Almogaren XXXI / 2000 Wien 2000 7 - 18
Karlheinz Peiffer
Glockenbecherleute auf den Kanaren?
Versuch einer Hypothese.
Zusammenfassung:
Es wird zunächst eine kurze Einführung in Anthropologie, Chronologie und
Wanderbewegung der Glockenbecher-Leute gegeben. Im zweiten Teil wird
versucht, anhand von Erkenntnissen aus den Bereichen Nautik, Handel und
Tonsiegel eine Hypothese abzuleiten, die eine Beteiligung der Glockenbecher-
Leute an der spätneolithischen Besiedlung der Kanarischen Inseln
nicht ausschließt.
Summary:
The first part gives a short synopsis of anthropology, chronology and
migration of the bell beaker people. The second part tries to deduce a
hypothesis from findings in the fields of nautics, commerce and clay seals,
which does not exclude bell beaker people from late neolithic settlement on
the Canary Islands.
Sumario:
En Ja primera parte se da una introducci6n sobre antropologia, cronologia y
migraci6n de los pueblos con ceramica campaniforme. En Ja segunda parte
se intenta deducir una hip6tesis, basada en los da tos encontrados en las areas
de nautica, comercio y pintaderas, en Ja que no excluye Ja participaci6n de
los pueblos con ceramica campaniforme entre los colonizadores de! neolitico
tardio en las Islas Canarias.
Schon im frühen Neolithikum hatte sich einer der aktivsten kulturellen
Brennpunkte in Andalusien befunden, und seit dem ausgehenden 3. Jahrtausend
entstanden schließlich in den Nachbarregionen so viele Megalithbauten,
dass die Bewohner eine ungewöhnlich kraftvolle Kulturexpansion erlebt haben
müssen .
Diese späten Steinzeit-Viehzüchter (soweit die Bezeichnung Steinzeit hier
noch zutrifft) (2800-1800 v.Chr.) erstellten ein charakteristisches, eindrucksvolles
sakrales Gefäß, das man in ihren Gräbern und in den Megalithbauten
in ganz Europa fand, und zwar handelt es sich um einen Becher, der mit der
Form einer Glocke Ähnlichkeit zeigte und von den spanischen Archäologen
einst "campaniform" genannt wurde. Diese sogenannten Glockenbecherleute,
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über deren ethnische Zugehörigkeit man nichts weiß, aber nach deren Becherform
man ihre Kultur benannte, diese Form sprach also bei den Grabausstattungsbeigaben
eine eigene Sprache und war in den Gräbern fester Bestandteil.
Kennt man die feingeflochtenen Körbe, welche die Bewohner der Südspitze
Spaniens im Endneolithikum herstellten, so ist der Vergleich, die Glockenbecher
seien eine Nachahmung dieser Form, nicht so abwegig. Allerdings
entstammen diese Vergleiche der heutigen Sichtweise und ist damit über die
künstlerischen Vorgaben noch keine Aussage gemacht. Dieser Becher war ein
ziemlich großes, glockenförmiges Trinkgefäß ohne Henkel aus feingeschlämmtem
roten, bis ins gelbe spielenden Ton, stets gut geglättet und poliert
und aus einem sehr dünnen und hart klingend gebrannten Material. Die
Wandungen zeigten eine typische Dekoration, abwechselnd aus zick-zack- und
strichgemusterten Bändern, die durch glatte Zonen voneinander getrennt sind.
Eingestempelte Dreieck-, Rauten- und Rechteckmuster sind schon am kleinsten
Bruchstück unverkennbar. Diese Verzierungen wurden vor dem Brennen
mit einem kammartigen Instrument gestrichen oder mit kleinen Holzstäben
eingestempelt, zahllose punktierte Reihen bedeckten ganze Flächenstreifen.
Eine häufige Akzentuierung erfolgte durch farbige Inkrustierung. Bei anderen
Bechern zeigten Muscheleindrücke an den Rändern eigene Formen. Ausgesparte
Dreiecke in der Randverzierung wiederholten das Grundmuster der
eingestempelten Formen durch eine gezähnte Kette, die oben und unten gleichwertige
Ornamente ergaben.
Flache Schalen mit Fußring oder mit kleinen Füßen, ebenso Henkelkrüge
zeigten die breite Auswahl bei den Gefäßen. Das Hauptdekor dieser Fußschalen
bildete die Innenverzierung mit symmetrischen Mustern aus Rillen
und Einstichen in bewegter Folge, während die Außenseite nur am Rand und
am Fuß umlaufende geometrisch-abstrakte Ornamentik oder nur lineare Verzierungen
trug.
Die Werkzeuge, zum Beispiel Klingen, waren aus Feuerstein hergestellt,
Meißeln und Spitzen aus Knochen und Geweih. Daneben verfügte man später
über kupferne Pfrieme zum Löcherstechen in Leder. Beile aus Stein, die, mit
einem Loch versehen, zum Einschlagen der Holzschäfte dienten, waren ebenso
geläufig.
Mit Hilfe von Pflanzenpollen, die in den Bechern gefunden wurden, konnte
man nachweisen, dass aus diesen Gefäßen eine Art Met getrunken wurde,
der mit Kräutern oder W ildfrüchten aromatisiert worden war.
Die Träger der Glockenbecherkultur waren keine Ackerbauern; sie ernährten
sich von Viehzucht und Jagd. Außerdem muß man sie vor allem als Erz-
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sucher und Erzschürfer sehen; Kupfer, Gold und Silber haben sie gekannt,
das bezeugen die Funde. Sie besaßen große Kenntnisse in den metallurgischen
Verfahren . Sie kannten die Verhüttung, Verarbeitung von Kupfer, das
Goldwaschen usw.
Dass die Glockenbecherleute scheinbar verschwunden sind, liegt in der
Tatsache ihrer in ganz Europa erstaunlich schnellen Integrierung in die jeweils
lokalen Volksgruppen, was ein völliges Aufgehen bewirkte. Woher kamen nun
diese Menschen. Waren sie eingewandert? Sie sind - vorsichtig formuliert -
autochthone mediterrane Vorindoeuropäer, aber ihre Wurzeln haben sie im
Milieu der Megalithkultur. Vielleicht sind die Wurzeln, wenn wir die Gedanken
des antiken Philosophen Platon auf dieses Phänomen übertragen, im
bereits Gedachten zu sehen, das zu einem "reifen Zeitpunkt" in Realität umgesetzt
wurde. Möglicherweise waren es zunächst lokale Führungsschichten,
oder eine kleine Anzahl wagemutiger Außenseiter ergrif die Gelegenheit,
aus den bislang geschlossenen, archaischen Gesellschaften auszubrechen.
Ambros Josef Pfifig, dessen Aufassung ich mich anschließe, drückte es so
aus: "Das Problem der Glockenbecherleute heißt nicht Herkunft, also nicht
Einwanderung, sondern Volkswerdung des Glockenbechervolkes im altmediterranen
Raum im Süden Spaniens." Volkswerdung ist stets ein Prozess,
der sich sinnvoll in den evolutionären Lebenslauf hineinstellt. Zugleich ist
mit der kleinsten, sich ständig wandelnden, systematischen Einheit mit einer
genetischen Population - wie es Naturwissenschaftler neuerdings annehmen
-, der Weg bereits vorgezeichnet.
Bezüglich des Terminus Megalithkultur im zeitlichen Ablauf möchte ich
bemerken, dass die Bedeutung und Einordnung dieses Problems bekanntlich
unterschiedlich bewertet wird. Wenn wir unter Kultur die Gesamtheit der
Bedürfnisbefriedigungen, die als menschliche Antwort auf die Herausforderung
der zeitlichen und räumlichen Umwelt entstanden sind, verstehen wollen,
dann kann man hier mit Beginn der Glockenbecherkultur nicht mehr von
Megalithkultur sprechen, sondern lediglich von einer Kultur mit megalithähnlicher
Ausprägung.
Die Glockenbecherleute erscheinen uns als eine äußerst dynamische Gruppierung,
die auch ofenbar tüchtige Seefahrer waren.
Wir müssen nach heutigen Erkenntnissen von der Tatsache ausgehen, dass
die Megalithkultur sich nicht nur durch Wanderungen und geistige Ausbreitung
über den europäischen Kontinent, sondern auch durch maritime Verbreitung,
durch die Tätigkeit von alten Seefahrern an Meeresküsten und an großen
Strömen ausgebreitet hat. Die Ausbreitung der Megalithkultur lag zeitlich
vor dem Auftauchen der Glockenbecherleute. Zu ihrer Ausstattung zählte
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der westeuropäische Typ des Grifzungendolches aus Kupfer; Pfeile mit Widerhaken
und Bogen sind von ihnen bekannt, ebenso Armschutzplatten aus
Bein oder aus weicher Gesteinsart, um Verletzungen durch die zurückschnellende
Bogensehne zu vermeiden. Ein böhmisches Glockenbechergrab (Bylany)
barg ausnahmsweise eine Armschutzplatte aus dünnem Goldblech. Die in dem
gesamten Verbreitungsgebiet der Glockenbecherkultur verwandten rechteckigen
Armschutzplatten, zum Schutz an den Arm gebunden, hatten gleichzeitig
Symbolbedeutung. Solche Platten mit Symbolfunktion tauchten auch noch in
Frühbronzezeitgräbern auf. Auf der iberischen Halbinsel hielt man lange an
Megalithbauten und der Gemeinschaftsbestattung fest. Erst die nachfolgenden
Glockenbecherleute, die sich einiger der befestigten Anlagen bemächtigt
hatten, gaben der Einzelbestattung den Vorzug, wodurch die megalithische
Bestattungsweise zurückgedrängt wurde. Sie legten ihre Toten üblicherweise
in Hockstellung in Gruben oder unter Hügel, benutzten jedoch auch Megalith-
oder Felskammergräber. Gleichermaßen war nicht ungewöhnlich, die
Toten in Steinkisten zu bergen, Kisten, die mit flachen Steinen umrandet
wurden. Selbst die Bestattungsweise in Krügen nach einem Leichenbrand war
nicht unbekannt, blieb jedoch nur vereinzelt.
Die Beigaben in den Gräbern belegen, dass diese Menschen an ein Weiterleben
nach dem Tode glaubten, sonst hätten sie die Gräber wohl kaum so
reichlich mit Tongeschirr, Wafenbestandteilen und Schmuckstücken ausgestattet.
Von der Frühbronzezeit an trat bei den Glockenbecherleuten die Hockerbestattung
mit typischer Blickrichtung nach Osten auf, der aufgehenden Sonne
entgegen, vermutlich mit religiösem Bezug. Gefunden wurden aber auch
Gräber mit Männern in Hockstellung, mit dem Kopf nach Norden ausgerichtet,
mit Frauen, deren Kopf nach Süden zeigte. Diese geschlechtsspezifische
Totenlage und Ausrichtung läßt keinen Zweifel an einer Festigkeit des auf
eine bestimmte Sozialordnung hindeutenden Brauchtums. Möglicherweise
wurden sozial herausragende Personen später ausgestreckt, also nicht mehr
in hockender Position bestattet.
Anthropologisch unterscheiden sich die Glockenbecherleute deutlich von
den Atlanto-Mediterranen. Bei ihnen sind erstmals in stärkerem Maße anthropologisch-
typologische steilhinterhäuptlinge (planoccipitale) und rundhinterhäuptlinge
(kurzoccipitale) Kurzköpfe vertreten. Langköpfe und Mischpopulationen
traten nur ganz vereinzelt auf.
Seit dem Auftreten des homo sapiens haben sich die morphologischen
Merkmale in Europa nur geringfügig geändert. Gleichzeitig haben sich die
frühen Formen in jeder Bevölkerung hier wie dort erhalten, da Gene nicht
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verloren gehen. Die zum Teil in der ethnologischen Literatur zu findende
Unterteilung der Bevölkerung eines Ortes in "Einwanderer" und "Einheimische"
ist aus moderner anthropologischer Sicht nicht mehr vertretbar. Das
bekannteste Beispiel sind die Unterschiede zwischen den Menschen der
Schnurkeramik und denen der Glockenbecherkultur. Als Bevölkerung lassen
sich beide eindeutig unterscheiden. Beim Individuum ist das nur begrenzt
möglich. Das bedeutet, dass in einer Bevölkerung mit der Kultur der Schnurkeramik
ein extrem und deutlich längerer als breiter Hirnschädel, unter den
Trägern der Glockenbecherkultur die Form des Schädels mit fast gleicher
Länge und Breite vorherrscht. In beiden Kulturen sind schließlich alle Zwischenstufen
vorhanden, die extremen Formen allerdings nicht wechselweise.
Es ist immer noch schwierig, Unterschiede zwischen verschiedenen Volksgruppen
oder auch innerhalb einer Gruppe zu analysieren, wie bereits DNAUntersuchungen
ergeben haben.
In der Umgebung von Almeria und an der andalusischen Küste landeten
Schiffe der Prospektoren und Kaufleute, welche, von Kreta und den Kykladen
kommend, die Kenntnis der Verarbeitung des Kupfers mitbrachten. Der
Kupferrohstof stammte aus Spanien, wo die Kupfererze während dieser
Kulturperiode im Tagebau abgebaut und verhüttet wurden. Den Glockenbecherleuten
kommt beim Entstehen der Frühbronzezeit eine formative Bedeutung
zu. In Mitteleuropa ist man schon vor dem Eindringen der Glockenbecherleute
mit dem Kupfer bekannt geworden, gleichfalls aus dem ostmediterranen
Raum, aber über die Brücke Europa-Kleinasien. Da Kupfer im
Vorderen Orient bereits im 4. Jahrtausend v.Chr. und Bronze in der zweiten
Hälfte des 3. Jahrtausends verarbeitet wurde, darf man nach dem heutigen
Stand der Forschung dort den Ursprung der Metallurgie suchen.
Noch besteht für die Entstehung der örtlichen Kupferzeit kein zuverlässiges
Datengerüst. Weitere Forschungen gehen voran und Vorarbeiten werden
zur Zeit geleistet.
Die Kenntnis von Domestizierung von Pferden hatte sich in Ganz Europa
ausgebreitet, allerdings traten die Pferde in Frankreich und auf der Iberischen
Halbinsel erstmals mit dem Auftreten der Glockenbecherkultur in Erscheinung.
Diese Kultur drang von Spanien, mit dem Kulturschwerpunkt Almeria, längs
der Ost- und der Mittelmeerküste des Languedoc nach Oberitalien ein,
andererseits in das Rhonetal, wodurch sie nach West- bzw. Mitteleuropa vorstieß,
und zwar nach Belgien, ins Rheinland, in die Niederlande, nach Südengland
und Irland, weiter ostwärts nach Polen, Böhmen-Mähren und zum Balkan
bis in die Ukraine und leitete überall die Bronzezeit ein. Darüber hinaus hat die
Glockenbecherkultur Nordafrika, die mediterranen Inseln bis nach Sizilien be-
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einflusst. Aufgrund all dieser Ausbreitungen und der Kenntnis der Schifffahrt
wäre das Erreichen der Kanarischen Inseln nicht nur denkbar, sondern durchaus
durchführbar. Vergessen wir nicht: Keine der uns bekannten neolithischen
Kulturformen besaß eine solche Dynamik wie die Glockenbecherkultur.
Mit ihrem Erscheinen in der Bretagne und auf den Britischen Inseln, auf
allen Inseln des westlichen Mittelmeerraumes, einschließlich Sizilien, wie
bereits erwähnt, setzte sich eine lange Seefahrertradition fort, deren Alter wir
nur erraten können. Paläontologen sprechen sogar davon, dass Urmenschen
der Art des Homo erectus die Seefahrt durchführen konnten, um nicht zu sagen
beherrschten. Ihre neue Theorie gründet sich auf Steinwerkzeugen aus
dieser Periode, welche Forscher auf Inseln fanden. Es gibt aber auch viele
Beweise für eine lebhafte Navigation längs der atlantischen Küsten über den
Ärmelkanal, ebenso Routen im Mittelmeer, die etwa um 4000 v.Chr. einsetzte
und in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v.Chr. mit dem Erscheinen
der Glockenbecherleute einen Höhepunkt erreichte.
Von welcher Art die Schife oder Boote waren, die im Altertum Güter und
neue Ideen transportierten, haben wir keine genauen Kenntnisse, allenfalls
Vorstellungen. Die Schifszeichen in den bretonischen Megalithgräbern erinnern
an bronzezeitliche Darstellungen, vergleichbar mit den skandinavischen
Felsbildern. Es ist wahrscheinlich, dass die neolithischen Völker ihre jeweils
eigenen Schiffsformen erfanden, die nach ihrer Aufassung den Anforderungen
der ozeanischen Navigation entsprachen. Offenbar aus intensiven Wechselbeziehungen
von Bandkeramikern und Glockenbecherleuten, aus dieser
Verschmelzung ergaben sich zum Beispiel im Niederrheingebiet in Deutschland
Stilvermischungen, aus denen die Zonenbecherkultur hervorging, die in
diesem Gebiet eine stärkere Verbreitung als im übrigen kulturellen Wandergruppenbereich
gefunden hat. Diese Stilvermischungen entstanden überall
dort, wo die Glockenbecherleute auf bodenständige Kulturen trafen. Auch
ethnische Volksgruppen, die zwischen anderen Bevölkerungsgruppen eingesprengt
lebten, lösten sich in der Einheitlichkeit im Laufe der zeitlichen Entwicklung
ganz auf bzw. sie verschmolzen recht schnell mit den lokalen Elementen.
Die unterschiedlichen Regionen Europas waren wie noch niemals
zuvor miteinander verbunden. So entstanden z.B. in der 2. Hälfte des 3. Jahrtausends
in Spanien feingearbeitete Becher mit hochpoliertem braunen Überzug
und eingeglätteten Mustern, ebenso dünnwandige Schälchen mit schwarzem
Überzug. Es sind Meisterstücke iberischer Töpferkunst, die gemeinsam
mit den Glockenbechern einen kulturellen Höhepunkt erreichen sollten.
Eine neue, aus der Stilvermischung entstandene Kulturphase, der sogenannten
"Überhänge", nahm ihren Anfang: Die südostspanische "El-Argar-Kul-
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tur" blühte bis ca. 1000 v.Chr. In Oberitalien folgte der Glockenbecherkultur
die "Polada-Kultur".
Hans Biedermann und sein Lehrer Dominik Josef Wölfel waren der Auffassung,
dass eine Kanarenbesiedlung von der Südspitze Spaniens aus, ebenso
vom nördlichen Marokko, schon seit dem Mesolithikum mit Booten durchführbar
war; so war Hans Biedermann überzeugt, dass " ... die Meeresgebiete
im Nordosten der Kanaren zu überbrücken und die Inselgruppe zu erreichen
durchaus möglich war." Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die
Glockenbecherleute der Seefahrt durchaus mächtig waren. Gleichermaßen war
Ilse Schwidetzky der Auffassung, dass die Kanaren mindestens in zwei Einwanderungswellen
besiedelt wurden, die ca. 3000 vor Christus erfolgt sein
könnten. Anthropologisch handelt es sich ohne Zweifel um den CromagnonTyp.
Diese Meinung brachte sie in ihren Vorlesungen an der Johannes-Gutenberg
Universität in Mainz in den Nachkriegsjahren zum Ausdruck. Michael
Fleck war der gleichen Ansicht, dass die Kanaren in mehreren, mindestens in
zwei Schüben vom Ende des 3. vorchristlichen Jahrtausends an, besiedelt
worden seien.
Dass also ein Entstehen des Megalithikums auf den Kanaren nach den ersten
Einwanderungsschüben erfolgt sein dürfte und dass während des Neolithikums
kulturelle Verbindungen zwischen Europa und den Kanaren, aber
wahrscheinlich auch zwischen Nordafrika und den Kanaren, bestanden haben,
steht danach - man kann wohl sagen - außer Frage. Volkssplitter von
Glockenbecherleuten sind dabei nicht auszuschließen. Diese eingesprengten
Volksgruppen zu unterscheiden, ist allerdings ohne eindeutige Funde schwer
zu belegen. Bestimmte "Leittypen" unter den reichhaltigen Keramikstücken
heranzuziehen ist problematisch, denken wir nur an die auf diese Weise erfolgten
Fehlinterpretationen auf dem Gebiet der Altamerikanistik in der Neuen
Welt.
Also eine frühe Besiedlung der Kanaren vom atlantischen Marokko aus
dürfte technisch gesehen kein Problem gewesen sein. Cardialkeramik und
Glockenbecher enden im Raum Rabat-Casablanca. Resumee: "Bei vorhandener
Landsicht jeweils einer der beiden Küsten zwischen Cap Juby und
Fuerteventura rechnet die Strecke, ebenso ganz große Teile des westlichen
Mittelmeerraumes, zur Küstenschiffahrt. Diese ist, wie am mediterranen
Altneolithikum zweifelsfrei ablesbar, mindestens im 6. vorchristlichen Jahrtausend
entwickelt." Soweit die Ausführungen der Kommission für Allgemeine
und Vergleichende Archäologie des Deutschen Archäologischen Instituts.
Wenn man sich prähistorische Keramik von den Kanarischen Inseln anschaut,
so ist, allerdings mehr vom Atmosphärischen her und weniger vom
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Detail, der Hauch Afrikas spürbar. Spitzbodige Gefäße zählen hierzu, aber
auch teppichartige Impressoverzierungen.
Das Problem ist allerdings, dass gelegentliche Kontakte durchaus nicht zu
einer spiegelbildlichen Ko-Evolution führen mussten, zumal bei aller geographischen
Nähe die naturräumlichen Voraussetzungen ganz unterschiedlich sind.
Es gibt viele Beweise für eine lebhafte Navigation in prähistorischer Zeit
längs der atlantischen Küste, ebenso über den Ärmelkanal bis nach England
mit seinen Zinnvorkommen. Neben der alten Seeroute erwähnte Siculus Diodorus
die "Zinnstraße", die von der Bretagne quer durch Gallien zur Rhonemündung
geführt hat. Diesen Landweg benutzten auch die Glockenbecherleute
für den Kupferhandel und förderten damit die west- und mitteleuropäische
Entwicklung dieser Metallzeit.
Ein solches Volk, das so große verkehrstechnische Fähigkeiten entwickelte,
darf man gleichermaßen als in der Lage sehen, von der Iberischen Halbinsel
und/oder von Nordafrika aus die Kanaren auf dem Schifswege zu erreichen,
eine Einschätzung, die nicht von der Hand zu weisen ist.
Keramikvergleiche mit Motiven zum Beispiel zwischen der Insel Gran
Canaria, Nordafrika und Südspanien können erst dann erfolgen, wenn mehr
Beweise erbracht werden. Bis dahin hofe ich, dass genetische Analysen auch
aus dem zu diskutierenden prähistorischen Bereich vorliegen, welche die
ebenfalls abgegrenzten Besiedlungsschübe belegen können.
Zu der aufgeworfenen Frage, ob im 3. Jahrtausend v.Chr. Träger der Glockenbecherkultur
die Kanarischen Inseln aufgesucht haben, hat nunmehr die
Vorgeschichtsforschung mit dem zur Verfügung stehenden, verfeinerten Instrumentarium
und mit den modernen Methoden das entscheidende Wort zur
Klärung zu sprechen.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Ornamentik der geometrischen Siegel
der Kanarischen Inseln weitgehend mit der der Glockenbecher übereinstimmt.
Diese Feststellung ist nicht neu. Schon am Anfang der fünfziger Jahre wurde
von inzwischen verstorbenen Ethnologen - desgleichen von Dominik Josef
Wölfel - darauf hingewiesen, jedoch wurden diese Aussagen nicht weiter verfolgt,
sie gerieten bewusst oder unbewusst in Vergessenheit und wurden zu
keinem Zeitpunkt mehr - bis heute - aufgegrifen. Da jedoch, wie bereits vermerkt,
die Träger der Glockenbecherkultur, sobald sie mit fremden Bevölkerungsteilen
in Berührung kamen, sich schnell integrierten, ist es auf den
Kanaren ohne DNA-Untersuchungen nicht möglich, ein Substrat als Beweis
auszumachen.
Es wird heute kaum noch bestritten, dass die ganze Südspitze Spaniens in
prähistorischer Zeit auch die Heimat der meervertrauten Volksgruppen war,
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von denen Einwanderungswellen zu den Kanaren gelangten. In diesem Zusammenhang
verweise ich auf die monochromen Felsbilder im Osten der spanischen
Provinz Cadiz mit den unterschiedlichen Schiffsdarstellungen. Hier
finden sich solche mit Rudern, aber auch mit Segeln, und Schiffe mit Rudern
und Segeln, mit denen ohne schwierige Navigationsnotwendigkeit die Kanaren
erreicht werden konnten, eine Hypothese zwar immer noch, aber eine
solche, die im hohen Grade wahrscheinlich ist. Man kann sie nicht ablehnen,
ohne sie durch eine mindestens ebenso glaubwürdige Hypothese zu ersetzen
bzw. eine bessere Erklärung zu geben.
Die Glockenbecherleute mit ihrer Kultur waren kein neues ethnisches Volk
aus dem Neolithikum, es waren vielmehr lebendige neolithische Regionalgruppen
mit einem völlig neuen kulturellen ideologischen Erscheinungsbild.
Die regionalgeprägten Gesellschaften erfuhren einen tiefgreifenden Wandel.
Ungewöhnliche Aspekte waren ein Zeichen einer Gemeinschaft mit besonderen
Lebensinhalten und einer anderen Vorstellungswelt, als die bislang bodenständige
agrarische Dorfkultur. Diese gesellschaftlichen Änderungen können
in wirtschaftlicher, technischer und religiöser Natur, vielleicht auch mit
einem neuen sozialen Hintergrund, entstanden sein. Damit wurde eine Dynamik
geschaffen, die sich über ganz Europa verbreitete. Eine besondere Rolle
spielen die Glockenbecherleute mit dem neuen Werkstof Kupfer. Damit findet
diese Kultur mit ihrer Metallurgie ihre konsequente Fortsetzung in der
Frühbronzezeit. Es ist daher kein Zufall, dass in den beiden Becherkulturen,
den Glockenbechern und den Bechern der Schnurkeramik - wenn auch in
unterschiedlich kulturellen Erscheinungen - die Wurzeln in der Bronzezeit
zu suchen sind.
Zum Abschluss noch einige Bemerkungen über die Forschungssituation
bezüglich der Kanaren.
Es ist meines Erachtens aufallend, dass die wissenschaftlichen Untersuchungen
vom europäischen Kontinent aus - soweit dies zu überblicken ist -
weniger an möglichen historischen Entwicklungen im Neolithikum in Verbindung
mit den Kulturen auf den Kanarischen Inseln interessiert sind,als ihre
Forschungen kontinental zu betreiben auf dem Gebiet des Meso- oder auch
Neolithikums. Die Kanaren interessieren dabei nur am Rande.
Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass das Institutum
Canarium als einzige Gesellschaft in Europa die Erforschung der Kanaren
betreibt, und ein Brückenschlag zu anderen Disziplinen wäre wünschenswert,
denn ohne breitere Anregung fehlt das wirkliche Bindeglied.
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Bildnachweis:
Die einzelnen Schiffstypen auf den Felszeichnungen befinden sich in der spanischen Provinz
Cadiz, im Südosten der Iberischen Halbinsel. Die Entstehungszeit der Felsbilder ist auch die Zeit des
Auftauchens der Glockenbecherleute im Neolithikum.
Abb. 1) Schiff nur mit Rudern
Abb. 2) Schif nur mit Segeln
Abb. 3) Schiff mit Rudern und Segeln
Alle aus Biedermann, Hans (1983): Die Spur der Altkanarier.- Hallein (S. 140)
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
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