Hans BIEDERMANN, Graz:
GRUNDSÄTZLICHE BEMERKUNGEN ZUM DIFFUSIONISMUSISOLATIONISMUS-
PROBLEM IN DER KULTURGESCHICHTE
DES ALTEN AMERIKA
Als im Zeitalter der Entdeckungen europäische Seefahrer den Atlantik
überquert und den an seiner anderen Seite aufgefundenen Doppelkontinent
als „Neue Welt" erkannt hatten, stellten gelehrte Theologen die Frage, ob
die Einwohner Amerikas wie jene der Alten Welt als „Kinder Adams" und
als Besitzer von unsterblichen Seelen angesehen werden könnten. Als 1519
die spanischen Eroberer unter Heman Cortes an der Küste des Golfs von
Mexiko landeten und große Tempel aus Stein, später die volkreiche und
wohlorganisierte Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan (heute Mexico City)
kennenlernten, vermeinten sie, in einen Märchentraum im Stil der französischen
Ritterromane einzutauchen - so überraschend und unerwartet kam
für sie die Erkenntnis, daß in dieser Neuen Welt nicht hilflose Wilde, sondern
hochkultivierte Völker wohnten (was die Conquistadoren freilich
nicht daran hinderte, diese fremden Kulturen mit ihren in der Tat oft überaus
grausamen Kulten so rasch als möglich zu zerstören). Seit dieser Zeit ist
die Diskussion über die Frage, wie einerseits die „Indianer", andererseits
auch die hohe Kultur mit ihren großen Städten, dem Schriftbesitz, den Kulturpflanzen,
der wohlgefügten Verwaltung und ihren ähnlichen Eigenheiten
in die Neue Welt gekommen sein könnten, nicht mehr verstummt.
Bald knüpften Gelehrte an Platons Atlantis-Berichte an, die von einem
untergegangenen Inselreich im Westmeer erzählten, und brachten damit
die Hochkulturen Süd- und Mittelamerikas in Verbindung. Später setzte
sich die Annahme durch, daß transozeanische Seefahrten auch ohne einen
großen Inselstützpunkt im Atlantik möglich gewesen sein konnten und
daß Impulse für die Entstehung der neuweltlichen Hochkulturen auch auf
dem Seeweg nach Amerika gelangt sein mochten (,,Diffusionismus"). Mit
steigender Kenntnis der archäologischen Faktenmaterials aber verstärkte
sich, vor allem in Amerika selbst, die Meinung, die Hochkulturen der präkolumbischen
Neuen Welt seien isoliert von jenen der Alten Welt selbständig
entstanden (,,Isolationismus"). Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden
in der wissenschaftlichen Welt viele Kämpfe um diese beiden widersprüchlichen
Standpunkte ausgefochten, ohne daß bisher eine exakte Lösung des ·
Dilemmas möglich gewesen wäre.
Vom Standpunkt der historischen Geographie und Entdeckungsgeschichte
wird das Problem vergessener Transozeanfahrten häufiger und mit weniger
Widerstreben erörtert als von ethnologischer Seite aus, wobei die Fragestellung
für diese wissenschaftliche Disziplin freilich etwas anders gelagert
ist als für alle kulturanthropologischen Erwägungen. Daß sporadische
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Fernreisen immer wieder unternommen wurden und auch in historischen
und kartographischen Quellen mehr oder weniger deutliche Spuren hinterlass
. n haben, bedeutet noch nicht, daß auf diesem Wege auch ergologische
oder geistige Spuren in den andersartigen Lebensräumen erhalten geblieben
sein müssen. Erwähnt soll an dieser Stelle aber jedenfalls werden, daß der
Bonner Geograph Prof. Hanno Beck sein Vorwort zu einer Arbeit über
,,Die Kenntnis Amerikas vor Kolumbus" (Gallez 1980) mit dem programmatischen
Titel versehen hat „Die Alten kannten Amerika. Von Entdeckungsreisen,
die wir noch entdecken werden". Der Ethnologe, der auf
methodisch erfaßbare Indizienketten angewiesen ist, wird im Hinblick auf
,,Amerika vor Kolumbus" mit weitgehend andersartigen Problemen konfrontiert,
mit welchen wir uns hier auseinanderzusetzen haben.
Es ist klar, daß dieses überaus komplexe Thema im Rahmen eines Aufsatzes
nur andeutungsweise und kursorisch behandelt werden kann. Dennoch
ist es vermutlich von grundsätzlicher Bedeutung, einige mit dem gesamten
Problemkreis zusammenhängende Fakten in einer übersichtlichen Ordnung
anzuführen und zugleich zur Diskussion zu stellen.
Es ist wissenschaftsgeschichtlich begründet, daß an den amerikanischen
Universitäten die Frage nach der Entstehung der neuweltlichen Hochkulturen
„isolationistisch" behandelt wird: Wo immer höher organisierte Kulturen
entstanden, seien sie auf lokale Sonderentwicklungen zurückzuführen,
so etwa auf besonders günstige ökologische Faktoren und auf das Eintreten
bestimmter historischer Bedingungen für die Entstehung wohlorganisierter
Kommunal- und Zeremonialzentren, für die Entstehung einer
Priesterschaft, für die Entwicklung von Schriftzeichen bzw. ihrer typologischen
Vorstufen. Es sei auf Zufälligkeiten und auf die gleichartige psychische
Grundstruktur des Menschen zurückzuführen, wenn gewisse kulturelle
Manifestationen der neuweltlichen Kulturen stark an ähnliche Phänomene
in der Alten Welt erinnerten. Diese Grundhaltung gilt für die große
Mehrzahl der amerikanischen Ethnologen und Archäologen als die einzig
verbindliche Lehre, zusammen mit dem Axiom, daß die Besiedlung des
amerikanischen Doppelkontinents während der Eiszeit über die Beringstraße
erfolgt sei.
In der Tat klingt diese Auffassung unromantisch und vernünftig genug,
um sie akademisch akzeptabel zu machen - ganz im Gegensatz zu vielen
Diffusionstheorien der Vergangenheit, die von Dilettanten vorgetragen
und mit „hoaxes" (Schwindel), Mißverständnissen und okkulten Lehren
von mythischen versunkenen Kontinenten garniert waren. Wer immer sich
mit den Exponenten des „lunatic fringe" (des Narrensaumes) der Archäologie
befaßt hat, kennt all jene suspekten Beispiele für „ Clairvoyance", für
haltlose Behauptungen und Fehlinterpretation von Fundobjekten zur Genüge.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn große Gelehrte wie Alfonso
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Caso jede Diskussion über neuere Diffusionslehren brüsk ablehnten und
nur zeigen wollten, daß bestimmte Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Kulturobjekten
immer wieder auftreten würden und alles und nichts (praktisch
jedoch: nichts) aussagten.
Es soll jedoch nicht vergessen werden, daß die noch immer mit dem Makel
der Unseriosität behaftete Vorstellung, die Hochkulturen der Neuen
Welt könnten a) durch Kontakte mit jenen der Alten Welt begründet oder
b) durch die beeinflußt worden sein, nicht nur von Außenseitern propagiert
wurden. An dieser Stelle ist zu bemerken, daß die Möglichkeit a) der
eigenen Kreativität der Völker Amerikas offenbar zu wenig Rechnung
trägt, weshalb sie in neuerer Zeit nur selten vertreten wird. Die Möglichkeit
b) stellt eine bescheidenere und offenbar eher diskutable Form eines
· Diskussionsansatzes dar, und bei ihr hängt die Frage nach der Dikussionswürdigkeit
davon ab, ob sie von faktischen Möglichkeiten und von exakt
dokumentiertem Basismaterial ausgeht.
Es ist vielleicht didaktisch günstig, die verschiedenen Basis-Standpunkte
einfach zu charakterisieren:
I. Die Menschheit der Neuen Welt ist über die Beringstraße eingewandert,
und jegliche kulturelle Weiterentwicklung an manchen Orten ist ein
rein lokal-historisches Phänomen.
II. Die Menschheit der Neuen Welt ist nicht von Asien her über die Beringstraße
eingewandert, sondern sie hatte während der Eiszeit auch eine
andere Landbrücke zur Verfügung, die von Nordeuropa über die Färöer, Island
und Grönland verlief. Hochkulturen entstanden dann entweder unabhängig
(II/1) oder infolge bzw. unter Einflußnahme späterer Kontakte
(II/2).
III. Die nach der Eiszeit in der Neuen Welt autochthon gewordene
Menschheit stellte nur die Matrix dar, und zwar für in frühgeschichtlichen
Epochen transozeanisch erfolgte Kontakte mit höher entwickelten altweltlichen
Kulturen. Diese Kontakte erfolgten über den Pazifik (III/1) und
führten zu den Hochkulturen Altamerikas (III/1/1) oder haben diese wenigstens
beeinflußt (III/ 1/b ).
Gedacht wird aber auch an transatlantische Seefahrten (III/2), die entweder
für die Entstehung der neuweltlichen Hochkulturen verantwortlich gewesen
sein (III/2/a) oder sie wenigstens beeinflußt haben sollen (III/2/b).
- Die sind die grundsätzlichen Ausgangspunkte, die nach ihrer Definition
ansatzweise zur Diskussion gestellt werden sollen.
,,I." ist die orthodoxe isolationistische Lehre, die normalerweise bei Tagungen,
Kongressen und in Fachpublikationen als die allein seriöse Basis
für alle weiteren Erörterungen gilt. Sie beruht darauf, daß die amerikanischen
Archäologen ihr eigenes Basismaterial in allen Varianten und Entwicklungsstadien
sehr genau kennen und daher keine Notwendigkeit emp-
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finden, lokale Entwicklungen mit Hilfe eines fremden „deus ex machina"
zu erklären. Auch ist ihnen die Kreativität der von ihnen studierten Ethnien
o geläufig, daß sie kein Motiv für die Annahme sehen, irgendwelche
Inno~ationen im Kulturbesitz könnten nur von „fremden Kulturbringern"
herrühren. _
II. Die Möglichkeit, daß es während der Eiszeit infolge der damals im
weitverbreiteten Inlandeis gebundenen großen Wassermenge einen niedrigeren
Meeresspiegel gab, und daß daher von Nordeuropa über Island und
Grönland eine (Eis-)Landbrücke bestand, die später zu einer Inselkette zerfiel,
wurde bisher vorwiegend nur von Geologen und Geographen ins Kalkül
gezogen, während die amerikanischen Anthropologen sie weitgehend
ignorierten. Die beigegebene Karte von Karl A. Frank stammt aus einem
der sehr wenigen diskutablen Bücher, die sich palethnologisch mit dem
,,Atlantis"-Thema befassen. Es wäre erstrebenswert, wenn die Anthropologen
Amerikas sich mit dieser paläogeographischen Möglichkeit auseinandersetzen
wollten, denn sie könnte in physisch-anthropologischer Hinsicht
dazu beitragen, das sporadische Auftreten „europider" Rassentypen im
vorkolumbischen Amerika zu erklären.
III. Transpazifische Kontakte wurden wiederholt in die Diskussion geworfen,
wozu vor allem der Fund von Keramik, die an altjapanische Formen
erinnert, in Ecuador beigetragen hat. Die bekanntesten Exponenten
transpazifischer Kontakthypothesen waren R. v. Heine-Geldern und G. F.
Ekholm, und später versuchte der Wiener Ethnologe K. Knöbl mit der
Dschunke „Tai-Ki" den praktisch-experimentellen Nachweis der Durchführbarkeit,
der jedoch nicht (oder nur zum Teil) gelang. Seit Jahren bemüht
sich Th. Barthel (Tübingen) um den Nachweis, daß bestimmte Details
des altmexikanischen Kalenderwesens und der ihnen zugeordeten
Gottheiten so eng mit süd- und südostasiatischen Vorbildern vergleichbar
sind, daß eine unabhängige Entstehung sehr unwahrscheinlich wäre. Eine
methodisch einwandfreie Diskussion darüber kommt vor allem deshalb
nur schwer in Gang, weil die Beurteilung der Argumente nicht nur eine
gründliche Ausbildung in Mexikanistik, sondern auch in der Archäologie,
Religionsethnologie und im Kalenderwesen Süd- und Südostasiens erfordern
würde. Es fällt Th. Barthel offenbar sehr schwer, kompetente Diskussionspartner
zu finden, und die kritische Haltung seiner Theorie gegenüber
ist daher vorwiegend von dem allgemeinen ,,!.-Vorurteil" allen diffusionistischen
Meinungen gegenüber geprägt.
III/2 - Hypothesen, die vergessene transatlantische Kontakte zum Gegenstand
haben, werden meist apriori noch weniger ernstgenommen als jene,
die von Transpazifikfahrten berichten wollen. Sie tragen das Stigma der
Atlantis-Phantasien und der alten Phönizier-Hypothesen, die großteils von
gefälschten oder zumindest sehr dubiosen Funden von Inschriften abhängig
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waren. Die Tatsache, daß Transatlantik-Fahrten mit ganz einfachen nautischen
Mitteln wiederholt durchgeführt wurden (Lindemann, Alain Bombard,
schließlich Thor Heyerdahl mit den Schilfbündelflößen „Ra" und
„Ra II"), haben wohl gezeigt, daß die Überquerung des Atlantiks von den
Kanarischen Inseln bis nach Westindien - meist: bis Barbados - auch in
ur-und frühgeschichtlichen Epochen durchgeführt werden konnte, doch an
der apriori ablehnenden Haltung amerikanischer Anthropologen nichts geändert.
Zu den neueren Exponenten der hier als III/2/b bezeichneten Ansicht
gehörte der Wiener Ethn·ologe und Linguist Dominik Josef Wölfel
(1888-1963), der 1952 beim Ethnologenkongreß in Wien die Diskussion
um „Transatlantic Relations of Ancient American High Cultures" entfachte.
Leider wurde der Vortragstext niemals schriftlich fixiert und veröffentlicht.
Er ging von der Tatsache aus, d a ß d ie K a n a r i s c h e n I n -
seln sein eigentliches Forschungsgebiet
n o t w e n d i g e r w e i s e i n u r - u n d f r ü h g e s c h i c h t 1 ich
e n Epochen auf dem Seeweg besiedelt worden
sein müssen, und zwar vom Westrand des Mittelm
e e r r a u m e s h e r . Jedes Schiff, das in die Gewalt der Wind und das
Meer gleicherweise bewegenden Passatdrift gerät und die Kanarischen Inseln
verfehlt, muß zwangsläufig quer über den Atlantik getrieben werden
und nach etwa 4 Wochen irgendwo in Westindien landen. Wenn die Seefahrer
die Durststrecke überleben, landen sie meist auf der Insel Barbados
(ist es ein Zufall, daß der Inselname „die Bärtigen" bedeutet? Könnte es
sein, daß schon in vorkolumbischer Zeit bärtige Europide dort strandeten
und ein vergessener Entdeckungsreisender sie „Isla de los barbados" nannte?).
Wölfel war natürlich bestrebt, auch ethnologisch aussagekräftiges Belegmaterial
für seine Variante III/2/b zusammenzutragen, und zwar unter
Wahrung der methodischen Grundsätze: möglichst enge Parallelen; Parallelen
bei möglich komplizierten Objekten, die den Zufall unabhängiger Entstehung
ausschließen; Parallelen nicht nur bei isolierten Objekten, sondern .
möglichst bei solchen, die in einem sinnvollen Komplex-Konnex stehen.
Sein zu früher Tod verhinderte, eine systematische Materialsammlung in
Angriff zu nehmen. .
Etwa gleichzeitig mit Wölfel versuchte Jose Alcina Franch, mit Hilfe von
ergologischem Vergleichsmaterial seine „Transatlantische These" zu stützen,
die er folgendermaßen formulierte:
„Im Verlauf des zweiten vorchristlichen Jahrtausends überqueren eine
Reihe von Menschengruppen, gering an Zahl urid unter außergewöhnlichen
Umständen, den Atlantik von den Küsten Nordwestafrikas und den
Kanaren in Richtung Amerika, Träger eines weitläufigen ergologischen
und animologischen Gemisches neolithischen Charakters, deren kulturelle
Spuren wir in einer ziemlich umfangreichen Reihe von Merkmalen verfol-
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gen können, deren anthropologische Spuren jedoch nicht vorhanden oder
sehr verschwommen sind und infolgedessen sehr verworren - Europide
unH Negride in Amerika - und deren linguistische Reste schließlich bis
hehte nicht ausreichend beobachtet oder studiert wurden".
Während die Literatur über transpazifische Kontaktmöglichkeiten relativ
gut bekannt ist, trifft dies für „III/2" nicht zu, was das Zitat wohl genügend
motiviert.
Einige Erörterung in methodischer Hinsicht braucht Alcinas Hinweis
„gering an Zahl und unter außergewöhnlichen Umständen." Es erhebt sich
die Frage, ob sporadische Kontakte in einem fremden Kulturmilieu überhaupt
irgendwelche Spuren hinterlassen könnten - ob es nicht wahrscheinlicher
wäre, daß unfreiwillig über den Ozean Verschlagene von den
„Gastgebern" getötet oder zur Assimilation und Aufgabe ihrer kulturellen
Eigentümlichkeiten gezwungen worden wären. Diesem Problem hat sich
großer methodischer Sorgfalt der Hamburger Ethnologe Thomas Bargatzky
gewidmet und kam dabei zu weitgehend negativen Antworten. Nur selten
waren „Fremde" in der Lage, kulturelle Innovationen durchzuführen;
meist gerieten sie in die Sklaverei der „Gastgeber" wie Geronimo de Aguilar
und Gonzalo Guerrero bei den Maya am Cap Catoche in Yucatan. Die
,,Fischerboot-Hypothese" (also die Annahme, daß durch Wind und Meeresströmung
verschlagene kleine Boote mit ihren Insassen ausreichen, um
in anderen Kontinenten Kulturänderungen herbeizuführen) hat demnach
wenig Wahrscheinlichkeit. Einflußnahmen wären nur dort denkbar, wo
Transozeanfahrer in größerer Zahl und mit zivilisatorisch aktiven Insassen
an Bord auftraten. Ob dies im Laufe der Weltgeschichte in präkolumbischen
Epochen jemals der Fall war, ist völlig ungeklärt. Methodisch richtig
wäre es jedoch, diese Möglichkeit nicht von vornherein als unseriös von der
Hand zu weisen. Um eine solche Möglichkeit in den Rang einer diskutierbaren
Theorie zu erheben, müßten freilich für alle Kulturgüter Vergleiche
mit großer methodischer Sorgfalt durchgeführt werden. Werner Müller
schrieb in seinem Aufsatz „Stufenpyramiden in Mexiko und Kambodscha"
(in: Paideuma VI, November 1958) zu dem gesamten Problemkomplex folgende
Sätze:
„Das Prinzip des Vergleichs verliert an Kraft, solange nur isolierte Stücke
verglichen werden; keine noch so große Ähnlichkeit vermag den Verlust
des Zusammenhanges zu ersetzen, in den doch jedes Vergleichsobjekt notwendig
eingebettet ist. Erst die Verwendung von gewordenen Einheiten,
die zwei oder mehr Glieder zu einem sinnvollen Ganzen verbinden, erschöpft
diese Methode bis ins letzte. Ein derartiges Strukturfeld überzeugt
stärker durch die Bewahrung der inneren Zusammenhänge und blockiert
zugleich mögliche Fehlerquellen weit besser als die Benutzung herauspräparierter
und isolierter Belege."
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Einen beherzigenswerten „Ordnungsruf" an die Adresse allzu hypothesenfreudiger
Fachkollegen richtete B. Mundkur (University of Connecticut,
Storrs) in der Zeitschrift „Current Anthropology" vom Oktober 1980,
indem er seinen Diskussionsbeitrag „On Pre-Columbian Maize in India
and Elephantine Deities in Mesoamerica" mit folgenden Sätzen abschloß:
„The theoretical implications of a belief in transoceanic culture diffusion
to pre-Columbian America concern archaeologists and anthropologists
greatly. lt is, therefore, incumbent on the diffusionist to exercise caution in
gathering data and to strive for knowledgeable interpretation of the item.
T o forestall the premature progression of a mere hypothesis based on incomplete
or questionable ,facts' provided by the diffusionist to the status of
a theory, it is important that the assertions be scrutinized carefully and relentlessly."
Dies bedeutet nicht, daß jede Frage nach einem möglichen außeramerikanischen
Ursprung neuweltlicher Kulturelemente zu unterbleiben habe. Im
Hinblick auf paläobotanisches Evidenzmaterial zu vorkolumbischen Transozeanfahrten
kritisiert Charles F. Heizer (Indiana University, Bloomington)
seinen Fachkollegen George F. Carter (Texas A & M University) in
der Zeitschrift „Early Man" (Evanston/ILL., Spring 1980), deren erwähnte
Nummer als Generalthema „Pre-Columbian Voyages to the New World:
An Onview" trägt, meint aber abschließend: ,,I think George's work has
been very stimulating. And he has been sometimes right, too ... W e need
people like him because he forces others to work harder to prove him
wrong. Or prove him right."
Im Hinblick auf eine faktische Evidenz für vorkolumbische Transozeankontakte
auf kulturvergleichender Basis wäre für den Archäologen ein Modell
erwünscht, das etwa so auszusehen hätte:
Eine neuweltliche Fundstätte wird stratigraphisch erforscht, und im Kulturbesitz
aufeinandei;folgender Straten tritt ein auffälliger Hiatus auf, in
Form von Elementen, die keine allmähliche Entwicklung erfahren haben,
sondern sich als Komplexe von Innovations-Fremdkörpern darstellen. Diese
sind in keinem etwas älteren Stratum neuweltlicher Fundstätten nachzuweisen,
weisen aber signifikante Parallelen zu ähnlich datierten Komplexen
in der Alten Welt auf. ·
Nur eine solche Situation, die bisher noch nicht eingetreten zu sein
scheint, wäre die Basis für eine seriöse Diskussion diffusionistischer Themen.
Nicht hingegen trifft dies für Funde von Kunstwerken zu, die offensichtlich
„europide Rassentypen" zeigen (vgl. II), ebensowenig für oberflächliche
Parallelen allgemeinerer Art in chronologisch nicht vergleichbaren
Altersstufen (Zikkurats in Babylon, Stufenpyramiden in Mesoamerika),
nicht einmal für eindeutig definierbare, jedoch isolierte Streufunde
(das spätrömische Tonköpfchen in der mexikanischen Fundstätte
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Calixtlahuaca). Weiterführen kann nur die methodisch einwandfreie, dabei
ohne vorgefaßte Meinung vorangetriebene Forschung.
~--
Kartenskizze zur paläogeographischen Situation im Nordatlantik am Ende
der letzten Eiszeit. Die Landbrücke löste sich bei steigendem Meeresspiegel
in eine Inselbrücke auf, die jedoch mit einfachen Mitteln noch immer begehbar
war. Nach Frank 1978
SUMMARY
This paper is meant as a short review of the current approaches with respect
to the question whether the ancient high civilizations of the New
World have been influenced by Old World civilizations or not. In consequence
of many previous hoaxes and misinterpretations the scepticism of
„orthodox americanists" can easily be unterstood, but this attitude should
not lead towards an a-priori-negativism when trans-oceanic contacts in preColumbian
times are discussed. Nautical experiments have shown that
from the technical standpoint contacts of this kind must have been possible.
Until now, however, it has not yet been possible to show the presence
of complex innovations, comparable with similar complexes in Old World
strata of a similar age, in stratigraphical excavations of New W orld sites.
Only in this case the majority of American archaeologists could be convinced
of the necessity of a pre-Columbian trans-oceanic contact theory.
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LITERATURHINWEISE
Die bei Diskussionen über das Generalthema häufig zitierte Fachliteratur
wird an dieser Stelle nicht neuerlich zitiert (Caso, Heyerdahl, HeineGeldern,
Meggers, Kirchhoff, Ekholm, Carter, Barthel usw.), sondern lediglich
die weniger bekannten Arbeiten, die hier unmittelbar zu beachten
sind.
ALCINA-FRANCH, J.:
Bericht über das erste internationale Symposium über mögliche vorkolumbische
transatlantische Beziehungen (1970). In: ALMOGAREN 11/1971,
Hallein. ·
Beziehungen zwischen den Kanarischen Inseln und Amerika in prähistori- ·
scher Zeit (ebd.).
BARGATZKY, TH.:
Die ,Fischerboothypothese' in der Erforschung mutmaßlicher Kulturbeziehungen
zwischen der Alten und der Neuen Welt in vorkolumbischer Zeit.
In: ALMOGAREN V-VI/1974-75, Graz.
BIEDERMANN, H. (Hrsg.):
St. Brandanus, der irische Odysseus. Graz 1980.
CLOSS, A.:
Die nautischen Voraussetzungen der kanarischen Landnahme und transatlantischer
Kultureinflüsse aus dem eurafrikanischen Westeuropa. In: ALMOGAREN
11/1971, Hallein.
FRANK, KARL A.:
Atlantis war anders. Graz 1978.
GALLEZ, PAUL:
Das Geheimnis des Drachenschwanzes. Die Kenntnis Amerikas vor Kolumbus
(=La protocartographie de l' Amerique du Sud du deuxieme au seizieme
siede). Vorwort: Hanno Beck. Berlin 1980.
MARSCHALL, WOLFGANG:
Transpazifisch~ Kulturbeziehungen. Studien ihrer Geschichte. München
1972 (mit ausführlicher Bibliographie).
RILEY, CARROLL L. (Hrsg):
Man Across the Sea. Problems of Pre-Columbian Contacts. U niversity of
Texas Press, 1971.
WUTHENAU, A. v.:
Unexpected Faces in Ancient America. 2nd Special Edition, New York
1980.
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LIEFERBARE BOCHER
Dominik Josef Wölfet
LEONARDO TORRIANI - DIE KANARISCHEN INSELN UND
1 HRE URBEWOHNER
Eine unbekannte Bilderhandschrift vom Jahre 1590
Nachdruck der Ausgabe 1940
466 Seiten, 3o Abb., 15, 5 x 23, 5 cm
öS 420, -- (ca. DM 60, -- )
Aus dem Inhalt:
Die primären Quellen - Die Ureinwohner der Kanarischen
Inseln als Hauptproblem alteuropäischer und altnordafrikanischer
Forschung - Die neuere Forschung -
Der Text Torrianis: Urtext und Übersetzung - Kommentare
usw.
Dominik Josef Wölfet
DIE RELIGIONEN DES VORINDOGERMANISCHEN EUROPA
Nachdruck der Auflage 1958
537 Seiten, 14 x 23 cm, fester Einband, Schutzumschlag
öS 420,-- (ca. DM 60,--)
Aus dem Inhalt:
Die Religion der Megalithiker - Der Totenkult der Megalithiker
- Der Ursprung des Megalithikums - Die Inseln
im Westbecken des Mittelmeeres und Italien - Die Reli gion
der minoisch-kretisch und mykenischen Kultur - Die
Religion der Kanarier - Libyer und Berber - usw .
BURGFRIED-VERLAG
A- 5 400 H a 1 1 e i n
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