Almogaren XXIII / 1 992 Hallein 1993 263 - 278
Werner Pichler
Las Paredes oder die Frage der politischen Organisation
und territorialen Gliederung Fuerteventuras
Flurbegrenzende Mauern sind auf den Kanarischen Inseln im allgemeinen
und auf Fuerteventura im speziellen keine Seltenheit. Viele wurden aus der Zeit
der Altkanarier übernommen, weiter verwendet oder in neuere Anlagen einbezogen,
viele aber auch abgetragen, um ihr Material für Neubauten zu verwenden.
So manches ist dem Bauboom der letzten Jahrzehnte zum Opfer gefallen.
Was sich heute auf Fuerteventura an Trockenstein-Mauerwerk präsentiert, ist
sehr unterschiedlich in Größe, Bauart und Erhaltungszustand und nicht leicht in
die ohnedies sehr vage Chronologie der Inselgeschichte einzuordnen.
Trotz dieser Vielfalt ist in der Literatur immer nur von einer Mauer die
Rede - "La Pared": die sagenumwobene Mauer, die zur Zeit der Majoreros die
nach ihr benannte Landenge im Süden der Insel von Meer zu Meer durchzogen
und so nicht nur die Halbinsel Jandia vom Hauptkörper der Insel, sondern
damit zugleich auch die beiden Königreiche der Insel getrennt haben soll.
Vergleicht man die Erwähnungen der "muralla gigantesca" (Berthelot J 849/
1978: 72) in verschiedensten Publikationen, so muß man eine erstaunliche Vielfalt
und Widersprüchlichkeit feststellen:
Dominik Wölfe! (1940: 237): "Von der kyklopischen Mauer gibt es heute
noch gewaltige Reste". John Mercer (1973: 55): " ... the unique Jandia wall ... is
just a simple narrow-width wall". Almut und Frank Rother (J 979: 275): "Die ...
Landenge war einst von einer Grenzmauer von Küste zu Küste durchzogen
(heute nur noch wenige Reste erhalten)". Peter Rothe (1986: 32): " ... zyklopische
Mauern, die an Megalithkulturen erinnern".
Kein Wunder, daß auch in den zahlreichen, für den Tourismus gedachten
Veröffentlichungen die Desinformation überwiegt. Daraus seien nur einige
Beispiele zitiert:
Peter Kensok (J 989: 270): "Der Istrno de la Pared ... In dieser Gegend wurden
Mumien von Guanchen gefunden. Die Bergwände als kyklopisch bezeichnet,
als abwechslungsreich mit geschichtet wirkenden Mauern". Karl Heinz Heim
(J 989:82): "Ein plausibler Nachweis für die tatsächliche Existenz dieses
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kanarischen Limes konnte bisher allerdings nicht erbracht werden" .
Willi Kerl (1990:299): "Am östlichen Rand der Landenge erstrecken sich von
Küste zu Küste die Ruinen einer aus Lavasteinen aufgeschichteten Wand - La
Pared". Marco Polo Fuerteventura-Reiseführer ( 1991 : 75): "Einer Theorie zufolge
stand hier in vorspanischer Zeit eine Mauer ... , doch gibt es hierfür keinen
Beweis. Worauf sich der Name der Landenge bezieht, ist unklar". Ewald Otto
Schwarzer (o.J.: 42): "Eine Mauer, ehemals von Küste zu Küste verlaufend,
begrenzte hier zwei Königreiche".
Schon diese kleine Auswahl weist auf ein Phänomen hin, das in seiner Art
innerhalb der Erforschung der kanarischen Vorgeschichte nicht vereinzelt dasteht.
Viele haben über die Mauer geschrieben, nur wenige haben sich der
Mühe unterzogen, den Fragen nach ihrer Existenz, ihrem Aussehen und ihrer
Bedeutung durch Quellenstudiun1 bzw. praktische Feldforschung nachzugehen.
Die Quellenlage ist tatsächlich nicht einfach. Trotzdem scheint eine der
Wurzeln der Verwirrung in der ungenauen bzw. unvollständigen Zitierung der
Quellen zu liegen.
Als älteste Quelle kann die von den beiden Kaplänen der "normannischen
Kanaren-Expedition" des Jean de Bethencourt, Pierre Boutier und Jean Le
Verrier, aufgezeichnete Chronik der Eroberung betrachet werden. Von dieser
ursprünglichsten Quelle unseres Wissens über die Vorgeschichte der Inselgruppe,
die unter dem Titel "Le Canarien" bekannt ist, gibt es nur noch mehrere, voneinander
abweichende Kopien. Auf die komplizierte Textgeschichte kann in diesem
Zusan1menhang nicht eingegangen werden, sie wird bei Serra Rafols ( 1965)
behandelt.
Nun taucht in der neueren spanischen Literatur wiederholt die Behauptung
auf, daß die französischen Chronisten nur eine Mauer auf Fuerteventura erwähnt
hätten, nämlich die des Isthmus. Dies trifft allerdings nur für die Kopie G
zu, die wahrscheinlich im Jahre 1405 von Gadifer de Ja Salle, dem Gefährten
Bethencourts, nach Frankreich gebracht worden war, lange Zeit in privater Hand
war, erst 1888 vom Britischen Museum angekauft und 1896 in Paris veröffentlicht
wmde. Hier heißt es tatsächlich in Kapitel 68 (Le Canarien 1965: 134):
"La isla de Erbania, que se dice Fuerteventura, contiene 24 leguas francesas de
largo y 7 de ancho, y en cierto punto solo tiene una legua. Alli esta una grande
y ancha pared que coge todo el pais a traves, de w1 mar al otro." (Die Insel
Erbania, die man auch Fuerteventura nennt, hat eine Länge von 24 französischen
Leguas, an einer bestimmten Stelle aber nur l Legua. Dort gibt es eine
große und breite Mauer, die das ganze Land durchquert, von einem Meer zum
anderen.)
In der Version B, die der Normanne Jean de Bethencourt im Jahre 1406 in
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seine Heimat gebracht hatte und die schon 1629/30 in Paris veröffentlicht wurde,
heißt es allerdings im Kapitel 74 (Le Canarien 1980: 184): " ... tambien tienen
hacia el centro del pais un muro de piedra muy grande que en aquel punto se
extiende pro toto lo ancho del pais, de un mar al otro" (Auch haben sie nahe
dem Zentrum des Landes eine sehr große Steinmauer, die sich an dieser Stelle
über die ganze Breite des Landes von einem Meer zum anderen ausdehnt.)
Damit ist mit Sicherheit nicht die Mauer an der Landenge von Jandia gemeint.
Von "Le Canarien" bis zu den nächsten Chronisten klafft eine Lücke von
etwa 200 Jahren. Leonardi Torriani erwähnt in seiner Bilderhandschrift über
"Die kanarischen Inseln und ihre Urbewohner" aus dem Jahre 1590 die Thematik
der Mauem auf Fuerteventura mit keinem Wort. Abreu Galindo ( 1602/ 1977:
60) schreibt in seiner nur wenige Jahre später erschienenen "Historia de la
conquista de Ja siete islas de Canarias": "Estaba dividida esta isla de Fuerteventura
en dos reinos, uno desde esta la villa hasta Jandia, y la pared de ella; ... y el otro
desde Ja villa hasta Corralejo ... y partia estos dos sefiorios una pared de piedra,
que va de mar a mar, cuatro leguas." (Die Insel Fuerteventura war in zwei
Königreiche unterteilt, eines von der Stadt - Betancuria - bis nach Jandia und
seiner Mauer ... und das andere von der Stadt bis Corralejo. Getrennt wurden
diese beiden Herrschaftsbereiche durch eine Steinmauer, die - 4 Leguas lang -
von Meer zu Meer reichte.) Galindo bestätigt also die Existenz einer Mauer in
der Mitte des Landes, wobei allerdings die angegebene Länge von 4 Leguas (=
ca. 16 km) nicht stinunen kann. Die Insel ist an dieser Stelle etwa 26 km breit.
Die Problematik der Mauern Fuerteventuras war - wie wir gesehen haben - von
Anfang an eng verknüpft mit der Frage der politischen Organisation und
territorialen Gliederung der Insel. Doch darauf soll später näher eingegangen
werden.
Die Aussagen der weiteren Chronisten sind lückenhaft und widersprüchlich.
George Glas (1764/1976) beschäftigt sich in seiner "Descripci6n de las
islas Canarias" - dem Hauptinteresse seiner Zeit folgend - mehr mit den Küsten
und Hafenplätzen als mit dem Landesinneren und erwähnt keine Mauer. Sabin
Berthelot ( 1849/ 1978: 72) verknüpft in seiner "Etnografia" zum ersten Mal die
Mauer von Jandia mit der Grenze der beiden Herrschaftsbereiche: "La murella
gigantesca que atravesaba el itsmo (sie!) de Ja Pared de oriente a occidente, en
un espacio de cerca de quatro leguas, dividia el pais en dos principados." (Die
gigantische Mauer, die den Isthmus von Pared auf einer Strecke von 4 Leguas
von Ost nach West durchquert, teilt das Land in zwei Fürstentümer). Die falsch
übernommene Längenangabe, die auf keinen Fall für die Landenge zutrifft ( die
Breite des Isthmus beträgt, wie in "Le Canarien" richtig angegeben, etwa l
Legua), beweist, daß es sich um eine irrtümliche Verquickung der Thematik
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Mauern mit der Thematik Herrschaftsgrenzen handelt. Eine Verquickung allerdings,
die unausrottbar bis in allerjüngste Zeit überlebt hat.
Ausgehend von dieser Annahme, daß die Insel durch eine gewaltige Mauer
in zwei Reiche getrennt gewesen sei, schließen einige Autoren sogar darauf,
daß "Erbanne", ein alter Name für Fuerteventura, auf dieses Bauwerk Bezug
nehme. Cubillo Ferreira schlägt eine Ableitung des Namens von der berberischen
Wurzel "rbn" = erbauen, errichten vor und verweist in diesem Zusammenhang
auch auf die Bezeichnung "arban", die in der Oase Siwa für "Haus" üblich sei
(zitiert bei Navarro Artiles 1981: 134). Für Georges Marcy ist "ärbani" eine
Dialektvariante von "ar-bani", das er, von der libyschen Wurzel "bani" = Mauer
abgeleitet, als "Ort der Mauer" übersetzt (zitiert bei Herruindez-Rubio Cisneros
1983: 419). Alvarez Delgado, der diese Ableitung ursprünglich ablehnt, akzeptiert
sie später und meint die Namensgebung so erklären zu können: Die Dolmetscher
Bethencourts fragten die Eingeborenen auf Lanzarote und Fuerteventura
nach den Namen ihrer Länder und da diese keine Bezeichnung für die
gesamten Inseln kannten, nannten sie jeweils den Namen der Gegend, in der
man sich gerade befand: Titerogakaet für die Gegend des Rubic6n im Süden
Lanzarotes und Erbanne für die Landschaft um Tarajelejo. Beide Bezeichnungen
wurden von den Kaplänen Bethencourts fälschlicherweise auf die gesan1-
ten Inseln ausgedehnt. Zwei Jahrhunderte später verwendeten die Informanten
Torrianis auf die Frage nach einem Namen für die gesamte Insel den Ausdruck
"maoh". Da sie dies für beide Inseln getan hätten, könne maoh - so Alvarez
Delgado - keine spezifische Landschaftsbezeichnung, sondern nur ein allgemeiner
Gattungsbegriff für "das Land" sein (zitiert bei Hernändez-Rubio
Cisneros 1983: 419 f) . Diese Meinung ist in der Fachwelt nicht unumstritten
geblieben.
Zur Frage der tatsächlichen Existenz bzw. Lage der beiden Mauern
Ohne Zweifel existent ist - trotz gegenteiliger Behauptungen - die südliche
der beiden Mauem. Zahlreiche Geländenamen in der Gegend der Landenge
verweisen auf sie. Die Landenge selbst heißt lstmo de la Pared, an der westlichen
Küste gibt es eine Playa de Ja Pared, an der der Barranco del Valle de la
Pared mündet. Auch die neuerdings hier ausufernde Siedlung nennt sich
Urbanizaci6n La Pared (Abb. 1 ). An der Ostküste taucht die Bezeichnung als
Cuesta de Ja Pared - wohl etwas zu weit nördlich - auf. In der FuerteventuraKarte
des Franziskanermönchs San Fernando de las Buenas Letras de Sevilla
(im Museo Canario/Las Palmas) aus dem Jahre 1779 ist an dieser Stelle der
Name Puerto de la Pared eingetragen.
Nur wenige haben sich auf den Weg gemacht, die Überreste der Mauer zu
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Abb.1
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Abb. 2 und 3
suchen, wahrscheinlich niemand hat sich der Mühe eines kilometerlangen Marsches
durch die wüstenhafte Landschaft unterzogen, um dem gesamten Verlauf
der Mauer zu folgen. Auch Tejera Gaspar & Gonzalez Anton (1987: 147) schreiben:
"no ha sido aun estudiada" (sie wurde noch nicht erforscht). Selbst Serra
Rafols, der wahrscheinlich beste Kenner der Materie, schreibt, er habe verzichtet,
der Mauer bis zu jener Stelle zu folgen, wo sie sich in der Landschaft
verliert. Von ihm stammen aber die einzigen detaillierten Angaben über das
Bauwerk (Serra Rafols 1960: 373): " ... una construcci6n de 1,50 metros de
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altura, por termino medio, y de poco mas de medio metro de espesor ... Es ooa
pared muy s6Jida, de bloques apenas desbastados, presentando restos de casas
aborigenes adosadas en ella" .(Eine Konstruktion von durchschnittlich 1,50 Meter
Höhe ood etwas mehr als einem halben Meter Dicke. Es ist eine sehr solide
Mauer aus kaum bearbeiteten Blöcken, angebaut an sie finden sich Häuser der
Ureinwohner). Auch an anderen Stellen (Serra Rafols 1959: 236 und 1965:
234) wiederholt der Autor diese Angaben ood ergänzt richtigerweise, daß die
Mauer an der Westküste relativ gut erhalten, während sie an der Ostküste nicht
mehr auffindbar sei.
Die Mauer beginnt an der Westküste nicht wie bei Mercer (1973: l 04)
angeführt bei den "southern cliffs ofthe Beach ofthe Wall", sondern etwa 500
Meter weiter nördlich an den Kliffs "Baja de los Erizos" (Abb. 2 und 3). Sie
führt vom Steilabbruch der Küste leicht ansteigend (heute parallel zu einer
Piste) in östlicher Richtung auf die Montafietas de Pasa Si Puedes zu. Diese
Namensgeboog (Passiere, wenn du kannst) könnte durchaus in Beziehung zu
einer Grenzmauer stehen. In diesem Bereich ist die Mauer etwa 0, 70 Meter
breit und erreicht heute noch Höhen bis zu l Meter. Auffällig an ihrem Bau ist
die Erscheinung, daß häufig an ihrer Basis die ootersten Steine hochkant gestellt
und zum Teil in der Erde versenkt wurden (Abb. 4A). Die Steine wurden
mit ziemlicher Sicherheit nicht bearbeitet, jedoch so gut ausgesucht, daß auch
ohne Verwendung von kleinen Steinkeilen eine beachtliche Stabilität erreicht
wurde.
Am Fuße der Montafietas de Pasa Si Puedes ändert die Mauer ihre Richtung
nach Süden, an dieser Stelle sind durch ein Foto aus dem Jahre 1959 (Le
Canarien 1965: Lam. XXV, Fig. 48) Bauten der Ureinwohner belegt. Seit dem
Bau einer Asphaltstraße, die von La Pared in Richtoog Pajara führt, sind von
dieser Anlage nur noch spärliche Überreste (ein Conchero westlich und ein
Gebäudegrundriß östlich der Straße) erhalten (Abb. 5).
Im Bereich der großen Mündoogsebene des Barranco de! Valle de la Pared
sind durch die Bautätigkeiten im Rahmen der Urbanizaci6n La Pared alle Spuren
der Mauer verlorengegangen. Sie lassen sich erst wieder an den südlichen
Tathängen unterhalb des "dep6sito" erahnen.
Oberhalb des Wasserbehälters und der Straße führen die von kleinen
Steinkreisen begleiteten Mauerreste in einen Sattel der Montafietas de Pedro
Ponce (Abb. 6). Trotz der geringen Höhe von 120 Metern gewährt dieser Sattel
einen ausgezeichneten Überblick über den gesamten Mauerverlauf. So ist es
auch kein Zufall, daß an dieser strategisch wichtigen Stelle die Grundrisse
mehrerer Gebäude erhalten sind (Abb. 7).
Von diesem Sattel aus folgt die Mauer leicht absteigend dem westlichsten
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A B
0 1 m
Abb. 4
Abb. 5
Ast des Barranco de los Cuchillos etwa 50 Meter neben dem Bachbett. Sie ist
hier fast ausschließlich nur noch in Form ihres Fundamentes erkennbar, allerdings
in einer sehr markanten Breite von 1,20 Metern (Abb. 4B). Im Bereich
der südlichen Ausläufer der Montafietas de Pedro Ponce ist der Mauerverlauf
durch zahlreiche Steinkreise unterbrochen, die mit Durchmessern von etwa 6
bis 12 Metern in Abständen von 20 bis 50 Meter aufeinander folgen (Abb. 8).
Im weiteren Verlauf gibt es längere Strecken ohne Steinkreise, dann verbindet
die Mauer wieder vereinzelte, bis sich ihre Spuren schließlich in der Gegend
zweier großer Corrals mit 20 bis 30 Meter Durchmesser, die jedoch abseits der
Mauer liegen, verlieren.
Auf den restlichen zwei Kilometern bis zur Ostküste sind nicht einmal
mehr Fundamente auffindbar, so daß nicht mehr festzustellen ist, an welcher
Stelle sie das Meer erreichte. Serra Rafols hat die Vermutung geäußert, daß hier
die Steine zur Gänze für landwirtschaftliche Bauten und moderne Häuser verwendet
wurden.
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Abb. 6
Alles in allem ergeben sich keine Hinweise auf ein Zyklopenbauwerk,
andererseits sprechen die Art der Anlage und der Gesamtaufwand gegen die
Annahme einer simplen Einzäunung, um Ziegen daran zu hindern, die Halbinsel
Jandia zu betreten.
Über die Existenz und den Verlauf der zweiten Mauer im Zentrum des
Landes gibt es in der Literatur nur einen Hinweis von C. de Arribas, daß es
unterhalb von Betancuria Reste einer Mauer gebe, die die Insel durchquere
(zitiert bei Cabrera Perez 1989: 220). Als potentieller Verlauf dieser Grenzmauer
wird heute allgemein die Linie angenommen, die in etwa mit dem Barranco de
Ja Pefia im Westen und dem Barranco de Ja Torre im Osten zusammenfällt.
Gestützt wird diese These durch einen Hinweis in den "Acuerdos de
Cabildo" (Beschlüssen des Inselrates), in dem von der jährlichen Sammlung
der Herden die Rede ist, einem Brauch, der weit in die Zeiten vor der Eroberung
zurückreicht. Zu diesem Zwecke sei die Insel organisatorisch in zwei Hälften
geteilt worden, die interessanterweise dieselben Namen trugen wie die letzten
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Abb. 7 und 8
Könige der Insel: Ayose im Süden und Guise im Norden. In einem Beschluß des
Cabildo vom Februar 1612 heißt es, daß diese Teilung entlang des Barranco de
la Torre nach Westen verlaufen sei bis Pefia Horadada an der Mündung des
Barranco de la Pefia (Cabrera Perez 1989: 220). Es ist also sehr wahrscheinlich,
daß hier eine uralte Grenze über die Zeit der Conquista hinweg in veränderter
Funktion erhalten blieb.
Ein weiteres Indiz für diese Annahme ist die Tatsache, daß sich bei Be-
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rücksichtigung aller in der Karte 1 :25.000 eingetragenen Mauern nur in dieser
Gegend ein Linienverlauf ergibt, der die Insel in Ost-West-Richtung durchquert
(Abb. 9). Die Unterbrechungen liegen hauptsächlich im Bereich der landwirtschaftlich
genutzten und besiedelten Täler und Ebenen (Betancuria, Antigua,
EI Cortijo etc.). In der Nähe der alten Inselhauptstadt überquert diese Mauer
tatsächlich in einer Länge von mehreren Kilometern das gleichnamige
Bergmassiv, ihre Maße sind mit denen der südlichen Mauer durchaus vergleichbar.
Ob die beiden Geländebezeichnungen "Morritos de la Pared" und "Morro
de la Pared" (P 1 und P2) in der Gegend des Agudo mit dieser Grenzmauer in
Verbindung zu bringen sind, ist fraglich . Sie finden sich tatsächlich nur knapp
südlich des vermutlichen Verlaufes.
Zur Frage der politischen Organisation und territorialen Gliederung
Auch hinsichtlich dieser Frage ist die Quellenlage eher verworren. Kopie
B von "Le Canarien" (I 980: 184) berichtet: "Y lo cierto es que hay en aquella
isla de Erbania dos reyes, que pelearon largo tiempo entre ambos" (Es ist sicher,
daß es auf dieser Insel Erbania zwei Könige gab, die sich lange Zeit bekämpften).
Dem gegenüber behauptet Leonardo Torriani ( 1590/1979: 92): "L'isola di
Forteuentura quando fu conquistata era signoreggiata da molti Duchi" (Als die
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B
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Abb. 10
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Insel Fuerteventura erobert wurde, war sie von vielen Herzogen beherrscht).
Abreu Galindo schreibt ebenfalls von zwei Königen: Den des Südens nennt er
IAyoze, den des Nordens Goize (Abreu Galindo 1602/ 1977: 60). An anderer
Stelle jedoch (Abreu Galindo 1602/1977: 55) schreibt er: "Estas dos islas, y
todas las demäs, se regian pro sefiores, capitanes o reyes, en cuadrillas, y se
dividian en partes, con cercas de piedra seca que atravesaban Ja isla; y cada una
de destas partes gobernaba un rey o capitan" (Die zwei Inseln und auch alle
übrigen wurden durch Herren, Häuptlinge oder Könige regiert und sie waren
unterteilt in Abschnitte durch Einfriedungen aus Trockensteinmauern, die die
Insel durchzogen;jeder dieser Abschnitte wurde von einem König oder Häuptling
beherrscht). Berthelot ( 1879/ 1980: 144) zitiert eine Äußerung Castaneyras über
die Montafia Cardones: "Este monolito ... fue Ja antigua morada ... de uno de los
principes que dominaban Herbania" (Dieser Monolith war der alte Wohnsitz
eines der Fürsten, die Herbania beherrschten).
Die Vielfalt der Herrschaftsbezeichnungen (Le Canarien: reyes; Torriani:
duchi; Galindo: sefiores, capitanes, reyes; Castaneyra: principes) ist mit Vorsicht
zu betrachten. Die Chronisten haben - wie später auch so häufig die
Ethnologen - ausschließlich Bezeichnungen aus ihrem eigenen Kulturkreis angewendet.
Obwohl eine ständische Gliederung auch auf anderen Inseln belegt
ist (für Tenerife laut Torriani 1590/1979: 165 in Gemeine - Adelige -
Hochadelige ), sind wir wohl kaum berechtigt, aus Galindos Bezeichnungen
eine dreistufige Herrschaftshierarchie abzuleiten.
In einem sind sich fast alle Autoren einig: Aufgrund der Quellenlage kann
man annehmen, daß die Insel vor ihrer Eroberung in zwei Herrschaftsbereiche
unterteilt war (ihre Namen sind als Maxorata und Jandia überliefert). Über alle
weiteren Details gibt es divergierende Ansichten. So gibt es Vertreter der Meinung,
die Insel sei ursprünglich von zwei verschiedenen Volksstämmen bewohnt
gewesen. Als Beleg dafür werden die für die beiden Könige überlieferten
Bezeichnungen "Rey Sarraceno" und "Rey Pagano" genannt sowie der Hinweis,
daß die beiden Könige langandauernde und opferreiche Kriege gegeneinander
geführt hätten. Auch das Vorkommen von zwei verschiedenen Keramiktypen
(Gefäße mit Eiform und konischem Boden und andere mit ebenem Boden)
wurde zur Bekräftigung dieser These herangezogen. Andere Autoren wieder
sind der Meinung, daß sich eine in Hinsicht auf Rasse, Sprache und Gebräuche
einheitliche Bevölkerung, die in kleinere unabhängige Gruppen auf geteilt
war, nur zu besonderen Anlässen, etwa des Krieges, zu zwei Herrschaftsbereichen
zusammengeschlossen habe.
Hinsichtlich der geografischen Begrenzung dieser beiden Bereiche bieten
sich aufgrund der unsicheren Quellen mehrere Möglichkeiten an (Abb. 10):
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A) Das südliche Reich nahm die Halbinsel Jandia ein, das nördliche Reich
den Rest der Insel, die Grenze bildete die Mauer des Isthmus. Das Unwahrscheinliche
an dieser Annahme ist die krasse Ungewichtigkeit der beiden Teile:
Das Flächenverhältnis beträgt etwa 1 : 9. Cabrera Perez führt als Argument für
diese Art der Unterteilung an, daß man die ökologische Bevorzugung des südlichen
Anhängsels (höhere Berge - mehr Niederschlag) berücksichtigen müsse.
Wörtlich schreibt er (1989: 221): "Laabundanciade pastos y recursos acuiferos
permitirian al micronicho de Jandia albergar una poblaci6n importante, frente
al resto de la isla, mäs extensa y pobre y con menores posibilidades de sostener
una poblaci6n densa" (Der Überfluß an Weideflächen und Vorräten ermöglichte
es der Mikronische Jandia, eine größere Bevölkerung zu beherbergen als der
Rest der Insel, der extensiver ist und weniger Möglichkeiten bietet, eine größere
Bevölkerung zu ernähren). Dieser Argumentation kann man nur schwer folgen.
Abgesehen davon, daß die Berge auf Jandia nur unwesentlich höher sind
als auf der übrigen Insel (nicht einmal hundert Meter) und die kurzen, aber
heftigen Regenfälle eher einen Beitrag zur Erosion als zur Fruchtbarkeit des
Landes leisten, sprechen die historischen Zeugnisse dafür, daß es auch in früheren
Jahrhunderten nicht viel anders ausgesehen hat als heute. George Glas
(1764/1976:28) beschreibt die Halbinsel im 18. Jahrhundert so" La otra mitad
de la isla llamada Jandia es totalmente desolada, solo aqui y alli se encuentra
uno alguna choza de pastor, pues no existen pueblos ni granjas en esto lado de
la isla" (Die andere Hälfte der Insel, genannt Jandia, ist total verwüstet, nur dort
und da findet sich eine vereinzelte Hirtenhütte, aber es gibt weder Dörfer noch
Landgüter in diesem Teil der Insel). Auch wenn wir für die Zeit vor der Eroberung
ein etwas günstigeres Klima annehmen und aufgrund der Feldforschung
wissen, daß die Täler der Halbinsel damals dichter besiedelt waren als heute, so
scheint das noch nicht auszureichen, die flächenmäßige Benachteiligung auch
nur halbwegs aufzuwiegen.
B) Die Grenze zwischen den beiden Reichen lag in der Mitte des Landes,
die Halbinsel Jandia gehörte zu keinem von beiden. Bei dieser zweiten Möglichkeit
stellt sich natürlich die Frage, aus welchem Grund die Halbinsel durch
eine Mauer abgegrenzt wurde. Einige spanische Autoren gehen auch hier wieder
von der Annahme aus, daß Jandia das ökonomisch wertvollste Territorium
des Landes war. Tejera Gaspar & Gonzalez Anton (J 987: 149) stellen sich
Jandia als "ökologisches Reservat" vor, als eine Art kommunale Vorratskammer,
die nur in Fällen extremer Trockenheit angetastet wurde. Die Mauer sollte
vor dem Betreten durch Herden schützen.
C) Das südliche Reich umfaßte auch die Halbinsel Jandia. Die Mauer am
Isthmus stammt entweder aus noch früheren Zeiten oder hatte zur Zeit der
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Eroberung schon längst ihre ursprüngliche Funktion verloren, oder sie diente
von Anfang an einem anderen Zweck als dem der Reichsteilung. Tatsächlich
spricht vieles dafür, daß die Mauer von Jandia nur eine unter vielen war. Sie ist
weder gigantisch, zyklopisch noch megalithisch. Es ist schlichtweg falsch, wenn
behauptet wird, keine andere Mauer der Insel übertreffe sie an Größe. In mehreren
abgelegenen Bergregionen Fuerteventuras gibt es uralte Mauern mit imposanten
Dimensionen, die durch schroffe Barrancos und über steile Felsgrate
fiihren, ohne daß ihre Funktion aus heutiger Sicht einleuchten würde.
D) Es gab überhaupt keine Zweiteilung des Landes, sondern nur viele
kleine, autonome Einheiten (Die Grenzen in der Abbildung sind willkürlich
eingetragen). Diese These ist bei Berücksichtigung der primären Quellen sicher
die unwahrscheinlichste.
E) Es gab eine Zweiteilung - ob permanent oder nur temporär wird sich
wohl schwer entscheiden lassen - und darunter eine zweite Ebene der capitanes
oder duques, die über eine Handvoll Fürstentümer herrschten, ähnlich wie es
die "menceyes" aufTenerife taten. Wahrscheinlich sollte man in dieser Frage
eine ÄußerungAbreu Galindos besonders wörtlich nehmen, der davon schreibt,
daß Fuerteventura in "cuadrillos" unterteilt war mit Einfriedungen aus
Trockensteinmauern und daß jeder dieser Abschnitte von einem Häuptling beherrscht
wurde (Abreu Galindo 1602/1977: 55). Die Mauer des Isthmus von
Jandia war in diesem Falle nur eine dieser Einfriedungen und die Halbinsel
Jandia eines der Fürstentümer Fuerteventuras. Vieles spricht für diese These,
eine endgültige Stellungnahme ist jedoch infolge der gegenwärtig noch enormen
Kenntnislücken über die Vorgeschichte Fuerteventuras in weite Feme gerückt.
Literaturhinweise:
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Berthelot, Sabin (1879/1980): Antiquites Canariennes, ou annotations sur
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Übersetzung: Antigüedades Canarias.- Goya Ediciones, Santa Cruz de Tenerife
Boutier, Pierre; Le Vcrrier, Jean ( 1405/ 1965): Le Canarien. Cr6nicas francesas
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© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
de Ja conquista de Canarias. Publicadas con traducci6n castellana por Serra
Rafols y Alejandro Cioranescu, tomo III .- Fontes Rerum Canarium XI, La
Laguna
Boutier, Pierre; Le Verrier, Jean (1405/ 1986): Le Canarien. Cr6nicas francesas
de la conquista de Canarias. Introducci6n y traducci6n de Alejandro Cioranescu.
Tercera edici6n.- A.C.T. Santa Cruz de Tenerife
Cabrera Perez, Jose Carlos ( 1989): Organizaci6n politica de los aborigenes de
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Glas, George (1764/ 1976): Descripci6n de las Islas Canarias.- Instituto de
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