Almogaren XXXV / 2004 Wien 2004 75 - 133
Joaquin Caridad Arias
Acoran, der oberste Gott der Kanarier -
eine altmittelmeerische Gottheit
Key words: Preclassical deities, mythical connections, semantic connections
Zusammenfassung:
Es werden die Namen der kanarischen Hauptgottheit "Acoran", "Ac(h)oron",
usw. mit den Namen anderer Gottheiten des alten Mittelmeerraums (u.a. Griechenland,
Etrurien, Lybien) verglichen, die dem Schema C-R-N / A-C-R-N
folgen, wie die vorklassischen Theonyme Krono-s und Acheron und der sogenannte
"Afrikanische Saturn". Die semantische Deutung dieser alten Wurzel
in verschiedenen Sprachen lässt wieder einmal deutliche Parallelen zwischen
beiden Kulturbereichen erkennen.
Abstract:
A mytho-historic comparison is established in this work between the
theonymic scheme C-R-N / A-C-R-N contained in the name ofthe Canarian
supreme god "Acoran" oder "Ac(h)oron" with those of other deities from the
old Mediterranean area, specially with Crono-s, Acheron and the so called
"North-African Saturn".
Resumen:
En este trabajo se examinan las conexiones mitico-historicas del esquema
teonimico C-R-N / A-C-R-N del nombre de Ja divinidad suprema canaria
"Acoran" o "Ac(h)oron" con los de otras antiguas divinidades del ambito
mediterraneo, y en especial con Crono-s, Akeron y el llamado "Saturno
norteafricano".
Einleitung
Alle Chronisten, die sich mit den Kanarischen Inseln beschäftigt haben,
stimmen darin überein, dass der einzige Gott der alten Kanarier folgendermaßen
benannt wurde:
Acoran, auf Gran Canaria (Torriani 1590, Matritense; Abreu Galindo 1676;
Sosa 1678; Marin 1694; Berthelot; Glas), den beispielsweise Abreu beschreibt
als "einen einzigen Gott, der die irdischen Dinge regiert" oder einfach als "Gott".
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Varianten dieses Namens sind:
Acaron bzw. Acharon, auf Teneriffa.
Achoran (Glas 1764); Berthelot (1842): "Dieu".
Acora, auf La Palma.
Amen-acoran "Mein Gott, Erbarmen!", nach Viana; Almene Coram, nach
G. Escudero.
Acoron - Achoron, auf Teneriffa (Peiia M., Viana, Millares), mit Variante
Ochoron.
A/coran, auf Gran Canaria (Lagunensis 1554, Ovetense 1639, Miliares,
Ulloa). Diese Version könnte von dem hispanoarabischen Wort alcoran "der
Koran" beeinflusst sein, das, nach Wölfel1, in der mittelalterlichen Literatur
mit dem Namen Gottes gleichgesetzt wurde. So schreibt auch G6mez Escudero
(1682): "Gott nannten sie Alcoran, verehrten sie als einzigen und ewigen und
allmächtigen Herrn des Himmels und der Erde und Schöpfer aller Dinge".
Alcorac, ebenfalls Gran Canaria (Viera 1772, später Bory 1803, Berthelot,
Chil, Millares), das "Höchstes Wesen", "der Allerhöchste", "der Erhabene",
"der Unendliche", "Gott" bedeutet und in hoch gelegenen Heiligtümern wie
Bentaica (El Hierro), Tirma und Cimarso (Teneriffa) usw. verehrt wurde.
Wahrscheinlich war der Name der ersterwähnten Stätte auch der einer Gottheit
oder nur ein Lokalappellativum derselben. Die Quellen berichten uns, dass:
11
••• die Kanarier hatten zwei Felsen als Helligtümer, genannt Tirma und
Cimarso, die jewells einen Umfang von zwei Meilen [d. h. die Meile zu ca. 5,5
km] hatten und ans Meer grenz ten, und der Übeltäter, der diese Hügel erreichte,
war frei und in Sicherheit( . .), und sie wurden als Kirchen geachtet. 11
(Ulloa 71, 7 2 )".
Heiligtümer dieser Art gab es auch in Cuatro Puertas (Gran Canaria), Umiaya
(Tirajana), Amagro (Galdar) und an anderen Orten.
Auf das genannte Theonym beziehen sich zahlreiche Toponyme und Anthro-ponyme,
wie:
Acor (Retamar de Acor), Name der Festung Teno, auf Teneriffa.
Acorama -Acaroma, Toponyme aufTeneriffa.
Acoramas, Anthroponym auf Teneriffa.
Acoraida und Varianten, Anthroponym auf Gran Canaria (s. u.).
Achosman, Anthroponym aufTeneriffa, möglicherweise gleich* Achorman,
*Acorman.
1 Monumenta, 492.
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Dem Hauptschema (A)-Cor folgen vermutlich einige Formen mit Konsonanten-
Alternanz: k - h - j [?] - g - eh (und vielleicht 0), vom Typ Coro -
Horo - Joro - Goro - Choro - *Oro / *Uro (vgl. Uranus).
Und weitere, mit präfigiertem femininem Artikel ta-, des Typs Tacoron,
Tacoronte.
Weitere Namen der höchsten kanarischen Gottheit sind:
Atama - Ataman (Teneriffa), in Formeln wie: Arguay-chafan-ataman,
Alguay-chajur-ataman, Atguaychafanataman "Gott des Himmels" oder "der
den Himmel besitzt". Hier handelt es sich wohl um eine kanarische Variation
eh - t, wie in A-chinech - Tenerife.
Abora "Gott", auf La Palma, (vermutlich auf einem anderen Radikal
beruhend), nach Abreu, Glas, Viera, Bory, Berthelot; Abara, nach Chi! und
Millares.
Die Interpretationsversuche, die auf dem Berberischen bzw. Somali beruhen
( eba, ebba "Gott") sind keinesfalls schlüssig, weshalb Wölfel sich - lediglich
mutmaßend - an das baskische buru "Kopf'', "Gipfel" halten will.
Andere Autoren haben mögliche Etymologien angeführt, die auf Wörtern
aus verschiedenen Berbersprachen beruhen, wie etwa dem Silha-Wortmkoorn
oder dem im Sowiyah vorhandenen amoukran "groß", "Meister" oder "Herr"
(G. Glas), oder auch dem berberischen mkurn "Gott" (Glas, Ritter). Wölfe!
seinerseits, der eine direkte Ableitung mkorn > akoran als unhaltbar betrachtet,
schlägt dafür andere vor, die er für "völlig sicher" hält, und zwar auf der
Grundlage des Berberischen und Baskischen, wie etwa: ager"etre plus grand
que" (Ah. Fouc), uzer(Saw.), uger(kabylisch), agur/Tagw·"surpasser" (Silh J.),
ager "etre plus grand, plus nombreux", akoran, akuran "hart", "trocken"
(kabylisch); schließlich baskisch goren "der Höchste", "der Erhabene". Dabei
meint Wolfel, die ursprüngliche Form sei a-kor-an "der Größte", "der Höchste",
"der Erhabene".
Abgesehen von möglichen berberischen oder baskischen Entsprechungen
mancher Sachnamen weist alles darauf hin, dass dieses Theonym weit
zurückliegende, vorindoeuropäische Vorläuferformen besitzt, die sich nicht
auf den nordafrikanischen Bereich beschränken, da es in zahlreichen Mythen
alter Völker erscheint, im gesamten Mittelmeerraum und weiten Teilen Kontinentaleuropas.
Tatsächlich fügen sich in den Bedeutungsbereich dieses Theonyms einige
der bereits erwähnten Begriffe ein, aber auch noch viele weitere, alle innerhalb
ein und desselben weit gefächerten semantischen Feldes, mit Ähnlichkeiten
oder Parallelismen, die im Weiteren detailliert untersucht werden sollen. Einige
der bereits angeführten berberischen Wörter scheinen, semantisch wie
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morphologisch, gut zu den Charakterschemata zu passen, die dieser Gottheit
eigen sind.
Mehrere Gottheiten, deren Namen aus dem Radikal (A)-C-R hervorgehen,
wurden später zu einem festen Bestandteil vieler indoeuropäischer Kulturen,
so z. B. der griechischen, der römischen und der keltischen. Hier wurde ihnen
eine spezielle, häufig untergeordnete Stellung zugewiesen, mit minderer oder
allenfalls der Macht eines Herrn der Unterwelt und ewigen Widersachers der
höchsten indoeuropäischen Gottheit, der des Siegervolkes - gewissermaßen
eine chthonische Version dieser uranischen Gottheit.
Theonyme und Toponyme mit der Wurzel C-R in den alten Theogonien
- mythisch-historische Zusammenhänge
Der Name A-Coran bzw. A-Coron, mit vorangestelltem maskulinem Artikel,
entspringt dem Grundschema K-R, mit Ableitungen Coro, C6rono > Krono -
Kronos, eine alte Gottheit, die von den Römern mit Saturn identifiziert wurde.
Im griechischen Mythos hat der Himmelsgott Zeus als Gegenspieler Kronos,
der im Tartarus, der Unterwelt wohnt. Es handelt sich hierbei um zwei
Gottheiten oder vielmehr um zwei Funktionen bzw. Aspekte ein und derselben
Gottheit: eine uranisch oder himmlisch, die andere tellurisch oder unterirdisch.
Solche Doppelungen bzw. Polymorphismen sind typisch für die archaischen
Religionen, finden sich aber sogar noch in den monotheistischen Religionen:
Mithraskult, Christentum, Islam in der Dualität Gott/Teufel.
Kronound Kronos sind Namensformen derselben Gottheit, die auch Acheron
genannt wurde, mit sprachlich gleichem Ursprung. Sie war darüber hinaus als
Gerion und, wie bereits erwähnt, als Saturn bekannt. Kronos wird auch mit
der Hervorbringung des Regens in Verbindung gebracht, genauso wie die
oberste kanarische Gottheit in einer ihrer Hauptfunktionen. Dieselbe Wirkkraft
wurde ihr in Nordafrika zugeschrieben, im tunesischen Hinterland, einer
Region, deren kulturelle Vorgeschichte gemeinsame Elemente mit der der Kanarischen
Inseln aufweist. Genau in dieses Umfeld verlegt die Odyssee das
Land der Zyklopen und des Polyphem, eines Titanen, dessen Behausung aus
in den Boden gerammten Felsbrocken erbaut ist, nach Art einer Felsenhöhle
direkt am Meer - wahrscheinlich eine griechische Anspielung auf ein
Grabheiligtum der Megalithkultur. Hier sei daran erinnert, dass dieser Typ
Bauwerk im Altertum "zyklopisch" genannt wurde, eine Bezeichnung, die noch
heute gängig ist.
Polyphem ist Ziegen- und Schafhirt, Sohn des Poseidon - ursprünglich nicht
nur ein Gott des Meeres, sondern auch der unterirdischen Bereiche, der Stürme
wie Erdbeben auslöste. Seine Großeltern sind Kronos und Rhea. Wenn Homer
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den Polyphem sagen lässt: "Die Kyklopen kümmern sich nicht um den Ägiserschütterer
Zeus noch um die seligen Götter, denn wir sind wohl viel besser!"
(Buch IX, V 273 - 277), so spielt er sicher auf den in jener historischen Epoche
existierenden Gegensatz zwischen der vorklassischen (Ägäer, Pelasger, Etrusker,
Sarden, Iberer) und der später hinzugekommenen klassischen (Achäer,
Dorer, Jonier und Latiner) Theogonie an.
Der Prototyp der obersten Gottheit, Kronos, Poseidon / Neptun= Taenarius
bzw. Tenams, Saturn usw., - dem wahrscheinlich Polyphe1rr selbst entspricht
- besitzt einen überwiegend subterranen und submarinen Charakter, gegenüber
dem uranischen Jupiter / Zeus. Die homerischen Hinweise auf Polyphem bzw.
auf die Gruppe der Titanen scheinen zu einem Bevölkerungstypus zu passen,
der ähnliche Charakteristika aufweist wie die Altkanarier. In dem bereits
erwähnten nordwestafrikanischen Bereich, nahe der tunesischen Ortschaft
Takrouna (vgl. Ta-comn usw., auf den Kanaren), wo einst ein Heiligtum gelegen
haben muss, wurde ein römisches Mosaik gefunden, das den "Triumph des
Poseidon" darstellt, in der Eigenschaft eines höchsten Gottes und somit Erben
des Vorläufers Kmnos.
"Triumph des Poseidon", Mosaik aus dem 2. Jh. n. Chr. - BardoMuseum,
Tunis
2 In den alten Theogonien stellen die Kinder, Enkelkinder, Brüder usw. der Gottheiten
verschiedene Aspekte bzw. Hypostasen derselben dar.
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Kronos ist, in der griechischen Vorstellung, der Ur-Gott, der niemals altert,
die ewige Zeit, dem Himmel und der Erde entsprungen und im Mythos
identisch mit dem Zeus-Vater gleichen Namens. Die Urheimat dieses Typs
Gottheit ist, nach Wölfel, Persien.
Thr solarer Charakter (als Sonnenuntergang, vgl. Osiris, in Ägypten) brachte
sie mit einer Reihe von Grotten in Verbindung, die man als ihre Wohnhöhlen
ansah, wie etwa die Korische bzw. Korkische Grotte in Delphi, einer der
"Eingänge zum Jenseits" im Altertum. Dort wurde Apollo verehrt, wenn auch
die Heiligkeit dieses Ortes viel weiter zurückreicht und sich ursprünglich auf
die Erdgöttin Gaia und ihren Sohn Python bezog. In christlicher Zeit wurde
hier eine Kirche zu Ehren des heiligen Heüos (!) errichtet.
Für den Griechen Hesiod (8. oder 9. Jh. v. Chr.) ist der oberste Gott Zeus
Kronida, der Schöpfer,jedoch herrscht im Reich der Toten gleichzeitig Krono,
"weil der Vater der Menschen und Götter selbst ihn befreite, und nun bewahrt
er dort für alle Zeit seinen Ruhm, wie es sich ziemt". D. h. es existieren, selbst
in der klassischen Mythologie, zwei parallele Gottheiten nebeneinander, eine
unterirdische oder höllische, Krono, und eine himmlische oder manische, Zeus
Kronida, die den Namen der Ersteren mit dem eigenen nach Art eines
Epithetons bzw. Beinamens verbindet. Der indoeuropäische Gott hat den Platz
des älteren eingenommen, dem er aber jetzt, "wie es sich ziemt", fast "generös"
die Rolle eines Heim des Reichs der Toten zuweist. Dieser Fall ist symptomatisch
für den Wechsel der politischen Vorherrschaft, der sich nach der
Ankunft der Indoeuropäer - mit ihren Göttern - im Mittelmeerraum vollzog.
Der phönizische Priester Sanchuniaton, von dessen Werk wir durch Phylon
von Byblos Kenntnis haben, sagt, dass der himmlische Gott Uranos, bei ihm
Bel Shamim (B'l 'Smm) genannt, eine jungfräuliche Tochter namens Asta1te
hat, Gattin des Kronos, der auch unter den Namensformen EJ3, Eüun oder El
Elzon "Gott der Götter" sowie "die sinkende Sonne" erscheint.
Es handelt sich, wie gesagt, um die archaische oberste Gottheit, die zugleich
himmlische und unterirdische Gottheit war, der Toten und der Fruchtbarkeit,
Funktionen, die diese, nach mehr oder weniger lange währenden inneren
Kämpfen um die Vorherrschaft, der alten Mutter-Göttin entrissen hatte. Die
hier skizzierte Entwicklung manifestiert sich in den unterschiedlichsten
Mythologien als das Ergebnis sozioökonomischer Veränderungen, wie der
allmählichen Herausbildung intensiver Landwirtschaft, der Viehzucht, des
Auftretens von Kriegerkasten in den Gesellschaften, sowie weiterer Faktoren.
Die sich auf eine frühere Etappe beziehenden historischen Berichte stimmen
3 Ein anderer Name von Jahwe.
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insofern überein, als sie die Göttin als einzig und späterhin als Nährmutter
des männlichen Gottes, des Kronos bzw. Saturn selbst, darstellen, dessen
Stellung in der Anfangsphase eindeutig durch Unterordnung unter die große
Mutter-Göttin gekennzeichnet war, als Sohn, Liebhaber oder Gatte. Aus diesem
Grund stellt die alte Ikonographie den männlichen Gott häufig stehend dar,
hinter oder gegenüber dem Thron der Göttin, zum Zeichen des Respekts und
der Unterwerfung. Laut Homer ist Zeus selbst, der oberste olympische Gott
und "Vater der Götter", Sohn des Kronosund der Rheia. Um zu verhindern,
dass er von seinem Vater gefressen würde, verbarg ihn Rheia in einer Höhle
des !da-Gebirges, auf Kreta, wo er von der Nymphe oder Ziege Amaltheia
gesäugt wurde. In diesem Mythos spielt Zeus immer noch die Rolle des jungen
Gottes, Sohn der Muttergöttin, die gleichfalls durch die Ziege repräsentiert
wird (genauso wie Artemis).
Obgleich jünger als die Göttin, ist der männliche Gott ebenfalls eine
prähistorische Gottheit, deren - praktisch universaler - Kult sich seit der
Jungsteinzeit, ganz besonders während der Bronze- und Eisenzeit, ausbreitete.
Die Präsenz der Gottheit Coro / Acoron / Acoran in so weit abgelegenen
Gebieten wie den Kanarischen Inseln belegt ein weiteres Mal die sprachlichkulturelle
Verwurzelung des Archipels im alten Mittelmeerraum und
angrenzenden Bereichen.
Saturn, der Herr des Samstags
Wie bereits gesagt, wurden Coro, Krono, Acheron, Gerion usw. in der Antike
mit dem römischen Saturnusund dem etruskischen Satres- Götter der Aussaat
(lat. sata) - identifiziert. Der Name Samstag(< Sabbat-Tag), kelt. samhain
"die Nacht der Toten" (31. Oktober/1. November), die dem christlichen
Allerheiligentag entspricht, ebenso wie etwa span. sabado, frz. samedi, engl.
satur-day, enthält die Wurzel sav, von der die Formen Savidius und Sauture -
und im Weiteren Saturn(1)us - herrühren. Hierbei handelt es sich um den
Namen einer Gottheit, die in verschiedenen Kulturen die Sonne beim
Untergang und während ihrer nächtlichen "Reise unter der Erde" personifiziert.
Diese alte oberste Gottheit wurde auch Der Herr des Samstags oder Der Herr
des siebten Tages genannt, also des Tages der Ruhe und der Untätigkeit; dieser
Tag war derjenigen Gottheit geweiht, deren Natur passiv ist, dem Herrn der
Samen und der Toten. Der zugrunde liegende Radikal enthält den Namen des
alten akkadischen, assyrischen und babylonischen Sonnengottes Sama, der
über die Nacht triumphiert und den Winter vertreibt. Der Variante Sabentspringen,
außer hebr. Sabbat, Sabbaoth, auch griech. O'oßßmov, lat. sabbatu.
Zu diesem Typus zählen auch slaw. subb6ta (cy66oma) sowie das thrakisch-
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phrygische Theonym Savadius, genannt "der Spender und Beschützer der
Felder". Ein weiterer phrygischer Gott der Natur war Sabazios, der in der
griechisch-römischen Welt mit Dionysos, Liber, Bacchus, Zagreus oder Iakchos
(Radikal Ia-, wie Iahveh / Jahve) gleichgesetzt wurde, der periodisch, entsprechend
dem Zyklus der Natur, stirbt und wieder aufersteht. Es handelt sich
um Götter des Getreides und des Weinstocks.
Aus gleichem Grund war dieser Gottheit die Zahl sieben geweiht, die in
vielen Sprachen derselben Wurzel entstammt.
Wir wissen, dass in der altkanarischen Sprache sat oder satti ebenfalls die
Zahl "sieben" bezeichnete (Navarra Artiles, Cabrera) - und gleichzeitig eine
gängige Abkürzung des Namens Saturnus darstellte, der in lateinischkanarischen
Inschriften auf Lanzarote und Fuerteventura4 erwähnt wird.
Eine Variante des Radikals sam- ist sem-, die im spanischen semana, frz.
semaine, it. settimana, slaw. sem (ceM) "sieben" erscheint. Möglicherweise
enthält der von kanarischen Herrschern benutzte Name Semidan dieselbe
Wurzel.
In den alten Kulturen des Vorderen Orients, bestand die Woche aus sechs
Tagen, wobei der sechste der Tag des Herrn war. Aus diesem Grund beruhen
noch heute die Zahlen "sechs" und "sieben" in vielen Sprachen, einschließlich
der europäischen und nordafrikanischen, auf ein und demselben Radikal. Das
ist auch in der kanarischen Kultur der Fall, wo "sechs" als sumus(mit Varianten)
erscheint und so in Namen wie Sumsumas, Sonsamas oder Zonzamas - ein
König auf Lanzarote und gleichzeitig Anhöhen bei Teguise (Lanzarote) -
auftreten kann.
Weitere alte Theonyme mit dem Radikal C/K-R
Kronowurde in Athen als Gott der Gerste5 verehrt (agrarischer Zusammenhang
mit Saturn) und teilte sich ein Heiligtum mit Rheia, der Göttin der Erde
und der Natur (eigentlich ein Beiname von Artemis und Tanit). Die kretischen
Parallelen zu diesem Götterpaar waren Minos und Blitomartis. Ein Paar dieses
Typs mag im Schema der Religion der Kanarier vorgekommen sein, nach der
Spur zu schließen, die in der kanarischen Toponomastik und Anthroponymie
zu finden ist- Zeugnisse, die trotz des Wechsels der Religion und Änderungen
in der Bevölkerung oft unverändert bestehen bleiben. Möglich wäre auch, dass
es sich um die - männliche und weibliche - Gottheit zweier unterschiedlicher
4 Werner Pichler: "Neue Ostinsel-Inschriften (latino-kanarische Inschriften) auf
Fuerteventura", ALMOGAREN XXVI/1995, S. 21-46.
5 Vgl. engl., dt. corn, Korn, aus derselben Wurzel.
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Gruppen handelt, die in verschiedenen soziokulturellen und -ökonomischen
Verhältnissen leben, obwohl wenigstens in einem Fall, nämlich dem des
Götterpaares Eraoranhan und Moneyba (EI Hierro), der historische Beweis
ihrer Koexistenz in ein und derselben Kultur geführt werden kann.
Im Mithraskult, der als eine spätere "Häresie" der persischen ZoroasterReligion
betrachtet werden kann, findet sich eine weitere funktionale Dualität
in der Gestalt des Gottes Zervan Akarana "die grenzenlose Zeit" (vgl. kan.
Acoron, Acarona) - eine deutliche Parallele zu dem prähellenischen Kronos -
, der die Attribute der zugleich himmlischen wie unterirdischen Gottheit
vorweist: den Blitz, die Fackel, das Zepter, die Flügel, den Löwenkopf, in
seinem uranischen Aspekt, sowie die Schlange, den Schlüssel, den Merkurstab
und das Schmiedewerkzeug, in seiner chthonischen Funktion6
.
Koroneus - der Name bedeutet auch "Rabe" oder "Krähe" - war ein
Lapithenkönig (in Thessalien), der von Herakles getötet wurde, entsprechend
der traditionellen Thematik, die den Kampf des alten Gottes des Sonnenuntergangs
- eines seiner Symbole ist übrigens der Rabe - mit dem jungen
Sonnenhelden behandelt. Bekanntlich haben die Mythenerzähler ihre
Geschichten niemals selbst erfunden, sondern erzählten immer wieder die
überkommenen Legenden mit kleinen Detailänderungen (bezüglich der
Namen, Personencharakteristika, Orte usw.), jedoch stets innerhalb des
ursprünglichen Schemas, wobei sie sich nur dann erlaubten, etwas Neues zu
erfinden, wenn ihr Gedächtnis sie im Stich ließ.
Coronero, Name einer galaiko-lusitan. Gottheit (auf der Basis Coron-), der
auch als Anthroponym Verwendung fand, so in einer Inschrift (CIL II 5595):
Coroneri Camali domus "Haus des Coronero, Sohn des Camalus" (Lugar do
Crasto, Sanfins, Nordportugal). Die Anthroponyme und Volksnamen Cronius
und Cronia sind Ableitungen dieses Theonyms (coron- > cron- > corn-).
Coronus ist eine galaiko-lusitanische Gottheit (wahrscheinlich identisch
mit der vorgenannten), die man aus Inschriften wie der von Cerzedello, Portugal
( CIL II 5562) kennt.
Cronion bzw. Kronion "der Donnerer" oder "Herr des Donners", eine
Ableitung des Typs *Coronion (mit Synkope), ist der Name einer archaischen,
später mit Jupiter synkretisierten Gottheit und vielfach als dessen Epitheton
oder Beinamen verwendet.
Crononium bzw. Corononium ist ein alter, 1220 in Frankreich dokumentierter
Ortsname. Ein Cronone oder Chrononensis genanntes Kloster (nahe
Ciermont-Ferrand) heißt heute Cournon.
6 Bildnis aus den Ruinen des römischen Hafens in Ostia. Dieses wurde von einem gewissen
C. Valerius und seinen Söhnen im Jahr 190 gestiftet.
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Cronius ist ein keltischer Beiname, der dem gaelischen und kymrischen
Cron entspricht. Er wurde auch als lateinischer Männername gebraucht (vgl.
oben Cronia und Crunia). Eine Inschrift in einer keltischen Festung in
Nordportugal lautet: "Croni (*Coroneri) Camali f(ilius )" ( CJL II 5592).
Coronis oder Cornix (Krähe) war auch einer der Namen der jungsteinzeitlichen
Göttin, die der Mythos (Ovid, Metamorphosen II 547) als Gegenspielerin
des Apollon oder des Poseidon präsentiert. Es handelt sich hierbei
um dieselbe Göttin, die auch Ge, Dictinia, Aegaea, Rheia, Artemis, Britomartis
usw. hieß. Die genannte Form wurde auch als Beiname der Göttin Athene
gebraucht, der der Rabe geweiht war. Bekanntermaßen wurden zahlreiche
Namen der Göttin in späterer Zeit, durch die Wechselfälle der Weltgeschichte,
zu Bezeichnungen männlicher Gottheiten, so auch Corono/Korono, Crono/
Krono, Acheron usw. Die Toponyme und Anthroponyme, die auf ebendiesen
Namen beruhen, sind überaus zahlreich im gesamten präindoeuropäischen
Mittelmeerraum (s. u . Ausführungen über den Raben, die Krähe, den Kranich
usw.).
Der römische Raben-Gott ist Saturn, eine Gottheit, die, wie gesagt, Uranus,
Kronos und dem keltischen Bran - ein weiterer Raben- und Sonnen-Gott -
gleichzusetzen ist. Zeus selbst ist, streng genommen, dieselbe Person, jedoch
mit ausschließlich himmlischen Funktionen, nachdem er seinen Bruder - und
gewissermaßen sein Alter Ego - Kronos in den westlichen Hades verbannt
hat. (Diese Episode findet ihre hebräische Entsprechung im von Jahwe
veranlassten Sturz Luzifers in die Tiefen der Hölle.) Wie wir bereits gesehen
haben, war all dies kein Hindernis dafür, dass er sich des Namens seines
Gegners bemächtigte, indem er den Titel Zeus Cronidas annahm.
Cronianuswar der Name, der im alten Griechenland dem "göttlichen Kind"
zukam, einer Erscheinungsform des Zeus als junger Gott der Natur, der
alljährlich in einer Grotte auf der Insel Kreta, nahe Knossos, neu geboren
wurde. Derselbe Aspekt entspricht auch anderen Gottheiten, wie DionysosBacchus,
Sabazios, Marduk, Tammuz sowie sämtlichen jungen Göttern, deren
Tod und jahreszeitliche Wiederauferstehung die Zyklen der Natur symbolisieren.
Wie oben dargestellt, findet sich dieselbe Namensbasis in zahlreichen
spanischen Toponymen, so z. B. in Corofio, Corona bzw. Cmfia, Clunia, Cumefia,
Crons, aber auch im ägäischen Korinth usw.
Die Coritani, Coritaviund Coriticiwaren kelt. Völkerschaften im nördlichen
Britannien, die zweifellos den Namen ihrer eponymischen Gottheit trugen.
Acron, Acronis(Reduktion von Acheron, -onis) war der Name verschiedener
etruskischer, griechischer und römischer Persönlichkeiten. Einer von ihnen
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war ein von Romulus getöteter Cecinier-König7, vermutlich eine alternative
Version zum Mythos des Paares Romulus und Remus.
Auf dem Radikal C-R / K-R beruht gleichfalls der auch Jupiter zugeordnete
Beiname Caranicus bzw. Charanicus "der vom Berge". Dabei handelt es sich
ursprünglich um ein weiteres nicht-lateinisches Wort, wie bei den Theonymen
Caron, Charon oder A-cheron. In der hispanischen Toponymie war Caranicum
der Name einer alten "mansio" in der Gallaecia. Eine Ortschaft in Asturien
trägt gegenwärtig den Namen Carancos.
Corotiacus war der Name einer britannischen Gottheit (Inschrift von
Martlesham, Suffolk), später als Beiname des Mars verwendet: Mars Corotiacus
(CIL VII 93a).
Alte Toponyme
Ebenso wie Acheron erscheint Kronos eng verbunden mit der Anderswelt,
dem Hades usw. in einer Reihe von Toponymen, die das letzte Landbezeichnen,
wie:
Corinium oder Corinion, das heutige Cirenceste1~ die Stadt der Dobunni,
ein piktischer Volksstamm. Corinium oder Corenus war auch der alte Name
des Corner Sees, womit sein Bezug zur Anderswelt gekennzeichnet ist, genauso
im Falle vieler anderer Seen, Flüsse, Quellen usw., so etwa des Acronius lacus
(* Acheronius), eines alten Namens des Bodensees - zweifellos aus demselben
Grund, denn dort befand sich die Insel der Toten (heute Reichenau).
Coronium war eine alte, von Plinius (III, 4, IV) erwähnte Stadt im Conventus
Lucensis (Corufia?).
Corovio oder Crovio, Name eines Ortes in Gallien, trägt das Suffix -vius,
entsprechend -dius, Titel einer Gottheit.
Cronia (oder Bitinia) war der Name eines Gebiets an der Nordwestküste
Kleinasiens, die nördliche Grenze der den Ägäern zu einem bestimmten
historischen Zeitpunkt bekannten Welt.
Das alte Clunia der Arevaci heißt heute Coruiia del Conde (Burgos, Spanien).
Maris Cronium war ein Name des Finnischen Meerbusens, am "nördlichen
Ende der Welt" gelegen und von den Griechen mit dem Hyperboreas oder
dem Hades gleichgesetzt.
Die wahre Identität der Wurzelformen Cron-, A-cron, Acheron usw. zeigt
sich auch in Namen wie dem des Flusses Cronium in Epirus (Plinius), sonst
auch unter dem Namen Acheron bekannt, ein Name, der, wie wir wissen,
üblicherweise den Fluss oder See bezeichnet, der die Grenze zum Jenseits
7 Nach dem Mythos wurden seine persönlichen Hinterlassenschaften Jupiter geweiht.
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bildet und den die Toten im Boot des Charon überqueren müssen. Die Parallele,
die sich regelmäßig zwischen den Theonymen und geographischen Namen
ziehen lässt, können wir auch im Falle dieser Gottheit beobachten. Gemäß
den klassischen Quellen beziehen sich die alten Namen des Acheron bzw.
Acheloos, je nachdem, auf:
• den Fluss selbst (Plinius, Ovid, Vergil)
• den Flussgott (Vergil)
• die Hölle, die Anderswelt, den Tod oder die Nacht(Cicero, Vergil, Horaz).
Als Theonym bezeichnet der Name die oberste Gottheit mit doppelter Natur:
einem himmlischen Aspekt und seinem höllischen, subterranen, subaquatischen
Gegensatz bzw. Komplement. Diese Dichotomie ist wohl dieselbe, die in der
kanarischen Theogonie auftritt; auch hier findet sich gleichzeitig eine göttliches,
uranisch-solares sowie ein entgegengesetztes, infernalisch-subterranes Wesen,
deren Namen, Epitheta und Wohnstätten gelegentlich vertauscht oder
verwechselt werden. All dies verweist auf eine duale, dioskurische8 Gottheit
oder, was dasselbe ist, auf ein und dieselbe Gottheit in zwei Aspekten bzw.
Epiphanien.
Cadamosto und andere Autoren erwähnen den Sternenkult bei den
Guanchen, der durch einige Funde von sonnen- bzw. sternförmigen Figuren
in Darstellungen auf Felsen und Töpferarbeiten bestätigt wird.
Semantisches Feld des Radikals C-R / K-R, G-R
Die morphosemantische Familie, die auf dem Radikal k-r gründet, - mit
zahlreichen Varianten, die stets zur Vorstellung Stein, Fels oder Berg, Anhöhe
usw. führen - besitzt eine beachtliche Lebenskraft und weite Verflechtungen
innerhalb wie außerhalb der indoeuropäischen Sprachen. Das Vorhandensein
einer derart großen Zahl von auf dieser Wurzel fußenden Appellativen,
Adjektiven und Toponymen in weit auseinander liegenden Gebieten und
dennoch mit praktisch unveränderter Lautung und Bedeutung kann wohl nicht
auf Zufall beruhen9
• Natürlich ist es möglich, dass so etwas gelegentlich einmal
eintritt, jedoch sicher nicht mit statistischer Relevanz und generell. Zahlreiche
Wörter in den modernen Sprachen haben ohne Zweifel einen oft nicht-indoeuropäischen
Ursprung, obwohl sie häufig mit parallelen oder verwandten
indoeuropäischen Elementen in Kontakt gekommen sind und so eine lange
Reihe von Wechselbeziehungen, Kreuzungen, Interferenzen, Kontaminationen,
Verknüpfungen und Neukombinationen ermöglich haben 1°.
8 Gewiss entstammt der Name Dioscuros der griechischen Basis hyios Korous, was so
viel bedeutet wie "Sohn des Koros (=Zeus)".
9 Gerhard Dorfer: Lautgesetze und Zufall. Innsbruck 1973.
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Die alten Gottheiten wurden häufig mit mehr oder weniger periphrastischen
Namen belegt, die auf eine ihrer Eigenschaften anspielen. Oft entspringen
diese Namen bzw. Beinamen der priesterlichen Sphäre und hatten zum Ziel,
Fremde oder nicht Initiierte daran zu hindern, die okkulte Bedeutung der
betreffenden Gottheit zu erfassen. Dabei wurde ihr wahrer Name in aller Regel
als sorgsam gehütetes Geheimnis und sogar als strenges Tabu behandelt, indem
nämlich ihr Gebrauch ganz bestimmten Personen und Anlässen vorbehalten
war, nicht selten unter Androhung äußerst harter Strafen für die jeden, der die
Vorschrift übertrat. Demzufolge kennen wir zahlreiche Götter unter Namen,
die in Wirklichkeit lediglich "der Herr", "die Herrin", "der Ewige", "der
Erhabene", "der König", "der Name" und ähnliche Umschreibungen zum
Ausdruck bringen.
Die aus (A)COR-abgeleiteten Theonyme beruhen auf einer Wurzel, die sie
in vielen Sprachen mit einer langen Reihe von Gemeinnamen und Adjektiven
verbinden; dabei bilden diese zugleich eine alte morphosemantische Familie
von Wörtern, die auf einige der unterschiedlichen Aspekte und Funktionen
der Gottheit hindeuten - was in gleicher Weise auch für viele andere Theonyme
gilt.
Zusammengesetzte Toponyme
Das Schema c-r / k-rbeweist eine große Vitalität und bildet die Grundlage
für eine beachtliche Zahl an Wörtern mit unterschiedlichen Vokalisierungen,
insbesondere des Typs car-lcor- sowie carr-/corr-, aber auch ker- bzw. quer-,
die wir bereits in Formen wie quercus "Eiche" gesehen haben. Eine weitere
Variante bietet cur-, etwa in Cuäus, Cur-redius, -a, Kur-land usw.
Der Name und sonstige Implikationen dieser alten Gottheit gingen, wie
wir sehen, keineswegs mit der Ankunft der aus dem Osten kommenden Protoindoeuropäer
und Indoeuropäer im Westen Europas (wohl bereits um 4300 v.
Chr.) verloren. Vielmehr wurden, wie bereits erwähnt, zahlreiche originäre
Theonyme späterhin zu "Beinamen" oder "Epitheta" umgedeutet, die man den
Namen bestimmter griechisch-römischer Gottheiten, wie Jupiter / Zeus, Mars,
Apollo usw., hinzugefügte. Es handelt sich hier um volkstümliche - und vielfach
wenig treffende - Deutungen, die zu Zusammensetzungen mit Namen von
Gottheiten aus unterschiedlichen Kulturen geführt haben, deren Funktionen
einigermaßen ähnlich, jedoch durchaus nicht identisch sind. Diese Namenskombinationen
wurden zweifellos zu einer Zeit geprägt, wo die alten
Religionen in der Vorstellungswelt des Volkes noch ihre Gültigkeit bewahrten,
10 Vgl. Helmut Stumfohl: "Sprache und Vorgeschichte im allgemeinen", in: Sprache und
Vorgeschkhte in den Alpen und den Pyrenäen.
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um so den Akkulturationsprozess der unterworfenen autochthonen Bevölkerung
- oder, mit anderen Worten, den Prozess ihrer Integration in die
griechisch-römische Welt - zu befördern. Der gleichen Vorgehensweise sollten
sich später die Römer auf der Iberischen Halbinsel bezüglich der keltischen
und iberischen Gottheiten bedienen. Tatsächlich könnte man sagen, dass
"Jupiter" oder "Mars" in den entsprechenden Fällen nichts anderes als
Beinamen der einheimischen Gottheiten darstellen.
Diese und zahlreiche weitere zusammengesetzte Theonyme, bei denen einer
klassischen Gottheit ein zweites Element, als Epitheton oder Beiname,
beigesellt wird, sind Verbindungen, vermittels derer einer fremden Gottheit
bestimmte Machtbereiche zugeordnet bzw. anverwandelt werden - eine
weitsichtige und wirksame Form der Akkulturation der unterworfenen
Völkerschaften, ohne die Notwendigkeit, deren alte Kulte direkt zu verbieten.
Einige Zusammensetzungen dieses Typs sind:
• der bereits erwähnte Jupiter Caranicus "J. des Berges" bzw. "des Felsens",
als Gottheit der Höhe.
• Dius Grannus oder Granius- möglicherweise eine synkopierte Variante
der vorigen - ist ein Name, der auf Apollo als Beiname ( Grannicus) in seiner
Funktion als Gottheit der Natur und Korns (granum) angewandt wurde
(womöglich eine interpretatio romana).
• Mars Carrus (vgl. u. Radikal carr-1 garr-), ein Name, der auf dem gleichen
Wurzelschema beruht und dessen Identifikation mit Mars den kriegerischen
Aspekt des vorindoeuropäischen Gottes Carra1 1 zum Ausdruck bringt.
• Sude-cronis, ein epigraphischer, wahrscheinlich keltiberischer Name'2,
der sich auf den "sitzenden Krono" bezieht, mit Anspielung auf die passive
Haltung, die typisch ist für den Gott der Unterwelt (Ruhe, Tod), die archaische
oberste Gottheit in maskuliner Version. Dieselbe Haltung weist in der
Ikonographie der gallische Gott Cemunnos "der Gehörnte" auf (Wurzel c-r-n-),
Herr der Natur, der Tiere, der Fruchtbarkeit und des Reichtums, dessen Ursprung
für präkeltisch gehalten, also dem vorindoeuropäischen Substrat
zugeordnet wird.
• Das gallische Ethnonym Corio-solites, ein Volk in der Armorica (NW
Galliens), spielt auf die solare Natur (im Sonnenuntergang) seiner von Caesar
erwähnten Stammesgottheit Coro-Solis13 an. Dieser Name lebt in der heutigen
I I CIL II 4970.
12 CIL II 2183.
13 In der keltischen Toponomastik finden sich verhältnismäßig häufig Namen mit der
Basis sol, sul, mit Bezug zur solaren Gottheit, so etwa: Solius, Solicus, Solliacus, Solitus,
Soli-rigus, Soli-rix, Sulinus usw.
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Form Corseul fort, einer Stadt nahe dem französischen Finisterre. In römischer
Zeit nannte man sie auch Fan um Martis wegen eines nahe gelegenen indigenen,
einem gehörnten Kriegsgott geweihten Heiligtums, den die Römer mit Mars
identifizierten, bei dem es sich jedoch in Wirklichkeit um den keltischen Coro
bzw. Cosso gehandelt haben dürfte; dieser wurde anderwärts, als Folge der
Romanisierung, Cossus Mars genannt.
• Soli Curus, in umgekehrter Reihenfolge, ist ein epigraphisches Anthroponym
in Burdigala (CIL XII 6161), das ein weiteres Mal beide auf diese
Gottheit bezogenen Radikale miteinander verbindet.
• Are-curiuswar die in Cor-stopitum im alten Britannien, heute Corbridge,
verehrte Gottheit. Arecorus ist ebenfalls ein epygraphischer Personenname
aus Toulouse 14
•
Sehr wahrscheinlich wurde unter all diesen verschiedenen Formen ein und
dieselbe Gottheit in unterschiedlichen geographischen Bereichen angerufen.
Morphosemantisches Auftreten des Radikals [a]c-r bzw. [a]g-r in
verschiedenen Sprachen der ans Mittelmeer grenzenden Gebiete
1.1. Fels, der Hohe, der Erhabene, Herrscher, Anhöhe, span. alcor "Hügel"
1.2. Kopf, Gesicht
1.3. Phytonyme: caryophyllum "Nelke", Sonnenblume usw.
Wir haben hinsichtlich der Berbersprachen bereits auf die wahrscheinliche
Verbindung des Theonyms Acoran mit den Vorstellungen "überlegen sein",
"überragen" usw. sowie mit dem baskischen goren "der Höchste", "der
Äußerste", "erhaben", "Herrscher" hingewiesen. In anderen Sprachen existiert
ebenfalls eine Reihe von Appellativen, die "die Anhöhe" bezeichnen, wie lat.
co/lis, katal. eo//, span. col/ado. Span. colmo bedeutet "Maximum", "Gipfel";
coro und alcor (ein Arabismus) sind "die Höhe", "die höchste Stelle" in der
Landschaft. Berb. aqqer, plur. aqqeran entspricht dem Begriff "Firmament",
"Himmelsgewölbe". Das Wort gründet auf der Wurzel, die in einem der Namen
oder Epitheta erscheint, die für diesen Typus Gottheit charakteristisch sind:
"der Hohe", "der Erhabene".
Gleicher Herkunft ist das Theonym Col/atina, eine alte latinische Göttin
der Hügel und Anhöhen (lat. co/lina), aus dem sich u. a. der Ortsname Collatia
entwickelte, zwei Städte in Latium bzw. Apulien (und deren Einwohner collatini
hießen).
Der Kopf ist ein altes solares Symbol, dem auch der keltische Kopf-Kult
nahe steht, dessen europäische Wurzeln bis zur Urnenfeld-Kultur und zur
frühen Bronzezeit zurückreichen.
14 Insc1: de Languedoc 11. 1372: "P Arecorus" .
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Das griechische kara ( Kapa) bedeutet "Kopf', "Gesicht", "Antlitz", häufige
Symbole bzw. Beinamen der Sonne. Hier sei daran erinnert, dass die punische
Tanit "das Gesicht von Baal" (also des Sonnengottes) genannt wurde.
Ebendiesen Radikal finden wir auch in karykinos ( Kap vKivo<;;) "hellrot" (s. u.
"rot"), mit veränderter Semantik, jedoch innerhalb desselben Begriffsfelds.
Desgleichen steht der Name der Sonnen-Gottheit Talos vermutlich mit dem
keltischen talos "Stirn" (und, mit Bedeutungserweiterung, sicher auch "Antlitz",
"Gesicht") 15 in Verbindung, in Komposita wie Carro-talos, Argio-talus
"strahlende Stirn" und Dumno-talus "der Herr Talus", ohne Zweifel theophorische
Namen. Dem griechischen Autor Hesychios zufolge ist Talos "ein Name
der Sonne". Einige der Namen des Tagesgestirns sind in der keltischen Kultur
gleichbedeutend mit "der große Kopf', "der wandernde Kopf' oder "der
strahlende Kopf'. Die dem letzteren entsprechende keltische Namensform,
Penno-luco, wurde späterhin zu einem Beinamen des keltischen "Jupiter". In
dieser Sprache findet sich auch die semantische Äquivalenz "Kopf' = "Gipfel"
oder "erhaben".
Möglicherweise enthalten der griechisch-lateinische Name der (roten) Nelke
ca1yophyllum (Kapv6qwÄ.Ä.ov)sowie das vulgärarabische kr6nfla (Äjij' ..)) und
galicisch cara-bel, cast. clavel Namen, die auf diese Blume als Symbol des
Gestirns und der entsprechenden Gottheiten, wie Bel und Kron-o, anspielen.
Weitere Phytonyme mit derselben Wurzel, oftmals mit prothetischem a-,
bezeichenen Früchte, Blumen, Tiere usw. von roter Farbe bzw. solche, die in
irgendeiner Weise mit dem Tod und dem Sonnenuntergang in Verbindung
stehen, wie:
• Griechisch akarna ( aKapva) "Lorbeerbaum" sowie ahd. ahurna, nhd. Ahorn
(k > h), beide mit spitz zulaufenden Blättern, offensichtlich verbunden mit
griech. akr6s(aKp6<;;), lat. acer"scharf', "spitz".
• Griechisch karenon (Kapr,vov) bedeutet gleichzeitig "Kopf', "Anhöhe",
"Zitadelle"; k6rymbos(K6pvμßo<;;) entspricht sowohl "Höhe", "Gipfel" als auch
"Kopf".
• Die acronia ist eine Orchidee mit purpurfarbenen Blättern. Erinnert sei hier
an die semantische Beziehung zwischen den Wörtern Orcus sowie dem
tiefroten Pflanzenfarbstoff Orseille (span. orchilla) mit dem (roten) Sonnenuntergang
und dem Tod.
• Mit acronictides werden im Lateinischen die Nachtfalter bezeichnet; einer
von ihnen ist die acherontia atropos, der Totenkopfschwärmer, auf dessen
dunklem Körper eine gelbe Zeichnung erscheint, die an einen Schädel erinnert
(Beziehung Acheron = Tod).
15 Das englische browentspricht zugleich "Stirn" und "Gipfel".
90
.....
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-
• Die tacorontia ist ein kanarischer Name für die Pflanze dragantea bzw.
dracunculus "kleiner Drache", dessen - überaus bitter schmeckende - Wurzel
die Guanchen in Notzeiten aßen, unverkennbar gleichfalls im semantischen
Umfeld von Caro und Acheron.
• Die Etrusker hatten die so genannten libri acherontici, die "acherontischen
Bücher", in denen Spenden- und Opferrituale (speziell für die Götter der
Unterwelt) festgelegt waren16
•
• Die diphthongierten Varianten des Radikals car-, Caur-, Cour-, sind
latinisierte bzw. romanisierte Formen. Sie stehen gleichfalls mit der prähistorischen
Wurzel caran - karan "Fels", "steile Anhöhe", mit den keltischen
bzw. vom Keltischen abgeleiteten Formen (ir.) carn, (bret.) cairn, (kymr.) caern,
baskisch harr, harribzw. arr, arri "Stein" (Entwicklung k > h), sizil. carrancu
"steiler Hügel" und vielen anderen in Verbindung. Hierauf beruhen auch
zahlreiche Toponyme wie Caern-avan (Wales), Carnuntum (Pannonien), Carres
(Tiro), Carnata, Carnaeda, Ca1ml an der galicischen Nordküste, die Karnischen
Alpen (Österreich), bask. A1Tiaga, franz. Arriege, keltiber. AlTiaza "Fluss der
Steine" (heute Guadalajara, eine arabische Namensform mit identischer Bedeutung)
usw.
Die genannte Komponente erscheint als Suffix in einigen Theonymen
verschiedener Kulturen, wie das griechische Apollon Carnaios- durch einen
Stein dargestellt - und die alte berberische Gottheit Baal Carnain (bzw.
Qarnain), eine Interpretation von Baal Hammon als Saturn. Sein Name bedeutet
"der solare Widder", auch "der Herr der zwei Hörner" genannt und den Römern
als Saturnus Bal-caranensis, oder der "afrikanische Saturn", geläufig. Es handelt
sich hierbei ebenfalls um einen Gott des Berges und der Höhe, der in
Djebel (Berg) B'l Qarnain (frz. Bau Kamin), nahe Tunis, verehrt wurde. In
beiden Fällen handelt es sich um Epiklesen des Apollo bzw. Baal, die auf einem
ursprünglich unabhängigen Gott Karnas beruhen. Die Variante Caranicus
wurde später auf Jupiter und/oder Mars als Gottheiten der Höhe bzw. des
Krieges angewandt.
Die Wurzel cor-, äquivalent mit car-, erscheint häufig in den Sprachen der
Iberischen Halbinsel und bezeichnet in der Toponymie den oberen Teil von
etwas, den "Gipfel", den "Hügel" (span. coro und alcor, Letzteres aus dem
16 Trotz des mutmaßlich infernalischen Charakters der Mehrzahl der etruskischen Gottheiten
bietet die literarische Tradition eine Reihe von - mehr oder weniger expliziten -
Bezugnahmen antiker Autoren (Arnobius, Servius, Martianus Capella) auf die Tatsache,
dass diese Religion auch Elemente der Tröstung und Rettung besaß, denn sie bot die
Möglichkeit, einen Stand der Seligkeit und sogar der Göttlichkeit mittels Beachtung des
Rituals und Darbietung der vorgeschriebenen Opfergaben usw. zu erreichen.
91
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arabischen ...>ß.11 "Hügel"). Diesen Radikal enthalten auch die kanarischen
Theonyme Acoron- Achoron, Acoran, Alcoran, Alcorac, von den Chronisten
mit "Gott" wiedergegeben; in Wirklichkeit sind sie Namen bzw. Beinamen
der obersten Gottheit, "der Hohe", "der Erhabene", "die Sonne".
Auf derselben Wurzel beruht wohl auch lat. coruscus (Cassius, Gregor von
Tours), das auf die Gottheit der Höhe als den Herrn des Blitzes und des Donners
anspielt - eine Annahme, die vom Parallelismus anderer Jupiter/Zeus-Epitheta
wie keraunos (KDp<xvv6<;) "Blitz" und seiner lateinischen Entsprechung tonans
"der Donnernde" untermauert wird.
Eine derartige Vielfalt und Vielzahl an Wörtern, die in den unterschiedlichsten
Sprachen semantische und morphologische Übereinstimmungen
aufweisen, kann wohl nicht auf Zufall beruhen und verweist mithin zweifellos
auf einen gemeinsamen Ursprung.
Weitere Wörter mit dem Radikal car- in der Bedeutung "Höhe", manchmal
auch "spitzes, scharfes, konisches Objekt", sind:
• im Spanischen: caniculo ("Oberteil des Kreisels"), caramulo ("Aufschüttung",
"Anhöhe"), carambano ("Eiszapfen"), cocorota ("Kopf'' im
familiären Sprachgebrauch) - ähnlich wie galicisch curuto oder cucuruto
("Höhe")-, coro ("Chor" einer Kirche, wegen seiner erhöhten Lage), coromlla
("Haarkranz" der Priester, ursprünglich von den Serapis-Priestern getragenes
Symbol der Sonnenscheibe). Die Wörter alcurnia und alcudia ("hohe Abstammung",
mit dem agglutinierten arabischen Artikel al-, vgl. o. alcor) bedeuten
ebenfalls "Erhebung". Diesem Typus gehören diverse spanische Toponyme
an wie: Alcor, Alcoraya, Alcorc6n, Alcorfn, Alcorisa, Alcudia. Sie werden als
arabische Entlehnungen in der spanischen Toponymie betrachtet, jedoch ist,
wie wir gesehen haben, ihre Herkunft nicht exklusiv arabisch oder berberisch,
sondern allgemein sehr alt und weit verbreitet.
• im Baskischen: garranga oder karranga, kazrnnka ("Spitze der Spindel",
"Sporn"); in anderen Regionen Spaniens bezeichnen die verwandten Wörter
carrancas bzw. carlancas das "Dornenhalsband für Hunde"; txurru
(< * cur(r)u, "Kuppel"), goratu ("erheben", "erhöhen")
• im Galicisch-Portugiesischen in Wörtern nicht-lateinischen Ursprungs:
caruta, camcho und Varianten coruto, corucho ("Höhe", "höchster Teil von
etwas"); carroceira, carrouceira ("Hügel in der Landschaft"); corota ("Hahnenkamm")
• im Leonesischen: coro oder cor6n ("höchstgelegener Teil eines Landguts")
• im Katalanischen: curull ("Gipfel").
92
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2.1. Heer, Befehlshaber, Führer, Herr
2.2. Schutz
Eine alte Ableitung aus dem griechischen Radikal cor-, ker- (KOp-. Kr:p-) ist
koros, korios (K6poc;, K6pwc;) "Krieg", "Heer" , vgl. germ. ker, kelt. colg
"Schwert" (Alternanz 1 - r), Begriffe, die typisch sind für den kriegerischen
Charakter dieser Gottheit des Berges, wie sich aus der Epigraphie schließen
lässt (Mars Colius bzw. Caurius, CaJTususw.).
Das Gallische kennt auch das Wort corio "Kriegerschar"; irisch cuire, ciuri
"Truppen", "Kampfgruppen" und coriones "der Anführer", mit denen das
griechische caranos (Kb.pavoc;) "Kopf", "Anführer", "Heerführer", ky rios
(Kvpux;) "Herr", russisch kor6J(Kopo,1b) "König" sowie die Wörter lat. corona
"Krone", span. coronel, frz ., engl. colonel "Oberst" zu vergleichen wären;
Ko1yphäe, aus dem griech. koryphaios(KopV<pa'i'oc;) "Führer" (vgl. koryphe,
1wpv(f)ff, "Höhe", "Gipfel", "Krone"), des Weiteren korys (Kopvc;) "Kopf",
"Helm". Es handelt sich, wie gesagt, um die oberste Gottheit der Höhe, die
ihren Namen u. a. verschiedenen Felsenhöhen in den Alpen, im Zentralmassiv
und in Südfrankreich gab, so z. B. Calia, Caira, Camicos / Karnische Alpen,
Cairoun, Cher, die Alpes Cotii oder die montes del Caurelbzw. Courel, in Galicien.
Der Radikal von Coro, insbesondere die Form mit dem präponierten Artikel
a- (kanar. Acoran, Acoron, Achoron usw.), ist wahrscheinlich mit dem
berberischen akrun "Schutz" (Tunesien), in der Bedeutung "der Beschützer"
verbunden. Es handelt sich hierbei um eine Reduktionsform, ähnlich weiteren,
griechischen, etruskischen usw. Formen, die weiter unten aufgeführt werden.
3.1. Eiche, Korkeiche, Esche, Nussbaum, Zeder, Tamariske, Hartriegel
(cornus)
3.2. Kernholz, Herz, Nacken ( cervix) usw.
Das Schema k-r / c-r bildet die Grundlage für zahlreiche Wörter, die die
Eiche bezeichenen, den Baum des Gebirges, seit jeher mit der obersten Gottheit
der Höhen verbunden, lat. quercus (k-r-k); span. alcomoque, vom arab. alcorc
(J_ßll), mit seinen Äquivalenten, wie galicisch cerco, quergo, corco
"Eiche", cerqueira "Eichenwald". Eine Reihe von Namen der Steineiche, span.
encina, carrasco, deren Ursprung nicht lateinisch noch möglicherweise
überhaupt indoeuropäisch ist, sind: bask. gan-asko, katal. ganic sowie bask.
arta-karro. Varianten, mit k > p - b, sind port. (Beira-Dialekt) caJTapim "kleine
Eiche" sowie galicisch-portugiesisch carballo- carvalho "Eiche".
Dieser Radikal besitzt, wie gesagt, auch die Bedeutungsrichtung "Stein",
"steiniges Gelände" in Wörtern wie span. caimscal, galicisch caJTal, caJTigal
oder caJTegal, caJTigueiro, caiTeiio usw., praktisch Synonyme der vorigen.
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Die Wurzel repräsentiert den bereits erwähnten Namen der aquitanischpyrenäischen
Gottheit Carros oder Carrus, der von den Römern mit ihrem
Mars als Mars Carrus identifiziert wurde, ein Gott des Berge und des Krieges,
der uns von der Epigraphie her bekannt ist (CIL XII 356).
Weitere Ableitungen von diesem Radikal sind Substantive des Typs carco,
craco, corco, chorcho, gorgo, grego usw. Ihm begegnen wir wieder in den
Berbersprachen Nordafrikas, und zwar mit der Bezeichnung eines anderen,
alternativen Baums, jedoch mit gleicher Symbolik wie die Eiche, nämlich des
Nussbaums (in Gebieten, wo die Eiche nicht oder nur selten vorkommt) - ein
paralleler Fall zur Zeder, wie bereits erwähnt. Diese Sprachen haben für "Nuss"
und "Nussbaum" die Wörter gerga, karkoba und karkob 4-! _) - ~JS __; - '-:-1 ;fa __;
(vgl. die Namen des Grab-Tumulus a-kerkur sowie Orcus, Gorgo, Gargoris
usw., die weiter unten behandelt werden). "Nussbaum" heißt übrigens auf
Griechisch karya (Kapbo.).
In der semantischen Reihe der "Eiche" finden sich außerdem Wörter wie
span. corno, corco, coscoja, kat. coscoll, eine Art Eiche oder Steineiche (mit
cor- > cos-s -Vmlaut).
Die Bezeichnung der Guanchen für die Tamariske war coromo, corono,
die sich von der Wurzel (a)-cor- bzw. (a)-cur- herleiten; diese erscheinen
ihrerseits in dem Anthroponym Agua-coromos bzw. Aguacorama-s sowie
den Varianten -coromas, -corona oder -coronos, die sich auf La Palma und
La Gomera finden. Sie stammen von der Form au akurmus "Sohn der
Tamariske" ab17
, möglicherweise mit Bezug auf eine Gottheit, deren Namen
der Strauch trägt.
Das katalanische corcoll, span. cerviz, cerviguillo, "Nacken" gehört zu
denjenigen modernen Wörtern, die von ihrem Ursprung her zwei oder mehr
in derselben Wurzel enthaltene Aspekte miteinander verbinden: einerseits die
Vorstellung "Erhebung" oder "Höhe", "Chor", "Kopf'', andererseits lat. cervus
"Hirsch".
Hierher gehören auch verschiedene Wörter, die "Herz", "Kern", "Horn",
"zentraler bzw. härtester Teil einer Sache" bedeuten, wie:
griech. keras (1d:par:;) "Horn" und ker (x:ijp), arab. qalb (~) "Herz",
"Kern", dt. Herz, span. cerne "Kern(holz)", Herz des Holzes, ·"Kern einer
Frucht", engl. core, lett. kodols und vermutlich das russische kost ( Kocm)
"Knochen". Cernu bedeutet im Keltischen "Horn" (vgl. o. cornu/Horn), neuirisch
com "Trinkhorn", cam "Pferdehuf''; alle enthalten die Vorstellung "Härte".
17 E. Zyhlarz, "Das Kanarische Berberisch", S. 421.
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Der Name der cornus sanguinea, span. cornejo (oder sanguiffuelo),
"Hartriegel" kommt ebenfalls von lat. cornu(s) "Horn". Der Baum war Kronos
zugeordnet aufgrund der hellroten Farbe seiner Früchte und wurde "die rote
Nahrung des Todes" genannt. Vergleichend sei hier hingewiesen auf die Namen
des Rabenvogels cornix, span. corneja. Diesen brachte man auch mit der
Unterweltgöttin Hekate sowie mit dem Schwein in Verbindung (s. u.). Ker
(K~p) war in Griechenland auch der Name der Göttin des Todes, der Parze.
All diese Wörter weisen auf dieselbe Gottheit bzw. denselben Typ Gottheit
hin in einer Reihe von Epiklesen, die, wie üblich, oftmals gegensätzlich,jedoch
komplementär sind.
4.1. Der Runde, der Kreisförmige ("die Sonne"), die Krone
4.2. Die Höhle und kanarisch goro, gorona, tagoro-r
Die Vorstellung "kreisförmig", "rund" findet ihren Ausdruck in dem
griechisch-lateinischen Wort KipKo<;, circus, in den spanischen Wörtern circa,
circulo, cerco, circuito, katalanisch und französisch cercle, kat. cercoll "Reif'
usw., alle auf der Basis kerk-, kirk-.
Hinsichtlich der hier in Frage stehenden Gottheit handelt es sich häufig um
Epitheta oder Beinamen, die sich in vielen Sprachen auf die runde Gestalt der
Sonne beziehen, so etwa Circinus "der Kreisförmige" (s. u.) und Toponyme
wie Circina bzw. Cercena, eine Stadt nahe Karthago; Circine, ein oppidum in
Galicien; Cercenadas, eine Ortschaft in Asturien.
Die solaren Bezüge entsprechen den Nachrichten des Chronisten Marin y
Cubas (1694), für den der Name der kanarischen Gottheit einfach "die Sonne"
bedeutet, in Übereinstimmung mit den Berichten anderer alter Quellen, wie
Diego Gomes und des Seemanns Cadamosto.
Weitere Wörter mit der Vorstellung der Kreisförmigkeit, die auf der Basis
des Radikals coro- gebildet sind, begegnen uns in dem lateinischen choms,
griechisch chor6s (xop6<;) "Kreistanz", span. corro, corral "Hof', "Korral",
galicisch curro (gleiche Bedeutung) sowie russisch koral' (KopaJtb). Das
englische cowt "Saal", galicisch code, coJtello "Stall" sowie lat. cohors "Hof'
spielen wohl auf ihre ehemalige Kreisform an (vgl. u. kanarisch goro, gorona,
mit k > g Umlaut).
Eine corra (spanische Regionalform) ist gleichfalls ein "Reif' oder
"Metallring".
Dem Berberischen entstammt das Verbum kur(..Jß.) "rund bzw. kreisförmig
sein", das auch auf die Sonne Anwendung findet 18
•
18 A. Cubillo Ferreira: Ei idioma guanche del archipielago africano de Canarias y su
pertenencia al area bereber.
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Die Beziehung einer solaren Gottheit, deren Namen die Wurzel euro bzw.
com enthält, zur Kreisförmigkeit ist offensichtlich in dem erwähnten gallischen
Namen Soli-curus, entsprechend dem noch zu behandelnden lateinischen Solis
rota. Auf der Grundlage corr- fußt auch die "Volks"-Bezeichnung C6rrigan,
die in der irischen Mythologie auf die "Leute der Anderswelt" angewandt wird.
Cor6n del Corro ist ein eher nichts sagender leonesischer Ortsname,
vermutlich eine Tautologie.
Die semantische Interdependenz der Radikale, die sich auf die Sonne
beziehen (bzw. auf die Gottheit, die mit ihr identifiziert wird), und der
Kreisform ist auch im irischen ti.n, ti.in ( < ani; vgl. lat. anus, anulus, anellus)
anzutreffen, einem Wort, das zugleich "Ring" und "Sonne", bedeutet. Dieses
ist auch die Ausgangsform für Theonyme, die sich auf die - in diesem Fall
weibliche - solare Gottheit beziehen, genauso wie die irische Ain bzw. Ana19
•
Aus der Wurzel k-r bzw. c-r im Sinne von "rund", "kreis-förmig" gehen
auch das irische cruin und cnin hervor, altkelt. krundi, Wörter, die den
Vergleich mit dem deutschen Krug, Kreis sowie dem russischen knig(Kpyz)
"Kreis" nahe legen.
Korone (1wpcvv17) bedeutet im Griechischen "Ring", "Krone". Diesem
Formen- und Bedeutungstypus entspricht vielleicht auch das griechische agorti.
(ayopa) "Marktplatz", "Versammlungsort".
In der kanarischen Sprache, bezeichnet goran - gorona (vgl. lat. corona)
die - generell kreisrunden - Einfriedungen aus übereinander geschichteten
Steinen, die als Unterstand und Schutzort für das Vieh dienen oder aber zum
Schutz für Kulturpflanzen (Weinstöcke, Feigenbäume) vor dem Zerstörungswerk
des Windes oder der Ziegen. Im letzteren Fall sagt man auf Spanisch,
sie (d. h. die viiias bzw. higueras) seien engoronadas. Die kanarische Wurzel
goro (Bedeutungskern: "kreisförmig") ist auf dem Archipel weit verbreitet.
Auf Teneriffa hat sie die Bedeutung "Stall", "Korral" für Ziegen, Schweine
oder Schafe. Die spezielle semantische Funktion "Schweinestall" stellt
außerdem eine unmittelbare Verbindung zu dem auf den Kanaren gängigen
Wort guarro für "Schwein" her (s. u.). Auf La Palma bezeichnet das Wort
einen kleinen Korral oder eine - üblicherweise kreisrunde - Einfriedung für
Kleinvieh. AufEl Hierro ist ein goro auch eine natürliche Höhle, die von den
Hirten als Nachtquartier genutzt wird, ähnlich wie auf Gran Canaria und
Lanzarote. In der Region Taganana, auf Teneriffa, finden sich nebeneinander
die Varianten gare, gorete und gorito, mit denen die natürlichen Wasserstellen
bezeichnet werden, die als Viehtränken dienen.
19 T. F. O'Rahilly: Early Irish History and Mythology, S. 300.
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Auf gleicher Basis beruhen zahlreiche kanarische Toponyme, wie EI Goro,
auf Gran Canaria, Los Goros, aufTeneriffa, die Caldereta de Ja Gorona und
die Cueva de Ja Gorona, auf La Palma, Los Gorones, auf La Palma und El
Hierro, und andere mehr.
Dem Bedeutungsfächer, der sich auf Rundes, Kreisrundes, Reigen, Korral,
Einfriedung, Zirkus, Zirkel bezieht, ist auch der ta-goro bzw. ta-goror
zuzurechenen, der kreisrunde heilige Bezirk der Kanarier20
•
Der cromlech oder Steinkreis stellte sicher ein Abbild der Sonne dar, und in
der Tat hatten viele dieser Anlagen, wie die von Stonehenge in England und
Cromm-cruach in Irland, die Funktion von Heiligtümern, Sonnentempeln und
astronomischen Observatorien. Der tagoro, von den Spaniern auch corro de
los guanches genannt, hatte dieselbe Charakteristik und vermutlich auch
Symbolik wie die übrigen Steinkreise der Megalithkultur. An diesen Orten
versammelten sich der König und seine Notabeln, der König oder sein Vertreter
in der Mitte und alle Übrigen um ihn herum auf Steinen sitzend; sie bildeten
so eine Ratsversammlung zum Zweck des Regierens und der Rechtsprechung
- eine Bestimmung, die höchstwahrscheinlich auf einige cromlechs in den
europäischen Megalithkulturen hatten.
Der Chronist Abreu Galindo (1977, 300) sagt in seinen Ausführungen über
die Gebräuche der Bewohner Teneriffas:
"Die Art und Ordnung, die sie beim Rechtsprechen hatten, war so, dass
der König sich auf einen ebenen Platz begab, wo ein Sitz bereitet war, auf dem
ein viereckiger hoher Stein lag, und gleich daneben weitere niedrigere,
entsprechend der Rangordnung gesetzte Steine, auf denen die Notabeln nach
ihrer Anciennität Platz nahmen; und dort setzte sich der König nieder, an dem
Tag, der ihm passend erschien, und gewährte Audienz; und diesen Ort nannten
sie Tagoro, als "Platz der Rates" oder "Audienz" oder "Versammlung"; und er
hörte alle an, die zu ihm kamen" .
An anderer Stelle sagt derselbe Autor, "die Einberufung und Ratsversammlung
nennen sie in ihrer Sprache Tagoron".
D. J. Wölfel sieht eine Verwandtschaft mit dem hier betrachteten Radikal
im Silha-Wort tagrurtbzw. agrur"Hof", "Einfriedung", "Kreisbahn", "Ziegenpferch"
sowie in weiteren Formen mit ähnlicher Struktur, die in ihrem
gemeinsamen Ursprung das Geschlossene und Kreisförmige bezeichnen.
20 Absurd erscheint in diesem Zusammenhang eine vorgeblich pejorative, dysphemistische
Bedeutung, die, nach Manuel Alvar, die Eroberer eingeführt hätten, von denen nämlich
der tagoror mit einem Schweinestall gleichgesetzt worden sei. Die Mehrfachbedeutung
"Kreis", "Stall", "Schweinestall" ist jedoch viel älter und allgemein verbreitet. So besitzt
noch heute das galicische corte die Bedeutungen "Hof" und "Stall" .
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Der bereits erwähnte Talos wurde auch Circinus "der Kreisförmige"
genannt, der "dreimal am Tag Kreta umkreiste". Er war der Vater des unterirdischen
Schmieds Hephaistos (entsprechend dem römischen Vulcanus), zwei
Figuren, die jedoch im mythischen Verständnis zwei Hypostasien ein und
derselben Wesenheit darstellen21
• Sie alle sind lahm infolge ihres Sturzes aus
dem Himmel, vom Olymp bzw. aus der Höhe der Akropolis usw., eine
symbolische Auffassung von der "gefallenen" Sonne in ihrem Untergang, die
von ihnen allen personifiziert wird22
• In Zusammenhang mit diesen Mythen
wurde im Altertum, je nach der lokalen Tradition, der so genannte "Kranichbzw.
Rebhuhntanz" getanzt, bei dem die Teilnehmer genau vorgeschriebene
Figuren mit gemessenen Schritten und einer eigentümlich hinkenden
Bewegung ausführten; dabei ahmten sie das typische Trippeln des paarungsbereiten
Rebhuhns nach (denn gleichzeitig handelte es sich um einen Fruchtbarkeitstanz),
und mit ihren Körperbewegungen brachten sie die Ein- und
Ausgangswindungen eines auf den Boden gezeichneten Labyrinths zum
Ausdruck - Symbol des Todes und der nachfolgenden Auferstehung der Sonne
und des Lebens im Allgemeinen.
Der oben erwähnte Cromm-cniach, der "blutige Kopf', wa ein mit dem
Hauptgott Irlands identifizierter großer Menhir innerhalb eines Kreises von
zwölf kleineren; ihm wurden Menschenopfer dargebracht, wobei er anschließend
mit dem Blut der Opfer bestrichen wurde, auf dass er - im Gegenzug -
der Gemeinschaft Fruchtbarkeit und Fülle gewähre23
• Es handelt sich hier ein
weiteres Mal um die höchste megalithische Gottheit, die von den Kelten
übernommen wurde, als sie die Insel in Besitz nahmen. Ihr Name gründet
ebenfalls auf dem in Frage stehenden Radikal.
Die Ausdrücke, die sich auf das "Kreisförmige", das "Sich-Drehende"
beziehen, erscheinen im Namen von zahlreichen Reigentänzen, die noch heute
praktiziert werden. Deren Symbolik ist solaren Charakters, und sie reichen in
ihren kultischen Verflechtungen mitunter weit in die Vorgeschichte zurück.
Unter ihnen finden wir die katalanische sardana, den balkanischen kolo, die
hebräische hora oder die Derwischtänze in der Türkei. Sie alle stellen Parallelen
zu dem beschriebenen Labyrinth tanz dar, der auch Troya-Tanz genannt wurde
21 Ein weiterer Mythos bringt ihn mit Daidalos, einer anderen Version der gefallenen
Sonne, in Verbindung.
22 Vgl. die biblischen Berichte vom "gefallenen Engel" oder vom "aus dem Paradies vertriebenen
Adam" usw. - mesopotamische Versionen des gleichen Mythos.
23 Er wurde vom heiligen Patrik im Verlauf seiner Missionstätigkeit "neutralisiert". Als
der Heilige ihn mit dem Kreuz bedrohte, drehte er sich zur Seite, um nicht getroffen zu
werden; die Übrigen versanken bis zum Hals in der Erde.
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und an bestimmten Tagen des Jahres in vielen Ländern des alten Mittelmeerraums,
ja bis hin nach Irland und Norwegen ausgeführt wurde. In den
Kathedralen von Chartres, Amiens, Bristol usw. wurde dieser Tanz am Ostertag
vom gesamten Domkapitel, unter Leitung des Bischofs, inszeniert, als Symbol
des zur Hölle hinabsteigenden Christus und seiner nachfolgenden Auferstehung.
Die sich an den Händen fassenden Tanz-Teilnehmer folgten den
Windungen eines Labyrinths, das im Mittelschiff aus Bodenfliesen geformt
war. Später wurde der Brauch vom Papst verboten, in Anbetracht des
heidnischen Ursprungs dieser Zeremonie (die eine Parallele zwischen der
Höllenfahrt Christi und des Theseus darstellte).
Es ist durchaus möglich, dass einige der Reigentänze, die auf den
Kanarischen Inseln Tradition sind, einen ähnlichen Ursprung haben.
5.1. Der Tumulus oder kerkur
5.2. Abenddämmerung, Sonnenuntergang
5.3. Namen der Wasserfahrzeuge
5.4. Die Grenze zur Anderswelt
Die alten Wörter griech. kerkeron, hermaios (abgeleitet vom Namen
Hennes, der Gott der Toten), nordafrik., herber. kerkur, gar-gar, gal-gal, kelt.
carca-r, altisl. hörgar, altsächs. harga bezeichnen den Menhir-Steinhaufen,
den Altar bzw. das Heiligtum, den Vorläufer der Pyramide und der großen
Grab-Tumuli. Der hier zugrunde liegende Radikal ist, mit leichten Abwandlungen,
von Mesopotamien über die Länder des gesamten Mittelmeerraums
bis nach Irland verbreitet, in Sprachen wie dem Sumerischen, Altgriechischen,
Hebräischen, Berberischen, Lateinischen, Gälischen und zahlreichen anderen.
Koro, Krono oder Acheron- als die Gottheit, die die untergehende Sonne
verkörpert bzw. die Sonne, die sich "unterhalb der Erde, im Totenreich" befindet
-ist, wie gesagt, mit dem Begriff akronisch "abendlich" verbunden sowie mit
weiteren Wörtern, die den Sonnenuntergang und die Nacht bezeichnen.
Lat. caurus (span. coro) ist der Nordwestwind: Norden und Westen, die
beiden Richtungen des Hades, des Totenreichs. Aus diesem Grund betrachtete
man es als ein Unglückszeichen, wenn der Rauch der Opfergaben in eine der
beiden Richtungen zog.
In gleichem Sinne wurden von diesem Theonym abgeleitete Formen auf
verschiedene geographische Gegebenheiten angewandt, die als irgendwie mit
der Anderswelt und/oder der dort herrschenden Gottheit verbunden galten.
Dies war beispielsweise der Fall bei vielen Flüssen, Seen, die im Altertum als
die Grenze angesehen wurden, die die Seelen der Toten - üblicherweise in
einem Boot - zu überqueren hatten, um in Jenseits zu gelangen. Manche Flüsse
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und Seen wurden Acheron, Acronius, Acronicus, Corenus, Corinius genannt
und finden sich mit diesen Namen praktisch in ganz Europa, besonders im
Mittelmeerraum. Ein weiterer Flussname war Lethes ("Vergessen", "Schlaf'',
"Tod").
Verschiedene Typen von Wasserfahrzeugen wurden mit Namen belegt, die
ebenfalls diesem Radikal-Schema folgen. Wie allgemein bekannt, sind -
praktisch in allen alten Kulturen - Boot und Schiff eng mit der Reise zur
Anderswelt verbunden; aus diesem Grund gehen viele Namen solcher
Fahrzeuge aus der Wurzel hervor, die die dort herrschende Gottheit benennt.
Es handelt sich um Namen sehr alter Wasserfahrzeuge, gelegentlich um
Modelle, die aus dem Neolithikum und der Bronzezeit stammen. Jedoch sind
einige dieser Typen noch immer in Gebrauch, wie der irische currach, der
walisische c01wg [k6ruk], engl. coracle und port. curuco, lat. curuci sowie der
agrabu, ageJTabu oder carabo der Küste Nordafrikas und des Atlantiks;
Letzterer bezeichnet auch eine Rabenart (s. u.) und ist seinerseits mit dem
griechischen karabiou (Ko.po.ß,ov) und seinen Ableitungen span. gabarra,
carabela (dt. Karavelle, arab.:;~), ca1mca, charnia (Letzteres übrigens auch
"Schwein" im Baskischen, s. u .) verbunden. Hierher gehört auch russ. karabl
(Kopa6J1b) "Schiff''. Eine andere alte Schiffsbezeichnung, urca bzw. orca, weist
eine deutliche Parallele zum Orcus, d. h. der Unterwelt auf.
In einigen hoch entwickelten Theogonien, wie der griechischen, bezeichnet
ein Name mit dieser Wurzel diejenige mythische Figur, die die letzte Überfahrt
bewerkstelligt, wie der Schiffer Charon; jedoch bezeichnet in einem älteren
Text der Name gleichen Ursprungs Chronos die ewige Zeit, die alles zerstört
und alles wieder neu schafft.
Entsprechendes lässt sich von bestimmten Landzungen sagen, die im
Altertum als äußerste Erstreckungen der Welt galten, wo die Seelen der Toten
zum Jenseits übersetzen, wie A Coruiia < Acrunia in Galicien, Ta-kruna in
Tunesien (das Ende der Welt auf der Irrfahrt des Odysseus), die Kaps Finisterre
(in Galicien bzw. der Bretagne), Land"s End in Cornwall, Ortegal, ehemals
promontorium Cori, in Nordspanien, die Halbinsel Raz in der Bretagne, der
Berg Urgull"des Orkus" in San Sebastian (vgl. die Namen Ürculus, Urgulanus,
Urquijo) .
Zahlreiche nahe der Küste gelegene Inseln wurden als "Inseln der Toten"
bezeichnet. Dazu zählen Helgoland, die Isle of Man, Ynys Enlli, Avalon, der Mont
St. Michel, wohl auch Malta. Gelegentlich handelt es sich um Inseln in Seen,
Flüssen oder deren weit geöffneten Mündungen, wenn sie nach Westen gerichtet
sind, wie etwa die InselAntros, heute Cordouan im Mündungstrichter der Garonne,
Alyscamp in der Rhone, Reichenau im Bodensee (einst Lacus Acronius).
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Zu nennen sind auch Höhlen und Grotten, sowohl landeinwärts, auf Bergen
oder an der Meeresküste, wie die von Tacoron auf EI Hierro, als auch die
verschiedenen "des Acheron" genannten Höhlen in der Welt der klassischen
Antike (Weiteres zu diesem Themas. u.).
6. Schwein, Hund, Widder
Das Schwein (span. cerdo bzw. cochino) und das Wildschwein sind- genauso
wie der Hund und der Wolf - Tiere, die von alters her mit der männlichen
oder weiblichen Gottheit des Todes und der Anderswelt verbunden sind. Dabei
sei an den Zusammenhang mit der Zaubergöttin Ki1*e in den homerischen
Berichten erinnert sowie seine herausragende Rolle in den Riten der Aphrodite,
Persephone und Demeter, wobei die zwei Letzgenannten in Gestalt von
Schweinen auftreten können. Zwei der Namen der Muttergöttin und Herrin
des Todes in Wales und Irland sind Cerid-wen "das weiße Mutterschwein"
und Banba, mit gleicher Bedeutung, jedoch zusätzlich liebevoll auf das eigene
Land angewendet. Die germanische Freya ihrerseits wird mit dem Beinamen
syr "Mutterschwein" belegt.
Das Schwein war einstmals in Syrien heilig, wie Lukan berichtet; selbst
das Tabu, das heute in einigen Religionen auf diesem Tier liegt - theoretisch
aus hygienischen Gründen - , weist ebenfalls auf seinen alten Bezug zur Göttin.
Dieser Umstand führte sowohl zu der Abwehrhaltung gegenüber dem Schwein
als auch zu dessen späterer Dämonisierung durch die biblischen Propheten,
die jenen Umschwung in der Religion des jüdischen Volkes bewirkten, in
dessen Folge sich der gegenwärtige monotheistische und patriarchale Glaube
durchsetzte.
Die - besonders enge - Verbindung des Schweins mit der obersten Gottheit
in ihrem infernalen Aspekt zeigt sich in Namen, die auf dem Schema c-r - gr
- ch-r, gründen, wie Coro, Choro, A-cheron, Goro usw., sowie in kanarischen
Anthroponymen wie Acoraida, Acoroida und Achordue und bildet gleichzeitig
die Wurzel zahlreicher Wörter präindoeuropäischen Ursprungs, die, mit
verändertem Vokalismus, "Schwein" und "Wildschwein" bedeuten, wie car-,
ker-, cir- - kir-, cor-, gor- usw. sowie in Formen mit Palatalisierung c > eh und
Gemination r> rr, so etwa: Kerdo, Cerdu-; die spanischen Wörter charro und
baskisch txarrua oder txerri"Schwein" (vgl. charranada "Schweinerei"); ebenso
bask. zeni, entsprechend *cerdi- < cerdo, durch Assimilation rd > rr. Daraus
entstand das spanische Adjektiv cen1J"stur", "schwer zu führen", ursprünglich
auf dieses Tier gemünzt. Im Lettischen ist cuku [kutfu] "Ferkel", und cuka
bedeutet "Sau", praktisch identisch mit dem galicischen cocho, cocha, spanisch
(vor allem auf den Kanaren) cochino.
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Unter den Formen mit stimmhaftem Konsonanten [g] - wie oben erwähnt
- finden sich das katalanisch garri "Ferkel", spanisch gorrino, guarro sowie
die Form gorr6n "Schnorrer".
Weitere alte Anthroponyme und Theonyme mit gleicher Bedeutungsfunktion
sind:
Cerdubello, Name eines hispanischen Heerführers aus der Stadt Illiturgi
in der Baetica, ein keltiberischer Name, von dem Titus Livius (28. 20.11) im
Jahr 206 v. Chr. berichtet. Er entspricht direkt der erwähnten Ceridwen ( bei -
wen "weiß").
Kerdo (Ki::päw) ist im griechischen Mythos die Gattin des Phoroneus, der
mit Prometheus identifiziert wird, dem Heros, der den Menschen das Feuer
brachte und von Zeus dafür bestraft wurde. Es handelt sich bei ihm folglich
um einen weiteren "gefallenen Gott". Nach einer anderen Version ist Kerdo
die Mutter des Pelasgos, des ersten Menschen. Demzufolge handelt es sich
bei ihr um die alte Muttergöttin.
Kirke (KipK1J, s. o.) ist eine Zauberin in der griechischen Mythologie
(Odyssee), ebenfalls mit den Schweinen in Verbindung gebracht. Sie ist Hekate,
Persephone usw. gleichzusetzen, der Herrin der Anderswelt.
Im irischen Mythos macht Arawn, der Herr der Unterwelt, seinem Freund
Pwyll, dem Herrn der irdischen Welt und sein hypostatisches Gegenstück,
Schweine zum Geschenk.
Einer der Begleiter des gallischen gehörnten Gottes Cernunnos (Radikal
k-r-n), wie wir ihn auf dem Kessel von Gundestrup dargestellt finden, ist
ebenfalls das Wildschwein.
Der Hund steht ebenfalls in einer Beziehung zum Jenseits aufgrund der
Tatsache, dass er nachts umherschweift und Leichen frisst, Verhaltensweisen,
die ihn mit dem Tod verbinden. Aus diesem Grund wurde er - genauso wie
das Schwein - als Opfertier für die unterirdischen Gottheiten dargebracht,
und daher auch seine Assoziation mit dem Mond sowie mit dem Kult einer
Macht, die als weiblich und untrennbar der magischen Sphäre zugehörig
verstanden wurde.
Der Hund ist ein archaisches Symbol der Kraft und der Fruchtbarkeit und
erscheint in zahlreichen alten Mythen als Begleiter der Göttin, speziell in ihrem
unterirdischen Aspekt. Einige berühmte Hunde im klassischen Mythos sind:
Cerberus (Ktpßipo,:;), der Wächter am Eingang zur Unterwelt und Orthos, der
Hüter der Äpfel der Hesperiden. Der ägyptische Totengott Anubis hat den Kopf
eines Schakals, ebenso wie der etruskische Charun (vgl. Charon, A-cheron).
Skylla, die kretische Dalila, ist eine mit dem Tod verbundene Mondgöttin,
genauso wie Aphrodite und Hekate. Ihr Name bedeutet einfach "Hündin".
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Nach Auffassung der Mythologen war die Opferung von Hunden nicht
typisch für die Griechen, woraus folgt, dass solche Praktiken eher präindoeuropäischen
Bevölkerungsgruppen zuzuschreiben sein dürften.
Der Hund ist in der kanarischen Religion eng mit der Unterwelt und ihrer
Gottheit verbunden. Die Chronisten bezeichnen den Teufel in Hundeform
Cancha, Hucancha (lt. Marin y Cubas, Chil, Millares), die schwer trennbar
sind von anderen Namen die sie, an anderem Stellen ihrer Werke der
Himmelgottheit geben, wie Hucanech, Jucancha.
Die enge Verbindung der Gottheiten der Unterwelt mit dem Sonnenwidder
ist im präislamischen berberischen Kult des gehörnten Gottes Ba 'al Qarnain
(s. o.) bezeugt. Diese Tatsache schafft eine Parallele zu Gottheiten mit denselben
Attributen (Horn und Widder) in anderen Kulturen; so der keltische Cernunnos
"der Gehörnte", der - außer vom Hund bzw. Wolf und Eber -von der Schlange
mit Widderhörnern begleitet wird, sowie auch der ägyptische Gott Ammon,
seinerseits in Gestalt eines Widders.
7. Rot, Schwarz
Beide sind Farben, die auf die Natur der Sonnengottheit in ihre Hypostase
als Herr des Sonnenuntergangs, den "roten Gott", andererseits als Gottheit
der Nacht und der Unterwelt, den "schwarzen Gott", anspielen. Dem ersteren
Aspekt entspricht das baskisch-iberische Adjektiv gorri "rot" sowie Tierbezeichnungen
wie gorrino "Schwein" usw. (s. o.). Die Entsprechung Coro -
Gorri ist offenkundig in dem Toponym Calahorra, in römischer Zeit Calagurris,
außerdem auf keltiberischen Münzen: Cala-coricos(Gentilicium: "aus
Cala-corica"), möglicherweise "die Festung bzw. Stadt des Coro, Goro oder
Horo'flA. Alle diese Formen verweisen darüber hinaus auf eine Variante mit
dem Laut h: hor(r ), wie im Namen des ägyptischen Gottes Horus, der ebenfalls
mit der Unterwelt in Verbindung gebracht wird, nämlich wenn er als Osiris
erscheint (Vater und Sohn in diesem Mythos), da die neue Sonne der Sohn der
Nachtsonne ist. Gleiches ließe sich vom Toponym Valdeon-as (Ourense) sagen,
ehedem Valdejunis, aus einem denkbaren *Curis, *Curis oder *Huris (schließlich
phonetisch [uris]).
Seinem Aspekt als rote Gottheit des Sonnenuntergangs entspricht die dem
Krono ( Corona usw.) zugeschriebene Beziehung zu einer roten Frucht mit dem
spanischen Namen cornejo (Kornelkirsche) oder sanguiffuelo (Frucht des
Hartriegels; vgl. die oben genannten Phytonyme).
24 Weitere auf diesem Theonym beruhende Namen sind Coroniacum (heute Corgne in
Piemont) sowie das alte Ethnikon Coronicum (Segovia).
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Dem zweiten Aspekt "der Schwarze" entspricht vermutlich das russische
corny, cerno (•tepHbtÜ, '-tepHo) "schwarz", auf gleicher Grundlage wie corn-,
coron-, cron(o)usw., möglicherweise auch lat. carbo, dt. Kohle, engl. coalund
europäische Toponyme wie Carbo, Carbonacus, Carbula, Carbonisa usw. (vgl.
oben carabo, Name eines Wasserfahrzeugs sowie gleichzeitig eines Rabenvogels,
corvus, s. u.).
Camo, Camalo, Camar, die keltische Sonnen- und Kriegsgottheit, deren
Ursprung wohl präindoeuropäisch ist, weist Verbindungen mit Coro auf. Ihr
Name, der im Mittelmeerraum sehr häufig als Anthroponym verwendet wird,
steht möglicherweise mit dem arabischen hamar(~) "rot" in Verbindung.
Diese Gottheit erscheint in der keltischen Ikonographie für gewöhnlich mit
Hörnern und eng mit dem Eber verbunden. Sie war Namengeber vieler
europäischer Städte und Ortschaften, wie Camaracum, Camboretum, Camalodun
um. Auf einer Felszeichnung in Val-cam6nica (Italien) erscheint eine
menschliche Figur mit Hörnern und Halsring, in Begleitung einer Schlange
mit Widderhömem, wahrscheinlich dieselbe Gottheit, die auf dem GundestrupKessel
abgebildet ist und mit Cernunnos gleichgesetzt wird.
Es gibt in zahlreichen Kulturen eine feste Verbindung zwischen diesen
Gottheiten der untergehenden Sonne und Beinamen des oben genannten Typs,
wie wir es bei Gerion und seiner roten Rinderherde gesehen haben, desgleichen
im Falle der roten Früchte des Paradieses usw. Gleiches wiederholt sich im
Zusammenhang mit den keltischen Gottheiten der Anderswelt, so beim irischen
Goll "der Rote" oder bei der Göttin Morrigan, deren Pferd rot ist (und zudem
nur ein Bein hat, da alles Solare singulär ist).
Cur-redius, Cur-retia sind keltische Namen, die auf den "roten Coro"
anspielen und sich auf die Farbe der untergehenden Sonne beziehen (vgl. engl.
red, dt. rot, schwed. röd). In dieser Kultur findet sich der betreffende Radikal
auch in den Bezeichnungen des Rades (lat. rota, dt. Rad) - ein weiteres solares
Symbol seit der Jungsteinzeit, das regelmäßig in Petroglyphen erscheint.
Andere Beinamen der Sonnengottheit sind "der Runde", "der Wagen"; ir. riad,
ie. *reidh "reisen", "reiten", "der Reiter": engl. to ride, schwed. rida usw. In
alien Fällen handelt es sich um Anspielungen auf diese Gottheit, die in den
alten Kulturen Beinamen erhielt wie "der himmlische Reisende", "der
Himmelsreiter", "solis rota" sowie "das große Rad"25 •
25 T. F. O'Rahilly, op. cit.
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8.1. Sp. cuerno / cornudo, ciervo - Horn/ gehörnt, Hirsch
8.2. Sp. cuervo, carabo, grajo, grulla, corneja; guanche: acairon / aqueron
- Rabe, Waldkauz, Saatkrähe, Kranich, Krähe; Eichelhäher
Die Formen C6rono, Crono, Corno oder Cruno enthalten den Radikal, der
"Horn" bedeutet; lat. cornu, gr. Kf:pac;, engl., dt. horn, kelt. carn. Die lateinischen
Wörter cervus "Hirsch", cernus bzw. cernuus "Kopf'', ce1vix "Nacken" sind
mit den vorigen semantisch verwandt.
Der erwähnte keltische Gott der Unterwelt und der Natur, Cenwnnos, ist
tatsächlich "der Gehörnte", und als solcher wurde er normalerweise als ein
Sitzender, mit Hirschgeweih und begleitet von einer widder-gehörnten
Schlange, einem Eber sowie einem Wolf - übliche Symbole der Anderswelt - ,
dargestellt. Ein weiterer gehörnter Gott der Unterwelt war der Flussgott
Acheloos, auch er einer der "Gegner" des solaren Helden Herakles (s. u.). Von
gleichem Typ sind die Gottheiten Karanos und möglicherweise Acheron. Bereits
erwähnt wurde ein weiterer keltischer gehörnter Gott: Kamal bzw. Kamulo,
der vermutlich einem älteren Substrat entstammt.
Wie gesagt, wurde diese archaische Gottheit üblicherweise in sitzender
Haltung dargestellt, was auf ihre - zumindest äußerliche - Reglosigkeit und
Passivität hinweist; denn sie stellt nicht einen aktiven Gott des Himmels dar,
sondern einen unterirdischen, der die Lebenskräfte der Natur verkörpert, die
untergehende Sonne der Nacht und des Todes. Des Weiteren ist er der TierMensch,
Herr der Natur und der wilden Tiere, eine Rolle, die auch der
klassischen Artemis-Diana oder den sumerischen "Dioskuren" GilgameschEnkidu
zukommt - allesamt Figuren, die in besonderem Maße mit dem Hirsch
bzw. dem Reh in Verbindung stehen, aber auch mit dem Raben, dem Schwein,
dem Hund und der Schlange.
Ein materieller Beleg für die Bedeutung der Rolle, die Cernunnos gehabt
haben muss, ist die in Reims (Frankreich) entdeckte Stele, die ihn mit seinem
Hirschgeweih, in Buddha-Haltung mit gekreuzten Beinen auf einer Art Thron
sitzend, darstellt, zwischen Apollo und Merkur, seinen klassischen Gegenspielern
in ihren himmlischen bzw. unterirdischen Aspekten (die zusätzlich
durch die Cernunnos zu Füßen lagernden Figuren des Hirschs und des Stiers
unterstrichen werden). Er hält in seinen Händen ein Füllhorn, aus dem sich
ein üppiger Strahl von Münzen oder Getreidekörnern ergießt - Symbol des
von der Unterwelt-Gottheit gespendeten Reichtums und der Fruchtbarkeit.
Der Rabe, der schwarze Vogel des Todes, wird traditionell mit Intelligenz
und Schlauheit identifiziert, Eigenschaften, die ihn mit solchen Gottheiten
verbinden, die zugleich solaren und unterirdischen Charakter aufweisen. Im
Altertum wurde er direkt mit der Initiationsmystik in Zusammenhang gebracht,
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als ein Symbol der Lebenszyklen der Natur: Geburt, Wachstum, Verfall und
Tod - mit ihren Entsprechungen in den Mondphasen. Auf der untersten Ebene
liegt der Herrschaftsbereich der Gottheit, die sich im römischen Merkur, dem
griechischen Hermes, dem ägyptischen Thot, dem prähellenischen Kronos bzw.
Acheron usw. konkretisiert. Es handelt sich dabei um die Sphäre der dunklen
Mächte und der Magie, der Weisheit und der Wiedergeburt.
Der Name acairon, aqueron, mit dem in der altkanarischen Sprache die
Saatkrähe bezeichnet wurde (mod. kan. graja), ist praktisch der gleiche, mit
dem die oberste Gottheit Acoran bzw. Acoron belegt wurde und den die Quellen
mit "Gott" und "Sonne" wiedergeben. Eine identische Parallele weist die
keltische Sprache und Kultur auf, in dem Namen Bran, dem Gott der
Anderswelt, der im Gälischen zugleich "Rabe" und "Sonne" bedeutet, oder
auch in dem Namen Lug, einer solaren - und ebenfalls mit der Unterwelt
verbundenen - Gottheit und kelt. Jugeon "Rabe". Die Raben-Göttin Coronis
wurde bereits zuvor erwähnt.
Der Name der keltischen Sonnengottheit Grannus- üblicherweise mit Apollo
gleichgesetzt- ist gleichfalls mit dem keltischengrian "Sonne" verwandt sowie
auch mit gewissen Ausdrücken, die den Raben und den Kranich bezeichnen.
Garano bzw. Carano ist, laut Verrius Flaccus, "ein anderer Name des Kronos
oder Gerion", der präklassischen mediterranen Gottheit, zu deren Typ der
griechische Acheron sowie der kanarische Acoran gehören. Seinerseits steht
dieser Carano mit caran "Krähe" in enger Verbindung. Diesem Typus gehören
auch das altenglische crawan, crawe, das nengl. crow [krau], lettisch krauklis
"Rabe" usw. an.
Das nordafrikanische Arabisch besitzt für "Rabe", "Krähe" die Wortformen
grab und garab ( '-:-'l _;i::-), ähnlich dem spanischen carabo, dem Namen für einen
nachtaktiven Raubvogel26
.
Der lateinische Name corvus corone, corax oder comix, griech.
sowie das spanische comeja basieren auf der gleichen phonetischen Struktur
[k-r-n] wie das Theonym Corona / Krono-s und ebenso andere Vogelnamen,
wie engl. crane, dt. Kranich usw., die ebenfalls diesem Typ Gottheit zugeordnet
sind. Vgl. das oben über Kranichtanz Gesagte.
Es gibt, wie wir sehen, eine Übereinstimmung zwischen dem Namen der
obersten kanarischen Gottheit, der Sonne sowie dem Wort, das den einheimischen
Rabenvogel bezeichnet, dessen Namen von Alvarez Rixo vor Ort
aufgenommen und von von Sabino Berthelot mit "vega reborda" (sie) übersetzt
wurde, mit der Bemerkung: "Ein solches Wort haben wir nie gehört noch kennt
26 Vgl. auch russ. :»cypa6J1b [zurabl] "Kranich".
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man seine Entsprechung"27
• Es handelt sich jedoch um eine irrige Transkription
des galicisch-portugiesischen pega rebordd "Eichelhäher" (gal.-port. pega, lat.
pica "Elster"), auch als cueLVo multicolor "bunter Rabe" bekannt. Sein galicischportugiesisches
Epitheton rebordd steht für "wild". Zugleich enthält es die
Wortwurzel von sp. roble "Eiche" (gal. rebo, rebolo, reboredo < lat. robur),
genauso wie seine deutsche Entsprechung Eichelhäher "Wächter der Eiche".
Dieser Titel passt gut zu dem Vogel, der zweifellos dem Hahn des gallischen
Gottes Esus entspricht - Symbol für das Wächteramt und den Ankündiger
des Tagesanbruchs, zugleich aber auch ein Bote der Gottheit. Gleiche oder
ähnliche Funktion haben weitere Vögel, wie die Raben von Odin, Lugus und
Bran in der keltisch-germanischen Überlieferung, oder auch die Eule der
Athene bzw. Mine1va, die den Geist, die Intelligenz, die Schläue, das Hirn
(vgl. engl. brain, lat. mens) der Gottheit versinnbildlichen. Speziell die pega
rebordd - oder gaio, span. gayo, kat. gaig- wurde mit Hera, der mediterranen
Orakel- und Todesgöttin, assoziiert. Wie wir sehen, findet sich in den antiken
Mythen häufig eine Beziehung zwischen dem Raben und jenen Gottheiten,
die in irgendeiner Weise mit der Anderswelt und zugleich mit der Sonne in
Verbindung stehen.
Auf dem kanarischen Archipel, wo einige dieser Rabenvögel nicht
vorkommen, dürfte der Name acairon, aqueron mit einiger Sicherheit die
kanarische Rotschnabelkrähe bezeichnen, einen Bewohner der Steilhänge, der
einst auf den Inseln außerordentlich zahlreich anzutreffen war28
•
Das griechische KOpWVIJ / kor6ne entspricht dem lat. coJVUs (vgl. Kp6voc;I
Kr6nos, Gottheit, sowie auch die mythologische Gestalt des Kop(hvcvc; /
Kor6neus "der Rabe" oder "die Krähe", der von Herakles getötet wurde, wie
auch Krono-s oder Geäon in einer anderen Erzählung). Es handelt sich immer
wieder um Namen, die beständig zwischen allen erwähnten Bedeutungen
schwanken, manchmal sogar innerhalb ein und derselben Sprache. So
bezeichnet etwa corr- im Irisch- und Schottisch-Gälischen den "Kranich" und
gehört ersichtlich zum selben mythisch-semantischen Umfeld.
In der kelt. Überlieferung sind der Kranich und andere Stelzvögel Unglücksbringer
(genauso wie der Rabe in anderen Kulturen) und sind aufs engste mit dem
Krieg, dem Tod, der Anderswelt und seiner Gottheit verbunden (s.o. die C6rrigan).
27 J. A. Alvarez Rixo: Lenguaje de los antiguo islefios ... , p. 117: "No hemos visto tal vocablo
ni se sabe lo que significa su equivalencia".
28 Der prähispanisch Ursprung der Namensform acafron wird von Carmen Diaz Alay6n
und Francisco Javier Castillo in ihren Fichas prehispanicas de La Gomera (Almogaren
XXVI, 1995, 69) bestritten, eine Auffassung, die wir angesichts des oben Ausgeführten
nicht teilen können.
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In der in Irland gelegenen Höhle, die "Fegefeuer des heiligen Patrick"
genannt wurde, hauste ein riesiger Rabe namens Comu, "eigentlich ein Dämon,
den der Heilige in einen Raben verwandelt hatte". Diese Legende spielt sicher
auf eine alte Raben-Gottheit an, die dort in der Zeit der Christianisierung des
Landes durch den heiligen Patrick über ein Orakel-Heiligtum verfügt haben
dürfte. Die Cruachan-Höhle, gleichfalls in Irland, war ein weiteres Zentrum
dieses Typs. Aus ihr kamen, gemäß der Tradition, in periodischen Abständen
Schweine und zerstörerische Vögel, die das Land verwüsteten.
Der Bezug der Rabenvögel zur Anderswelt, dem Orkus, findet seinen
Widerhall auch im spanischen Wort urraca "Elster" , entsprechend dem
kanarischen aquer6n bzw. graja. Urraca (auch alt orraca) entstammt nämlich
der Form *uraca bzw. *urica "die vom urco bzw. orco "Orkus", genauso wie
span. huracan und dt. 01*an.
In der kanarischen Kultur wären demgemäß die mit der hier behandelten
Gottheit verbundenen Tiere die Ziege, das Schwein und die Elster bzw. Krähe.
Phytonyme
Dieselbe Gottheit steht in enger Verbindung mit der Saat, in ihrem
unterirdischen und wiederbelebenden Aspekt; daher das Vorhandensein ihres
Namensradikals in so manchen Getreidebezeichnungen der unterschiedlichsten
Sprachen, so etwa engl.-dt. com-Kom, lat. hordeum, sp. orgo.
Der Basis 01*us entstammen gleichfalls Bezeichnungen wie frz . ogre, sp.
ogro "Oger, Menschenfresser", auch er eine grauenerregende mythische Figur.
Wir wollen nicht übersehen, dass die unterirdische Gottheit diejenige ist, die
die Keimruhe des Samens in der Erde bewacht - im Altertum sprach man
hier vom "lebenden Toten" - und dessen nachfolgendem Wachsen und Reifen
(vgl. die obigen Ausführungen zu Saturn in seinem Bezug zur Aussaat).
Derselbe Radikal findet sich auch in den Benennungen der Orseille, sp.
orchilla (lecanora tartarea, rocella tinctorea) zowie der roten orcaneta (onosma
echioides), aufgrund ihres roten Farbstoffs, der mit dem Orkus bzw. Tartarus,
d. h. mit dem Reich der untergehenden Sonne, der Hölle und deren Gottheit
assoziiert wird.
Mit dem Drachen verbunden ist auch der Drachenbaum (dracaena draco),
sp. drago- der "Drache als Baum" oder der "Baum des Drachens"?-, dessen
rotem Harz ("Drachenblut" genannt) medizinische Kräfte zugeschrieben
wurden. Leider ist uns der ursprüngliche kanarische Name nicht überliefert,
aber wir können uns auf die o. e. Equivalenz tacorontfa = dragontea beziehen.
Draco bzw. der Drache ist auch einer der alten Namen des Teufels, den die
traditionelle bildliche Darstellung häufig in seinem beständigen kosmischen
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Kampf mit dem Himmelshelden - ob nun Herakles, Theseus, Siegfried oder
der Erzengel Michael - zeigt, der jenen stets besiegt, ihn aber niemals völlig
vernichten kann.
9. Der Teufel
Der Teufel spielt in der kanarischen Mythologie eine herausragende Rolle,
zumindest in der von Chronisten und Klerikern bevorzugten Interpretation.
Einige seiner Namen waren: Aranfaibo, in Schweinegestalt, den der Chronist
Abreu Galindo "Vermittler" sowie auch "Teufel" nennt; des Weiteren: Guayota,
Haguanran, Jruene, Tebicena usw., häufig in Gestalt eines zottigen Hundes.
Das baskische Wort txeJTen [cerren] "Teufel" entstammt zweifellos dem
gleichen Radikal c-r / c-r wie cheJTi oder charrua / txaJTua "Schwein" (s.o.),
der beide mit der Unterwelt assoziiert. Vgl. auch russ. '10pm [cort] "Teufel",
gleichfalls mit palatalisiertem Anfangskonsonanten.
Merkwürdigerweise kann man sogar in der Pariser Kathedrale Notre Dame
ein Relief von Ce111u1111os, dem gallischen Gott des Todes und der Fruchtbarkeit,
besichtigen, mit seinem Geweih, von dem beidseitig Halsringe herabhängen.
Der Stein, in den es gemeißelt ist, stammt höchstwahrscheinlich aus einem
lokalen heidnischen Heiligtum. Das Volk sieht für gewöhnlich in dieser
Darstellung ein Abbild des Teufels. Wie bereits gesagt, waren im Altertum
die Hörner ein übliches Attribut vieler Gottheiten; so wurden u. a. auch die
Göttin Astarte, Juppiter Ammon (und sogar Moses) dargestellt.
Man beachte, dass viele Namen, die auf die Unterwelt-Gottheit Anwendung
finden, die gleichen sind, die auch dem - in der christlichen Überlieferung
roten und gehörnten - Teufel zugeordnet werden.
Ein anderes Element, das ebenfalls seine Beziehung zur Hölle verdeutlicht,
ist die oben genannte Tatsache, dass das lateinische Wort caurus / sp. coro den
widrigen Nordwestwind bezeichnet - die beiden Himmelsrichtungen des
Hades in den antiken Kosmogonien. Aus diesem Grund identifizierte man
mit dem Jenseits zahlreiche im äußersten Nordwesten der bekannten Welt
gelegene Gegenden, wie Galicien, Irland, die Bretagne, Cornwall usw. Im alten
Griechenland bezeichnete der Name Hyperboreas das ferne, unbekannte Land,
das "jenseits des Nordwindes" lag (und in einer bestimmten geschichtlichen
Epoche mit dem südlichen Ufer des Pontus Euxinus, dem Schwarzen Meer,
identifiziert wurde). Die Reisen des Apollo nach Hyperboreas, die Jasons nach
Kolchis auf der Suche nach dem Goldenen Vlies oder die des Odysseus an die
westlichen Grenzen der damals bekannten Welt (Sizilien, das Land der
Zyklopen, d. h. Nordafrika) sind unterschiedliche Versionen des Themas der
Reise des Sonnenhelden ans Ende der Welt.
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Schlussfolgerung
Wir haben es hier mit einem semantisch-kulturellen Formenkreis zu tun,
der sich noch deutlich erweitern ließe und offenkundig so unterschiedliche
Kulturen und Sprachen umfasst wie die etruskische, die baskische, die arabischberberische,
die kananäische, die der Guanchen usw., welche nicht indoeuropäisch
sind; aber auch die griechische, römisch-lateinische, keltische,
germanische, slawische usw., in denen eine Reihe von Wörtern ge- bzw.
vermischt werden - jedoch stets innerhalb ein und desselben Begriffsfelds -
und entsprechend die vielfältigen Aspekte und Funktionen einer Gottheit, deren
semantische Bezüge so unterschiedliche Begriffe wie "Eiche", "Esche",
"Nussbaum", "Zeder", "Rabe", "Kranich", "Elster", "Hirsch", "Stier",
"Schwein", "Eber", "Horn" usw. umfassen und die man, wie wir gesehen haben,
um "Wasser", "See", "Fluss", "Schlucht", "Abgrund", "die Hölle", "der Tod",
"Grab", "der Schwarze", "der Rote", "Apfel", "Kirsche", "der Verschlinger",
"Fels", "Berg", "Anhöhe", "Burg", "Gipfel", "Krone", "Macht", "Hegemonie",
"der Herr" usw. erweitern könnte. Die Radikale zu allen diesen Begriffen erscheinen
sprachlich oft mit dem alten Namen der dualen bzw. Dioskuren-Gottheit
des Donners, des Gebirges und der Schluchten verbunden, zugleich auch des
Himmels und der Hölle sowie des Grabhügels - herb. kerkur, gr. kerkeron -,
welcher in erweiterter Bedeutung der Unterwelt entspricht. Tatsächlich handelt
es sich hierbei um Juppiter, Zeus, Taranis bzw. Donar, der die Axt, den Hammer
oder das Donnerrad und den Blitz über den Gipfeln des Gebirges schwingt,
oder aber um sein unterirdisches Double Corus, Acoran, Acheron, Acheloo,
Saturn, Vulcanus, Hephaistos, Belerofontes, Prometeus, Talos, Minos, den
Zyklopen, Balar, Cromm Cruach, Cernunnos usw. - stets der in den Höllenabgrund
"gefallene Gott"; daselbst herrscht er nach wie vor über das Feuer und
die Erdbeben, schmiedet die Bronze und später das Eisen in seiner unterirdischen
Werkstatt und fördert gleichzeitig die Lebenskräfte des Samens und
die Erneuerung der Natur. Er ist die prähistorische Oberste Gottheit, aus der
von den späteren Religionen schließlich der Teufel gemacht wurde.
A-coron und die übrigen kanarischen Theonyme der gleichen Formengruppe
gehen auf eine sehr alte Phase der Religionen des Mittelmeerraums zurück,
die vor der Ankunft der indoeuropäischen Völker, der italischen, hellenischen
usw., liegt. Die von ihnen vorgefundene Religion nannten sie "Titanenkult",
und deren König war Kronos, die oberste Gottheit, Sohn und Erbe der Großen
Göttin. Der Sieg des Zeus über seinen älteren Bruder Kronos - der in den
Abgrund des Tartarus oder auf eine am äußersten westlichen Rand der Welt
gelegene Insel verbannnt wird - symbolisiert den Sieg der indoeuropi:schen
Invasoren und Ihrer Götter über die einheimischen Völker und ihre Gottheiten.
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Kanarische Anthroponyme und Toponyme
In den kanarischen Orts- und Personennamen findet sich sehr häufig die
Wurzel cor- / cor- (und Varianten). Zu den Ersteren gehören:
Corco, Corc6s, Corcoira, Cordonio (Teneriffa), Corchete (La Palma);
Corotalen, Carutalen (Brunnen auf Teneriffa);
Cuarrajo, Ortschaft auf Teneriffa (mit Metathese cuar- < caur- / cor-, ebenso
wie Guaro für Goro, auf der Iberischen Halbinsel, Cuasus für Casus, im
niederländischen Voorburg), außerdem Cauriacum, Gallien, für Coriacum,
Curdan, La Gomera, usw.;
Choro, Chorra, Chorcha (Tfe. ), jeweils mit initialem Palatal [ c-];
daneben weitere Typen, wie Gor-o, Gorg- , Guarg- usw. (mit Anlautsonorisierung)
und Formen mit Determinanten-Präfigierung A-, Ta-, Cha- etc.
Coround Acoro [ a-koro] sind zwei Formenvarianten desselben Namens ohne
und mit dem archaischen prothetischen a-, wahrscheinlich mit der Funktion
einer Determinante oder eines Artikels, genauso wie die kanarische Vorsilbe
a-, ta- oder der arabische Artikel al- und ebenso wie diese auch trennbar. Im
Berberischen und Vulgärarabischen Nordafrikas ist dieser mit dem folgenden
Wort verschmolzen oder ist (in der nordwestlichen Zone) verloren gegangen.
Offensichtlich konnte diese Partikel auftreten oder auch nicht, was im Altertum
auch auf dem afrikanischen Kontinent der Fall war. Bei Ptolemäus wird ein
und dieselbe Stadt ein Mal Kape, ein anderes Mal Takape genannt, und diese
Dualität dauert sogar noch in arabischer Zeit fort, ohne dass dem Namen jemals
der Artikel al- vorangestellt worden wäre, da einfach vorausgesetzt wurde,
dass ihn die Namensformen bereits enthielten. Dem gleichen Typ gehören die
Formen Ta-cor-, Ta-gor-, Cha-cor- an.
Gestalten und Orte der alten Mythen, die mit dem Grenzfluss, dem fernsten
Land und/oder der Hölle in Verbindung stehen
Charon verkörpert im griechischen Mythos den unheimlichen Höllenfährmann,
der die Seelen der Toten ans andere Ufer des Schicksalssees bzw.
-flusses, d. h. zum Hades bringt. Für diesen Dienst erhielt er einen KupferObolus,
eine Münze, die üblicherweise den Verstorbenen in den Mund gelegt
wurde, damit sie ihre Überfahrt bezahlen konnten.
Charun bzw. Charrun, auch Orchus un Tuchulcha genannt, entspricht in
der etruskischen Welt - zumindest sprachlich - dem griechischen Charon;
allerdings hat sich seine Rolle noch nicht zu der eines schlichten, ungeschlachten,
habgierigen Fährmanns entwickelt, der sich seine Dienste bezahlen
lässt, sondern steht hier noch dem archaischen Prototyp der tellurischen
Obergottheit recht nahe. Entsprechend diesen Funktionen erscheint Charun in
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etruskischen Darstellungen als ein geflügelter Genius, der einen schweren
Hammer schwingt, Symbol seiner Macht, gleich Donner und Blitz in der Hand
der uranischen Gottheit des Gebirges, aber auch in der des unterirdischen
Schmieds, des Herrn des Feuers und der Totenwelt. In Fall des Chamn handelt
es sich jedoch nicht um ein Arbeitswerkzeug, sondern um eine tödliche Waffe,
die der Sense entspricht, wie sie der Tod in mittelalterlichen bildlichen
Darstellungen schwingt. Charun ist in der tyrrhenischen Kultur der Bote des
Todes und zugleich der Begleiter der Seelen auf ihrem Weg zu ihrer letzten
Heimstatt, wo er deren unerbittlicher Wächter sein wird. Er ist ein Gott der
Toten und der Unterwelt, dessen Haut die grünliche Farbe der Verwesung
aufweist, mit rot funkelnden Augen über einer Raubvogel-Nase und einem
Gesicht, das von einem Haarbusch aus Schlangen umrahmt wird.
Der kanarische Gott Acoran dürfte wohl dieser etruskischen Gottheit
archaischen Charakters näher stehen als dem hellenisierten griechischen
Charon.
112
Der griechische Charon bzw. Acheron wie der
etruskische Chamn bilden zweifellos den Rest
altmittelmeerischer Traditionen. Tatsächlich
handelt es sich um die oberste Gottheit und den
Gott der Unterwelt, der später, nach der Ankunft
der Indoeuropäer, auf eine sekundäre Rolle
reduziert wurde. Der Mythos macht ihn jedoch
zum Sohn der Muttergöttin Gaia, ebenso wie den
Schlangengott Python sowie den Flussschlangengott
Acheloos, der Helios, die Sonne, zum
Vater hat. Sein Name, der auf einer Variante
desselben Radikals beruht, ist ein gehörnter
Flussgott des alten griechischen Mythos und
damit eine Gottheit der Unterwelt. Er personifiziert
im Herakles-Mythos den längsten Fluss
Griechenlands (heute Asprop6tamos); allerdings
tragen diesen Namen auch fünf weitere Flüsse
allein auf der griechischen Halbinsel - abgesehen
von seinem Bezug zu einer Reihe von
Toponymen und Appellativa: Pflanzen, Vögel
usw. (s. o.). In der Antike wurden Eide unter
Etruskischer Genius bzw. Gottheit Charun oder
Tuchulcha
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Berufung auf seinen Namen geleistet, wie sonst bei obersten himmlischen
und Unterwelt-Gottheiten üblich. Als Gottheit des letzteren Typs kämpfte er,
erst in Gestalt einer Schlange, später eines Stieres, mit dem solaren Helden
Herakles in Deianira (Ovid, Metamorphosen IX, I-88), wurde aber besiegt und
getötet wie Gerion. Es handelt sich um ein und denselben Mythos, der in
verschiedenen Versionen erzählt wurde.
Acheloos ist nicht einfach eine submarine oder unterirdische HöllenGottheit,
besitzt er daneben doch auch die Funktion des Fruchtbarkeitsspenders,
wie man der Tatsache entnehmen kann, dass eines seiner Hörner,
das ihm Herakles abgerissen hatte, später von den Nymphen als Füllhorn
verwendet wurde. Entsprechende Überlegungen lassen sich hinsichtlich des
Acheron anstellen, da beide Namen zur selben Wurzel gehören und ihre
Figuren gleiche mythische Bezüge aufweisen29
. Der Stier steht mit der
Unterwelt in enger Verbindung, genauso wie der Minotaurus, der im Innern
des Labyrinths haust, wo er ebenfalls kämpft und vom solaren Helden - diesmal
in Gestalt des Theseus - getötet wird. In einer anderen Version des Mythos ist
es Dionysos in Stiergestalt, der Gott der Vegetation und Fruchtbarkeit, den
der Mythos - gleich dem Minotaurus - zum Sohn der Mutter-Göttin
Persephone macht. In seiner alternativen Erscheinung als Zagreus ist ihm
ebenfalls ein tragisches Ende beschieden. In der gleichen Reihe steht die Tötung
des Python (s. o.) durch den Sonnengott Apollo.
Der Flussgott Acheloos, römisches Mosaik,
Museum Salzburg (Foto Friedrich Grotensohn)
29 In seinem Werk Die Wanderungen des Herakles
äußert Helmut Stumfohl seinen Standpunkt
dahin gehend, dass Acheron und Acheloos tatsächlich
ein und derselbe sind.
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Toponyme wie A Coruiia bzw. A Cruiia haben traditionell die einleitende
Determinante bewahrt, gehen sie doch aus der Form* Acorun-ia bzw. * Acrunia
hervor. Die entsprechende französische Version ist Corogne ( < *Coron-ia),
mit Possessiv- bzw. Zugehörigkeitssuffix in Bezug auf die Gottheit. All diese
Formen stehen in enger Verbindung mit verschiedenen Personen- und
Ortsnamen, wie Cronius, Cronia, *Crunia und Clunia (heute Coruiia del Conde),
diversen Coron in Frankreich, aber auch mit weiteren Benennungen, so etwa
dem tunesischen Ta-kruna und anderen.
Ausser der Stadt (L)A Corufia, tragen diesen Namen zwei weitere Ortschaften
in der gleichen Provinz und noch zwei in Lugo, Es gibt Curueiia y
Curueiio in Le6n ( Quoronio im Jahr 1061 ), sowie ein Coroiio in Asturias. Der
alt-franz. Toponym Cronia in pago Tolonenst?0
, stammt gleichfalls vom
Antroponym Cronius.
Der Bezug von A Coruiia u. a. zur präklassischen Gottheit Coro, Corono
oder Krono-s / Acheron ergibt sich aus der geographischen Lage der Stadt auf
einer der Halbinseln im äußersten Westen der Welt, die im Altertum als
Einschiffungsorte der Seelen der Verstorbenen zur Überfahrt ins Jenseits
angesehen wurden. Solche geographischen Gegebenheiten boten mitunter
Anlass zur Gründung von bedeutenden (oftmals Orakel-) Heiligtümern, die
mit den so genannten Übergangsriten - im gegebenen Fall Tod und Auferstehung
- verbunden waren. Zu den bekanntesten Orakelheiligtümern des
Altertums gehören u. a. die griechischen von Acheron, Delos, Dodona, Delphi
sowie das des Ammon in der Oase Siwa (in der libyschen Wüste). Vielfach
herrscht auch heute noch der Brauch, diese heiligen Stätten wenigsten ein
Mal im Leben zu besuchen, wie im Fall der Pilgerfahrt nach Mekka, deren
Ursprung wohl präislamisch sein dürfte. Nicht selten konnte die Hin- und
Rückreise zu diesen fernen Orten Monate, ja sogar Jahre dauern und glich
einem symbolischen Tod mit nachfolgender Auferstehung, ganz so wie in den
Initiationsriten. Ziel dieser Reise ans Ende der Welt waren Stätten wie das
vorchristliche und christliche Compostela31
, das Heiligtum von Teixido, nahe
dem ehemals so genannten Promontorio de Coro (noch heute ein populärer
Wallfahrtsort), das vorrömische Orakelheiligtum am Kap San Vicente
(Südwestspitze Portugals) sowie zahlreiche auf westlichen Halbinseln der
Bretagne, der Normandie, Cornwalls, Irlands usw gelegene Orte. In anderen
3° Cartulaire de Saint-Hughes de Grenoble, p. 41 (a. 739).
31 In einer Höhle des Berges Pico Sagro, südlich der Stadt, befand - oder befindet - sich
"der berühmteste Eingang zu Lande zur Jenseitigen Welt", wie es im Mittelalter hieß.
Ursprünglich bildete die Wallfahrt einen Initiationsritus, der am Meer des Weltendes
bzw. Meer des Todes, in Noya, Padr6n und Finisterre zum Abschluss kam.
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Fällen handelt es sich um Stellen im Landesinnern, wo ein Berg mit Höhle
oder tiefer Schlucht vorhanden ist.
Was A Coruiia betrifft, so verlegt die Überlieferung an diesen Ort eine weitere
Version des kosmischen Kampfes zwischen Herakles und Gerion bzw. Kronos,
den beiden widerstreitenden Gottheiten: dem Sonnenhelden und dem Herrn
des Sonnenuntergangs. Eine andere Version dieser Auseinandersetzung
verbindet sich mit der Stadt Cadiz. Beide Male tötet Herakles den Gerion und
erbaut, nach der ersten Version, die ToITe de Hercules, den einzigen noch
funktionierenden, im Altertum konstruierten Leuchtturm; nach der zweiten
errichtet er die "Säulen des Herkules" zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar,
die früher "Columnas de Crono hießen".
Wappen von A Coruiia mit Schädel von Gerion
unter dem Turm
Cruinne (vgl. Corona, Coronero, *Crunia) - im irischen Mythos - ist der
Gott der Zeit und des Erdenrunds (wobei zu bedenken ist, dass die Erde als
eine Scheibe betrachtet wurde). Sein Name entspricht dem (prä)klassischen
Kronos/Chronos, dem Gott der ewig währenden Zeit. Diese Gottheit wurde
auch mit Saturn gleichgesetzt.
Die kanarische Gottheit - Parallelen in anderen Mythologien
Auf der Wurzel C(o)rono beruht zweifellos auch der Name der obersten
kanarischen Gottheit A-cor6n oder A-coran, die, allen Anzeichen zufolge, eine
gemäß antiken Vorstellungen duale, d. h. in zwei widerstreitende, jedoch
komplementäre Aspekte gespaltene Gottheit gewesen sein dürfte32
. Diese
32 Vgl. J. Caridad: "Tenenfe ". Überlegungen zur Herkunft des Namens, ALMOGAREN
XXXI/2000, 45-70.
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Gottheit, deren Präsenz über den Mittelmeerraum hinausreicht, war, wie wir
sehen, auf der lbrischen Halbinsel wie auch in anderen Gebieten Westeuropas
wohl bekannt. Sie war eng mit dem Kult der Berge und Anhöhen verbunden,
aber auch mit dem der Höhlen und Abgründe, so anscheinend auch im Fall
der Gottheit, die über den Teide herrschte.
Acoro oder Ac(c)oms ist ebenfalls der Name einer alten Gottheit, die man
von kelto-römischen Inschriften von Lanc;:on und Rognes, Frankreich ( CIL XII
5783 und 5798) sowie von Sorrent, Italien (CIL X 691) her kennt. Letztere
wurde von einem gewissen M Acoms gestiftet, wohl als Votivgabe an seine
namengebende Gottheit, eine im Altertum häufige Praxis.
Eine der zahlreichen diesem Theonym entstammenden Bedeutungen mag
das indoeuropäische *alko-varan > *akkoran "der beschützende Himmel" sein
sowie andere synonyme Ausdrücke. Die mutmaßlich berberische Form
*aqqoran ihrerseits soll, lt. I. Reyes33 auf der Maskulin-Singular-Adjektivform
*ähyur-an(u) "der Himmlische" beruhen.
Ein weiteres dieser Wurzel entstammendes Wort ist möglicherweise das
silha-berberische agurram "rein", "sauber", "heilig", das W Vycichl in La lengua
de los antiguos canarios (p. 187) mit der Bedeutung "Gott" aufführt und
"demselben Etymon wie acoran" verbunden sieht. Tiguramin (*ti-guram-in),
eine weibliche Gottheit der berberischen Agrarreligion, leitet seinen Namen
von kerkuroder "Steinhaufen-Opferaltar" (aguram)34 her. Es handelt sich dabei
um eine weitere Entsprechung zum kanarischen Acuram bzw. Acoran.
Zu diesem Typ gehören sicher auch die gomerischenAnthroponyme Aguacoronos,
Agua-coromos, Agua-coromas bzw. Agua-coramas, bei Torriani,
Chil, Viera, Rixo (vgl. A-ua-coram / A-ua-coron, mit möglichem Suffix), deren
erstes Element ihre Herkunft anzeigt (*a-ua-coro-n "der von", "Sohn des").
Zweifellos geht es dabei um ein und denselben Namen, mit der üblichen
Alternanz n - m des Nasalkonsonanten. E. Zyhlarz (s.o., § 3.1. "Tamariske")
übersetzt ihn mit "Sohn der (männl.) Tamariske" (*au-kurmus), obwohl es
sich dabei um ein Phytonym handeln könnte, das auf dem Namen der Gottheit
beruht, wie in zahlreichen anderen Fällen - vgl. Tamar, die Tamarinde sowie
die Tamariske selbst; der acheron gleich "Krähe" usw. Bei einem Anthroponym
ist der Bezug zur Gottheit einsichtiger als der zu einer Pflanze. Man vergleiche
die vorgenannten Personennamen mit dem palmerischen Toponym Aguatamw~
mit Variante Aguatabar.
Mit initialem G- finden sich, unter anderen:
Goro, Gorocire, Garanas (La Palma); Gorones, eine Schlucht (El Hierro);
33 I. Reyes Garcia: Ei vocabulario cosmog6nico ... , p. 112.
34 D. J. Wölfe!: "La religi6n de los canarios", S. 431 ff.
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Ta-goron (Lanzarote, vgl. Tacoron, auf El Hierro, sowie Tacoronte, auf
Teneriffa); Ei Guro, (Teneriffa); Guro und Gurona (La Gomera).
Tagoray (El Hierro), Goroy (Fuerteventura).
Mit den erwähnten Formen lassen sich außerhalb des kanarischen Archipels
u. a. vergleichen: Gor6cica, Gorordo (Vizcaya) und G6nnoro (Sardinien), die
an Namen wie die der vorrömisch-lusitanischen Gottheit C6rono oder an das
hispanische Anthroponym Coronero (s. u.) erinnern.
Diesem Typus entspricht ganz offensichtlich Gronwbzw. G(o)ronwy, eine
Figur der walisischen Sage, die den alten Gott des Sonnenuntergangs und Herrn
der Unterwelt verkörpert - wie die klassischen Saturn, Hades oder Gerion - ,
und gleichzeitig ist er hier der Rivale, der den Sonnengott Llew, Lugh oder
Lugus ("der Leuchtende") tötet. Dabei handelt es sich um den ewigen Gegensatz
Licht-Dunkelheit, wie er auch im Mythos von Herakles und Gerion zum
Ausdruck gebracht wird: Die Alte Sonne erringt in der Abenddämmerung den
Sieg über die Gottheit des Lichts; es handelt sich nämlich um einen Kampf
mit alternierendem Ausgang.
Eine Alternanz C-[k-]/G- (cor- / gor-, car- / gar-) bestätigt sich in zahlreichen Namen:
Ko1tys (Kreta und Arkadien) und das iberische Karton (Herodot 1, 57), heute
Cardona (Barcelona), Cordon (Anthr.), die italienischen Toponyme Cortona,
Co1tina und Croton bzw. Crotona (ehemalige Magna Graecia), Curitius und
Cwtius (lateinische Personennamen), Corgo (Lugo) usw. weisen Parallelformen
auf wie Gortys, Gordon, Gortyn (bzw. Gortina), Gorgo (Gottheit). Man
vergleiche die kanarischen Corta in Ta<;a-corta / Tasacorte (La Palma), Cordonio
(Teneriffa) und möglicherweise Curdan (La Gomera), Gordines (Schlucht auf
Teneriffa), Gorgano (Tfe. ), Gargundaje (Fuertev. ), Gordaxuelo bzw. Gordejuela
(eine Schlucht auf Teneriffa und Ortschaft in der Provinz Vizcaya).
Typologie des Theonyms CORO auf den Kanarischen Inseln.
Die Orts- und Personennamen mit der Basis Coro / Corro, A-coro, Ta-coro
usw. sowie die Varianten Gor(o ) -, Gorr-, Ta-gorousw. sind auf den Kanarischen
Inseln zahlreich vertreten und bilden Zusammensetzungen, die solchen
außerhalb des Archipels materiell recht ähnlich sein können, so etwa Corotalen,
mit der Variante Carutalen (El Hierro), das dem keltischen Caro-talos
oder Ca1w-talos (Steiner 3729) gleicht und welches D'Arbois mit dem Gott
Carros in Verbindung bringt. Bekanntlich ist die Verdoppelung von rauch in
der kanarischen Toponomastik üblich.
Wie wir gesehen haben, ist das initiale a- oder ta- prothetisch und trennbar.
Dieser Partikel folgt eine Vielfalt von Namensvarianten, deren Anfangskonsonant
sein kann:
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C-, entsprechend span. z-, griech. ?-, (wie in Acero');
K- bzw. Qu- (* Aquero, * Akero, aquer6n);
CH-, mit Palatalisierung c < eh (wie in Acher6, acher6n), häufig rein
orthographisch für [k];
H- [h] (Ahkekr6, Alakherera, Alahodra);
J- [X] (Ajer6, Alajer6, Alajara);
GU- [g] (Alaguer6, Alaguerade);
0-, Null-Element (Alaer6, Era, Hera, Hierro); außerdem hispanisierte
Formen mit F- (Fera, Ferro).
Es finden sich Formenvarianten wie Cora - Chora - Hora - Joro - Gora,
und möglicherweise auch *Oro. So ist es auch keineswegs verwunderlich, dass
dieser selbe Radikal auch im Namen einer anderen obersten Sonnengottheit
erscheint, nämlich im Fall des ägyptischen Horus.
Die bereits angesprochene Formenalternanz Cora - Hora usw. zeigt sich
deutlich in kanarischen Toponymen wie:
Tajoro und Tahoro, heute Taoro (Tfe.), mit Verlust der Aspiration, lassen
sich mit Taora (im Atlas-Gebirge) gleichsetzen. Eine weitere einschlägige
Parallele finden wir zwischen Taurito (Gran Canaria) und Taurit, ebenfalls im
Atlas (die gängige Graphie Taourit ist französisch) .
Die kanarischen Tahora, Tajora und Tajorte wären somit direkte Entsprechungen
zu Tacoro, Tacorte und Chacorche. Chaora, ein berberischer
Personenname, wäre das Gleiche wie Taora (s. o.) und Ta -cora. Ta-cor-t(e J und
Ta-jor-t(e)entsprächen einem reduzierten Ta-coran-t(e). Bin-tacorte "der Sohn
des Tacorte" wurde als Anthroponym aufLa Palma verwendet. Letztere Formen
lassen uns erneut an einen möglichen Bezug zu dem palmerischen Toponym
Taza-corte bzw. Tasa-corte (> *Ta-corte?) denken.
Mit vorangestelltem Artikel a- erscheinen die Toponyme:
Acairo I Acayro, Acor, Acorica, Acoron (Gran Canaria) und weitere
Graphien der Chronisten, mit entsprechenden Formen, wie Aquera [akero],
Achera, Acera, Ahera und Ableitungen (z. B. Graphien -ai- statt -e-). Hierher
gehört wohl auch die erwähnten Anthroponymen Agua-coronos, Agua-coramas
usw., sämtlich Varianten des Typs *a-u-acoro-n (s.o.).
Des Weiteren: Ajorena, Ahure (Tfe.), möglicherweise auch Agora
(weiblicher Personenname auf Tfe. ), die eine Entsprechung A-Cor- / A-Gor- /
A-Jor-1 A-Hor-aufweisen; zudem Joros(ohne Präfix), vgl. Ajorena (s.o.), mit
ähnlicher Endung wie A-coran und A-carana.
Das kanarische Wort acaron bzw. acharon "Gott", auf Teneriffa, nach den
Quellen, entspricht kanarischen Toponymen wie Acaro, Acarona, Acara
sowie den mittelmeerischen Caron oder Caronte und Aqueran. Allerdings ist
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Acaron, unseren Ausführungen zufolge, nicht ausschließlich ein Appellativum,
wie Alvarez Rixo behauptet, sondern zugleich der Name der Gottheit. Die
Übersetzungs-entsprechungen der alten Theonyme wurden nach vollzogener
Christianisierung stets auf der Grundlage von Stereotypen wie "Gott" oder
"Teufel" festgelegt,je nach ihren Charakteristiken und Funktionen; tatsächlich
handelt es sich ursprünglich um Eigennamen, die, wie wir gesehen haben,
konkrete Bedeutung hatten.
Die übliche Eidesformel, die von den kanarischen menceys bei der
Krönungszeremonie gebraucht wurde, war, lt. Viana: agoffe (bzw. agoffey)
acoron inat zahaffa chaconamet(ch) "ich schwöre beim Knochen Desjenigen,
der mich groß gemacht hat" - eine ganz offensichtlich freie Übersetzung, die
sich auf den Gott Acoron in seiner Eigenschaft als eponymischer Gott-Vorfahr
bezieht. Es handelt sich hierbei um ein gängiges Muster in zahlreichen
archaischen Kulturen, deren Monarchen sich als Abkömmlinge der Gottheit
betrachteten. Indem er den Knochen eines Vorfahrs in der Hand hält, reiht
sich der neue König in die Linie seiner Ahnen ein, bis hin zum göttlichen
Urvater. Viana und Berthelot verdanken wir die Versionen Achorom bzw.
Achoran.
Präfigierte Feminin-Singular-Artikel ta- weisen auf:
Tacoremi, Anthroponym auf La Palma.
Tacoron oder Tacorone / Tecorone (EI Hierro), eine Gegend auf der
Südhalbinsel, in einem Umfeld (Los Signos) mit bedeutenden prähispanischen
sakralen wie kulturellen Bezügen, nach der Vielzahl an Petroglyphen zu
schließen.
Tocoron bzw. Tocorron, Strand auf El Hierro - eine Variante von Tacoron.
Tacoronte bzw. Tagoronte, auf Teneriffa und La Gomera (Alajer6 ).
Dominik Wölfel wies in seinem Glossar zum Werk von Torriani bereits auf
eine mögliche Beziehung der toponymischen Form Ta-koro-n-te zum Wort
acoran (a-koran) "Gott" hin, wobei Tacoronte die Bedeutung "Ort Gottes"
annähme; das -n- hätte dabei die Funktion eines Affixes.
Die gleiche Basis zeigt sich in dem nordafrikanischen Toponym Takrouna
[ta-kruna], in Tunesien, eine Siedlung von prähistorischer Charakteristik, auf
einer Anhöhe mit Blick aufs Meer gelegen, in jener Gegend, in die Homer in
seiner Odyssee das Land der Zyklopen verlegt und in deren unmittelbarer
Umgebung sich vorgeschichtliche Wohnhöhlen finden. Zum gleichen kulturellen
Umfeld gehört das algerische Toponym Rusu-kuru, das auf dem
punischen R's-K'r beruht: "Kap bzw. Landspitze des Karo", mit Bezug zu einer
antiken Sonnengottheit, der die phönizischen und karthagischen Seefahrer
verschiedene markante Landschaftsformen an ihren Handelsrouten weihten.
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Dazu gehören beispielsweise die so genannten R 's Rsp (Ras Resup) "Landzunge(
n) des Resup", des phönizischen Gottes des Lichts und des Blitzes -
und sogar des griechischen Akra Leuke, heute Alicanti35
• Hier soll verdeutlicht
werden, dass Kuru bzw. Karo und Resup zwei entgegengesetzte solare
Gottheiten sind: Resup, wahrscheinlich ein anderer Name des Melkart oder
Herakles, ist das punische Äquivalent zum klassischen Apollo bzw. Phöbus
oder zum ägyptischen Horns, d. h. zur jungen, aufgehenden Sonne, auf die
auch der griechische Name Leuk6s "der Glänzende", "der Schimmernde"
anspielt. Dessen Namen gab man nach Osten hin gelegenen Landzungen,
während Kuru / Karo, Krono die Sonne des Untergangs und der Nacht
verkörpert, genauso wie der römische Saturn, der griechische Gerion und der
ägyptische Osiris (Landspitzen, die nach Westen oder Norden ausgerichtet
sind). Deshalb lagen in Cadiz der Tempel des Herakles-Melkart einerseits
und der des Kronos-Saturn andererseits an einander diametral entgegengesetzten
Orten.
Tahoro, Tajoro [taxoro], Chajoro [caxoro] sowie Tajorte (Tfe.) sind
offensichtlich Formen mit der lautlichen Alternative [h] < [k]. Auf dem gleichen
Radikal mag auch tagoro(r) "Versammlungsort" (besonders auf Teneriffa)
beruhen, womit ein Bezug zum Steinkreis gegeben sein dürfte, dem Zentrum
eines jeden Verwaltungsbezirks, dem ein tagorero, umringt von seinen
Notabeln, vorstand (vgl. das oben zum tagoro-r, dem Kreisförmigen und der
Sonnengottheit Ausgeführte).
Gewiss gehören hierher auch die Toponyme Tagora, Tagoras, Tajoras,
Ortschaft und Altos de Tajoras (La Gomera), Tagoro (Tfe. ), Tagoron, Ort auf
Lanzarote. Das Appellativum tajora bezeichnet auch auf La Gomera die
einheimische Pflanze sideritis gomerae, während chajora auf Teneriffa der
sideriris cretica entspricht36 .
Vielleicht sind an dieser Stelle auch Taoro und Chaoro (Tfe.) mit aufzuführen
([0], aufgrund des Verlusts des Hauch- bzw. Rachenlauts).
Kanarische Anthroponyme
Auf dem Namen der Gottheit Coro gründen zahlreiche kanarische Anthroponyme
mit dem patronymischen Präfix ua-n (spanische Version: guan-) "der
von / Sohn des", das in Namen mit theonymischer Basis häufig auftritt; so in:
35 Das arabische l.>"l .J (m 's) bedeutet "Kopf', "Spitze", "Kap" . .Akra Leuke "Kap des Leuchtenden
(Gottes)" ist vermutlich die griechische Version eines weiteren Ras Resup. Das
arabische Al-Jikant basiert auf der lateinischen Form Lucentum, gleichfalls mit Bezug
zum "Leuchtenden".
36 L. Fernandez Perez / C. Diaz Alay6n / F. J. Castillo / G. Diaz Padilla: Relaci6n de palabras
de Ja Jengua i11dige11a de La Gomera, S. 338-340.
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Guanchor, Name eines gomerischen Kriegers. Es handelt sich wohl um
*(G)uan-Chor "Sohn des Coro" bzw. einfach "der von Coro". Diese Form steht
nicht in Zusammenhang mit guanche "Einwohner von Tenerife", sondern gehört
zur Gruppe Guan-arteme (Sohn der Artemis)37
, Guan-chinet (Tin-et)38 und
weiteren Theophorika. Guanchor basiert auf dem Theonym Choro, einer lediglich
orthographischen Variante von Coro. Es findet sein europäisches
Äquivalent im Namen *Coro-genus, das dem mailändischen Toponym Corogennatis
zugrunde liegt (CJL V 5907).
Guantacora - Guantacara / Guantacara und Guantacusa, Varianten des
Namens eines Königs von Teno, im Nordwesten von Teneriffa, sind der
vorgenannten Form ähnlich. Die Alternanz Ta-Cora - Ta-Cusa ist uns ebenfalls
aus zahlreichen Ortsnamen und Inschriften geläufig, die sich auf eine Gottheit
der Iberischen Halbinsel, Galliens, Germaniens usw. beziehen. Die einschlägigen
Grundformen sind: Coro und Coso bzw. Cosso (mit Konsonantenalternanz),
Coro-deo, Cos(s)o-deo (in Inschriften), Curidius (Italien) usw.;
außerdem die Varianten Curo und Cus(s)o sowie Corona (eine lusitanische
Gottheit), Cose-dius (Bonn), Cose-dia und Cuso-dunum "Festung des Coso"
(Gallien), Cussius (Österreich), Cussachs (< *Cussacus), in Katalonien.
Guaracosa, Frauenname und Toponym aufEl Hierro, dessen erstes Element
das gleiche ist wie in Guarateme, Garateme bzw. Garaterme, während das
zweite aus dem Theonym Cos-a für Cor-a (s. o. Guan-ta-cora, Guan-ta-cusa).
Churunco, Name eines Distriktvorstehers (Tfe.), ist eine Variantform mit
dem Vokal u und Palatalisierung des initialen c (Curu- > Churu-für *Coro-).
Der gleiche Vokalismus erscheint in dem Anthroponym Coronca (RE 1885,
Lyon), desgleichen in den iberischen Curu, Curunda und Curuatin wie auch in
den peninsularen Toponymen Curueiio (Le6n), ehemals Quoronio (1061),
Corofio (Asturien) und anderen.
Weitere außerkanarische Orts- und Personennamen dieses Typus, die auf
dem Namen der Gottheit Coro (und Varianten) fußen, sind:
Corain (Asturien), Coron (Frankreich), Coria (A Corufia, Caceres und
Sevilla), Corella (Navarra), vom Anthroponym Corellius abgeleitet, Corejo bzw.
Corexo (A Corufia), Alcoraya (Alicante).
Mit Palatalisierung [k] > [c] finden sich auch:
Choreje bzw. Chorexe, in Lugo (aus Coressii, Genitiv von Coressius, wie
Correggio, der italienische Maler), Correxa, Correxans (Ourense), Choren (A
Corufia), Chorense (Portugal), Chwia, Churfo, Churra, Churriana (A Corufia,
37 J. Caridad: "Artemis -Astarte". Die Göttin in der vorspanischen kanarischen Kultur".
ALMOGAREN XXXII-XXXIIl/2001 -2002, S. 75-106.
38 J. Caridad: "Tenerife", ALMOGARENXXXI/2000, S. 19-44.
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Murcia, Granada, Malaga), Churruca, Churruchao bzw. Chunvchao (Galicien
und Portugal) und viele andere mehr.
Die Flüsse, Schluchten und Höhlen des Aqueron bzw. Tacoron "des
Teufels", "der Hölle" usw.
Wie bereits erwähnt, erregten die auffälligsten Landschaftsmerkmale seit
alters die Aufmerksamkeit der Menschen, die ihnen häufig günstige oder
Unheil bringende Kräfte zuschrieben aufgrund ihrer Beziehung zu bestimmten
Numina oder Gottheiten, deren Wohnstätte man dort vermutete. Demzufolge
wurden diese Orte - praktisch in allen Kulturen - mit einer Reihe von Namen
und Appellativa belegt, die sie mit solchen obersten Wesenheiten identifizierten.
Mit Bezug auf die berberischen Kulturen Nordafrikas nennt der Philologe
Benabou die Berge, Grotten und auffällige Felsen "les incarnations du sacre"
(Verkörperungen des Heiligen). Dasselbe Thema behandeln Camps, Stumfohl,
Wölfel und andere Forscher.
Wie wir sehen, sind die auf Acheron beruhenden Toponyme und ihre religiöskulturellen
Implikationen nicht auf Griechenland und die Kanarischen Inseln
beschränkt, sondern gaben auch auf der Apenninen- und der Iberischen
Halbinsel, in Kleinasien und sogar in Ägypten zahlreichen Flüssen, Seen,
Höhlen, Halbinseln usw. den Namen, da man sie als Grenzen oder Eingänge
zur Anderswelt betrachtete - eine Vorstellung, die sich auf den gesamten
archaischen Kulturbereich des präindoeuropäischen Mittelmeers und die weiter
nördlich gelegenen Gebiete ausdehnen lässt. Die Wirkung dieser Namensbasis
war, wie wir noch sehen werden, auch auf dem kanarischen Archipel überaus
nachhaltig.
Weitere Orte der antiken Welt weisen ähnliche Bezüge auf:
Der Fluss Acheron (Plin., Liv.), heute Savuto, in Kalabrien, mündet ins
Tyrrhenische Meer. Es gab einen Acheron in Bithynien, im Norden Kleinasiens
(Amm. Marc.), einen an der Westküste Griechenlands (Ax,jpwv), südlich von
Korfu, sowie einen weiteren, der in den Pontus Euxinus, d. h. das Schwarze
Meer mündet (Val. Flaccus).
Acherousia hieß - lt. Plinius - der See zwischen Misenum und Cumae, in
Kampanien, heute Lago Tusaro. Es gibt einen weiteren See Acherousia auf
der griechischen Insel Kerkyra bzw. Korfu, die vormals K6rkyra hieß, dem
Fluss Acheron gegenüberliegt und im Jahr 700 v.C. von den Korinthern kolonisiert
wurde. Alle diese Namen spielen auf eine westliche Lage bzw. Grenze
an, die seinerzeit von weiter östlich oder südlich lebenden Völkerschaften mit
dem Ende der (eigenen) Welt und der Anderswelt identifiziert wurde.
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Durch die Höhle Acherousia, die am Kap Taenara (heute Matapan, in
Südgriechenland) gelegen ist, holte Herakles den Höllenhund Kerberos aus
dem Hades an die Oberwelt. In der genannten Höhle wurde Zeus unter dem
Namen Pohoidan, vermutlich dem einer archaischen Gottheit, verehrt. In
Bithynien, nahe Heraklea, befand sich eine weitere Höhle desselben Namens,
von der Gleiches berichtet wurde (Plinius, Mela). Zu einem See mit Namen
Acherousia, diesmal in Ägypten, wurden der Sage nach die Toten geführt, um
dort gerichtet zu werden. Dortselbst sollten sie auch ihren letzten Aufenthaltsort
zugewiesen bekommen (Diodor). Es mag sich hierbei um die griechische
Version eines lokalen Ortsnamens handeln.
Ein vermuteter Eingang zur Anderswelt befand sich in einer Höhle im
Norden Griechenlands, in der Umgebung der Stadt Ephyra, nahe dem See
Acherousia, durch den der Acheron fließt. In dieser Höhle befand sich eines
der ältesten Orakelheiligtümer der Antike, das so genannte Orakel der Toten,
in dessen unterirdischen Räumen der Besucher in völliger Dunkelheit
Inititiationsriten zu bestehen hatte, die 29 Tage dauerten. Zum Schluss führte
ihn ein Priester zu einer Bodenöffnung, die "Schwelle zum Hades", wo er das
Opferblut in die Wohngrotte der unterirdischen Gottheit goss und im Anschluss
daran die Antwort auf seine Frage erhielt39. In dieser Höhle, die vor kurzem
entdeckt archäologisch erschlossen wurde, hat man die meterdicken Überreste
dieses mit der Zeit in Humus verwandelten Blutes gefunden.
Der süddeutsche Bodensee trug früher d