Jose Juan Jimenez Gonzalez
DIE CANARIOS. EIN BERBERSfAMM IM GROSEN ATLAS
Das profunde Studium der linguistischen, ethnographischen
und anthropologischen Spuren der kanarischen Kultur zeigt,
dass sie alles in allem vom benachbarten Kontinent importiert
wurde. Wir müssen die Daten bei den Berbern Nordafrikas
suchen, deren Territorium und Kultur am nächsten
liegt. Georges Marcy
Seit den anthropologischen Forschungen zum Ende
des vorigen Jh. durch Rene Verneau, und wegen des vorherrschenden
cromagnoiden Menschenschlages, werden
etwa seit dieser Zeit - die Urbewohner der Kanarischen
Inseln "Guanchen" genannt. Dieser Terminus bezieht sich
im engeren Sinn nur auf Tenerif e.
Der Verwendung der Bezeichnung "Guanche" hat
viel zur Verwirrung beigetragen, die zwischen jenen entstand,
die diesen Ausdruck verallgemeinerten und jenen,
die ihn im eigentlichen Sinn gebrauchten. Es war daher
notwendig, diesen Ausdruck zu modifizieren; so spricht
man heute generell von aborigenes canarios, wenn man die
Urbewohner der Kanarischen Inseln meint.
Dennoch beziehen wir uns in dieser Studie ausschliesslich
auf die Ureinwohner Gran Canarias, wenn wir
hier den Ausdruck "canarios" verwenden. Dies liess uns
anfänglich zweifeln, ob wir diesen Ausdruck als neue oder
allgemeine Bezeichnung beibehalten sollten, oder ob wir
diesen im spezielleren Sinn gebrauchen müssen. Paradoxerweise
scheint die folgende Dokumentation zu zeigen, dass
es sich in beiden Fällen um das gleiche handelt - oder,
dass die alten Einwohner von Gran Canaria auch zugleich
Canarios gewesen sein könnten.
Die älteste Erwähnung der Kanarischen Inseln im
Altertum finden wir in der Historia Naturalis von Plinius
(23-79 n. Chr.). Man findet darin Namen für verschiedene
Inseln {J. Carcopino 1943, 33; J. Alvarez Delgado 1945, 26-61),
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die aus dem Expeditionsbericht von Juba II. von Mauretanien
stammen. Nach G. Marcy bezieht sich die eigentliche
Nachricht nur auf einen Inselnamen Canaria, der sicherlich
eingeborenen Ursprungs ist und sich auf Gran Canaria bezieht.
Plinius leitet dieses "Canaria" von den Hunden her,
die sich in grosser Zahl auf der Insel befunden hätten und
von denen Juba II. zwei mitgebracht wurden (G. Marcy
1962, 248): "Canariam vocari a multidine canum ingentis
magnitudinis, ex quibus sunt Jubae duo."
Das ist, zusammenfassend gesehen, der Beitrag von
Plinius im Hinblick auf den Inselnamen "Canaria". In einer
anderen Passage erwähnt er den Berberstamm der "Canarii",
der bei einer Expedition Mitte des 1. Jh. v.Chr. von
C. Suetonius Paulinus im Atlasgebiet angetroffen wurde
(R. Rogat 1924, 33). Paulinus kam an einem Fluss namens
Ger und berichtet weiter, dass die Einwohner der umliegenden
Wälder - die voll von Elefanten, wilden Tieren und
Schlangen jeder Art sind - sich Canarios nennen, weil sie
wie Hunde leben und mit diesen auch die Eingeweide der
wilden Tiere teilen.
Nach G. Marcy (1962, 249) handelt es sich dabei
um ein Wortspiel von Plinius, wie es zu seiner Zeit üblich
war. Er weist darauf hin, dass der Ursprung dieser Ausführung
von Plinius darin liegt, dass es üblich war, Hundefleisch
zu essen - wie es bei den Canarios des Tafilelt
und bei den Canarios von Gran Canaria nachgewiesen wurde.
Das Essen von Hundefleisch ist bekannt aus verschiedenen
nordafrikanischen Regionen (Oase Gabes, Tripoli,
Souf, El Djerid, Ghat, Ghadames, Tonat, Mzab, Gafsa
usw.; Marcy 1962, 250), wie auch im kanarischen Archipel
bei einigen alten Einwohnern von Tenerife und Gran Canaria
(L.D. Cuscoy 1979, 90).
Am Ende des 16. Jh. schliesst sich L. Torriani
(1978, 90-91, 97) dem Plinius-Juba an und lässt, trotz einiger
Einschränkungen, den Namen der Insel Gran Canaria
von den Hunden herkommen. Zudem liefert Torriani eine
bislang unbekannte Information: " ..• Auf jeden Fall ist es
nicht vernünftig, mit mehr Spitzfindigkeit nach dem Ursprung
des Namens von Gran Canaria zu forschen, weil ja
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Plinius ein genügend klares Zeugnis ablegt, obwohl die
modernen Einwohner keine Erinnerung daran haben, dass
es solche Hunde jemals wirklich gegeben hat •.. Weil Tibicena
in ihrer Sprache Hund bedeutet, haben etliche Leute
daran gedacht, dass ursprünglich unter diesen Canarios die
Insel Tibicena geheissen hat, was dasselbe wie Canaria bedeutet".
Fr. J. Abreu Galindo (1977, 146 -147) befasst sich
am Anfang des 17. Jh. mit dem Namen der Insel und bezieht
sich auf eine Reihe von Daten, die von Plinius und
anderen Autoren stammen. Er schreibt: "Die Insel hatte
immer den Namen Canaria und hat ihn immer bewahrt •••
Wer den Inseln diesen Namen gegeben hat und warum, das
weiss man nicht ... "; abschliessend weist er auf die
Canarios des Atlas hin. Auch Sabin Berthelot ( 1978, 284-
285) benützt Plinius als Quelle. Er weist darauf hin, dass
der Name Canaria vielleicht von den Canarios-Völkern
kommt, die Plinius nahe des Atlas lokalisiert hat. Andre
Berthelot analysiert und kommentiert die klassischen
Quellen über Nordafrika und weist auf Suetonius Paulinus
hin, als den ersten römischen Truppenführer (sie), der den
Atlas umgangen hat. Er spricht von dessen Höhe und vom
Schnee, der im Sommer noch die Berge bedeckt, von seinen
unbekannten Wäldern ... und seinen Bewohnern, die
"Canarios genannt werden, weil sie Hunde und das Fleisch
von wilden Tieren essen" (A. Berthelot 1927, 268). Hundefleisch
als Nahrungsquelle, setzt Berthelot fort, wird auch
von arabischen Schriftstellern wie Edrisi und Aboulfeda für
die Völker des westlichen Atlas genannt: "Edrisi kannte
einen grossen Stamm namens Kannourieh inmitten der
Steppen im Süden des Ouad Noun". Dorthin, zwischen Oud
Guir und Ouad Noun, verlegen wir das Volk der Canarios.
Für A. Berthelot existierte eine Ähnlichkeit zwischen dem
Namen dieses Stammes und jenem der Inseln, und fügt
hinzu, dass zumindest eine diesen Namen trägt, sich also
auf Canaria, dem heutigen Gran Canaria bezieht.
Auch andere Forscher haben im Hinblick auf die
antiken Quellen darauf hingewiesen, dass alte Völker wie
die Canarii existierten. So etwa Jehan Desanges (1962,
212), der als Nachbarn der Canarios die Perorsi anführt u.
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dass Plinius diesen Namen auf die Hunde zurückführt, die
ihre Lebensweise teilen. Desanges gibt auf der Basis der
erwähnten Quellen einige Landkarten bei, um die erwähnten
Stämme und Berbergemeinden festzulegen; die Canarii
sind im Norden des "Ger flumen" eingetragen.
Einige dieser Karten wurden von Marguerite Rachet
wieder aufgenommen, wobei sie einige neue Beiträge
hinzufügte. Ihre "Carte IV" zeigt die Canarii in der von
Desanges vorgeschlagenen Zone. Sie betont, dass sie in einer
bewaldeten Region nahe des Flusses Ger beheimatet
sind und wie Ch. Julien (1956, 126) nimmt sie an, dass es
sich um das heutige Ouad Guir handelt, sie also das Gebiet
des heutigen Tafilelt bewohnten (M . Rachet 1970,
50).
Uns bleibt nur noch zu fragen: Stammt der Name
der Insel Canaria von der "Insel der Hunde", die die Juba-
Expedi tion vorfand, oder davon, weil sie von "Hunefressern"
bevölkert wurde, also jenen nordafrikanischen
Canarii, von denen Suetonius Paulinus berichtete?
J. Alvarez Delgado weist darauf hin, dass die Kynophagie
im Tafilelt praktiziert wurde, und "dass der Name
Canarii eine Bezeichnung umgrenzt, die jener der Hundeesser
sehr nahe liegt", auch aber jener der "Inseln der Hunde"
(in: G. Marcy 1962, 251).
Es ist die Frage, ob es sich bei diesem Terminus
um einen Latinismus handelt, der älter als Plinius ist,
oder um einen berberischen Sprachgebrauch oder um eine
Form von latinisiertem Berberisch. Dennoch verliert sich
bei G. Marcy die Idee, dass die Canarios die Inseln und
diese von ihnen den Namen erhalten haben könnten. Im
Hinblick auf die Art und den Zeitpunkt dieser Besiedlung,
fehlen derzeit exakte Beweise, obwohl es an Hypothesen
nicht mangelt.
Einige Argumente bekräftigen die These von G.
Marcy' s "Hundeinsel", etwa, dass keine insulare Quelle
Eigennamen dieser Eingeborenen enthält, ausser jenem der
"Canarios" - sonst aber kein anderer. Dieselbe mündliche
Tradition und die Ortsnamen sind noch immer bei unseren
Landsleuten erhalten, wenn sie von "cementerios, casas o
lomos de los Canarios" sprechen, aber nie von solchen der
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Guanchen.
Andererseits ist die Erwähnung von "Tamaran" <als
Name für Gran Canaria> ein später Hinweis, den ich in
jedem Fall, soweit ich es verstehe, auf eine Sache oder
Sachen, bzw. ein Örtlichkeit oder Gebiet beziehe, aber nie
als Namen der Insel Gran Canaria, ein Name, den sie
durch Besiedler bekommen hätte. Der Terminus "tamaran"
könnte ein Plural auf -n von "tamara" (pal ma=Pal menzweig;
palmera=Palme) sein, wobei Las Palmas, nach Alvarez
Delgado, die mögliche Übersetzung von "tamaran" sein
könnte (D. J. Wölfel 1965, 311; F. Navarra Artiles 1981,
239). Mit "tamara" beginnende Ortsnamen treffen wir auf
Gran Canaria dort, wo es einst ausgedehnten Palmenhaine
(z.B. Atamaraseid, Tamaraseite) gab.
Die Zuverlässigkeit des Plinius-Juba-Berichtes
scheint ausser Zweifel. Denn während Plinius eine gewisse
Unsicherheit zeigt, die sich auf die von ihm zusammengetragenen
Daten bezieht - da er die von ihm genannten
Örtlichkeiten nicht selbst besucht hatte - , scheint Juba II.
die Örtlichkeiten selbst gekannt zu haben (St. Gsell 1929,
254; M. Gaid 1985, 103).
Die Entdeckungen von Andre Jodin an der marokkanischen
Küste geben die Exaktheit e1mger klassischer
Quellen wieder, die wir in einigen Fällen - wie im Fall
der Islas Purpurarias - interpretieren konnten. A. Jodin
behauptet, dass "derselbe König Juba II. zum Beginn des
römischen Imperiums die atlantische Küste persönlich besuchte
und vielleicht auch bis zu den Kanarischen Inseln
vorgedrungen ist" (A. Jodin 1967, 260-261). Von Plinius
wissen wir, dass Juba II. eine Expedition mit der Bestimmung,
die Kanarischen Inseln zu erreichen, aussandte,
"welche er erforschen liess, ausgehend von den Islas Purpurarias,
das sind die Felseneilande vor Mogador" (J. Carcopino
1943, 172).
Es handelt sich hier nicht darum, mimetisch einige
Namen oder Benennungen aus sich heraus festzuhalten,
sondern sie in der Funktion einiger insularer Kulturen zu
sehen, die sich durch ihre kulturellen Komponenten unterscheiden.
So finden die einzelnen Stämme, die die Inseln
besiedeln, nicht nur eine Bestätigung durch ihre verschie-
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denen Namen, sondern jede auch den für sie - innerhalb
des heterogenen Komplexes, der die Realität der nordafrikanischen
Berber darstellt - passenden. Ausserdem dürfen
wir nicht vergessen, dass "gelegentlich der Name eines
sesshaften Häuptlingtums zugleich auch jener seines Territoriums
ist" (E. Service 1984, 121).
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