Almogaren XXXIV / 2003 Wien 2003
Hans-Joachim Ulbrich
Frequenzanalyse eines Lithophons
auf Lanzarote (Kanarische Inseln)
25 - 36
Key words: Canary Islands, Lanzarote, lithophone, aborigines, music, religion
Zusammenfassung:
Es wird ein mehrteiliges Lithophon beschrieben, das im Basalt der Mfia.
Guenia (Lanzarote) angelegt wurde. Urheber sind mit großer Wahrscheinlichkeit
die Ureinwohner der Insel, wobei jüngere Kratzspuren auf eine rezente
Erweiterung hinweisen. Das Hauptinteresse gilt jedoch der Frequenz-Analyse
der Schlagstellen, die eine unterschiedliche Tonerzeugung ermöglichen.
Die Felsen lassen sich messtechnisch in klangvolle und klangarme aufteilen.
Außerdem ist eine typische Resonanzfrequenz feststellbar.
Abstract:
A multi-part lithophone is described which was set into the basalt ofthe Mfia.
Guenia (Lanzarote). The originators are most probably the natives of the island
although newer scratches indicate a more recent extension. The main area of
interest however is the frequency analysis of the impact points which allow
various notes tobe created. With regard to technical measurements, the rocks
can be divided into such which generate more sound and such which generate
less sound. Furthermore, a typical resonance frequency has been found.
Resumen:
Se describe un Iit6fono compuesto hecho en el basalto de la Miia. Guenia
(Lanzarote). Es muy probable que los autores sean los primeros habitantes de
la isla, indicando unos araiiazos una ampliaci6n reciente. Sin embargo, los
mayores intereses se tienen en el analisis de frecuencias de los puntos de
percusi6n que hacen posible una generaci6n de sonidos diferentes. Desde el
punto de vista tecnico de la medici6n, las rocas pueden clasificarse de sonoras
y muy poco sonoras. Ademas, puede constatarse una tipica frecuencia de
resonancia.
1. Begriffsklärung und Einführung
Wir haben es in diesem Aufsatz mit einem Lithophon und mit Phonolith
zu tun. Beide Begriffe haben ihren Ursprung in der griechischen Sprache
und bedeuten soviel wie "klingender Stein". Lithophon (Klangstein) wird in
25
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
der Archäologie und Kulturanthropologie benützt, während Phonolith (Klingstein)
in der Geologie einen alkalischen Basalt beschreibt, der hauptsächlich
als Nephelin-Phonolith zu den erdgeschichtlich jüngeren vulkanischen Ergussgesteinen
zählt. Beide Bezeichnungen rühren von der Fähigkeit des
Steins her, beim Anschlagen mit einem harten Gegenstand nachzuklingen.
Bevor wir uns nun konkret mit dem lanzarotischen Lithophon befassen,
möchte ich kurz auf die Bedeutung solcher natürlichen "Musikinstrumente"
im europäischen Raum eingehen. Ihre Funktion zeigt sich in den besonders
ausgebildeten Reib- und Schlagflächen an phonetisch interessanten Stellen
von Felsen, insbesondere jenen von Tropfsteinhöhlen. Als Schlagmittel wurden
höchstwahrscheinlich Steine, Holzstöcke und Knochen benützt.
Zusammen mit Flöten und Pfeifen dürften Lithophone zu den ältesten Musikinstrumenten
der Menschheit zählen, ebenso Rasseln, Schwirrhölzer und
Trommeln. Ein datiertes Beispiel aus dem Jungpaläolithikum ist die in Niederösterreich
gefundene Flöte aus einem Rentierknochen, für die ein Alter von
rund 19.000 Jahren angegeben wird (Einwögerer et alii 1998). Die Beliebtheit
von Flöten aus Tierknochen zeigen auch die frühneolithischen Funde aus der
Nähe von Alicante (Spanien), die zahlreiche aus Vogelknochen gefertigte Exemplare
umfassen (Marti Oliver et alii 2001 ).
Wie Dams (1985) beschreibt, gibt es von Menschen genutzte Klangsteine
schon seit dem Paläolithikum. In der Höhle von Nerja (Prov. Malaga, Spanien)
wurden Stalagmiten und Stalagtiten angeschlagen, die offensichtlich teilweise
bearbeitet waren, um unterschiedliche Tonhöhen zu erzielen. Solche
säulenartigen Felsformen geben aufgrund ihrer größeren Vibration natürlich
einen viel besseren Klang ab, als die mehr platten- oder quaderförmigen und
oftmals aneinanderstoßenden Felsen des Lithophons von Guenia (Lanzarote).
Auch die Lithophone der Höhlen von Roucadour, Pech-Merle, Les Fieux und
Cougnac (alle Dept. Lot, Frankreich) sowie der Höhle von Escoural (Prov.
Evora, Portugal) beruhen auf karstischen Felsbildungen. Alle diese Höhlen
sind vor allem für ihre paläolithischen Felszeichnungen berühmt, die sich zum
Teil auch auf die Klangsteine erstrecken. Abbe Glory, den Lya Dams zitiert,
denkt an religiöse Riten, die durch rhythmische Klangerzeugung begleitet
wurden. Ja, teilweise sind die Klänge so rein und vielfältig, dass sogar echte
Melodien erzeugt werden können. Die eindrucksvolle Akustik der Höhle von
Nerja wurde nicht nur von den Ureinwohnern der spanischen Levante geschätzt,
sondern auch von modernen Menschen, die sie heute noch im Rahmen
von Konzerten bewundern können.
Auf vier der acht von Ureinwohnern bewohnten Kanarischen Inseln wurden
bislang folgende neun Lithophone entdeckt:
26
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
Tabelle 1: Kanarische Lithophone Insel Wirkungsweise
Peiia de Luis Cabrera, Miia. Guenia (Guatiza) Lanzarote Klanqstein
"La Campana", Caldera de EI Aliibe (Soo) Lanzarote Klanqstein mit Echo im Krater
Roque Malpaso (Arona) Tenerife Klangstein
Roque de La Campana, Echedo (Valverde) EI Hierro Klangstein
Maiada del Jinojo, Vega de Rfo Palmas (Betancuria) Fuerteventura Klangstein
Piedra de la Campana, Malpafs Chi eo (T uineje) Fuerteventura Klangstein
Cueva de la Campana, Morro del Castillejo (Tuineje) Fuerteventura Klanqstein (schwach)
Laja del Tarnbor, Las Peiiitas (Betancuria) Fuerteventura Klanqstein
Risco de la Campana, Barr. de La Torre (La Antigua) Fuerteventura Klangstein
Auffällig ist die wiederholte Verwendung des spanischen Wortes campana
("Glocke"), was offenbar von den spätmittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Besiedlern
der Kanarischen Inseln als Analogon angesehen wurde.
2. Das Lithophon der Peiia de Luis Cabrera
Das hier beschriebene Lithophon befindet sich an der Ostflanke des Vulkans
Guenia, südwestlich der Ortschaft Guatiza. Die Montafia Guenia gehört
zu den frühquartären "Basalten der Serie II-B" von Lanzarote (Rothe 1986:
63), deren Förderprodukte hauptsächlich aus alkalischen Basalten bestehen
und max 1 Mio. Jahre alt sind. Die untersuchte Formation bestand demnach
schon lange, bevor die ersten jungsteinzeitlichen oder bronzezeitlichen Siedler
den Weg nach Lanzarote fanden. Die Örtlichkeit - nach dem ehemaligen
Besitzer des Gebietes "Pefia de Luis Cabrera" genannt - besteht aus einer
phonolithischen Basaltnase, die nahe des Fußes des Vulkans wahrscheinlich
als parasitäre Öffnung entstanden ist, deren schlotartige Füllung die Erosion
der Jahrtausende überlebt hat. Zwischen der Felsnase und dem Abhang des
Hauptvulkans befindet sich ein kleines Plateau.
Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckten die beiden
lanzarotenischen Hobby-Forscher Juan Brito (IC-Mitglied) und Jose M~
Espino die archäologische Bedeutung der Felsen: prähispanische Ritzungen
und Gravuren sowie die Klangsteine. Erst 1979 wurde die Entdeckung Tejera
Gaspar et alii bei einer Begehung bekannt gemacht und dann von diesen wissenschaftlich
gewürdigt (1991 ). In der Folge wurde vor der Real Sociedad Econ6mica
de Amigos del Pafs de Tenerife (La Laguna) ein Vortrag über kanarische
Lithophone gehalten (Resümee bei Alvarez Martinez & Tejera Gaspar
1990). Die erste klangliche und strukturelle Untersuchung (1986) ist bei Alvarez
Martinez & Siemens Hernandez (1988) zu finden. Eine kurze Erwähnung
mit Foto gibt es auch bei Perera Betancort & Le6n Hernandez (1996: 266f).
27
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
Die Fundstelle kann mit dem Geländewagen nur über eine holprige Piste
angesteuert werden, die zeitweise durch Aufhäufung eines kleinen Erdwalls
unpassierbar gemacht wird; zu Fuß ist sie über diesen Weg oder über die unterhalb
der Felsen liegenden landwirtschaftlichen Felder erreichbar. Nach der
Beschreibung bei Alvarez Martinez & Siemens Hernandez (1991: 286f) handelt
es sich um 5-6 Felsgruppen ( complejos) mit insgesamt über 30 Schlagstellen.
An den meisten Standorten ist es einer einzigen Person möglich, mehrere
dieser Schlagpunkte ohne Ortsveränderung zu bedienen.
Die Untersuchungen des Verfassers des vorliegenden Aufsatzes beschränken
sich auf sieben benachbarte Schlagstellen der Hauptgruppe, die klanglich bzw.
in ihren klanglichen Unterschieden die interessantesten sind (persönliche
Nummerierung Abb. 2).
3. Die technische Vorgehensweise
Für die Tonaufzeichnung wurde ein Cardioid-Mikrophon (Nieren-Charakteristik)
mit einem linearen Frequenzgang zwischen 20 und 20.000 Hz verwendet;
die Aufzeichnung erfolgte auf einem tragbaren Tonbandgerät der
Marke Uher Report 4400.
Die analogen Ton-Clips wurden auf einem PC mit einem hochwertigen A l
D-Wandler digitalisiert und mit der professionellen Software "Cool Edit Pro"
von Syntrillium analysiert. Für die Darstellung der Frequenzkurven wurde
der Algorithmus von Blackman-Harris verwendet.
Der Klang wurde durch ein mittelkräftiges Aufschlagen mit einem faustgroßen
Phonolith-Stein aus der Umgebung der Fundstelle erzeugt. Für die
Analyse wurde ein Zeitpunkt ca. 0,02 Sekunden unmittelbar nach dem Aufschlag
verwendet, um eine Klangverfälschung durch den Schlagstein, dessen
Vibration (ein trockenes "Klick") durch das Halten in der Hand und die kleinen
Ausmaße sehr viel kürzer ist, auszuschließen. Was in dieser Untersuchung
als "Klang" bezeichnet wird, sind die Tonwellen, die durch die Vibration des
gesamten Steinblocks entstehen; nicht die durch wenig Klangfarbe gekennzeichneten
Oberflächengeräusche an der punktförmigen Schlagstelle.
Darüber hinaus wurde der Klang auch durch Reiben und Kratzen erzeugt,
was nach Ausfilterung der mechanischen Oberflächengeräusche nahezu identische
Analysewerte wie beim Aufschlagen ergab.
4. Die Ergebnisse der Frequenz-Analyse
Die Frequenzkurven zeigen u.a. zweierlei: Eine bestimmte Frequenz beim
Lautstärkemaximum (FM); dies ist die charakteristische Klangfarbe eines speziellen
Felsens/Steinblocks, die aufgrund seiner Struktur, seines Volumens und
28
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
seiner Form zustande kommt. Und zum Zweiten ein weiteres, schwächeres
Maximum an konstanter Stelle, das die Resonanzfrequenz des Phonoliths
darstellt (FR). Diese feste Resonanzfrequenz orientiert sich an der chemischen
Zusammensetzung des Felsens vor Ort und kann im Fall der Pe:fia de Luis
Cabrera mit durchschnittlich 6550 Hz angegeben werden. Die wechselnde
Klangcharakteristik, die sich aus Punkt FM und den ihm vor- und nachgelagerten
Frequenzen (FN) ergibt, ist demnach die uns interessierende.
Die Lautstärkeverteilung gibt Auskunft über die Länge der Vibrationen,
die übrigens unabhängig von der Kraftanwendung beim Aufschlagen ist, so
dass sich unterschiedliche Schlagstärken durch den Menschen nur in der Lautstärke
auswirken, aber nicht in der zeitlichen Länge. Für den prähispanischen
Musiker, der keine elektronischen Verstärkungsmöglichkeiten besaß, war dies
subjektiv natürlich anders, d.h. die Aufschlagstärke bestimmte die hörbare
Länge des Klangs. Die Länge dieses Klangs liegt durchgängig bei unter einer
Sekunde (siehe Tabelle 2). Den längsten Nachklang hat Punkt 7, den kürzesten
die Punkte 1 und 6.
Der charakterisierende Klang liegt mit wenigen Ausnahmen - darunter die
hochtonige Resonanzfrequenz - in einem Bereich, der als Mittelton bezeichnet
wird (ca. 800-3000 Hz). Mit dem Wort "trocken" sei hier ein Klang gemeint,
der wenig Klangfarbe, also nur wenig Vibration und wenige Frequenzmaxima
aufweist. Man kann die Klänge der sieben Testpunkte demnach klar
in zwei Gruppen aufteilen: die Punkte 1, 5 und 6 mit trockenem Klang; und
die Punkte 2, 3, 4 und 7 mit deutlich hörbarer Klangfärbung. Letztere erlauben
in bescheidenem Umfang die Bildung einer Melodie; dafür liegen die
Frequenzen ausreichend auseinander. Der Wechsel zwischen klangarmen und
klangvollen Schlagpunkten erlaubt auch eine gewisse Varianz innerhalb eines
längeren Spiels, die eine Tonfolge durchaus interessant machen kann.
Es stellt sich die Frage, ob wirklich alle Stellen schon von den Ureinwohnern
(Mahos oder hispanisiert Majos) benützt wurden, zumal das Lithophon
in der nahegelegenen Ortschaft Guatiza bekannt ist. Da wir aber annehmen
können, dass die Ureinwohner gerade die klangvollen Stellen alle herausgefunden
haben, dürften rezente Ergänzungen durch die Spanier nur klangarme
Punkte betreffen. Rhythmischer Gleichklang über Krach-Machen hinaus (siehe
Kap. 6) dürfte bei den geringen Entfernungen der Schlagstellen-Gruppen
mit Blick- und Hör-Kontakt kein Problem für die "Musiker" der Mahos gewesen
sein.
Schwierig zu beantworten ist die Frage, ob die Mahos die Kenntnis von
klingenden Steinen mitbrachten oder dies erst per Zufall auf den vulkanischen
Kanarischen Inseln entdeckten - beides wäre möglich.
29
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
Tabelle 2: Teilanalyse des Lithophons von der Peiia de Luis Cabrera, Lanzarote
Schlagstelle FR FM FN Dauer
Nr. Hz Hz Hz in Sek.
1 6400-6700 1620 952 0,068
2 6400-6700 1640 780, 2161, 2756 0,17
3 6400-6700 818 632, 1270, 1620, 2756 0,193
4 6400-6700 2097 880, 1480, 2478, 2756 0,167
5 6400-6700 2003 997, 2760 0,118
6 6400-6700 1435 843 0,042
7 6400-6700 1392 1914, 2400, 3065, 3967 0,231
Erläuterungen zur Tabelle:
FR = Resonanzfrequenz des lokalen Basalts
FM= Frequenz mit der größten Lautstärke {Maximum)
FN = weitere Frequenz-Maxima, aber leiser als FM
Mehr Maxima bedeuten komplexeren Klang; mit diesem Merkmal unterscheiden sich die klangvol-leren
Schlagstellen (2, 3, 4, 7) deutlich von den klangarmen (1, 5, 6). Stellen, die länger vibrie-ren,
haben auch mehr Klangfarbe.
Abb. 1: Frequenzkurve der Schlagstelle 7
Abbildung 1 zeigt beispielhaft den Frequenzverlauf der Schlagstelle 7. Man
sieht deutlich die klangbestimmenden Maxima des Mitteltonbereichs und
die Resonanzfrequenz (FR).
Eine Erklärung für die Unterschiedlichkeit der Klänge von Fels zu Fels ist
optisch (bezüglich Form, Ausmaße) nicht auf Anhieb greifbar; vermutlich spielen
die im Inneren der Felsen ablaufenden Reflexionen eine gewisse Rolle.
30
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
Abb.2: Der interessanteste Bereich des Lithophons von der Mfia . Guenia (Lanzarote).
Deutlich ist Schlagstelle 3 mit ihrer großen hellen Bearbeitungsfläche zu erkennen.
5. Das Alter des Lithophons
In unmittelbarer Nachbarschaft des Lithophons befinden sich libysch-berberische
und lateinische Felsinschriften (Ulbrich 1996; Springer Bunk 2001 ),
die nach meiner Schätzung in die Zeitenwende datiert werden können, also
rund 1800-2200 Jahre alt sind. Dies muss jedoch nicht das Höchstalter des
Lithophons sein, wenn man berücksichtigt, dass bereits vor den Schriftanwendern
eine Besiedlung stattgefunden hat: Laut Zöller et al. (2003) wurden
Ziegen und/oder Schafe in der Gegend von Guatiza schon mindestens vor
5000 Jahren gehalten.
Die Umgebung des Lithophons ist jedenfalls uraltes Kulturland der Eingeborenen,
wie Flurnamen, Felsritzungen, Tumulus-Gräber (heute verschwunden,
von Verneau 1891: 137 noch bei Guatiza gesehen) und Keramikfunde
anzeigen.
6. Der Zweck des Lithophons
Spanische Eroberer und zeitnahe Chronisten (15.-16. Jh.) sprechen von Riten
der Altkanarier, bei denen die Bitte um Regen neben dem Rundtanz oder
der Prozession auch Geschrei, Wehklagen, Blöken von Vieh und Mensch sowie
Schlagen mit Stöcken auf das Meer umfasste (Ulbrich 2003). Das Areal
der Peiia de Luis Cabrera bietet ideale Möglichkeiten, eine Variante dieser
31
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
religiösen Zeremonie abzuhalten: das Lithophon für rhythmische oder
arhythmische Klangerzeugung bis hin zum Krachmachen; das darüberliegende
Plateau für sakrale Handlungen und Tänze. Es kommt hinzu, dass
der Felsen mit großer Wahrscheinlichkeit als Teil der chtonisch geprägten
Muttergottheit (Magna Mater) angesehen wurde; die Klangerzeugung mit Felsen
war deshalb geeignet, mit der "Großen Mutter" direkten Kontakt aufzunehmen,
unmittelbarer als mit Anrufung oder Gebet. Interessanterweise ist
auch die Musik schlechthin mit der Mutter-Göttin verknüpft: Viele Musikinstrumente,
hauptsächlich Trommeln und Flöten, wurden vom Paläolithikum
bis in die Antike und teilweise sogar bis heute mit der Symbolik der Großen
Mutter versehen (Gimbutas 1996: 71-73). Wahrscheinlich sind Trommel und
Flöte die Musikinstrumente, die zuerst in Kombination verwendet wurden -
entweder durch einen Einzelnen, der beides gleichzeitig spielte (wie der tamborilero
auf den heutigen Kanaren), oder durch ein Duo. Auf den Kanarischen
Inseln geht dies laut Siemens Hernandez (1969: 355) auf alte südeuropäische
- also französische, spanische, portugiesische - Traditionen zurück; die Erwähnung
von Rohrflöten und kleinen Handtrommeln aus Drachenbaumholz
durch Viana (1986: 124) hält er für dichterische Zuweisung europäischen Kulturgutes
an die Guanchen von Tenerife. Das archäologische Inventar und die
Berichte der Eroberer bieten leider keine Hinweise auf die altkanarische Präsenz
von Flöten und Trommeln, was aber meines Erachtens im Hinblick auf
künftige Funde nicht der endgültige Erkenntnisstand sein muss.
Rhythmische Klangerzeugung durch die Altkanarier als Begleitung zu
profanen und rituellen Tänzen - neben der Benützung von Rasseln auch
durch Hände und Füße (letzteres von Abreu Galindo 1977: 55 für Fuerteventura
erwähnt) - kann als gesichert gelten. Arhythmisches scheint aber,
wie oben ausgeführt, eine besondere Bedeutung gehabt zu haben. Ich möchte
in diesem Zusammenhang die in Ulbrich (2003) formulierte Hypothese wiederholen,
wonach der chaotische lineargeometrische Stil altkanarischer Felsbilder,
der z.B. unmittelbar neben dem Litophon zu finden ist (Abb. 3), mit
dem chaotischen Geschrei und Krachmachen, das bei Bittzeremonien für
Regen angestimmt wurde, korrespondiert. Die entsprechenden Linien (Abb.
4) repräsentieren möglicherweise den vom Wind gepeitschten, die Richtung
wechselnden Regen, der bei Gewittern auch von Donner - also Krach(!) -
begleitet sein konnte. Auch die Brandung des Meeres, das man bei den Riten
erregen wollte, ist von Krach begleitet. Es muss deshalb nicht verwundern,
dass Kracherzeugen bei den Regenzeremonien eine so wichtige Rolle spielte.
Aus vielen Kulturen rund um den Globus kennen wir das Krachmachen
auch, um böse Geister zu vertreiben; das Anschlagen des Lithophons könnte
32
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
im Einzelfall damit zusammenhängen. Naturgeister, die z.B. mit dem Vulkanismus
der Inseln in Verbindung gebracht wurden, waren bei den Altkanariern
existent, wie der Guayota von Tenerife zeigt. Der Ausbruch des nur
wenige Kilometer vom Lithophon entfernten Vulkans Monte Corona im Norden
Lanzarotes fand nach Schätzungen der Geologen im Zeitraum 3000-1000
vor unserer Zeitrechnung statt.
Das Lithophon der Pefia de Luis Cabrera kann darüber hinaus auch für
soziale Ereignisse wie Königsweihen und Erntedankfeste genutzt worden
sein, bei denen begleitend zu Spiel, Tanz und Wettkampf der Fels rhythmisch
und in geringem Umfang auch melodisch angeschlagen wurde. Erntedankfeste
sind von den Altkanariern überliefert, z. B. der Befiesmen von Tenerife.
Das Lithophon der Pefia de Luis Cabrera dürfte einen festen gesellschaftlich-
kulturellen Platz in der Welt der Ureinwohner eingenommen haben.
Abb. 3: Chaotische Linien und geometrische Formen des typisch "lineargeometrischen"
Felsbildstils der Kanarischen Inseln; hier ein Ausschnitt aus Paneel A2 der Fundstelle
Pefia de Luis Cabrera (Lanzarote). Teilweise tief geritzt (punktiert= unsicher) . Rechts
unten im Ausschnitt möglicherweise libysch-berberische Schrift.
33
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
34
, I I -- -
Abb. 4·
Linea rg· eomet.
Paneel der F:~~cher Stil in einem
l~mas (Fernes I stelle Cueva Pasi.
c h auffall end ,v eLradn· zaroteJ'. o·i e
mt en oben 11· Il k s k„ ickenden L1. -
ropfen darstellen onnten Regen-
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
7. Literaturhinweise:
Abreu Galindo, Fray Juan de (Ms. um 1600): Historia de la Conquista de las
siete Islas de Canaria.- Goya, Sta. Cruz de Tenerife 1977, 367 S.
Alvarez Martinez, R. ; Tejera Gaspar, A. (1990): Uso litofönico de grandes rocas
por los aborigenes canarios. - Zusammenfassung des Vortrages (4/1987) in
Estudios Canarios XXXII-XXXIII/1986-1988, La Laguna 1990, S. 33
Alvarez Martinez, R.; Siemens Hernandez, L. (1988): The lithophonic use of
large natural rocks in the pre-historic Canary Islands.- in Hickman, E.; Hughes,
D.W (Eds.): "TheArchaeology ofEarly Music Cultures" = Orpheus Bd. 51 ,
Bonn, 1-10 [Übersetzung des nachgenannten Textes]
Alvarez Martinez, R. ; Siemens Hernandez, L. (1991): La utilizaci6n litofönica
de grandes rocas naturales por los habitantes prehist6ricos de las Islas Canarias.-
Tabona VI (1986-1987), La Laguna 1991, 285-289
Dams, Lya (1985): Palaeolithic lithophones: description and comparisons.Oxford
Journal of Archaeology Nr.4 / 1, 31-46
Einwögerer, T ; Käfer, B.; Fladerer, F. (1998): Einejungpaläolithische Knochenflöte
aus der Station Grubgraben bei Kammern, Niederösterreich.-Archäologisches
Korrespondenzblatt 28/1, 21-30
Gimbutas, Marija (19963
): Die Sprache der Göttin. Das verschüttete Symbolsystem
der westlichen Zivilisation.- 2001-Verlag, Frankfurt/M., 416 S.
Gonzalez Ortega, M. (1994): Hallazgos sobre la utilizaci6n litofönica de rocas
naturales en Fuerteventura.- EI Museo Canario XLIX / 1992-94, Las Palmas
de G.C., 225-237
Marti Oliver, Bernat; et alii (2001): Los tubos de hueso de la Cova de l'Or
(Beniarres, Alicante). Instrumentos musicales en el neolitico antiguo de la
peninsula iberica.-Trabajos de Prehistoria 58/2, Madrid, 41-67
Perera Betancort, M.A.; Le6n Hernandez, J. de (1996): Nuevas estaciones de
grabados rupestres de Lanzarote y relaci6n con el contexto arqueol6gico de
los majos.- XI Coloquio de Historia Canario-Americana 1994 t. I (Cabildo
Insular de Gran Canaria), Las Palmas de G.C. 1996, 251-289
Rothe, Peter (1986): Kanarische Inseln.- Sammlung Geologischer Führer Nr.
81 (Gehr. Bornträger), Berlin-Stuttgart, 226 S.
Siemens Hernandez, L. (1969): Instrumentos de sonido entre los habitantes
prehispanicos de las Islas Canarias.-Anuario de Estudios Atlanticos 15, Madrid-
Las Palmas, 355-366
Springer Bunk, Renata A. (2001): Origen y uso de la escritura libico-bereber
en Canarias.- CCPC, Sta. Cruz de Tenerife, 208 S.
Tejera Gaspar, A. ; Balbin Behrmann, R. ; Fernandez Miranda, M. (1991): Los
lit6fonos prehist6ricos de Lanzarote y Tenerife. Estudio arqueol6gico.Tabona
VI (1986-1987), La Laguna 1991 , 279-284
35
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017
Ulbrich, H.-J. (1996): Neue Felsbildstationen auf der Kanareninsel Lanzarote.
11.-Almogaren XXVII, Vöcklabruck (Austria), 285-357
Ulbrich, H.-J. (2003): Das Problem der Harimaguadas (Gran Canaria) - ihre
Bedeutung und Abgrenzung.- Almogaren XXXIV, Wien, 331 -346
Verneau, R. (1891): Cinq annees de sejour aux Iles Canaries.- A. Hennuyer
Ed., Paris, 412 S. (spanische Ausgabe "Cinco afios de estancia en las Islas
Canarias", Coleccion "A Traves del Tiempo" 1 / Ediciones J.A.D.L., La
Orotava 1982)
Viana, Antonio de (1986*): Conquista de Tenerife (edicion e introduccion de
A. Cioranescu).- Biblioteca Canaria de Bolsillo 17 = t.l (Editorial Interinsular
Canaria), Sta. Cruz de Tenerife 1986, 204 S. [*Erstdruck Sevilla 1604]
Zöller, L.; von Suchodoletz, H.; Küster, N. (2003): Geoarchaeological and chronometrical
evidence of early human occupation on Lanzarote (Canary Islands).-
Quaternary Science Reviews 22, 1299-1307 [Nachdruck in dieser
Almogaren-Ausgabe S. 7-24]
36
© Del documento, los autores. Digitalización realizada por ULPGC. Biblioteca Universitaria, 2017