von dem ein Schiff zum Nachteil Genuas
auslaufen würde, mit einer Konventionalstrafe von 50.000 Florinen
zu rechnen habe. Pedro IV. konfrontierte Don Luis daraufhin
im November 1346 mit der Alternative, entweder das Strafgeld
zur Verfügung zu stellen oder aber auf der Basis eines eigenen
Schiffes die Ausrüstung der Expedition in einem ausländischen
Hafen und ohne aragonesische Seeleute fortzusetzen. Luis
entschloß sich aber, trotz aller zu erwartenden Gegenaktionen
der Genuesen, im Januar 1347 auszulaufen. Pedro IV. sah sich
nun genötigt, in Briefen vom 19. und 20. Januar 1347 die Be-
95
hörden von Barcelona anzuweisen, unter allen Umständen ein
Auslaufen zu verhindern (Dok. ACA / VINCKE 1961: Nr. 16/
17). Und als Luis de Espafia ca. zwei Jahre später starb, löste
sich das Principado de la Fortuna in Luft auf. In seinem Testament
vom 30. Juni 1348 vermachte er seine nur auf dem Papier
bestandenen Rechte über die Kanaren zu drei Vierteln seinem
Erstgeborenen, der ebenfalls Luis de Espafia hieß (Dok. PAZ
Y MELIA 1915). Der Rest fiel an einen natürlichen Sohn namens
Juan de Ja Cerda. Dies führte aber zu keinerlei Aktivitäten, weder
durch die Erben noch durch das Haus Medinaceli, auf das die
Rechte später übergingen.
Es seien an dieser Stelle ergänzend einige sehr zweifelhafte
Berichte aufgeführt, wonach Schiffe des Don Luis doch
Kontakt mit den Kanaren gehabt haben sollen. Der erste stammt
von LOPEZ DE GOMARA (1552), der von Schiffen des Luis
de la Cerda erzählt, die mit mallorkinischer Be-satzung Gran
Canaria erreicht hätten. Schon Leonardo TORRIANI (1590)
spricht bei dieser Geschichte, die auch von ABREU GALINDO
(1602) und späteren Chronisten erwähnt wird, von Vermutungen.
ABREU GALINDO räumt allerdings ein, daß die Schiffe
auch jemand anderer als Luis de la Cerda geschickt haben könnte.
Heute nimmt man an, daß diese Geschichte, die z.B. von ABREU
GALINDO recht ausführlich erzählt wird, eine Komprimierung
aus Berichten von verschiedenen Fahrten ist, die sich in der
Tradition der europäischen Seefahrer jener Zeit erhalten hatten.
Die Jahreszahl "1344", die teilweise genannt wird, ist sicher
eine Erfindung oder Verwechslung, denn sie liegt ein Jahr
vor den ersten Verhandlungen, die Don Luis über die Zusammenstellung
einer Flotte führte. Die Erzählung dürfte jedoch
im Kern einiges Authentisches enthalten, das sich aber nur
stückweise einzelnen Expeditionen zuordnen läßt (siehe die
Ausführungen zu den Fahrten von 1352 und 1386 in Kapitel 13
bzw. 18). Eine Bericht mit ähnlichem Inhalt wird auch für das
Jahr 1360überliefert (SEDENO ca. 1507 / CASTILLO 1737).
96
Eine weitere, sehr konstruiert wirkende Geschichte präsentiert
Girolamo BENZONI (1572, Kapitel "Breve discorso
di alcune cose notabile delle Isole Canaria"), nach der Luis de
la Cerda 1334 (sie) sogar persönlich an einer Expedition teilgenommen
habe, die in unglückliche Kämpfe mit Gomerern
verwickelt worden sein soll. Und schließlich erfahren wir von
dem bereits zitierten OSUNA Y SA VINON, daß Don Luis 1345
von Cadiz aus mit drei mallorkinischen Schiffen in Richtung
Kanaren abgesegelt sei. Aber nur das Schiff eines gewissen Alvaro
Guerra habe ( ohne Don Luis) das Ziel erreicht. Guerra hätte
im Namen Luis de la Cerdas Lanzarote erobert, sei aber, nachdem
Probleme mit den Eingeborenen und mit der Versorgung
auftauchten, wieder abgereist. BONNET REVERON (1945b)
hat diese Geschichte als reine Erfindung entlarvt. Auch TORRIANI
wartet mit einer Variante auf, wonach die Flotte des
Principe de la Fortuna ohne ihn die spanische Küste unter einem
von ihm eingesetzten Hauptmann verlassen habe. Nach Passieren
der Straße von Gibraltar seien die Schiffe verschollen
"oder mit großem Schaden, ohne etwas erreicht zu haben, zurückgekehrt".
11. Die Afrikafahrt des J aume Ferrer
Die Karten des Cresques Abraham ( 1375 / > Kapitel 22)
und des (Simon) Mecia de Viladestes (1413), sowie das "Itinerarium
U susmaris" ( > Kapitel 5) berichten uns von einer weiteren
frühen Afrikafahrt eines Mallorkiners. In dem Begleittext
der Karten heißt es: "Das Schiff des Jacme (Jaume) Ferrer
brach am Tag des Hlgn. Lorenz, dem 10. August 1346, auf, um
nach dem Rio de Oro zu reisen". Mit "Rio de Oro" ist hier der
Fluß Senegal (PEREZ EMBID 1948: 105) oder der Wadi Draa
(HENNIG 1953: 286) gemeint und nicht das heutige Küstengebiet
gleichen Namens. Leider wissen wir nichts über die Rückkehr
des Jaume Ferrer und so existieren auch keine Informa-
97
tionen über den Reiseverlauf. Auch amtliche Dokumente liegen
nicht vor, da die Jahrgänge 1345-1348 des "Extracci6 d'oficis"
in den mallorkinischen Archiven fehlen.
Lediglich eine Textstelle bei MARIN DE CUBAS (1694/
1986: 277) könnte mit Jaume Ferrer in Verbindung gebracht
werden. Dort lesen wir, daß 134 7 Aragonesen bei Adeje auf Tenerif
e landeten und von dem König "Betzenuriga" aufgesucht wurden.
Nachdem aber ernsthafte Spannungen auftraten, zogen es die
Aragonesen vor, abzusegeln, um nicht das Leben zu riskieren;
vielleicht hatten sie versucht den König und sein Volk von ihrem
Gott"Jucanche" abzubringen, was zu Streitigkeiten führte.
Über die Person des J aume F errer ist wenig bekannt. Aus
einem Empfehlungsbrief, den der Gouverneur von Mallorca,
Arnau d'Erill, am 17. September 1343 an den aragonesischen
Vizeadmiral Mateu Mercer schrieb, geht hervor, daß sich Jaume
Ferrer mit eigenem Schiff auf eine Handelsfahrt nach Flandern
begeben hatte (Llompart 1984: Dok.2). Seine Af rika-Expedition
war also nicht die erste Fahrt jenseits von Gibraltar.
Wie im Fall der Gebrüder Vivaldi, so ist auch bei der
Zielsetzung des Jaume Ferrer eine Berührung der Kanarischen
Inseln nicht auszuschließen bzw. sogar wahrscheinlich. Auf der
Karte des Cresques Abraham ist über dem Schiff des Jaume
FerrerTenerife mit dem Teide eingezeichnet (siehe Almogaren-
Titel), in dessen Umfeld nach den Überlieferungen 1341
( > Kapitel 8) und 1393 ( > Kapitel 20) Vulkanausbrüche stattfanden,
die allerdings von den Geologen bis jetzt nicht lokalisiert
werden konnten. Diese Naturereignisse wurden von den
Seeleuten und Kartographen jener Zeit zum Anlaß genommen,
Tenerife "lnsula del Infierno" (Hölleninsel) zu nennen.
12. Das "Libro del Conoscimiento" und die Namen der Kanarischen
Inseln
Das "Libro del Conoscimiento de todos los reinos e tier-
98
rase sefiorios que son por el mundo" wurde 1349 /50 von einem
unbekannten Franziskaner-Mönch in Sevilla geschrieben. Bis
zum 19. Jh., als drei Codices des Manuskripts in Kopien des
späten 15. Jhs. in der Nationalbibliothek von Madrid, in der
Biblioteca del Palacio Real und in der Privatbibliothek Estebanez
Calder6n entdeckt wurden, war der Text nur teilweise
durch eine längere Zitierung im Canarien (15. Jh.) bekannt.
Ein fünfter Text mit Anmerkungen von Jer6nimo de ZURITA
ist nur als bibliographischer Hinweis überliefert (BONNET
REVERON 1944a). Erst 1877 erfolgte der Erstdruck in einer
Ausgabe von Marcos JIMENEZ DE LA ESPADA ( > ANONYMUS
1350). 1912 folgte eine englische Übersetzung der
Madrider Ausgabe von Sir Clements MARKHAM.
Das Buch besteht aus geographischen Notizen, eingebettet
in eine fiktive Reisebeschreibung. Daß der Autor offenbar
das Kartenmaterial seiner Zeit als Vorlage benutzte, um exotische
Reisen zu erfinden, veranlaßte einige Kritiker dazu, den
Inhalt insgesamt als phantastisch abzutun. Dies wird dem Buch
nicht gerecht, das bei allem Fabulieren auch interessante Informationen
enthält, die zum Teil, wie es scheint, auf Hörensagen
und persönlichem Erleben basieren. Dem Libro de! Conoscimiento
kommt damit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung
zu.
Das Erstaunliche in bezug auf die Kanaren ist die Exaktheit,
mit der der Franziskaner-Autor die Inseln aufzählt und
benennt. Woher hatte er seine Kenntnisse? Waren es maurische
Quellen, zu denen sein Orden aufgrund der Missionarstätigkeit
in Marokko gute Verbindungen haben konnte? Waren
es Informationen aus erster Harid von Expeditionsteilnehmern
selbst? Oder hat er die Inseln persönlich besucht, wie er bei
einigen Textstellen vorzugeben versucht? Er nennt die Inselgruppe
"Islas de la Caridat", offenbar eine Ableitung des Wortes
"Al-Djazair-al-Chalidat" (Ewige Inseln) aus dem Almagest
des Ptolemäus (2. Jh~):
99
GRESA - eine Verstümmelung von italienisch "Graziosa" (unter
den Spaniern dann "Graciosa");
LAN<;AROTE - Kastilianisierung von (Insula de) Lanzarotus
(Marocelus) der Karte von Dulcert;
UEGIMAR - das "vegi mari" der Karte von Dulcert, also Lobos
(zur Schreibweise siehe Kapitel 22);
RACHAN - Verschreibung von italienisch "roccia", dem "rocha"
späterer katalanischer Karten ( = Roque del Este);
ALEGRAN<;A- hier wird deutlich, daß TORRIANI irrt, wenn
er schreibt, daß Graciosa und Alegranza von Bethencourt benannt
worden seien; eher kommen die Gebr. Vivaldi in Betracht, deren
Schiff ''Allegranza" Kontakt mit den Kanaren gehabt haben konnte
( > Kapitel 5);
BEZIMARIN - eine Doppelnennung von Lobos (s.o.);
FORTEVENTURA - eine Ableitung aus französisch "fort
aventure" = "starkes Abenteuer" im Zusammenhang mit der
Eroberung Fuerteventuras durch Bethencourt im 15. Jh. entfällt
damit; eher scheint ein "großes Glück" oder ein "großer
Zufall" italienischen Ursprungs zuzutreffen;
CANARIA - "lnsula Canaria" für Gran Canaria stammt von Juba
II. ( > Kapitel 1);
TENEREFIZ- der Name "Tenerife" (Schnee-Berg) stammt von
den Eingeborenen der Nachbarinsel La Palma;
GOMERA - das "Gommaria" des Dulcert; der Name stammt
von den Eingeborenen (und wird von kanarischen Anhängern
der Berber-Theorie gerne mit einem Stamm der Rif-Berber in
Verbindung gebracht);
FERO - Hierro (Ableitung von dem eingeborenen Insel-Namen
"E~ero");
ARAGAUIA-vermutlich La Palma (das Wort klingt an den
altkanarischen Namen "auarita" oder "aguarita" der Eingeborenen
dieser Insel an).
Diese Aufzählung ist in vieler Hinsicht bemerkenswert:
Der Franziskaner führt zum erstenmal in der Literaturgeschich-
100
Abb. 4 Phantasiefigur
eines einbeinigen Kanariers
aus dem "Libro de!
conoscimiento" (Anonymus,
Sevilla 1350)
te des Mittelalters nahezu alle der dreizehn Kanarischen Inseln
auf, und zwar mit erstaunlichen Detailkenntnissen in der
Nomenklatur und mit einer weitgehend richtigen Reihenfolge
von Ost nach West. Wenn es stimmt, daß er die Redaktion seines
Textes bis Anfang 1350 abgeschlossen hatte, dann kann er
seine Kenntnisse nicht aus dem medizeisch-laurentianischen
Portolan von 1351 bezogen haben, in dem erstmals alle Inseln
dargestellt werden; aber Tenerife - wie noch weitere zweihundert
Jahre in vielen der nachfolgenden Karten - als "lnsula de
Infierno" und die anderen Inseln teilweise mit italienischen
Phantasienamen. Dies führte den spanischen Autoren BONNET
REVERON (1944a, 1945a) zu der Annahme, daß im Umfeld
der mallorkinischen Kartographenschule eine heute verschollene
Karte existierte, die zwischen der Weltkarte des Angelino
Dulcert (1339) und dem Atlas des Cresques Abraham (1375)
anzusiedeln ist. Der Autor des Libro del Conoscimiento könnte
diese Karte oder deren Inhalt gekannt haben.
Wir können hier ergänzen, daß es sich auch um eine originär
italienische Karte gehandelt haben konnte. Als Urheber
der Namen bieten sich vorzugsweise Lancelotto Malocello und
seine Begleiter an, die sich lange genug auf den Inseln aufhielten,
und zum Teil auch die Vivaldis ( > Kapitel 5) und Niccoloso
da Recco, der ja 1341, also zu Lebzeiten unseres Mönches,
in dessen Heimatort Sevilla seine Erlebnisse berichtete. Rec-
101
co hat offenbar La Palma und Tenerife nicht betreten, dafür
kann er aber als Informant über die restlichen kanarischen Inseln
und den madeirischen Archipel in Frage kommen ( > Kapitel
8). Einen Italiener als Namensgeber bzw. Namensübermittler
anzunehmen, wird auch durch die italienische Schreibweise einiger
der Inselnamen unterstützt. Die restlichen Namen hatte der
Franziskaner kastilianisiert bzw. weitgehend original - im Fall
der schon altkanarisch vorliegenden Namen - übernommen.
Katalanische Namensgeber, etwa Teilnehmer der ersten Expeditionen
von 1342-45, kommen damit kaum in Betracht.
Dafür, daß der Mönch die Inseln nicht persönlich erlebte,
spricht ein Fehler, den er sich bei der Aufzählung der Inseln
geleistet hat: Neben ''Tenerefiz" erwähnt er als weitere Insel
eine "Isla del Infierno". Hat er bei dieser Doppelnennung, die
sich auch bei Lobos wiederholt, Kartenkenntnisse und mündliche
Informationen durcheinander gebracht? Eine andere
Unmöglichkeit ist die Darstellung eines einbeinigen Kanariers,
was ebenfalls nicht von realen Ortskenntnissen zeugt. Eines steht
jedoch fest: Bis auf Mfia. Clara, Lobos und den Roque de] Oeste
(oder Roque del Infierno) standen die Inselnamen bereits in
der ersten Hälfte des 14. Jhs. mit ihrer nahezu endgültigen
Schreibweise fest ! "liparme" als Verschreibung von "li paJrne"
taucht schon 1351 auf <lern rnedizeischen Portolan auf, so daß
auch der Name La Palrnas italienische Urheber haben dürfte.
Wer aber jeweils der tatsächliche Namensgeber war, soweit sich
das überhaupt auf einzelne Personen reduzieren läßt, wird wohl
immer im Dunkel der Vergangenheit bleiben.
13. Telde, das erste Bistum der Kanarischen Inseln
Das kulture11e Klima, das in der Mitte des 14. Jhs. Mallorca
beherrschte, war eindeutig von Ideengut geprägt, das der
bedeutende mallorkinische Wissenschaftler, Denker und Missionar
Rarnon Llull (1234-1315), als Erbe hinterlassen hatte.
102
Es hatte sich vor allem ein religiöser Eifer herangebildet, der
die friedliche Verbreitung des Evangeliums bei den benachbarten
heidnischen Völkern des westlichen Mittelmeerraumes
und der Kanarischen Inseln zum Ziel hatte. So verwundert es
nicht, daß 12 Eingeborene von Gran Canaria, die vermutlich
von der Fahrt von 1343 stammten, nach ihrer Taufe freigelassen
wurden und eine Ausbildung genossen, die sie zu Mittlern
zwischen mallorkinischen Missionaren und den ehemaligen Stammesgenossen
machen sollte. Um das Vorhaben, das von Anfang
an unter der Schirmherrschaft von Pedro IV. stand, Realität
werden zu lassen, mußten nur noch potente Kaufleute oder
Reeder gefunden werden, deren merkantiles Interesse mit religiösem
Sendungsbewußtsein gekoppelt werden konnte, und
schließlich war auch noch der Segen des Papstes einzuholen.
In Joan Doria und Jaume Segarra waren schnell zwei risikofreudige
mallorkinische Händler gefunden, die das Unternehmen
finanzieren wollten und auch zuversichtlich waren, weitere
Teilnehmer dafür zu gewinnen. In der Bulle "Dum diligenter",
die Clemens VI. am 15. Mai 1351 in Villeneuve-les-Avignon
herausgab (Dok. RUMEU DEARMAS 1986: 170f), werden
die beiden in ihrer Funktion als Organisatoren des Kreuzzuges
bestätigt und dieser mit außerordentlichem Ablaß versehen.
Das wichtigste an diesem Text ist jedoch, daß er in eindeutiger
Weise das Vorhaben umreißt. Doria und Segarra versprechen,
mit dreißig weiteren gottesfürchtigen Männern Gran
Canaria und seine Nachbarinseln zum Zweck der Missionierung
aufzusuchen. Als katholisch vorgebildete Dolmetscher sollten
die bereits erwähnten ehemaligen Gefangenen von Gran Canaria
eingesetzt werden. Diese Insel bot sich aufgrund der
vorangegangenen Kontakte und der relativ hohen Bevölkerungsdichte
als aussichtsreichstes Betätigungsfeld an.
Sowohl Pedro IV. als auch Clemens VI. verfolgten das
Vorhaben mit größtem Interesse; der König von Arag6n aus
territorialen, politischen Gründen und der Papst, der als Bot-
103
schafter Gottes die Chance sah, die Völker einer ganzen Inselgruppe
dem wahren Glauben zuzuführen, mit nicht minder expansionistischen
Motiven. Daß Clemens VI. in größeren kirchenpolitischen
Dimensionen dachte, zeigt sich in seiner Bulle
"Celestis rex regum"vom 7. November 1351 (Dok. RUMEU DE
ARMAS 1986: 172ff). Darin gibt er die Errichtung einer Diözese
in den Insulae Fortunatae bekannt und ernennt als ihren
ersten Bischof den Karmeliter Fray Bernardo Font (geboren
1304 in Palma de Mallorca). Diesen beauftragt er, "eine Kirchengemeinde
zu gründen, darin eine Kathedrale zu bauen, und
den Ort, wo sie errichtet wird, Stadt zu nennen".
Diese für die Geschichte der Kanaren außerordentlich
wichtige Bulle wird komplett erstmals von dem spanischen
Karmeliter Jose Alberto XIMENEZ veröffentlicht (Bullarium
Carmelitanum t.111, Roma 1768: 71f), ohne daß dies einen Einfluß
auf die spanische Geschichtsschreibung des nachfolgenden Jahrhunderts
gehabt hätte. Kurz darauf ( 1772-1783) erscheinen die
"N oticias de la Historia general de las Islas de Canaria" des
kanarischen Chronisten Jose de VIERA Y CLA VIJO. Er ist
der erste, der Fray Bernardo richtigerweise als ersten Bischof
der Kanaren benennt. Seine Kenntnis darüber bezog er aus einem
persönlichen Erlebnis in Wien. VIERA Y CLA VIJO hielt sich
Anfang 1781 in der Donaumetropole auf, wo er den Monsignore
Giuseppe Garampi, apostolischer Nuntius am österreichischen
Hof, kennenlernte. Dieser übergab ihm eine Notiz, in der
er von einem Dokument berichtete, das in der Benediktinerabtei
von Melk (Niederösterreich) aufbewahrt würde. Darin sei
von einem "Frater Bernardus insularum Fortuniae episcopus"
die Rede, der zusammen mit anderen Bischöfen am 8. Mai 1353
in Avignon einen Ablaß für die Kirche des besagten Klosters
gewährt habe. Auch für VIERA bezog sich diese Information
auf die Diözese Rubic6n auf Lanzarote (errichtet 1404 durch
Papst Benedikt XIII.), die in vielen Chroniken fälschlicherweise
als der erste Bischofssitz der Kanaren angesehen wurde.
104
Die das Bistum Telde auf Gran Canaria betreff enden
päpstlichen Bullen waren zwar teilweise schon bekannt (z.B.
Lucas WADDING: Annales Minorum t.IV, Lyon 1637 im Fall
der Bulle vom 2. Juli 1369), wurden aber nicht mit den Kanaren
in Verbindung gebracht. Auch GAMS (1873: 474) erwähnt
in seiner berühmten Bischofsliste für 1353 (VIERA Y CLA VIJOfolgend)
einen Frater Bernardus als Bischof "pro insulis Fortunatorum",
aber nicht für Telde. Wenig später (1876) bezeichnete
GAMS den "Bruder Bernardus" sogar als einzigen kanarischen
Bischof vor 1406. Der erste moderne Historiker, der die
Bedeutung der Bulle "Celestis rex regum"vom 7. November 1351
richtig erkannte, aber immer noch nicht Gran Canaria zuordnete,
war der deutsche Franziskaner Conrad EUBEL ( 1892).
Der von Joan Doria und Jaume Segarra geplante Kanaren-
Kreuzzug nahm konkrete Formen an, als Guillen de Llagostera,
Stellvertreter des aragonesischen Gouverneurs auf
Mallorca, am 14. Mai 1352 einen Arnau Roger zum Kapitän
der Expeditionsflotte ernannte, die die Heiden "auf den rechten
Glauben zurückführen" sollte (Dok. RUMEU DEARMAS
1986: 176f). Weiterhin geht aus dem Dokument hervor, daß sich
die Lizenznehmer Joan Doria, Jaume Segarra und Guillem Fusser
(war dies jener Guillem Fusser, der bereits die Expedition von
1343 mitgemacht hatte?; > Kapitel 9) der Weisheit und der
Vernunft des Arnau Roger anvertrauen sollten und daß sie alle
"adquirierten" Inseln als Lehen des Königs von Arag6n erhal ten
würden. Daß Pedro IV. damit neben dem Seelenheil der
Eingeborenen auch handfeste kolonialistische Absichten verfolgte,
ist offenkundig.
Die Expedition wurde wohl kurz darauf durchgeführt, aber
ihr Verlauf kann nur bruchstückhaft rekonstruiert werden. Die
beiden Schiffe landeten gemäß den Überlieferungen (nach einem
Zwischenstop auf Lanzarote/ MARIN DE CUBAS, 1986: 61)
im Osten Gran Canarias, in der Bucht von Melenara (bei Telde)
oder Gando. Es-entwickelte sich ein friedliches Nebenein-
105
ander, bei dem die mallorkinischen Missionare und ihre mitgebrachten
kanarischen Helfer bei der Verbreitung des Evangeliums
einige bescheidene Erfolge verbuchen konnten. In diese
Zeit fällt vermutlich auch die Errichtung des ersten christlichen
Gotteshauses, der "Casa de Oraci6n" (almogaren bei den Eingeborenen)
für den 'Dios del Cielo" (Himmelsgott). Es ist weiterhin
anzunehmen, daß zum Zwecke des Handels mit den Eingeborenen
und der Berichterstattung über den Fortgang der Mission
weitere Fahrten zwischen Mallorca und Gran Canaria
stattfanden.
Bei diesen Fahrten ( oder auch schon bei der von 1352,
denn in der Konzession von Pedro IV. ist auch von den Familien
der Lizenznehmer die Rede) sind wohl auch jene ersten
mallorkinischen Siedler auf die Insel gekommen, von denen es
in den alten Chroniken heißt, sie hätten freundschaftlich mit
den Eingeborenen gelebt, hätten Land und Vieh zugewiesen
bekommen und seien mit den kanarischen Frauen Ehen eingegangen.
Dabei sollen die Mallorkiner den Eingeborenen auch
einiges beigebracht haben, so z.B. den Hausbau und die Anpflanzung
von Feigenbäumen. KUNKEL (1987: 47)vermutet
allerdings, daß der Feigenbaum schon mit den Eingeborenen
auf die Inseln kam und für Gran Canaria ( > Kap.8) und Tenerife
ist er tatsächlich schon für die Zeit vor der Conquista nachgewiesen.
Ob Bischof Bernardus die Insel jemals selbst betreten hat,
geht aus den überlieferten Unterlagen nicht hervor, obwohl dies
bei der Wichtigkeit seiner Person und seines Auftrages anzunehmen
wäre. Manches deutet daraufhin, daß er in Telde keine
"Kathedrale" konsekrierte, wie es sein Auftrag gewesen war.
Vielmehr wurde er 1354 zum Bischof von Santa Giusta auf
Sardinien ernannt. Unverständlich ist, wieso der Papst - inzwischen
war es Innozenz VI. - das kanarische Bistum von 1354 bis
zur Ernennung des zweiten Bischofs der Insulae Fortunatae sieben
Jahre lang unbesetzt ließ. Erst am 2. März 1361 ernannte In-
106
nozenz VI. einen Prädikanten-Mönch (Dominikaner) namens
Fray Bartolome zum Nachfolgervon Bernardo Font (Dok. RUM
EU DE ARMAS 1986: 181ff). Bischof Bartolorne starb al lerdings
uneiwartet ca. anderthalb Jahre nach seiner Ernennung,
worauf der bischöfliche Stuhl auf Gran Canaria weitere
siebeneinhalb Jahre vakant bleiben sollte.
14. Die militärische Intervention von 1366
Anfang 1366 müssen Umstände eingetreten sein, die Pedro
IV. von Arag6n dazu veranlaßten, eindeutige Schritte zur Sicherung
seines Besitzstandes über die Insulas de Canaria, wie
sie jetzt genannt wurden, zu unternehmen. Daß die Gründe dafür
z.B. in politischen Aktivitäten anderer Seemächte wie Genua
oder Kastilien gelegen haben mochten, können wir nur mutmaßen.
Jedenfalls stellte Pedro IV. am 26. Juni 1366 in Zaragoza
ein Dokument aus (RUMEU DE ARMAS 1986: 183f),
das einen Joan de Mora von Mallorca ermächtigte, sein Schiff
mit vorn König geliehenen Kriegsgerät auszurüsten und damit
gegen die "Kanarischen Inseln und andere Feinde"vorzugehen.
Ob diese Expedition tatsächlich in die kanarischen Gewässer
aufbrach, wissen wir nicht. Wenn ja, was aufgrund der Vorbereitungen
fast anzunehmen ist, dann erhebt sich die Frage über
den Erfolg der Unternehmung und die Rückkehr des Joan de
Mora. Letzteres könnte dann bejaht werden, denn es existieren
amtliche Unterlagen über ihn aus der Zeit von Oktober 1369
bis Februar 1382 (Archivo de la Corona de Arag6n / Maioricarum).
15. Die katalanische Mission von 1370
Mit der Bulle "Inter cetera" vom 2. Juli 1369 hatte Papst
Urban V. den Minoriten (Franziskaner) Bonanat Tari zum Bischof
von Telde ernannt (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 184f).
107
Bemerkenswert ist hier, daß der Papst erstmals den Namen des
Ortes auf Gran Canaria nennt, an dem der Bischof seinen Sitz
haben sollte. Offenbar mußte sich in Telde - ob mit oder ohne
Zutun der beiden Vorgänger von Bischof Tari - der Kern einer
aus Mallorkinern gebildeten Gemeinde entwickelt haben, die
im sprachlichen Umgang jener Zeit mit diesem von den Eingeborenen
stammenden Ortsnamen benannt wurde und deren
missionarisches Wirken nicht über Anfangserfolge hinausgegangen
war. Kenntnis darüber mußte sich bis zum Heiligen Stuhl
herumgesprochen haben. War dies der Grund für Urban V.,
nach langen Jahren wieder einen kanarischen Bischof einzusetzen
und die Missionierung voranzutreiben? Es scheint so,
denn in der Bulle "Ad hoc semper" vom 31. August 1369 (Dok.
RUMEU DE ARMAS 1986: 187f) beauftragt er - auf Betreiben
der beiden Barcelonesen Bertran de Marmando und Pedro
de Estrada - die Bischöfe von Tortosa und Barcelona, zehn
weltliche Kirchenleute und zwanzig Franziskaner nach Gran
Canaria zu schicken. Als Ausgangslage erwähnt er, was er von
Abb. 5 Die Bulle Urbans V. vom 17. Juli 1369, in.der er Fray Bonanat Tari
nochmals als Bischof der Kanarischen Inseln bestätigt (Archivo Vaticano)
108
den Inseln gehört hatte: Daß es "auf Gran Canaria und den
Nachbarinseln, genannt die Glücklichen, Menschen beiderlei
Geschlechts gebe, die nicht mehr Gesetz und Glaubenszugehörigkeit
besäßen, als die Anbetung der Sonne und des Mondes,
und daß es leicht sein müsse, diese zum christlichen Glauben
zu konvertieren". Und dies sollte in deren Sprache oder
mit Hilfe von Dolmetschern stattfinden!
Die Bischöfe Gurnen de Torelles (Barcelona) und Jaime
de Arag6n (Tortosa) scheinen diesen Auftrag durchgeführt zu
haben. Denn der bereits zitierte HEMMERLIN schreibt, daß
eine weitere, organisierte Missionsexpedition zu den Kanaren
aufgebrochen war. Die mitgenommenen Minoriten-Brüder hätten
das Evangelium verkündet und die ebenfalls mitgereisten Fachleute
für Landwirtschaft und Handwerk hätten den Eingeborenen
allerlei Fertigkeiten und das Lesen beigebracht. Die fünfte
Insel sei aufgrund ihrer wilden Bewohner davon ausgenommen
gewesen. Keiner der Eingeborenen hätte privaten Besitz
gehabt, sondern alles würde gemeinschaftlich besessen. Viel mehr
ist dem Text von Hemmerlin nicht zu entnehmen. Wie wir aber
aus Berichten der späteren kanarischen Chronisten wissen, haben
die Eingeborenen ihren eigenen Glauben nicht so einfach aufgegeben,
wodurch sich der Christianisierungsprozess sehr schleppend
gestaltete.
HEMMERLIN gibt (als Auskunft des "Bischofs von Tortosa")
die Jahreszahl 1370 schon für die erste Fahrt der Aragonesen
an und stellt obige Fahrt als besagte "Rückkehr der
Aragonesen" dar. Dabei hat offenbar er oder sein Informant -
aus der zeitlichen und räumlichen Entfernung erklärbar - die
Fahrten von 1342/43, 1352 und 1370 durcheinander gebracht.
Wie in Kapitel 9 ausgeführt, dürfte nach den Indizien die erste
Fahrt mit der Expeditionen von 1343 zu identifizieren sein und
die Rückkehr eher mit jener von 1352, so daß die hier geschilderte
Unternehmung die tatsächliche, 1370von Bischof Jaime
de Arag6n organisierte Fahrt ist.
109
16. Verstärkte Kontakte ab 1377 - die ersten Fahrten der
Kastilier
In den Zeitraum kurz nach der katalanischen Missionsfahrt
fällt eine weniger friedliche Kanaren-Expedition, von der
uns der tunesische Historiker IBN-KHALDUN (1332-1406)
berichtet. Demnach waren 1377 ''francos", womit die Araber damals
Aragonesen meinten, in einen Kampf mit Kanariern verwickelt,
bei dem sie einige von ihnen raubten und von diesen einen Teil
auf dem marokkanischen Markt als Sklaven verkauften. Dort
gingen sie dann in den Dienst des Sultans über und als sie Arabisch
sprechen konnten, hätten sie von ihren Inseln erzählt. Dabei
seien folgende Details genannt worden: Eisen war unbekannt;
zum Pflügen benutzten sie Tierhörner; die Hauptnahrungsmittel
waren Gerste, Milch und Ziegenfleisch; sie verteidigten sich
mit groben Schleuderwaffen; sie konnten segeln und sie beteten
die aufgehende Sonne an.
Unternehmungen dieser Art, die trotz aller missionarischen
Bemühungen von den aragonesischen Behörden geduldet
wurden, waren natürlich wenig dazu geeignet, die Botschaft
der Evangelisatoren zu unterstützen. Dies sollte sich in den
kommenden Jahren noch auf tragische Weise auswirken.
Ein ähnlich unerfreuliches Kapitel beginnt mit der Aussendung
der ersten Expeditionen von kastilischen Häfen aus,
die alleine zum Zweck des Raubes und Sklavenfangs durchgeführt
wurden. Die Kunde von den 9hne Schutz einer europäischen
Macht offenstehenden afrikanischen Gewässern mit ihren
beuteverheißenden Küsten und Inseln hatte sich natürlich auch
bis Andalusien herumgesprochen. Von dort wurden im letzten
Viertel des 14. Jhs. einige Unternehmungen gestartet, die den
Kanariern nur Verlust und Elend bringen sollten. Eine dieser
Fahrten beschreibt TORRIANI: 1377 (vielleicht eine Verwechslung
mit 1393) rüsteten sevillanische und baskische Unternehmer
einige Schiffe aus, um die marokkanische Küste auszuplün-
110
dem. Ein Sturm trieb sie aber nach Lanzarote, wo sie trotz des
Widerstandes der Bewohner einen Teil der Insel verwüsteten
und Männer und Frauen nach Spanien verschieppten. Ein solches
Beispiel schnell verdienten Geldes fand natürlich Nachahmer.
1387 tauchten z.B. in Valencia zwei getaufte kanarische
Gefangene auf, für deren Loskauf 20 Florinen festgesetzt waren
(AMV / Manuals de Consells).
Ebenfalls 1377 ("poco mas o menos") fand nach ABREU
GALINDO auf Lanzarote, dem Tyterogaka der Eingeborenen,
ein weniger gefährliches Ereignis statt. Der baskische Edelmann
Martin Ruiz de Avendafio segelte als Kapitän im Dienste Kastiliens
in den Gewässern zwischen England und Galizien, als
ein Sturm die unter seinem Kommando stehenden Schiffe nach
Lanzarote verschlug. Was wären die Chronisten ohne ihre
"Stürme"? Dieses Unwetter jedoch soll historisch belegbar sein
(AL V AREZ DELGADO 1957a). Avendafiowurde von den Eingeborenen
sehr freundlich empfangen, da er offenbar keine feindlichen
Absichten hegte. Sie bewirteten ihn mit Fleisch, Milch
und Käse. Er wurde auch zu König Zonzamas geführt, der ihn
in seinem "Palast" empfing, dessen Grundmauern heute noch
zu sehen sind. Nach der Überlieferung ging die Gastfreundschaft
des Königs soweit, daß er Avendafio die erotischen Dienste seiner
schönen Gattin Fayna anbot; Gastprostitution, wie sie auch auf
Gomera (ZURARA 1448) und Gran Canaria (GOMES 1463)
Brauch war. Nach einer anderen Interpretation mißbrauchte
Avendafio ganz einfach die Gastfreundschaft und verführte die
gutgebaute Gastgeberin (HOZ 1962). Wobei diese vermutlich
gar nicht so abgeneigt war, denn Zonzamas muß nicht mehr der
jüngste gewesen sein, während Avendafio mit seiner Uniform
und seinem galanten, jugendlichen Auftreten ( er war damals
um die Dreißig) sicher großen Eindruck auf die Königin machte.
Wie auch immer, neun Monate nach seiner Abreise nach
Spanien gebar Fayna ein Mädchen mit verdächtig heller Haut
und blonden Haaren. Das Kind wurde lco genannt und wuchs
111
zu einer hübschen jungen Frau heran. Es gibt jedoch eine Textstelle
bei ABREU GALINDO, die vermuten läßt, daß Ico einen
Zwillingsbruder hatte ( > Kapitel 21). Zonzamas starb kurz
darauf und es trat sein Sohn Tinguaf aya die Nachfolge an. ABREU
GALINDOwar der erste, der diese Begebenheit erzählte, und
aufgrund ihrer romantischen Bestandteile war sie auch bei den
nachfolgenden Autoren ein beliebter Stoff, der auch poetisch
verarbeitet wurde.
Manche modernen Autoren vermuten, daß A vendafio vom
König nicht in seiner Burg, dem heutigen Zonzamas zwischen
Tahiche und San Bartolome, empfangen wurde; sondern, wie
es im Canarien der Chronisten BOUTIER & LEVERRIER heißt,
im sogenannten "Großen Dorf" (Grant Aldee), das an der Stelle
des jetzigen Teguise lag und von den Eingeborenen angeblichAcatife
genannt wurde. Die Echtheit des Ortsnamens "Acatife"
ist in höchstem Maße anzuzweifeln, da dieses Wort im Canarien-
B als Falschschreibung ("Lacatif") von "Laracif" (für Arrecif
e ), wie es im Canarien-S heißt, auftritt. Acatif e fand merkwürdigerweise
als authentisches altkanarisches Wort Eingang
in die Sekundärliteratur des 19. Jhs. und von da in zahlreiche
neuere Publikationen und sogar in den heutigen Sprachgebrauch
auf Lanzarote. Schon WÖLFEL (1965) wies auf diesen Abschreibf
ehler hin und kürzlich erst wieder CIORANESCU ( 1982).
17. Konfusion um Fernando Ormel und Fernando de Castro
Für 1384 überliefert uns TORRIANI einen Besuch des
galizischen Edelmannes Hernando Ormel de Castro (bei ABREU
GALINDO "Fernando Ormel, Conde de Uren"; bei VIERA Y
CLAVIJO "Fernando Ormel, Conde de Ureiia o de Andeiro")
auf Gomera. Trotz stattgefundener Feindseligkeiten mit dem
Bruder des HäuptlingsAmaluige sollen die ersten Gomeros bereits
bei der Abfahrt der Spanier zum Christentum bekehrt gewesen
sein. BONNETREVERON (1945a)vermutet, daß hier eine
112
Namensverwechslung mit "Fernäo Dulmo", Gouverneur der
Azoren-Insel Terceira, vorliegt, der Gomera erst 1486 bei der
Suche nach der phantastischen "Ilha das Sete Cidades" angelaufen
habe. Dies ist sehr hypothetisch, da nichts über den Verlauf
der Reise, an der sogar der Nürnberger Geograph Martin Behaim
teilgenommen haben soll, Aufzeichnungen vorliegen. Die Herkunft
des Fernäo Dulmo ist umstritten (HENNIG 1956: 301ff). Er
gehörte entweder zur flämischen Kolonie (Fernand van Olmen),
die zu jener Zeit maßgeblich an der Besiedlung der Azoren beteiligt
war, oder er stammte aus Süddeutschland (Ferdinand von Ulm).
Was TORRIANI betrifft, so steht fest, daß er "Fernando
Ormel" und den Portugiesen Fernando de Castro, der 1424 Gran
Canaria attackierte, zu einer Person verschmolz. VIERA (für
1386) und ABREU (für 1375) weisen diese Gomera-Episode
fälschlicherweise besagtem Fernando de Castro zu. Während
ABREU bei Fernando Ormel von einer anderen, durch Sturm
erzwungenen Gomera-Fahrt spricht, sieht VIERA die Fahrten
von Ormel und Castro sogar als alternativ an, was die Geschichte
nur noch verworrener macht. Ganz abgesehen davon, daß
die geschichtlichen Personen, die mit einem "Fernando Ormel,
Conde de Uren" in Verbindung gebracht werden könnten, nicht
für eine Fahrt im Jahr 1384 oder 1386 in Frage kommen. Daß
die Christianisierung Gomeras durch dieses Ereignis noch im
14. Jh. positiv beeinflußtwurde, kann damit ausgeschlossen werden.
Eine Handschrift des Fray Francisco EXIMENEZ aus dem
14. Jh. (EI Christia.- Bibi. Nac. Madrid, Ms. Nr. 1793) läßt allerdings
vermuten, daß Gomera (neben Gran Canaria) schon
sehr früh Ziel franziskanischer Missionierung war.
18. Die dreizehn Eremiten von 1386
Trotz der vorangegangenen Versuche muß die Christianisierung
der Kanaren nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben.
Als Indiz dafür kann-der Brief gewertet werden, den der König
113
zu einer hübschen jungen Frau heran. Es gibt jedoch eine Textstelle
bei ABREU GALINDO, die vermuten läßt, daß lco einen
Zwillingsbruder hatte ( > Kapitel 21). Zonzamas starb kurz
darauf und es trat sein Sohn Tinguafaya die Nachfolge an. ABREU
GALINDO war der erste, der diese Begebenheit erzählte, und
aufgrund ihrer romantischen Bestandteile war sie auch bei den
nachfolgenden Autoren ein beliebter Stoff, der auch poetisch
verarbeitet wurde.
Manche modernen Autoren vermuten, daß Avendafio vom
König nicht in seiner Burg, dem heutigen Zonzamas zwischen
Tahiche und San Bartolome, empfangen wurde; sondern, wie
es im Canarien der Chronisten BOUTIER & LEVERRIER heißt,
im sogenannten "Großen Dorf" (Grant Aldee), das an der Stelle
des jetzigen Teguise lag und von den Eingeborenen angeblichAcatife
genannt wurde. Die Echtheit des Ortsnamens "Acatife"
ist in höchstem Maße anzuzweifeln, da dieses Wort im Canarien-
B als Falschschreibung ("Lacatif") von "Laracif" (für Arrecife
), wie es im Canarien-S heißt, auftritt. Acatif e fand merkwürdigerweise
als authentisches altkanarisches Wort Eingang
in die Sekundärliteratur des 19. Jhs. und von da in zahlreiche
neuere Publikationen und sogar in den heutigen Sprachgebrauch
auf Lanzarote. Schon WÖLFEL (1965)wies auf diesenAbschreibfehler
hin und kürzlich erst wieder CIORANESCU ( 1982).
17. Konfusion um Fernando Ormel und Fernando de Castro
Für 1384 überliefert uns TORRIANI einen Besuch des
galizischen Edelmannes Hernando Ormel de Castro (bei ABREU
GALINDO "Fernando Ormel, Conde de Uren"; bei VIERA Y
CLAVIJO "Fernando Ormel, Conde de Ureiia o de Andeiro")
auf Gomera. Trotz stattgefundener Feindseligkeiten mit dem
Bruder des HäuptlingsAmaluige sollen die ersten Gomeros bereits
bei der Abfahrt der Spanier zum Christentum bekehrt gewesen
sein. BONNET REVERON (1945a)vermutet, daß hier eine
112
Namensverwechslung mit "Fernäo Du]mo", Gouverneur der
1 Azoren-Insel Terceira, vorliegt, der Gomera erst 1486 bei der
Suche nach der phantastischen "Ilha das Sete Cidades" angelaufen
habe. Dies ist sehr hypothetisch, da nichts über den Verlauf
der Reise, an der sogar der Nürnberger Geograph Martin Behaim
teilgenommen haben soll, Aufzeichnungen vorliegen. Die Herkunft
des Fernäo Dulmo ist umstritten (HENNIG 1956: 30lff). Er
gehörte entweder zur flämischen Kolonie (Fernand van Olmen),
die zu jener Zeit maßgeblich an der Besiedlung der Azoren beteiligt
war, oder er stammte aus Süddeutschland (Ferdinand von Ulm).
Was TORRIANI betrifft, so steht fest, daß er "Fernando
Ormel" und den Portugiesen Fernando de Castro, der 1424 Gran
Canar.ia attackierte, zu einer Person verschmolz. VIERA (für
1386) und ABREU (für 1375) weisen diese Gomera-Episode
fälschlicherweise besagtem Fernando de Castro zu. Während
ABREU bei Fernando Ormel von einer anderen, durch Sturm
erzwungenen Gomera-Fahrt spricht, sieht VIERA die Fahrten
von Ormel und Castro sogar als alternativ an, was die Geschichte
nur noch verworrener macht. Ganz abgesehen davon, daß
die geschichtlichen Personen, die mit einem "Fernando Ormel,
Conde de Uren" in Verbindung gebracht werden könnten, nicht
für eine Fahrt im Jahr 1384 oder 1386 in Frage kommen. Daß
die Christianisierung Gomeras durch dieses Ereignis noch im
14. Jh. positiv beeinflußt wurde, kann damit ausgeschlossen werden.
Eine Handschrift des Fray Francisco EXIMENEZ aus dem
14. Jh. (EI Christia.- Bibi. N ac. Madrid, Ms.Nr. 1793) läßt allerdings
vermuten, daß Gomera (neben Gran Canaria) schon
sehr früh Ziel franziskanischer Missionierung war.
18. Die dreizehn Eremiten von 1386
Trotz der vorangegangenen Versuche muß die Christianisierung
der Kanaren nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben.
Als Indiz dafür kann-der Brief gewertet werden, den der König
113
von Arag6n und Mallorca, Pedro IV., am 20. Februar 1386 an
Papst Urban VI. schrieb (Dok. RUMEU DEARMAS 1986: 194f).
Darin bittet er um besonderen Ablaß für "einige armselige
Eremiten und andere Personen", die die Missionierung auf den
Kanarischen Inseln fortsetzen wollten.
Dokumentarische Unterlagen über die tatsächliche Durchführung
dieser Fahrt liegen uns nicht vor. In der mündlichen
Überlieferung haben sich allerdings einige Details erhalten, die
von den Chronisten des 15. bis 18. Jahrhunderts unterschiedlich
wiedergegeben werden. Aus dem Canarien (Kap. 40 / 1986)
wissen wir, daß der französische Eroberer Gadif er de la Salle
1403 auf Gran Canaria in der Gegend von Telde das Testament
einiger "fraires chrestiens"fand, insgesamt 13 Personen, die vor
zwölf Jahren - also ca. 1391 - als Verräter getötet worden waren.
Aus der Erzählung der Expeditions-Chronisten BOUTIER
& LEVERRIER geht weiterhin hervor, daß die Mönche seit
sieben Jahren das Evangelium auf der Insel verbreitet hatten,
als ein Ereignis eingetreten sein muß, das das friedliche Zusammenleben
abrupt zerstörte.
Ob man nun annimmt, daß die Zeitangabe "vor zwölf Jahren"
von den Eingeborenen etwas zu hoch überliefert wurde, oder
daß erst ab der Niederschrift des Textes (ca. 1405) zurück zu
rechnen ist, in beiden Fällen ergibt sich als Todesjahr der Mönche
anstatt 1391 das Jahr 1393 und damit als Ankunftsjahr 1386 ( alles
zur Regierungszeit des Königs Gumidafe und seiner Frau Attidamana).
Dies würde zum einen mit dem oben zitierten Brief
von Pedro IV. übereinstimmen und zum anderen mit der schrecklichen
Raubfahrt von 1393, die uns noch im Kapitel 20 beschäftigen
wird. Weitere Details wurden im Canarien leider nicht
auf gezeichnet. Als Auslöser für die Hinrichtung der Mallorkiner
durch die Grancanarios werden in den alten Texten verschiedene
Gründe genannt, die ich hier nach Autoren geordnet
auf zähle:
114
-Juan de Abreu Galindo-
\ Eine so große Hungersnot erfaßte die Insel, daß der Rat be.
schloß, alle Neugeborenen weiblichen Geschlechts und alle
Mallorkiner zu töten, damit die Lebensmittel besser ausreichten.
In bezug auf die Mallorkiner sei hinzugekommen, daß sich
einige von ihnen äußerst schändlich gegenüber Eingeborenen
betragen hätten. Die Mallorkiner metzelte man an einem bestimmten
Tag nieder, während die Mönche (bei ABREU
GALINDO zwei) in eine tiefe Höhle bei Jinamar gestürzt wurden.
-Leonardo Torriani-
Trotz des Verbotes der Eingeborenen, nicht das Evangelium
zu predigen und nicht fremdes Recht einführen zu wollen, setz~
ten die Mallorkiner ihre Lehren fort und zwar um so mehr, als
sich ihre Nachkommenschaft, die sie mit eingeborenen Frauen
hatten, ebenfalls missionarisch betätigte. Die Eingeborenen,
die nicht wollten, daß ihre alten Gesetze verändert werden, und
die aufgrund der vielen Nachkommen der Mallorkiner mit
kriegerischen Aktionen rechneten, töteten eines Tages alle
Fremden mitsamt ihren Kindern. Die Franziskaner-Mönche
wurden von einem hohen Berg gestürzt.
-Pedro Agustin del Castillo-
Dieser Autor erfindet eine von den anderen Chronisten völlig
abweichende Version, in der er einen (freien!) Einheimischen
namens Pedro "EI Canario" (mit dem heidnischen Namen
''Tiferan") auftreten läßt, der Gadifer de la Salle seine Geschichte
erzählt und ihm ein Testament von dreizehn schiffbrüchigen
Kastiliern übergibt, die 1382 unter ihrem Kapitän Francisco Lopez
an der Küste bei Niginiguada gelandet seien und sich "die dreizehn
Brüder" genannt hätten. Sie hätten elf Jahre friedlich mit
den Eingeborenen gelebt, bis sie im Verlauf eines Piratenüberfalls
Uenem von 1393) von den revoltierenden bzw. sich verteidigenden
Eingeborenen getötet worden wären. Ein gewis-
115
ser "Pietre Ie Canare" taucht zwar im Canarien auf, aber als von
Spanien auf einem der Nachschub-Schiffe mitgebrachter Dolmetscher
in ~inem ganz anderen Zusammenhang. AL V AREZ
DELGADO ( 1982) räumt allerdings ein, daß er Gadifer de la
Salle doch einige Informationen über das "Testament der 13
Eremiten" gegeben haben könnte. Pedro EI Canario würde dann
nicht aus dem Ra•u b von 1393 stammen ( > Kapitel 20), son-dern
aus einem zwischen 1393 und 1402.
-Tomas Arias Marin de Cubas-
Bei diesem Autor treten als Opfer gar keine Geistlichen auf,
sondern nur 13 mallorkinische Siedler, die sich den unantastbaren
Priesterinnen der Grancanarios, jenen Harimaguadas des
Cenobio de Valer6n, unzüchtig genähert hätten. Wer diese heiligen
Ehren-Jungfrauen anrührte oder nur den Versuch machte, mußte
mit den schwersten Strafen rechnen. Und so wurden die Mallorkiner
als Gesetzesbrecher und Verräter hingerichtet. Das
Handeln der Eingeborenen habe außerdem eine große Hungersnot
mitbestimmt, die als göttliche Strafe für das Paktieren
mit Christen angesehen wurde.
-Jose de Viera y Clavijo-
Bei ihm war es nur das "Betragen", das den Insulanern Anlaß
zur simultanen Hinrichtung aller weltlichen Europäer gab, während
fünf Franziskaner in die Höhle von Jinamar gestürzt wurden.
Wie die vorgenannten Autoren, so erwähnt auch VIERA Y
CLA VUO die Errichtung der beiden Kapellen Sta. Catalina und
S. Nicolas, die zeitlich durchaus mit der Fahrt von 1386 in
Verbindung stehen könnte.
So unterschiedlich diese Quellen auch das Ende der
Expedition von 1386 beschreiben, so läßt sich doch ein gewisses
Grundmuster herausschälen. Es erscheint mir vor allem wichtig,
die Schicksale der weltlichen Siedler und der Missionare zu
116
trennen. Im Fall der Siedler mag es tatsächlich ein gewisses
Betragen gewesen sein, welches das religiöse Ehrgefühl der
Insulaner auf das höchste beleidigt hatte. Und wenn dann noch
eine Hungersnot und die leidvollen Erfahrungen des Überfalls
von 1393 hinzukamen, dann dürfte es um so leichter gefallen
sein, sich der Fremdlinge zu entledigen. Da Ausschweifungen
bei den mallorkinischen Geistlichen weniger in Betracht kommen,
dürften die Gründe für ihre Hinrichtung anders gelagert
sein. Sicher hat man bei ihnen zu einem gewissen Teil auch
Sippenhaft angewendet, aber viel gravierender dürfte die tiefe
Enttäuschung gewesen sein, die die Eingeborenen darüber
empfinden mußten, daß trotz allen Predigens der christlichen
Nächstenliebe ihre Mitmenschen verunglimpft und im Falle der
Raubfahrt von 1393von Landsleuten der Missionare sogar Mord,
Plünderung und Versklavung betrieben wurden. Solche Missionare
mußten falsche Propheten sein, die ihre Glaubwürdigkeit
und ihre Lebensberechtigung verwirkt hatten. So dürfte auch
die Zerstörung der ersten Casa de Oraci6n in Telde mit diesen
Vorgängen in Verbindung zu bringen sein. Diese Diskrepanz
zwischen christlicher Botschaft und der Realität, in der die Canarios
immer wieder die Doppelzüngigkeit und den Verrat der
Konquistadoren erleben mußten, war sicher mitbestimmend für
die Zähigkeit, mit der sie in den folgenden Jahrzehnten ihre
Inseln verteidigten.
Ein nahezu unglaublicher Zufall der Archäologie wäre es,
wenn die Anfang 1989 bei Bauarbeiten in Las Palmas (G.C.)
gefundenen 14 Skelette mit obigen Vorgängen in Verbindung
stehen würden. C14-Datierungen ergaben einen Sterbezeitraum
von 1410 ± 70, sodaß ein zeitlicher Zusammenhang hergestellt
werden kann. Weitere Skelette sind von dieser Fundstelle in
der Calle Le6n y Castillo noch zu erwarten. Wissenschaftler des
Museo Canario vermuten in diesem Massengrab Opfer einer
Seuche. Eine - soweit es möglich ist - exakte Ermittlung der
Todesursache stand-jedoch bei Redaktionsschluß dieses Auf-
117
satzes (11/89) noch aus. Auch über die anthropologischen
Merkmale der Skelette sind noch keine Details bekannt.
19. Tenerife - Schauplatz friedlicher Selbstmissionierung
Auf Tenerif e, das in unseren Betrachtungen bislang kaum
eine Rolle spielte, begann - nach den alten Quellen zwischen
1388 und 1406 (nach HERNJ\NDEZ PERERA / 1975 zwischen
1440 und 1450) - ein Prozess, der das religiöse Leben der Guanchen
und erst recht das der nachfolgenden spanischen Insulaner nachhaltig
beeinflußte. In dieser Zeit muß ein andalusisches Schiff
in der Nähe von Tenerif e ( aufgrund der Strömungsverhältnisse
vermutlich im Nordosten der Insel) Schiffbruch erlitten haben,
bei dem eine Statue der Jungfrau Maria an Land geschwemmt
wurde. Der Überlieferung nach wurde sie von Hirten an der
Playa de Chimisay bei Socorro im Kanton Güimar gefunden.
Der von dem Fund unterrichtete Mencey (Häuptling) des Kantons,
Acaymo, stellte die Statue, die als etwas Übernatürliches angesehen
wurde, auf eine Art Altar in einer kleinen Höhle innerhalb
seines Wohnbereiches im Barranco Chinguaro. Dort
stand sie, bis ein getaufter Guanche seine Landsleute auf den
christlichen Symbolgehalt der Figur aufmerksam machte.
Dieser "Ant6n" genannte Eingeborene war, wie uns
CASTILLO übermittelt, 1448 bei einer Expedition des Hernan
Peraza el Viejo (siehe genealogische Tafel) als 6-jähriger Knabe
an der Küste von Güimar aufgegriffen worden. Er wurde nach
Fuerteventura gebracht (kaum Lanzarote, wie CASTILLO
behauptet, das zu dieser Zeit nur nominell im Besitz des Hermin
Peraza bzw. portugiesisch besetzt war), im christlichen Glauben
unterrichtet, getauft und wie ein Familienmitglied aufgezogen.
Als 1454/55 Diego Garcia de Herrera in den Besitz der Inseln
kam, wechselte Anton nach Lanzarote in den Haushalt des neuen
Machthabers über. Einige Jahre später, als Anton seine Heimatinsel
zusammen mit seinem Herrn besuchte, floh er und
118
betätigte sich von da ab als freiwilliger Fürsprecher für die Kastilier
und ihren Glauben. Nach einer anderen Version wurde er sogar
bewußt zu diesem Zweck auf Tenerife abgesetzt (ESPINOSA
1591). Die Statue der christlichen Mutter Gottes wurde von den
Guanchen nun offenbar mit ihrer eigenen Mutter (achmayex)
des "Stützers von Himmel und Erde" assoziiert und erhielt einen
ehrenvollen Platz in der Höhle von Achbinico ( = Cueva de San
Blas). Sicher hat dieser Marienkult zu den großen missionarischen
Erfolgen beigetragen, die der Franziskaner Fray Alfonso
Bolafios bereits in den Jahren 1462 bis 1478 auf Tenerife
erzielen konnte. Die Statue war zwar 1464 von Sancho de Herrera
nach Lanzarote entführt worden, wurde aber nach kurzer Zeit
wieder zurückgegeben. Erst 1496, als die Eroberung Tenerifes
durch Alonso de Lugo abgeschlossen war, wurde die Statue von
den Spaniern wiederentdeckt und genoß von da ab als N uestra
Sefiora de Candelaria auch bei der christlichen Bevölkerung
große Verehrung. Die Herkunft der Statue, die 1826 bei einer
Flut verloren ging, kann nach den neuesten kunsthistorischen
Untersuchungen der Repliken, Abbildungen und alten Beschreibungen
(HERNANDE'z PERERA 1975) als andalusisch angenommen
werden.
Das uns vorliegende Material über die Missionsversuche
der Mallorkiner weist eine deutliche Konzentrierung auf Gran
Canaria auf. Tenerife scheint weitgehend unberücksichtigt
geblieben zu sein. Daß die Missionierung der West-Inseln im
14. Jh. von Tenerife ausging, wie WIPF (1988: 73) in bezug auf
die Verbreitung der Gottesnamen annimmt, läßt sich nach den
Fakten der vorangegangenen Kapitel nicht bestätigen. Eine
Verstärkung der Christianisierung zeichnet sich vielmehr ab 1402
ab: und zwar direkt auf den einzelnen Inseln im Zusammenhang
mit den Eroberungsversuchen französischer, andalusischer
und portugiesischer Expeditionen und durch gezielte Missionierung
der Franziskaner; aber auch durch die ersten kastilischen
Bischöfe der Kanarischen Inseln, die von 1404 bis 1485
119
ihren Sitz auf Lanzarote hatten (Diözese Ru bic6n).
20. Vorboten einer neuen Ära: die andalusischen Raubfahrten
des ausgehenden 14. Jhs.
Bischof Tari stand seiner Diözese Telde, die er wahrscheinlich
nie persönlich betreten hatte, bis zu seinem Tod vor, der
mit ungefähr 1390 anzusetzen ist. Auch von seinem (vorläufig
letzten) Nachfolger, dem mallorkinischen Dominikaner Jaume
Olzina, den Papst Clemens VII. am 31. Januar 1392 ernannte
(Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 195f), ist eine Fahrt zu
den Kanaren nicht überliefert. Andererseits ist auch nicht
auszuschließen, daß er in den Monaten vor den tragischen
Ereignissen von 1393 seiner Diözese einen Besuch abstattete.
Später dürfte er durch den schweren Rückschlag auf Gran Canaria
llnd durch seine Berufung nach Zaragoza abgehalten worden
~ein. Hier zeigt sich ein gewisses Nachlassen des kirchlichen
lnteresses an den Kanarischen Inseln. Das gleiche läßt sich von
Juan I. von Arag6n feststellen, der Pedro IV. 1387 abgelöst hatte
llnd sich mehr mit seinen iberischen Zielen befaßte. Dieses
Vakuum wurde nur allzu gerne von risikofreudigen Schiffseignern
ausgenützt, die verstärkt von kastilischen, genauer gesagt
andalusischen Häfen aus ihre Raubfahrten nach Afrika und zu
den Kanarischen Inseln unternahmen. Aus diesen privaten An:
ängen heraus sollte in kürzester Zeit die kastilisch-normanni;
che Eroberung der Kanaren entstehen, die den Archipel ab
1402 unzertrennlich mit Spanien verband, was allerdings von
Portugal endgültig erst mit dem Vertrag von Alca~ovas 1479/
m anerkannt wurde.
Die zahlreichen Expeditionen ( ORTIZ DE ZUNIGA 1677),
jie in den letzten Jahren des 14. Jhs. von katalanischen und
mdalusischen Häfen aus gestartet wurden, brachten den Ca-
1arios neben den ersten Handelsbeziehungen auch viel Leid.
Wir wissen konkret, daß 1391 die "Sta. Anna", ein Schiff der
l20
Eigner Bartolomeo Scarsafiga (aus Barcelona) und Bartolomeo
Bargay6 (aus Sevilla), beide gebürtige Genuesen, unter der nautischen
Mitwirkung des Andalusiers Juan Gonzalez von einer
Handelsfahrt nach Guinea zurückkehrte. Auf der Hinfahrt hatten
sie Fuerteventura angelaufen und fünf- bis sechsjährige Kinder
geraubt, deren preisgünstiger Verkauf in Barcelona durch
Notariatsakten verbürgt ist (MIT JA 1962). Ein Hinweis im
Canarien (Version B, Kap. 56), den man mit dieser Fahrt in
Verbindung bringen kann, spricht auch von einem Kontakt mit
Gran Canaria. 1389 hatte sogar eine venezianische Flotte, auf
der Fahrt nach bzw. von Flandern, die Kanarischen Inseln gestreift,
wobei auch Sklaven geraubt wurden. Der spanische
Navigator dieses Unternehmens, Fernando de Murcia, verkaufte
am 29. April 1389 in Mallorca eine 25jährige kanarische Frau
(Taufname "Magdalena") mit ihren drei Kindern ("Didaco" 6
Jahre, "Joana" 5 Jahre, "Francina" 20 Monate) an einen Bernardo
Berardo (LLOMPART 1987: Dok. 5). Diese Sklavenwaren
wahrscheinlich der Beuteanteil des Piloten.
Wenige Jahre später wurden die Kanarischen Inseln durch
einen weiteren Überfall heimgesucht, der weitreichende Folgen
haben sollte. 1390 hatte der elfjährige Enrique III. dem
sevilJanischen Edelmann Gonzalo Perez Martel eine Lizenz zur
Eroberung der Kanaren erteilt (ORTIZ DE ZUNIGA 1677).
Gewisse Rechte auf die Kanaren hatte sich aber möglicherweise
auch dessen Bruder (oder Vetter) Fernan Perez Martel
erworben (LADERO QUESADA 1977: 142f). Dies würde die
Verwirrung um die Person "Heman Peraza" auflösen, die vor
allem von ABREU GALINDO als Lizenzempfänger (für 1385
und 1390) bzw. Expeditionsleiter (für 1385) und Vater eines
anderen "Heman Peraza" ( = Fe man Peraza Martel oder Hernan
Peraza el Viejo, Sohn des Gonzalo Perez Martel) erwähnt
wird und in Wirklichkeit sein Onkel war (siehe genealogische
Tafel). Sehr hypothetisch im Hinblick auf die alten Quellen ist
die Ansicht von PERAZA DE A YALA (1958), der in Juan de
121
Abb. 6 Die verwandtschaftlichen Beziehungen der
Familien Perez Martel, Peraza, Las Casas und Herrera
? Guil len 111. de las Casas = lnes Fernändez de
1 C6rdoba
Ferniin IP(Hez Gonziilo ~~rez = Leonor ,lnes = Juan de las Casas = ,lsabel
Sr de Almonaster p Hurtado, Sra. de Hue v ar .
· eraza (fälschlich ·1nes de Bracamonte") Mex1a
Martel Martel I Ruiz Fernandez I Gonzälez
Fernän Arias de = Leonbr Martel Ferniinl Peraza Martel = lnes de las Casas
Saavedra 1 (Hernän Peraza el Viejo) 1 Sra . de Huevar
"EI Bueno" Sr . de Valdeflores ( t 1452)
Srs. de las lslas Ganar~s I J
Diego Garcia = lnes Peraza de las Casas Guillen Peraza de las Casas
de Herrera 1
,Violante de Cerva~n-te_s_=_S_a_n-ch-o-,be Herrera =
3
Catalina da Fra (Konkubine)
,Catalina Escobar d .Ä. 1
las Casas, Schwiegervater des Fernan Peraza Martel, den wahren
Lizenzempfänger von 1390 und Protagonisten der Expedition
von 1393 sieht, obwohl er wahrscheinlich nur einer der Geldgeber
war. Der ganze Komplex um die Besitzrechte und Ansprüche
auf die Kanarischen Inseln im Zeitraum zwischen 1390
und 1477 ist äußerst diffizil und umfangreich, so daß an dieser
Stelle leider nicht alle Aspekte aufgezeigt werden können.
Das Vorhaben nahm Gestalt an, als sich unter der Führung
des Gonzalo Perez Martel, Sefior de Almonaster, einige
andalusische und baskische Abenteurer zusammen taten, um
eine Flotte von fünf oder sechs Schiffen auszurüsten, die allein
das Ziel hatten, die Kanarischen Inseln auszuplündern. Ende
Mai oder Anfang Juni 1393 stachen die Schiffe unter der nautischen
Leitung des Kapitäns Alvaro Becerra in See.
Sie segelten von Sevilla aus zunächst die marokkanische
Küste entlang und von dort aus nach Fuerteventura, Gran Canaria,
Gomera und Tenerife (auf dem sie wegen eines Vulkanausbruches
nicht landeten) um schließlich Lanzarote zu überfallen.
Die wichtigsten literarischen Quellen über diese Vorgänge sin_d
122
die "Cr6nica del rey don Enrique III." des königlichen Kanzlers
Pedro LOPEZ DEAYALA (1406), die "Anales de Sevilla"
des Diego ORTIZ DE ZUNIGA ( 1677), das "Compendio historial"
des Esteban de GARIBA Y Y ZAMALLOA (1571) und
indirekt der Canarien. Weitere Details erfahren wir von späteren
Chronisten und aus einem notariell beglaubigten Kaufvertrag,
der am 27. Dezember 1393 in Barcelona ausgefertigt wurde
(Dok. MITJA 1962: 346f). In diesem Vertrag geht es um einen
zweijährigen kanarischen Sklaven, der durch ein Schiff des Pedro
Minguellez ( aus Zumaya / Kastilien), gechartert vön dem Händler
Juan Perez de Gämez (aus Bermeo / Kastilien), von Gomera
geraubt wurde. Dieser Sklavenfang dürfte mit großer Sicherheit
der Armada des Perez Martel zuzuordnen sein.
Von den Überfällen auf Gran Canaria und Lanzarote berichtet
relativ ausführlich MARIN DE CUBAS (libro I, cap.111).
Die Landungen auf diesen beiden Inseln sind auch die einzigen,
von denen wir überhaupt Näheres erfahren. Zusammengefaßt
bietet sich folgendes Bild: Die Flotte landete im Osten
Gran Canarias, wo die überlegenen Eindringlinge mordeten und
plünderten und dabei Männer, Frauen und Vieh raubten. Zu
den Entführten dürfte auch jener "Pedro EI Capario" gehört
haben, der unter diesem christlichen Namen in den Jahren 1403
und 1404 als Dolmetscher für Gadifer de Ja Salle tätigwar. Die
Verteidigungsmaßnahmen der Grancanarios richteten sich bei
diesem Überfall nicht nur gegen die Piraten, sondern in fataler
Weise auch gegen die bereits ansässigen Mallorkiner ( > Kapitel
18). Auf Lanzarote war die Ausbeute des Überfalls besonders
groß: Sie verschleppten den König der Insel (Tinguaf aya)
und seine Gemahlin, zusammen mit weiteren 170 Eingeborenen.
Außerdem.raubten sie Ziegen, Felle, Fleisch und Fett in
großen Mengen (LOPEZDEAYALA 1406). Die Nachricht von
diesem erfolgreichen Raubzug gelangte auch an den Hof in
Madrid, wo sie zweifellos die Lizenz für Jean de Bethencourt
und Gadifer de la Salle positiv beeinflußte. Als diese 1402 die
123
Eroberung der Kanarischen Inseln von Lanzarote aus begannen,
waren als Dolmetscher auch zwei lanzarotische Eingeborene
dabei, genannt "Alfonso" bzw. "Isabel", die aus dem Raub
von 1393 stammten (BOUTIER & LEVERRIER 1405). Eine
weitere Eingeborene von dieser Fahrt ist wahrscheinlich die
Kanarierin "Antonia", die 1396 testamentarisch als Sklavin des
Mallorkiners Francisco Masquer6 erwähnt wird und 1415 ihre
Freiheit zurück erhielt (AHM).
Der von Bethencourt auf Hierro als Dolmetscher eingesetzte
"Auger6n" (Bruder des Königs Armiche, im Canarien-B
fälschlicherweise als Gomerer bezeichn~t) stammte nicht aus
dem Raub von 1393, sondern wurde mit ziemlicher Sicherheit -
noch vor de la Salle bzw. Bethencourt - bei der verheerenden
Razzia von 1402 als einer von 400 Herrefios verschleppt
(BOUTIER & LEVERRIER 1405 / 1986: 45, 133, 197). Von
diesem Überfall auf Hierro stammt möglicherweise auch die
kanarische Sklavin "Anna", die am 22. April 1402 im Auftrag
der mallorkinischen Händlersgattin Magdalena Ribes von dem
Kapellan der Kirche Sta. Eulalia (Palma de Mallorca), Mateo
Montepaoni, einem Pedro Ferrari abgekauft wurde (LLOMPART
1987: Dok. 6).
21. Sukzessionsprobleme der eingeborenen Herrscherfamilie
auf Lanzarote
Die Entführung des lanzarotischen Herrscherpaares durch
die Expedition von 1393 hatte weitreichende dynastische Folgen.
Um dies zu verstehen, ist es notwendig, zunächst einmal
die veIWandtschaf tlichen Verhältnisse in der herrschenden Familie
etwas zu beleuchten: Wir haben weiter oben bereits erfahren,
daß um 1378 Fayna, Gemahlin des damaligen Herrschers
Zonzamas, eine Tochter namens Ico zur Welt brachte, die mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem baskischen
Edelmann Martin Ruiz deAvendafio gezeugt wurde. Eine
124
Textstelle bei ABREU GALINDO (" ... Guadarfia, que decian
ser hijo de un capitan christiano que un temporal aport6 a esta
isla de Lanzarote") deutet jedoch darauf hin, daß Ico einen
Zwillingsbruder namens Guadarfia hatte. Dieser war es, der
Bethencourt 1402 als erwachsener König auf Lanzarote gegenüber
trat. Zonzamas hatte aber auch einen legitimen Sohn;
vermutlich der Erstgeborene, der die Nachfolge seines Vaters
antrat, als dieser kurz nach der Geburt der Ico starb. Die nun
folgende Geschichte des Herrscherhauses und die damit verbundene
Namensnennung wird sehr konfus und unterschiedlich
von den kanarischen Chronisten wiedergegeben. Zum besseren
Verständnis der Schlußfolgerungen seien nun die verschiedenen
Versionen aufgeführt:
-Viera y Clavijo-
Nachfolger von Zonzamas war sein Sohn Tiguafaya oder Timanfaya,
der mit seiner Frau 1393von den Andalusiern geraubt wurde.
Ihm folgte sein Bruder Guanarame, der mit seiner Halbschwester
Ico verheiratet war. Als Guanarame starb, folgte ihm beider
Sohn namens Ouadarfra oder Guadarfia. Im Zusammenhang
mit der Thronfolge von Guadarfra wurde die königliche
Abstammung Icos von einer oppositionellen Gruppe ihrer
Landsleute aufgrund ihrer he11en Haut und ihrer blonden Haare,
die von der ansonsten dunkelhäutigen und dunkelhaarigen
Bevölkerung so völlig abwich, stark angezweifelt. Die Prinzessin
mußte deshalb nach einer Verfügung des Rates der Guayres
(Noblen) ein Gottesurteil über sich ergehen lassen, bei dem
man sie mit drei anderen Frauen in einen Raum sperrte, der
unter erstickenden Rauch gesetzt wurde. Aufgrund des Ratschlages
einer naturkundigen Alten, atmete Ico dabei durch einen
nassen Schwamm und überlebte so als einzige.
-Abreu Galindo-
Nachfolger von Zonzamas war sein Sohn Guanarame, der mit
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seiner Frau Tinguefaya ( 1385) von den Spaniern geraubt wurde.
Guanarames Nachfolger war Guadarfia, ein Zwillingsbruder
von Ico. An einer Stelle bei ABREU GALINDO wird zwar
in bezug auf Guanarame und die Rauchprobe der Ico, von dem
vorgenannten völlig abweichend, eine Geschichte erzählt, wie
sie VIERA Y CLA VIJO beschreibt, man nimmt aber an, daß
dies eine Einfügung eines späteren Kopisten des Abreu-Manuskripts
ist.
-Marin de Cubas-
Kastilier entführten 1393 den lanzaro