Almogaren XXXV / 2004 Wien 2004 187 - 198
Hans-Joachim Ulbrich
Der Dreier-Gedanke in altmittelmeerischen
Religionen und seine Ausstrahlung bis heute
Key words: Mediterranean mythology, mysticism of numbers, triadic deities,
mother goddess
Zusammenfassung:
Die Zahl Drei spielt seit den Anfängen der Menschheit eine herausragende
Rolle in der Beobachtung der Natur und des eigenen Lebens sowie in der
Vorstellung triadischer Gottheiten. Einige interessante Aspekte, vornehmlich
in der antiken griechischen Kultur, werden dargestellt. Auch die prähispanischen
Kanarischen Inseln werden kurz angesprochen. Auswirkungen zeigen
sich noch heute in gewissen Formen des Aberglaubens.
Abstract:
The number "three" plays since the beginning of mankind an exceptional
röle in the observation of life and nature and in the conception of triadic
divinities. Some interesting aspects - mainly ofthe antique Greek culture -
are shown. Also the prehispanic Canary Islands are dealt with shortly. Effects
can still be watched in our days regarding certain forms of superstition.
Resumen:
EI numero tres ha desempefiado, desde los albores de Ja humanidad, un papel
sobresaliente tanto en las observaciones de la naturaleza y de Ja propia vida,
como en Ja imaginaci6n de las divinidades triadicas. En el presente trabajo
se exponen algunos aspectos interesantes, particularmente en la antigua
civilizaci6n griega. Asimismo, abordamos brevemente las Islas Canarias en
el periodo prehispanico. Aun hoy dia se aprecian repercusiones en determinadas
formas de Ja superstici6n.
Aufgrund der großen allgemeinen Bedeutung der Zahl 3 in unserem Kulturraum
sei eine etwas ausführlichere Einleitung in das Thema vorangestellt:
Für den Menschen aller Zeiten offenbart(e) sich das Leben und seine irdische,
außerirdische und jenseitige Umgebung in vielerlei dreigeteilten Abschnitten,
Bereichen und Ansichten. Dazu zählen Geburt, Leben und Tod als
unabwendbare und ganz grundsätzliche Selbsterfahrung; die menschliche
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Dreierbeziehung schlechthin, nämlich Vater, Mutter und Kind; das kosmologische
Gefüge aus Himmel, Erde und Unterwelt; das anthropologische Gebilde
aus Körper, Seele und Geist; das ethische Verhaltensmuster aus Glaube,
Liebe und Hoffnung; und schließlich der chronologische Ablauf von Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft. Letzteres ist jedoch - wie die moderne
Physik zeigt - nicht absolut. Religiöse Überlegungen haben darüber hinaus
die Dreifaltigkeit im theologischen sowie Himmel, Fegefeuer und Hölle im
eschatologischen Sinn ins Spiel gebracht.
Zu den persönlichen Beobachtungen zählen auch die Jahreszeiten, die -
lokal bedingt - in vielen Gebieten der Erde als drei empfunden werden. Der
Bauer orientiert sich berufsspezifisch an Saat, Reife (inkl. Ernte) und Brache.
Die Biologie (und auch die Mythologie) spricht von weiblichen, männlichen
und zwitterhaften Wesen. Die Materie erscheint uns in festem, flüssigem und
gasförmigem Zustand; die chemischen Elemente teilen sich in Metalle, Nichtmetalle
und Metalloide auf. Diesen Dreiteilungen folgen andere, z.B. soziologische:
Das Älterwerden und Erfahrungensammeln betrifft Kinder (die sich
noch entwickeln), Erwachsene (die auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit
sind) und die "Alten/Weisen" (die zwar körperlich abbauen aber einen
großen Erfahrungsschatz haben). Unsere moderne Zeit kennt eine ähnliche
Art der Aufteilung, und zwar Lernzeit, Arbeitsleben und Pensionierung (Lebensabend).
Wie so oft ist die Beschreibung von dreigeteilten Abläufen oder
Eigenschaften jedoch eine Vereinfachung, die Zwischenstufen außen vor lässt.
Geburt, Leben und Tod zeigten sich für den vor- und frühgeschichtlichen
Menschen auch in den Gestirnen: Hierher gehören Naturerscheinungen wie
die drei Phasen des zunehmenden, vollen und abnehmenden Mondes oder die
aufgehende, mittägliche und untergehende Sonne, die z.B. von der altägyptischen
Himmelsgöttin Nut dem damaligen Glauben nach bei jedem Tageszyklus
neu geboren wurde. In China stellte man sich Mondtiere aufgrund der drei
Mondphasen meistens dreibeinig vor und bildete sie auch so ab; in Frankreich
glaubte man bis ins Mittelalter, dass es drei Hasen oder drei Menschen im
Mond gebe.
Dem Menschen blieb seit seiner Menschwerdung nichts anderes übrig als
hinter der Zahl 3 etwas Übergeordnetes, Kosmisches, Ewiges und enorm
Wichtiges zu sehen - also auch etwas Heiliges und Magisches. Und so bedeutet
uns die Drei die Überwindung der Entzweiung, der Gegenpoligkeit, der
Dualität. Die Drei ist Symmetrie und Vollkommenheit, ist Vereinigung und
Gleichgewicht. Sie bedeutet auch Dreidimensionalität und Entwicklung. Sie
ist Vielfalt und erst ab ihr sprechen wir im täglichen Gebrauch von "alles",
was die Zwei noch nicht darstellt, die höchstens "beides" ist. Für Aristoteles
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war die Drei "die Zahl des Ganzen, insofern sie einen Anfang, eine Mitte und
ein Ende hat". Während die Eins und die Zwei Zufall sein können, ist die Drei
bereits im Bereich der Gewissheit und verkörpert damit auch Macht und Potenz.
Wir sprechen deshalb vom "dreimal-edlen Herrn" oder in der Alchemie
vom dreimal-größten Hermes, dem Hermes Trismegistos, der wohl eine
Gräkisierung des ägyptischen Gottes Thot bzw. Tehuti ist, der ebenfalls der
"Dreimal-Große" genannt wurde. Im Altägyptischen wurde der Plural durch
eine dreistrichige Hieroglyphe ausgedrückt; die Mehrzahl begann demnach
erst oberhalb der Zwei. In der Folklore treten oftmals drei Prinzen oder Prinzessinnen
auf, ebenso drei Hexen oder drei Feen. Und in Märchen und Sagen
musste man drei Aufgaben erledigen oder drei Prüfungen bestehen.
Wie alt die Beschäftigung mit der Drei ist, zeigen z.B. die bemalten Kiesel
des französischenAzilien, das man grob mit einem Alter von 6.000 bis 11.000
Jahren veranschlagen kann. Demnach haben schon die Menschen des Mesolithikums
Dreiecke sowie Dreiergruppen von Parallelen und Punkten für wichtig
erachtet. Eine höhere Zahl war für sie vermutlich noch nicht verarbeitbar;
nach dem Altphilologen Hermann Usener war die Zahl Drei für den vorgeschichtlichen
Menschen die absolute Totalität.
Auch heute noch hat die Drei in vielen Dingen des täglichen Lebens - nicht
zuletzt auch im Aberglauben - eine besondere Bedeutung für uns: z.B. "aller
guten Dinge sind drei", das dreiblättrige Kleeblatt, drei Kreuze machen, drei
Wünsche frei haben. Oder dreimal etwas hochleben lassen. Wie man sieht,
hat die Drei als vollkommene Zahl auch etwas mit Glück zu tun, oder mit Unglück
abwehren. So soll auch die dreifache Anrufung einer Gottheit das Gebet
oder die Zauberformel wirksamer machen. Natürlich spielt die Drei auch bei
den Freimaurern und bei den Methoden der Alchemisten eine große Rolle.
Von der Zahl 3 zum Dreieck, vor allem zum gleichseitigen, ist es nur ein
kleiner Schritt: Das Dreieck ist die erste ebene Form, denn mit zwei Seiten
können wir zwar rechnerisch aber nicht grafisch eine Fläche beschreiben.
Schon Platon sagte: "Fläche besteht aus Dreiecken". Als eines der wichtigsten
und symbolhaftesten Dreiecke im menschlich-körperlichen Bereich wurde und
wird in allen Kulturen das weibliche Schamdreieck (Spitze nach unten) angesehen.
Das nach oben zeigende Dreieck gilt als männlich, solar, feuerbezogen.
Nicht eingegangen werden kann hier auf die vielen weiteren Bedeutungsinhalte
der Vielfachen von drei, wie sechs, neun und zwölf und auch nicht auf
die zahlreichen auf der Drei beruhenden grafischen, gegenständlichen und
kalendarischen Aspekte; ich nenne hier stellvertretend für viele andere Bereiche
nur Schmuck, Ornamentik, Wappenkunde, Architektur, Malerei und Grabgestaltung
bzw. Totenkult.
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Die christliche Symbolwelt in diesem Zusammenhang, u .a. bezüglich Gott
Vater, Sohn und Hl. Geist, kann hier ebenfalls nicht erschöpfend behandelt
werden. Nur am Rande möchte ich - weil hier synkretistisch Christliches und
Altorientalisches zusammentrifft - erwähnen, dass es natürlich drei Heilige
Könige oder Magier sein mussten, die als Jüngling, Mann und Greis aus dem
Morgenland kamen und zu Jesu Geburt drei Gaben mitbrachten. Und noch so
ein Fall: Die hyperboreische (nordische) dreifaltige Göttin Brigit, Schutzherrin
aller Künste, wurde als St. Brigit sogar christianisiert.
Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die trinitarische, dreigestaltige
und verdreifachende Symbolik in vielen Bereichen kulturübergreifend ist und
damit zum Weltgut gehört.
Der frühe Mensch als genauer Beobachter der Natur, in der sich z.B. der
Mond mit drei Phasen zeigte oder die Elemente in Erde, Luft und Wasser
aufgeteilt werden konnten, schuf sich seine göttlichen Wesen unter Berücksichtigung
solcher und der eingangs erwähnten Erkenntnisse. Die absolut zentrale
Naturbeobachtung war jedoch die überwältigende Bedeutung der Mutter
und der Mutterschaft schlechthin. Sie führte zunächst zur Vorstellung eines
allgegenwärtigen, allmächtigen und überall wirkenden weiblichen Prinzips
und Numens, das in vielerlei Hinsicht als Dreieinigkeit ausgeprägt war, als
Dreifaltigkeit, die letztlich doch wieder Einheit war. Wie in einer Familie
konnte diese Muttergottheit Vater (der zunächst nur Mann1 war), Mutter und
Sohn zugleich verkörpern. Und sie war - wen wundert es - stark lunar und
chtonisch ausgeprägt. Erst als die Vaterrolle des Mannes erkannt wurde, entstanden
männliche Götter, die jedoch ebenso als Trinitäten oder Triaden auftauchten
(spätes Beispiel Abb. 1). Dieser wichtige Aspekt der Dreieinigkeit
hat sich bis in die Antike hinein erhalten; ja, er wurde in dieser Zeit sogar
noch philosophisch und literarisch ausgebaut, wie wir an vielen Sagen und
erzählerischen Konstrukten erkennen können.
Dieser Dreieinigkeitsaspekt der Götter - also die Einheit in Dreiheit - zeigt
sich nicht nur in drei Personen oder drei Erscheinungsformen, sondern oft
auch in drei Attributen oder Schicksalsumständen eines höheren Wesens. Man
denke an die Dreiköpfigkeit des Höllenhundes Kerberos, der Unterweltgöttin
Hekate oder des Riesen Geryon; an die dreischwänzige Skylla (eine der Sirenen),
an den dreiäugigen Polyphem und an den Körper der Chimäre, der zum
Teil Ziege, Löwe und Schlange war, worin sich offenbar der dreigeteilte grie-
1 Vieles spricht dafür, dass man vor und während des Mesolithikums als Auslöser für die
Schwangerschaft natürliche (Wind, Wasser) oder göttliche Einwirkung ansah. Die Notwendigkeit
einer Samenspende dürfte erst ab der Jungsteinzeit erkannt worden sein.
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chische Kalender zeigt. Zeus war der dritte Sohn der Rhea und des Kronos
und wurde von drei Nymphen großgezogen, die als Mond-Triade galten. Auch
die Göttin Athene wurde von drei Nymphen gefunden und aufgezogen.
Demeter, die Göttin der Kornfelder und des häuslichen Herdes, gab sich dem
Titanen Jasios auf einem dreimal gepflügten Acker hin. Die altgriechische
Priesterin saß - wie wir von der Pythia in Delphi wissen - auf einem Dreifuß,
wenn sie in Trance orakelte. Der Dreizack Poseidons und Neptuns stand als
Dreifachgebilde für Herrschaft und Macht (Neptun war übrigens bei den Römern
zuerst ein unbedeutender Süßwassergott, bevor er mit dem mächtigen
Poseidon gleichgesetzt wurde). Bei den Indern bedeutete der Dreizack Shivas
seinen dreifachen Charakter als Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Auch im
Buddhismus finden wir den Dreizack, wo er die "Drei Kleinodien" Buddha,
Dharma und Sangha verkörpert.
Ich komme nun zum Kern meiner Ausführungen und beginne mit den altgriechischen
Beispielen, die eng mit den römischen und altägyptischen, ja
sogar mit den ganzen altmediterranen und alteuropäischen, verwoben sind
bzw. auf diese eingewirkt haben. Auch Beziehungen zu Mesopotamien sind
festzustellen.
Bereits im olympischen Schöpfungsmythos treten die drei Riesen Brontes,
Steropes und Arges auf, Kinder der Mutter Erde mit ihrem parthenogen geborenen
Sohn Uranos, die als die wilden, einäugigen Kyklopen bekannt sind.
Weil sie der Sage nach Meisterschmiede und Erbauer riesiger Mauern waren,
sprechen wir heute noch von "kyklopischen Mauern" . Ein weiterer Sohn der
Mutter Erde, der Titan Kronos, entmannte seinen Vater Uranos im Schlaf; als
dabei Blutstropfen auf die Erde vielen, entsprangen daraus die drei Erynien
Alekto, Tisiphone und Megaira. Wie ihr römisches Gegenstück, die Furien,
rächen sie Meineid, Vatermord und viel anderes Unrecht. Noch heute sprechen
wir bei einer sehr wütenden Frau von einer "Furie". Für ein böses Weib
benützen wir den Ausdruck "Megäre". Die Erynien sind natürlich die dreifaltige
Göttin selbst und in der Entmannung des Gatten Uranos spiegelt sich die
jährliche Opferung des Königs (oder Ehemannes, Geliebten), um die Fruchtbarkeit
der Äcker und Obstgärten aufs Neue zu gewährleisten.
In einer gnädigeren Stimmung präsentieren sich die Erynien als die drei
Meliai, die Eschennymphen.Unter der Esche, die auch in Mitteleuropa und in
Skandinavien der magische Baum schlechthin war und der Großen Göttin geweiht
war, sprachen die drei germanischen Schicksalsgöttinen Mani, Nyi und
Nithi (bzw. nordisch Urd, Werdandi und Skuld), die wir als die Nornen kennen,
Recht. Wie viele weibliche Triaden waren sie lunar zu sehen und es überrascht
uns nicht, dass auch in der germanischen Mythologie der Mond mit
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Schicksal verknüpft ist. Holda, die germanische Mondgöttin, bildete mit ihren
beiden Töchtern natürlich wieder eine Triade. Thor wurde teilweise mit
drei Köpfen dargestellt und das Symbol Odins bzw. Wotans war das Dreibein
oder das Dreieck.
Doch wieder zurück zum alten Griechenland: Aus der Verbindung des Erebos
mit der Nacht gingen ebenfalls Schicksalsgöttinen hervor, die drei Moiren,
die uns als Klotho, Lachesis und Atropos bekannt sind; sie sind ebenfalls lunar
aufzufassen und gelten damit als Emanation der Großen Mutter bzw. der
dreifaltigen Mondgöttin. Die Thrien, drei Schicksalsgöttinen, von denen Hermes
die Weissagung aus der Lage von Kieselsteinen im Wasser erlernte, waren
die dreifaltige Muse des Parnassos-Gebirges, also die Große Mutter als
Berggöttin. Die drei libyschen Gorgonen, Stheino, Euryale und Medusa, sind
uns besonders durch letztere bekannt, denn ihr Blick konnte Menschen versteinern.
In ihnen zeigt sich wieder die Mondgöttin, denn die Orphiker nannten
das Gesicht des Mondes auch das "Gorgonenhaupt". Mit der Mondsymbolik
waren übrigens im antiken Griechenland auch drei Farben verbunden,
nämlich Rot, Schwarz und Weiß.
Die drei Graien, Enyo, Pemphredo und Deino, sind als schöngesichtige,
schwanenartige Wesen überliefert, die gemeinsam nur ein Auge und einen
Zahn haben; sie sind als Todesgöttinnen zu verstehen, denn der Schwanengesang
wurde u.a. als Todesahnung aufgefasst. Die Hesperiden, Hespere, Aiglis
und Erytheis, lebten in einem elysischen Obstgarten im äußersten Westen der
damalig vorstellbaren bzw. bekannten Welt, weshalb von zahlreichen alten
wie modernen Autoren vermutet wird, dass mit den antiken "Hesperiden-Inseln"
die Kanaren gemeint sind2
• Die drei Harpyien waren nach Homer Personifikationen
der Sturmwinde, nach unserer Deutung also die dreifaltige Göttin,
aus der später Athene in ihrem Aspekt als Zerstörerin hervorging.
Drei mal drei, also neun waren die Telchinen; sie waren Kinder des Meeres
und dienten der Artemis. Da sie auch mit den drei Danaiden Kameira, Ialysa
und Linda in Verbindung gebracht werden, können wir schließen, dass sie ursprünglich
Erscheinungsformen der dreifaltigen Mondgöttin Danae waren. Die
Danaiden sind von ihrer schicksalshaften Aufgabe her den Moiren gleichzusetzen.
Die drei Horen, Dike, Eunomia und Eirene, Töchter des Zeus und der
Themis, waren für die drei Jahreszeiten, Frühling, Sommer und Herbst, zuständig;
sie waren demnach eine Erscheinungsform der Großen Göttin als Erd-
2 Dies ist zwar möglich aber nicht ganz schlüssig, denn mythische (Toten-)Inseln mit
Auferstehungs-/Wiedergeburts- und Paradies-Charakter wurden bei vielen alt-europäischen
und alt-mediterranen Kulturen eben nach Westen in die Region der untergehenden
Sonne verlegt.
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mutter, Erhalterin des Lebens und treibende Kraft der Wiedergeburtszyklen.
Letztere spiegeln sich symbolhaft in den vor- und frühgeschichtlichen Spiralen
wider, die auch als Dreifachspiralen auftreten, wie die Triskelen der Kelten.
Bei den griechischen Fischern der Antike gab es natürlich ebenfalls Triaden:
Die oberste war durch Thetis, Amphitrite und Nereis gebildet, die im
Grunde genommen Namen der dreifaltigen Mondgöttin als Herrscherin der
Meere waren - man denke an die Gezeiten, die durch den Mond beeinflusst
werden. Ebenfalls in diesem Sinne aufzufassen sind die drei Kinder der Amphitrite
und des Poseidon, die wir als Triton (der glückbringende Neumond),
Rhode (der volle Erntemond) und Benthesikyme (der gefahrbringende abnehmende
Mond) kennen.
Auch die großen Götter des Olymps sind triadisch aufzufassen: Zeus war
für den Himmel zuständig, Poseidon für das Meer und Hades für die Unterwelt.
Hera und Zeus wurden drei Kinder geboren: Ares, der Kriegsgott, Hephaistos,
der Schmied, und Hebe, die Mundschenk der Götter war und auch
lunare Aspekte hatte. Hephaistos baute u.a. 20 dreibeinige Tische, die die
Sonne und die drei (altgriechischen) Jahreszeiten symbolisierten. Kore, Persephone
(römisch Proserpina) und Hekate waren die Dreifaltige Göttin als
Mädchen (Jungfrau), Nymphe (Frau) und altes Weib (Todbringerin) bzw. als
grünes Getreide, reife Ähre und geerntetes Korn; als eine Person wurden sie
unter dem Namen Demeter verehrt. Noch heute sprechen wir analog zum altgriechischen
Herbst, der durch alte Weiber wie die Hekate personifiziert war,
vom "Altweibersommer". In dieser Zeit herum wehende Fäden von Spinnen
und Insekten (Maden etc.) erinnerten die Menschen an den Schicksalsfaden
und damit wiederum an die göttliche Spinnerin, die Große Mutter oder eine
ihrer triadischen Emanationen (Abb. 3).
Wenn hier so ausführlich auf Triaden der griechischen Götterwelt eingegangen
wird, so hat das seinen Grund in der Tatsache, dass viele römische
Gottheiten auf griechische oder ägyptische, ja sogar kleinasiatische (Kybele)
und iranische (Mithras) Vorbilder zurückgehen, also nicht autochthon sind.
Man erkennt dies u.a. an den beiden folgenden Beispielen: Hinter den schicksalsbestimmenden
Parzen (Decima, Nona, Morta - Abb. 3) sind die griechischen
Moiren zu verstehen. Auch die Grazien, die drei römischen Göttinnen
der Anmut, gehen auf Altgriechisches zurück, nämlich Aglaia (Glanz), Euphrosyne
(Frohsinn) und Thaleia (Blüte), die als Chariten Töchter des Zeus und der
Eurynome waren.
Nichtsdestoweniger entwickelten die Römer eine eigene Pantheon-Struktur,
die sich in den zwölf Dii Consentes zeigt (12er-Zahl von den Etruskern
übernommen), wie der römische Literat und Lehrer Quintus Ennius (239-169
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v.Chr.) berichtet: sechs weibliche und sechs männliche Gottheiten, die von
der "Kapitolinischen Triade" - Jupiter, Juno Minerva - angeführt wurden. In
letzterem zeigt sich natürlich auch die Dreiergruppe von Vater, Mutter und
Kind. Die Eule, das Symbol der weisen und kunstbeflissenen, aber auch kriegerischen
Minerva, führt uns wiederum zur Magna Mater, die sich auch in
folgender Göttin widerspiegelt: Diana, die Mutter der wilden Tiere sowie Herrin
der Jagd und der Eichen-Haine, war wie viele andere altmediterrane Göttinnen
auch lunar geprägt; mit der Wassernymphe Egeria und Virbius, dem
Gott der Waldländer, bildete sie eine Triade.
Auch bei den Ägyptern finden wir die trinitarische Einheit: In Theben verehrte
man den Gott Amun, seine Gemahlin Mut und beider Sohn Chons als
solche. In diesem wie im folgenden Fall spielt der Familiengedanke ebenfalls
eine Rolle. Auch Osiris, der Anfang, Isis, die Empfangende, und Horns, das
bewirkende Prinzip, treten als familiäre Triade auf, die nach Plutarch durch
ein rechtwinkeliges Dreieck symbolisiert wurde. Die Senkrechte ist dabei das
Männliche, die Grundlinie das Weibliche und die Hypotenuse der Spross der
beiden. Isis selbst und ihre frühe Form Lat waren auch die dreifaltige Mondgöttin.
Amun existiert in einer Triade mit Ptah und Re, wie wir aus dem AmunHymnus
des 14. Jhs. v.Chr. erfahren. Rund 1600 Jahre später taucht eine andere
Triade auf einem ägyptischen Amulett auf. Hier lesen wir: "Einer ist Bai:t,
einer ist Hathor, einer Achori, eins ist ihre Kraft. Sei mir gegrüßt, Weltvater,
sei mir gegrüßt, dreigestaltiger Gott"; hier wird also direkt auf die Einheit in
Dreiheit Bezug genommen. Ein Exotikum ist eine weitere ägyptische Triade,
die von Delos bekannt ist und in die Isis eingebunden war: Neben ihr gehörte
auch der hundeköpfige Anubis dazu, der die Seelen in das unsterbliche Leben
geleitete, und Sarapis, eine künstliche Schöpfung von König Ptolemaios I. aus
Makedonien, die darauf abzielte, durch einen für Griechen und Ägypter gemeinsamen
Kult die Völker zusammenzuschweißen.
Da wir uns in den Ausgaben dieses Jahrbuches immer wieder mit den
Kanarischen Inseln befassen, sei auch kurz auf diesen Archipel und einzelne
Kulturmerkmale seiner Ureinwohner eingegangen: eine dreiseitig konkave,
vermutlich prähispanische Pyramide bei Sta. Barbara (Icod de los Vinos,
Tenerife); bewusste, also nicht zufällige Dreiergruppen von Parallelen in den
Felsritzungen (wo nicht Schrift); weiblich oder männlich deutbare Dreiecke
unter den Felsritzungen; Dreiecke in Pintaderas (Tonstempeln); geometrische
Formen, darunter Dreiecke, in den drei Lebensfarben Weiß, Rot und Schwarz
auf Höhlenwänden (Cueva Pintada, Galdar, Gran Canaria - man vergleiche
mit den oben genannten lunaren Farben); die Verehrung des Mondes und der
Sonne; Dreier-Gruppierungen im Dekor von Keramik (Abb. 4); 2 x 6 Mitglie-
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der im gemeinsamen Kriegsrat der beiden Teilkönigtümer auf Gran Canaria;
12 Teilkönigtümer auf La Palma. Wenn auch mehr oder weniger vage, so
scheint die Drei (oder Vielfache davon) auch für die Ureinwohner der Kanarischen
Inseln eine besondere Rolle gespielt zu haben. So gesehen gehören sie
trotz ihrer atlantischen Lage in vielen Aspekten zum Kulturkreis des Mittelmeerraumes,
was auch linguistische und andere kulturvergleichende Untersuchungen
immer mehr zutage fördern.
Eine Vollständigkeit der hier erwähnten Beispiele für altmediterrane triadische
Gottheiten und trinitäre Kulturmerkmale kann nicht in Anspruch genommen
werden; dazu wäre eine weit ausführlichere Arbeit notwendig. Auch
die reichhaltige Symbolik der keltischen Kultur konnte - ohne die Möglichkeit
einer breiten Darstellung - nicht berücksichtigt werden. Wenn ich nun
zum Schluss meiner Ausführungen zusammenfasse, so läuft alles auf eine
einfache und verblüffende Erkenntnis hinaus: Es gibt letztlich nur eine dreifaltige
Göttin, die sehr oft in lokalen und zweckgebundenen Abwandlungen
und Hypostasen verehrt wurde. Sie war die große Schöpferin und Ernährerin,
die den Kreislauf des Lebens bestimmte und in Gang hielt. Die Zahl Drei war
eng mit ihr verbunden, was durch die menschliche Beobachtung der Natur
und der Lebensabläufe sowie durch die sich entwickelnde Zahlenmystik noch
verstärkt wurde. Etwas provokatorisch und überspitzt sei deshalb formuliert:
Alle männlichen Götter waren nur eine Ableitung von ihr, die ursprünglich
darauf abzielte, der Vaterrolle auf Erden und im Olymp Geltung zu verschaffen,
was u.a. schließlich zum Patriarchat führte. Die Nachklänge dieser Zeit
sind immer noch lebendig. Die Zahl Drei spielt für uns auch nach Jahrtausenden
eine Rolle, die weit über die Mathematik hinausgeht.
Literatur (benutzte und empfohlene):
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Biedermann, Hans (2000): Knauers Lexikon der Symbole.- Weltbild Verlag,
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Couraud, Claude (1985): L'Art Azilien. Origine, survivance.- Suppl. XX a
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der westlichen Zivilisation.- 2001-Verlag, Frankfurt/M., 416 S.
Göttner-Abendroth, Heide (1997): Die Göttin und ihr Heros.- Verlag Frauenoffensive,
München, 265 S. (11. erweiterte und überarbeitete Auflage)
Grant, Michael (1962): Mythen der Griechen und Römer.- Kindlers Kulturgeschichte,
Zürich, 642 S.
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Hähne!, Walter B. (1996): Die Pyramiden von Tenerife.- Almogaren XXVII,
Vöcklabruck (Austria), 359-374
Herrmann, Paul (2002*): Nordische Mythologie.- Aufbau-Taschenbuch-Verlag,
Berlin, 357 S. (*gekürzter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1903)
Lurker, Manfred (1998*): Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter.
Handbuch der mystischen und magischen Welt Ägyptens.- Scherz Verlag,
Bern-München-Wien, 254 S. (*Nachdruck der 2. Ausgabe von 1987)
Markale, Jean (1984): Die keltische Frau. Mythos, Geschichte, soziale Stellung.-
Goldmann, München, 375 S.
Markale, Jean (1996*): Die Druiden. Gesellschaft und Götter der Kelten.Weltbild
Verlag, Augsburg, 288 S. (*deutsche Erstausgabe München 1987)
Montet, Pierre (1964): Das alte Ägypten.- Kindlers Kulturgeschichte, Zürich,
581 S.
Neumann, Erich (1997 11
): Die Große Mutter. Eine Phänomenologie der weiblichen
Gestaltung des Unbewußten.- Walter Verlag, Zürich-Düsseldorf, 350
S. Text + 185 S. Abb. + XV S. Index
Schlender, I.H. (1937): Germanische Mythologie.- Stubenrauch Verlag, Berlin,
280 S.
Usener, Hermann (1889-1911 ): Religionsgeschichtliche Untersuchungen.Cohen,
Bonn (einbändiger Nachdruck bei Olms, Hildesheim, 1972)
von Ranke-Graves, Robert (19633
): Griechische Mythologie.- 2 Bde., Rowohlts
Deutsche Enzyklopädie 113/114 & 115/116, Reinbek bei Hamburg, 337 bzw.
396 S.
von Ranke-Graves, Robert (1995*): Die weiße Göttin. Sprache des Mythos.Rowohlts
Enzyklopädie 416, Reinbek b. Hamburg, 639 S. (*deutsche Erstausgabe
Berlin 1981; engl. Erstausgabe London 1948)
Abb. 1 - Dreigesichtiger Gott, gallo-römisches Relief aus Reims (Frankreich)
Abb. 1-3 aus Biedermann 2000; Abb. 4 vom Verfasser.
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Abb. 2 - Die für Seeleute gefährlichen Sirenen als Triade, nachempfunden von
V Cartari 1647
Abb. 2 - Die drei Parzen, den Lebens- oder Schicksalsfaden spinnend, nachempfunden
von V Cartari 1647
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Abb. 4 - Dreier-Gruppen im Dekor prähispanischer Keramik von Lanzarote
(Kanarische Inseln)
Weitere Formen von Dreifach-Elementen oder Dreiecken sind auch in der Keramik
der restlichen Inseln des Archipels zu beobachten.
Wie die Analyse vieler anderer vor- und frühgeschichtlicher Keramikfunde
im Mittelmeerraum zeigt, ist es nicht gerechtfertigt, abstrakte Verzierungen
durch den Töpfer als mehr oder weniger gestalterischen Zufall
zu betrachten; vielmehr ist in den meisten Fällen die bewusste Verwendung
von Elementen mit ganz bestimmtem Symbolgehalt in höchstem
Maße anzunehmen.
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