Karl A. WIPF, Frauenfeld
SPATIUM ET TEMPUS
Festvortrag gehalten in Hallein am 15. Mai 1980 anläßlich des 10-jährigen
Bestehens des Institutum Canarium.
Einen Festvortrag zu halten, ist nun nicht eben meine Sache. Denn ich
bin in Verlegenheit, was ich sagen soll, sehe aber andererseits ein, daß etwas
gesagt werden muß. Festvorträge aber laufen immer Gefahr, steif zu sein
oder umgekehrt in Hohlheiten von Phrasen auszuarten. Ein Thema sollte
andererseits zugrunde liegen, sollte aber wiederum nicht an den Haaren
herbeigezogen sein. Was also tun?
Unbekannt ist, wann der Mensch die Zeit und den Raum bewußt realisiert
hat und sie zu ergründen suchte. Die Verhaltungsforschung zeigt aber,
daß auch das Aufmerksam-Werden auf diese Phänomene weit in das tierische
Stadium des Menschen zurückreichen muß.
Der Erfassung von Raum und Zeit kommt eine zentrale Rolle zu, und
bildet eigentlich die Grundlage zur Bewältigung des menschlichen Existenzraumes.
Raum und Zeit sind die Größen, mit denen der Mensch das
für ihn überblickbar, und das meint meßbar, zu machen sucht, was er die
Welt nennt, die Welt als das definiert, wo die „wahren Menschen" wohnen,
das sind die, die die „wahre Sprache" sprechen (1). Die Welt ist nicht
einfach etwas Gegebenes, wie der sinnende Mensch bald einmal sieht, sondern
ein Gewordenes und Werdendes. Namentlich nach Eintritt in den
Ackerbau-Horizont erkennt der Mensch aus eigener Erfahrung die Labilität
des Weltgefüges, werden doch seine Äcker, die die Grundlage seiner Ernährung
bilden, ständig von Feinden bedroht: durch Unwetter, Wassermangel,
Tiere usw. Der Bauer führt einen ständigen Abwehrkampf gegen
diese feindlichen Mächte, und so wird die Welt zu einem der Finsternis des
Chaos Abgerungenen und in ihm Ausgespannten (z. B. Mythos vom Y mir
bei den Germanen; Enuma eli~ in Babylon; Ausmessung und Absteckung
der Welt im Popol Vuh bei den Quiche u. a.). Die Verstrebungen werden in
Verschiedenem sichtbar. Der Horizont spielt dabei eine bedeutende Rolle.
Er bezeichnet statisch die Begrenzung des Raums. Die Himmelskörper
aber, und unter ihnen besonders Sonne und Mond, bestätigen durch ihre
Bewegung von einem Horizont zum andern die Abmessung der Welt, fixieren
zusätzlich die Himmelshöhe und, wenn auch nur gedanklich zu bewältigen,
die Tiefe (2).
Neben der Drei-Dimensionalität des Raumes wird der Mensch durch ihre
Wanderung am Himmel, die im Falle der Sonne einen Tag beansprucht,
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aber auch gewahr, daß Raum und Zeit zwei stets miteinander gekoppelte
Größen sind, eine ohne die andere undenkbar. So erscheint die Welt seit eh
als vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum und wird als solches erfaßt.
Die Welt ist ein temenos, ein Herausgeschnittenes aus dem Chaos, ist,
mythologisch gesehen, ein templum, ein geweihter, heiliger Raum, in dem
das tempus, die Zeit, waltet (3), ist ein nach Raum und Zeit geordnetes Gebilde,
ein „mundus", welches Wort zunächst „Toilettensachen (für
Frauen)" bezeichnet, also etwas, womit man „schön, geordnet macht",
und das eben darum dann „Welt" heißt, wie das der Grieche im Worte
„kosmos" ,,ein Schönes" ausdrückt. Aus dieser Wohlgeordnetheit der Welt
resultiert die für die Menschen verbindliche Weltordnung, die die Ordnung
garantieren soll, eingefangen in den Festlegungen dessen, was „man" tut,
was „man" macht (Tradition) ai. rtos, später festgehalten in Gesetz und
Recht, zunächst fixiert im Mythos, dann in den Gesetzesbüchern.
Der Gesichtskreis des Menschen und der tägliche Zenitstand der Sonne
läßt den Menschen zugleich erkennen, daß er ganz offenbar horizontal und
vertikal gesehen unmittelbar am oder gar im Nabel der Welt wohnt (4).
An ihm offenbart sich auch die Gottheit, dort findet sich beim Nomaden
das Zelt mit der die Wanderer führenden väterlichen Gottheit und dem
Führer des Stammes, beim seßhaft Gewordenen des Stammes, der Priesterschaft
(5).
Wie nun erfaßt der Mensch die räumliche Struktur, die spatii structuram
seiner Welt? Hier wird er sich selber zum Maß. Er mißt die Welt nach seiner
Beschaffenheit, legt sich selber der Welt als Maßstab an, denn es ist ja
buchstäblich seine Welt. So mißt er in Fingerbreit, Handbreit, Spannen,
Armlängen (Ellen), Fuß, Schritt, Doppelschritt, Mannslänge und leitet davon
auch die Flächenmaße ab.
Vielfältiger und für die religiöse Spekulation ergiebiger als der Raum ist
die Erfassung der temporis structurae, der zeitlichen Struktur des Raums.
Mehr als die Sonne erweist sich hier der Mond als geeignet. Seine Phasenwechsel
machen den Menschen auf das Phänomen der Periodizität aufmerksam.
Ihre Regelmäßigkeit gliedert den Fluß der Zeit übersichtlich in
Abschnitte, die über den Tag hinausgehen. Schließlich lernt der Mensch
auch, den Jahreslauf der Sonne und die Mondumläufe zu harmonisieren,
nachdem er der Jahreszeiten innegeworden war. Denn der Mensch erfährt,
daß Zyklen seine Welt bestimmen, die sich nicht in den himmlischen Regionen
abspielen, sondern auf Erden, wenn sie auch als miteinander verknüpft
erscheinen.
Im Jäger-Sammler-Horizont merkt er auf den regelmäßigen Wildwechsel,
der zu gewissen Zeiten des Jahres sich ereignet und den Menschen z. T. gezwungen
haben mag, periodisch seinen Wohnsitz zu wechseln.
Eindrücklicher erlebt er den Zyklus in der abzuschreitenden Weiderunde
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im nomadischen oder halbnomadischen Horizonte.
Vor allem aber ist es immer wieder das Werden, Vergehen und Wiederwe,
den der Pflanzenwelt, das der Mensch registriert und das im ackerbäuerlichen
Horizont seine subtilste Ausprägung in Aussaat-Reife-ErnteBrachliegen-
Neuaussaat findet. Nicht lange dauert es, und der Mensch setzt
dieser Abfolge den eigenen Zyklus von Zeugung-Geburt-Leben-TodGeburt
der Nachkommen gleich.
Auf diese Weise erfährt der Mensch eindringlich die zyklische Struktur
der Zeit. Er setzt Markierungspunkte für Tage, Wochen, Monate, Jahre
und andere Zyklen höheren Grades (z. B. 20, 52-Jahres Zyklus der Maya;
oder in der brahmanist. Zeitrechnung die vier Yugas: Krita, Treta, Dwapara
und Kali, die ein Mahayuga bilden und von denen 1000 ein Kalpa ( =4,32
Mio Erdenjahre) sind, und der höchste Zyklus des Mahapralaya.)
Die Welt lebt sich im Kreise, im Rad, wie es am allerdeutlichsten der Hinduismus,
Jainismus und Buddhismus im Bilde des Samsara eingefangen haben.
Und dennoch muß der Mensch erfahren, daß die Erscheinungen auf Erden
sich nicht ewig in diesem Kreise oder Rad bewegen. Es ist nicht dieselbe
Saat, die jährlich gesät wird, nicht dieselbe, die man erntet; Bäume fallen
und scheiden aus dem Zyklus aus, Tiere und Menschen sterben und verlassen
das Rad des Lebens. Der Hindu, J ain und Buddhist nehmen an, daß
Tier, Mensch und Gott in einer anderen Existenzform wieder ins Lebensrad
eingegliedert werden. Dennoch, es gibt Perioden, die nicht mit der vorausgehenden
identisch sind, mögen diese in der Grundstruktur auch gleich
sein - wenigstens nicht während der Lebenszeit eines Menschen. Möglich,
daß dies bei Zyklen höheren Grades geschah ( 6 ). Sonst aber erfüllte sich die
Dauer im Wechsel, wie Goethe sagte, auch hier: Das ideelle Prinzip des
Ewigen scheint nur im Vergänglichen der realen Formen auf.
V erän<jerungen sind mit den Sinnen erfaßbar. Philosophisch veranlagte
Gemüter mögen den irreversiblen Progreß der Zeit und damit die Endgültigkeit
der Vergangenheit und die Anheimgegebenheit an die Zukunft erkannt
haben. Für diese mag sich der vordergründige Kreislauf als eine Spirale
offenbart haben, die zwar zum Ausgangspunkt zurückführt, aber auf einer
anderen Stufe.
Aber ob Kreis oder Spirale, einst, illo tempore, müssen Zeit und Raum
ihren Anfang genommen haben. Der Gedanke vom Ur-Sprung taucht auf,
an dem tempus et spatium einst aufgebrochen waren und in deren Gewirk
die Welt sich konstituierte. Festgehalten ist dieses Ereignis im Ur-SprungsMythos
(Schöpfungsmythos, Schöpfungsbericht). Dessen alljährliche Rezitation
(7) soll auf analogie-magische Weise den Ur-Sprung des Zyklus aktualisieren
und revitalisieren, soll aus der sterbenden Periode, da alles ins
Chaos zurückzusinken droht, diese Welt wieder „ur-springen" lassen, Zeit
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und Raum erneuern und die Zuhörer-Zuschauer den Ur-Sprung affektiv
miterleben lassen.
Was aber Ur-Sprung hat, muß notwendigerweise Ende haben, damit ein
neuer Zyklus beginnen könne. In seiner Gedankenwelt konstruiert der
Mensch einen Groß-Zyklus, nach dessen Ablauf die ganze Welt mit allem,
was sie ausmacht, inklusive Götter, vernichtet wird, wonach eine neue
Welt entsteht. Oft sind die aufeinander folgenden Weltalter nach Qualität
unterschieden, sind also wieder dem temporalen Progreß unterworfen. So
kennen die Maya 4 Weltalter, die Azteken deren 5, die durch Wasser, Feuer,
Sturm und Erdbeben untergehen und in deren letztem Abschnitt wir
uns jetzt befinden. Die Plain Indians, ich spreche hier speziell von den
Oglalla, wissen von vier Weltaltern, repräsentiert in einer Büffelkuh, die jedes
Weltalter ein Bein verliert, und die gegenwärtig auf ihrem letzten Beine
steht, eine Vorstellung, die merkwürdig mit der brahmanistischen Lehre
vom Dharma korrespondiert, wo das göttliche Recht, ursprünglich auf vier
Füßen ruhend, gegenwärtig nur noch einen einzigen Fuß besitzt. Vier Weltalter
kennen Griechen und Römer (8), bei den Germanen ist noch ein Rudiment
da, von dem die Völuspa singt, usw. usw.
Die Weltalter sind die gewaltigsten kosmischen Leuchtfeuer, di~ der
Mensch setzt, aber auch das Vergehen der Weltalterperiode ist letztlich nur
ein Ausschnitt, so darf man vermuten, aus einem noch weit ungeheureren
Zyklus.
Dem Kreislauf zu entrinnen, haben sich die Menschen Verschiedenes ausgedacht.
Der Buddhist versichert das Verlassen des Samsara durch NichtAnhäufen
von Kharma, was das Übergehen in die totale Auflösung des Nirvana
garantiert. Judentum, Christentum und Islam haben sich mit der
Eschatologie beholfen, die schlecht verdeckt, gleichfalls nur das Bemühen
ist, dem ewigen Kreislauf zu entkommen, und die Sicherheit und Ruhe in
der Ewigkeit zu finden hofft.
Doch neben den gewaltigen Zyklen richtet der Mensch seinen Blick auf
weitere und kleinere Zeitabschnitte, die für ihn bei mittlerer Lebensdauer
noch durchaus zu erleben sind. Die Markiersteine der Abschnitte - sofern
es nicht gerade der letzte ist, in dem die Welt zusammenstürzt - sind Festlichkeiten.
Sie umfassen eine Reihe von Tagen, die aus der Flut der Tage
herausgehoben sind, und unter Veranstaltung ausgesuchter und bestimmter
Zeremonien begangen werden. Solche Feierlichkeiten dienen der Erinnerung
an die Ereignisse, die sich am Ur-Sprung zum ersten Male ereignet haben,
der Besinnung auf sie und deren Fixierung.
So tun wir heute. 10 Jahre sind seit dem Ur-Sprung des IC vergangen. 10
Jahre sind nicht viel, aber gemäß dem Dezimalsystem, mit dem wir unsere
Welt zu erfassen suchen, ist die Zehn der kleinste runde Abschnitt. Hallein,
das als Stadt gleichzeitig feiert, hat bereits 71/2 mittlere Abschnitte hinter
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sich, wenn ich auch überzeugt bin, daß die namengebenden Siedler, die Kelten,,
hier schon vor mindestens 3 Y2 Großzyklen siedelten.
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Wenn ich vorhin von Erinnerung, Besinnung und Fixierung sprach, die
eine Festlichkeit bestimmen, so will ich auch Einiges mir wichtig Erscheinendes
summieren, das das Institutum Canarium betrifft. Wer ausführlicher
darüber Bescheid wissen möchte, sei auf den Aufsatz von Al. Closs im
ALMOGAREN und die Festschrift der STADT HALLEIN verwiesen.
So frage ich denn nach dem, was am Ur-Sprung des Institutum Canarium
eigentlich geschah. Da ich nicht dabei war, muß ich mich - und als Religionswissenschafter
bin ich mir das gewohnt - auf den Ur-SprungsMythos
verlassen.
Der Keimpunkt war zweifellos der Wiener Linguist und Kulturhistoriker
Prof. Dr. Dominik Josef Wölfel (1888-1963), der sich eingehend mit der
Reliktstellung der kanarischen Inseln befaßte. Die dort vor der Conquista
Ende des 14. Jahrhunderts lebenden weißhäutigen Menschen hatten eine altertümliche
Kultur, offenbar jungsteinzeitlicher Prägung bewahrt, und ihre
Sprache schien mit jener der Berber und Libyer verwandt. Wölfel nahm an,
in den kulturellen Erscheinungen der Alt-Kanarier ein Relikt aus dem Neolithikum
mindestens des 4. Jahrtausend v. Chr. bewahrt sehen zu
können.Rassisch und kulturell wären die Alt-Kanarier demnach m. E. vorderorientalischer
Prägung, da eine indogermanische Überwanderung, wenn
überhaupt, frühestens um 2000 v. Chr. in Betracht käme und auch die
Kenntnis des Metalls mit sich gebracht hätte. Die Alt-Kanarier vermischten
sich nach ihrer Unterwerfung mit den Conquistadoren. Dennoch überlebte
Vieles im Volke, sei es in Märchen, Erzählungen, Legenden, Sagen, in der
Sprache, im Brauchtum, und nicht zu unterschätzen sind auch die spanischen
Chroniken, die Dinge tradieren, die verschwunden sind. Eine wahre
Fundgrube aber bilden die archäologischen Zeugnisse.
Wölfels Forschungen und Spekulationen wurden vielfach angefeindet,
und die Kontroversen dauerten bis über seinen Tod 1963 hinaus.
Aber bereits 1964 schlossen sich in Hallein um Herbert Nowak einige
Freunde zusammen, die die Feldforschungen Wölfels an Ort und Stelle aufnahmen
und weiterführten. Vor allem galt es, phänomenologisch die
Denkmäler der kanarischen Inseln aufzunehmen und zu ordnen, ehe an eine
Deutung gedacht werden konnte. Alois Closs, Prof. für vergleichende
Religionswissenschaft an der Universität Graz, nahm schon 1965 Kontakt
mit H. Nowak auf und leistete diesem jede nur mögliche Hilfestellung. Es
war auch Closs, der zusammen mit Dr. Hans Biedermann das große Werk
D. J. Wölfels, ,,Monumenta Linguae Canariae", zum Druck aufbereitete -
ein Werk, das nach 2-jährigen Arbeiten bereits 1965, also nur zwei Jahre
nach Wölfels Tod, erscheinen konnte.
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A. Closs war schließlich auch die Kontaktnahme zwischen H. Biedermann
und H. Nowak zu verdanken. Die Zeit schloß die Männer enger zusammen,
und ein erstes Treffen führte im Spätherbst 1969 zur Gründung
des Institutum Canarium, dessen erste Tagung im Mai 1970 stattfand.
Von Anfang an stand H. Biedermann dem IC als geschäftsführender Obmann
vor und wurde schließlich nach einigen Jahren zum Präsidenten gewählt.
Bis heute ist er, neben all seiner Arbeit als Lektor bei der ADEV A,
mit bewundernswürdigem und unermüdlichem Eifer das Haupt der Gesellschaft
geblieben. Er hält als spiritus rector das Ganze in lebendiger Bewegung.
Keineswegs unerwähnt aber darf Herbert Nowak bleiben, dessen Arbeitslast
Wenigen bekannt sein dürfte. Ihm zur Seite stehen die Halleiner
Freunde D. Ortner, S. Ortner, W. Eschbacher und W. Repis.
Viele Namen hätte ich noch zu nennen. Die Gefahr einige zu vergessen,
machen es schwer, überhaupt welche aufzuzählen. Aber bezüglich der kanarischen
Forschungen ist sicher an erster Stelle Wölfels Freund S. Jimenez
Sanchez zu erwähnen, dann H. Stumfohl, Al. Closs, K. J. Narr, S. Hummel,
H. Walter, I. Schwidetzky, H. Biedermann, H. Nowakund natürlich
I. Bussmeyer, R. Springer, B. Perez-Perez, nicht zu vergessen James Krüss.
Die kleine Gesellschaft des IC unterlag aber in jeder Hinsicht rasch dem
Gesetze von Raum und Zeit. Von den Kanaren erwies sich zunächst ein
geographischer Rückgriff auf Weißafrika als nächstem Vergleichsgebiet in
anthropologischer, linguistischer, archäologischer und wohl auch religionsgeschichtlicher
Hinsicht als notwendig. Schon 197 4 entwuchs dem Stamme
des IC die GISAF, mit der speziellen Zielsetzung, die Verhältnisse in der Sahara
zu erforschen. Die Forschungen sind mit den Namen R. Mauny, J. W.
Mavor jr., W. Pichl, G. Engljähringer, R. Kraml, E. Scherz, H. Nowak, D.
u. S. Ortner und natürlich L. Galand, P. Galand-Pernet, W. Creyaufmüller,
A. Simoneau, J. Kunz, F. Trost und M. Milburn verbunden.
Etwas gewagt war, ist und bleibt der Sprung über den Atlantik nach
Meso- und Südamerika, erweiterte aber natürlicherweise das Wirkungsfeld
des IC. Auslösendes Moment waren nicht nur T. Heyerdahls Ra-Fahrten,
sondern bereits Wölfel hatte 1952 in Wien darauf hingewiesen, daß Seefahrer,
die aus dem Mittelmeer oder von NW-Afrika kommen, um die kanarischen
Inseln zu erreichen, notwendigerweise nach Westindien getrieben
werden müßten, wenn sie das kanarische Archipel verfehlen. Eine Reihe
von Forschern hat sich in diesem Fachgebiete umgetan: Al. Closs, J. A.
Franck, K. H. Peiffer, Z. Krzak, Th. Bargatzky, J. L. Swauger, G. Weber,
H. Hartung, C. Gay, P. Brykcznski, A. Wiercinski, H. Biedermann, K. F.
Wellmann nicht zu vergessen, und hier darf ich als Allgemeiner Religionswissenschafter
und Amerikanist in aller Bescheidenheit vielleicht auch meinen
Namen anfügen.
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Weiter aber breitete sich der magische Wirkungskreis des IC aus. Nordafrika,
Süd- und SW-Afrika, Ägypten schlossen sich an, Anatolien, Afghanistan,
UdSSR und Indien folgten. Verbunden ist dieser Zweig mit den Namen
H. Kolmer, E. Dondelinger, H. Pager, A. u. R. Scherz,]. Witt, M. Uyanik,
M. Ksica, S. Beckensall, L. Wanke und dessen Freunde.
Merkwürdigerweise blieb bisher gerade das Gebiet unberührt, dessen
Wirkung auf das Neolithikum des Mittelmeerraumes und Zentraleuropas
am meisten Einfluß nahm, weil es die Basis für alle ackerbäuerlichen Kulturen
bildet: Der Nahe und der Mittlere Osten, d. h. Alt-Kanaan und Mesopotamien.
Wenn ich nun aber die Namen all der Forscher erwähnt habe, die sich
um das IC und dessen Anliegen verdient gemacht haben, will ich doch den
Mann nicht vergessen, der es die Jahre hindurch auf sich genommen hat,
unser Jahrbuch, das Almogaren in sorgfältigster Art drucken zu lassen, einen
Dienst, den wir alle zu schätzen wissen: Herrn Dir. H. Koegeler.
Entsprechend dem Wirkungskreise haben sich in Zeit und Raum auch die
Mitglieder des IC zusammengefunden. Heute zählt das IC 288 Mitglieder,
die GISAF 76. Aus 28 Ländern haben sich hier verwandtschaftlich fühlende
Seelen zusammengetan, 25 namhafte Institute sind beigetreten - wahrlich
ein stolzes und ermutigendes Ergebnis für nur 10 Jahre.
Nun nehmen wir ein neues Jahrzehnt in Angriff, das zweite in der Geschichte
des IC. Was soll ich dazu sagen? Sicher einmal ist all jenen zu danken,
die für das IC eine ganze Menge Zeit opfern, um seine Maschinerie in
Gang zu halten. Ich meine den Vorstand. Ihre Namen muß ich nicht nennen,
wir kennen sie alle. Herzlichen Dank für Eure Arbeit, meine Freunde.
Dem IC wünsche ich, daß es weiterhin blühen und wachsen möge. Aber
das IC kann das nicht von sich aus. Nur wir, wir alle zusammen, die wir
dieses IC bilden, wir, die wir uns in den Dienst des IC gestellt haben, nur
wir können machen, daß es blühe und wachse. Wir, seine Träger, müssen
unsere Kräfte, jeder an seinem Ort, nach seinem Vermögen einsetzen, damit
es lebe. Mit uns lebt und stirbt das Institut, das unsere immer wieder
neu zu leistende Schöpfung ist. Wie wir sind, so wird das IC sein, so wird es
nach außen in die Öffentlichkeit, in die Welt wirken. Das IC hat sich per
spatium et tempus internationalen Rang und Namen erworben, ist eine Organisation
geworden, auf die man blickt. Das Almogaren, unser Jahrbuch,
erfreut sich eines guten Rufes. Laßt uns also alle zusammenstehen für das,
was wir im IC zu verwirklichen suchen, und laßt uns bewahren, was das
IC, Internationalität hin oder her, geblieben ist: eine Vereinigung von
Freunden.
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Anmerkungen
1 Vgl. Wipf, Wanderer in der Nacht, Hallein 1980,13
Weltbau bei den Germanen, JB der GEFEBI, Bd. 2, 111 ff
2 Diese gedankliche Bewältigung ist auch bereits bei archaischen Jägern
und Sammlern festzustellen.
Vgl. G. Reichel-Dolmatoff, Amazonian Cosmos, Chicago und London,
19742
3 temp-lum „heiliger Raum" und temp-us „Zeit" stammen wie gr. temnein
von derselben idg Wurzel ,/temn-", die „schneiden" bedeutet.
4 Die Vorstellung von dieser Zentrumsstellung blieb bis Galileo Galilei
auch in der abendländischen Kultur bestehen. Die Vorstellung Rom, der
Vatikan und der Papst als vicarius Dei seien die axis mundi, um die sich
das Universum drehe, gründet in der archaisch-primitiven Vorstellung
von Weltberg, Weltsäule, Weltzentrum, axis mundi usw., die sich weltweit
ohne Mühe nachweisen läßt. Von daher wird die Härte, mit der Galilei
angefaßt wurde, verständlich. Er zerbrach buchstäblich ein Weltbild.
5 Freilich - ich bin mir dessen bewußt - ist dies ein die Wirklichkeit vergröberndes
Bild. Vieles fließt z. B. im Begriff des Zentrums zusammen:
Sipppenbaum, Weltbaum, Tierbaum, Seelenbaum, Gerichtsbaum, Baum
des Lebens, Mittelpfosten des Zeltes, Sippenhügel, Sitz der mütterlichen
Fruchtbarkeitsgöttin, Weltberg, axis mundi usw. Das kompakteste Bild
von Sippenbaum, Weltbaum, Tierbaum, Sitz der Muttergottheit, Weltberg,
axis mundi, Gerichtsbaum, Baum des Lebens und damit verknüpft
der Tempel in der Mitte ist die askr Yggdrasills, die Weltesche, bei den
Germanen (vgl. Wipf, Weltbau bei den Germanen, JB der Gefebi, Bd. 3,
91 ff.)
Bezüglich der am Zentrum anwesenden Gottheit möchte ich ausdrücklich
festhalten, daß ich keineswegs einen Monotheismus darunter verstanden
haben möchte, etwa im Sinne von Pater W. Schmidts UrMonotheismus,
den es nie gegeben hat. Selbst an Monolatrie zu denken,
verbietet sich.
6 Auf der Idee, daß Ähnliches, ja Gleiches nach Ablauf eines Zyklus wieder
eintrete und sich vollziehe, beruhen die Katun-Prophezeihungen der
Chilam Balam bei den Maya. Nach Ablauf eines sogenannten „rueda de
Katunes" (Katunfalte) ereignet sich Gleiches wieder. Etwas volkstümlicher
sind die bei uns gebräuchlichen 100-jährigen Kalender, die sich immer
noch großer Beliebtheit erfreuen.
7 z. B. in Mesopotamien am Akitu-Feste.
8 vgl. Ovids Metamorphoses, oder Lucrezens De rerum natura.
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