Almogaren XXVIII / 1997 Vöcklabruck 1997 89- 96
Werner Pichler
Der Streit um das Alter der kanarischen
"Pyramiden"
Eine Chronologie der Ereignisse
Über zwei Themen der kanarischen Vor- und Frühgeschichte wird seit Jahren
überaus heftig und kontroversiell diskutiert: über den Zanata-Stein und
über die sogenannten "Pyramiden". Über den Zanata-Stein haben wir in unseren
IC-Publikationen laufend berichtet, das Thema der Pyramiden aber
wurde jahrelang aus schwer verständlichen Gründen ausgeklammert. Dieses
Manko soll in den nächsten Jahren ausgeglichen werden. Anschließend an
den Artikel von W. Hähnel in Almogaren XXVII, der im wesentlichen eine
sachliche Bestandsaufnahme der Bauten aufTenerife bot, soll nun, basierend
auf Publikationen in den kanarischen Massenmedien, eine Chronologie der
wichtigsten Ereignisse versucht werden.
Zum ersten Mal erwähnt Paco Padr6n das Vorhandensein pyramidenartiger
Steinbauten in der Gegend von Güirnar/fenerife in einem Zeitungsartikel
vom 28. 1. 1990. Im Sommer dieses Jahres tritt Emilio Bethencourt, der Präsident
der Confederaci6n Atlantida, mit dem Phänomen der kanarischen "Pyramiden"
an eine breitere Öffentlichkeit. Es ist zu vermuten, daß allein schon
durch diese Tatsache, daß sich von Anfang an eine Gruppe wissenschaftlicher
Außenseiter und Phantasten für ein hohes Alter der Pyramiden eingesetzt hat,
der weitere Verlauf der Diskussion vorgeprägt war. Nämlich daß die Vertreter
der universitären Wissenschaft eine a-priori Gegenposition einnahmen: Die
Pyramiden seien maximal 300 Jahre alt und stammten von spanischen Siedlern,
die ihr Ackerland von Steinen säuberten. Diese Diagnose, an der man
später eisern festhielt, erfolgte ohne jede wissenschaftliche Untersuchung.
Im Herbst 1990 stattet erstmals der durch seine Kon-Tiki-Fahrt weltberühmt
gewordene Norweger Thor Heyerdahl den Pyramiden von Güimar einen
Besuch ab. Bei dieser Gelegenheit prägt er einen Satz, der in der Folge
jahrelang in den Medien zitiert wird: "Die Pyramiden sind höchst interessant".
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Interessant sind auch die ersten Stellungnahmen lokaler Politiker. So äußert
Victor Angel Perez Rodriguez, der Bürgermeister von Güimar, daß er
sich nicht für die Vergangenheit seines Volkes interessiere, sondern nur für
die Gegenwart. Seine Gemeinderäte bezeichnen die Forscher als "Verrückte,
die nach Steinen graben".
Im Februar 1991 kommt Heyerdahl ein zweites Mal nach Güimar, diesmal
mit zwei norwegischen Experten, und berichtet der Presse nach der elektromagnetischen
Untersuchung einer Pyramide, daß "etwas" drinnen sei. In 2-5
Meter Tiefe sei man auf "irgendetwas" gestoßen, das weder Erde noch Lava
sei. In den folgenden 6 Jahren ist Heyerdahl nie auf dieses "Etwas" - das in
den Medien beharrlich zitiert wurde - zurückgekommen, etwa um die Feststellung
zu präzisieren oder sie zurückzunehmen. Jedenfalls sollen noch im
September desselben Jahres archäologische Grabungen beginnen, die die kanarische
Regierung erst auf vielseitiges Drängen genehmigt hat.
In der Zwischenzeit untersuchen Cesar Esteban, Antonio Beimonte und
Antonio Aparicio vom Instituto Astrofisico de Canarias die Orientierung der
Pyramiden und stellen fest, daß es sich um eine astronomische Station zur
Vorhersage von Daten des landwirtschaftlichen Zyklus und zur Erstellung
eines Kalenders handeln könnte: Die NO-Mauer weise in Richtung des Sonnenunterganges
bei Sommersonnenwende, zwei Treppen genau in Richtung
des Sonnenaufganges zur Zeit der Wintersonnenwende, einige Achsen deuten
auf Mondphasen hin.
Ebenfalls noch vor Beginn der Grabungen präsentiert Rafael Gonzalez
Anton, der Direktor des Museo Arqueol6gico de Tenerife, eine offizielle
Stellungnahme des Museums. Nach dem Studium von Fotos(!) und Gesprächen
mit alten Bauern sei es für das Archäologische Museum klar, daß es
keine Verbindung von den Pyramiden zu den sozialen und religiösen Strukturen
der Guanchen gäbe. Deshalb habe das Museum beschlossen, sie nicht zu
untersuchen, da sie nicht von archäologischer Bedeutung seien: "Als Mitglieder
einer wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptieren wir andere Theorien.
Die nicht-wissenschaftlichen Theorien über die 'Pyramiden' sind nicht weniger
respektabel, aber sie sind schlicht und einfach unwissenschaftlich. Unsere
Arbeit als Forscher und Konservatoren besteht nicht darin, auf Mysterien und
Rätsel zu reagieren, die nur für eine privilegierte Zahl von Eingeweihten zu
lösen sind".
Das aus dem Munde genau jenes Mannes, der ein Jahr später einen Medienrummel
ersten Ranges um den unter äußerst mysteriösen Umständen aufgefundenen
"Zanata"-Stein inszeniert und die afrikanische Herkunft der Guanchen
von zwei falsch transliterierten Zeichen ableitet.
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Im Juni 1991 besucht IC-Mitglied Walter Hähne! zum ersten Mal das Areal
von Güimar und erlebt mehrere Überraschungen: Er findet viel mehr Pyramiden,
als bisher auf allen Plänen verzeichnet waren, nämlich insgesamt 10. Er
registriert, daß die Pyramiden keinen einzigen rechten Winkel aufweisen,
sondern solche zwischen 68° und 85°, bzw. zwischen 108° und 112°. Er entdeckt
behauene Ecksteine und Auffüllungen mit Lockermaterial etc.
Das Resümee seiner Beobachtungen: Das sind keine bloßen Steinhaufen
(majanes), die es zweifellos auch gibt. Sie sind aber überhaupt nicht mit den
Pyramiden zu vergleichen. Nur wer sich die Pyramiden nicht genau angesehen
hat, kann so etwas behaupten.
Im September 1991 beginnt man tatsächlich mit den Grabungsarbeiten,
allerdings nicht an den Pyramiden selbst, sondern auf den ebenen Flächen
dazwischen. Die Kampagne steht unter der Leitung von Maria de la Cruz
Jimenez G6mez und Juan Francisco Navarro Mederos, beide Professoren der
Universität La Laguna. Gegraben wird allerdings nicht an den Pyramiden
oder in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern auf der künstlich aufgehöhten
Fläche zwischen den beiden nordöstlichen Pyramiden. Die Ergebnisse der
Grabung entsprechen genau dem, was man sich vorgenommen hatte zu beweisen:
keine Funde von Bedeutung, daher: sin interes arqueol6gico!
Inzwischen ist man darauf aufmerksam geworden, daß es sich bei den
Pyramiden von Güimar um kein singuläres Phänomen handelt. Im Ortsgebiet
von Icod wird ebenfalls eine ganze Gruppe von Pyramiden gefunden, ein
Foto aus den 60er Jahren zeigt Pyramiden im Orotava-Tal und auch von der
Insel La Palma werden vergleichbare Funde gemeldet.
Wie schon angedeutet, waren es von Anfang an vor allem parapsychologische
und esoterische Gruppen, die sich für die kanarischen Pyramiden stark
machten. Neben der "Confederaci6n Atlantida" waren dies vor allem
"Psicoalfa" und "Cuarta Dimension". Eine Abordnung dieser Gruppierungen
sucht noch im September 1991 den Bürgermeister von Icod auf, um sich für
die Erhaltung einer großen, achtstufigen Pyramide einzusetzen, die durch
den Bau einer Umfahrungsstraße akut bedroht ist. Vergeblich: Eine Woche
später wird die Pyramide von "La Mancha" auf Anordnung des Bauministeriums
in einer Nacht- und Nebelaktion von Baggern niedergewalzt.
Richtungweisend für die Zukunft der Pyramiden von Güimar ist die Begegnung
Thor Heyerdahls mit seinem Landsmann Fred Olsen. Heyerdahl
kann den Reeder und Multimillionär für seinen Plan begeistern, die Pyramiden
zu restaurieren und zu einem Kulturpark mit Besucherzentrum auszubauen.
Tatsächlich erwirbt die Fred-Olsen-Stiftung das gesamte Gelände und
kündigt eine 2-Milliarden-Peseten-Investition in den Kulturpark an.
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Im Januar 1992 füllt ein Ereignis die Seiten der lokalen Presse: Jose Antonio
Martin Hernandez, ein Lehrer und Mitglied der Confederaci6n Atlantida,
übergibt dem Museo Arqueol6gico seine Sammlung von Fundstücken aus
den Pyramiden. Martin berichtet in einer vielbeachteten Pressekonferenz,
daß er schon vor 25 Jahren versucht habe, seine Funde dem Museum zu übergeben,
damals aber nur ausgelacht worden sei. Den Mißerfolg der archäologischen
Grabungen kommentiert er damit, daß man am falschen Ort gesucht
habe.
Martin präsentiert der erstaunten Öffentlichkeit eine ganze Palette von
hochinteressanten Funden: menschliche Knochen, Muscheln, Keramik,
Pintaderas und ein Obsidianstück in der Form eines Hundekopfes. Er nennt
die uralten Namen der Pyramiden: "Cancha", "Tano", "Guiro" etc. und weiß
auch Bescheid über die Kulte, die auf ihnen ausgeübt wurden: Erntefeste, die
Anbetung der Sonne, aber auch Menschenopfer.
Martin beruft sich dabei auf die mündliche Überlieferung in seiner Familie,
die bis in prähispanische Zeit zurückreiche. Sein Urgroßvater habe ihm
erzählt, daß die Guanchen in der Zeit der Eroberung fast alles zerstört hätten,
damit kein Zeugnis ihrer Kulte zurückbleibe. Einige Gegenstände hätten sie
jedoch in den Pyramiden versteckt, einen Teil davon habe er nach genauer
Anweisung seines Urgroßvaters in den 60er Jahren gesucht und gefunden.
Im Dezember 1993 meldet sich die Comisi6n de Historia y Etnografia
(CHEC) mit einer umfangreichen Stellungnahme über die "falschen Pyramiden"
zu Wort. Sie bezieht sich vor allem auf die Pyramide von El Paso / La
Palma. Nach zahlreichen Befragungen der Bevölkerung präsentiert man das
Ergebnis, die Pyramide sei von der Mutter des Antonio Lorenzo Sosa unter
Mithilfe von 2 Männern und 3 Frauen in den 30er Jahren unseres Jahrhunderts
erbaut worden.
Die inzwischen auf alten Fotos entdeckte Pyramide von Isleta / Gran Canaria
wird von der Comisi6n als Kalkofen identifiziert.
In Bezug auf die Pyramiden von Tenerife präsentiert man eine mündliche
Überlieferung, wonach viele Frauen, die früher mit dem Aufhäufen von Steinen
beschäftigt waren, durch das Lasttragen auf dem Hinterkopf eine typische
kahle Stelle gehabt hätten.
Resümee: Alle Pyramiden sind einfach Steinhaufen (majanos, morras,
molleros) und daher nicht von archäologischem Interesse.
Auch für A. Tejera Gaspar / Universität La Laguna handelt es sich bei den
Stufenbauten um das Ergebnis bäuerlicher Aktivitäten zur Schaffung von
Kulturland. Die von den Astrophysikern festgestellte Ausrichtung der Pyramidenkanten
nach stellaren Prinzipien erklärt er damit, daß die Bauten zu-
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sätzlich zum Trocknen von Cochinilla oder Feigen verwendet worden seien
und somit eine maximale Sonneneinstrahlung angestrebt worden sei. Für seinen
Artikel "Son prehispanicas las piramides de Güimar?", der am 18.12.1994
in "EI Dia" veröffentlicht wurde, erhält Tejera eine journalistische Auszeichnung.
Im Herbst 1994 protestiert der Nachbarschaftsverband von Socorro in
Güimar gegen die "Geschichtsverfälschung" rund um die angeblichen Pyramiden:
"Da kommen fremde Leute mit phantastischen Ideen und wollen unsere
Geschichte neu schreiben". Man berichtet, daß in der Kapelle von Socorro
neuerdings okkulte Riten zelebriert würden, die Wände seien mit Maisbrei
und Blut verschmiert. Als Quelle all diesen Übels ortet man Emilio
Bethencourt, den Präsidenten der Confederaci6n Atlantida und erklärt ihn
folgerichtig zur "persona non grata".
Im Januar 1995 präsentiert der Architekt Cesar Riuz-Larrea in Santa Cruz
ein Modell des zukünftigen "Parque Etnografico de las Piramides de Güimar".
Man erfährt Einzelheiten über die erste Ausbauphase des Projektes, in der auf
einer Fläche von 7000 m2 1 Milliarde Peseten investiert werden sollen. Überraschend
für viele ist, daß der Park weniger der Präsentation der altkanarischen
Kultur, sondern der äußerst umstrittenen Migrationstheorien Heyerdahls dienen
soll. Für Heyerdahl sind die kanarischen Pyramiden ja ein äußerst willkommenes
Bindeglied zwischen den ägyptischen und mesoamerikanischen
Pyramiden und ein weiteres Indiz für die von ihm behaupteten Kulturkontakte
zwischen diesen beiden Regionen. Die Ausstellungsräume des Parks, bei denen
man sich auf die Materialien Holz und Stein beschränken wolle, sollen
u.a. auch eine Statue des Gottes Kon-Tiki beherbergen. Die Eröffnung ist für
Sommer 1997 angekündigt.
Im Zusammenhang mit dieser Pressekonferenz erfährt man, daß auch die
Pyramiden von Güimar für die Anlage einer Straße und eines städtischen
Parks eingeebnet worden wären, wenn die Olsen-Stiftung das Gelände nicht
gekauft hätte. Im Ayuntamiento von Güimar existiert eine Luftaufnahme des
Geländes, in der zwei Straßen quer durch die Pyramiden eingetragen sind.
So viel zu diesem Kapitel des Umgangs einiger kanarischer Behörden und
Wissenschaftler mit der Geschichte ihrer Inseln. Ich halte dieses Thema allerdings
für viel zu interessant, um es dabei bewenden zu lassen. Viel zu viele
Fragen sind offen und deshalb wird sich das IC in nächster Zeit sehr darum
bemühen, Antworten darauf zu finden. Ich möchte nur kurz auf einige der
zentralen Fragestellungen eingehen.
Eines der Hauptargumente der "Pyramidengegner" - wenn ich sie einmal
so verkürzt nennen darf - lautet: Wieso berichten die Chronisten nicht über
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die Pyramiden, wenn es sie "schon immer" gegeben haben soll?
Diese Behauptung ist schlichtweg falsch: Auch wenn einige pyramidenartige
Steinbauten tatsächlich von den Großvätern und Urgroßvätern (oder -
müttern) der heutigen Inselbewohner erbaut worden sein sollten, so gibt es
doch tatsächlich eine ganze Reihe historischer Belege, daß die Tradition des
Pyramidenbauens viel weiter zurückreicht.
Fast alle Reise- und Forschungsberichte des vorigen Jahrhunderts belegen
- zumindest für Tenerife und La Palma - das Vorhandensein dieser Bauten,
so z.B. Franz von Loeher (1886) und Jules Leclerc (1879). Rene Verneau (1891 :
90) ergänzt sogar, daß es sich dabei um "adoratorios artificiales" (künstliche
Gebets- oder Kultstättten) handle. Wenn Gonzalez Anton strikt leugnet, daß
es eine Verbindung der Pyramidenbauten zu den sozialen und religiösen Strukturen
der Altkanarier gebe, so negiert er damit schlicht und einfach die historischen
Quellen.
Viera y Clavijo ([1776] 1982: 164) berichtet im 3. Kapitel seines Buches
"Historia de Canarias":
"Corno el pais estaba dividido en doce reinos o cantones se habia erigido en
cada uno cierta piramide muy alta de piedras sueltas, delante de la cual se
juntaba el pueblo, segun los dias solernnes de su calendario, a practicar algunas
devociones religiosas ... " (Als das Land in zwölf Herrschaften oder Bezirke
unterteilt wurde, wurde in jedem davon eine sehr hohe Pyramide aus losen
Steinen errichtet, vor denen sich das Dorf an den Festtagen ihres Kalenders
versammelte, um veschiedene religiöse Andachten zu praktizieren).
Auch Abreu Galindo ([1632] 1977: 270) weiß in seiner Geschichte der Eroberung
der Kanarischen Inseln zu berichten, daß die Ureinwohner Steine in
der Form von Pyramiden aufrichteten.
Eines stimmt: In den allerältesten Chroniken finden wir keine Erwähnung
der Pyramiden. Doch das ist keine Beweis ihrer Nichtexistenz. Die frühen
Chronisten berichten auch über so manche andere Kultstätte nicht. Ihre Kenntnis
der Inseln war sehr lückenhaft, ihre Sichtweise sehr selektiv.
So viel in aller Kürze zur Quellenlage.
Abschließend noch ein paar Fragen, die nachdenklich machen müßten:
1) Welcher Bauer, der lästige Steine aus seinem Feld entfernen will, macht
sich die Mühe, diese in formvollendeten Pyramiden aufzuschlichten, deren
Kanten wie mit dem Lineal gezogen sind? Eine mühevolle, zeitraubende Beschäftigung,
die nichts mit den ökonomischen Bemühungen eines Bauern,
hinderliche Steine beiseite zu räumen, zu tun hat.
Walter Hähnel hat sich näher mit den Ecksteinen der Pyramiden befaßt und
dabei erstaunliche Entdeckungen gemacht: Während die Pyramiden von
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Güimar im übrigen fast ausschließlich aus basaltischem Material bestehen,
wurden an den Ecken Tuffsteine eingesetzt. Hähne! vermutet wahrscheinlich
zurecht, daß dies aus dem Grund geschah, daß Tuffe wesentlich leichter zu
bearbeiten sind als Basalte und sich daher für die exakte Formung von Ecksteinen
besser eigneten. Ihre vermutliche Formatisierung ist durch die stärkere
Verwitterung heute natürlich nicht mehr nachweisbar.
Anders als in Güimar wurden in Icod Basaltsteine an den Ecken eingesetzt,
die aufgrund ihrer größeren Härte die gewünschten Winkel auch heute
noch sehr deutlich erkennen lassen.
Welcher Bauer macht sich die Mühe, als Ecksteine solche auszusuchen
(oder sie so zu bearbeiten), daß sie in drei Dimensionen exakt passen: in der
Vertikalen eine scharfe senkrechte Kante bilden und in der Horizontalen den
gewünschten Winkel, der nie 90° war? Das ist schon eine seltsame Freizeitbeschäftigung
für einen kanarischen Bauern.
2) Als zweite kritische Frage möchte ich die Gesamtkubatur des Gesteinsmaterials
zur Diskussion stellen. Errechnet man den Rauminhalt der Pyramiden
von Güimar, so müßte das gesamte Gelände vor Errichtung der Pyramiden
mit einer ca. 15 cm hohen Gesteinsschichte bedeckt gewesen sein. Rechnet
man auch noch die zahlreichen Mauern zwischen den Pyramiden ein, so
erhöht sich die potentielle Gesteinsbedeckung auf etwa das Doppelte. Daß
man eine Gesteinsbedeckung von durchschnittlich 30 cm entfernt hätte, um
landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu schaffen, erscheint mir völlig unwahrscheinlich.
Viel wahrscheinlicher ist, daß hier Material von außerhalb des
Geländes zur Errichtung der Bauten herantransportiert wurde.
Hähne! verweist noch auf eine weitere Besonderheit, nämlich das Vorhandensein
von Treppen in den Mauern, das er sonst nirgendwo auf den Inseln
entdecken konnte.
Bei objektiver Beurteilung der Fakten ergibt sich folgende Sichtweise:
• Die bisherigen Kenntnisse berechtigen nicht dazu, so wie Thor Heyerdahl
in den Stufenbauten von Tenerife und La Palma ein Bindeglied zwischen den
Pyramiden Ägyptens und Mesoamerikas zu sehen.
• Ebenso ist natürlich längst nicht bewiesen, daß alle Stufenbauten der Kanarischen
Inseln prähispanischen Alters sind und kultischen Charakter haben.
• Aber: Die bisher geäußerten Argumente für eine rein agrartechnische Bedeutung
der Bauten erscheinen bei genauerem Betrachten als z. T. falsch, z. T.
wenig überzeugend, die spärlichen Ansätze einer Untersuchung des Phänomens
erscheinen oberflächlich und z. T. unwissenschaftlich.
Wieso gibt es nach sieben Jahren noch immer keinen genauen Plan der
Bauten, keine exakte Beschreibung?
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Wieso schreibt man in kanarischen Publikationen und in der Presse noch
immer von den drei Pyramiden von Güimar, obwohl es in Wirklichkeit zehn
sind?
Wieso verspricht man in den Publikationen Beweise und Argumente und
bringt statt dessen nur Behauptungen?
Das vorläufige Resümee kann also nur lauten:
Das Phänomen der kanarischen Stufenbauten ist bis jetzt in keiner Weise
überzeugend geklärt. Das Institutum Canarium wird sich im Rahmen seiner
Möglichkeiten sehr dafür einsetzen, daß in den nächsten Jahren exaktere und
objektivere Untersuchungen des Phänomens in Angriff genommen werden.
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