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Almogaren XX / 2 / 1989 Hallein 1~ 33- 99 Hans-Joachim Ulbrich Die Besiedlung der Kanarischen Inseln - Ursprung und Chronologie 1. Die Situation der kanarischen prähistorischen Forschung Mehrere Publikationen der letzten Jahre sind der Anlaß, sich erneut mit der Frage nach der Herkunft der Altkanarier und ihrem Eintreffen auf den Inseln zu befassen. Dieser Themenkreis wird von den involvierten Wissenschaftlern sehr kontrovers behandelt, so daß hier der Versuch unternommen wird, die wichtigsten Aspekte und aktuellen Forschungsergebnisse darzustellen sowie einige Schlußfolgerungen zu ziehen. Dem unvoreingenommenen Beobachter fällt bei der vorherrschenden kanarischen Position in bezug auf die Abstammung der Altkanarier sofort die einseitige und nicht immer emotionsfreie Betonung des nahen Nordwestafrikas auf, was einer nüchternen und objektiven wissenschaftlichen Arbeit nicht immer dienlich war. Ein anderer Spannungspunkt ist die wissenschaftliche Vorgehensweise selbst, die besonders im Bereich der Vor- und Frühgeschichte des öfteren Anlaß für die Kritik außerkanarischer Fachleute ist. Tatsächlich muß man feststellen, daß es den kanarischen Wissenschaftlern noch nicht gelungen ist, die Forschungen zu systematisieren und alle Fakten zu einer sachlichen Gesamtschau zu vereinen. Als Beispiel für die Inkonsequenz der kanarischen Forschung und ihrer Schlußfolgerungen sei auf den Umstand verwiesen, daß von Lanzarote und Fuerteventura jeweils nur von einer einzigen Fundstelle C14-Datierungen existieren (EI Bebedero bei Tiagua, Lanzarote bzw. Villaverde bei La Oliva, Fuerteventura). Die gleiche unerfreuliche Situation ist für die anthropologische Untersuchung der Skelettfunde dieser Inseln festzustellen. Das Material von den kleinen Westinseln (La Palma, Hierro, Gomera) ist ebenfalls sehr dünn. Lediglich für Gran Canaria und Tenerife liegen einigermaßen repräsentative Untersuchungsergebnisse vor. Aber sicher ist auch bei diesen beiden Inseln noch nicht das letzte Wort gesprochen. Warum fehlt bis jetzt eine umfassende C14-Datierung der Skelette des cromagnoiden Typs, der zu den frühesten Siedlern gehörte? Trotz aller Unvollständigkeiten werden die vorliegenden Datierungen und Erkenntrusse als signifikant und ausreichend angesehen. Selbst bei der Keramik, wo reichlich vorliegende Funde vieiverspre- 33 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 chenden Aufschluß über die Chronologie der alt.kanarischen Kulturen geben könnten, wurden nur in völlig unzureichendem Ausmaß archäometrische Untersuchungen vorgenommen. Bis auf wenige paläomagnetische (z.B. SOLER et al. 1985) und Thermolumineszens-Ergebnisse (z.B. NA V ARRO & MARTIN 1986) liegt nichts vor. Der Vergleich alt.kanarischer Keramik mit entsprechender atlantischer und mediterraner Tonware mit Hilfe der Röntgenfluoreszenz-Analyse könnte (neben stilistischen Untersuchungen) Auf schluß über den Ausgangspunkt von Siedlern geben, denn es besteht die Chance, daß ein (geringer) Teil der Fundstücke aus mitgebrachter Tonware besteht. Kernspaltungsspuren-Analysen (fission track dating) und die Obsidian-Hydratationsschicht-Datierung könnten auch zur Bestimmung der zahlreichen aus Obsidian vorliegenden Artefakte herangezogen werden. Die Frage nach dem Beginn der menschlichen Besiedlung der Kanarischen Inseln muß allein schon aufgrund dieser Kenntnislücken offen bleiben. Sehr pointiert in seiner Kritik ist ONRUBIA PINTADO (1988 / Departamento de Prehistoria, Universidad Complutense de Madrid und LA.P.E.M.O., Aix-en-Provence), wenn er von einer generell "trostlosen" Situation, einem "irreparabel ausgeraubten" archäologischen Erbe und einem "nahezu unmöglichen" Fortschritt der archäologischen Forschung auf den Inseln spricht. Konkret führt er folgende Punkte an: • eine viel zu spät (seit ca. 1960) einsetzende wissenschaftliche archäologische Forschung der zuständigen kanarischen Stellen, insbesondere der Universität La Laguna, so daß "skrupellose Sammler" und "amateurhafte Enthusiasten" seit dem 19. Jh. ihr Unwesen treiben konnten; • ein Mangel in der Beschreibung archäologischer Schichten; • das Fehlen großer Serien absoluter Datierungen; • das Fehlen einer systematischen Analyse der zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden; • eine mangelhafte Strukturierung der forschungsbezogenen Anstrengun- F~ und I • die ungerechtfertigte Verweigerung von Ausgrabungsgenchmigungen. Letzteres zeigt sich u.a. in der auffallend geringen Zahl von europäischen Wissenschaftlern, die an kanarischen Ausgrabungen beteiligt werden. Gesuche für die Erlaubnis von Feldforschungen ausländischer Institute werden von den amtlichen Inselarchäologen abgelehnt. Ein Beispiel hierfür ist El Hierro: Obwohl die Entdeckung der eminent wichtigen Siedlungs- und Felsbild-Fundstelle "El Julan" schon fast 120 Jahre zurückliegt, wurde sie von kanarischer Seite noch nicht systematisch ausgegraben bzw. erfaßt. Angebote zur Mitarbeit oder Hilfestellung wurden nicht wahrge- 34 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 nommen. Dies widerspricht dem internationalen Trend, sich im Rahmen von Kooperationen gegenseitig zu befruchten. Erst in neuerer Zeit scheint sich diese Haltung je nach Institution zu lockern (z.B. Projekt "Cronos"). Hinzu kommt das Desinteresse von regionalen Behörden und betroffenen Wirtschaftszweigen, so daß z.B. bei neuen Fundstellen im Zuge von Bauarbeiten die Information der zuständigen Wissenschaftler überhaupt nicht oder mit großer Verzögerung erfolgt. Daß dabei oftmals Wichtiges zerstört wird, liegt auf der Hand. Ein weiteres Problem ist, daß viele Feldforschungen als "excavaci6n de urgencia" (Notgrabung) zu spät begonnen oder vorzeitig abgebrochen werden. Auch das Gegenteil, eine zu lange Sperrung von Bauvorhaben durch die Archäologen, fördert nicht das Verständnis und die Zusammenarbeit der Betroffenen. Oft werden die gewonnenen Forschungsergebnisse nicht oder nur unzureichend veröffentlicht. In einigen Fällen wurde das Informationspotential eines archäologisch vielversprechenden Areals nicht konsequent ausgenützt. Neben dem bereits erwähnten El Julan ein weiteres Beispiel: Die seit 1971 durchgeführten acht Ausgrabungsserien in Zonzamas (Lanzarote) befaßten sich nur mit knapp einem Viertel der relevanten Fläche, obwohl diese altkanarische Siedlung zu den wichtigsten Fundstellen des ganzen Archipels zählt. Eine abschließende Beurteilung der Struktur und Siedlungsgeschichte ist nicht möglich. Datierungen liegen nicht vor. Trotz fünf Kurzberichten über die Ausgrabungen von Zonzamas sind die Informationen sehr dünn und wiederholen sich weitgehend. Zur Ehrenrettung der kanarischen Archäologie sei angeführt, daß es in Bezug auf Forschungen und Publikationen auch positive Beispiele gibt, wie die Ausgrabungen von El Bebedero (Lanzarote) und ihre 1989 veröffentlichte Dokumentation (ATOCHE PE.NA et al. ), die in Systematik und Sorgfalt den heutigen Erwartungen entsprechen. Dies trifft - um· nur einige zu nennen - auch auf TEJERA GASPAR & AZNAR VALLEJO (1989) für den archäologischen Bericht über El Rubic6n (Lanzarote), auf ARCO AGUILAR (1985) mit der Beschreibung der Cueva de Don Gaspar (lcod, Tenerife) und auf DIEGO CUSCOY (1979) mit der Monographie über die Zeremonialstätte "Guargacho" (Tenerife) zu. Ein anderer Punkt, der die Kritik von ONRUBIA PINTADO illustriert, ist das Fehlen einer minutiösen, aktuellen und zugänglichen Registrierung des archäologischen Inventars der gesamten Inselgruppe. Die vom Departamento de Arqueologia y Prehistoria der Universität Let Laguna seit Anfang der 70er Jahre geplante "Carta Arqueol6gica del Archipielago Canario" wurde zwar weitgehend erarbeitet, ist aber bis jetzt noch nicht komplett veröffentlicht und dürfte partiell schon wieder veraltet sein. 35 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Eine ähnliche Situation stellt DiAZ ALA YON (1989b) in sprachlicher Hinsicht fest, wenn sie bedauert, daß das kanarische Ortsnamenmatcrial, daß zu einem wichtigen Teil auch altkanarische Begriffe enthält, noch nicht vollständig und genau erfaßt wurde. Gleichzeitig warnt sie bei seiner Etymologisierung vor einseitigen und voreiligen Schlüssen. Und wenn schon von Kritik gesprochen wird, dann muß auch die zögerliche Erfassung bzw. Publikation der Felsbilder erwähnt werden. Tenerife - und noch viel mehr Gomera - sind in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend behandelt worden. Wiederholt konnte auch ein doch erheblicher Unterschied in der Reproduktion der Felsritzungen konstatiert werden (siehe die drei Beispiele von der Peöa de Luis Cabrera / Lanzarote, Abb. 1-3). Hinzu kommt die oft mißverständliche Darstellung (falscher Blickwinkel) oder eine zu schnelle Interpretation (z.B. "pompejanische Kursivschrift", "Tifinagh"). Es ist auch festzustellen, daß einige kanarische Autoren dazu neigen, Parallelen zwischen altkanarischen und nordafrikanischen Kulturmerkmalen zu betonen, andererseits aber ebenso gültige Parallelen mit dem übrigen mediterranen Raum - und hier speziell die iberische Halbinsel - nur kurz zu streifen oder unerwähnt zu lassen. Als Beispiel sei eine Arbeit über die podomorphen Felsgravierungen Fuerteventuras angeführt (CORTES V AZQUEZ 1987), die ausführlich nordafrikanische Parallelen auflistet, jene mit Europa aber unterschlägt. Eine andere fragwürdige Sitte ist es, wenn man versucht, eine breite Zustimmung zur Berber-Theorie herbeizukonstruieren, indem man Autoren, die die Exponenten dieser Theorie zitieren, wiederum als originäre Befürworter zitiert. Wenn im Verlauf dieses Aufsatzes teilweise in prägnanter Form auf Widersprüche in der kanarischen Fachliteratur hingewiesen wird, dann ist dies nicht als "Gegenpolemik" zu verstehen, sondern als Versuch; dem Leser einen breiten Eindruck von der Argumentation einiger Autoren zu verschaffen, die vornehmlich dem kanarischen Wissenschaftsbetrieb angehören. Ein Kanarier selbst, Oswaldo Brito, Professor für Geschichte an der Universität La Laguna, hat das Problem erkannt, wenn er sagt, "In de'r Geschichtsschreibung der Kanarischen Inseln gehen die Leute nicht von Hypothesen aus, sondern von Schlußfolgerungen. Sie haben geforscht, um die (kanarische) Geschichte zu rekonstruieren und nicht um sie kennenzulernen. Mit ersterem wird verfälscht, mit dem zweiten wird untersucht"; und: "Es wurden bequeme und willkürliche Behauptungen aufgestellt, die pseudowissenschaftliche Arbeiten der Archäologie und Philologie stützen sollen. Es wurden Perspektiven von leichtfertigem Charakter angeboten, vergleichend oder Analogien suchend in simplifizierender Form, um auszudrücken, ob es Affinitäten zwischen Afrika und den Kanaren gibt" 36 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ~ +a? tS> o" ~~ -,0,-:;::;---.---__:__~~U_J nAaltnknatneanr isch e1· Zei.c hen des Sch . rbysch b soge-rrfttyps · h" . - erberisch Pen • rer ern Det . en . a de Luis Gab arl von der _:c· -k~ ..·... ffinnE ·, ( /\ rn verschiedenen ~eerpar o(dLuakntzioarnoetne)· Abb. 1 Aufnah . Martin (1980) me von J. Brit seo Arqueologtu~gestellt im Mu~ Gabriel", Arrec'cfo Castillo de Sa Abb2 .,e n Le o, n. HernWänredd ergab e nach J d Abb. 3 A f ez et al. (1988) . e brich (1989) nahme von H.-J. UI- 37 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 (Gaceta de Canarias, 24.9.90). 2. Probleme der ethnischen Herkunft und der Chronologie Zu den neueren Publikationen über altlibysche Forschungen zählt ein Aufsatz von C.A. DIOP (1988), in dem er auch kurz auf die Altkanarier eingeht. DIOP zufolge gibt es keine Beweise für eine Beziehung zwischen der steinzeitlichen Kultur des Menschen von Mechta el-Arbi und den Guanchen (hier im Sinne von Altkanarier), wie mehrfach angeführt wurde (z.B. CAMPS 1969, 1974, 1980; VALLOIS 1969). Vielmehr seien die (ersten) Kanarier "mehr oder weniger phönizisch beeinflußte protohistorische Volksstämme". Was immer damit im einzelnen gemeint ist, es kommt der Meinung von TEJERA GASPAR (1985) nahe: "Wir glauben, daß die Phönizier die wichtigste Rolle in den Akkulturationsprozessen der Berber Nordafrikas - und daher auch bei jenen Berbergruppen, die die Insel (Gran Canaria bzw. Tenerife) besiedelten - gespielt haben". Der Gedanke wird von TEJERA & AZNAR (1989: 52) wiederholt, wenn sie im Zusammenhang mit dem "Tanit" -Zeichen des Pozo de la Cruz (Rubic6n, Lanzarote) von protohistorischen Berbern aus Marokko und Algerien sprechen, wo sie mit der Welt der Phönizier Kontakt gehabt hätten, bevor sie zu den Kanarischen Inseln aufbrachen. Dies muß - wenn es so summarisch behauptet wird - von den kanarischen Wissenschaftlern im Detail noch nachgewiesen werden. Von einem deutlich sichtbaren phönizischen Einfluß kann nicht die Rede sein. Dafür sind die Hinweise zu spärlich und lassen sich nicht verallgemeinern. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Phönizier und ihre karthagischen Nachkommen selbst auf den Inseln waren und damit vereinzelte Zeugnisse ihrer Kultur direkt durch sie verursacht sein können. Letzteres kommt für das erwähnte sogenannte "Tanit" -Zeichen von Lanzarote nicht in Betracht, da es mit aller Wahrscheinlichkeit erst 1402 entstand und zwar mit (oder nach) dem Bau eines Wehrturmes und Brunnens durch Jean IV. de Bethencourt (der betreffende Mauerstein scheint die Gravie" rung nicht schon vor dem Einbau besessen zu haben). Das Zeichen (Abb. 4), daß der gebräuchlichsten Variante des Tanit-Symbols ähnlich ist (aber nicht identisch mit ihr), muß nicht zwingend eine weibliche Figur darstellen (warum ist der "Kopf" losgelöst ?). Vermutlich ist es ein Symbol, daß von Europäern eingeritzt wurde. Im Mittelalter war es durchaus üblich, mystische Monogramme und Maurerzeichen an bestimmten Stellen von Gebäuden einzugravieren. Auch auf den Kanarischen Inseln finden wir solche, zum Beispiel in der spätgotischen Gemeindekirche San Juan Bautista von Telde, Gran Canaria (HERNANDEZ 1951). Im Falle des "Tanit"- 38 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 0 Abb. 4 Links das sogenannte "Tanit"-Zeichen vom Pozo de la Cruz 4,..anzarote); in der Mitte zwei mittelalterliche Maurerzeichen, wie sie in der Kirche S. Juan Bautista in Telde (Gran Canaria) gefunden wurden; rechts ein Tanit-Zeichen von einer karthagischen Stele. Zeichens von Lanzarote dürfte es sich um die persönliche Markierung des Baumeisters von Bethencourt, Jehan le Ma~on, handeln. Wenn die beiden Autoren (TE.JERA & AZNAR / 1989: 52) fortfahren, "Die späte Besiedlung der Inseln durch Menschen des Maghreb, durch Gruppen, die wir heute allgemein unter dem ethnischen Begriff 'Berber' zusammenfassen, wird von vielen Autoren verteidigt", dann stimmt dies nur aus der Sicht einiger kanarischer Wissenschaftler. Gegensätzliche Stimmen gibt es genug, auch unter den kanarischen und spanischen Fachleuten. Immer wieder wird von den Anhängern der BerberTheorie auf die altkanarischen Kulturmerkmale mit Parallelen in NordAfrika hingewiesen, die es unzweifelhaft gibt. Wie aber sind die zahlreichen Merkmale zu interpretieren, die entweder genau so gut zu anderen, nicht-berberischen Kulturen oder im Gegenteil explizit nicht zu den Berbern und überhaupt nicht zu Nordwestafrika passen? Was zusätzlich die Erforschung der Herkunft der Siedler erschwert, ist die merkwürdige Tatsache, daß in den Überlieferungen der kanarischen Ureinwohner keinerlei Hinweis darauf zu finden ist. Nach DIOP (1988) breiteten sich die Vorfahren der Berber, zum größten Teil Angehörige der Seevölker mittel- bis ostmedilerranen Ursprungs und nur zum kleineren Teil von bereits ansässigen Alt-Libyern (Tehenu) abstammend, ab 1200 v.Chr. von einem Gebiet westlich des NilDeltas bis zum Atlantik aus und organisierten sich in Nomadenstämmen. Dies dürfte eine isolierte Meinung sein, die mit dem vielschichtigen Ursprung der heute als Berber Bezeichneten nicht in Einklang zu bringen ist und nur als Teilaspekt gewertet werden kann (s.u.). Der Vorgang soll nach DIOP 750 Jahre gedauert haben, sodaß die Atlantikküste erst um 450 v.Chr. erreicht wurde. Die C14-Datierung mit dem zur Zeil am weitesten zurückreichenden Ergebnis von den Kanarischen Inseln, jene der Cueva de la Arena des Barranco Hondo auf Tenerife, zeigt aber bereits 540 ± 60 39 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 v.Chr. an. Dies würde, DIOPs Zeitangaben für die Verbreitung der Berber als richtig vorausgesetzt, die Existenz einer vorberberischen, ersten Immigration auf den Kanaren bedeuten. Man muß aber nicht DlOPs Hypothese bemühen, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wie weiter unten dargelegt wird. Die genannte C14-Datierung aus dem Barranco Hondo, einem Gebiet mit Funden stark cromagnoid geprägter Schädel, wird von einigen kanarischen Autoren angezweifelt. Die datierte Holzkohle entstammt der Kontaktzone der vierten Schicht der Cueva de la Arena zur darüberliegenden dritten Schicht (ACOSTA & PELLICER 1976); die ebenfalls in der vierten Schicht gefundenen Eidechsen-Reste sind in ihrer Interpretation als menschliche Nahrung umstritten, so daß sie nicht zwingend - meiner Meinung nach aber mit hoher Wahrscheinlichkeit - für eine Existenz menschlicher Spuren (für die hier sonstige Belege fehlen) in dieser Schicht sprechen. Eine endgültige Verifizierung des ältesten der drei C14-Daten der Cueva de la Arena steht deshalb noch aus, obwohl zahlreiche Kulturmerkmale Tenerifes ein solches Alter nicht unmöglich erscheinen lassen. Von TEJERA & GONZALEZ (1987: 33) wird es jedenfalls nicht erwähnt, wenn sie das vorliegende C14-Material besprechen und von "jungen" altkanarischen Kulturen und "nur nachchristlichen" Daticrungsergebnissen sprechen; obwohl sie sich an anderer Stelle (S. 32) selbst zitieren und eine Erstbesiedlung ab dem fünften vorchristlichen Jahrhundert einräumen. Für Gran Canaria wird als ältestes C14-Ergebnis 30 v.Chr. angegeben, obwohl 1987 schon eine frühere Datierung vorlag (2080 ± 60 B.P. = 130 v.Chr. bei LOPEZ & LOPEZ 1985). Hier wird deutlich, wie widersprüchlich die kanarische Interpretation der vorliegenden Fakten ist. Es zeigt aber auch die Vielschichtigkeit und Schwierigkeit des Themas. Die C14-Datierungen der 1987 durchgeführten zweiten Ausgrabungsserie von El Bebedero / Lanzarote (ATOCHE PENA et al. 1989), waren TEJERA & GONZALEZ nicht bekannt. Für die älteste der fünf in El Bebedero festgestellten Schichten wird eine Entstehungszeit "mehrere Jahrhunderte v.Chr." angenommen, nachdem für die Schicht IV bereits effi,/ Alter von 1950 ±60 B.P. und 1840 ±30 B.P. festgestellt wurde. Es dürften also weitere C14-Ergebnisse zu erwarten sein, die weit vor der Zeitwende liegen. Die neueste Messung von Gran Canaria (Arteara) weist in das 3. Jahrhundert v.Chr., ebenso C14-Ergebnisse aus der Cueva de las Palomas, lcod de los Vinos (Tenerife) und der Cueva de la Palmera, Barranco de San Juan (La Palma). Eine Schätzung für die älteste Schicht der Cueva del Tendal (La Palma) spricht von der Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. (NA V ARRO MEDEROS et al. 1990). Eine erste Besiedlung innerhalb des 2. Jahrtausends v.Chr., wie sie 40 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 die deutsche Anthropologin llse SCHWIDETZKY (1976) annimmt, steht bis jetzt unwiderlegt im Raum. Dasselbe gilt auch für D.J. WÖLFEL (1951) mit der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v.Chr., eine Einschätzung, die von renommierten spanischen Fachkollegen (DIEGO CUSCOY 1955, PEREZ DE BARRADAS 1939, TARRADELL 1969b) geteilt wird. Begründet wird dies durch das archaische Erscheinungsbild der ältesten Kulturschicht ("sustrato pancanario" bei MARTIN DE GUZMAN 1984a) im Verbund mit cromagnoiden Merkmalen ihrer Träger. Eine noch frühere, mesolithische Erstzuwanderung nehmen ZEUNER (1959) und PERICOT GARCiA (1955) an. Die jüngsten Einwanderungen haben noch in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung stattgefunden, was aus den C14-Datierungen und den speziellen Erkenntnissen über die grancanarische Tumulus-Kultur abgeleitet werden kann. Bezeichnend ist im Zusammenhang mit chronologischen Betrachtungen, daß die von HERNANDEZ PEREZ (1977) um 1000 v.Chr. angesiedelte Ankunft der Urheber der geometrischen Felsritzungen auf La Palma - der dritten von vier Kulturschichten auf dieser Insel - von den Autoren TEJERA & GONZALEZ (1987) nicht erwähnt wird, obwohl andere Textstellen desselben Aufsatzes zitiert werden. GONZALEZ & TEJERA (1981: 33) bzw. TEJERA & GONZALEZ (1987: 195) verneinen die Existenz eines alle Inseln umfassenden Kultursubstrats und meinen, dies würde durch den archäologischen Befund bestätigt. Dem kann aufgrund zahlreicher inselübergreifender, neolithischer Merkmale nicht zugestimmt werden, wie im einzelnen noch dargelegt wird. Es ist auch kaum vorstellbar, daß die Inseln alle direkt angelaufen wurden und daß kein Inselspringen stattfand, auch wenn teilweise schwierige Segelverhältnisse zwischen den Inseln bestehen. Für die Erforschung der Herkunft der Altkanarier ist zweifellos die prähistorische Situation des gesamten Mittelmeerraumes und der atlantischen Küsten Südwesteuropas von größter Bedeutung und natürlich auch die nautischen Bedingungen der Gewässer nördlich der Kanarischen Inseln mit ihren Wind- und Strömungsverhältnissen. Diese Selbstverständlichkeiten verdienen deshalb so betont zu werden, da von seilen der "Kanarischen Schule" offenbar nicht alle diesbezüglichen Fakten ausreichend gewürdigt werden. Die Ursprünge der nordafrikanischen Kulturen des Iberomaurusien und des Capsien aus dem Mittelmeerraum gegen Ende der Altsteinzeit und die darauf ab dem 6. Jahrtausend v.Chr. folgenden, verstärkten Beziehungen im Rahmen eines "mediterranen Neolithikums", welches wiederum das "Neolithikum mit Capsien-Tradition" beeinflußte, wurden schon mehrfach nachgewiesen. Dazu CAMPS (1974: 263): "Es ist unmöglich, das mediterrane Neolithikum Nordafrikas zu studieren, ohne 41 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 die großen Bewegungen der Neolithisation einzubeziehen, die sich gegen Ende des 7. Jahrtausends v.Chr. im westlichen Mittelmeerraum ereigneten". Letzteres illustrieren die neueren Beiträge von BENSIMON & MARTINEAU (1987) für Marokko sowie AUMASSIP (1987) für Algerien. Beide Aufsätze betonen u.a. die Verknüpfung der jungsteinzeitlichen Bevölkerungen des nordafrikanischen Küstenraumes (der Vorfahren der Berber also) und ihrer Keramik mit dem mediterranen Raum, wobei die Nord-Süd-Beziehungen zwischen der iberischen Halbinsel und Marokko besonders intensiv waren (Abb. 5). Die iberische Halbinsel wird bei solchen Betrachtungen immer als der aktivere Part angesehen. Es muß also im einzelnen stark hinterfragt werden, was aus ethnologischer und kultureller Sicht am Protoberberischen wirklich autochthon afrikanisch ist und was auf mediterrane Einflüsse zurückzuführen ist. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die in Nordafrika nur im äußersten Nordmarokko aufgetretene Kardialkeramik (lediglich ein weiterer Fund bei Oran, Algerien: AUMASSIP 1987), deren Technik aus Andalusien stammte und ab dem fünften Jahrtausend v.Chr. in Marokko eingesetzt wurde. Dies kann als einer von zahlreichen Hinweisen auf einen schon sehr früh praktizierten Verkehr über die Straße von Gibraltar und das Alboran-Meer gewertet werden. Die Beispiele lassen sich fortsetzen: die Einführung kupferzeitlicher Glockenbecher-Keramik aus Portugal und der ersten (allerdings sehr wenigen) bronzezeitlichen Metallgegen- MITTELMEER Ostsahara·Fazies Abb. 5 Die verschiedenen Strömungen und Aspekte der Neolithisation Nordafrikas nach BENSIMON & MARTINEAU (1987). Man beachte die für Marokko und seine Küste relevante iberische Komponente. 42 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ständen aus Südspanien. Ebenfalls in die Bronzezeit werden Hunderte von marokkanischen Petroglyphen mit Waffendarstellungen datiert (MALHOMME 1953), für die deutliche Parallelen jenseits der Meerenge in den Formen der EI Argar-Kultur gefunden werden. Auch für die als fächerförmige Beile (z.B. Azib n'Ikkis, Marokko / MALHOMME 1954) und von manchen Autoren als ankerartige Idole bezeichneten Felsdarstellungen ist die typologische Herkunft von der iberischen Halbinsel eindeutig. Den Ursprung der auf Gran Canaria und Gomera (daß dem cromagnoiden Typen-Pol am nächsten liegt) gefundenen Jadeit-Beile vermutet BENITEZ PADILLA (1965) im Alpenraum und meint, daß sie schon mit dem Cro-Magnon-Typ über Spanien auf die Kanarischen Inseln kamen. Die neueste Untersuchung dieser Prunkbeile (SAUER 1990) deutet möglicherweise auf einen bretonischen Entstehungsort hin. So entwickelte sich in den Ländern des Mittelmeeres ein permanenter Prozess der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung und ethnischen Vermischung, der in den unterschiedlichsten Formen bis heute angehalten hat. Dies nicht nur von Nord nach Süd (und umgekehrt), sondern auch aus dem ostmediterranen Raum nach Westen, was sich schon ab dem vierten Jahrtausend v.Chr. in Spanien nachweisen läßt und in dem "orientalisierenden Horizont" einen gewissen Höhepunkt fand (zwischen 800 und 600 v.Chr. in Südspanien); entgegengesetzt die Verbreitung des megalithischen Ideengutes von West-Europa nach Osten. TEJERA & GONZALEZ (1987: 35) bemerken in diesem Zusammenhang: " .. .las culturas canarias no pueden entenderse como marginales desde la perspectiva eurocentrica o como manifestaciones de pervivencias arcaicas de otras culturas desaparecidas ... ". Dieser Vorwurf, die kanarische Prähistorie sei aus "eurozentrischer Sicht" eine "Randerscheinung" oder die "Manifestation eines archaischen Fortlebens anderer untergegangener Kulturen", kann so nicht akzeptiert werden. Altkanarische Geschichte, Ethnologie und Anthropologie stehen seit dem Beginn des 19. Jhs. im Blickfeld europäischer Wissenschaftler und wurden von diesen stets mit Engagement verfolgt (S. Berthelot, R. Verneau, E. Fischer, D.J. Wölfel, I. Schwidetzky, M. Fuste Ara u.a.). Dabei wurde immer wieder - und seit 1969 besonders auch von Mitgliedern des Institutum Canarium (Hallein) - die Wichtigkeit einer genauen Kenntnis der altkanarischen Kultur für das Verständnis des gesamten atlantisch-mediterranen Raumes betont. TEJERA & GONZALEZ (1987: 32f) führen die ethnisch, kulturell und zeitlich differenzierbaren Schichten sowie das abweichende Erscheinungsbild der Inseln untereinander allein auf die Zuwanderung (ab dem 5. Jh. v.Chr.) verschiedener und spät vom mediterran-atlantischen Umfeld beeinflußter Berberstämme zurück. Diese Hypothese steht und fällt mit 43 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 dem Zeitpunkt der Erstbesiedlung. Wie aber passen - von bestimmten unvereinbaren Kulturmerkmalen ganz abgesehen - die altkanarischen Cromagnoiden, die sich nach dem anthropologischen und archäologischen Befund seit der Substrat-Kultur in bestimmten Gebieten des Archipels neben dem mediterranen Typ relativ rein erhalten haben in dieses Bild, während auf dem nordafrikanischen Festland in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten der cromagnoide Mechta-Typ praktisch verschwunden war und nur noch sehr vereinzelt auftrat ? Nach CHAMLA (1978) waren nur 7% der in die Zeit zwischen 600 v.Chr. und 200 n.Chr. datierbaren nordafrikanischen Skelettfunde mechtoid und dies auch nur in isolierten Gebieten Ost-Algeriens und Tunesiens. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß sich Mitglieder dieser kleinen Gebirgspopulation auf die Ungewißheit einer Kanaren-Expedition eingelassen haben und dann noch sämtliche Inseln besiedelten ! Was sollte auch ihr Motiv für dieses Wagnis sein und woher hatten sie Kenntnis von den Inseln ? Wir können davon ausgehen, daß das Wissen über die Kanarischen Inseln in der Antike nur den marokkanischen Küstenbewohnern und darüberhinaus nur einer kleinen, der Seefahrt verbundenen intellektuellen Bevölkerungsschicht des Mittelmeerraumes zugänglich war. Eine erfreulich sachlich orientierte Sicht drückt sich in einer Arbeit des Festlandspaniers ONRUBIA PINTADO (1987) aus, wenn er sinngemäß vermerkt, daß das vorhandene archäologische und ethnographische Material über die letzte Phase der altkanarischen Besiedlung nicht für eine abschließende Betrachtung des gesamten Vorgangs herhalten kann. Er stimmt mit MARTIN DE GUZMAN (1984a) überein, der für Gran Canaria drei kulturelle Horizonte feststellt: eine schwer zu definierende, archaische erste Einwanderungsgruppe, darauf die Kultur der Cueva Pintada mit starken mediterranen Bezügen (nach BELTRAN/1972 um 2000 v.Chr., nach ONRUBIA/1986 um 1200 v.Chr.), und schließlich die berberophone "Tumulus-Kultur", die auf der Insel den tumulusorientierten Grabbau und den mörtellosen Hausbau einführte und vermutlich für einen Teil der Felsritzungen des sogenannten libysch-berberischen Schrifttyps / verantwortlich ist. Auf diese Menschen dürfte sich eine Hinweis beziehen, den wir bei FRUCTUOSO (1590) finden, nach dem ein Ureinwohner von Gran Canaria seine Vorväter unter der vorislamischen Bevölkerung der berberischen Küste vermutete. ONRUBIA PINTADO (1987) zitiert auch PETIT-MAIRE et al. (1979), die bei der Nekropole von Izriten bei Tarfaya - datiert auf das Ende des 4. Jahrtausends v.Chr. - von Menschen sprechen, die zur Besiedlung Makaronesiens beigetragen haben konnten. Die Skelettfunde wurden dem Mechta-el-Arbi-Typ zugeordnet, dessen Ausprägung aber im Ver- 44 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 gleich zu den kanarischen Cromagnoiden gröber und großwüchsigcr ist. Der jüngere kanarische Cromagnon-Typ, im Lauf der Zeit (noch auf dem Festland oder erst auf den Inseln ?) grazilisiert, mag deshalb von einer solch alten Gruppe abstammen, kann aber nur als annähernd mechtoid bezeichnet werden. Oder es war uns einfach noch nicht vergönnt, das Skelett eines älteren, dem Mechta-Typ entsprechenden Cromagnoiden auf den Kanaren zu finden. CAMPS (1980) betont aufgrund der fehlenden anthropologischen Bindeglieder die Schwierigkeit, die Spur des cromagnoiden Menschen von Mechta-el-Arbi sowohl über · Spanien nach Westeuropa, als auch über Nordostafrika nach dem Vorderen Orient zurückzuverfolgen. Daß die bisherigen Hinweise - z.B. auf der iberischen Halbinsel - noch kein geschlossenes Bild ergeben, bedeutet nicht, daß künftig weitere, aufhellende Funde ausgeschlossen sind. CAMPS meinte jedenfalls aus dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse schließen zu können, daß der Mechta-Typ sich in situ, also in Nordwestafrika, während des Iberomaurusien und damit zum Teil noch nach dem 10. Jahrtausend entwickelte. Diese Hypothese wurde nicht von allen Prähistorikern übernommen, da es auch in der Abstammungslinie vom nordafrikanischen Aterien-Menschen zum Iberomaurusien eine große zeitliche Lücke gibt ( > Abb. 6). Auch die anthropologische Zuordnung des Aterien-Menschen selbst ist noch unklar. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt dagegen - aus der Sicht einiger Fachleute - eine Abstammung des nordafrikanischen Cro-MagnonTyps aus dem Vorderen Orient, was man anhand der (wenn auch spärlichen) Zeugnisse von kulturellen Zwischenstufen (Ägypten, Nordsudan) ableiten könne; wobei die Hinzunahme eines neandertaloiden Unterkiefers aus Haua Fteah (Cyrenaika) inzwischen ein unbrauchbares Argument ist, denn neueste Datierungen sprechen von einem Proto-Cromagnoiden in Palästina, der um ca. 40.000 Jahre älter ist als der dortige Neandertaler. Offenbar stammt der Cro-Magnon-Typ doch nicht vom Neandertaler ab, wie man lange angenommen hatte. Aber auch für einen Weg über die iberische Halbinsel lassen sich entsprechende Hinweise anführen: Cromagnoide Skelettfunde liegen aus der Cova de Parpall6 (Gandia, Prov. Valencia) und der Cueva de Nerja (Prov. Malaga) vor - beide in das Solutreen datiert (im ersten Fall um 18.500 v.Chr.). Für bestimmte mesolithische Menschen von Muge (Portugal) wird eine Zugehörigkeit zum cromagnoiden Typus diskutiert. Cromagnoide Stirnknochen mit großer Ähnlichkeit zu jenen des Mechta-Typs wurden in der Cova del Barranc Blanc (R6tova, Prov. Valencia) entdeckt (ALCOBE 1954). Der Fund gehört einer Schicht an, die zum Epigravettien der spanischen Levante gezählt wird und sich damit zeitlich mit dem 45 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Abb. 6 Synchronistische Zeittafel A tausend Jahre v.Chr. 80 70 60 50 40 30 20 10 1 1 Nordafrika: Mittelpaläolithikum-•--•-••-•--... --... --... - Epipaläolithikum (Mernlithiku TI) ......... ....... ...... ..... ........ ............ ...... .... .. ..... -- Neolithikum ............. ..... ....... .. .. ..... ...... .. ....... .. ....................... ... ..... .. ...... ... .. .. ......... - Mousterien ........ ..... -•--•--•-•-• Aterien ... ... ............... ...... .............................. ..... ...... - ... _ ... _ lberomaurusien(Orani~n) .. ...... ................... .................. ........... ........... .. ....... -• Capsien ........ .. ...... .. .. ............... ............................... ........ ............... ..................... - Synchronistische Zeittafel B Jahre 0 1 (00'.) 5000 400) :JXXl 200'.) ICXXJ 0 lCXXJ 200'.) 1 Megalithentum - Frankreich .................................... ·······-•--•--•-• - Iberische Halbinsel (in! 1. Balea1 en) .. -•--•--•--• - Marokko ........ .................. ........................... ... ... ............................ - - - Italien (inkl. Sardinien) ................ .............. •-•--•--•-• -Algerien / Tunesien ......................... ............... .................... .. ........ ..... - • • ") - Malta ........... ..................................................... .. ....... --.. • - Kanarische Inseln.......... ............. .............. ...... • • • 1 • • • • • .. ) Bronzezeit in Spanien ..... .. ..... ... .... ................... ........ .............. ··--•• Mittelmeer-Neolithikum •--•--•----•-Capsien- Neolithikum ......• --•-••-•--•-- Besiedlung der Kanariscl~en lnse n............ ...... 1· Phase 2· Pha 8 •-3 . Ph•se Tartessos ... ........... .. .......... .............. ..... ......... ............................ ...... ... E ::~~:~~.~'.~.~.~:.~~ ~.-.~.~~.-.~~.~-~-~~'..~~-~.~~-~ ~'.~.~~.~~~'..-.-.-.-.-.-.. .-. . - Römische Republik und Weströn isches F,eich...... ...... ....... ........ .. .... ...... - - Bei bestimmten Zeiträumen in wurde auf eine weitere Untergliederung verzichtet. *) Wiederverwendung megalithischer Grabbauten im östlichen Maghreb bis in das 3. Jh. n.Chr„ **) Manche megalithische Erscheinungsform der altkanarischen Kultur hat sich - neben anderen Formen - bis in die Zeit der Conquista erhalten. frühen lberomaurusien überschneidet. Nach PERICOT (1955) war die durch die Cova del Barranc Blanc typisierte menschliche Gruppe in der Lage, die Straße von Gibraltar zu überqueren und sich so zu beiden Seiten des Mittelmeeres auszubreiten. SAVORY (1968) äußert sich ähnlich, wenn er Menschen der spanischen Mittelmeerküste mit Merkmalen der Gravettien- Kultur als mögliche Gründer (um 15.000 v.Chr.) des Oranien (lbero- 46 f © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 .--.... - Type de Mechta 3,' ' A-t--R-T 1 ',..,.._ ~- Abb. 7 Hypothesen über den Ursprung des Typs "Mechta" (aus VALLOIS 1969): 1. Transiberische Abwanderungen auf Kosten der Cromagnoiden Westeuropas. 2. Zeitgleich mit -1- wandern palästinensische Präcromagnoide nach Nordafrika. 2'. Palästinensische Präcromagnoide bilden den westeuropäischen Menschen von Cro-Magnon. 3. Oifferenziation vor Ort mit den Entwicklungsstadien: T = Atlanthropus von Ternifine, R = Prä-Neandertaler von Rabat, 1 = Neandertaloider von Djebel lrhoud, A = Mensch von Mechta-Afalou. 4. Passage des Typs "Mechta" zu den Kanarischen Inseln. maurusien) ansieht. Die von V ALLOIS 1969 vorgenommene Zusammenstellung der verschiedenen Hypothesen über den Ursprung des Menschen von Mechtael- Arbi (Abb. 7) hat in bezug auf den palästinensischen Ausgangspunkt des Cro-Magnon-Menschen eine aktuelle Bestätigung erfahren: der Fund von "Proto-Cromagnoiden" in Qafzeh und Skhül (Israel), die deutlich von ebenfalls dort gefundenen Neandertalern (Tabun, Amud, Kebara) unterscheidbar sind und bereits vor rund 100.000 Jahren gelebt haben (V ALLADAS 1990). Damit bleibt mehr als genügend Zeit für eine Migration dieses Menschen nach Westeuropa und für eine modernere Ausprägung seines Skelettes hin zum Troglodyten von Les Eyzies-de-Tayac. Wichtig für unsere Betrachtungen ist es, wenn CAMPS (1980) weiterhin ausführt, daß sich an den maghrebinischen Küsten ein robuster Mechta-Typ erhalten habe, während im Landesinneren ein interner Prozess der Grazilisation - ohne Beimischung jüngerer Elemente - einsetzte (CAMPS folgt hier CHAMLA 1976). Da aber auf den Kanarischen Inseln nur der grazil-cromagnoide Typ gefunden wurde, würde dies bedeuten, daß nicht der nordafrikanische Küstenbewohner, sondern der nautisch 47 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 unerfahrene Bergbewohner die Überfahrt zu den Inseln wagte. Das ist sehr unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich. Aus diesem Dilemma gibt es zwei Lösungsansätze: a) Der kanarische Mechtoide kam schon in seiner robusten Variante auf den Archipel (was allerdings nach den Skelettfunden bislang nicht belegt ist) und grazilisierte auf den Inseln selbst. Dies würde eine sehr frühe, zum Mesolithikum tendierende Zuwanderung bedeuten. b) Der kanarische "Mechtoide" ist gar kein Nachkomme des Menschen von Mechta-el-Arbi, sondern stammt von einem Cro-Magnon-Typ ab, der sich von Westeuropa über die iberische Halbinsel bis zu den Kanarischen Inseln ausbreitete. Er wäre damit ein "Bruder" oder ein "Vetter" des Mechta-el-Arbi-Menschen, je nach dessen westeuropäischer oder palästinensischer Urheimat. Nach dem weiter oben Ausgeführten scheint - bis zum Auftauchen neuer archäologisch-anthropologischer Erkenntnisse - Ansatz b) der logischere zu sein; trotzdem kann Ansatz a) nicht völlig ausgeschlossen werden. Relevant für diese Vorgänge ist der Ausgangspunkt der Expeditionen. Die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln wird aufgrund der Windund Strömungsverhältnisse immer schwieriger, je weiter man sich an der marokkanischen Küste nach Süden bewegt. Der Versuch einer Überfahrt mit einfachen Booten und primitiven Segelmethoden an der engsten Stelle zwischen Tarfaya und Fuerteventura birgt die große Gefahr in sich, südlich an den Kanarischen Inseln vorbeizudriften. So ist auch die bei extrem klarem Wetter als möglich bezeichnete Sicht bis Fuerteventura oder sogar bis zum Teide (Tenerife) kein Indiz für die Erreichbarkeit von diesem Punkt aus, sondern nur für das frühe Wissen um die Existenz der lnse\n. Gute Chancen bietet dagegen ein Abfahrtspunkt in Nordmarokko, oder - noch besser - in West-Andalusien oder Südportugal. Nach einer Guanchen- Überlieferung (ESPINOSA 1591) trafen die ersten 60 Besiedler Tenerifes, die nach unseren heutigen Kenntnissen cromagnoid waren, an der Nordküste der Insel ein. Dies könnte ein vager Hinweis auf einen Ausgangspunkt in Südspanien sein, da bei Inselspringen (von Ost nach West) aufgrund der interinsularen Strömungsverhältnisse eher die Ostoder Südküste angelaufen worden wäre. Überhaupt muß festgehalten werden, daß es wohl kaum "Landratten", wie die Bewohner des Hohen Atlas und der inneren Sahara, waren, die sich auf das Wagnis der Überfahrt eingelassen haben - ohne nautische Kenntnisse und mit der abergläubischen Furcht des vor- und frühgeschichtlichen Menschen vor dem Unbekannten. Hier ist es notwendig, sich in die Psyche dieser Zeit hineinzuversetzen. Es ist auch schwer vorstellbar, daß 48 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 berberische Nomaden ihr freies Leben in den Weiten der Sahara gegen ein für sie ungewisses, enges Inselleben ohne Rindvieh, Kamele und Pferde eingetauscht haben - auch wenn sich die Verhältnisse durch die Austrocknung der Sahara verschlechterten. Als Rückzugsgebiete blieben immer noch einige Oasen sowie der Atlas und die südsaharischen Gebirge. Selbst der heutige Berber würde sein (nur aus unserer Sicht) karges Leben im Atlas oder in der Sahara nie mit den Verlockungen der modernen Kanarischen Inseln eintauschen. Warum sollte es der frühgeschichtliche Berber getan haben? Parallelen zur altkanarischen Kultur, die von einigen Autoren immer wieder unter den unterschiedlichsten Berberstämmen des nordafrikanischen Binnenlandes gesucht werden, können deshalb im Vergleich zu Parallelen aus maritimen Bereichen nur von weitaus geringerer Bedeutung sein. Oder anders ausgedrückt: Ein extrem wichtiger Aspekt bei der Suche nach dem Ursprung der altkanarischen Siedler ist die Notwendigkeit, daß sie eine gewisse Abenteuerlust und eine große Vertrautheit mit dem Meer besaßen! Man denke auch an die Bedeutung, die das Meer in ihrer Glaubenswelt besaß. Es sind deshalb die Küstenbewohner des Mittelmeeres und des Atlantiks, die zuerst in Frage kommen. Was konnte sie gereizt haben, das Wagnis der Überfahrt auf sich zu nehmen? Im Hinblick auf berberischen Unternehmungsgeist sei Pomponius Mela (um 50 n.Chr.) angeführt, der von der Trägheit (segnitia) der Berber berichtet. Auf jeden Fall mußten die ersten Siedler unbelastet von jenen Beobachtungen sein, die ein Bewohner des nahen Festlands machen konnte: Denn gerade in der Zeit vom 3. bis zum 1. Jahrtausend haben auf Lanzarote einige Vulkanausbrüche stattgefunden (z.B. Monte Corona), was im Glauben der damaligen Zeit nur die Präsenz von bösartigen Mächten bedeuten konnte. Offenbar wurde das Auf treten von Vulkanausbrüchen, das unzweifelhaft auf marokkanischer Seite registriert worden sein muß, nicht über ein regionales Gebiet hinaus weitererzählt oder ging in der Mund-zu-Mund-Verbreitung unter (erklärbar durch die geringe Bevölkerungsdichte). Solche Inseln mit feuerspeienden Bergen waren sicher kein attraktives, fest geplantes Ziel für Menschen, die eine neue Heimat suchten, es sei denn, man wußte nichts darüber oder man erreichte die Inseln zufällig. Dies spricht dafür, daß Expeditionen innerhalb des oben genannten Zeitrahmens nicht von der gegenüberliegenden Festlandsküste starteten. Es ist auch völlig ungeklärt, zu welchem frühgeschichtlichen Zeitpunkt die berberische Küstenbevölkerung des atlantischen Marokkos über seegängige Boote verfügte. Die immer wieder angeführten (z.B. NA V ARRO MEDEROS et al. 1990: 108) Fischer von Sous (Agadir, Marokko) mit ihren traditionsreichen Paddelbooten ("garrabu") würden bei einem Ver- 49 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 such, die Kanarischen Inseln ohne Kreuzen (in Ermangelung von Segeln) anzusteuern, südlich an Fuerteventura und Lanzarote vorbeigetrieben werden. Ab einem bestimmten Zeitpunkt (1200 v.Chr. ?) muß die Kenntnis über die Kanarischen Inseln durch verstärkte Beobachtungen von Seefahrern des Mittelmeer-Raumes konkretisiert worden sein. Selbst wenn diese frühen Entdecker die Inseln in einer Zeit ruhender vulkanischer Aktivität besuchten, muß doch der vulkanische Charakter des Archipels aufgefallen sein. Ähnliche Vorgänge waren ja durch heimische Vulkane (Ätna, Vesuv, Stromboli, Thera) bekannt. Der Vulkanismus der "Glücklichen Inseln" erscheint aber mit keinem Wort in den antiken Texten. Spätestens mit den Phöniziern dürften die Kanarischen Inseln auch von Besuchern angelaufen worden sein, die ihr Wissen über die Inseln nach ihrer Rückkehr zum Heimathafen weitergaben. So verwundert es, daß der vulkanische Aspekt der Kanarischen Inseln nicht überliefert ist. Erst im späten Mittelalter wird darauf Bezug genommen. Die weiter oben (und auch von anderen Autoren) erwähnte Zufälligkeit der vor- und frühgeschichtlichen Kolonisierung der Kanarischen Inseln kann sich nur auf das Erreichen dieses bestimmten Archipels beziehen. Nicht zufällig, sondern geplant, war die Absicht der Siedler, ihre Heimat zu verlassen und neuen Lebensraum zu suchen, was sich eindeutig in der Mitnahme von Familien (oder zumindest Frauen), Saatgut und Kleinvieh zeigt. Es sei kurz auf die Hypothese einiger französischer Prähistoriker (BILLY 1982, CAMPS 1969, BALOUT 1969) eingegangen, die für eine frühestens postneolithische Einordnung der ersten Einwanderungsphase plädieren. Dazu werden im wesentlichen folgende Argumente genannt: • Das Fehlen der Verstümmelung des Gebisses bei den Altkanariern, was unter der prähistorischen Bevölkerung Nordwestafrikas noch bis zum Neolithikum praktiziert wurde (Entfernen der Schneidezähne). Dies trifft im großen Ganzen zu, von einem einzelnen Fall auf Gran Canaria abgesehen (GARRALDA & NERO 1982). Allerdings wurde auch im Maghreb diese Sitte nicht einheitlich angewendet; bei den neolithischen Bestattungen entlang der marokkanischen Küste zwischen Gar Cahal und Izriten ist sie nicht feststellbar (ONRUBIA PINTADO 1987). Eine noch neolithische Zuwanderung der ersten Besiedler der Kanarischen Inseln vorausgesetzt, kann das Fehlen der Gebiß-Verstümmelung auch ein Indiz für einen nicht in Nordafrika liegenden Ursprung sein. • Das Fehlen des Rindes in der altkanarischen Kultur. Ob die Gründung der altkanarischen Gesellschaft im Neolithikum oder später erfolgte, ist anhand dieses Gesichtspunktes schwer einzugrenzen. Jeglichen Seefah- 50 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 rern - ob aus dem atlantischen Europa, dem Mittelmeerraum oder dem atlantischen Maghreb - war die Mitnahme von Rindern ( sowie Pferden und Kamelen, die erst ab dem 15. Jh. von den Spaniern importiert wurden) und entsprechendem Futtervorrat auf ihren mit beschränktem Raum ausgestatteten Expeditionsbooten sicher zu problematisch im Vergleich zum Transport von kleinwüchsigeren Ziegen und Schafen; oder sie waren - was auf die berberischen Kolonisten zutreffen dürfte - nicht auf Rinderzucht angewiesen, sondern auf Feldanbau und Fischfang. Nach MUZZOLINI (1983) erschien das Rind in seiner domestizierten Form erst um 2.000 v.Chr. im atlantiknahen Sahara-Raum. Dies würde - die Mitnahme von Rindern als technisch möglich erachtet - sogar für kanarische Siedler v o r diesem Zeitpunkt sprechen. • Die bei den Altkanariem festzustellende gestreckte Rückenlage der Toten im Gegensatz zur Hockstellung, wie sie in Nordafrika noch bis in protohistorische bzw. punische Zeiten erfolgte. Dazu ist anzumerken, daß die Position der altkanarischen Toten nur bei 6% aller Funde aufgezeichnet wurde (ARCO AGUILAR 1976). In einzelnen Fällen wurde auch eine Veränderung der Bestattungslage durch Bodensenkungen oder eine partielle Zerstörung der Skelette durch Bodenerosion festgestellt. Darüberhinaus sind von Tenerife (LORENZO PERERA et al. 1976; JIMENEZ SANCHEZ 1941), Gran Canaria (CHIL Y NARANJO 1880), La Palma (HERNANDEZ PEREZ 1977), Fuerteventura (ACOSTA SOSA et al. 1988) und Gomera (DIEGO CUSCOY 1953) Fälle von Hokkerbestattung bekannt (in der Cueva de los Toscones, Gomera, deutlich in einer älteren Schicht, als die ebenfalls dort vorgefundenen Bestattungen in gestreckter Lage). Ein unsicherer Fall von Hockerbestattung wird von Lanzarote berichtet (HERNANDEZ CAMACHO et al. 1987). • Das Fehlen von Ocker als rituelle Farbe bei altkanarischen Bestattungen. ARCO AGUILAR (1976: 24) berichtet aber, daß die aus Ziegenleder bestehende Umhüllung der altkanarischen Trockenleichen (Mumien) in Einzelfällen rot gefärbt war. Auch bei Gebrauchsgegenständen aus Leder wurde - wenn auch nicht verbreitet - eine Färbung mit gelben und roten Mineralien praktiziert (MIES 1960). Für die Ausschmükkung der Kleidung auf Gran Canaria ist dies auch durch den Bericht von Niccoloso da RECCO (1341) belegt. CADAMOSTO (1455) schreibt, daß sich die Grancanarios sogar mit Kräutersäften grün, rot und gelb anmalten. Dies könnte ein spätes Nachklingen archaischer Farbrituale sein, was bei der konservativen Grundhaltung der Altkanarier nicht unmöglich erscheint. Begräbnisrötel wurde in Nordafrika vom Iberomaurusien bis in römische Zeiten hinein verwendet. Hier ist zu ergänzen, daß das Fehlen bestimmter Kulturmerkmale 51 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 nicht nur chronologische, sondern auch ethnisch-geografische, also herkunftsbedingte, Gründe haben kann, was wiederum die alleinige Abstammung von den Berbern oder ihren Vorfahren in Frage stellt. Bei diesen doch etwas unsicheren Argumenten für eine postneolithische Besiedlung lohnt es sich, eine andere Hypothese mit heranzuziehen: Auffallend ist die Verbreitung des Megalithentums entlang der atlantischen und mediterranen Küsten, ihr maritimer Charakter also, mit einem Ausgangspunkt im westlichen Europa. Herausragende Entwicklungszentren waren die Bretagne und der Westen und Süden der iberischen Halbinsel. Auch die über See kolonisierenden Erstbesiedler der Kanarischen Inseln weisen in bestimmten Archaismen megalithische Merkmale auf: künstliche bzw. natürliche Monolithen im Kultus, Petroglyphen mit konzentrischen Kreisen, Spiralen und Wellenlinien, Steinkreise, Steinhaufenaltäre, Libationsrinnen, Näpfchensteine, fettleibige Idolfiguren, die Tradition der Muschelhaufen und anderes mehr (siehe 3. Kapitel). Dies kann nicht nur die sekundäre Verarmung eines postneolithischen oder sogar nur frühgeschichtlichen Kulturkreises bedeuten. BIEDERMANN (1983) formuliert dazu: "Plausibler ist es, 'Mesolithiker' mit religiösen Ansätzen zu den Ideenkomplexen des Megalithentums als erste maritime Besiedler der Kanarischen Inseln aufzufassen, ohne deshalb spätere Kontakte mit Menschen aus dem mediterranen Raum auszuschließen". Die megalithischen Aspekte der altkanarischen Kultur sind zwar in ihrem Ausmaß unter den spanischen Wissenschaf tlem umstritten aber nicht gänzlich verneint, werden aber von TEJERA & GONZALEZ (1987) mit keinem Wort erwähnt. Die Einführung der in Marokko und West-Algerien auf den äußersten Norden des Landes konzentrierten Dolmen ist eindeutig auf die Megalithiker der iberischen Halbinsel zurückzuführen. Man geht heute davon aus, daß dieser Kontakt erstmals in der Mitte des 2. Jahrtausends stattgefunden hat, oder sogar erst um 500 v.Chr. (TARRADELL 1969a: 224 ). Siedelt man die Erstkolonisierung der Kanarischen Inseln durch megalithisch beeinflußte Gruppen zwischen 3500 und 2000 v.Chr. an, dann kann das sowieso nur sehr schwach ausgeprägte marokkanische Megalithikum nicht daran mitgewirkt haben. Auch im Zuge der zweiten Besiedlungsphase dürfte es kaum eine Rolle gespielt haben, wobei nicht auszuschließen ist, daß sich Megalithisches aus dem süd- und ostmediterranen Raum über die nordafrikanischen Küsten bis zu den Kanarischen Inseln auswirkte. Das Megalithikum in Ost-Algerien und Tunesien entwickelte sich getrennt von jenem in Marokko und traf über Sardinien, Sizilien und Süditalien ein (> Abb. 8 und CAMPS 1961), möglicherweise auch mit Einflüssen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Die megalithischen Grabbauten Algeriens und Tunesiens wurden, wie es scheint, zum Teil noch bis 52 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 in das 3. Jh. unserer Ära wiederverwendet. HERNANDEZ PEREZ (1980: 43) bemerkt zu der durch Kreise und Spiralen gekennzeichneten Kulturschicht auf La Palma: "Die wenigen Parallelen in Afrika, sowohl bei der Keramik, als auch bei den Felsritzungen, und die zahlreichen europäisch-atlantischen Parallelen führen uns zu der Theorie, daß diese zweite menschliche Gruppe aus atlantischen Gebieten stammt; mit einem Ankunftsdatum, das wir nicht präzisieren können, angesiedelt bei der Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend v.Chr.". Auch ein früherer Zeitpunkt ist denkbar, denn das Megalithikum, zu dem diese palmesischen Formen zu rechnen sind, hatte bereits im 5. Jahrtausend v.Chr. Portugal erfaßt, das aufgrund der nautischen Bedingungen als Ausgangspunkt für die frühen Besiedler La Palmas vorrangig in Frage kommt. Aber vielleicht sind die megalithischen Verwandtschaften La Palmas sogar noch weiter nördlich zu suchen: Die auf La Palma gefundenen Krummstäbe ( als Beigaben einer Höhlenbestattung) erinnern stark an Formen, wie sie als Gravierungen auf bretonischen Menhiren und Dolmen auftauchen: Table des Marchands, Mane-Rutual, Dolmen de Kerveresse (alle bei Locmariaquer) und andere (siehe auch DIEGO CUSCOY 1955, BATT et al. 1985). Krummstäbe wurden - ebenfalls als Beigabe - in portugiesischen Megalith-Gräbern gefunden. Bemerkenswert ist weiterhin, daß HERNANDEZ PEREZ (1980) bei zwei weiteren, älteren Schichten (III und IV) atlantische Parallelen für deutlicher als afrikanische hält. Den in f:1!l!I IIYP•det iIIIIIII Dolaffla Abb. 8 Dolmen und Hypogäen des westlichen Mittelmeerraumes (aus CAMPS 1961). 53 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Nordafrika seltenen, aber in Europa häufiger auftretenden partiellen Leichenbrand gibt er schon für die älteste Schicht auf La Palma an. Seine Einschätzungen in bezug auf die Typologie der vorspanischen palmesischen Keramik stehen ganz im Widerspruch zu NA V ARRO MEDEROS et al. (1990), für die nur nordafrikanische Parallelen existieren: Aufgrund neuerer Ausgrabungen (Cueva Tendal, Cuevas de San Juan u.a.) sprechen sie von einem "alten" Horizont A (Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. - bis Ende des 1. Jahrtausends n.Chr.) mit den keramischen Phasen I, II und III und west-maghrebinischen Bezügen sowie von einem "rezenten" Horizont B (ab Ende des 1. Jahrtausends n.Chr.) mit der keramischen Phase IV und saharischen Bezügen. Manche Autoren schließen aus der Situation der kanarischen Kultur zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung durch die ersten Europäer auf einen Verarmungsprozeß. Eine Verarmung der altkanarischen Kultur, die aber mehr als eine Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten zu werten ist, kann in drei Punkten festgestellt werden: 1. Durch das Fehlen von Metallen auf den Inseln mußte auf Obsidian- und Basaltklingen zurückgegriffen werden. Wie früh aber im Zusammenhang mit der Technik bestimmter Felsritzungen doch vereinzelt Messer auf die Inseln gelangten, etwa durch Mitglieder der zweiten bzw. dritten Besiedlungsphase, durch Phönizier, Karthager, Mauritanier, Römer, Araber oder die ersten Europäer, läßt sich zeitlich außerordentlich schwierig nachvollziehen, da Messerfunde - und überhaupt vorspanisch datierbare Metallfunde - bislang nicht vorliegen. Die Expeditionsausrüstungen und damit auch der Anteil metallischer Gegenstände dürften jedoch sehr klein gewesen sein. Die wenigen Messer, die existiert haben konnten, wurden sicher schnell zerschlissen. 2. Die nautischen Fähigkeiten und der maritime Unternehmungs: geist bildeten sich zurück, erlahmten aber zumindest im interinsularen Bereich nie ganz (ULBRICH 1989: 67, 90f). Man denke an die schiffsähnlichen Felsbilder (Gran Canaria, Lanzarote, Fuerteventura), an die Verteilung der Gruppen von Insel zu Insel, an das durchgängige sprachliche Substrat (DIAZ ALAYON 1989a) und an die Kenntnisse, die die Insulaner schon vor der Conquista voneinander hatten. Rückkontakte mit dem Festland sind in antiken und mittelalterlichen Schriften so gut wie nicht belegt und deuten auf eine Isolation hin, deren Gründe in den widrigen Meeresströmungen und Winden gelegen haben mochten, verbunden mit einem - von gelegentlichen, klimatisch bedingten Hungersnöten abgesehen - ausreichenden ökologischen Ambiente, das Handelsfahrten zum Festland nicht erforderte. Es gab aus altkanarischer Sicht auch keine offerierbaren Tauschgüter. Der Handelswert der Färberflechte (Rocella-Artcn; spanisch 54 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 "orchilla") zur Gewinnung des Purpur-Farbstoffes und der Wert des "Drachenblutes" (Saft des Drachenbaumes / Dracaena draco L.) als Droge bzw. ebenfalls als Farbstoff war den Insulanern unbekannt. Beides gewann erst in den 90er Jahren des 14. Jhs. durch den Kontakt mit andalusischen Händlern an Bedeutung. Schon in der Antike (Phönizier, Mauritanier) und später auch im Mittelalter (Araber ab dem 9. Jh., Europäer ab 1291) dürften die schlechten Erfahrungen mit feindlichen Expeditionen hinzu gekommen sein. RECCO, Navigator und Chronist der portugiesischen Expedition von 1341 vermißte Boote völlig, obwohl aufgrund einiger Hinweise von Kontakten zumindest zwischen den sehr nahen Inseln Fuerteventura und Lanzarote ausgegangen werden kann. TORRIANI (1590) erwähnt ganz konkret Boote aus Drachenbaum-Holz mit Segeln aus Palmzweigen, die für den Verkehr zwischen Gran Canaria und den Nachbarinseln Fuerteventura und Tenerife eingesetzt wurden. Berücksichtigt man, daß die Fertigkeit Baumstämme auszuhöhlen beherrscht wurde (Holzsärge auf Gran Canaria), dann ist auch die Herstellung von Einbäumen vorstellbar. Nach ABREU GALINDO (1602) besaßen die Ureinwohner von Tenerife ein Wort für "Schiff" (guihon, guijon). MARIN DE CUBAS (1694) berichtet von einer Sage, in der eine Frau von Gomera auf aufgeblasenen Ziegenhaut-Schläuchen nach Hierro schwamm. IBN-KHALDUN überliefert den Bericht kanarischer Eingeborener, die 1377 in Marokko als Sklaven gehalten wurden und sich selbst ausdrücklich als segelkundig bezeichneten. Es ist auch denkbar, daß die kanarische Landnahme - im Hinblick auf Vorsiedler - nicht ganz friedlich abgelaufen ist und zu einer Einschränkung des Verkehrs unter den Inseln beigetragen hat; ausgehend von der Hypothese, daß ab 2000 und verstärkt ab 1200 v.Chr. auch aggressive ostmediterrane Seevölker an der Kolonisierung teilgenommen haben. Zumindest ist der Besuch der einen oder anderen Seevölker-Gruppe nicht auszuschließen. Dies würde manches erklären: Die Felszeichen mit Ähnlichkeit zur kretischen Linear-B-Schrift und zum Thera-Melos-Typ; die Einführung der Trockenleichen-Technik; die orientalide Komponente in der altkanarischen Bevölkerung (FUSTE 1959); die Statuetten fettleibiger Figuren (mit verblüffender Ähnlichkeit zu jenen von Malta und Kreta / siehe Abb. 9 und 10) und die vermutlich damit zusammenhängende Mästung verlobter Mädchen auf Gran Canaria; die grancanarischen Keramiktöpfe mit ihrer Ähnlichkeit zu sizilianischen oder ägäischen Typen (MARTIN DE GUZMAN 1984a: 603); die Pintaderas, die - aus dem Osten kommend - sich nicht nur bis nach Nordwestafrika, sondern auch nach Europa (u.a. Ligurien, Sardinien und Spanien; > Abb. 25) verbreiteten; die Praxis der Ge- 55 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a b Abb. 9 Fettleibige Figuren, die auf einen Fruchtbarkeits-Ritus hindeuten; Beispiele von Jinämar, Gran Canaria (a) und Hagar Qim, Malta (b). schwisterehe im Hochadel Tenerif es zur Reinhaltung des Blutes, wie in altägyptischen Königsfamilien; die Scheibenglied- oder ZylindergliedKetten von Tenerife und Fuerteventura (cuentas de collar segmentadas) mit ihren auffallenden Parallelen zu den "segmented beads" von Ägypten und Palästina, deren Stil unter anderem auch auf Sardinien und in Südspanien feststellbar ist; der kanarische Ringkampf (lucha canaria) mit seinen ägyptischen Kampfstellungen (ALVAREZ DELGADO 1945). Zu dieser Hypothese ostmediterraner Besiedler der Kanarischen Inseln eine Aussage von SCHULTEN (1950: 23): "Nach 1200 v.Chr. war also das Mittelmeer voll von Vertriebenen, die neue Wohnsitze suchten. Die einen in Sizilien und Italien, andere (Tyrsener, Karer, Myser) im fernen Westen, in Spanien und Westafrika. Es war eine wahre Völkerwande- · rung zur See .... Es war zugleich der Anfang der Piraterie, die damals mehr an der Küste als auf hoher See ausgeübt wurde". Diese Seefahrer besaßen die nötige Erfahrung und den Wagemut für ein Vorstoßen in unerforschte Meere. 3. Der Einsatz des Rades zur Erleichterung von Transporten war den ersten Siedlern vermutlich unbekannt bzw. den jüngeren Siedlern nicht opportun. Wagen boten sich auf dem bergigen und steinigen Gelände nicht an. Zugtiere gab es nicht, was auch der Grund für das Fehlen des Pfluges sein dürfte. Die runde Scheibe als solche war aber nicht ungebräuchlich: Teller und die allerdings frühestens aus karthagisch-römischer Zeit stammenden Handmühlen. Radähnliche Darstellungen (Sonnenräder) wurden in Form von Felsgravierungen (Tenerife, La Palma) und dreidimensionalen Pintadcras (Siegel oder Umhänger von Gran Canaria) festgestellt. 56 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a C b Abb. 10 Links oben (a) die neolithische Schlangenfrau von Kato Hierapetra, Südkreta; rechts oben (b) eine Figurine von der Fortaleza de Abajo, Sta. Lucia de Tirajana, Gran Canaria; links (c) eine bronzezeitliche ldolplakette in der sogenannten Violinform aus Beycesultan (Türkei). Die Entwicklung der altkanarischen Kultur präsentiert sich deshalb nicht so sehr als verarmt, sondern eher als ein konservativer Prozeß, der aufgrund der geringen Bevölkerungszahl - verstärkt durch die Isolation zwischen den Inseln und durch die Isolation des Archipels vom Festland - nahe der Stagnation sehr langsam abgelaufen ist und nur durch die im Lauf der Zeit eintreffenden Siedlergruppen Impulse bekam. Ab 400 n.Chr. dürften diese Impulse weitgehend ausgeblieben sein, so daß sich jenes altertümliche Bild erhalten konnte, das wir heute feststellen. 3. Altkanarier - Berber: die fragwürdige Signifikanz kultureller Parallelen Die Zuwanderung des berberischen Menschenschlags auf die Kanarischen Inseln seit der Zeitenwende setzte sich - freilich in anderer Form - bis zu den Importen von Berber-Sklaven Mitte des 15. bis Anfang des 17. 57 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Jhs. durch die Insel-Spanier fort. Dies verschiebt die Entstehung der von den kanarischen Wissenschaftlern so gerne herangezogenen Parallelen zwischen dem Berberischen und den heute noch existenten Resten der altkanarischen Sprache und Felsinschriften zum Teil bis in die Neuzeit (ULBRICH 1990). Angesichts der deutlichen, nicht nur zeitlichen Unterschiede der altkanarischen Kulturschichten ist es nicht verwunderlich, daß nicht alle linguistischen Probleme der altkanarischen Sprache berberisch gelöst werden können (GALAND 1973, 1979: 15). So sah es schon WÖLFEL (1955: 20), wenn er sagt, daß "wir (altkanarische) Wörter haben, die in semantisch so enger Übereinstimmung bei fast völliger lautlicher Gleichheit mit berberischen Worten sind, daß wir auf die engste Verwandtschaft schließen müssen; wir haben andere, die sich berberisch nicht etymologisieren lassen und dazu Texte, die nach bloß berberischer Formenlehre und Syntax nicht aufgehen wollen". WÖLFEL schließt daraus, daß das Altkanarische, genau wie das Ägyptische, im Rahmen des Libyschen nur wurzelverwandt mit dem Berberischen ist. GALAND (1988), der zwei Endechas (altkanarischer Trauergesang) von Gran Canaria und Hierro auf berberische Wortparallelen hin untersuchte, konnte eine ins Auge springende Sprachverwandtschaft nicht feststellen. Er unterstreicht deshalb eine Feststellung von WÖLFEL (1965: 371), der im Zusammenhang mit der gleichen grancanarischen Endecha schreibt, daß das Altkanarische nicht bloß eine Mundart des heutigen Festlandsberberisch sei. Hinzu kommen die ganzen Fehlerquellen in der Übertragungslinie bis in unsere Tage: • falsche Umsetzung der altkanarischen Phonetik (siehe auch die Wortbeispiele im nächsten Punkt) in das Spanisch des 14., 15., und 16. Jahrhunderts durch die Aufzeichner (Hörfehler, Nachlässigkeit, Mißverständnisse, Sinnverdrehung); • Abschreibfehler späterer Chronisten (viele überlieferte Varianten für das gleiche Wort: z.B. faicag, faicagh, caifagh, facay, faisage, faycas, faycan, fagzam, fagzan, faysan, fayacan usw. für einen Gauhäuptling bzw. Oberpriester von Gran Canaria); • nachfolgende Hispanisierung und Dialektisierung (z.B. bei Personenund Ortsnamen); • zeitlich zu großer Abstand bis zur Aufzeichnung der Informationen (Mund-zu-Mund-Verstümmelung, Gedächtnisprobleme ); • Unsicherheiten bei der Übertragung von Manuskripten und paläographischem Spanisch; • Erfindungen aus überschäumender Phantasie oder literarischer Wichtigtuerei. 58 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Es darf auch nicht übersehen werden, daß es berberisch klingende kanarische Dialektwörter und Ortsnamen gibt, die in Wirklichkeit kastilischen oder portugiesischen Ursprungs sind und sogar Arabismen der Halbinsel sein können. Selbst Berberismen sind im Kastilischen zu finden. Die islamischen Eroberer Spaniens und Portugals waren zu einem großen Teil Berber, die nicht nur arabisch sprachen, sondern auch ihr eigenes nordafrikanisches Idiom mitbrachten. Ein deutlicher Prozentsatz Arabismen findet sich natürlich im andalusischen Regiolekt, in einem Gebiet also, dessen Bevölkerung einen erheblichen Anteil der Konquistadoren und Kolonisten der Kanarischen lriseln stellte. Auch andere europäische Siedler (Basken, Engländer, Flamen, Franzosen) haben zum kanarischen Wortschatz beigetragen. Man denke an das durchaus altkanarisch klingende Wort "naife" (kanarisches Messer), daß aber eindeutig englischen Ursprungs ist (knife). DIAZ ALAYON (1989b / 1989c), ALVAR (1975- 78), PEREZ VIDAL (1944), MORERA (1986) und ALMEIDA & DIAZ ALA YON (1988) bringen weitere Beispiele in dieser Richtung. Trotzdem wird von heutiger kanarischer Seite immer wieder versucht, Parallelen zu erzwingen, indem man geographisch weit auseinanderliegende Berber-Dialekte für ein und dieselbe Insel bemüht. Bei, wie der Berberologe Andre BASSET (1952: lf) schätzt, 4000 - 5000 Dialekten dürfte das nicht schwer fallen. Daß es aber durchaus nicht ungewöhnlich ist, daß sich weil auseinander wohnende Berberstämme überhaupt nicht verstehen (mit Unterschieden, wie sie beispielsweise zwischen dem Deutschen und Flämischen bestehen), stört die Anwender dieser Methode wenig. Selbst in den Fällen, wo das Berberische eine Lösung bieten könnte, z.B. bei der Wortbildung mit dem Prä- oder Suffix "t", ist dieses nicht zwingend oder stark zu hinterfragen (GALAND 1989b). Daß die Altkanarier "Tamazight" (Sammelbegriff für die Sprachen der berberischen Sanhadsha- Gruppe in Marokko) anwendeten (GARCIA-TALAVERA & ESPINEL CEJAS 1989), ist eine völlig unbewiesene Behauptung; ebenso die Verallgemeinerung von CAMPS (1980), die "Guanchen" (hier Altkanarier) hätten einen "Dialekt nahe dem Berberischen" gesprochen, oder seien "berberophon". TEJERA (1988) greift in einer neueren Arbeit über die Religion der Guanchen von Tenerife auf berberische Sprachdeutungen von MARCY (1934) zurück, die von heutigen Berberologen als "jedes Maß übersteigende Hypothesen" (GALAND 1973) angesehen werden. Ganz abgesehen davon, daß die Entwicklung der nordafrikanischen Ursprachen - und damit auch des berberischen Sprachsubstrats - in prähistorischen und selbst noch in geschichtlichen Zeiten nach wie vor mit vielen Fragezeichen versehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die berberisch-libyschen Sprachen 59 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 un Laufe der Zeit zahlreiche Entlehnungen und Überschichtungen aus anderen mediterranen und südsaharischen Sprachen erfahren haben. CAMPS (1961) erwähnt die Parallelen zwischen berberischen und europäischen Ortsnamen und stellt die Hypothese auf, daß im Rahmen der Megalithisierung auch sprachliche Einflüsse der südeuropäischen Halbinseln in Nordafrika wirksam wurden. STUMFOHL (1988) weist auf die Beziehungen des Baskischen und Berberischen hin, mit dem Mediterranen als gemeinsamem Grund. KRUTWIG (1978) erkannte einige verblüffende Ähnlichkeiten zwischen altkanarischen und baskischen W Örtern, die aber nicht unbedingt eine direkte Verwandtschaft bedeuten müssen, sondern auf gemeinsame Wurzeln hinweisen können. RÖSSLER (1979) stellt fest, "daß in manchen Dialekten nur noch ein Bruchteil des Wortschatzes genuin berberisch ist". Wer könnte deshalb ausschließen, daß so manche vordergründig altkanarisch-berberische Sprachparallele in Wirklichkeit eine altkanarisch-mediterrane ist? Ich vermisse in diesem Zusammenhang eine systematische Sprachstudie, die synoptisch den ganzen Mittelmeerraum bei der Analyse des Altkanarischen mit einbezieht und eben nicht nur das Berberische. Hier ist zu bedauern, daß es WÖLFEL nicht vergönnt war sein magnum opus (1965) zu vollenden, für das er diesbezügliche Kapitel geplant hatte. Das sprachliche Substrat der voreuropäischen Kanarischen Inseln scheint nicht berberisch, sondern mediterran gewesen zu sein. Was von jenen Autoren, die Sprachparallelen von weit im afrikanischen Binnenland angesiedelten Berbern (z.B. Ahaggar 1.000 km) heranziehen, auch gerne übersehen wird, ist die Tatsache, daß die berberophone Tumuluskultur Gran Canarias ausgesprochen meerverbunden war, was sich in der küstennahen Ansiedelung und in ihren besonderen FischfangTechniken zeigt, die sie vermutlich mitbrachten und nicht erst auf den Inseln entwickelten (ob der Einsatz von reusenartigen Binsen-Netzen auf Gran Canaria auf die Mallorkiner zurückzuführen ist, die seit 1342 die Insel aufsuchten und ab 1352 besiedelten, ist nicht geklärt). Es stellt sich dann die Frage, ob sich binnenländische Auswanderer segelkundiger Küstenbewohner bedienten, um zu den Inseln überzusetzen, und ob diese möglicherweise ebenfalls auf den Inseln verblieben. Einige Autoren (zitiert bei CABRERA PEREZ 1989) erklären so die Unterschiede in den nautischen Fähigkeiten der einzelnen Siedlergruppen. Es sieht aber nach den archäologischen Erkenntnissen und den Berichten einiger Chronisten so aus, als ob die Mitglieder der berberischen Kolonisierungsphase in ihrer Gesamtheit eine traditionell mit dem Meer vertraute und sich weitgehend aus dem Meer ernährende Küstenbevölkerung war. Tumulusbestattungen sind auf Gran Canaria deutlich zunächst im 60 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Küstenbereich vorgenommen worden, um dann - von dort ausstrahlend - auch in wenigen höhergelegenen Barrancos zu erfolgen. Dies nicht, weil die berberischen Siedler keine anderen Gebiete erobern konnten, sondern weil sie die Küste als gewohnten Lebensraum vorzogen. Die einzigen zoogenen. Beigaben, die man in Tumulusgräbern fand, waren nicht etwa Ziegenknochen, sondern Muschelgehäuse. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, die Meerestiere in der Ernährung dieser Menschen besaßen. ABREU GALINDO betont, daß sie kein Vieh besaßen, was kaum auf eine ehemals Viehzucht betreibende afrikanische Landbevölkerung hinweist. Während sich auf Gran Canaria eine größere Zahl Berberstämmiger niederließ, die in sozialer Trennung mit der Vorbevölkerung lebte, scheinen sich kleinere protoberberische Siedlergruppen, die möglicherweise auch auf Fuerteventura und Lanzarote landeten, mit der dortigen Vorbevölkerung weitgehend vermischt zu haben. Gewisse libysch-berberische Felsritzungen weisen vordergründig auch auf eine berberische Ansiedlung auf Tenerife, EI Hierro und La Palma hin. Dem steht gegenüber, daß Tumulusbestattungen dort nicht anzutreffen sind (zur Problematik siehe auch weiter unten). Ein Bereich, mit dem WÖLFEL (1965: 5) sprachliche Beziehungen des Altkanarischen nicht ausschließt, ist die vorrömische iberische Halbinsel. Angesichts vieler Hinweise auf enge ethnische und kulturelle Beziehungen zwischen dem prähistorischen Nordafrika und dem iberischen bzw. westmediterranen Raum verwundert es, daß die kanarischen Forscher diesen Aspekt unberücksichtigt lassen. Die auf den Kanarischen Inseln gefundenen Schriftzeichen des sogenannten libysch-berberischen Typs müssen beileibe nicht alle dem Tifinagh verwandt sein, was so gerne angeführt wird. Einzelne Zeichen und Zeilen von Lanzarote sind umstritten und deuten möglicherweise auf präiberische oder iberische Zusammenhänge hin (> Abb. 11). Dazu zählen auch einige der bis jetzt vorliegenden Funde vom sogenannten Typ "pompejanische Kursivschrift" auf Fuerleventura und Lanzarote(> Abb. 12 und LEON HERNANDEZ et al. 1988, ULBRICH 1990, STUMFOHL 1990). Darüberhinaus vermuten WÖLFEL (1955) und BIEDERMANN (1970) in einzelnen kanarischen Zeichen eine Wurzelverwandtschaft mit der kretischen Linear-B-Schrift. KRAUSS (1964) sieht in zwei Felsinschriften des Barranco de Silva (Gran Canaria) Affinitäten zu den altgriechischen Thera-Melos-Formen und zum Phönizischen. Wer die Ursprünge der kanarischen Zeichen, die Ähnlichkeiten zu libysch-berberischen Schriften aufweisen, untersucht, sollte seine Aufmerksamkeit auch auf die Frage richten, woraus sich die libysch-berberischen Schriften entwickelt haben. Der kanarische Typ könnte aufgrund der vielen Unterschiede nur wurzelverwandt sein, wie dies oben für die 61 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 p· ~· ~ A \)* * * - M M -- r Ef* N - MM- A D -- p "' - A~IY-Abb. 11 Die obere Zeile zeigt isolierte alphabetiforme Zeichen von der Pefla de Luis Cabrera (Lanzarote). Diese Felsbild-Fundstelle wird von kanarischen Wissenschaftlern dem sogenannten libysch-berberischen Typ zugeordnet. Die untere Zeile zeigt südiberische (TOVAR 1961 : Table 11-111) und präiberische** Parallelen (CORREA 1980: Cuadro 1). Die mit (*) gekennzeichneten Formen sind im Altlibyschen und im Tifinagh unbekannt. Abb. 12 Die wahrscheinlich iberische Schriftzeile von der Pefla del Letrero, Lanzarote (Aufnahme H.-J. Ulbrich 1989); bislang als "Pompejanische Kursivschrift" gedeutet. Sprachen erkannt wurde. Die für Lanzarote und Fuerteventura typischen linear-geometrischen Felsritzungen (Abb. 13) finden ihre Entsprechung in Stil und Ausführung weniger auf dem afrikanischen Festland, dafür aber deutlich im iberisch-mediterranen Raum (Abb. 14/15); dort vom Paläolithikum bis zum Neolithikum oder sogar bis in die Bronzezeit (GARCIA-SOTO MATEOS & MOURE ROMANILLO 1985). Auch die kultisch deutbaren Fuß- und Sandalen-Abbildungen Tenerifes und der Ost-Inseln haben ihre Parallelen nicht nur im Maghreb. Formgleiche podomorphe Felsritzungen sind z.B. zahlreich in Portugal festzustellen (siehe Vergleichstafel Abb. 16 sowie VARELA & PINHO 1977) und werden der Bronzezeit zugerechnet. Andere Darstellungen dieses Typs wurden im megalithischen Umfeld des atlantischen Europas entdeckt. Rituelle Sandalen wurden als Beigabe in megalithischen Gräbern iberischer Siedlungen des 3. Jahrtausends v.Chr. gefunden, z.B. Los Miliares und Almizaraque (Prov. Almeria). Und 62 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 13 Abb. 13 Details von der Pei'la del Pasadizo, Mi'la. Guenia, Lanzarote (Aufnahme BRITO & ESPINO 1980); wie lange dieser Stil im mediterranen Raum verwendet wurde, zeigen die BeispieleAbb.14/15 von der spanischen Halbinsel• Abb. 14a Gravierte Schiefertafel aus der mesolithischen Schicht IV der Cova del Filador, Margalef de Montsant, Tarragona (FULLOLA & VINAS 1988) • Abb. 14b Graviertes Steinplättchen (Magdalenien) aus der Cova de Parpallo, Gandia, Valencia (DAMS 1984) • Abb. 1 Sa Gravierte Steinplakette aus der neolithischen Cueva de los Marmoles, C6rdoba (ASQUERINO FERNANDEZ 1985) • Abb. 15b Felsritzung aus der Cueva de San Garcia, Sto. Domingo de Silos, Burgos (vermutlich bronzezeitlich nach GARCIA-SOTO MATEOS & MOURE ROMANILLO 1985) 63 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ··-. ......,...._., ..... _ ....... .. Abb. 16 Podomorphe Felsritzungen von den Kanarischen Inseln und aus Portugal; oben von der Miia. Tindaya, Fuerteventura (nach CORTES V AZQUEZ 1987, Panel VIII); unten von der Rocha da Alagoa Nr. 6, Corticada, Portugal (nach einem perspektivischen Foto In VARELO & PINHO 1977). 64 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 schließlich die hauptsächlich von den Westinseln bekannten Kreise, Spiralen und Mäander, die eindeutig dem megalithischen Formenschatz zuzurechnen und keinesfalls ausschließlich nordafrikanisch sind (Abb. 23). Zu den anthropomorphen Felsbildern des Barranco de Balos auf Gran Canaria (Abb. 17) läßt sich eine Parallele im spanischen Galizien finden (Abb. 18) - kein Wunder, denn diese stark vereinfachte Darstellungsweise ist universell und nicht allein berberisch. Die auf den Kanaren und dem gegenüberliegenden Festland gefundenen "Concheros" (Muschelhaufen als Folge der Ernährungsweise), sind auch in Portugal, an der spanischen Levante und in der Bretagne nachgewiesen. In den Concheros Abb. 17 Menschliche Figuren von grancanarischen Felsbildern: links Gravierung aus dem Barranco de Balos, Agüimes; rechts Malerei aus Majada Alta, Tejeda (aus MARTIN DE GUZMAN 1984) • Abb. 18 Menschliche Figuren von einem Felsbild in Borna, Sta. Olallade Meira, Provinz Pontevedra, Nordwest-Spanien (aus GARCIA ALEN & PENA SANTOS 1980) 65 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 des Teno-Gebirges (Tenerife) sowie in e1D1gen Höhlen auf Gomera und Tenerife wurden grobe Spitzhacken aus Stein gefunden, die an asturianische Formen der spanischen Halbinsel erinnern (PERICOT 1955, DIEGO CUSCOY 1961). Was wir heute als Berber bezeichnen, hat seine Ursprünge sicher in den Menschen des Iberomaurusien und Capsien, entwickelte sich aber in der Folge unter den vielfältigsten Einflüssen (Seevölker, Negroide, Nubier, Ägypter, Römer, Wandalen, Phönizier, Araber usw.) zu emem kulturellen und ethnischen Konglomerat, so daß heute eigentlich richtigerweise nur von einem mehr oder weniger berberophonen Zusammenhang gesprochen werden kann. Oder anders ausgedrückt: D e n Berber als ethnische Einheit gibt es garnicht (NEUMANN 1987). Eine ähnliche Diversität der Entwicklungen und Erscheinungsformen spiegelt sich auch im archäologischen und ethnologischen Befund der Kanarischen Inseln wider. D e n Altkanarier als eine alle Inseln umfassende menschliche Gruppe mit engen stammesgeschichtlichen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen hat es nie gegeben. Wobei dies nicht nur durch ethnisch ungleiche Zuwanderer und das isolierende Insel-Milieu beeinflußt wurde, sondern auch durch geographisch-klimatologische Unterschiede zwischen und auf den einzelnen Inseln. Solche landschaftstypischen Verhaltensweisen zeigen sich z.B. im Hausbau, im Kultischen, in der Kommunikation und in der Ernährung: • "casas hondas" (halb in die Erde versenkte Steinhütten) als Adaption an windige und heiße Wohnorte auf Lanzarote und Fuerteventura; • Wohnhöhlen (naturgemäß) verstärkt im bergigen Inneren der Inseln; in den flacheren Küstengebieten dafür mehr Trockensteinbauten (Gran Canaria und Tenerife ); • regional eng abgrenzbare Riten bzw. Glaubensvorstellungen; z.B. die Besänftigung des Idafe-Geistwesens durch Fleischreste (Caldera de Tabu- . riente, La Palma) oder die Interpretation des Teide (Tenerife) als Ort der "Bestimmung" oder "Hölle" ( erst ab christlichen Zeiten mit dem Dämon "Guayota" besetzt); • "silbo" (Pfeif sprache) in dem von tiefen Tälern zerschnittenen Gomera (z.T. auch auf Tencrife); • an den Küsten verstärkter Genuß von Meerestieren (Muscheln - besser transportierbar ? - wurden auch im Inland gefunden); FUSTE (1962) stellte für Gran Canaria dentale Unterschiede zwischen der vorspanischen Berg- und Küstenbevölkerung fest, was durch die Berichte der Chronisten bestätigt wird, die von einem ausgesprochen ichtyophagen Bevölkerungsteil sprechen. Diese Unterschiede durch divergierende Entwicklungen pro Insel können jedoch nicht verdecken, daß eine den ersten (cromagnoiden) Sied- 66 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 lern zurechenbare archaische Kulturschicht existiert, die mehr oder weniger auf allen Inseln erkennbar ist und sich unter anderem in einer einfachen, gelegentlich primitiv dekorierten Keramik und in neolithischen, zum Teil megalithischen Merkmalen manifestiert. Letzteres aus heutiger Sicht mit von Insel zu Insel abweichender Ausprägung, was auf unterschiedlich große Gruppen von Erstbesiedlem sowie unterschiedlich starke Überschichtung aber auch Adaption megalithischen Ideengutes durch nachfolgende Gruppen (mit anderen Glaubensvorstellungen) zurückgeführt werden kann. Die erwähnte Inhomogenität der Berber und Altkanarier könnte als Argument für die Berber-Theorie eingesetzt werden, wären da nicht die chronologischen Probleme und die unzweifelhaft existenten Unterschiede in den Formen des altkanarischen Alltags zu jenem der Berber: • mörtelloser Hausbau im Gegensatz zu den Berber-Burgen Nordafrikas (Ausnahme: Die Mauem und Fußböden der ehemaligen EingeborenenSiedlung "Zonzamas" auf Lanzarote wurden mit einer "tegue" genannten Mischung aus Kalktuff und Sand abgedichtet, eine Technik, die allem Anschein nach schon vor den Spaniern bestand.) • keine Brotherstellung, obwohl Getreide angebaut und Feuer angewendet wurde; • kein Federvieh; • Viehschlächter auf Tenerife und Gran Canaria waren unberührbare Kasten - eine Sitte, die bei den Berbern in dieser extremen Ausprägung nicht angetroffen wird; es gibt zwar berberische Stämme, bei denen Schlächter eine sehr niedrige soziale Stufe besaßen bzw. besitzen, aber nicht im Sinne von "unberührbar"; • eine andere unberührbare Kaste waren - auch nur auf Tenerife und Gran Canaria - die Leichenbestatter, was von den Berbern ebenfalls nicht berichtet wird (bei den Mozabiten in Algerien sind die Totenwäscherinnen sogar hoch geachtet); • keine Tätowierung (gerade bei den Berbern des Rifs und der Tamazight- Sprachgruppe, denen eine enge Verwandschaft mit den Altkanariem nachgesagt wird, ist die Tätowierung sehr ausgeprägt); • die Mästung junger Mädchen zwischen Verlobung und Heirat auf Gran Canaria, was bei den Berbern des Atlas und den Nord-Tuareg ungebräuchlich ist; vereinzelte Fälle von Mästung pubertärer Mädchen sind aus der Sahel-Zone von mauritanischen Stämmen und den Iwllemeden (Süd-Tuareg) bekannt; • das Ausleihen von Ehefrauen an Gäste (Gastprostitution), wie auf Lanzarote, Gomera und Gran Canaria, ist bei den Berbern bis auf wenige Fälle - z.B. Kabylen (nach St. Gsell noch bis zur Jahrhundertwende) und 67 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Ghomara (nach al-Bekri im 11. Jh.) - unüblich; • nahezu keine Tierdarstellungen in den Felsbildern, nicht einmal Haustiere, wie Ziege, Hund oder Schaf; die einzigen, relativ eindeutigen Tierdarstellungen scheinen zwei (undatierbare) Felsbilder von Masca (Tenerife) zu sein, die fischähnliche Wesen zeigen (TEJERA GASPAR 1988: Fig.3), wobei das eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Wal hat. Die möglicherweise Eidechsen und Reiter auf Vierfüßern zeigenden Felsbilder von Gran Canaria, sind in ihrer Interpretation umstritten und wurden von HERNANDEZ PEREZ (1982) nicht älter als die Conquista eingestuft. Noch zweifelhafter scheint mir die Interpretation einer Felszeichnung auf Hierro (JIMENEZ GOMEZ 1985) zu sein, die ziegenähnlich sein soll. • Polyandrie auf Lanzarote; • eine hohe soziale Stellung der Frau (alle Inseln), teilweise mit stark matriarchalischen (Fuerteventura, Lanzarote) oder matrilinearen Zügen (Gomera); dies hat nichts mit den Formen der mutterrechtlichen Erbregelung zu tun, die heute bei den Tuareg in bestimmten Situationen neben der patrilinearen praktiziert werden; die Berber waren in frühgeschichtlichen Zeiten, die ja hier vorrangig zum Vergleich anstehen, patriarchalisch und agnatisch organisiert; • ein seherisch begabtes Frauenpaar (Fuerteventura), bestehend aus einer spirituellen und einer weltlichen, rechtsprechenden Führerin des Stammes, mit der Macht, administrative und vor allem verteidigungsbezogene Aufgaben an Edle zu vergeben, ist bei den Berbern unbekannt; die von Prokop (De Bello Vandalico, 11/8) beschriebenen Seherinnen der Mauren hatten nur eine beratende Funktion; eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet die als "al-Kahina" ("die Zauberin") überlieferte Führerin der (normalerweise selten vereinigten) algerischen Berberstämme gegen die arabische Invasion im 7. Jh.; die Geschichtsforschung kennt aber für die Jahrhunderte um die Zeitenwende nur "Könige" als Führer der Mauretanier und Numider; • auf Tenerife Geschwisterehe im Hochadel; • auf Tenerife Menschenopfer nach dem Tod eines Königs durch Sturz ins Meer "um ihm Botschaften zu überbringen" (GOMES 1463). Ergänzend dazu einige weitere Unterschiede, die gleichzeitig auf die Altertümlichkeit der altkanarischen Kultur hinweisen: • die Wolle des Schafes wurde nicht versponnen, stattdessen trug man Tierfelle und Gewebe aus Binsen oder Palmfasem (letzteres erinnert an die prähistorischen Spartgras-Flechter Andalusiens); • kein Pfeil und Bogen; • generell eine aus künstlerischer Sicht sehr schlichte Ausgestaltung von Felsbildern; • freihändig ohne Töpferscheibe geformte Keramik, obwohl die Töpfer- 68 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 scheibe im Maghreb mindestens ab 500 v.Chr. bekannt war; warum wurde ihre Technik nicht auf die Kanaren mitgenommen? • die unbekümmerte Nähe von Wohn- und Begräbnisplatz; • Astralkult auf Tenerife (vor den ersten christlichen Einflüssen kein personifiziertes mit Geschlecht ausgestattetes "höchstes Wesen", keine Idoliiguren, keine Tempel, keine organisierte Priesterschaft); • mumienähnliche Dörrleichen, ein Verfahren, das bei den Berbern praktisch unbekannt ist; • keine echten Gewölbe, sondern nur Überkragungsbauten. BIEDERMANN (1983) bemerkt in diesem Zusammenhang sehr treffend, daß dies keineswegs so wirke, "als wäre die altkanarische Kultur erst in karthagischer oder römischer Zeit entstanden". Und wenn er weiter sagt, "die Gleichung Altkanarier = Inselberber, so einleuchtend sie zunächst erscheinen muß, kann nur als eine allzu grobe Simplifikation des Gesamtproblems bezeichnet werden", dann ist dies voll zu unterstreichen ! Eine gewisse Unsicherheit bei allen Betrachtungen ergibt sich auch aus unseren lückenhaften Kenntnissen der vorislamischen Berberkultur (trotz des Monumentalwerkes von Stephane Gsell), die bei Vergleichen mit den voreuropäischen Kanariern heranzuziehen ist; heutiges Brauchtum der Berber ist da weniger geignet und es muß von Fall zu Fall überprüft werden, inwiefern es alte Formen wiederspiegelt. Es ist auch zu bedenken, daß altkanarische Kulturmerkmale, die im 14. und 15. Jh. festgestellt wurden, nicht den Urzustand wiedergeben müssen, sondern - eine gewisse, wenn auch geringe, Evolution eingerechnet - im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende entstanden sein können. Besondere Probleme im Hinblick auf die Berberfrage bereitet Tenerife, auf das etwas näher eingegangen sei: Wir haben weiter oben festgestellt, daß die Tumuluskultur und auch ihre anthropologischen Vertreter auf Tenerife fehlen und deshalb eine berberophone Urbevölkerung, wie wir sie teilweise auf Gran Canaria erkennen, für diese Insel nicht anzunehmen ist. Dem steht gegenüber, daß auf Tenerife in den 80er Jahren Felsgravierungen entdeckt wurden, die von kanarischen Wissenschaftlern der libysch-berberischen Gruppe zugerechnet werden. Es handelt sich um die anthropomorphen Darstellungen von Aripe, Guia de Isora (Abb. 19) und um die alphabetif ormen Felszeichen von San Miguel de Abona. BALBIN & TEJERA (1983) und TEJERA (1985) glauben in den menschlichen Figuren von Aripe "libysche Krieger" wiederzuerkennen, wie sie von H. LHOTE (1972) und anderen Autoren in saharischen Felsbildern beschrieben wurden. Bei genauerem Hinsehen kann eine auffällige Ähnlichkeit nicht festgestellt werden (Abb. 20/21). Es ist auch schwer nachzuvollziehen, daß die beiden Autoren in den Linien über einigen 69 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ~ 1 '"r A ' Abb. 19 In ihrer Datierung und Interpretation umstrittene Darstellungen (siehe Seite 69, 71) von Menschen auf einer Felswand bei Aripe, Guia de lsora, Tenerife (aus BALBIN & TEJEAA 1983). Abb. 20 / 21 Menschliche Darstellungen ("Krieger") aus dem Sahara-Raum: links aus LHOTE (1972) , rechts aus MAUNY (1954) . 70 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Köpfen Federschmuck (warum nicht ganz einfach Haare ?) und in den Strichen neben den Figuren Speere erkennen wollen. Die Figuren muten, obwohl se4r schemenhaft und fa st kindlich im Stil, sogar recht modern an, so daß - ohne genaue Kenntnis der Patina, die auf den Fotos teilweise recht jung aussieht - eine Entstehungszeit nach der Conquista sehr wahrscheinlich ist. Selbst wenn man sie der libysch-berberischen Felsbild-Gruppe (200 v.Chr. - 700 n.Chr.) zuordnet, bleibt immer noch die Frage nach dem Motiv für die Felsritzungen. Sollen sie eine Reminiszenz an die Trachten ihrer früheren Heimat sein? Denn die abgebildete Kleidung entspricht nicht den Beschreibungen der -Chronisten von den Guanchen Tenerifes mit ihren Fellröcken und Fellmänteln. In bezug auf die weiblich erscheinende Figur rechts unten (mit fast tänzerischer Haltung) seien ABREU GALINDO (1602) und ESPINOSA (1591) angeführt, die ausdrücklich berichten, daß die Kleidung der Frauen auf Tenerife bis zu den Knöcheln reichte (höhere Säume waren unschicklich). Und was die eine Figur (rechts oben) vor den Körper hält, sieht nicht nach einem berberischen Rund- oder Rechteck-Schild aus, sondern nach einem mittelalterlichen Schild der Spanier. Haben hier womöglich Eingeborene versucht, Männer, Soldaten und vielleicht auch Kinder der Konquistadoren darzustellen (auch die Männer trugen im 15./16. Jh. Röcke)? Diese Interpretation wird dadurch unterstützt, daß unter den Felsbildern von Aripe einige unzweifelhaft in christlichen Zeiten entstandenen Abbildungen von Pferden und Kreuzen gefunden wurden. Zu den Felszeichen des sogenannten libysch-berberischen Schrifttyps auf Tenerife (und den anderen Inseln) sei angemerkt, daß sie stark an altlibysche Formen oder an Tifinagh erinnern, daß aber diese Verwandtschaft noch längst nicht eindeutig bewiesen ist; ja, daß bei genauerer Analyse zumindest bei einem großen Teil der Felsinschriften eine geradlinige Verwandschaft eher unwahrscheinlich ist (s.o.). Wenn CAMPS (1980) diese Felsinschriften als "unbestritten" der gleichen Gruppe, wie das rezente Tifinagh, zuordnet, dann ist dies nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse sehr gewagt und voreilig. Bezeichnend ist hier, daß noch keine einzige Sinn erbringende und interpretationsfreie Transkription gelungen ist, obwohl die Lautwerte der in Frage kommenden nordafrikanischen Schriften bei bestimmten kanarischen Zeichen herangezogen werden können. ESPINOSA (1591) erwähnt, daß die Guanchen Tenerifes keine Schrift besaßen. In diesem Zusammenhc;lllg fällt auch auf, daß es aus der Zeit der Conquista und danach, keine altkanarisch geschriebenen Zeugnisse der Eingeborenen gibt, obwohl Papier und Tinte spätestens ab diesem Zeitpunkt (mit der Kanarenfahrt des Genuesen Malocello eigentlich schon ab 1312) zur Verfügung standen. Kein Erobererbericht erwähnt 71 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 eine originär altkanarische Schrift. Dies deutet daraufhin, daß die kanarischen Felszeichen des sogenannten libysch-berberischen Schrifttyps nur sehr begrenzt und andere, ähnliche Schriftzeichen gamichts mit dem gesprochenen Altkanarisch zu tun haben (siehe Besucher- und Nachahmungstheorie bei ULBRICH 1990) ! Eine berberische Zuordnung der Guanchen wird also auch durch die Felsbilder Tenerifes nicht unterstützt. Die für Tenerife geschilderte Problematik trifft auch auf EI Hierro und La Palma zu: Auf Hierro, wo im unteren Küstenbereich die Felsinschriften des libysch-berberischen Typs noch relativ fein und deutlich sind, werden die Zeichen mit zunehmender Entfernung von der Küste immer gröber und ungenauer, was für eine spätere Nachahmung spricht. Die zuerst an der Küste angebrachten Zeichen könnten von berberischen Besuchern stammen, die entweder zur (segelerfahrenen) Tumulusbevölkerung Gran Canarias gehörten oder zu mittelalterlichen Seefahrern aus dem arabisch-berberischen Raum (ULBRICH 1989). Oder waren es erst die kanarischen Berbersklaven des 15. bis 17. Jhs., die hier verstümmeltes Tifinagh anbrachten (ULBRICH 1990)? Schwierig ist auch eine berberische Einordnung der Vor- und Frühgeschichte von La Palma allein aufgrund der dortigen Inschriften des libysch-berberischen Typs. Bis jetzt existiert nur eine Fundstelle (Cueva de Tajodeque, Caldera de Taburiente) mit fragmentarischen Felszeichen dieser Prägung, was schwerlich auf einen umfassenden protoberberischen Kultureinfluß hinweist. Kanarische Untersuchungen der altpalmesischen Keramik weisen angeblich auf starke Verbindungen zum Maghreb und zur Sahara hin (siehe S. 54), wobei nach meiner Einschätzung mögliche Parallelen zum mediterranen Raum nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Das Naheliegende ist nicht immer das Nächstliegende. Am Rande sei auf eine kuriose Arbeit hingewiesen, die in den Fels · geritzte Damespiele und seine Varianten (hauptsächlich auf Tenerife) als altkanarisch interpretiert (GARCIA-TALAVERA & ESPINEL CEJAS 1989). Die Beweisführung, daß das Damespiel schon vor den ersten spanischen Kolonisatoren (also vor 1352) bei den Altkanariern bekannt war, erscheint mir sehr unsicher. Ob die in den Fels geritzten Rechtecke mit Kreuz und Diagonalen wirklich etwas mit dem Damespiel zu tun haben, muß zumindest bei den vertikalen Beispielen (Abb. 22) angezweifelt werden. Sie erinnern eher an den Formenschatz der Cueva Pintada (Gran Canaria) und wären damit dem künstlerischen Ausdruck der altmediterranen zweiten Besiedlungsphase zuzurechnen. Es ist auch an die Möglichkeit zu denken, daß kanarische Felszeichnungen dieses Typs in einer symbolhaften Beziehung zu Kultischem stehen, wie es für jene des Mühle-Typs im asiatischen und europäischen Raum zutrifft. Schließlich kommt es sehr 72 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 0 2 4cm Abb. 22 Geometrische Figur von der Piedra del Majo, Zonzamas, Lanzarote (senkrechte Lage, Aufnahme H.J. Ulbrich 1989) stark auf die jeweilige Lage der Felsbilder und der Spielsteine an, die nach Auskunft der Autoren "bei Hirtenunterkünften oder in der Nähe von Siedlungen" und teilweise in Höhlen gefunden wurden. Sind hier vorspanische oder spanische Siedlungen und Hütten gemeint? Ist auszuschließen, daß diese Lokalitäten, wenn es (wie die Höhlen) vorspanische sind, in spanischer Zeit wiederbenutzt wurden? Wie hoch ist der Prozentteil der tatsächlich bespielbaren Flächen? Wie nah sind diese wirklich bei menschlichen Unterkünften und nicht irgendwo in der Wildnis, abseits von Hirtenwegen? Können die gefundenen "Spielsteine" wirklich nur diese Funktion haben? Alle diese Fragen beantwortet das Buch nicht zufriedenstellend. Daß das Damespiel und ähnliche Brettspiele erst mit den Europäern und ihren Berbersklaven auf die Inseln kamen und erst von diesen - was die horizontalen und wirklich bespielbaren Formen betrifft - in Felsen eingeritzt wurden, ist deshalb vorläufig noch wahrscheinlicher. LEON HERNA.NDEZ et al. (1988: 175) betonen, daß auf Lanzarote und Fuerteventura Felsgravierungen dieses Typs als "rezent" (im Sinne von postConquista) einzustufen sind, und zum Umfeld der Hirten gehören, wie die Spuren von Messerschleifen. In den Fels geritzte "Spielbretter" für den tatsächlichen Gebrauch sind aus dem ganzen Mittelmeerraum bekannt. 4. Anthropologische Erkenntnisse und ihr demographischer Kontext Unverständlich ist für den Außenstehenden, warum gerade die berberische Abstammung für das Selbstwertgefühl des modernen Kanariers so wichtig sein soll. Was hat der heutige (oder auch der frühgeschichtliche) Berber Nordafrikas mit der aktuellen kanarischen Bevölkerung gemein und was wäre wünschenswert an einer solchen Beziehung ? Es wäre sowohl unmöglich, als auch unsinnig, die Menschen der Kanarischen Inseln und ihre europäische Kultur - trotz einiger im ländlichen Leben erhalten gebliebenen altkanarischen Elemente - auf Berber trimmen zu wollen. Daß eine angeblich berberische Abstammung der Canarios bereits 73 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Eingang in kanarische Schulbücher gefunden hat, kann nur als äußerst bedenklich und unverantwortlich bezeichnet werden. Die jetzige Bevölkerung der Inseln ist als Ergebnis eines Vermischungsprozesses zu sehen, der schon mit den ersten mallorkinischen Siedlern ab 1352 (ULBRICH 1989) begann. Hinzu kommt die Dezimierung der eingeborenen Bevölkerung bei den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Franzosen, Spaniern und Portugiesen während der Conquista, durch Epidemien (Enzephalitis, Typhus), durch Hungersnöte und - in weit höherem Maße - dm:ch die von den Eroberern und später auch von arabischen Piraten betriebene Versklavung, in deren Verlauf tausende von Menschen nach Portugal, Mauritanien, Kastilien, Arag6n, Algerien und andere Länder des Mittelmeerraumes deportiert bzw. verkauft wurden. Kastilier und in geringerem Ausmaß auch Franzosen, Portugiesen, Italiener (hauptsächlich Genuesen), Basken, Katalanen, Deutsche und Hamen gehörten zu den ersten Kolonisten. Als Arbeitskräfte wurden Berber- und Negersklaven . importiert. WÖLFEL hatte 1930 angenommen, daß der altkanarischc Bevölkerungsanteil aufgrund der zögernden Einwanderung noch bis zum 17. Jh. überwog. Neuere Untersuchungen deuten auf ein viel früheres Vorherrschen der europäischen Bevölkerung hin (AZNAR VALLEJO 1983). Bereits im ersten Viertel des 16. Jhs., also kurz nach Beendigung der Conquista, kann der spanische Anteil auf 75% geschätzt werden, während die verbleibenden 25% durch die anderen Einwanderer-Gruppen und die restlichen Ureinwohner gebildet werden (VERLINDEN 1987). Mitbestimmend für die schnellere Entwicklung der Europäer dürfte - neben der zahlenmäßigen Überlegenheit - auch die im Vergleich zu den Ureinwohnern geringere Säuglings- und Wöchnerinnen-Sterblichkeit gewesen sein . . Dafür liegen zwar keine konkreten Angaben vor, es kann aber aus dem Sterbealter grancanarischer Ureinwohnerinnen - mit einem hohen Anteil unter 40 Jahren (im Vergleich zur männlichen Bevölkerung) - auf mangelhafte Kindbett-Hygiene geschlossen werden (SCHWIDETZKY 1960). Eine königliche Urkunde von 1515 (Dok. RUMEU DE ARMAS 1957: Nr. CXI) bringt zum Ausdruck, daß viele Ureinwohner von Gran Canaria als Soldaten an den Raubfahrten zur berberischen Küste teilnehmen mußten und dabei umkamen. Andere starben an "Verletzungen und Erschöpfung", weil sie schlecht behandelt wurden. Informativ ist in diesem Zusammenhang die Bevölkerungszahl der Altkanarier zum Beginn der Conquista Anfang des 15. Jhs., also vor der oben erwähnten Dezimierung. Nach Fray Bartolome de las CASAS (1552) belief sich diese Zahl - viel zu hoch geschätzt - auf rund 100.000; hochgerechnet von 13.000-14.000 kriegsfähigen Männern, wie sie der portugiesi- 74 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 sehe Chronist Joäo de BARROS (1552) in seinen "Decadas da Asia" angibt. Wobei sich BARROS wahrscheinlich auf seinen Landsmann Gomes Eanes de ZURARA ("Cronica do descobrimento e conquista de Guine" 1448) stützt, der als Zeitgenosse der Conquista von 12.352 Kriegern spricht, darunter 6.000 für Tenerife und 5.000 für Gran Canaria. Der venezianische Seefahrer CADAMOSTO gibt 1455 für Tenerife 14.000-15.000 und für Gran Canaria 8.000-9.000 Einwohner an, was zu wenig erscheint. Die von den Chronisten genannten Zahlen demonstrieren trotz ihrer Unsicherheiten die hohe Bevölkerungsarmut auf den restlichen Inseln, die übereinstimmend in allen Konquistadoren-Berichten erwähnt wird. Die Kinderzahl ist aufgrund der unzuverlässigen ökologischen Verhältnisse (gelegentliche Ernteausfälle durch Trockenperioden) sicher bewußt nicht hoch gehalten worden (schätzungsweise durchschnittlich zwei pro Ehepaar). Bei Überbevölkerung während extremer Hungersnöte (La Palma) und bei Überschuß an weiblichen Kindern (Gran Canaria) erfolgten sogar infantizide Maßnahmen. Nach dem Sterbealter (SCHWIDETZKY 1960) dürften je nach sozialer Begünstigung drei bis vier Generationen gleichzeitig gelebt haben. Nehmen wir die Zahl von ZURARA als Grundlage, also rund 13.000 Krieger, dann erscheint eine kanarische Gesamtbevölkerung von 50.000 für die Mitte des 15. Jhs. realistisch, an der Gran Canaria einen Anteil von 20.000 und Tenerife einen von 25.000 Personen hat. Letzteres wird in etwa durch Diogo GOMES (1463) bestätigt, der die Bevölkerung von Tenerife auf 23.000 Menschen schätzte. Eine Schätzung von TEJERA & GONZALEZ (1987: 158), die sogar nur von 30.000 Menschen für die gesamten Kanarischen Inseln Anfang des 15. Jhs. spricht, scheint sich wohl mehr auf CADAMOSTO (s.o.) zu stützen. Daß die Conquista in den folgenden Jahren ihren Blutzoll unter den Eingeborenen forderte, drückt eine Zahl aus, die ABREU GALINDO (1602) nennt: Zum Ende der Eroberung von Gran Canaria (1483) sollen nur noch 600 Krieger überlebt haben. Dies ist möglicherweise nicht zu niedrig gegriffen, denn GOMEZ ESCUDERO erwähnt einen starken Frauenüberschuß auf Gran Canaria (10 Frauen auf einen Mann). Jedenfalls dürften die Verluste erheblich gewesen sein, was auch der Kriegsverlauf andeutet. Bei den Kämpfen von Guiniguada (Gran Canaria 1478) mußten 300 Eingeborene ihr Leben lassen (VIERA 1982, I: 489). Weitere 300 Eingeborene von Gran Canaria, die auf Seiten Alonso de Lugos kämpften (VIERA 1982, I: 634), starben bei der ersten Schlacht von Acentejo (La Matanza, Tenerife 1494). Eingeborene von Nachbarinseln als Hilfstruppen zur Eroberung von Gran Canaria, Tenerife und La Palma einzusetzen, war eine gern praktizierte Methode. Besonders schwere Ver- 75 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 luste von über 2.000 Kriegern mußten die Guanchen bei der zweiten Schlacht von Acentejo (La Victoria, Tenerife Dez. 1495) hinnehmen (NÜNEZ DE LA PE.NA 1676 / 1847: 155). Sekundäre Folgen der Kämpfe, z.B. das Fehlen weiter Bevölkerungsteile für die Bestellung der Felder, trugen sicher auch zu Nahrungsmangel und damit zu hungerbedingter Sterblichkeit bei. Die eingeborene Bevölkerung nahm jedenfalls rapide ab: Der Inquisitor des Bistums Canarias gibt 1504 für alle Inseln zusammen nur noch 1.200 reinrassig eingeborene Familien an, was mit etwa 5.000 Menschen gleichgesetzt werden kann. Nach Dokumenten des Cabildo Insular de Tenerife belief sich die Zahl der freien Guanchen 1513 nur noch auf 600 Personen. So hatte aufgrund der immer geringer werdenden Zahl altkanarisch Sprechender das Fortleben oder gar Wiederaufleben ihrer Idiome keine Chance. Trotz aller widrigen Verhältnisse wurden die Altkanarier jedoch nicht ausgerottet, wie von einigen Historikern des 18. und 19. Jhs. behauptet. Vielmehr wurden die auf den Inseln verbliebenen Eingeborenen - hier zuerst die Adelsschicht - in z.ahlreichen Eheschließungen mit spanischen Partnern akkulturiert und assimiliert. Mit der verstärkten Zuwanderung von Siedlern ab dem 18. Jh. und den sich weiter entwickelnden Verkehrsverbindungen und Handelsbeziehungen kamen nicht nur mehr Spanier auf die Inseln, sondern auch allerlei andere seefahrende Nationen (z.B. Franzosen, Engländer, Iren). Trotzdem belief sich die Bevölkerung 1742 nur auf 136.000 Personen (McGREGOR 1831); eine Zahl, die sich in knapp 150 Jahren nur etwas mehr als verdoppelte (301.983 für 1887 nach PUERTA CANSECO 1897), was z.T. durch die starke Auswanderung nach den amerikanischen Kontinenten bedingt ist, an der natürlich auch Menschen . altkanarischer Abstammung beteiligt waren. Am Rande sei erwähnt, daß - zwar existent aber unbedeutend - durch zurückkehrende Kolonisten und durch von der Halbinsel stammende Einwanderer, die indianische Sklaven besaßen, auch indianisches Blut zu den Kanaren gelangte; dies bereits Anfang des 16. Jhs .. Ein deutlich vorherrschender Bevölkerungsanteil europäischer Abstammung dürfte nach den vorausgegangenen Ausführungen schon im 16. Jh. bestanden haben; dies im Gegensatz zu RÖSING (1967), die nur einen Anteil von ca. 33% Spaniern an der tinerfeftischen Bevölkerung von 1967 annimmt. RÖSING ermittelte für Tenerife extreme Unterschiede in der Blutgruppenverteilung zwischen der heutigen Bevölkerung (z.B. 43,35% 0) und tinerfeftischen Mumien (83,95% 0 nach SCHW ARZFISCHER & LIEBRICH 1963), die sich nach Meinung der Autorin nicht allein mit spanischer Zuwanderung erklären lassen, die aber nach meiner 76 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a (Ausschnitt) Abb. 23 Serpentiforme Gravierungen aus Galizien (a) und von !-a PalJ11a (b); l~nks Steinkistengrab in der Mämoa da Brana, San Paio de Refoxos (GARCIA ALEN & PENA SANTOS 1980\, rechts LaZarzita, Garafia (BEL TRAN 1975). Meinung nicht in Beziehung gesetzt werden können (s.u.). Die endgültige Zurückdrängung des restlichen altkanarischen Bevölkerungselements erfolgte mit der starken Zuwanderung des 20. Jhs .. Die kanarische Bevölkerung erlebte von 1887 bis 1981 (1,445 Mio. amtl. Zensus) nahezu eine Verfünffachung. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Residenten (Saisonarbeiter, Langzeit-Touristen, Ferienhausbesitzer usw.) nichtspanischer Nationalität ("poblaci6n de hecho y derecho"; siehe PULIDO MANES 1984). Bevölkerungszu- und -abwanderungen bis in neueste Zeit verstärkten den Anteil der "godos" (Goten), wie die Festlandspanier heute abfällig von den Canarios genannt werden: Zwischen 1965 und 1988 wanderten rund 30.000 Canarios aus, aber fast die gleiche Zahl Festlandspanier entschied sich dafür, auf den Inseln zu leben. Wer sogar in der gegenwärtigen gesamtkanarischen Bevölkerung Berberisches erkennen will, wird einen wissenschaftlich fundierten Beweis nicht beibringen können - weder auf anthropologischem, noch auf kulturellem Gebiet. Dem widerspricht nicht, daß von anthropologischer Seite Spuren des vorspanischen Populationsmusters in der aktuellen kanarischen Bevölkerung wiedererkannt wurden. Dies beruht zum Teil auf der Heirat der auf den Inseln verbliebenen Konquistadoren, die vorwiegend ohne Ehepartner eintrafen, mit eingeborenen Frauen (s.o.) und zum Teil auf der Assimilierung der restlichen Freien der Eingeborenen durch die europäischen Siedler im 16. und 17. Jh .. Selbst der im 16. Jh. vorherrschende Ber- 77 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ber-Anteil auf Fuerteventura und Lanzarote, ausgelöst durch die intensive Zwangsansiedlung von Berbersklaven, ist heute - zumindest nach den vorläufigen Erkenntnissen von Lanzarote - serologisch nicht mehr signifikant (keine 0-Dominanz, zum Teil hohe B-Werte; > ALLAN, BARBER, EMERY & HOLMES 1963). Ein anderer Gesichtspunkt, der ebenso eine heute noch ausgeprägte kanarisch-berberische - aber nicht kanarisch-altkanarische - Rassenverwandtschaft in Frage stellt, ist ein Forschungsergebnis von PAREJO (1966), nach dem in der Frequenz der Blutgruppen zwischen der aktuellen Bevölkerung der Kanarischen Inseln und jener der marokkanischen bzw. archipelnahen saharischen Region signifikante Unterschiede bestehen. Er stellt weiterhin fest, daß zu den Kanaren vergleichbare Werte eher auf dem spanischen Festland vorzufinden sind! Dies trifft auch für die deutliche Ähnlichkeit der Hautleisten-Muster zu, die MATZNETTER (1967) zwischen Gomera und Hierro einerseits und Südportugal andererseits konstatiert. Gerade Hierro wurde 1402 mehrmals von Sklavenfängern und Ende 1405 von Bethencourt heimgesucht, die die insulare Bevölkerung bis auf einen Rest von wenigen Hundert reduzierten. Bethencourt ließ sofort 120 normannische KolonistenFamilien auf der Insel ansiedeln (BOUTIER & LEVERRIER 1405), denen später Spanier, Portugiesen, Basken und Flamen folgten, die sich aufgrund der sozialen Begünstigung schneller vermehrten. Das Blut der heutigen Bevölkerung von Hierro muß also einen europäischen Anteil haben, der deutlich höher als der altkanarische ist, der wiederum höher als der berberische ist; falls letzterer überhaupt je existiert hat. Die Herrelios haben demnach sehr wenig oder garnichts mit Berbern zu tun ! Ähnlich sieht es bei den eingeborenen Gomeros aus, die 1477 in großer Zahl ver-. sklavt wurden. Aufgrund mehrerer königlicher Dekrete wurden sie zwar wieder freigelassen, mußten aber als Hilfstruppen bei der Conquista von Gran Canaria mitwirken. Bei dem Aufstand von 1488/89 wurde ein wahres Blutbad unter den Gomeros angerichtet (500 Tote), viele wurden an Hauptleute und Schiffsherren als Sklaven verschenkt. Weitere 300 inzwischen auf Gran Canaria ansässige Gomeros wurden ebenfalls hingerichtet oder als Sklaven verkauft. Der oben erwähnte Wert für die Blutgruppe O bei Mumien von Tenerife liegt bei grancanarischen Mumien noch höher (94,76%). Ein Pendant hierfür ist heute am ehesten noch bei isolierten Berbern zu finden, z.B. 79,69% 0 bei den Ait Hadidou im Hohen Atlas (JOHNSON et al. 1963), aber auch bei Küstenvölkern, wie Basken und Westiren. Vergleicht man aber die aktuellen Rh-Werte von Berbern und Kanariern, dann ergibt sich ein stark unterschiedliches Bild (RÖSING 1967). Bei den Altkana- 78 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 riem kommt hinzu, daß sich durch soziale Siebung und Paarungssiehung (Gran Canaria) sowie durch Inzucht (Tenerife) gerade bei den Mumifizierten ( = Ranghöheren) besondere Merkmale herausbildeten (größer und stärker leptosom), zu denen auch der hohe 0-Wert gehören könnte. Auf Tenerife war nach TORRIANI unter den Herrschenden sogar die Geschwisterehe erlaubt. Blutgruppenwerte der Nicht-Mumifizierten, die zur Klärung des Sachverhalts beitragen könnten, liegen naturgemäß nicht vor (Fehlen von Weichteilresten). MARTIN DE GUZMAN (1984a: 484) betont aber, daß gerade die Mumifizierung unter der berberophonen Tumulus-Kultur von Gran Canaria nicht feststellbar ist. Die 0-Werte altkanarischer Trockenleichen und der heutigen Berber-Bevölkerung sind deshalb meines Erachtens nicht vergleichbar und lassen sich nicht verallgemeinern. Letzteres erlaubt dann auch keine Korrelation mit den serologischen Werten der heutigen kanarischen Bevölkerung, so daß die Berechnungen von RÖSING (1967) auf unsicheren Beinen stehen. Es darf auch nicht unterschätzt werden, daß das Berberische in der altkanarischen Bevölkerung nur anteilig sein kann. Setzt man diesen Anteil mit der afrikanischen Variante des grazil-mediterranen Typs der letzten Einwanderungsphase gleich ( dunklere Haarfarbe, vollere Lippen, breitere Nasen, hohe Schädel und Gesichter), dann trat er hauptsächlich auf Gran Canaria auf, wo er heute noch im westlichen Küstengebiet festzustellen ist und als Nachkomme der Tumulus-Bevölkerung angesehen werden kann (SCHWIDETZKY 1971). Unterstützt wird dies durch eine Analyse von MARTIN DE GUZMAN (1984b), der dann resümiert: "Wenn man akzeptiert, daß der Tumulus-Horizont mit einer (rezent-neolithischen) BerberWelt korreliert, dann ist Gran Canaria ein großartiges Anschauungsobjekt dieses (ethnischen) Beitrags, der offenbar nicht alle Inseln des Archipels erreichte". Der für die einzelnen Inseln unterschiedliche anthropologische und kulturelle Befund bestätigt dies. Schaut man sich hierzu die Typenpolung des Archipels an (SCHWIDETZKY 1963: 59), dann ergibt sich folgendes Bild (1 = am stärksten mediterranid, 6 = am stärksten cromagnoid): 1. Gran Canaria, 2. Hierro, 3. Fuerteventura, 4. La Palma, 5. Tenerife, 6. Gomera. Nach den Berechnungen von SCHWIDETZKY liegen alle Inseln erwartungsgemäß mehr oder weniger im Mittelfeld, so daß keine Insel ausschließlich cromagnoid oder mediterranid geprägt ist. Lanzarote fehlt hier leider mangels anthropologischer Daten. Der rezent-mediterrane, afrikanische Menschen-Typ der Tumulus-Kultur allerdings ist eine Spezialität von Gran Canaria und läßt sich bezüglich der Kulturmerkmale in gewissem Ausmaß auch auf Lanzarote und Fuerteventura feststellen. Aufgrund des Vorgenannten ist rätselhaft, wieso TEJERA & 79 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 GONZALEZ (1987) die Guanchen berberisch interpretieren, obwohl die Tumulus-Kultur auf Tenerife nicht festgestellt werden kann. Noch weniger nachvollziehbar wird die Argumentierung der beiden Autoren ( 1987), wenn sie SCHWIDETZKY vorwerfen, sie habe eine " rassistische Sicht" der kanarischen Vergangenheit und operiere mit der Idee einer genetisch "über- und unterlegenen Rasse". SCHWIDETZKY hat diese Begriffe nie verwendet und es ist völlig abstrus, wenn TEJERA & GONZALEZ behaupten, die Autorin würde die kulturellen Unterschiede zwischen dem älteren cromagnoiden und nachfolgenden mediterranen Typ genetisch erklären. Dies ist eine eklatante Fehlinterpretation ihrer Aussagen. Dazu die Übersetzung einiger Kernpunkte der Kritik von TEJERA & GONZALEZ (1987.: 27ff): "Die Adaption des Menschen an neue Bedingungen ist nicht genetisch, sondern kulturell; die Menschheit gliedert sich nicht in Rassen, sondern in Ethnien, in soziale Gruppen also ..... Rassist ist jener, der nicht nur die Existenz von Rassen bekräftigt, sondern ihnen überdies eine Hierarchie in Funktion ihres genetischen Rüstzeugs zubilligt.. .. Nach der zitierten Autorin ist der Mediterrane dem Cromagnoiden überlegen, weil man ihm die größere 'Initiative' zugestehen muß und darüberhinaus besitze er die bessere physische Verfassung, damit er sein enormes Potential frei entfalten könne". SCHWIDETZKY (1963) wird hier unzureichend und falsch wiedergegeben, denn die Autorin gibt nur für Gran Canaria eine "stoßkräftigere (mediterrane) Zuwandererwelle" an, die den Cromagnon-Typ an der Nordküste vertrieb, während auf Tenerife die "jüngeren Zuwanderer den günstigsten Lebensraum bereits besetzt fanden ..... und nicht imstande waren, ihn der Vorbevölkerung streitig zu machen". Der von TEJERA & GONZALEZ der Autorin in den Mund gelegte, genetisch bedingte Siegeszug des mediterranen Typs hat also garnicht stattgefunden, wohl aber Verdrängungsprozesse, bei denen sich gebietsweise unterschiedliche Mischungsverhältnisse zwischen früheren und späteren Siedlern ergaben. Natürlich ist eine rassisch begründete Überlegenheit unvertretbar. Trotz der Diskussion um die Überfrachtung und Praktikabilität des Begriffs "Rasse" ist es aber unzutreffend, daß es keine genetisch unterscheidbaren Rassen oder Humangruppen gibt und daß Evolution nicht zu Genveränderungen führt - insgesamt also eine sehr mißverständliche, unhaltbare Position, die allen einschlägigen Erkenntnissen widerspricht. Das mag noch als wissenschaftliche Merkwürdigkeit und Einzelmeinung hingenommen werden. Wenn aber die Feldmethoden SCHWIDETZKYs mit jenen des NSVerbrechers Himmler verglichen werden, dann ist das in höchstem Maße unwissenschaftliche Polemik. Was soll dieser Angriff auf eine Wissenschaftlerin, die sich um die kanarische Anthropologie verdient gemacht 80 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a b Abb. 24 Wie bereits die Abbildungen 9 und 10, so zeigen auch diese beiden Beispiele eine kaum zu verleugnende stilistische Verwandtschaft altkanarischer Figurinen mit jenen ostmediterraner Kulturen; links (a) eine steinerne ldolplakette (3. Jt. v.Chr.) aus der megalithischen Cueva de Blanquizares de Lebor, Totana (Prov. Murcia), die auf ostmediterrane Siedler zurückgeht; rechts (b) das oft reproduzierte "Idol von Tara" (Artefakt Nr. 622, Museo Canario, Las Palmas de Gran Canaria). und im modernen wissenschaftlichen Sinn (zusammen mit Miguel Fusle Ara) bis jetzt den größten Beitrag dazu erbracht hat? Hier ist es sinnvoll, einmal die Hierarchie-Ebenen auf den verschiedenen Inseln näher anzuschauen. Auf Hierro und La Palma scheint es neben dem (bzw. den) Häuptling(en) keine besonders privilegierte Schicht gegeben zu haben. Die vier Stämme mit je einem Häuptling auf Gomera unterteilten sich in Nichtadelige und Edle, wobei nicht klar ist, ob dies nur auf Abstammung oder auf Berufung beruhte (als besonders ehrwürdig wurden Krieger angesehen). Auf Lanzarote gab es neben dem Erbkönigtum einen "Rat", der sich aus "guaires" (Noblen) zusammensetzte, wobei wir ebenfalls nicht wissen, ob die Mitgliedschaft erblich war oder erworben werden konnte. Auf Fuerteventura existierte unter der Obc.:rherrschaft eines mit gottgegebener Macht ausgestatteten Frauenpaares ein Doppelkönigtum ( oder besser gesagt zwei Verwaltungsbezirke mit Militärgouverneuren) und der Rat der "altihay" (heldenhafte Edelleute), dessen Mitgliedschaft wohl "erarbeitet" werden mußte. Auf Gran Canaria gab es neben den 12 Kantonshäuptlingen oder Klanoberhäuptern (guayres) und ab 1375 neben dem König (guanarteme) bzw. ab ca. 1438 neben den zwei Königen eine Land und Vieh besitzende Adelsschicht, die nur durch besondere Tugenden erreichbar war, also nicht durch Vererbung. Dieser Adel hatte Befehlsgewalt über eine breite Schicht dienender Besitzloser. Eine gewisse, wahrscheinlich ·auch ethnisch beding- 81 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 te Unabhängigkeit scheint sich auf Gran Canaria die Tumulusbevölkerung der Küsten bewahrt zu haben (BONNET REVERON 1943), die aufgrund ihrer vornehmlich aus dem Meer stammenden Nahrung nicht auf Viehzucht angewiesen war (siehe auch Kap.3). Besonders interessant sind die Verhältnisse auf Tenerife. Hier gab es drei scharf voneinander zu trennende Hierarchie-Ebenen: die "achimenceyes" oder Hochadligen, die "cichiciquitza" oder Adligen (besitzende Ritter im Vasallenstatus) und die plebejischen "achicaxna" (besitzlose Landarbeiter, Hirten, Schlächter, Handwerker im Sklavenstatus). Der Hochadel, der sich aus den Familien der "menceyes" (Gebietskönige) zusammensetzte, leitete seine Vorherrschaft von göttlichem Recht ab und war nur erblich. Die Aufteilung Tenerifes in neun Menceyate erfolgte allerdings erst zwischen 1440 und 1450 (Rebellion der Söhne des Königs); bis dahin gab es nach den alten Quellen nur einen einzigen König mit Sitz in Adeje. Dies deutet stark darauf hin, daß auf Tenerife eine bereits ansässige Population durch eine stärkere, aggressivere Siedlergruppe überschichtet wurde. Wir kennen denselben geschichtlichen Vorgang von den Tuaregs, bei denen die Vasallen (imrad) dem Adel (ihaggaren bzw. imusaren) zahlenmäßig um das Fünf- bis Achtfache überlegen sind, die schwarzen Sklaven garnicht gerechnet. Auch der auf Gran Canaria vorherrschende Adel scheint ursprünglich einer überschichtenden Siedlergruppe angehört zu haben, die für die Aufnahme der Unterworfenen in den Adelsstand bestimmte Regeln auf stellte. Die weiter oben erwähnten, laut SCHWIDETZKY anzunehmenden Vorgänge auf Tenerife sind deshalb nur für das geographisch-anthropologische Mischungsverhältnis der Siedler-Typen bedeutsam, ohne daß sie. allgemeingültigen Aufschluß über die tatsächliche politisch-soziale Entwicklung geben würden. SCHWIDETZKY (1963: 97ff) tendiert dazu, nicht nur für Gran Canaria eine Herausbildung der Oberschicht durch soziale Siebung und Paarungssiebung ("soziale Mobilität") anzunehmen, sondern auch für Tenerife. Die Einbeziehung Tenerifes berücksichtigt meines Erachtens nicht ausreichend die Tatsache, das nach den Überlieferungen nur der niedere Adel durch vorbildliche Qualitäten und erfolgreiche Vasallendienste erreichbar war und aufgrund der relativ wenigen Trockenleichen-Funde auf Tenerife wohl nicht zu den Berechtigten dieser Toten-Behandlung zählte. Der Hochadel dagegen blieb einer durch Abstammung privilegierten (inzuchtgeprägten) Schicht vorbehalten. Die Führung des Königreiches Tenerife und später seiner einzelnen Kantone oblag den in patrilinearer Folge berechtigten Oberhäuptern dieser Familie(n), was noch durch die Ratsversammlung der Adligen (tagoror) 82 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Abb. 25 Links (a) ein Terrakotta- Stempel (2. Jahrtausend v.Chr.) aus dem Nuraghen Santu Antine, Torralba (Sassari, Sardinien), rechts (b) eine Pin- .__ ___________ b _________ _, tadera von Gran Canaria. bestätigt werden mußte. Diese Fähigkeit des Herrschens und natürlich auch gewisse Kampftechniken waren zum Zeitpunkt der Überschichtung sicher nicht biologisch begründet, sondern in der besseren Erfahrung mit strategischem Vorgehen sowie in den Mechanismen politischer Macht und sozialen Wettbewerbs, die diese Siedler, die aus fortgeschritteneren, stärker strukturierten mediterranen Gesellschaften stammten, den bereits Ansässigen voraus hatten. Warum TEJERA & GONZALEZ (1987) etwas anderes aus den Ausführungen SCHWIDETZKY s herauslesen, ist unverständlich. 5. Zusammenfassung und Ausblick Als Arbeitshypothese und als stark vereinfachender Versuch einer inselübergreifenden Darstellung - obwohl im Grunde genommen jede Insel ihr eigenes, individuelles Besiedlungs- und Kulturmuster zeigt - sei folgender Ablauf der kanarischen Vor- und Frühgeschichte skizziert: a) Die erste lmmigrationsphase ca. 3.500 - 2.000 v.Chr. (pankanarisches Substrat) Ein südwesteuropäischer - im Vergleich mit nachfolgenden Siedlern robusterer - cromagnoider Menschenschlag, neolithisch geprägt mit megalithischer Tendenz, setzt zu den Kanarischen Inseln über. Es treffen zeitlich gestaffelt mehrere Gruppen ein; von der portugiesischen oder südspanischen Küste entweder direkt zu den Westinseln (z.B. La Palma), was durch die nautischen Bedingungen begünstigt wird, oder entlang der nordmarokkanischen Küste zu den nordöstlichen Inseln Lanzarote und Fuerteventura, von wo aus eine Verbreitung zu den anderen Inseln durch Inselspringen stattfand. Dadurch ist es möglich, daß diese Substrat-Kultur alle Inseln erfaßte. Ob daran auch Mechtoide beteiligt waren, ist nach dem derzeitigen Wissensstand unwahrscheinlich, aber auch nicht gänzlich auszuschließen. 83 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Parallel zu den letzten Cromagnoiden dürften schon die ersten Mediterraniden auf den Inseln eingetroffen sein. Zu den Kulturmerkmalen dieser Phase gehören "Concheros" (Muschelhaufen), der Beginn der Herstellung von primitiven Messern aus Obsidian bzw. Basalt, natürliche Höhlen als Wohnung und Begräbnisraum, Feuerbestattungen (La Palma > MARTIN RODRIGUEZ 1987; Tenerife > LORENZO PERERA 1982; Hierro > JIMENEZ GOMEZ 1982), undekorierte oder (selten) sehr einfach und unregelmäßig dekorierte Keramik und der megalithisch anmutende Ritus mit seinen archaischen Petroglyphen (Kreise, Spiralen, usw.; möglicherweise die ersten Fußsilhouetten) und Monolithen. Dieses Megalithentum etabliert sich je nach Ausprägung und Umfang der Siedlergruppe in unterschiedlichem Ausmaß auf den einzelnen Inseln bzw. wird durch nachfolgende andere Kulturträger unterschiedlich stark überschichtet, assimiliert oder verdrängt. In der Literatur wird im Zusammenhang mit der Erstkolonisierung der Kanarischen Inseln desöfteren von "Siedler-Wellen" gesprochen. Ich halte den Ausdruck "Welle" nicht für glücklich, da er den Eindruck einer großen Zahl von Einwanderern erweckt, die in jeweils zeitlich eng zusammenhängenden Schüben die Inseln erreichten. Das war sicher nicht der Fall; der Begriff "Phase" erscheint deshalb treffender. Die Größe der einzelnen Gruppen wird - was für alle Phasen zutreffen dürfte · sehr klein gewesen sein (SCHWIDETZKY 1963). Dies führte in Verbindung mit den geographischen und klimatologischen Bedingungen zu insularen und teilweise landschaftstypischen Kulturkreisen; ein Umstand, der zu dem komplizierten und zersplitterten Bild der kanarischen Prähistorie beigetragen hat. b) Die zweite Immigrationsphase ca. 2.200 - 500 v.Chr. (Phase der · Kulturausprägung) Diese Periode ist äußerst schwierig zu strukturieren, da sie mehrere zeitgleich und versetzt ablauf ende Prozesse umfaßt: Ein grazil-mediterranider, spätneolithischer bis spätbronzezeitlicher Typ verläßt seine süd- bis ostmediterrane Heimat und erreicht entlang der nordafrikanischen Küsten die Kanarischen Inseln. Auf Gran Canaria bereichert er die Höhlen-Kultur um jene der "Cueva Pintada". Höhlen werden künstlich angelegt bzw, ausgebaut. Ranghöhere werden als mumienähnliche Trockenleichen in Höhlen bestattet, eine Technik, die der noch existente cromagnoide Typ teilweise übernimmt (Gran Canaria). Der künstlerische Ausdruck bekommt einen Schub: Wand-Dekorationen, inzisierte und bemalte Keramik, Kleinplastiken, abstrakte und anthropomorphe Darstellungen in Felsbildern, Pintaderas. In gewissem 84 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Umfang kann mit diesen Siedlern auch noch Megalithisches die Inseln erreicht haben. Im Zuge der ethnischen Überschichtungen beginnen sich soziale Hierarchien herauszubilden. Waren es möglicherweise die nautisch so aktiven ostmediterranen Seefahrer und ab 1200 v.Chr. die sogenannten "Seevölker", die bei ihren Expeditionen jenseits der Straße von Gibraltar auch die Kanarischen Inseln erreicht haben konnten und dabei wesentlich zu dieser Kulturausprägung beitrugen? HENNIG (1944) schließt eine Entdeckung durch die Kreter vor 1000 v.Chr. nicht aus. Die kretische Schiffahrt wäre technisch d
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Calificación | |
Colección | Almogaren |
Título y subtítulo | Die Besiedlung der Kanarischen Inseln - Ursprung und Chronologie |
Autor principal | Ulbrich, Hans-Joachim |
Entidad | Institutum Canarium ; Direccion General de Patrimonio Histórico |
Publicación fuente | Almogaren |
Numeración | Número 20-2 |
Tipo de documento | Artículo |
Lugar de publicación | Viena |
Editorial | Institutum Canarium |
Fecha | 1989 |
Páginas | pp. 033-099 |
Materias | Prehistoria ; Islas Canarias ; Cronología |
Copyright | ULPGC. Biblioteca Universitaria. 2017 |
Formato digital | |
Tamaño de archivo | 29408640 Bytes |
Texto | Almogaren XX / 2 / 1989 Hallein 1~ 33- 99 Hans-Joachim Ulbrich Die Besiedlung der Kanarischen Inseln - Ursprung und Chronologie 1. Die Situation der kanarischen prähistorischen Forschung Mehrere Publikationen der letzten Jahre sind der Anlaß, sich erneut mit der Frage nach der Herkunft der Altkanarier und ihrem Eintreffen auf den Inseln zu befassen. Dieser Themenkreis wird von den involvierten Wissenschaftlern sehr kontrovers behandelt, so daß hier der Versuch unternommen wird, die wichtigsten Aspekte und aktuellen Forschungsergebnisse darzustellen sowie einige Schlußfolgerungen zu ziehen. Dem unvoreingenommenen Beobachter fällt bei der vorherrschenden kanarischen Position in bezug auf die Abstammung der Altkanarier sofort die einseitige und nicht immer emotionsfreie Betonung des nahen Nordwestafrikas auf, was einer nüchternen und objektiven wissenschaftlichen Arbeit nicht immer dienlich war. Ein anderer Spannungspunkt ist die wissenschaftliche Vorgehensweise selbst, die besonders im Bereich der Vor- und Frühgeschichte des öfteren Anlaß für die Kritik außerkanarischer Fachleute ist. Tatsächlich muß man feststellen, daß es den kanarischen Wissenschaftlern noch nicht gelungen ist, die Forschungen zu systematisieren und alle Fakten zu einer sachlichen Gesamtschau zu vereinen. Als Beispiel für die Inkonsequenz der kanarischen Forschung und ihrer Schlußfolgerungen sei auf den Umstand verwiesen, daß von Lanzarote und Fuerteventura jeweils nur von einer einzigen Fundstelle C14-Datierungen existieren (EI Bebedero bei Tiagua, Lanzarote bzw. Villaverde bei La Oliva, Fuerteventura). Die gleiche unerfreuliche Situation ist für die anthropologische Untersuchung der Skelettfunde dieser Inseln festzustellen. Das Material von den kleinen Westinseln (La Palma, Hierro, Gomera) ist ebenfalls sehr dünn. Lediglich für Gran Canaria und Tenerife liegen einigermaßen repräsentative Untersuchungsergebnisse vor. Aber sicher ist auch bei diesen beiden Inseln noch nicht das letzte Wort gesprochen. Warum fehlt bis jetzt eine umfassende C14-Datierung der Skelette des cromagnoiden Typs, der zu den frühesten Siedlern gehörte? Trotz aller Unvollständigkeiten werden die vorliegenden Datierungen und Erkenntrusse als signifikant und ausreichend angesehen. Selbst bei der Keramik, wo reichlich vorliegende Funde vieiverspre- 33 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 chenden Aufschluß über die Chronologie der alt.kanarischen Kulturen geben könnten, wurden nur in völlig unzureichendem Ausmaß archäometrische Untersuchungen vorgenommen. Bis auf wenige paläomagnetische (z.B. SOLER et al. 1985) und Thermolumineszens-Ergebnisse (z.B. NA V ARRO & MARTIN 1986) liegt nichts vor. Der Vergleich alt.kanarischer Keramik mit entsprechender atlantischer und mediterraner Tonware mit Hilfe der Röntgenfluoreszenz-Analyse könnte (neben stilistischen Untersuchungen) Auf schluß über den Ausgangspunkt von Siedlern geben, denn es besteht die Chance, daß ein (geringer) Teil der Fundstücke aus mitgebrachter Tonware besteht. Kernspaltungsspuren-Analysen (fission track dating) und die Obsidian-Hydratationsschicht-Datierung könnten auch zur Bestimmung der zahlreichen aus Obsidian vorliegenden Artefakte herangezogen werden. Die Frage nach dem Beginn der menschlichen Besiedlung der Kanarischen Inseln muß allein schon aufgrund dieser Kenntnislücken offen bleiben. Sehr pointiert in seiner Kritik ist ONRUBIA PINTADO (1988 / Departamento de Prehistoria, Universidad Complutense de Madrid und LA.P.E.M.O., Aix-en-Provence), wenn er von einer generell "trostlosen" Situation, einem "irreparabel ausgeraubten" archäologischen Erbe und einem "nahezu unmöglichen" Fortschritt der archäologischen Forschung auf den Inseln spricht. Konkret führt er folgende Punkte an: • eine viel zu spät (seit ca. 1960) einsetzende wissenschaftliche archäologische Forschung der zuständigen kanarischen Stellen, insbesondere der Universität La Laguna, so daß "skrupellose Sammler" und "amateurhafte Enthusiasten" seit dem 19. Jh. ihr Unwesen treiben konnten; • ein Mangel in der Beschreibung archäologischer Schichten; • das Fehlen großer Serien absoluter Datierungen; • das Fehlen einer systematischen Analyse der zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden; • eine mangelhafte Strukturierung der forschungsbezogenen Anstrengun- F~ und I • die ungerechtfertigte Verweigerung von Ausgrabungsgenchmigungen. Letzteres zeigt sich u.a. in der auffallend geringen Zahl von europäischen Wissenschaftlern, die an kanarischen Ausgrabungen beteiligt werden. Gesuche für die Erlaubnis von Feldforschungen ausländischer Institute werden von den amtlichen Inselarchäologen abgelehnt. Ein Beispiel hierfür ist El Hierro: Obwohl die Entdeckung der eminent wichtigen Siedlungs- und Felsbild-Fundstelle "El Julan" schon fast 120 Jahre zurückliegt, wurde sie von kanarischer Seite noch nicht systematisch ausgegraben bzw. erfaßt. Angebote zur Mitarbeit oder Hilfestellung wurden nicht wahrge- 34 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 nommen. Dies widerspricht dem internationalen Trend, sich im Rahmen von Kooperationen gegenseitig zu befruchten. Erst in neuerer Zeit scheint sich diese Haltung je nach Institution zu lockern (z.B. Projekt "Cronos"). Hinzu kommt das Desinteresse von regionalen Behörden und betroffenen Wirtschaftszweigen, so daß z.B. bei neuen Fundstellen im Zuge von Bauarbeiten die Information der zuständigen Wissenschaftler überhaupt nicht oder mit großer Verzögerung erfolgt. Daß dabei oftmals Wichtiges zerstört wird, liegt auf der Hand. Ein weiteres Problem ist, daß viele Feldforschungen als "excavaci6n de urgencia" (Notgrabung) zu spät begonnen oder vorzeitig abgebrochen werden. Auch das Gegenteil, eine zu lange Sperrung von Bauvorhaben durch die Archäologen, fördert nicht das Verständnis und die Zusammenarbeit der Betroffenen. Oft werden die gewonnenen Forschungsergebnisse nicht oder nur unzureichend veröffentlicht. In einigen Fällen wurde das Informationspotential eines archäologisch vielversprechenden Areals nicht konsequent ausgenützt. Neben dem bereits erwähnten El Julan ein weiteres Beispiel: Die seit 1971 durchgeführten acht Ausgrabungsserien in Zonzamas (Lanzarote) befaßten sich nur mit knapp einem Viertel der relevanten Fläche, obwohl diese altkanarische Siedlung zu den wichtigsten Fundstellen des ganzen Archipels zählt. Eine abschließende Beurteilung der Struktur und Siedlungsgeschichte ist nicht möglich. Datierungen liegen nicht vor. Trotz fünf Kurzberichten über die Ausgrabungen von Zonzamas sind die Informationen sehr dünn und wiederholen sich weitgehend. Zur Ehrenrettung der kanarischen Archäologie sei angeführt, daß es in Bezug auf Forschungen und Publikationen auch positive Beispiele gibt, wie die Ausgrabungen von El Bebedero (Lanzarote) und ihre 1989 veröffentlichte Dokumentation (ATOCHE PE.NA et al. ), die in Systematik und Sorgfalt den heutigen Erwartungen entsprechen. Dies trifft - um· nur einige zu nennen - auch auf TEJERA GASPAR & AZNAR VALLEJO (1989) für den archäologischen Bericht über El Rubic6n (Lanzarote), auf ARCO AGUILAR (1985) mit der Beschreibung der Cueva de Don Gaspar (lcod, Tenerife) und auf DIEGO CUSCOY (1979) mit der Monographie über die Zeremonialstätte "Guargacho" (Tenerife) zu. Ein anderer Punkt, der die Kritik von ONRUBIA PINTADO illustriert, ist das Fehlen einer minutiösen, aktuellen und zugänglichen Registrierung des archäologischen Inventars der gesamten Inselgruppe. Die vom Departamento de Arqueologia y Prehistoria der Universität Let Laguna seit Anfang der 70er Jahre geplante "Carta Arqueol6gica del Archipielago Canario" wurde zwar weitgehend erarbeitet, ist aber bis jetzt noch nicht komplett veröffentlicht und dürfte partiell schon wieder veraltet sein. 35 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Eine ähnliche Situation stellt DiAZ ALA YON (1989b) in sprachlicher Hinsicht fest, wenn sie bedauert, daß das kanarische Ortsnamenmatcrial, daß zu einem wichtigen Teil auch altkanarische Begriffe enthält, noch nicht vollständig und genau erfaßt wurde. Gleichzeitig warnt sie bei seiner Etymologisierung vor einseitigen und voreiligen Schlüssen. Und wenn schon von Kritik gesprochen wird, dann muß auch die zögerliche Erfassung bzw. Publikation der Felsbilder erwähnt werden. Tenerife - und noch viel mehr Gomera - sind in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend behandelt worden. Wiederholt konnte auch ein doch erheblicher Unterschied in der Reproduktion der Felsritzungen konstatiert werden (siehe die drei Beispiele von der Peöa de Luis Cabrera / Lanzarote, Abb. 1-3). Hinzu kommt die oft mißverständliche Darstellung (falscher Blickwinkel) oder eine zu schnelle Interpretation (z.B. "pompejanische Kursivschrift", "Tifinagh"). Es ist auch festzustellen, daß einige kanarische Autoren dazu neigen, Parallelen zwischen altkanarischen und nordafrikanischen Kulturmerkmalen zu betonen, andererseits aber ebenso gültige Parallelen mit dem übrigen mediterranen Raum - und hier speziell die iberische Halbinsel - nur kurz zu streifen oder unerwähnt zu lassen. Als Beispiel sei eine Arbeit über die podomorphen Felsgravierungen Fuerteventuras angeführt (CORTES V AZQUEZ 1987), die ausführlich nordafrikanische Parallelen auflistet, jene mit Europa aber unterschlägt. Eine andere fragwürdige Sitte ist es, wenn man versucht, eine breite Zustimmung zur Berber-Theorie herbeizukonstruieren, indem man Autoren, die die Exponenten dieser Theorie zitieren, wiederum als originäre Befürworter zitiert. Wenn im Verlauf dieses Aufsatzes teilweise in prägnanter Form auf Widersprüche in der kanarischen Fachliteratur hingewiesen wird, dann ist dies nicht als "Gegenpolemik" zu verstehen, sondern als Versuch; dem Leser einen breiten Eindruck von der Argumentation einiger Autoren zu verschaffen, die vornehmlich dem kanarischen Wissenschaftsbetrieb angehören. Ein Kanarier selbst, Oswaldo Brito, Professor für Geschichte an der Universität La Laguna, hat das Problem erkannt, wenn er sagt, "In de'r Geschichtsschreibung der Kanarischen Inseln gehen die Leute nicht von Hypothesen aus, sondern von Schlußfolgerungen. Sie haben geforscht, um die (kanarische) Geschichte zu rekonstruieren und nicht um sie kennenzulernen. Mit ersterem wird verfälscht, mit dem zweiten wird untersucht"; und: "Es wurden bequeme und willkürliche Behauptungen aufgestellt, die pseudowissenschaftliche Arbeiten der Archäologie und Philologie stützen sollen. Es wurden Perspektiven von leichtfertigem Charakter angeboten, vergleichend oder Analogien suchend in simplifizierender Form, um auszudrücken, ob es Affinitäten zwischen Afrika und den Kanaren gibt" 36 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ~ +a? tS> o" ~~ -,0,-:;::;---.---__:__~~U_J nAaltnknatneanr isch e1· Zei.c hen des Sch . rbysch b soge-rrfttyps · h" . - erberisch Pen • rer ern Det . en . a de Luis Gab arl von der _:c· -k~ ..·... ffinnE ·, ( /\ rn verschiedenen ~eerpar o(dLuakntzioarnoetne)· Abb. 1 Aufnah . Martin (1980) me von J. Brit seo Arqueologtu~gestellt im Mu~ Gabriel", Arrec'cfo Castillo de Sa Abb2 .,e n Le o, n. HernWänredd ergab e nach J d Abb. 3 A f ez et al. (1988) . e brich (1989) nahme von H.-J. UI- 37 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 (Gaceta de Canarias, 24.9.90). 2. Probleme der ethnischen Herkunft und der Chronologie Zu den neueren Publikationen über altlibysche Forschungen zählt ein Aufsatz von C.A. DIOP (1988), in dem er auch kurz auf die Altkanarier eingeht. DIOP zufolge gibt es keine Beweise für eine Beziehung zwischen der steinzeitlichen Kultur des Menschen von Mechta el-Arbi und den Guanchen (hier im Sinne von Altkanarier), wie mehrfach angeführt wurde (z.B. CAMPS 1969, 1974, 1980; VALLOIS 1969). Vielmehr seien die (ersten) Kanarier "mehr oder weniger phönizisch beeinflußte protohistorische Volksstämme". Was immer damit im einzelnen gemeint ist, es kommt der Meinung von TEJERA GASPAR (1985) nahe: "Wir glauben, daß die Phönizier die wichtigste Rolle in den Akkulturationsprozessen der Berber Nordafrikas - und daher auch bei jenen Berbergruppen, die die Insel (Gran Canaria bzw. Tenerife) besiedelten - gespielt haben". Der Gedanke wird von TEJERA & AZNAR (1989: 52) wiederholt, wenn sie im Zusammenhang mit dem "Tanit" -Zeichen des Pozo de la Cruz (Rubic6n, Lanzarote) von protohistorischen Berbern aus Marokko und Algerien sprechen, wo sie mit der Welt der Phönizier Kontakt gehabt hätten, bevor sie zu den Kanarischen Inseln aufbrachen. Dies muß - wenn es so summarisch behauptet wird - von den kanarischen Wissenschaftlern im Detail noch nachgewiesen werden. Von einem deutlich sichtbaren phönizischen Einfluß kann nicht die Rede sein. Dafür sind die Hinweise zu spärlich und lassen sich nicht verallgemeinern. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Phönizier und ihre karthagischen Nachkommen selbst auf den Inseln waren und damit vereinzelte Zeugnisse ihrer Kultur direkt durch sie verursacht sein können. Letzteres kommt für das erwähnte sogenannte "Tanit" -Zeichen von Lanzarote nicht in Betracht, da es mit aller Wahrscheinlichkeit erst 1402 entstand und zwar mit (oder nach) dem Bau eines Wehrturmes und Brunnens durch Jean IV. de Bethencourt (der betreffende Mauerstein scheint die Gravie" rung nicht schon vor dem Einbau besessen zu haben). Das Zeichen (Abb. 4), daß der gebräuchlichsten Variante des Tanit-Symbols ähnlich ist (aber nicht identisch mit ihr), muß nicht zwingend eine weibliche Figur darstellen (warum ist der "Kopf" losgelöst ?). Vermutlich ist es ein Symbol, daß von Europäern eingeritzt wurde. Im Mittelalter war es durchaus üblich, mystische Monogramme und Maurerzeichen an bestimmten Stellen von Gebäuden einzugravieren. Auch auf den Kanarischen Inseln finden wir solche, zum Beispiel in der spätgotischen Gemeindekirche San Juan Bautista von Telde, Gran Canaria (HERNANDEZ 1951). Im Falle des "Tanit"- 38 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 0 Abb. 4 Links das sogenannte "Tanit"-Zeichen vom Pozo de la Cruz 4,..anzarote); in der Mitte zwei mittelalterliche Maurerzeichen, wie sie in der Kirche S. Juan Bautista in Telde (Gran Canaria) gefunden wurden; rechts ein Tanit-Zeichen von einer karthagischen Stele. Zeichens von Lanzarote dürfte es sich um die persönliche Markierung des Baumeisters von Bethencourt, Jehan le Ma~on, handeln. Wenn die beiden Autoren (TE.JERA & AZNAR / 1989: 52) fortfahren, "Die späte Besiedlung der Inseln durch Menschen des Maghreb, durch Gruppen, die wir heute allgemein unter dem ethnischen Begriff 'Berber' zusammenfassen, wird von vielen Autoren verteidigt", dann stimmt dies nur aus der Sicht einiger kanarischer Wissenschaftler. Gegensätzliche Stimmen gibt es genug, auch unter den kanarischen und spanischen Fachleuten. Immer wieder wird von den Anhängern der BerberTheorie auf die altkanarischen Kulturmerkmale mit Parallelen in NordAfrika hingewiesen, die es unzweifelhaft gibt. Wie aber sind die zahlreichen Merkmale zu interpretieren, die entweder genau so gut zu anderen, nicht-berberischen Kulturen oder im Gegenteil explizit nicht zu den Berbern und überhaupt nicht zu Nordwestafrika passen? Was zusätzlich die Erforschung der Herkunft der Siedler erschwert, ist die merkwürdige Tatsache, daß in den Überlieferungen der kanarischen Ureinwohner keinerlei Hinweis darauf zu finden ist. Nach DIOP (1988) breiteten sich die Vorfahren der Berber, zum größten Teil Angehörige der Seevölker mittel- bis ostmedilerranen Ursprungs und nur zum kleineren Teil von bereits ansässigen Alt-Libyern (Tehenu) abstammend, ab 1200 v.Chr. von einem Gebiet westlich des NilDeltas bis zum Atlantik aus und organisierten sich in Nomadenstämmen. Dies dürfte eine isolierte Meinung sein, die mit dem vielschichtigen Ursprung der heute als Berber Bezeichneten nicht in Einklang zu bringen ist und nur als Teilaspekt gewertet werden kann (s.u.). Der Vorgang soll nach DIOP 750 Jahre gedauert haben, sodaß die Atlantikküste erst um 450 v.Chr. erreicht wurde. Die C14-Datierung mit dem zur Zeil am weitesten zurückreichenden Ergebnis von den Kanarischen Inseln, jene der Cueva de la Arena des Barranco Hondo auf Tenerife, zeigt aber bereits 540 ± 60 39 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 v.Chr. an. Dies würde, DIOPs Zeitangaben für die Verbreitung der Berber als richtig vorausgesetzt, die Existenz einer vorberberischen, ersten Immigration auf den Kanaren bedeuten. Man muß aber nicht DlOPs Hypothese bemühen, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wie weiter unten dargelegt wird. Die genannte C14-Datierung aus dem Barranco Hondo, einem Gebiet mit Funden stark cromagnoid geprägter Schädel, wird von einigen kanarischen Autoren angezweifelt. Die datierte Holzkohle entstammt der Kontaktzone der vierten Schicht der Cueva de la Arena zur darüberliegenden dritten Schicht (ACOSTA & PELLICER 1976); die ebenfalls in der vierten Schicht gefundenen Eidechsen-Reste sind in ihrer Interpretation als menschliche Nahrung umstritten, so daß sie nicht zwingend - meiner Meinung nach aber mit hoher Wahrscheinlichkeit - für eine Existenz menschlicher Spuren (für die hier sonstige Belege fehlen) in dieser Schicht sprechen. Eine endgültige Verifizierung des ältesten der drei C14-Daten der Cueva de la Arena steht deshalb noch aus, obwohl zahlreiche Kulturmerkmale Tenerifes ein solches Alter nicht unmöglich erscheinen lassen. Von TEJERA & GONZALEZ (1987: 33) wird es jedenfalls nicht erwähnt, wenn sie das vorliegende C14-Material besprechen und von "jungen" altkanarischen Kulturen und "nur nachchristlichen" Daticrungsergebnissen sprechen; obwohl sie sich an anderer Stelle (S. 32) selbst zitieren und eine Erstbesiedlung ab dem fünften vorchristlichen Jahrhundert einräumen. Für Gran Canaria wird als ältestes C14-Ergebnis 30 v.Chr. angegeben, obwohl 1987 schon eine frühere Datierung vorlag (2080 ± 60 B.P. = 130 v.Chr. bei LOPEZ & LOPEZ 1985). Hier wird deutlich, wie widersprüchlich die kanarische Interpretation der vorliegenden Fakten ist. Es zeigt aber auch die Vielschichtigkeit und Schwierigkeit des Themas. Die C14-Datierungen der 1987 durchgeführten zweiten Ausgrabungsserie von El Bebedero / Lanzarote (ATOCHE PENA et al. 1989), waren TEJERA & GONZALEZ nicht bekannt. Für die älteste der fünf in El Bebedero festgestellten Schichten wird eine Entstehungszeit "mehrere Jahrhunderte v.Chr." angenommen, nachdem für die Schicht IV bereits effi,/ Alter von 1950 ±60 B.P. und 1840 ±30 B.P. festgestellt wurde. Es dürften also weitere C14-Ergebnisse zu erwarten sein, die weit vor der Zeitwende liegen. Die neueste Messung von Gran Canaria (Arteara) weist in das 3. Jahrhundert v.Chr., ebenso C14-Ergebnisse aus der Cueva de las Palomas, lcod de los Vinos (Tenerife) und der Cueva de la Palmera, Barranco de San Juan (La Palma). Eine Schätzung für die älteste Schicht der Cueva del Tendal (La Palma) spricht von der Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. (NA V ARRO MEDEROS et al. 1990). Eine erste Besiedlung innerhalb des 2. Jahrtausends v.Chr., wie sie 40 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 die deutsche Anthropologin llse SCHWIDETZKY (1976) annimmt, steht bis jetzt unwiderlegt im Raum. Dasselbe gilt auch für D.J. WÖLFEL (1951) mit der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v.Chr., eine Einschätzung, die von renommierten spanischen Fachkollegen (DIEGO CUSCOY 1955, PEREZ DE BARRADAS 1939, TARRADELL 1969b) geteilt wird. Begründet wird dies durch das archaische Erscheinungsbild der ältesten Kulturschicht ("sustrato pancanario" bei MARTIN DE GUZMAN 1984a) im Verbund mit cromagnoiden Merkmalen ihrer Träger. Eine noch frühere, mesolithische Erstzuwanderung nehmen ZEUNER (1959) und PERICOT GARCiA (1955) an. Die jüngsten Einwanderungen haben noch in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung stattgefunden, was aus den C14-Datierungen und den speziellen Erkenntnissen über die grancanarische Tumulus-Kultur abgeleitet werden kann. Bezeichnend ist im Zusammenhang mit chronologischen Betrachtungen, daß die von HERNANDEZ PEREZ (1977) um 1000 v.Chr. angesiedelte Ankunft der Urheber der geometrischen Felsritzungen auf La Palma - der dritten von vier Kulturschichten auf dieser Insel - von den Autoren TEJERA & GONZALEZ (1987) nicht erwähnt wird, obwohl andere Textstellen desselben Aufsatzes zitiert werden. GONZALEZ & TEJERA (1981: 33) bzw. TEJERA & GONZALEZ (1987: 195) verneinen die Existenz eines alle Inseln umfassenden Kultursubstrats und meinen, dies würde durch den archäologischen Befund bestätigt. Dem kann aufgrund zahlreicher inselübergreifender, neolithischer Merkmale nicht zugestimmt werden, wie im einzelnen noch dargelegt wird. Es ist auch kaum vorstellbar, daß die Inseln alle direkt angelaufen wurden und daß kein Inselspringen stattfand, auch wenn teilweise schwierige Segelverhältnisse zwischen den Inseln bestehen. Für die Erforschung der Herkunft der Altkanarier ist zweifellos die prähistorische Situation des gesamten Mittelmeerraumes und der atlantischen Küsten Südwesteuropas von größter Bedeutung und natürlich auch die nautischen Bedingungen der Gewässer nördlich der Kanarischen Inseln mit ihren Wind- und Strömungsverhältnissen. Diese Selbstverständlichkeiten verdienen deshalb so betont zu werden, da von seilen der "Kanarischen Schule" offenbar nicht alle diesbezüglichen Fakten ausreichend gewürdigt werden. Die Ursprünge der nordafrikanischen Kulturen des Iberomaurusien und des Capsien aus dem Mittelmeerraum gegen Ende der Altsteinzeit und die darauf ab dem 6. Jahrtausend v.Chr. folgenden, verstärkten Beziehungen im Rahmen eines "mediterranen Neolithikums", welches wiederum das "Neolithikum mit Capsien-Tradition" beeinflußte, wurden schon mehrfach nachgewiesen. Dazu CAMPS (1974: 263): "Es ist unmöglich, das mediterrane Neolithikum Nordafrikas zu studieren, ohne 41 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 die großen Bewegungen der Neolithisation einzubeziehen, die sich gegen Ende des 7. Jahrtausends v.Chr. im westlichen Mittelmeerraum ereigneten". Letzteres illustrieren die neueren Beiträge von BENSIMON & MARTINEAU (1987) für Marokko sowie AUMASSIP (1987) für Algerien. Beide Aufsätze betonen u.a. die Verknüpfung der jungsteinzeitlichen Bevölkerungen des nordafrikanischen Küstenraumes (der Vorfahren der Berber also) und ihrer Keramik mit dem mediterranen Raum, wobei die Nord-Süd-Beziehungen zwischen der iberischen Halbinsel und Marokko besonders intensiv waren (Abb. 5). Die iberische Halbinsel wird bei solchen Betrachtungen immer als der aktivere Part angesehen. Es muß also im einzelnen stark hinterfragt werden, was aus ethnologischer und kultureller Sicht am Protoberberischen wirklich autochthon afrikanisch ist und was auf mediterrane Einflüsse zurückzuführen ist. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die in Nordafrika nur im äußersten Nordmarokko aufgetretene Kardialkeramik (lediglich ein weiterer Fund bei Oran, Algerien: AUMASSIP 1987), deren Technik aus Andalusien stammte und ab dem fünften Jahrtausend v.Chr. in Marokko eingesetzt wurde. Dies kann als einer von zahlreichen Hinweisen auf einen schon sehr früh praktizierten Verkehr über die Straße von Gibraltar und das Alboran-Meer gewertet werden. Die Beispiele lassen sich fortsetzen: die Einführung kupferzeitlicher Glockenbecher-Keramik aus Portugal und der ersten (allerdings sehr wenigen) bronzezeitlichen Metallgegen- MITTELMEER Ostsahara·Fazies Abb. 5 Die verschiedenen Strömungen und Aspekte der Neolithisation Nordafrikas nach BENSIMON & MARTINEAU (1987). Man beachte die für Marokko und seine Küste relevante iberische Komponente. 42 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ständen aus Südspanien. Ebenfalls in die Bronzezeit werden Hunderte von marokkanischen Petroglyphen mit Waffendarstellungen datiert (MALHOMME 1953), für die deutliche Parallelen jenseits der Meerenge in den Formen der EI Argar-Kultur gefunden werden. Auch für die als fächerförmige Beile (z.B. Azib n'Ikkis, Marokko / MALHOMME 1954) und von manchen Autoren als ankerartige Idole bezeichneten Felsdarstellungen ist die typologische Herkunft von der iberischen Halbinsel eindeutig. Den Ursprung der auf Gran Canaria und Gomera (daß dem cromagnoiden Typen-Pol am nächsten liegt) gefundenen Jadeit-Beile vermutet BENITEZ PADILLA (1965) im Alpenraum und meint, daß sie schon mit dem Cro-Magnon-Typ über Spanien auf die Kanarischen Inseln kamen. Die neueste Untersuchung dieser Prunkbeile (SAUER 1990) deutet möglicherweise auf einen bretonischen Entstehungsort hin. So entwickelte sich in den Ländern des Mittelmeeres ein permanenter Prozess der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung und ethnischen Vermischung, der in den unterschiedlichsten Formen bis heute angehalten hat. Dies nicht nur von Nord nach Süd (und umgekehrt), sondern auch aus dem ostmediterranen Raum nach Westen, was sich schon ab dem vierten Jahrtausend v.Chr. in Spanien nachweisen läßt und in dem "orientalisierenden Horizont" einen gewissen Höhepunkt fand (zwischen 800 und 600 v.Chr. in Südspanien); entgegengesetzt die Verbreitung des megalithischen Ideengutes von West-Europa nach Osten. TEJERA & GONZALEZ (1987: 35) bemerken in diesem Zusammenhang: " .. .las culturas canarias no pueden entenderse como marginales desde la perspectiva eurocentrica o como manifestaciones de pervivencias arcaicas de otras culturas desaparecidas ... ". Dieser Vorwurf, die kanarische Prähistorie sei aus "eurozentrischer Sicht" eine "Randerscheinung" oder die "Manifestation eines archaischen Fortlebens anderer untergegangener Kulturen", kann so nicht akzeptiert werden. Altkanarische Geschichte, Ethnologie und Anthropologie stehen seit dem Beginn des 19. Jhs. im Blickfeld europäischer Wissenschaftler und wurden von diesen stets mit Engagement verfolgt (S. Berthelot, R. Verneau, E. Fischer, D.J. Wölfel, I. Schwidetzky, M. Fuste Ara u.a.). Dabei wurde immer wieder - und seit 1969 besonders auch von Mitgliedern des Institutum Canarium (Hallein) - die Wichtigkeit einer genauen Kenntnis der altkanarischen Kultur für das Verständnis des gesamten atlantisch-mediterranen Raumes betont. TEJERA & GONZALEZ (1987: 32f) führen die ethnisch, kulturell und zeitlich differenzierbaren Schichten sowie das abweichende Erscheinungsbild der Inseln untereinander allein auf die Zuwanderung (ab dem 5. Jh. v.Chr.) verschiedener und spät vom mediterran-atlantischen Umfeld beeinflußter Berberstämme zurück. Diese Hypothese steht und fällt mit 43 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 dem Zeitpunkt der Erstbesiedlung. Wie aber passen - von bestimmten unvereinbaren Kulturmerkmalen ganz abgesehen - die altkanarischen Cromagnoiden, die sich nach dem anthropologischen und archäologischen Befund seit der Substrat-Kultur in bestimmten Gebieten des Archipels neben dem mediterranen Typ relativ rein erhalten haben in dieses Bild, während auf dem nordafrikanischen Festland in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten der cromagnoide Mechta-Typ praktisch verschwunden war und nur noch sehr vereinzelt auftrat ? Nach CHAMLA (1978) waren nur 7% der in die Zeit zwischen 600 v.Chr. und 200 n.Chr. datierbaren nordafrikanischen Skelettfunde mechtoid und dies auch nur in isolierten Gebieten Ost-Algeriens und Tunesiens. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß sich Mitglieder dieser kleinen Gebirgspopulation auf die Ungewißheit einer Kanaren-Expedition eingelassen haben und dann noch sämtliche Inseln besiedelten ! Was sollte auch ihr Motiv für dieses Wagnis sein und woher hatten sie Kenntnis von den Inseln ? Wir können davon ausgehen, daß das Wissen über die Kanarischen Inseln in der Antike nur den marokkanischen Küstenbewohnern und darüberhinaus nur einer kleinen, der Seefahrt verbundenen intellektuellen Bevölkerungsschicht des Mittelmeerraumes zugänglich war. Eine erfreulich sachlich orientierte Sicht drückt sich in einer Arbeit des Festlandspaniers ONRUBIA PINTADO (1987) aus, wenn er sinngemäß vermerkt, daß das vorhandene archäologische und ethnographische Material über die letzte Phase der altkanarischen Besiedlung nicht für eine abschließende Betrachtung des gesamten Vorgangs herhalten kann. Er stimmt mit MARTIN DE GUZMAN (1984a) überein, der für Gran Canaria drei kulturelle Horizonte feststellt: eine schwer zu definierende, archaische erste Einwanderungsgruppe, darauf die Kultur der Cueva Pintada mit starken mediterranen Bezügen (nach BELTRAN/1972 um 2000 v.Chr., nach ONRUBIA/1986 um 1200 v.Chr.), und schließlich die berberophone "Tumulus-Kultur", die auf der Insel den tumulusorientierten Grabbau und den mörtellosen Hausbau einführte und vermutlich für einen Teil der Felsritzungen des sogenannten libysch-berberischen Schrifttyps / verantwortlich ist. Auf diese Menschen dürfte sich eine Hinweis beziehen, den wir bei FRUCTUOSO (1590) finden, nach dem ein Ureinwohner von Gran Canaria seine Vorväter unter der vorislamischen Bevölkerung der berberischen Küste vermutete. ONRUBIA PINTADO (1987) zitiert auch PETIT-MAIRE et al. (1979), die bei der Nekropole von Izriten bei Tarfaya - datiert auf das Ende des 4. Jahrtausends v.Chr. - von Menschen sprechen, die zur Besiedlung Makaronesiens beigetragen haben konnten. Die Skelettfunde wurden dem Mechta-el-Arbi-Typ zugeordnet, dessen Ausprägung aber im Ver- 44 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 gleich zu den kanarischen Cromagnoiden gröber und großwüchsigcr ist. Der jüngere kanarische Cromagnon-Typ, im Lauf der Zeit (noch auf dem Festland oder erst auf den Inseln ?) grazilisiert, mag deshalb von einer solch alten Gruppe abstammen, kann aber nur als annähernd mechtoid bezeichnet werden. Oder es war uns einfach noch nicht vergönnt, das Skelett eines älteren, dem Mechta-Typ entsprechenden Cromagnoiden auf den Kanaren zu finden. CAMPS (1980) betont aufgrund der fehlenden anthropologischen Bindeglieder die Schwierigkeit, die Spur des cromagnoiden Menschen von Mechta-el-Arbi sowohl über · Spanien nach Westeuropa, als auch über Nordostafrika nach dem Vorderen Orient zurückzuverfolgen. Daß die bisherigen Hinweise - z.B. auf der iberischen Halbinsel - noch kein geschlossenes Bild ergeben, bedeutet nicht, daß künftig weitere, aufhellende Funde ausgeschlossen sind. CAMPS meinte jedenfalls aus dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse schließen zu können, daß der Mechta-Typ sich in situ, also in Nordwestafrika, während des Iberomaurusien und damit zum Teil noch nach dem 10. Jahrtausend entwickelte. Diese Hypothese wurde nicht von allen Prähistorikern übernommen, da es auch in der Abstammungslinie vom nordafrikanischen Aterien-Menschen zum Iberomaurusien eine große zeitliche Lücke gibt ( > Abb. 6). Auch die anthropologische Zuordnung des Aterien-Menschen selbst ist noch unklar. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt dagegen - aus der Sicht einiger Fachleute - eine Abstammung des nordafrikanischen Cro-MagnonTyps aus dem Vorderen Orient, was man anhand der (wenn auch spärlichen) Zeugnisse von kulturellen Zwischenstufen (Ägypten, Nordsudan) ableiten könne; wobei die Hinzunahme eines neandertaloiden Unterkiefers aus Haua Fteah (Cyrenaika) inzwischen ein unbrauchbares Argument ist, denn neueste Datierungen sprechen von einem Proto-Cromagnoiden in Palästina, der um ca. 40.000 Jahre älter ist als der dortige Neandertaler. Offenbar stammt der Cro-Magnon-Typ doch nicht vom Neandertaler ab, wie man lange angenommen hatte. Aber auch für einen Weg über die iberische Halbinsel lassen sich entsprechende Hinweise anführen: Cromagnoide Skelettfunde liegen aus der Cova de Parpall6 (Gandia, Prov. Valencia) und der Cueva de Nerja (Prov. Malaga) vor - beide in das Solutreen datiert (im ersten Fall um 18.500 v.Chr.). Für bestimmte mesolithische Menschen von Muge (Portugal) wird eine Zugehörigkeit zum cromagnoiden Typus diskutiert. Cromagnoide Stirnknochen mit großer Ähnlichkeit zu jenen des Mechta-Typs wurden in der Cova del Barranc Blanc (R6tova, Prov. Valencia) entdeckt (ALCOBE 1954). Der Fund gehört einer Schicht an, die zum Epigravettien der spanischen Levante gezählt wird und sich damit zeitlich mit dem 45 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Abb. 6 Synchronistische Zeittafel A tausend Jahre v.Chr. 80 70 60 50 40 30 20 10 1 1 Nordafrika: Mittelpaläolithikum-•--•-••-•--... --... --... - Epipaläolithikum (Mernlithiku TI) ......... ....... ...... ..... ........ ............ ...... .... .. ..... -- Neolithikum ............. ..... ....... .. .. ..... ...... .. ....... .. ....................... ... ..... .. ...... ... .. .. ......... - Mousterien ........ ..... -•--•--•-•-• Aterien ... ... ............... ...... .............................. ..... ...... - ... _ ... _ lberomaurusien(Orani~n) .. ...... ................... .................. ........... ........... .. ....... -• Capsien ........ .. ...... .. .. ............... ............................... ........ ............... ..................... - Synchronistische Zeittafel B Jahre 0 1 (00'.) 5000 400) :JXXl 200'.) ICXXJ 0 lCXXJ 200'.) 1 Megalithentum - Frankreich .................................... ·······-•--•--•-• - Iberische Halbinsel (in! 1. Balea1 en) .. -•--•--•--• - Marokko ........ .................. ........................... ... ... ............................ - - - Italien (inkl. Sardinien) ................ .............. •-•--•--•-• -Algerien / Tunesien ......................... ............... .................... .. ........ ..... - • • ") - Malta ........... ..................................................... .. ....... --.. • - Kanarische Inseln.......... ............. .............. ...... • • • 1 • • • • • .. ) Bronzezeit in Spanien ..... .. ..... ... .... ................... ........ .............. ··--•• Mittelmeer-Neolithikum •--•--•----•-Capsien- Neolithikum ......• --•-••-•--•-- Besiedlung der Kanariscl~en lnse n............ ...... 1· Phase 2· Pha 8 •-3 . Ph•se Tartessos ... ........... .. .......... .............. ..... ......... ............................ ...... ... E ::~~:~~.~'.~.~.~:.~~ ~.-.~.~~.-.~~.~-~-~~'..~~-~.~~-~ ~'.~.~~.~~~'..-.-.-.-.-.-.. .-. . - Römische Republik und Weströn isches F,eich...... ...... ....... ........ .. .... ...... - - Bei bestimmten Zeiträumen in wurde auf eine weitere Untergliederung verzichtet. *) Wiederverwendung megalithischer Grabbauten im östlichen Maghreb bis in das 3. Jh. n.Chr„ **) Manche megalithische Erscheinungsform der altkanarischen Kultur hat sich - neben anderen Formen - bis in die Zeit der Conquista erhalten. frühen lberomaurusien überschneidet. Nach PERICOT (1955) war die durch die Cova del Barranc Blanc typisierte menschliche Gruppe in der Lage, die Straße von Gibraltar zu überqueren und sich so zu beiden Seiten des Mittelmeeres auszubreiten. SAVORY (1968) äußert sich ähnlich, wenn er Menschen der spanischen Mittelmeerküste mit Merkmalen der Gravettien- Kultur als mögliche Gründer (um 15.000 v.Chr.) des Oranien (lbero- 46 f © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 .--.... - Type de Mechta 3,' ' A-t--R-T 1 ',..,.._ ~- Abb. 7 Hypothesen über den Ursprung des Typs "Mechta" (aus VALLOIS 1969): 1. Transiberische Abwanderungen auf Kosten der Cromagnoiden Westeuropas. 2. Zeitgleich mit -1- wandern palästinensische Präcromagnoide nach Nordafrika. 2'. Palästinensische Präcromagnoide bilden den westeuropäischen Menschen von Cro-Magnon. 3. Oifferenziation vor Ort mit den Entwicklungsstadien: T = Atlanthropus von Ternifine, R = Prä-Neandertaler von Rabat, 1 = Neandertaloider von Djebel lrhoud, A = Mensch von Mechta-Afalou. 4. Passage des Typs "Mechta" zu den Kanarischen Inseln. maurusien) ansieht. Die von V ALLOIS 1969 vorgenommene Zusammenstellung der verschiedenen Hypothesen über den Ursprung des Menschen von Mechtael- Arbi (Abb. 7) hat in bezug auf den palästinensischen Ausgangspunkt des Cro-Magnon-Menschen eine aktuelle Bestätigung erfahren: der Fund von "Proto-Cromagnoiden" in Qafzeh und Skhül (Israel), die deutlich von ebenfalls dort gefundenen Neandertalern (Tabun, Amud, Kebara) unterscheidbar sind und bereits vor rund 100.000 Jahren gelebt haben (V ALLADAS 1990). Damit bleibt mehr als genügend Zeit für eine Migration dieses Menschen nach Westeuropa und für eine modernere Ausprägung seines Skelettes hin zum Troglodyten von Les Eyzies-de-Tayac. Wichtig für unsere Betrachtungen ist es, wenn CAMPS (1980) weiterhin ausführt, daß sich an den maghrebinischen Küsten ein robuster Mechta-Typ erhalten habe, während im Landesinneren ein interner Prozess der Grazilisation - ohne Beimischung jüngerer Elemente - einsetzte (CAMPS folgt hier CHAMLA 1976). Da aber auf den Kanarischen Inseln nur der grazil-cromagnoide Typ gefunden wurde, würde dies bedeuten, daß nicht der nordafrikanische Küstenbewohner, sondern der nautisch 47 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 unerfahrene Bergbewohner die Überfahrt zu den Inseln wagte. Das ist sehr unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich. Aus diesem Dilemma gibt es zwei Lösungsansätze: a) Der kanarische Mechtoide kam schon in seiner robusten Variante auf den Archipel (was allerdings nach den Skelettfunden bislang nicht belegt ist) und grazilisierte auf den Inseln selbst. Dies würde eine sehr frühe, zum Mesolithikum tendierende Zuwanderung bedeuten. b) Der kanarische "Mechtoide" ist gar kein Nachkomme des Menschen von Mechta-el-Arbi, sondern stammt von einem Cro-Magnon-Typ ab, der sich von Westeuropa über die iberische Halbinsel bis zu den Kanarischen Inseln ausbreitete. Er wäre damit ein "Bruder" oder ein "Vetter" des Mechta-el-Arbi-Menschen, je nach dessen westeuropäischer oder palästinensischer Urheimat. Nach dem weiter oben Ausgeführten scheint - bis zum Auftauchen neuer archäologisch-anthropologischer Erkenntnisse - Ansatz b) der logischere zu sein; trotzdem kann Ansatz a) nicht völlig ausgeschlossen werden. Relevant für diese Vorgänge ist der Ausgangspunkt der Expeditionen. Die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln wird aufgrund der Windund Strömungsverhältnisse immer schwieriger, je weiter man sich an der marokkanischen Küste nach Süden bewegt. Der Versuch einer Überfahrt mit einfachen Booten und primitiven Segelmethoden an der engsten Stelle zwischen Tarfaya und Fuerteventura birgt die große Gefahr in sich, südlich an den Kanarischen Inseln vorbeizudriften. So ist auch die bei extrem klarem Wetter als möglich bezeichnete Sicht bis Fuerteventura oder sogar bis zum Teide (Tenerife) kein Indiz für die Erreichbarkeit von diesem Punkt aus, sondern nur für das frühe Wissen um die Existenz der lnse\n. Gute Chancen bietet dagegen ein Abfahrtspunkt in Nordmarokko, oder - noch besser - in West-Andalusien oder Südportugal. Nach einer Guanchen- Überlieferung (ESPINOSA 1591) trafen die ersten 60 Besiedler Tenerifes, die nach unseren heutigen Kenntnissen cromagnoid waren, an der Nordküste der Insel ein. Dies könnte ein vager Hinweis auf einen Ausgangspunkt in Südspanien sein, da bei Inselspringen (von Ost nach West) aufgrund der interinsularen Strömungsverhältnisse eher die Ostoder Südküste angelaufen worden wäre. Überhaupt muß festgehalten werden, daß es wohl kaum "Landratten", wie die Bewohner des Hohen Atlas und der inneren Sahara, waren, die sich auf das Wagnis der Überfahrt eingelassen haben - ohne nautische Kenntnisse und mit der abergläubischen Furcht des vor- und frühgeschichtlichen Menschen vor dem Unbekannten. Hier ist es notwendig, sich in die Psyche dieser Zeit hineinzuversetzen. Es ist auch schwer vorstellbar, daß 48 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 berberische Nomaden ihr freies Leben in den Weiten der Sahara gegen ein für sie ungewisses, enges Inselleben ohne Rindvieh, Kamele und Pferde eingetauscht haben - auch wenn sich die Verhältnisse durch die Austrocknung der Sahara verschlechterten. Als Rückzugsgebiete blieben immer noch einige Oasen sowie der Atlas und die südsaharischen Gebirge. Selbst der heutige Berber würde sein (nur aus unserer Sicht) karges Leben im Atlas oder in der Sahara nie mit den Verlockungen der modernen Kanarischen Inseln eintauschen. Warum sollte es der frühgeschichtliche Berber getan haben? Parallelen zur altkanarischen Kultur, die von einigen Autoren immer wieder unter den unterschiedlichsten Berberstämmen des nordafrikanischen Binnenlandes gesucht werden, können deshalb im Vergleich zu Parallelen aus maritimen Bereichen nur von weitaus geringerer Bedeutung sein. Oder anders ausgedrückt: Ein extrem wichtiger Aspekt bei der Suche nach dem Ursprung der altkanarischen Siedler ist die Notwendigkeit, daß sie eine gewisse Abenteuerlust und eine große Vertrautheit mit dem Meer besaßen! Man denke auch an die Bedeutung, die das Meer in ihrer Glaubenswelt besaß. Es sind deshalb die Küstenbewohner des Mittelmeeres und des Atlantiks, die zuerst in Frage kommen. Was konnte sie gereizt haben, das Wagnis der Überfahrt auf sich zu nehmen? Im Hinblick auf berberischen Unternehmungsgeist sei Pomponius Mela (um 50 n.Chr.) angeführt, der von der Trägheit (segnitia) der Berber berichtet. Auf jeden Fall mußten die ersten Siedler unbelastet von jenen Beobachtungen sein, die ein Bewohner des nahen Festlands machen konnte: Denn gerade in der Zeit vom 3. bis zum 1. Jahrtausend haben auf Lanzarote einige Vulkanausbrüche stattgefunden (z.B. Monte Corona), was im Glauben der damaligen Zeit nur die Präsenz von bösartigen Mächten bedeuten konnte. Offenbar wurde das Auf treten von Vulkanausbrüchen, das unzweifelhaft auf marokkanischer Seite registriert worden sein muß, nicht über ein regionales Gebiet hinaus weitererzählt oder ging in der Mund-zu-Mund-Verbreitung unter (erklärbar durch die geringe Bevölkerungsdichte). Solche Inseln mit feuerspeienden Bergen waren sicher kein attraktives, fest geplantes Ziel für Menschen, die eine neue Heimat suchten, es sei denn, man wußte nichts darüber oder man erreichte die Inseln zufällig. Dies spricht dafür, daß Expeditionen innerhalb des oben genannten Zeitrahmens nicht von der gegenüberliegenden Festlandsküste starteten. Es ist auch völlig ungeklärt, zu welchem frühgeschichtlichen Zeitpunkt die berberische Küstenbevölkerung des atlantischen Marokkos über seegängige Boote verfügte. Die immer wieder angeführten (z.B. NA V ARRO MEDEROS et al. 1990: 108) Fischer von Sous (Agadir, Marokko) mit ihren traditionsreichen Paddelbooten ("garrabu") würden bei einem Ver- 49 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 such, die Kanarischen Inseln ohne Kreuzen (in Ermangelung von Segeln) anzusteuern, südlich an Fuerteventura und Lanzarote vorbeigetrieben werden. Ab einem bestimmten Zeitpunkt (1200 v.Chr. ?) muß die Kenntnis über die Kanarischen Inseln durch verstärkte Beobachtungen von Seefahrern des Mittelmeer-Raumes konkretisiert worden sein. Selbst wenn diese frühen Entdecker die Inseln in einer Zeit ruhender vulkanischer Aktivität besuchten, muß doch der vulkanische Charakter des Archipels aufgefallen sein. Ähnliche Vorgänge waren ja durch heimische Vulkane (Ätna, Vesuv, Stromboli, Thera) bekannt. Der Vulkanismus der "Glücklichen Inseln" erscheint aber mit keinem Wort in den antiken Texten. Spätestens mit den Phöniziern dürften die Kanarischen Inseln auch von Besuchern angelaufen worden sein, die ihr Wissen über die Inseln nach ihrer Rückkehr zum Heimathafen weitergaben. So verwundert es, daß der vulkanische Aspekt der Kanarischen Inseln nicht überliefert ist. Erst im späten Mittelalter wird darauf Bezug genommen. Die weiter oben (und auch von anderen Autoren) erwähnte Zufälligkeit der vor- und frühgeschichtlichen Kolonisierung der Kanarischen Inseln kann sich nur auf das Erreichen dieses bestimmten Archipels beziehen. Nicht zufällig, sondern geplant, war die Absicht der Siedler, ihre Heimat zu verlassen und neuen Lebensraum zu suchen, was sich eindeutig in der Mitnahme von Familien (oder zumindest Frauen), Saatgut und Kleinvieh zeigt. Es sei kurz auf die Hypothese einiger französischer Prähistoriker (BILLY 1982, CAMPS 1969, BALOUT 1969) eingegangen, die für eine frühestens postneolithische Einordnung der ersten Einwanderungsphase plädieren. Dazu werden im wesentlichen folgende Argumente genannt: • Das Fehlen der Verstümmelung des Gebisses bei den Altkanariern, was unter der prähistorischen Bevölkerung Nordwestafrikas noch bis zum Neolithikum praktiziert wurde (Entfernen der Schneidezähne). Dies trifft im großen Ganzen zu, von einem einzelnen Fall auf Gran Canaria abgesehen (GARRALDA & NERO 1982). Allerdings wurde auch im Maghreb diese Sitte nicht einheitlich angewendet; bei den neolithischen Bestattungen entlang der marokkanischen Küste zwischen Gar Cahal und Izriten ist sie nicht feststellbar (ONRUBIA PINTADO 1987). Eine noch neolithische Zuwanderung der ersten Besiedler der Kanarischen Inseln vorausgesetzt, kann das Fehlen der Gebiß-Verstümmelung auch ein Indiz für einen nicht in Nordafrika liegenden Ursprung sein. • Das Fehlen des Rindes in der altkanarischen Kultur. Ob die Gründung der altkanarischen Gesellschaft im Neolithikum oder später erfolgte, ist anhand dieses Gesichtspunktes schwer einzugrenzen. Jeglichen Seefah- 50 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 rern - ob aus dem atlantischen Europa, dem Mittelmeerraum oder dem atlantischen Maghreb - war die Mitnahme von Rindern ( sowie Pferden und Kamelen, die erst ab dem 15. Jh. von den Spaniern importiert wurden) und entsprechendem Futtervorrat auf ihren mit beschränktem Raum ausgestatteten Expeditionsbooten sicher zu problematisch im Vergleich zum Transport von kleinwüchsigeren Ziegen und Schafen; oder sie waren - was auf die berberischen Kolonisten zutreffen dürfte - nicht auf Rinderzucht angewiesen, sondern auf Feldanbau und Fischfang. Nach MUZZOLINI (1983) erschien das Rind in seiner domestizierten Form erst um 2.000 v.Chr. im atlantiknahen Sahara-Raum. Dies würde - die Mitnahme von Rindern als technisch möglich erachtet - sogar für kanarische Siedler v o r diesem Zeitpunkt sprechen. • Die bei den Altkanariem festzustellende gestreckte Rückenlage der Toten im Gegensatz zur Hockstellung, wie sie in Nordafrika noch bis in protohistorische bzw. punische Zeiten erfolgte. Dazu ist anzumerken, daß die Position der altkanarischen Toten nur bei 6% aller Funde aufgezeichnet wurde (ARCO AGUILAR 1976). In einzelnen Fällen wurde auch eine Veränderung der Bestattungslage durch Bodensenkungen oder eine partielle Zerstörung der Skelette durch Bodenerosion festgestellt. Darüberhinaus sind von Tenerife (LORENZO PERERA et al. 1976; JIMENEZ SANCHEZ 1941), Gran Canaria (CHIL Y NARANJO 1880), La Palma (HERNANDEZ PEREZ 1977), Fuerteventura (ACOSTA SOSA et al. 1988) und Gomera (DIEGO CUSCOY 1953) Fälle von Hokkerbestattung bekannt (in der Cueva de los Toscones, Gomera, deutlich in einer älteren Schicht, als die ebenfalls dort vorgefundenen Bestattungen in gestreckter Lage). Ein unsicherer Fall von Hockerbestattung wird von Lanzarote berichtet (HERNANDEZ CAMACHO et al. 1987). • Das Fehlen von Ocker als rituelle Farbe bei altkanarischen Bestattungen. ARCO AGUILAR (1976: 24) berichtet aber, daß die aus Ziegenleder bestehende Umhüllung der altkanarischen Trockenleichen (Mumien) in Einzelfällen rot gefärbt war. Auch bei Gebrauchsgegenständen aus Leder wurde - wenn auch nicht verbreitet - eine Färbung mit gelben und roten Mineralien praktiziert (MIES 1960). Für die Ausschmükkung der Kleidung auf Gran Canaria ist dies auch durch den Bericht von Niccoloso da RECCO (1341) belegt. CADAMOSTO (1455) schreibt, daß sich die Grancanarios sogar mit Kräutersäften grün, rot und gelb anmalten. Dies könnte ein spätes Nachklingen archaischer Farbrituale sein, was bei der konservativen Grundhaltung der Altkanarier nicht unmöglich erscheint. Begräbnisrötel wurde in Nordafrika vom Iberomaurusien bis in römische Zeiten hinein verwendet. Hier ist zu ergänzen, daß das Fehlen bestimmter Kulturmerkmale 51 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 nicht nur chronologische, sondern auch ethnisch-geografische, also herkunftsbedingte, Gründe haben kann, was wiederum die alleinige Abstammung von den Berbern oder ihren Vorfahren in Frage stellt. Bei diesen doch etwas unsicheren Argumenten für eine postneolithische Besiedlung lohnt es sich, eine andere Hypothese mit heranzuziehen: Auffallend ist die Verbreitung des Megalithentums entlang der atlantischen und mediterranen Küsten, ihr maritimer Charakter also, mit einem Ausgangspunkt im westlichen Europa. Herausragende Entwicklungszentren waren die Bretagne und der Westen und Süden der iberischen Halbinsel. Auch die über See kolonisierenden Erstbesiedler der Kanarischen Inseln weisen in bestimmten Archaismen megalithische Merkmale auf: künstliche bzw. natürliche Monolithen im Kultus, Petroglyphen mit konzentrischen Kreisen, Spiralen und Wellenlinien, Steinkreise, Steinhaufenaltäre, Libationsrinnen, Näpfchensteine, fettleibige Idolfiguren, die Tradition der Muschelhaufen und anderes mehr (siehe 3. Kapitel). Dies kann nicht nur die sekundäre Verarmung eines postneolithischen oder sogar nur frühgeschichtlichen Kulturkreises bedeuten. BIEDERMANN (1983) formuliert dazu: "Plausibler ist es, 'Mesolithiker' mit religiösen Ansätzen zu den Ideenkomplexen des Megalithentums als erste maritime Besiedler der Kanarischen Inseln aufzufassen, ohne deshalb spätere Kontakte mit Menschen aus dem mediterranen Raum auszuschließen". Die megalithischen Aspekte der altkanarischen Kultur sind zwar in ihrem Ausmaß unter den spanischen Wissenschaf tlem umstritten aber nicht gänzlich verneint, werden aber von TEJERA & GONZALEZ (1987) mit keinem Wort erwähnt. Die Einführung der in Marokko und West-Algerien auf den äußersten Norden des Landes konzentrierten Dolmen ist eindeutig auf die Megalithiker der iberischen Halbinsel zurückzuführen. Man geht heute davon aus, daß dieser Kontakt erstmals in der Mitte des 2. Jahrtausends stattgefunden hat, oder sogar erst um 500 v.Chr. (TARRADELL 1969a: 224 ). Siedelt man die Erstkolonisierung der Kanarischen Inseln durch megalithisch beeinflußte Gruppen zwischen 3500 und 2000 v.Chr. an, dann kann das sowieso nur sehr schwach ausgeprägte marokkanische Megalithikum nicht daran mitgewirkt haben. Auch im Zuge der zweiten Besiedlungsphase dürfte es kaum eine Rolle gespielt haben, wobei nicht auszuschließen ist, daß sich Megalithisches aus dem süd- und ostmediterranen Raum über die nordafrikanischen Küsten bis zu den Kanarischen Inseln auswirkte. Das Megalithikum in Ost-Algerien und Tunesien entwickelte sich getrennt von jenem in Marokko und traf über Sardinien, Sizilien und Süditalien ein (> Abb. 8 und CAMPS 1961), möglicherweise auch mit Einflüssen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Die megalithischen Grabbauten Algeriens und Tunesiens wurden, wie es scheint, zum Teil noch bis 52 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 in das 3. Jh. unserer Ära wiederverwendet. HERNANDEZ PEREZ (1980: 43) bemerkt zu der durch Kreise und Spiralen gekennzeichneten Kulturschicht auf La Palma: "Die wenigen Parallelen in Afrika, sowohl bei der Keramik, als auch bei den Felsritzungen, und die zahlreichen europäisch-atlantischen Parallelen führen uns zu der Theorie, daß diese zweite menschliche Gruppe aus atlantischen Gebieten stammt; mit einem Ankunftsdatum, das wir nicht präzisieren können, angesiedelt bei der Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend v.Chr.". Auch ein früherer Zeitpunkt ist denkbar, denn das Megalithikum, zu dem diese palmesischen Formen zu rechnen sind, hatte bereits im 5. Jahrtausend v.Chr. Portugal erfaßt, das aufgrund der nautischen Bedingungen als Ausgangspunkt für die frühen Besiedler La Palmas vorrangig in Frage kommt. Aber vielleicht sind die megalithischen Verwandtschaften La Palmas sogar noch weiter nördlich zu suchen: Die auf La Palma gefundenen Krummstäbe ( als Beigaben einer Höhlenbestattung) erinnern stark an Formen, wie sie als Gravierungen auf bretonischen Menhiren und Dolmen auftauchen: Table des Marchands, Mane-Rutual, Dolmen de Kerveresse (alle bei Locmariaquer) und andere (siehe auch DIEGO CUSCOY 1955, BATT et al. 1985). Krummstäbe wurden - ebenfalls als Beigabe - in portugiesischen Megalith-Gräbern gefunden. Bemerkenswert ist weiterhin, daß HERNANDEZ PEREZ (1980) bei zwei weiteren, älteren Schichten (III und IV) atlantische Parallelen für deutlicher als afrikanische hält. Den in f:1!l!I IIYP•det iIIIIIII Dolaffla Abb. 8 Dolmen und Hypogäen des westlichen Mittelmeerraumes (aus CAMPS 1961). 53 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Nordafrika seltenen, aber in Europa häufiger auftretenden partiellen Leichenbrand gibt er schon für die älteste Schicht auf La Palma an. Seine Einschätzungen in bezug auf die Typologie der vorspanischen palmesischen Keramik stehen ganz im Widerspruch zu NA V ARRO MEDEROS et al. (1990), für die nur nordafrikanische Parallelen existieren: Aufgrund neuerer Ausgrabungen (Cueva Tendal, Cuevas de San Juan u.a.) sprechen sie von einem "alten" Horizont A (Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. - bis Ende des 1. Jahrtausends n.Chr.) mit den keramischen Phasen I, II und III und west-maghrebinischen Bezügen sowie von einem "rezenten" Horizont B (ab Ende des 1. Jahrtausends n.Chr.) mit der keramischen Phase IV und saharischen Bezügen. Manche Autoren schließen aus der Situation der kanarischen Kultur zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung durch die ersten Europäer auf einen Verarmungsprozeß. Eine Verarmung der altkanarischen Kultur, die aber mehr als eine Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten zu werten ist, kann in drei Punkten festgestellt werden: 1. Durch das Fehlen von Metallen auf den Inseln mußte auf Obsidian- und Basaltklingen zurückgegriffen werden. Wie früh aber im Zusammenhang mit der Technik bestimmter Felsritzungen doch vereinzelt Messer auf die Inseln gelangten, etwa durch Mitglieder der zweiten bzw. dritten Besiedlungsphase, durch Phönizier, Karthager, Mauritanier, Römer, Araber oder die ersten Europäer, läßt sich zeitlich außerordentlich schwierig nachvollziehen, da Messerfunde - und überhaupt vorspanisch datierbare Metallfunde - bislang nicht vorliegen. Die Expeditionsausrüstungen und damit auch der Anteil metallischer Gegenstände dürften jedoch sehr klein gewesen sein. Die wenigen Messer, die existiert haben konnten, wurden sicher schnell zerschlissen. 2. Die nautischen Fähigkeiten und der maritime Unternehmungs: geist bildeten sich zurück, erlahmten aber zumindest im interinsularen Bereich nie ganz (ULBRICH 1989: 67, 90f). Man denke an die schiffsähnlichen Felsbilder (Gran Canaria, Lanzarote, Fuerteventura), an die Verteilung der Gruppen von Insel zu Insel, an das durchgängige sprachliche Substrat (DIAZ ALAYON 1989a) und an die Kenntnisse, die die Insulaner schon vor der Conquista voneinander hatten. Rückkontakte mit dem Festland sind in antiken und mittelalterlichen Schriften so gut wie nicht belegt und deuten auf eine Isolation hin, deren Gründe in den widrigen Meeresströmungen und Winden gelegen haben mochten, verbunden mit einem - von gelegentlichen, klimatisch bedingten Hungersnöten abgesehen - ausreichenden ökologischen Ambiente, das Handelsfahrten zum Festland nicht erforderte. Es gab aus altkanarischer Sicht auch keine offerierbaren Tauschgüter. Der Handelswert der Färberflechte (Rocella-Artcn; spanisch 54 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 "orchilla") zur Gewinnung des Purpur-Farbstoffes und der Wert des "Drachenblutes" (Saft des Drachenbaumes / Dracaena draco L.) als Droge bzw. ebenfalls als Farbstoff war den Insulanern unbekannt. Beides gewann erst in den 90er Jahren des 14. Jhs. durch den Kontakt mit andalusischen Händlern an Bedeutung. Schon in der Antike (Phönizier, Mauritanier) und später auch im Mittelalter (Araber ab dem 9. Jh., Europäer ab 1291) dürften die schlechten Erfahrungen mit feindlichen Expeditionen hinzu gekommen sein. RECCO, Navigator und Chronist der portugiesischen Expedition von 1341 vermißte Boote völlig, obwohl aufgrund einiger Hinweise von Kontakten zumindest zwischen den sehr nahen Inseln Fuerteventura und Lanzarote ausgegangen werden kann. TORRIANI (1590) erwähnt ganz konkret Boote aus Drachenbaum-Holz mit Segeln aus Palmzweigen, die für den Verkehr zwischen Gran Canaria und den Nachbarinseln Fuerteventura und Tenerife eingesetzt wurden. Berücksichtigt man, daß die Fertigkeit Baumstämme auszuhöhlen beherrscht wurde (Holzsärge auf Gran Canaria), dann ist auch die Herstellung von Einbäumen vorstellbar. Nach ABREU GALINDO (1602) besaßen die Ureinwohner von Tenerife ein Wort für "Schiff" (guihon, guijon). MARIN DE CUBAS (1694) berichtet von einer Sage, in der eine Frau von Gomera auf aufgeblasenen Ziegenhaut-Schläuchen nach Hierro schwamm. IBN-KHALDUN überliefert den Bericht kanarischer Eingeborener, die 1377 in Marokko als Sklaven gehalten wurden und sich selbst ausdrücklich als segelkundig bezeichneten. Es ist auch denkbar, daß die kanarische Landnahme - im Hinblick auf Vorsiedler - nicht ganz friedlich abgelaufen ist und zu einer Einschränkung des Verkehrs unter den Inseln beigetragen hat; ausgehend von der Hypothese, daß ab 2000 und verstärkt ab 1200 v.Chr. auch aggressive ostmediterrane Seevölker an der Kolonisierung teilgenommen haben. Zumindest ist der Besuch der einen oder anderen Seevölker-Gruppe nicht auszuschließen. Dies würde manches erklären: Die Felszeichen mit Ähnlichkeit zur kretischen Linear-B-Schrift und zum Thera-Melos-Typ; die Einführung der Trockenleichen-Technik; die orientalide Komponente in der altkanarischen Bevölkerung (FUSTE 1959); die Statuetten fettleibiger Figuren (mit verblüffender Ähnlichkeit zu jenen von Malta und Kreta / siehe Abb. 9 und 10) und die vermutlich damit zusammenhängende Mästung verlobter Mädchen auf Gran Canaria; die grancanarischen Keramiktöpfe mit ihrer Ähnlichkeit zu sizilianischen oder ägäischen Typen (MARTIN DE GUZMAN 1984a: 603); die Pintaderas, die - aus dem Osten kommend - sich nicht nur bis nach Nordwestafrika, sondern auch nach Europa (u.a. Ligurien, Sardinien und Spanien; > Abb. 25) verbreiteten; die Praxis der Ge- 55 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a b Abb. 9 Fettleibige Figuren, die auf einen Fruchtbarkeits-Ritus hindeuten; Beispiele von Jinämar, Gran Canaria (a) und Hagar Qim, Malta (b). schwisterehe im Hochadel Tenerif es zur Reinhaltung des Blutes, wie in altägyptischen Königsfamilien; die Scheibenglied- oder ZylindergliedKetten von Tenerife und Fuerteventura (cuentas de collar segmentadas) mit ihren auffallenden Parallelen zu den "segmented beads" von Ägypten und Palästina, deren Stil unter anderem auch auf Sardinien und in Südspanien feststellbar ist; der kanarische Ringkampf (lucha canaria) mit seinen ägyptischen Kampfstellungen (ALVAREZ DELGADO 1945). Zu dieser Hypothese ostmediterraner Besiedler der Kanarischen Inseln eine Aussage von SCHULTEN (1950: 23): "Nach 1200 v.Chr. war also das Mittelmeer voll von Vertriebenen, die neue Wohnsitze suchten. Die einen in Sizilien und Italien, andere (Tyrsener, Karer, Myser) im fernen Westen, in Spanien und Westafrika. Es war eine wahre Völkerwande- · rung zur See .... Es war zugleich der Anfang der Piraterie, die damals mehr an der Küste als auf hoher See ausgeübt wurde". Diese Seefahrer besaßen die nötige Erfahrung und den Wagemut für ein Vorstoßen in unerforschte Meere. 3. Der Einsatz des Rades zur Erleichterung von Transporten war den ersten Siedlern vermutlich unbekannt bzw. den jüngeren Siedlern nicht opportun. Wagen boten sich auf dem bergigen und steinigen Gelände nicht an. Zugtiere gab es nicht, was auch der Grund für das Fehlen des Pfluges sein dürfte. Die runde Scheibe als solche war aber nicht ungebräuchlich: Teller und die allerdings frühestens aus karthagisch-römischer Zeit stammenden Handmühlen. Radähnliche Darstellungen (Sonnenräder) wurden in Form von Felsgravierungen (Tenerife, La Palma) und dreidimensionalen Pintadcras (Siegel oder Umhänger von Gran Canaria) festgestellt. 56 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a C b Abb. 10 Links oben (a) die neolithische Schlangenfrau von Kato Hierapetra, Südkreta; rechts oben (b) eine Figurine von der Fortaleza de Abajo, Sta. Lucia de Tirajana, Gran Canaria; links (c) eine bronzezeitliche ldolplakette in der sogenannten Violinform aus Beycesultan (Türkei). Die Entwicklung der altkanarischen Kultur präsentiert sich deshalb nicht so sehr als verarmt, sondern eher als ein konservativer Prozeß, der aufgrund der geringen Bevölkerungszahl - verstärkt durch die Isolation zwischen den Inseln und durch die Isolation des Archipels vom Festland - nahe der Stagnation sehr langsam abgelaufen ist und nur durch die im Lauf der Zeit eintreffenden Siedlergruppen Impulse bekam. Ab 400 n.Chr. dürften diese Impulse weitgehend ausgeblieben sein, so daß sich jenes altertümliche Bild erhalten konnte, das wir heute feststellen. 3. Altkanarier - Berber: die fragwürdige Signifikanz kultureller Parallelen Die Zuwanderung des berberischen Menschenschlags auf die Kanarischen Inseln seit der Zeitenwende setzte sich - freilich in anderer Form - bis zu den Importen von Berber-Sklaven Mitte des 15. bis Anfang des 17. 57 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Jhs. durch die Insel-Spanier fort. Dies verschiebt die Entstehung der von den kanarischen Wissenschaftlern so gerne herangezogenen Parallelen zwischen dem Berberischen und den heute noch existenten Resten der altkanarischen Sprache und Felsinschriften zum Teil bis in die Neuzeit (ULBRICH 1990). Angesichts der deutlichen, nicht nur zeitlichen Unterschiede der altkanarischen Kulturschichten ist es nicht verwunderlich, daß nicht alle linguistischen Probleme der altkanarischen Sprache berberisch gelöst werden können (GALAND 1973, 1979: 15). So sah es schon WÖLFEL (1955: 20), wenn er sagt, daß "wir (altkanarische) Wörter haben, die in semantisch so enger Übereinstimmung bei fast völliger lautlicher Gleichheit mit berberischen Worten sind, daß wir auf die engste Verwandtschaft schließen müssen; wir haben andere, die sich berberisch nicht etymologisieren lassen und dazu Texte, die nach bloß berberischer Formenlehre und Syntax nicht aufgehen wollen". WÖLFEL schließt daraus, daß das Altkanarische, genau wie das Ägyptische, im Rahmen des Libyschen nur wurzelverwandt mit dem Berberischen ist. GALAND (1988), der zwei Endechas (altkanarischer Trauergesang) von Gran Canaria und Hierro auf berberische Wortparallelen hin untersuchte, konnte eine ins Auge springende Sprachverwandtschaft nicht feststellen. Er unterstreicht deshalb eine Feststellung von WÖLFEL (1965: 371), der im Zusammenhang mit der gleichen grancanarischen Endecha schreibt, daß das Altkanarische nicht bloß eine Mundart des heutigen Festlandsberberisch sei. Hinzu kommen die ganzen Fehlerquellen in der Übertragungslinie bis in unsere Tage: • falsche Umsetzung der altkanarischen Phonetik (siehe auch die Wortbeispiele im nächsten Punkt) in das Spanisch des 14., 15., und 16. Jahrhunderts durch die Aufzeichner (Hörfehler, Nachlässigkeit, Mißverständnisse, Sinnverdrehung); • Abschreibfehler späterer Chronisten (viele überlieferte Varianten für das gleiche Wort: z.B. faicag, faicagh, caifagh, facay, faisage, faycas, faycan, fagzam, fagzan, faysan, fayacan usw. für einen Gauhäuptling bzw. Oberpriester von Gran Canaria); • nachfolgende Hispanisierung und Dialektisierung (z.B. bei Personenund Ortsnamen); • zeitlich zu großer Abstand bis zur Aufzeichnung der Informationen (Mund-zu-Mund-Verstümmelung, Gedächtnisprobleme ); • Unsicherheiten bei der Übertragung von Manuskripten und paläographischem Spanisch; • Erfindungen aus überschäumender Phantasie oder literarischer Wichtigtuerei. 58 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Es darf auch nicht übersehen werden, daß es berberisch klingende kanarische Dialektwörter und Ortsnamen gibt, die in Wirklichkeit kastilischen oder portugiesischen Ursprungs sind und sogar Arabismen der Halbinsel sein können. Selbst Berberismen sind im Kastilischen zu finden. Die islamischen Eroberer Spaniens und Portugals waren zu einem großen Teil Berber, die nicht nur arabisch sprachen, sondern auch ihr eigenes nordafrikanisches Idiom mitbrachten. Ein deutlicher Prozentsatz Arabismen findet sich natürlich im andalusischen Regiolekt, in einem Gebiet also, dessen Bevölkerung einen erheblichen Anteil der Konquistadoren und Kolonisten der Kanarischen lriseln stellte. Auch andere europäische Siedler (Basken, Engländer, Flamen, Franzosen) haben zum kanarischen Wortschatz beigetragen. Man denke an das durchaus altkanarisch klingende Wort "naife" (kanarisches Messer), daß aber eindeutig englischen Ursprungs ist (knife). DIAZ ALAYON (1989b / 1989c), ALVAR (1975- 78), PEREZ VIDAL (1944), MORERA (1986) und ALMEIDA & DIAZ ALA YON (1988) bringen weitere Beispiele in dieser Richtung. Trotzdem wird von heutiger kanarischer Seite immer wieder versucht, Parallelen zu erzwingen, indem man geographisch weit auseinanderliegende Berber-Dialekte für ein und dieselbe Insel bemüht. Bei, wie der Berberologe Andre BASSET (1952: lf) schätzt, 4000 - 5000 Dialekten dürfte das nicht schwer fallen. Daß es aber durchaus nicht ungewöhnlich ist, daß sich weil auseinander wohnende Berberstämme überhaupt nicht verstehen (mit Unterschieden, wie sie beispielsweise zwischen dem Deutschen und Flämischen bestehen), stört die Anwender dieser Methode wenig. Selbst in den Fällen, wo das Berberische eine Lösung bieten könnte, z.B. bei der Wortbildung mit dem Prä- oder Suffix "t", ist dieses nicht zwingend oder stark zu hinterfragen (GALAND 1989b). Daß die Altkanarier "Tamazight" (Sammelbegriff für die Sprachen der berberischen Sanhadsha- Gruppe in Marokko) anwendeten (GARCIA-TALAVERA & ESPINEL CEJAS 1989), ist eine völlig unbewiesene Behauptung; ebenso die Verallgemeinerung von CAMPS (1980), die "Guanchen" (hier Altkanarier) hätten einen "Dialekt nahe dem Berberischen" gesprochen, oder seien "berberophon". TEJERA (1988) greift in einer neueren Arbeit über die Religion der Guanchen von Tenerife auf berberische Sprachdeutungen von MARCY (1934) zurück, die von heutigen Berberologen als "jedes Maß übersteigende Hypothesen" (GALAND 1973) angesehen werden. Ganz abgesehen davon, daß die Entwicklung der nordafrikanischen Ursprachen - und damit auch des berberischen Sprachsubstrats - in prähistorischen und selbst noch in geschichtlichen Zeiten nach wie vor mit vielen Fragezeichen versehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die berberisch-libyschen Sprachen 59 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 un Laufe der Zeit zahlreiche Entlehnungen und Überschichtungen aus anderen mediterranen und südsaharischen Sprachen erfahren haben. CAMPS (1961) erwähnt die Parallelen zwischen berberischen und europäischen Ortsnamen und stellt die Hypothese auf, daß im Rahmen der Megalithisierung auch sprachliche Einflüsse der südeuropäischen Halbinseln in Nordafrika wirksam wurden. STUMFOHL (1988) weist auf die Beziehungen des Baskischen und Berberischen hin, mit dem Mediterranen als gemeinsamem Grund. KRUTWIG (1978) erkannte einige verblüffende Ähnlichkeiten zwischen altkanarischen und baskischen W Örtern, die aber nicht unbedingt eine direkte Verwandtschaft bedeuten müssen, sondern auf gemeinsame Wurzeln hinweisen können. RÖSSLER (1979) stellt fest, "daß in manchen Dialekten nur noch ein Bruchteil des Wortschatzes genuin berberisch ist". Wer könnte deshalb ausschließen, daß so manche vordergründig altkanarisch-berberische Sprachparallele in Wirklichkeit eine altkanarisch-mediterrane ist? Ich vermisse in diesem Zusammenhang eine systematische Sprachstudie, die synoptisch den ganzen Mittelmeerraum bei der Analyse des Altkanarischen mit einbezieht und eben nicht nur das Berberische. Hier ist zu bedauern, daß es WÖLFEL nicht vergönnt war sein magnum opus (1965) zu vollenden, für das er diesbezügliche Kapitel geplant hatte. Das sprachliche Substrat der voreuropäischen Kanarischen Inseln scheint nicht berberisch, sondern mediterran gewesen zu sein. Was von jenen Autoren, die Sprachparallelen von weit im afrikanischen Binnenland angesiedelten Berbern (z.B. Ahaggar 1.000 km) heranziehen, auch gerne übersehen wird, ist die Tatsache, daß die berberophone Tumuluskultur Gran Canarias ausgesprochen meerverbunden war, was sich in der küstennahen Ansiedelung und in ihren besonderen FischfangTechniken zeigt, die sie vermutlich mitbrachten und nicht erst auf den Inseln entwickelten (ob der Einsatz von reusenartigen Binsen-Netzen auf Gran Canaria auf die Mallorkiner zurückzuführen ist, die seit 1342 die Insel aufsuchten und ab 1352 besiedelten, ist nicht geklärt). Es stellt sich dann die Frage, ob sich binnenländische Auswanderer segelkundiger Küstenbewohner bedienten, um zu den Inseln überzusetzen, und ob diese möglicherweise ebenfalls auf den Inseln verblieben. Einige Autoren (zitiert bei CABRERA PEREZ 1989) erklären so die Unterschiede in den nautischen Fähigkeiten der einzelnen Siedlergruppen. Es sieht aber nach den archäologischen Erkenntnissen und den Berichten einiger Chronisten so aus, als ob die Mitglieder der berberischen Kolonisierungsphase in ihrer Gesamtheit eine traditionell mit dem Meer vertraute und sich weitgehend aus dem Meer ernährende Küstenbevölkerung war. Tumulusbestattungen sind auf Gran Canaria deutlich zunächst im 60 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Küstenbereich vorgenommen worden, um dann - von dort ausstrahlend - auch in wenigen höhergelegenen Barrancos zu erfolgen. Dies nicht, weil die berberischen Siedler keine anderen Gebiete erobern konnten, sondern weil sie die Küste als gewohnten Lebensraum vorzogen. Die einzigen zoogenen. Beigaben, die man in Tumulusgräbern fand, waren nicht etwa Ziegenknochen, sondern Muschelgehäuse. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, die Meerestiere in der Ernährung dieser Menschen besaßen. ABREU GALINDO betont, daß sie kein Vieh besaßen, was kaum auf eine ehemals Viehzucht betreibende afrikanische Landbevölkerung hinweist. Während sich auf Gran Canaria eine größere Zahl Berberstämmiger niederließ, die in sozialer Trennung mit der Vorbevölkerung lebte, scheinen sich kleinere protoberberische Siedlergruppen, die möglicherweise auch auf Fuerteventura und Lanzarote landeten, mit der dortigen Vorbevölkerung weitgehend vermischt zu haben. Gewisse libysch-berberische Felsritzungen weisen vordergründig auch auf eine berberische Ansiedlung auf Tenerife, EI Hierro und La Palma hin. Dem steht gegenüber, daß Tumulusbestattungen dort nicht anzutreffen sind (zur Problematik siehe auch weiter unten). Ein Bereich, mit dem WÖLFEL (1965: 5) sprachliche Beziehungen des Altkanarischen nicht ausschließt, ist die vorrömische iberische Halbinsel. Angesichts vieler Hinweise auf enge ethnische und kulturelle Beziehungen zwischen dem prähistorischen Nordafrika und dem iberischen bzw. westmediterranen Raum verwundert es, daß die kanarischen Forscher diesen Aspekt unberücksichtigt lassen. Die auf den Kanarischen Inseln gefundenen Schriftzeichen des sogenannten libysch-berberischen Typs müssen beileibe nicht alle dem Tifinagh verwandt sein, was so gerne angeführt wird. Einzelne Zeichen und Zeilen von Lanzarote sind umstritten und deuten möglicherweise auf präiberische oder iberische Zusammenhänge hin (> Abb. 11). Dazu zählen auch einige der bis jetzt vorliegenden Funde vom sogenannten Typ "pompejanische Kursivschrift" auf Fuerleventura und Lanzarote(> Abb. 12 und LEON HERNANDEZ et al. 1988, ULBRICH 1990, STUMFOHL 1990). Darüberhinaus vermuten WÖLFEL (1955) und BIEDERMANN (1970) in einzelnen kanarischen Zeichen eine Wurzelverwandtschaft mit der kretischen Linear-B-Schrift. KRAUSS (1964) sieht in zwei Felsinschriften des Barranco de Silva (Gran Canaria) Affinitäten zu den altgriechischen Thera-Melos-Formen und zum Phönizischen. Wer die Ursprünge der kanarischen Zeichen, die Ähnlichkeiten zu libysch-berberischen Schriften aufweisen, untersucht, sollte seine Aufmerksamkeit auch auf die Frage richten, woraus sich die libysch-berberischen Schriften entwickelt haben. Der kanarische Typ könnte aufgrund der vielen Unterschiede nur wurzelverwandt sein, wie dies oben für die 61 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 p· ~· ~ A \)* * * - M M -- r Ef* N - MM- A D -- p "' - A~IY-Abb. 11 Die obere Zeile zeigt isolierte alphabetiforme Zeichen von der Pefla de Luis Cabrera (Lanzarote). Diese Felsbild-Fundstelle wird von kanarischen Wissenschaftlern dem sogenannten libysch-berberischen Typ zugeordnet. Die untere Zeile zeigt südiberische (TOVAR 1961 : Table 11-111) und präiberische** Parallelen (CORREA 1980: Cuadro 1). Die mit (*) gekennzeichneten Formen sind im Altlibyschen und im Tifinagh unbekannt. Abb. 12 Die wahrscheinlich iberische Schriftzeile von der Pefla del Letrero, Lanzarote (Aufnahme H.-J. Ulbrich 1989); bislang als "Pompejanische Kursivschrift" gedeutet. Sprachen erkannt wurde. Die für Lanzarote und Fuerteventura typischen linear-geometrischen Felsritzungen (Abb. 13) finden ihre Entsprechung in Stil und Ausführung weniger auf dem afrikanischen Festland, dafür aber deutlich im iberisch-mediterranen Raum (Abb. 14/15); dort vom Paläolithikum bis zum Neolithikum oder sogar bis in die Bronzezeit (GARCIA-SOTO MATEOS & MOURE ROMANILLO 1985). Auch die kultisch deutbaren Fuß- und Sandalen-Abbildungen Tenerifes und der Ost-Inseln haben ihre Parallelen nicht nur im Maghreb. Formgleiche podomorphe Felsritzungen sind z.B. zahlreich in Portugal festzustellen (siehe Vergleichstafel Abb. 16 sowie VARELA & PINHO 1977) und werden der Bronzezeit zugerechnet. Andere Darstellungen dieses Typs wurden im megalithischen Umfeld des atlantischen Europas entdeckt. Rituelle Sandalen wurden als Beigabe in megalithischen Gräbern iberischer Siedlungen des 3. Jahrtausends v.Chr. gefunden, z.B. Los Miliares und Almizaraque (Prov. Almeria). Und 62 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 13 Abb. 13 Details von der Pei'la del Pasadizo, Mi'la. Guenia, Lanzarote (Aufnahme BRITO & ESPINO 1980); wie lange dieser Stil im mediterranen Raum verwendet wurde, zeigen die BeispieleAbb.14/15 von der spanischen Halbinsel• Abb. 14a Gravierte Schiefertafel aus der mesolithischen Schicht IV der Cova del Filador, Margalef de Montsant, Tarragona (FULLOLA & VINAS 1988) • Abb. 14b Graviertes Steinplättchen (Magdalenien) aus der Cova de Parpallo, Gandia, Valencia (DAMS 1984) • Abb. 1 Sa Gravierte Steinplakette aus der neolithischen Cueva de los Marmoles, C6rdoba (ASQUERINO FERNANDEZ 1985) • Abb. 15b Felsritzung aus der Cueva de San Garcia, Sto. Domingo de Silos, Burgos (vermutlich bronzezeitlich nach GARCIA-SOTO MATEOS & MOURE ROMANILLO 1985) 63 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ··-. ......,...._., ..... _ ....... .. Abb. 16 Podomorphe Felsritzungen von den Kanarischen Inseln und aus Portugal; oben von der Miia. Tindaya, Fuerteventura (nach CORTES V AZQUEZ 1987, Panel VIII); unten von der Rocha da Alagoa Nr. 6, Corticada, Portugal (nach einem perspektivischen Foto In VARELO & PINHO 1977). 64 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 schließlich die hauptsächlich von den Westinseln bekannten Kreise, Spiralen und Mäander, die eindeutig dem megalithischen Formenschatz zuzurechnen und keinesfalls ausschließlich nordafrikanisch sind (Abb. 23). Zu den anthropomorphen Felsbildern des Barranco de Balos auf Gran Canaria (Abb. 17) läßt sich eine Parallele im spanischen Galizien finden (Abb. 18) - kein Wunder, denn diese stark vereinfachte Darstellungsweise ist universell und nicht allein berberisch. Die auf den Kanaren und dem gegenüberliegenden Festland gefundenen "Concheros" (Muschelhaufen als Folge der Ernährungsweise), sind auch in Portugal, an der spanischen Levante und in der Bretagne nachgewiesen. In den Concheros Abb. 17 Menschliche Figuren von grancanarischen Felsbildern: links Gravierung aus dem Barranco de Balos, Agüimes; rechts Malerei aus Majada Alta, Tejeda (aus MARTIN DE GUZMAN 1984) • Abb. 18 Menschliche Figuren von einem Felsbild in Borna, Sta. Olallade Meira, Provinz Pontevedra, Nordwest-Spanien (aus GARCIA ALEN & PENA SANTOS 1980) 65 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 des Teno-Gebirges (Tenerife) sowie in e1D1gen Höhlen auf Gomera und Tenerife wurden grobe Spitzhacken aus Stein gefunden, die an asturianische Formen der spanischen Halbinsel erinnern (PERICOT 1955, DIEGO CUSCOY 1961). Was wir heute als Berber bezeichnen, hat seine Ursprünge sicher in den Menschen des Iberomaurusien und Capsien, entwickelte sich aber in der Folge unter den vielfältigsten Einflüssen (Seevölker, Negroide, Nubier, Ägypter, Römer, Wandalen, Phönizier, Araber usw.) zu emem kulturellen und ethnischen Konglomerat, so daß heute eigentlich richtigerweise nur von einem mehr oder weniger berberophonen Zusammenhang gesprochen werden kann. Oder anders ausgedrückt: D e n Berber als ethnische Einheit gibt es garnicht (NEUMANN 1987). Eine ähnliche Diversität der Entwicklungen und Erscheinungsformen spiegelt sich auch im archäologischen und ethnologischen Befund der Kanarischen Inseln wider. D e n Altkanarier als eine alle Inseln umfassende menschliche Gruppe mit engen stammesgeschichtlichen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen hat es nie gegeben. Wobei dies nicht nur durch ethnisch ungleiche Zuwanderer und das isolierende Insel-Milieu beeinflußt wurde, sondern auch durch geographisch-klimatologische Unterschiede zwischen und auf den einzelnen Inseln. Solche landschaftstypischen Verhaltensweisen zeigen sich z.B. im Hausbau, im Kultischen, in der Kommunikation und in der Ernährung: • "casas hondas" (halb in die Erde versenkte Steinhütten) als Adaption an windige und heiße Wohnorte auf Lanzarote und Fuerteventura; • Wohnhöhlen (naturgemäß) verstärkt im bergigen Inneren der Inseln; in den flacheren Küstengebieten dafür mehr Trockensteinbauten (Gran Canaria und Tenerife ); • regional eng abgrenzbare Riten bzw. Glaubensvorstellungen; z.B. die Besänftigung des Idafe-Geistwesens durch Fleischreste (Caldera de Tabu- . riente, La Palma) oder die Interpretation des Teide (Tenerife) als Ort der "Bestimmung" oder "Hölle" ( erst ab christlichen Zeiten mit dem Dämon "Guayota" besetzt); • "silbo" (Pfeif sprache) in dem von tiefen Tälern zerschnittenen Gomera (z.T. auch auf Tencrife); • an den Küsten verstärkter Genuß von Meerestieren (Muscheln - besser transportierbar ? - wurden auch im Inland gefunden); FUSTE (1962) stellte für Gran Canaria dentale Unterschiede zwischen der vorspanischen Berg- und Küstenbevölkerung fest, was durch die Berichte der Chronisten bestätigt wird, die von einem ausgesprochen ichtyophagen Bevölkerungsteil sprechen. Diese Unterschiede durch divergierende Entwicklungen pro Insel können jedoch nicht verdecken, daß eine den ersten (cromagnoiden) Sied- 66 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 lern zurechenbare archaische Kulturschicht existiert, die mehr oder weniger auf allen Inseln erkennbar ist und sich unter anderem in einer einfachen, gelegentlich primitiv dekorierten Keramik und in neolithischen, zum Teil megalithischen Merkmalen manifestiert. Letzteres aus heutiger Sicht mit von Insel zu Insel abweichender Ausprägung, was auf unterschiedlich große Gruppen von Erstbesiedlem sowie unterschiedlich starke Überschichtung aber auch Adaption megalithischen Ideengutes durch nachfolgende Gruppen (mit anderen Glaubensvorstellungen) zurückgeführt werden kann. Die erwähnte Inhomogenität der Berber und Altkanarier könnte als Argument für die Berber-Theorie eingesetzt werden, wären da nicht die chronologischen Probleme und die unzweifelhaft existenten Unterschiede in den Formen des altkanarischen Alltags zu jenem der Berber: • mörtelloser Hausbau im Gegensatz zu den Berber-Burgen Nordafrikas (Ausnahme: Die Mauem und Fußböden der ehemaligen EingeborenenSiedlung "Zonzamas" auf Lanzarote wurden mit einer "tegue" genannten Mischung aus Kalktuff und Sand abgedichtet, eine Technik, die allem Anschein nach schon vor den Spaniern bestand.) • keine Brotherstellung, obwohl Getreide angebaut und Feuer angewendet wurde; • kein Federvieh; • Viehschlächter auf Tenerife und Gran Canaria waren unberührbare Kasten - eine Sitte, die bei den Berbern in dieser extremen Ausprägung nicht angetroffen wird; es gibt zwar berberische Stämme, bei denen Schlächter eine sehr niedrige soziale Stufe besaßen bzw. besitzen, aber nicht im Sinne von "unberührbar"; • eine andere unberührbare Kaste waren - auch nur auf Tenerife und Gran Canaria - die Leichenbestatter, was von den Berbern ebenfalls nicht berichtet wird (bei den Mozabiten in Algerien sind die Totenwäscherinnen sogar hoch geachtet); • keine Tätowierung (gerade bei den Berbern des Rifs und der Tamazight- Sprachgruppe, denen eine enge Verwandschaft mit den Altkanariem nachgesagt wird, ist die Tätowierung sehr ausgeprägt); • die Mästung junger Mädchen zwischen Verlobung und Heirat auf Gran Canaria, was bei den Berbern des Atlas und den Nord-Tuareg ungebräuchlich ist; vereinzelte Fälle von Mästung pubertärer Mädchen sind aus der Sahel-Zone von mauritanischen Stämmen und den Iwllemeden (Süd-Tuareg) bekannt; • das Ausleihen von Ehefrauen an Gäste (Gastprostitution), wie auf Lanzarote, Gomera und Gran Canaria, ist bei den Berbern bis auf wenige Fälle - z.B. Kabylen (nach St. Gsell noch bis zur Jahrhundertwende) und 67 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Ghomara (nach al-Bekri im 11. Jh.) - unüblich; • nahezu keine Tierdarstellungen in den Felsbildern, nicht einmal Haustiere, wie Ziege, Hund oder Schaf; die einzigen, relativ eindeutigen Tierdarstellungen scheinen zwei (undatierbare) Felsbilder von Masca (Tenerife) zu sein, die fischähnliche Wesen zeigen (TEJERA GASPAR 1988: Fig.3), wobei das eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Wal hat. Die möglicherweise Eidechsen und Reiter auf Vierfüßern zeigenden Felsbilder von Gran Canaria, sind in ihrer Interpretation umstritten und wurden von HERNANDEZ PEREZ (1982) nicht älter als die Conquista eingestuft. Noch zweifelhafter scheint mir die Interpretation einer Felszeichnung auf Hierro (JIMENEZ GOMEZ 1985) zu sein, die ziegenähnlich sein soll. • Polyandrie auf Lanzarote; • eine hohe soziale Stellung der Frau (alle Inseln), teilweise mit stark matriarchalischen (Fuerteventura, Lanzarote) oder matrilinearen Zügen (Gomera); dies hat nichts mit den Formen der mutterrechtlichen Erbregelung zu tun, die heute bei den Tuareg in bestimmten Situationen neben der patrilinearen praktiziert werden; die Berber waren in frühgeschichtlichen Zeiten, die ja hier vorrangig zum Vergleich anstehen, patriarchalisch und agnatisch organisiert; • ein seherisch begabtes Frauenpaar (Fuerteventura), bestehend aus einer spirituellen und einer weltlichen, rechtsprechenden Führerin des Stammes, mit der Macht, administrative und vor allem verteidigungsbezogene Aufgaben an Edle zu vergeben, ist bei den Berbern unbekannt; die von Prokop (De Bello Vandalico, 11/8) beschriebenen Seherinnen der Mauren hatten nur eine beratende Funktion; eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet die als "al-Kahina" ("die Zauberin") überlieferte Führerin der (normalerweise selten vereinigten) algerischen Berberstämme gegen die arabische Invasion im 7. Jh.; die Geschichtsforschung kennt aber für die Jahrhunderte um die Zeitenwende nur "Könige" als Führer der Mauretanier und Numider; • auf Tenerife Geschwisterehe im Hochadel; • auf Tenerife Menschenopfer nach dem Tod eines Königs durch Sturz ins Meer "um ihm Botschaften zu überbringen" (GOMES 1463). Ergänzend dazu einige weitere Unterschiede, die gleichzeitig auf die Altertümlichkeit der altkanarischen Kultur hinweisen: • die Wolle des Schafes wurde nicht versponnen, stattdessen trug man Tierfelle und Gewebe aus Binsen oder Palmfasem (letzteres erinnert an die prähistorischen Spartgras-Flechter Andalusiens); • kein Pfeil und Bogen; • generell eine aus künstlerischer Sicht sehr schlichte Ausgestaltung von Felsbildern; • freihändig ohne Töpferscheibe geformte Keramik, obwohl die Töpfer- 68 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 scheibe im Maghreb mindestens ab 500 v.Chr. bekannt war; warum wurde ihre Technik nicht auf die Kanaren mitgenommen? • die unbekümmerte Nähe von Wohn- und Begräbnisplatz; • Astralkult auf Tenerife (vor den ersten christlichen Einflüssen kein personifiziertes mit Geschlecht ausgestattetes "höchstes Wesen", keine Idoliiguren, keine Tempel, keine organisierte Priesterschaft); • mumienähnliche Dörrleichen, ein Verfahren, das bei den Berbern praktisch unbekannt ist; • keine echten Gewölbe, sondern nur Überkragungsbauten. BIEDERMANN (1983) bemerkt in diesem Zusammenhang sehr treffend, daß dies keineswegs so wirke, "als wäre die altkanarische Kultur erst in karthagischer oder römischer Zeit entstanden". Und wenn er weiter sagt, "die Gleichung Altkanarier = Inselberber, so einleuchtend sie zunächst erscheinen muß, kann nur als eine allzu grobe Simplifikation des Gesamtproblems bezeichnet werden", dann ist dies voll zu unterstreichen ! Eine gewisse Unsicherheit bei allen Betrachtungen ergibt sich auch aus unseren lückenhaften Kenntnissen der vorislamischen Berberkultur (trotz des Monumentalwerkes von Stephane Gsell), die bei Vergleichen mit den voreuropäischen Kanariern heranzuziehen ist; heutiges Brauchtum der Berber ist da weniger geignet und es muß von Fall zu Fall überprüft werden, inwiefern es alte Formen wiederspiegelt. Es ist auch zu bedenken, daß altkanarische Kulturmerkmale, die im 14. und 15. Jh. festgestellt wurden, nicht den Urzustand wiedergeben müssen, sondern - eine gewisse, wenn auch geringe, Evolution eingerechnet - im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende entstanden sein können. Besondere Probleme im Hinblick auf die Berberfrage bereitet Tenerife, auf das etwas näher eingegangen sei: Wir haben weiter oben festgestellt, daß die Tumuluskultur und auch ihre anthropologischen Vertreter auf Tenerife fehlen und deshalb eine berberophone Urbevölkerung, wie wir sie teilweise auf Gran Canaria erkennen, für diese Insel nicht anzunehmen ist. Dem steht gegenüber, daß auf Tenerife in den 80er Jahren Felsgravierungen entdeckt wurden, die von kanarischen Wissenschaftlern der libysch-berberischen Gruppe zugerechnet werden. Es handelt sich um die anthropomorphen Darstellungen von Aripe, Guia de Isora (Abb. 19) und um die alphabetif ormen Felszeichen von San Miguel de Abona. BALBIN & TEJERA (1983) und TEJERA (1985) glauben in den menschlichen Figuren von Aripe "libysche Krieger" wiederzuerkennen, wie sie von H. LHOTE (1972) und anderen Autoren in saharischen Felsbildern beschrieben wurden. Bei genauerem Hinsehen kann eine auffällige Ähnlichkeit nicht festgestellt werden (Abb. 20/21). Es ist auch schwer nachzuvollziehen, daß die beiden Autoren in den Linien über einigen 69 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ~ 1 '"r A ' Abb. 19 In ihrer Datierung und Interpretation umstrittene Darstellungen (siehe Seite 69, 71) von Menschen auf einer Felswand bei Aripe, Guia de lsora, Tenerife (aus BALBIN & TEJEAA 1983). Abb. 20 / 21 Menschliche Darstellungen ("Krieger") aus dem Sahara-Raum: links aus LHOTE (1972) , rechts aus MAUNY (1954) . 70 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Köpfen Federschmuck (warum nicht ganz einfach Haare ?) und in den Strichen neben den Figuren Speere erkennen wollen. Die Figuren muten, obwohl se4r schemenhaft und fa st kindlich im Stil, sogar recht modern an, so daß - ohne genaue Kenntnis der Patina, die auf den Fotos teilweise recht jung aussieht - eine Entstehungszeit nach der Conquista sehr wahrscheinlich ist. Selbst wenn man sie der libysch-berberischen Felsbild-Gruppe (200 v.Chr. - 700 n.Chr.) zuordnet, bleibt immer noch die Frage nach dem Motiv für die Felsritzungen. Sollen sie eine Reminiszenz an die Trachten ihrer früheren Heimat sein? Denn die abgebildete Kleidung entspricht nicht den Beschreibungen der -Chronisten von den Guanchen Tenerifes mit ihren Fellröcken und Fellmänteln. In bezug auf die weiblich erscheinende Figur rechts unten (mit fast tänzerischer Haltung) seien ABREU GALINDO (1602) und ESPINOSA (1591) angeführt, die ausdrücklich berichten, daß die Kleidung der Frauen auf Tenerife bis zu den Knöcheln reichte (höhere Säume waren unschicklich). Und was die eine Figur (rechts oben) vor den Körper hält, sieht nicht nach einem berberischen Rund- oder Rechteck-Schild aus, sondern nach einem mittelalterlichen Schild der Spanier. Haben hier womöglich Eingeborene versucht, Männer, Soldaten und vielleicht auch Kinder der Konquistadoren darzustellen (auch die Männer trugen im 15./16. Jh. Röcke)? Diese Interpretation wird dadurch unterstützt, daß unter den Felsbildern von Aripe einige unzweifelhaft in christlichen Zeiten entstandenen Abbildungen von Pferden und Kreuzen gefunden wurden. Zu den Felszeichen des sogenannten libysch-berberischen Schrifttyps auf Tenerife (und den anderen Inseln) sei angemerkt, daß sie stark an altlibysche Formen oder an Tifinagh erinnern, daß aber diese Verwandtschaft noch längst nicht eindeutig bewiesen ist; ja, daß bei genauerer Analyse zumindest bei einem großen Teil der Felsinschriften eine geradlinige Verwandschaft eher unwahrscheinlich ist (s.o.). Wenn CAMPS (1980) diese Felsinschriften als "unbestritten" der gleichen Gruppe, wie das rezente Tifinagh, zuordnet, dann ist dies nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse sehr gewagt und voreilig. Bezeichnend ist hier, daß noch keine einzige Sinn erbringende und interpretationsfreie Transkription gelungen ist, obwohl die Lautwerte der in Frage kommenden nordafrikanischen Schriften bei bestimmten kanarischen Zeichen herangezogen werden können. ESPINOSA (1591) erwähnt, daß die Guanchen Tenerifes keine Schrift besaßen. In diesem Zusammenhc;lllg fällt auch auf, daß es aus der Zeit der Conquista und danach, keine altkanarisch geschriebenen Zeugnisse der Eingeborenen gibt, obwohl Papier und Tinte spätestens ab diesem Zeitpunkt (mit der Kanarenfahrt des Genuesen Malocello eigentlich schon ab 1312) zur Verfügung standen. Kein Erobererbericht erwähnt 71 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 eine originär altkanarische Schrift. Dies deutet daraufhin, daß die kanarischen Felszeichen des sogenannten libysch-berberischen Schrifttyps nur sehr begrenzt und andere, ähnliche Schriftzeichen gamichts mit dem gesprochenen Altkanarisch zu tun haben (siehe Besucher- und Nachahmungstheorie bei ULBRICH 1990) ! Eine berberische Zuordnung der Guanchen wird also auch durch die Felsbilder Tenerifes nicht unterstützt. Die für Tenerife geschilderte Problematik trifft auch auf EI Hierro und La Palma zu: Auf Hierro, wo im unteren Küstenbereich die Felsinschriften des libysch-berberischen Typs noch relativ fein und deutlich sind, werden die Zeichen mit zunehmender Entfernung von der Küste immer gröber und ungenauer, was für eine spätere Nachahmung spricht. Die zuerst an der Küste angebrachten Zeichen könnten von berberischen Besuchern stammen, die entweder zur (segelerfahrenen) Tumulusbevölkerung Gran Canarias gehörten oder zu mittelalterlichen Seefahrern aus dem arabisch-berberischen Raum (ULBRICH 1989). Oder waren es erst die kanarischen Berbersklaven des 15. bis 17. Jhs., die hier verstümmeltes Tifinagh anbrachten (ULBRICH 1990)? Schwierig ist auch eine berberische Einordnung der Vor- und Frühgeschichte von La Palma allein aufgrund der dortigen Inschriften des libysch-berberischen Typs. Bis jetzt existiert nur eine Fundstelle (Cueva de Tajodeque, Caldera de Taburiente) mit fragmentarischen Felszeichen dieser Prägung, was schwerlich auf einen umfassenden protoberberischen Kultureinfluß hinweist. Kanarische Untersuchungen der altpalmesischen Keramik weisen angeblich auf starke Verbindungen zum Maghreb und zur Sahara hin (siehe S. 54), wobei nach meiner Einschätzung mögliche Parallelen zum mediterranen Raum nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Das Naheliegende ist nicht immer das Nächstliegende. Am Rande sei auf eine kuriose Arbeit hingewiesen, die in den Fels · geritzte Damespiele und seine Varianten (hauptsächlich auf Tenerife) als altkanarisch interpretiert (GARCIA-TALAVERA & ESPINEL CEJAS 1989). Die Beweisführung, daß das Damespiel schon vor den ersten spanischen Kolonisatoren (also vor 1352) bei den Altkanariern bekannt war, erscheint mir sehr unsicher. Ob die in den Fels geritzten Rechtecke mit Kreuz und Diagonalen wirklich etwas mit dem Damespiel zu tun haben, muß zumindest bei den vertikalen Beispielen (Abb. 22) angezweifelt werden. Sie erinnern eher an den Formenschatz der Cueva Pintada (Gran Canaria) und wären damit dem künstlerischen Ausdruck der altmediterranen zweiten Besiedlungsphase zuzurechnen. Es ist auch an die Möglichkeit zu denken, daß kanarische Felszeichnungen dieses Typs in einer symbolhaften Beziehung zu Kultischem stehen, wie es für jene des Mühle-Typs im asiatischen und europäischen Raum zutrifft. Schließlich kommt es sehr 72 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 0 2 4cm Abb. 22 Geometrische Figur von der Piedra del Majo, Zonzamas, Lanzarote (senkrechte Lage, Aufnahme H.J. Ulbrich 1989) stark auf die jeweilige Lage der Felsbilder und der Spielsteine an, die nach Auskunft der Autoren "bei Hirtenunterkünften oder in der Nähe von Siedlungen" und teilweise in Höhlen gefunden wurden. Sind hier vorspanische oder spanische Siedlungen und Hütten gemeint? Ist auszuschließen, daß diese Lokalitäten, wenn es (wie die Höhlen) vorspanische sind, in spanischer Zeit wiederbenutzt wurden? Wie hoch ist der Prozentteil der tatsächlich bespielbaren Flächen? Wie nah sind diese wirklich bei menschlichen Unterkünften und nicht irgendwo in der Wildnis, abseits von Hirtenwegen? Können die gefundenen "Spielsteine" wirklich nur diese Funktion haben? Alle diese Fragen beantwortet das Buch nicht zufriedenstellend. Daß das Damespiel und ähnliche Brettspiele erst mit den Europäern und ihren Berbersklaven auf die Inseln kamen und erst von diesen - was die horizontalen und wirklich bespielbaren Formen betrifft - in Felsen eingeritzt wurden, ist deshalb vorläufig noch wahrscheinlicher. LEON HERNA.NDEZ et al. (1988: 175) betonen, daß auf Lanzarote und Fuerteventura Felsgravierungen dieses Typs als "rezent" (im Sinne von postConquista) einzustufen sind, und zum Umfeld der Hirten gehören, wie die Spuren von Messerschleifen. In den Fels geritzte "Spielbretter" für den tatsächlichen Gebrauch sind aus dem ganzen Mittelmeerraum bekannt. 4. Anthropologische Erkenntnisse und ihr demographischer Kontext Unverständlich ist für den Außenstehenden, warum gerade die berberische Abstammung für das Selbstwertgefühl des modernen Kanariers so wichtig sein soll. Was hat der heutige (oder auch der frühgeschichtliche) Berber Nordafrikas mit der aktuellen kanarischen Bevölkerung gemein und was wäre wünschenswert an einer solchen Beziehung ? Es wäre sowohl unmöglich, als auch unsinnig, die Menschen der Kanarischen Inseln und ihre europäische Kultur - trotz einiger im ländlichen Leben erhalten gebliebenen altkanarischen Elemente - auf Berber trimmen zu wollen. Daß eine angeblich berberische Abstammung der Canarios bereits 73 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Eingang in kanarische Schulbücher gefunden hat, kann nur als äußerst bedenklich und unverantwortlich bezeichnet werden. Die jetzige Bevölkerung der Inseln ist als Ergebnis eines Vermischungsprozesses zu sehen, der schon mit den ersten mallorkinischen Siedlern ab 1352 (ULBRICH 1989) begann. Hinzu kommt die Dezimierung der eingeborenen Bevölkerung bei den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Franzosen, Spaniern und Portugiesen während der Conquista, durch Epidemien (Enzephalitis, Typhus), durch Hungersnöte und - in weit höherem Maße - dm:ch die von den Eroberern und später auch von arabischen Piraten betriebene Versklavung, in deren Verlauf tausende von Menschen nach Portugal, Mauritanien, Kastilien, Arag6n, Algerien und andere Länder des Mittelmeerraumes deportiert bzw. verkauft wurden. Kastilier und in geringerem Ausmaß auch Franzosen, Portugiesen, Italiener (hauptsächlich Genuesen), Basken, Katalanen, Deutsche und Hamen gehörten zu den ersten Kolonisten. Als Arbeitskräfte wurden Berber- und Negersklaven . importiert. WÖLFEL hatte 1930 angenommen, daß der altkanarischc Bevölkerungsanteil aufgrund der zögernden Einwanderung noch bis zum 17. Jh. überwog. Neuere Untersuchungen deuten auf ein viel früheres Vorherrschen der europäischen Bevölkerung hin (AZNAR VALLEJO 1983). Bereits im ersten Viertel des 16. Jhs., also kurz nach Beendigung der Conquista, kann der spanische Anteil auf 75% geschätzt werden, während die verbleibenden 25% durch die anderen Einwanderer-Gruppen und die restlichen Ureinwohner gebildet werden (VERLINDEN 1987). Mitbestimmend für die schnellere Entwicklung der Europäer dürfte - neben der zahlenmäßigen Überlegenheit - auch die im Vergleich zu den Ureinwohnern geringere Säuglings- und Wöchnerinnen-Sterblichkeit gewesen sein . . Dafür liegen zwar keine konkreten Angaben vor, es kann aber aus dem Sterbealter grancanarischer Ureinwohnerinnen - mit einem hohen Anteil unter 40 Jahren (im Vergleich zur männlichen Bevölkerung) - auf mangelhafte Kindbett-Hygiene geschlossen werden (SCHWIDETZKY 1960). Eine königliche Urkunde von 1515 (Dok. RUMEU DE ARMAS 1957: Nr. CXI) bringt zum Ausdruck, daß viele Ureinwohner von Gran Canaria als Soldaten an den Raubfahrten zur berberischen Küste teilnehmen mußten und dabei umkamen. Andere starben an "Verletzungen und Erschöpfung", weil sie schlecht behandelt wurden. Informativ ist in diesem Zusammenhang die Bevölkerungszahl der Altkanarier zum Beginn der Conquista Anfang des 15. Jhs., also vor der oben erwähnten Dezimierung. Nach Fray Bartolome de las CASAS (1552) belief sich diese Zahl - viel zu hoch geschätzt - auf rund 100.000; hochgerechnet von 13.000-14.000 kriegsfähigen Männern, wie sie der portugiesi- 74 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 sehe Chronist Joäo de BARROS (1552) in seinen "Decadas da Asia" angibt. Wobei sich BARROS wahrscheinlich auf seinen Landsmann Gomes Eanes de ZURARA ("Cronica do descobrimento e conquista de Guine" 1448) stützt, der als Zeitgenosse der Conquista von 12.352 Kriegern spricht, darunter 6.000 für Tenerife und 5.000 für Gran Canaria. Der venezianische Seefahrer CADAMOSTO gibt 1455 für Tenerife 14.000-15.000 und für Gran Canaria 8.000-9.000 Einwohner an, was zu wenig erscheint. Die von den Chronisten genannten Zahlen demonstrieren trotz ihrer Unsicherheiten die hohe Bevölkerungsarmut auf den restlichen Inseln, die übereinstimmend in allen Konquistadoren-Berichten erwähnt wird. Die Kinderzahl ist aufgrund der unzuverlässigen ökologischen Verhältnisse (gelegentliche Ernteausfälle durch Trockenperioden) sicher bewußt nicht hoch gehalten worden (schätzungsweise durchschnittlich zwei pro Ehepaar). Bei Überbevölkerung während extremer Hungersnöte (La Palma) und bei Überschuß an weiblichen Kindern (Gran Canaria) erfolgten sogar infantizide Maßnahmen. Nach dem Sterbealter (SCHWIDETZKY 1960) dürften je nach sozialer Begünstigung drei bis vier Generationen gleichzeitig gelebt haben. Nehmen wir die Zahl von ZURARA als Grundlage, also rund 13.000 Krieger, dann erscheint eine kanarische Gesamtbevölkerung von 50.000 für die Mitte des 15. Jhs. realistisch, an der Gran Canaria einen Anteil von 20.000 und Tenerife einen von 25.000 Personen hat. Letzteres wird in etwa durch Diogo GOMES (1463) bestätigt, der die Bevölkerung von Tenerife auf 23.000 Menschen schätzte. Eine Schätzung von TEJERA & GONZALEZ (1987: 158), die sogar nur von 30.000 Menschen für die gesamten Kanarischen Inseln Anfang des 15. Jhs. spricht, scheint sich wohl mehr auf CADAMOSTO (s.o.) zu stützen. Daß die Conquista in den folgenden Jahren ihren Blutzoll unter den Eingeborenen forderte, drückt eine Zahl aus, die ABREU GALINDO (1602) nennt: Zum Ende der Eroberung von Gran Canaria (1483) sollen nur noch 600 Krieger überlebt haben. Dies ist möglicherweise nicht zu niedrig gegriffen, denn GOMEZ ESCUDERO erwähnt einen starken Frauenüberschuß auf Gran Canaria (10 Frauen auf einen Mann). Jedenfalls dürften die Verluste erheblich gewesen sein, was auch der Kriegsverlauf andeutet. Bei den Kämpfen von Guiniguada (Gran Canaria 1478) mußten 300 Eingeborene ihr Leben lassen (VIERA 1982, I: 489). Weitere 300 Eingeborene von Gran Canaria, die auf Seiten Alonso de Lugos kämpften (VIERA 1982, I: 634), starben bei der ersten Schlacht von Acentejo (La Matanza, Tenerife 1494). Eingeborene von Nachbarinseln als Hilfstruppen zur Eroberung von Gran Canaria, Tenerife und La Palma einzusetzen, war eine gern praktizierte Methode. Besonders schwere Ver- 75 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 luste von über 2.000 Kriegern mußten die Guanchen bei der zweiten Schlacht von Acentejo (La Victoria, Tenerife Dez. 1495) hinnehmen (NÜNEZ DE LA PE.NA 1676 / 1847: 155). Sekundäre Folgen der Kämpfe, z.B. das Fehlen weiter Bevölkerungsteile für die Bestellung der Felder, trugen sicher auch zu Nahrungsmangel und damit zu hungerbedingter Sterblichkeit bei. Die eingeborene Bevölkerung nahm jedenfalls rapide ab: Der Inquisitor des Bistums Canarias gibt 1504 für alle Inseln zusammen nur noch 1.200 reinrassig eingeborene Familien an, was mit etwa 5.000 Menschen gleichgesetzt werden kann. Nach Dokumenten des Cabildo Insular de Tenerife belief sich die Zahl der freien Guanchen 1513 nur noch auf 600 Personen. So hatte aufgrund der immer geringer werdenden Zahl altkanarisch Sprechender das Fortleben oder gar Wiederaufleben ihrer Idiome keine Chance. Trotz aller widrigen Verhältnisse wurden die Altkanarier jedoch nicht ausgerottet, wie von einigen Historikern des 18. und 19. Jhs. behauptet. Vielmehr wurden die auf den Inseln verbliebenen Eingeborenen - hier zuerst die Adelsschicht - in z.ahlreichen Eheschließungen mit spanischen Partnern akkulturiert und assimiliert. Mit der verstärkten Zuwanderung von Siedlern ab dem 18. Jh. und den sich weiter entwickelnden Verkehrsverbindungen und Handelsbeziehungen kamen nicht nur mehr Spanier auf die Inseln, sondern auch allerlei andere seefahrende Nationen (z.B. Franzosen, Engländer, Iren). Trotzdem belief sich die Bevölkerung 1742 nur auf 136.000 Personen (McGREGOR 1831); eine Zahl, die sich in knapp 150 Jahren nur etwas mehr als verdoppelte (301.983 für 1887 nach PUERTA CANSECO 1897), was z.T. durch die starke Auswanderung nach den amerikanischen Kontinenten bedingt ist, an der natürlich auch Menschen . altkanarischer Abstammung beteiligt waren. Am Rande sei erwähnt, daß - zwar existent aber unbedeutend - durch zurückkehrende Kolonisten und durch von der Halbinsel stammende Einwanderer, die indianische Sklaven besaßen, auch indianisches Blut zu den Kanaren gelangte; dies bereits Anfang des 16. Jhs .. Ein deutlich vorherrschender Bevölkerungsanteil europäischer Abstammung dürfte nach den vorausgegangenen Ausführungen schon im 16. Jh. bestanden haben; dies im Gegensatz zu RÖSING (1967), die nur einen Anteil von ca. 33% Spaniern an der tinerfeftischen Bevölkerung von 1967 annimmt. RÖSING ermittelte für Tenerife extreme Unterschiede in der Blutgruppenverteilung zwischen der heutigen Bevölkerung (z.B. 43,35% 0) und tinerfeftischen Mumien (83,95% 0 nach SCHW ARZFISCHER & LIEBRICH 1963), die sich nach Meinung der Autorin nicht allein mit spanischer Zuwanderung erklären lassen, die aber nach meiner 76 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a (Ausschnitt) Abb. 23 Serpentiforme Gravierungen aus Galizien (a) und von !-a PalJ11a (b); l~nks Steinkistengrab in der Mämoa da Brana, San Paio de Refoxos (GARCIA ALEN & PENA SANTOS 1980\, rechts LaZarzita, Garafia (BEL TRAN 1975). Meinung nicht in Beziehung gesetzt werden können (s.u.). Die endgültige Zurückdrängung des restlichen altkanarischen Bevölkerungselements erfolgte mit der starken Zuwanderung des 20. Jhs .. Die kanarische Bevölkerung erlebte von 1887 bis 1981 (1,445 Mio. amtl. Zensus) nahezu eine Verfünffachung. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Residenten (Saisonarbeiter, Langzeit-Touristen, Ferienhausbesitzer usw.) nichtspanischer Nationalität ("poblaci6n de hecho y derecho"; siehe PULIDO MANES 1984). Bevölkerungszu- und -abwanderungen bis in neueste Zeit verstärkten den Anteil der "godos" (Goten), wie die Festlandspanier heute abfällig von den Canarios genannt werden: Zwischen 1965 und 1988 wanderten rund 30.000 Canarios aus, aber fast die gleiche Zahl Festlandspanier entschied sich dafür, auf den Inseln zu leben. Wer sogar in der gegenwärtigen gesamtkanarischen Bevölkerung Berberisches erkennen will, wird einen wissenschaftlich fundierten Beweis nicht beibringen können - weder auf anthropologischem, noch auf kulturellem Gebiet. Dem widerspricht nicht, daß von anthropologischer Seite Spuren des vorspanischen Populationsmusters in der aktuellen kanarischen Bevölkerung wiedererkannt wurden. Dies beruht zum Teil auf der Heirat der auf den Inseln verbliebenen Konquistadoren, die vorwiegend ohne Ehepartner eintrafen, mit eingeborenen Frauen (s.o.) und zum Teil auf der Assimilierung der restlichen Freien der Eingeborenen durch die europäischen Siedler im 16. und 17. Jh .. Selbst der im 16. Jh. vorherrschende Ber- 77 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 ber-Anteil auf Fuerteventura und Lanzarote, ausgelöst durch die intensive Zwangsansiedlung von Berbersklaven, ist heute - zumindest nach den vorläufigen Erkenntnissen von Lanzarote - serologisch nicht mehr signifikant (keine 0-Dominanz, zum Teil hohe B-Werte; > ALLAN, BARBER, EMERY & HOLMES 1963). Ein anderer Gesichtspunkt, der ebenso eine heute noch ausgeprägte kanarisch-berberische - aber nicht kanarisch-altkanarische - Rassenverwandtschaft in Frage stellt, ist ein Forschungsergebnis von PAREJO (1966), nach dem in der Frequenz der Blutgruppen zwischen der aktuellen Bevölkerung der Kanarischen Inseln und jener der marokkanischen bzw. archipelnahen saharischen Region signifikante Unterschiede bestehen. Er stellt weiterhin fest, daß zu den Kanaren vergleichbare Werte eher auf dem spanischen Festland vorzufinden sind! Dies trifft auch für die deutliche Ähnlichkeit der Hautleisten-Muster zu, die MATZNETTER (1967) zwischen Gomera und Hierro einerseits und Südportugal andererseits konstatiert. Gerade Hierro wurde 1402 mehrmals von Sklavenfängern und Ende 1405 von Bethencourt heimgesucht, die die insulare Bevölkerung bis auf einen Rest von wenigen Hundert reduzierten. Bethencourt ließ sofort 120 normannische KolonistenFamilien auf der Insel ansiedeln (BOUTIER & LEVERRIER 1405), denen später Spanier, Portugiesen, Basken und Flamen folgten, die sich aufgrund der sozialen Begünstigung schneller vermehrten. Das Blut der heutigen Bevölkerung von Hierro muß also einen europäischen Anteil haben, der deutlich höher als der altkanarische ist, der wiederum höher als der berberische ist; falls letzterer überhaupt je existiert hat. Die Herrelios haben demnach sehr wenig oder garnichts mit Berbern zu tun ! Ähnlich sieht es bei den eingeborenen Gomeros aus, die 1477 in großer Zahl ver-. sklavt wurden. Aufgrund mehrerer königlicher Dekrete wurden sie zwar wieder freigelassen, mußten aber als Hilfstruppen bei der Conquista von Gran Canaria mitwirken. Bei dem Aufstand von 1488/89 wurde ein wahres Blutbad unter den Gomeros angerichtet (500 Tote), viele wurden an Hauptleute und Schiffsherren als Sklaven verschenkt. Weitere 300 inzwischen auf Gran Canaria ansässige Gomeros wurden ebenfalls hingerichtet oder als Sklaven verkauft. Der oben erwähnte Wert für die Blutgruppe O bei Mumien von Tenerife liegt bei grancanarischen Mumien noch höher (94,76%). Ein Pendant hierfür ist heute am ehesten noch bei isolierten Berbern zu finden, z.B. 79,69% 0 bei den Ait Hadidou im Hohen Atlas (JOHNSON et al. 1963), aber auch bei Küstenvölkern, wie Basken und Westiren. Vergleicht man aber die aktuellen Rh-Werte von Berbern und Kanariern, dann ergibt sich ein stark unterschiedliches Bild (RÖSING 1967). Bei den Altkana- 78 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 riem kommt hinzu, daß sich durch soziale Siebung und Paarungssiehung (Gran Canaria) sowie durch Inzucht (Tenerife) gerade bei den Mumifizierten ( = Ranghöheren) besondere Merkmale herausbildeten (größer und stärker leptosom), zu denen auch der hohe 0-Wert gehören könnte. Auf Tenerife war nach TORRIANI unter den Herrschenden sogar die Geschwisterehe erlaubt. Blutgruppenwerte der Nicht-Mumifizierten, die zur Klärung des Sachverhalts beitragen könnten, liegen naturgemäß nicht vor (Fehlen von Weichteilresten). MARTIN DE GUZMAN (1984a: 484) betont aber, daß gerade die Mumifizierung unter der berberophonen Tumulus-Kultur von Gran Canaria nicht feststellbar ist. Die 0-Werte altkanarischer Trockenleichen und der heutigen Berber-Bevölkerung sind deshalb meines Erachtens nicht vergleichbar und lassen sich nicht verallgemeinern. Letzteres erlaubt dann auch keine Korrelation mit den serologischen Werten der heutigen kanarischen Bevölkerung, so daß die Berechnungen von RÖSING (1967) auf unsicheren Beinen stehen. Es darf auch nicht unterschätzt werden, daß das Berberische in der altkanarischen Bevölkerung nur anteilig sein kann. Setzt man diesen Anteil mit der afrikanischen Variante des grazil-mediterranen Typs der letzten Einwanderungsphase gleich ( dunklere Haarfarbe, vollere Lippen, breitere Nasen, hohe Schädel und Gesichter), dann trat er hauptsächlich auf Gran Canaria auf, wo er heute noch im westlichen Küstengebiet festzustellen ist und als Nachkomme der Tumulus-Bevölkerung angesehen werden kann (SCHWIDETZKY 1971). Unterstützt wird dies durch eine Analyse von MARTIN DE GUZMAN (1984b), der dann resümiert: "Wenn man akzeptiert, daß der Tumulus-Horizont mit einer (rezent-neolithischen) BerberWelt korreliert, dann ist Gran Canaria ein großartiges Anschauungsobjekt dieses (ethnischen) Beitrags, der offenbar nicht alle Inseln des Archipels erreichte". Der für die einzelnen Inseln unterschiedliche anthropologische und kulturelle Befund bestätigt dies. Schaut man sich hierzu die Typenpolung des Archipels an (SCHWIDETZKY 1963: 59), dann ergibt sich folgendes Bild (1 = am stärksten mediterranid, 6 = am stärksten cromagnoid): 1. Gran Canaria, 2. Hierro, 3. Fuerteventura, 4. La Palma, 5. Tenerife, 6. Gomera. Nach den Berechnungen von SCHWIDETZKY liegen alle Inseln erwartungsgemäß mehr oder weniger im Mittelfeld, so daß keine Insel ausschließlich cromagnoid oder mediterranid geprägt ist. Lanzarote fehlt hier leider mangels anthropologischer Daten. Der rezent-mediterrane, afrikanische Menschen-Typ der Tumulus-Kultur allerdings ist eine Spezialität von Gran Canaria und läßt sich bezüglich der Kulturmerkmale in gewissem Ausmaß auch auf Lanzarote und Fuerteventura feststellen. Aufgrund des Vorgenannten ist rätselhaft, wieso TEJERA & 79 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 GONZALEZ (1987) die Guanchen berberisch interpretieren, obwohl die Tumulus-Kultur auf Tenerife nicht festgestellt werden kann. Noch weniger nachvollziehbar wird die Argumentierung der beiden Autoren ( 1987), wenn sie SCHWIDETZKY vorwerfen, sie habe eine " rassistische Sicht" der kanarischen Vergangenheit und operiere mit der Idee einer genetisch "über- und unterlegenen Rasse". SCHWIDETZKY hat diese Begriffe nie verwendet und es ist völlig abstrus, wenn TEJERA & GONZALEZ behaupten, die Autorin würde die kulturellen Unterschiede zwischen dem älteren cromagnoiden und nachfolgenden mediterranen Typ genetisch erklären. Dies ist eine eklatante Fehlinterpretation ihrer Aussagen. Dazu die Übersetzung einiger Kernpunkte der Kritik von TEJERA & GONZALEZ (1987.: 27ff): "Die Adaption des Menschen an neue Bedingungen ist nicht genetisch, sondern kulturell; die Menschheit gliedert sich nicht in Rassen, sondern in Ethnien, in soziale Gruppen also ..... Rassist ist jener, der nicht nur die Existenz von Rassen bekräftigt, sondern ihnen überdies eine Hierarchie in Funktion ihres genetischen Rüstzeugs zubilligt.. .. Nach der zitierten Autorin ist der Mediterrane dem Cromagnoiden überlegen, weil man ihm die größere 'Initiative' zugestehen muß und darüberhinaus besitze er die bessere physische Verfassung, damit er sein enormes Potential frei entfalten könne". SCHWIDETZKY (1963) wird hier unzureichend und falsch wiedergegeben, denn die Autorin gibt nur für Gran Canaria eine "stoßkräftigere (mediterrane) Zuwandererwelle" an, die den Cromagnon-Typ an der Nordküste vertrieb, während auf Tenerife die "jüngeren Zuwanderer den günstigsten Lebensraum bereits besetzt fanden ..... und nicht imstande waren, ihn der Vorbevölkerung streitig zu machen". Der von TEJERA & GONZALEZ der Autorin in den Mund gelegte, genetisch bedingte Siegeszug des mediterranen Typs hat also garnicht stattgefunden, wohl aber Verdrängungsprozesse, bei denen sich gebietsweise unterschiedliche Mischungsverhältnisse zwischen früheren und späteren Siedlern ergaben. Natürlich ist eine rassisch begründete Überlegenheit unvertretbar. Trotz der Diskussion um die Überfrachtung und Praktikabilität des Begriffs "Rasse" ist es aber unzutreffend, daß es keine genetisch unterscheidbaren Rassen oder Humangruppen gibt und daß Evolution nicht zu Genveränderungen führt - insgesamt also eine sehr mißverständliche, unhaltbare Position, die allen einschlägigen Erkenntnissen widerspricht. Das mag noch als wissenschaftliche Merkwürdigkeit und Einzelmeinung hingenommen werden. Wenn aber die Feldmethoden SCHWIDETZKYs mit jenen des NSVerbrechers Himmler verglichen werden, dann ist das in höchstem Maße unwissenschaftliche Polemik. Was soll dieser Angriff auf eine Wissenschaftlerin, die sich um die kanarische Anthropologie verdient gemacht 80 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 a b Abb. 24 Wie bereits die Abbildungen 9 und 10, so zeigen auch diese beiden Beispiele eine kaum zu verleugnende stilistische Verwandtschaft altkanarischer Figurinen mit jenen ostmediterraner Kulturen; links (a) eine steinerne ldolplakette (3. Jt. v.Chr.) aus der megalithischen Cueva de Blanquizares de Lebor, Totana (Prov. Murcia), die auf ostmediterrane Siedler zurückgeht; rechts (b) das oft reproduzierte "Idol von Tara" (Artefakt Nr. 622, Museo Canario, Las Palmas de Gran Canaria). und im modernen wissenschaftlichen Sinn (zusammen mit Miguel Fusle Ara) bis jetzt den größten Beitrag dazu erbracht hat? Hier ist es sinnvoll, einmal die Hierarchie-Ebenen auf den verschiedenen Inseln näher anzuschauen. Auf Hierro und La Palma scheint es neben dem (bzw. den) Häuptling(en) keine besonders privilegierte Schicht gegeben zu haben. Die vier Stämme mit je einem Häuptling auf Gomera unterteilten sich in Nichtadelige und Edle, wobei nicht klar ist, ob dies nur auf Abstammung oder auf Berufung beruhte (als besonders ehrwürdig wurden Krieger angesehen). Auf Lanzarote gab es neben dem Erbkönigtum einen "Rat", der sich aus "guaires" (Noblen) zusammensetzte, wobei wir ebenfalls nicht wissen, ob die Mitgliedschaft erblich war oder erworben werden konnte. Auf Fuerteventura existierte unter der Obc.:rherrschaft eines mit gottgegebener Macht ausgestatteten Frauenpaares ein Doppelkönigtum ( oder besser gesagt zwei Verwaltungsbezirke mit Militärgouverneuren) und der Rat der "altihay" (heldenhafte Edelleute), dessen Mitgliedschaft wohl "erarbeitet" werden mußte. Auf Gran Canaria gab es neben den 12 Kantonshäuptlingen oder Klanoberhäuptern (guayres) und ab 1375 neben dem König (guanarteme) bzw. ab ca. 1438 neben den zwei Königen eine Land und Vieh besitzende Adelsschicht, die nur durch besondere Tugenden erreichbar war, also nicht durch Vererbung. Dieser Adel hatte Befehlsgewalt über eine breite Schicht dienender Besitzloser. Eine gewisse, wahrscheinlich ·auch ethnisch beding- 81 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 te Unabhängigkeit scheint sich auf Gran Canaria die Tumulusbevölkerung der Küsten bewahrt zu haben (BONNET REVERON 1943), die aufgrund ihrer vornehmlich aus dem Meer stammenden Nahrung nicht auf Viehzucht angewiesen war (siehe auch Kap.3). Besonders interessant sind die Verhältnisse auf Tenerife. Hier gab es drei scharf voneinander zu trennende Hierarchie-Ebenen: die "achimenceyes" oder Hochadligen, die "cichiciquitza" oder Adligen (besitzende Ritter im Vasallenstatus) und die plebejischen "achicaxna" (besitzlose Landarbeiter, Hirten, Schlächter, Handwerker im Sklavenstatus). Der Hochadel, der sich aus den Familien der "menceyes" (Gebietskönige) zusammensetzte, leitete seine Vorherrschaft von göttlichem Recht ab und war nur erblich. Die Aufteilung Tenerifes in neun Menceyate erfolgte allerdings erst zwischen 1440 und 1450 (Rebellion der Söhne des Königs); bis dahin gab es nach den alten Quellen nur einen einzigen König mit Sitz in Adeje. Dies deutet stark darauf hin, daß auf Tenerife eine bereits ansässige Population durch eine stärkere, aggressivere Siedlergruppe überschichtet wurde. Wir kennen denselben geschichtlichen Vorgang von den Tuaregs, bei denen die Vasallen (imrad) dem Adel (ihaggaren bzw. imusaren) zahlenmäßig um das Fünf- bis Achtfache überlegen sind, die schwarzen Sklaven garnicht gerechnet. Auch der auf Gran Canaria vorherrschende Adel scheint ursprünglich einer überschichtenden Siedlergruppe angehört zu haben, die für die Aufnahme der Unterworfenen in den Adelsstand bestimmte Regeln auf stellte. Die weiter oben erwähnten, laut SCHWIDETZKY anzunehmenden Vorgänge auf Tenerife sind deshalb nur für das geographisch-anthropologische Mischungsverhältnis der Siedler-Typen bedeutsam, ohne daß sie. allgemeingültigen Aufschluß über die tatsächliche politisch-soziale Entwicklung geben würden. SCHWIDETZKY (1963: 97ff) tendiert dazu, nicht nur für Gran Canaria eine Herausbildung der Oberschicht durch soziale Siebung und Paarungssiebung ("soziale Mobilität") anzunehmen, sondern auch für Tenerife. Die Einbeziehung Tenerifes berücksichtigt meines Erachtens nicht ausreichend die Tatsache, das nach den Überlieferungen nur der niedere Adel durch vorbildliche Qualitäten und erfolgreiche Vasallendienste erreichbar war und aufgrund der relativ wenigen Trockenleichen-Funde auf Tenerife wohl nicht zu den Berechtigten dieser Toten-Behandlung zählte. Der Hochadel dagegen blieb einer durch Abstammung privilegierten (inzuchtgeprägten) Schicht vorbehalten. Die Führung des Königreiches Tenerife und später seiner einzelnen Kantone oblag den in patrilinearer Folge berechtigten Oberhäuptern dieser Familie(n), was noch durch die Ratsversammlung der Adligen (tagoror) 82 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Abb. 25 Links (a) ein Terrakotta- Stempel (2. Jahrtausend v.Chr.) aus dem Nuraghen Santu Antine, Torralba (Sassari, Sardinien), rechts (b) eine Pin- .__ ___________ b _________ _, tadera von Gran Canaria. bestätigt werden mußte. Diese Fähigkeit des Herrschens und natürlich auch gewisse Kampftechniken waren zum Zeitpunkt der Überschichtung sicher nicht biologisch begründet, sondern in der besseren Erfahrung mit strategischem Vorgehen sowie in den Mechanismen politischer Macht und sozialen Wettbewerbs, die diese Siedler, die aus fortgeschritteneren, stärker strukturierten mediterranen Gesellschaften stammten, den bereits Ansässigen voraus hatten. Warum TEJERA & GONZALEZ (1987) etwas anderes aus den Ausführungen SCHWIDETZKY s herauslesen, ist unverständlich. 5. Zusammenfassung und Ausblick Als Arbeitshypothese und als stark vereinfachender Versuch einer inselübergreifenden Darstellung - obwohl im Grunde genommen jede Insel ihr eigenes, individuelles Besiedlungs- und Kulturmuster zeigt - sei folgender Ablauf der kanarischen Vor- und Frühgeschichte skizziert: a) Die erste lmmigrationsphase ca. 3.500 - 2.000 v.Chr. (pankanarisches Substrat) Ein südwesteuropäischer - im Vergleich mit nachfolgenden Siedlern robusterer - cromagnoider Menschenschlag, neolithisch geprägt mit megalithischer Tendenz, setzt zu den Kanarischen Inseln über. Es treffen zeitlich gestaffelt mehrere Gruppen ein; von der portugiesischen oder südspanischen Küste entweder direkt zu den Westinseln (z.B. La Palma), was durch die nautischen Bedingungen begünstigt wird, oder entlang der nordmarokkanischen Küste zu den nordöstlichen Inseln Lanzarote und Fuerteventura, von wo aus eine Verbreitung zu den anderen Inseln durch Inselspringen stattfand. Dadurch ist es möglich, daß diese Substrat-Kultur alle Inseln erfaßte. Ob daran auch Mechtoide beteiligt waren, ist nach dem derzeitigen Wissensstand unwahrscheinlich, aber auch nicht gänzlich auszuschließen. 83 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Parallel zu den letzten Cromagnoiden dürften schon die ersten Mediterraniden auf den Inseln eingetroffen sein. Zu den Kulturmerkmalen dieser Phase gehören "Concheros" (Muschelhaufen), der Beginn der Herstellung von primitiven Messern aus Obsidian bzw. Basalt, natürliche Höhlen als Wohnung und Begräbnisraum, Feuerbestattungen (La Palma > MARTIN RODRIGUEZ 1987; Tenerife > LORENZO PERERA 1982; Hierro > JIMENEZ GOMEZ 1982), undekorierte oder (selten) sehr einfach und unregelmäßig dekorierte Keramik und der megalithisch anmutende Ritus mit seinen archaischen Petroglyphen (Kreise, Spiralen, usw.; möglicherweise die ersten Fußsilhouetten) und Monolithen. Dieses Megalithentum etabliert sich je nach Ausprägung und Umfang der Siedlergruppe in unterschiedlichem Ausmaß auf den einzelnen Inseln bzw. wird durch nachfolgende andere Kulturträger unterschiedlich stark überschichtet, assimiliert oder verdrängt. In der Literatur wird im Zusammenhang mit der Erstkolonisierung der Kanarischen Inseln desöfteren von "Siedler-Wellen" gesprochen. Ich halte den Ausdruck "Welle" nicht für glücklich, da er den Eindruck einer großen Zahl von Einwanderern erweckt, die in jeweils zeitlich eng zusammenhängenden Schüben die Inseln erreichten. Das war sicher nicht der Fall; der Begriff "Phase" erscheint deshalb treffender. Die Größe der einzelnen Gruppen wird - was für alle Phasen zutreffen dürfte · sehr klein gewesen sein (SCHWIDETZKY 1963). Dies führte in Verbindung mit den geographischen und klimatologischen Bedingungen zu insularen und teilweise landschaftstypischen Kulturkreisen; ein Umstand, der zu dem komplizierten und zersplitterten Bild der kanarischen Prähistorie beigetragen hat. b) Die zweite Immigrationsphase ca. 2.200 - 500 v.Chr. (Phase der · Kulturausprägung) Diese Periode ist äußerst schwierig zu strukturieren, da sie mehrere zeitgleich und versetzt ablauf ende Prozesse umfaßt: Ein grazil-mediterranider, spätneolithischer bis spätbronzezeitlicher Typ verläßt seine süd- bis ostmediterrane Heimat und erreicht entlang der nordafrikanischen Küsten die Kanarischen Inseln. Auf Gran Canaria bereichert er die Höhlen-Kultur um jene der "Cueva Pintada". Höhlen werden künstlich angelegt bzw, ausgebaut. Ranghöhere werden als mumienähnliche Trockenleichen in Höhlen bestattet, eine Technik, die der noch existente cromagnoide Typ teilweise übernimmt (Gran Canaria). Der künstlerische Ausdruck bekommt einen Schub: Wand-Dekorationen, inzisierte und bemalte Keramik, Kleinplastiken, abstrakte und anthropomorphe Darstellungen in Felsbildern, Pintaderas. In gewissem 84 © Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017 Umfang kann mit diesen Siedlern auch noch Megalithisches die Inseln erreicht haben. Im Zuge der ethnischen Überschichtungen beginnen sich soziale Hierarchien herauszubilden. Waren es möglicherweise die nautisch so aktiven ostmediterranen Seefahrer und ab 1200 v.Chr. die sogenannten "Seevölker", die bei ihren Expeditionen jenseits der Straße von Gibraltar auch die Kanarischen Inseln erreicht haben konnten und dabei wesentlich zu dieser Kulturausprägung beitrugen? HENNIG (1944) schließt eine Entdeckung durch die Kreter vor 1000 v.Chr. nicht aus. Die kretische Schiffahrt wäre technisch d |
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