Almogaren XXXIV / 2003 Wien 2003 259 - 263
Friedrich Berger
Eine alternative Deutung des Figurensteins
von Tonndorf
Key words: Tonndorf(Germany), concentric squares, "Handgemal" (law symbol)
Zusammenfassung:
Abweichend von früheren Interpretationen wird das Bild auf einem Grabstein
von Tonndorf (bei Weimar) gedeutet als ein Edelmann mit seinem
Handgemal, einem Wahrzeichen der Rechtsprechung. Das Handgemal ist
zweimal dargestellt, zu seiner Seite und unter seinen Füßen.
Abstract:
As an alternative to earlier interpretations the picture 011 a tombstone from
Tonndorf (near Weimar) is identified as a noble man with his "Handgemal",
a law symbol. The "Handgemal" is depicted twice, at his side and under his
feet.
Resumen:
No coincidiendo con interpretaciones anteriores, Ja figura sobre Ja tumba en
Tonndorf (cerca de Weimar) es interpretada como un noble con su "Handgemal",
un simbolo juridico. EI "Handgemal" es representado dos veces, a su
lado y bajo sus pies.
Nahe der Kirche von Tonndorf bei Weimar in Thüringen wurden 1938 bei
Straßenarbeiten zwei Grabsteine gefunden. Bei der Erweiterung der Straße
wurden 1996 weitere Platten und Bruchstücke von Steinen geborgen. Alle
sind aus dem lokalen Sandstein hergestellt. Die großen Steine von bis zu 2,0
x 1,5 m Abmessung waren Grabplatten, andere werden als Stelen gedeutet
(Grasselt 1999). Nur die ersten beiden Steinfunde sind veröffentlicht. Die
neuen sind noch nicht publiziert, aber sie sind in der gleichen Technik gearbeitet
mit Kreuzen, Bögen und Schwertern. Alle gehören zu dem gleichen
Friedhof.
Der hier behandelte Stein wird als der Figurenstein von Tonndorf bezeichnet,
Abbildung 1. Er befindet sich im Museum von Eisenach. Er ist etwa 120
x 45 cm groß. An der linken Seite ist ein etwa 5 cm breiter Streifen abgearbeitet.
Der Stein ist in unterschiedlicher Relieftiefe bearbeitet.
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Das beherrschende Bild ist ein Mann in kurzem Kittel. Über seinen Schultern
befinden sich zwei Kreuze. Über dem Kopf und unter den Füßen sind Uförmige
Gebilde. Im untersten Teil des Steines findet sich ein Kreuz innerhalb
von vier konzentrischen Quadraten bzw. zwei konzentrischen Bändern.
Auf der linken Seite des Steines, d.h. auf der rechten Seite der Person befinden
sich weitere fünf konzentrische Quadrate. Oben auf diesen steht ein kleines
Kreuz, welches die Person berührt oder anfasst. Im unteren Teil hat der
Stein auf beiden Seiten bogenförmige Dekorationen.
Auf der Basis einer schlechten Fotografie hat Wessel (1955: 1) auf der rechten
Seite eine Scheide interpretiert und deshalb das kleine Kreuz links als
Schwertgriff gedeutet.
Wennig (1982) hat sich eingehend mit der Interpretation der Tonndorfer
Steine beschäftigt. Insbesondere hat er hierzu die Symbole des germanischen
Rechtswesens herangezogen und er hat das Quadrat, bzw. gefügte Quadrate
als Symbol Christi nachgewiesen. Für den Figurenstein kommt er zu zwei
Möglichkeiten der Deutung (Zitat; 1982: 26):
"1. Der Dargestellte ist der Mann, dem der Stein gesetzt wurde. Es bleibt
belanglos, ob er ein Geistlicher oder Laie war, das zweite ist jedoch wahrscheinlicher.
Er stellt das Kreuz auf das Quadrat oder steht mindestens in engstem
Zusammenhang mit diesem Zeichen. Die Deutung, dass er das Asylrecht des
Kreuzes in Anspruch nimmt, möchte ich in Frage stellen. Eher dürfte es möglich
sein, dass ein Gründungsvorgang dokumentiert werden soll, dass der Mann
als Fundator das Kreuz auf den Altar stellt. Der Altar wird aber nicht als reales
Gebilde, sondern als symbolisches Zeichen wiedergegeben.
2. Analog zu der Sinndeutung, die Elbern dem Stein von Moselkern gibt,
und vor allem nach den Ausführungen Werckmeisters drängt sich aber auch
die andere Möglichkeit auf, dass es sich auf dem Tonndorfer Stein um eine,
wenn auch äußerst primitive symbolische Darstellung Christi handelt - ohne
Nimbus wie auch der Kopf auf dem Moselkerner Stein. Sollte das der Fall
sein, dann wäre der Inhalt der Darstellung etwa so zu deuten, dass der Salvator
das Kreuz in die Welt bringt. Er wäre der Fundator der Kirche in unserer
irdischen Welt."
Zunächst eine Stellungnahme zur zweiten Alternative. Es scheint mir, dass
das gefügte Quadrat primär ein Symbol für den Tempel ist und erst sekundär
ein Symbol für Christus wurde. Unter den ägyptischen Hieroglyphen gibt es
in der hieratischen Form zwei ineinander gesetzte Quadrate als Zeichen für
den Tempel. Gedeutet werden sie als Tür in einem Haus in der Frontansicht
oder als Haus in einem Hof in der Draufsicht (Betro 1996: 192). In der demotischen
Schrift wird dies ein unterteiltes Rechteck oder ein Rechteck auf ei-
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ner Basislinie. Diese Schriftsysteme wurden bis ins vierte bzw. fünfte Jahrhundert
benutzt (1996: 28-29), also bis in die Zeit der koptischen Christen.
Als Beispiel für die Anwendung dieses Symbols wird verwiesen auf ein
Wandmosaik aus St. Apollinare Nuovo in Ravenna (Weihe 504), wo das
Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner dargestellt wird, die vor dem Tempel
stehen. Der Pharisäer hat auf seinem Gewand zweifach ein gefügtes Quadrat
mit einem Punkt im Zentrum (einmal davon halb verdeckt). Dazu ist auf dem
Vorhang des Tempels ein weiteres Quadrat. Der Zöllner hat ein voll ausgefülltes
Quadrat auf seinem Gewand, dessen Bedeutung mir nicht bekannt ist.
Ladner (1996: 150-151) deutet diese Szene allein auf der Basis der Gestik der
beiden Personen.
Die Anwendung des Zeichens auf der Gürtelschnalle aus La Balme
(Wennig 1982: 21) ist ein Übergang. Hier wird Christus dargestellt beim Einzug
nach Jerusalem. Seine nächste Aktion war die Reinigung des Tempels
von Händlern und Geldwechslern. Auf dem Türsturz von Geisenheim ist
Christus mit ausgebreiteten Armen in Kreuzform gezeigt zusammen mit den
zwei Kreuzen der Schächer. Hier sind die konzentrischen Quadrate neben
dem Kopf Christi ohne Bezug zum Tempel. In zwei weiteren Beispielen ist
der Teil des Kreuzes über dem Querbalken durch eingefügte Quadrate in das
gleiche Symbol verwandelt. Es handelt sich um Kreuze auf einem byzantinischen
Helm (Schmidt 1996: 21) und auf einer Stele von der Insel Caher, Mayo,
Irland (Henry 1963-1: 164 und Pl. IV).
Während in den angeführten Beispielen, natürlich außer dem ersten, recht
eindeutig eine Beziehung zwischen den gefügten Quadraten und Christus
gezeigt werden kann, auch wenn er auf den beiden letztgenannten Kreuzen
nicht bildlich dargestellt ist, ist diese Beziehung auf dem Tonndorfer Figurenstein
nicht ganz so klar. Zwar handelt es sich bei dem Stein um ein Denkmal
aus christlicher Zeit. Wenn aber die dargestellte Person nicht Christus ist, so
hätten die konzentrischen Quadrate einen anderen Symbolgehalt. Es kann
hier ein Zirkelschluss vorliegen.
Die erste Deutungsmöglichkeit von Wennig setzt voraus, dass die konzentrischen
Quadrate neben der Person ein Symbol für einen Altar darstellen. Wennig
gibt kein anderes Beispiel, wo ein Altar durch ein Symbol ausgedrückt wird.
Für eine dritte Deutungsmöglichkeit wird Bezug genommen auf Meyers
(1934) Ausführungen zum Handgemal. Das Handgemal war das Gerichtszeichen
der freien Adelsgeschlechter und diente auch als Hausmarke. Es
befand sich auf dem Erbhof. Erbhof mit Handgemal und mit der Befugnis
zur Rechtsprechung wurden an den ältesten Sohn vererbt. Die Rechtsprechung
bezog sich auf die Familie und das Dorf des Adligen. Meist war das
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Handgemal ein aufgerichteter Stein auf einer Plattform oder einer Stufenpyramide.
Beim Gerichtsakt stand der Adlige als Richter auf der Plattform und
bei der Eidesleistung wurde das Handgemal berührt.
Es ist denkbar, dass die konzentrischen Quadrate auf der linken Seite der
Person auf dem Figurenstein ein Handgemal auf einer Stufenpyramide in
teilweise geklappter Perspektive darstellen. Die Person "steht" auf einem
zweiten Satz von konzentrischen Quadraten mit einem Kreuz im Zentrum.
Ob diese beiden Kreuze als germanische Gerichtskreuze oder als christliche
Kreuze anzusprechen sind, bleibt unerheblich, da das Denkmal bereits
durch die großen Kreuze oben über den Schultern der Person als christlich
ausgewiesen ist. Es ist auch unerheblich, ob es sich um Kreuze oder um
Schwertgriffe handelt (Wessel 1955), denn es gab auch Fälle bei denen ein
Schwert in die Erde gegraben wurde, um auf dessen Griff oder Knauf Eide
abzulegen.
Nach dieser Deutung wäre der Tonndorfer Figurenstein das Grabdenkmal
eines christlichen Adligen mit einer zweimaligen, d.h. betonten Darstellung
seines Handgemals. Andere Beispiele für eine solche Deutung kann ich nicht
anführen, sie bleibt deshalb genauso unsicher wie diejenigen von Wennig.
Bibliographie:
Betr<'>, Maria Carmela (1996): Heilige Zeichen, 580 ägyptische Hieroglyphen.(
Gustav Lübbe), Bergisch Gladbach
Henry, Frarn;oise (1963): L'Art Irlandaise.- (Zodiaque)
Ladner, Gerhart B. (1996): Handbuch der frühchristlichen Symbolik. Gott Kosmos
Mensch.- (VMA-Verlag), Wiesbaden
Schmidt, Berthold (1996): Die Thüringer. Zwischen römischer Eroberung und
Königreich.- Archäologie in Deutschland 1996(2), 20-25
Wennig, Wolfgang (1982): Die Tonndorfer Steine. Ein Beitrag zur Symbolforschung
der spätmerowingisch-fränkischen Zeit.- Wallraf-Richatz-Jahrbuch,
Köln (43): 9-34
Werckmeister, Otto-Karl (1967): Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8.
Jahrhunderts und monastische Spiritualität.- (Walter de Gruyter), Berlin
Wessel, Klaus (1955): Ein Grabstein des achten Jahrhunderts in Eisenach.Nachrichten
des Deutschen Instituts für merowingisch-karolingische Kunstforschung
1955 (9), 1-6
Adresse des Autors: Friedrich Berger
Klinkestr. 28
45136 Essen
Deutschland
ufber@t-online.de
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