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ALMOGAREN XX/1/1989MM57 ALMOGAREN XX/1/1989 IC INSTITUTUM CANARIUM ICDIGITAL Separata XX/1-6 58MMALMOGAREN XX/1/1989 ICDIGITAL Eine PDF-Serie des Institutum Canarium herausgegeben von Hans-Joachim Ulbrich Technische Hinweise für den Leser: Die vorliegende Datei ist die digitale Version eines im Jahrbuch "Almogaren" ge-druckten Aufsatzes. Aus technischen Gründen konnte – nur bei Aufsätzen vor 1990 – der originale Zeilenfall nicht beibehalten werden. Das bedeutet, dass Zeilen-nummern hier nicht unbedingt jenen im Original entsprechen. Nach wie vor un-verändert ist jedoch der Text pro Seite, so dass Zitate von Textstellen in der ge-druckten wie in der digitalen Version identisch sind, d.h. gleiche Seitenzahlen (Pa-ginierung) aufweisen. Der im Aufsatzkopf erwähnte Erscheinungsort kann vom Sitz der Gesellschaft abweichen, wenn die Publikation nicht im Selbstverlag er-schienen ist (z.B. Vereinssitz = Hallein, Verlagsort = Graz wie bei Almogaren III). Die deutsche Rechtschreibung wurde – mit Ausnahme von Literaturzitaten – den aktuellen Regeln angepasst. Englischsprachige Keywords wurden zum Teil nach-träglich ergänzt. PDF-Dokumente des IC lassen sich mit dem kostenlosen Adobe Acrobat Reader (Version 7.0 oder höher) lesen. Für den Inhalt der Aufsätze sind allein die Autoren verantwortlich. Dunkelrot gefärbter Text kennzeichnet spätere Einfügungen der Redaktion. Alle Vervielfältigungs- und Medien-Rechte dieses Beitrags liegen beim Institutum Canarium Hauslabgasse 31/6 A-1050 Wien IC-Separatas werden für den privaten bzw. wissenschaftlichen Bereich kostenlos zur Verfügung gestellt. Digitale oder gedruckte Kopien von diesen PDFs herzu-stellen und gegen Gebühr zu verbreiten, ist jedoch strengstens untersagt und be-deutet eine schwerwiegende Verletzung der Urheberrechte. Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten: institutum-canarium.org almogaren.org Abbildung Titelseite: Original-Umschlag des gedruckten Jahrbuches. Institutum Canarium 1969-2014 für alle seine Logos, Services und Internetinhalte ALMOGAREN XX/1/1989MM59 Helmut Stumfohl: Aufgabe und wissenschaftliche Position des IC ....................................................... 7 Helmut Stumfohl: Die Urbevölkerung der Kanaren – Inselberber? Eine Klarstellung ............... 20 Lionel Galand: "T(h)" in Libyan and Canarian place-names ............................................................. 32 Carmen Díaz Alayón: Das Ortsnamenmaterial aus der Sicht sprachlicher Homogenität bzw. Verschiedenheit der Altkanarier .............................................. 42 Francisco Javier Castillo: Die altkanarischen Sprachen in den Quellen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts ................................................................................... 51 Hans-Joachim Ulbrich: Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier .............................................................. 60 Helmut Stumfohl: Bemerkungen zur Ethnogenese der alten Kanarier ............................................. 139 Francisco Javier Castillo: Die Sprache der Altkanarier in zwei Studien des 19. Jahrhunderts ............... 152 Carmen Díaz Alayón: Notizen über vorspanische kanarische Ortsnamen ................................................. 161 Siegbert Hummel: Idafe – Numen oder Menhir? ..................................................................................... 179 Gottfried Rahn: Vom Auftauchen der Schrift ......................................................................................... 181 • Zitieren Sie bitte diesen Aufsatz folgendermaßen / Please cite this article as follows: Ulbrich, Hans-Joachim (1989): Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier.- Almogaren XX/1/1989 (Institutum Canarium), Hallein 1990, 60-138 [updated 2006] PDF 60MMALMOGAREN XX/1/1989 ! " # $# %! Hans-Joachim Ulbrich Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier* Keywords: Spain, Portugal, Morocco, Italy, Canary Islands, Madeira, Aragón, discovery, geography, history, politics, Holy See 1. Das geschichtliche Vorfeld Trotz der bereits prähistorischen Besiedlung der Kanaren war die Kunde über ihre Existenz in der Antike, die uns die ersten Hinweise auf diese ostatlantische Inselgruppe liefert, sehr ver-schwommen oder uns genauer nicht überliefert. Was wir den an-tiken Quellen entnehmen können, bewegt sich bis auf wenige Ausnahmen im Bereich des Sagenhaften und Mythologisierten. Konkrete geographische Ansätze sind daher – zumindest bei den frühen Autoren – äußerst problematisch. Auffallend ist, dass die in mehreren Schüben bis in die ersten christlichen Jahrhunderte hinein stattgefundene Besiedlung des Archipels nicht zu einem sicher nachweisbaren Rückkontakt zum iberischen oder afrikanischen Festland geführt hat. Ob dies an den widrigen nautischen Verhältnissen – Gegenströmung durch den Kanarenstrom, Gegenwind durch Passat und Harmattan – gelegen hat oder kulturelle Hemmnisse vorhanden waren, lässt sich schwer nachvollziehen. Dass es parallel zur Besiedlung sehr-wohl auch einzelne, entdeckungsgeschichtlich relevante Besuche aus dem Mittelmeerraum bzw. vom nahen Festland aus gegeben hat, wissen wir aus einigen antiken Berichten und aus archäolo-gischen Hinweisen auf den Inseln selbst. Wir können mit einiger Sicherheit annehmen, dass bei Fahrten vom Festland aus neben reiner Entdeckerlust schon sehr früh auch wirtschaftliche und politische Interessen eine Rolle spiel-ten. Dies trifft zumindest auf die Betreiber des Purpurhandels *Mit Ergänzungen und Korrekturen des Autors von 2006. ALMOGAREN XX/1/1989MM61 Abb. 1 Eine von zahlreichen ver-schiedenen antiken Münzen – hier ein Silber-Denar – mit dem idealisierten Bildnis des Königs Juba II. von Maure-tanien. Neben seinem Hals eine Mondsichel. zu, die die Gewässer der benachbarten atlantischen Inseln und afrikanischen Küsten befuhren. Überliefert ist dies von den Phö-niziern und von dem mauretanischen König Juba II. (Abb.1), der schon um 20 v.Chr. eine Kanaren-Expedition aussandte, die erstmals greifbare wissenschaftliche Ergebnisse brachte. Auf-grund der damit gefestigten Kenntnisse über die "Insulae Fortu-natae" bzw. "Insulae Canariae" ist es um so erstaunlicher, dass die Inseln im Europa des frühen Mittelalters nahezu in Verges-senheit gerieten und in den Schriften jener Zeit mit wenig Rea-lismus beschrieben wurden. Auch der sich ab dem 7. Jh. bis nach Nordwestafrika und ab 711 bis nach Spanien ausbreitende Islam scheint die Kanaren kaum in seine hegemonistischen Absichten einbezogen zu haben, was natürlich einzelne Entdeckungsfahr-ten, zufällige Besuche und gezielte Raubzüge der Mauren nicht ausschließt. Besonders letzteres sollte der kanarischen Bevölke-rung noch bis in das 18. Jh. zu schaffen machen. Genauer historisch verifizierbare und damit auch besser da-tierbare Expeditionen zu den Kanaren sind erst für das 14. Jh. bzw. eingeschränkt für das 9. bis 13. Jh. festzustellen. Der Zeit-raum bis zur normannisch-spanischen Eroberung ab 1402 wird gerne als "vorspanische Geschichte der Kanaren" bezeichnet, was 62MMALMOGAREN XX/1/1989 aber, wie wir sehen werden, nicht korrekt ist, da Katalanen, Andalusier und Basken in größerem Ausmaß und mit weitrei-chenden Folgen bereits im 14. Jh. an der Entdeckung der Kana-ren teilhatten. Überhaupt ist der hier beschriebene Zeitraum für die kanarische Geschichte und die ihres politischen Umfeldes im Hinblick auf die Christianisierung der Inseln und auf die portu-giesisch- spanischen Kolonialbestrebungen von größter Bedeu-tung. Aus ethnologischer Sicht bringen die Seefahrer-Berichte dieser Expeditionen die ersten völkerkundlichen Informationen über die altkanarischen Ureinwohner. 2. Die angebliche Handschrift des Ibn-al-Qutiyya Abu Bakr Ibn-al-Qutiyya (?-1032) ist uns als historische Per-sönlichkeit überliefert: Er wirkte als Chronist, Imam und Lehrer im damals arabischen Córdoba und gehörte zu den wichtigen Männern des Reiches. In dem Buch "Resúmen de la geografia física y política, y de la história natural y civil de las Islas Canarias" (Sta. Cruz de Tenerife 1844) bringt der kanarische Au-tor Manuel OSUNA Y SAVIÑON die Zusammenfassung eines Manuskripts, das er Ibn-al-Qutiyya zuschreibt und das in der französischen Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt sein soll. Die Handschrift enthält, so behauptete OSUNA, den Bericht einer arabischen Kanaren-Expedition von 999, den wir hier in groben Zügen wiedergeben: Der arabische Kapitän Ben-Farroukh war zur Bewachung der portugiesischen Küste abkommandiert, als er die vielversprechenden Berichte einheimischer Seeleute über die "Glücklichen Inseln" hörte. Mit 130 Mann Besatzung segelte er daraufhin im Februar des Jahres 334 der Hedschra (945 nach unserer Zeitrechnung / OSUNA gibt fälschlicherweise 999 an) nach Gran Canaria und landete in der Nähe von Gando. Er durchstreifte das bewaldete Innere und stieß auf andere Araber, die bereits vor ihm die Insel entdeckt hatten und offenbar in Frie-den mit den Eingeborenen verkehrten. Die Landsleute führten ALMOGAREN XX/1/1989MM63 ihn nach Galdar, wo er mit dem Häuptling des Kantons, Gua-nariga, zusammentraf. Ben-Farroukh wurde vom "König" und seinem Rat freundlich aufgenommen; umsomehr, als er vorgab, der Kalif Abd-el-Meluk habe ihn geschickt, um Guanariga Freundschaft und einen Beistandspakt anzubieten. Der Häupt-ling war sehr angetan und versorgte die Besucher mit Fleisch, Früchten und Gofio (Paste aus geröstetem Mehl). Ben-Farroukh wendete sich von Gran Canaria aus zu der West-gruppe des Archipels (Tenerife, Gomera, La Palma und Hierro) und segelte dann nach Osten, wo er Fuerteventura und Lanzarote entdeckte. Zwei Fachkollegen OSUNAS, Gregorio CHIL Y NARANJO und René VERNEAU, haben noch im 19. Jh. vergeb-lich nach diesem Manuskript des Ibn-al-Qutiyya gesucht und es ist deshalb mit Recht zu vermuten, dass OSUNA der Fachwelt eine Märchengeschichte erzählt hat. Konkrete Fehler konnte BONNET REVERÓN (1944b) nachweisen. SERRA RAFOLS (1926) spricht von "Betrug". 3. Das frühe arabische Wissen über die Kanarischen Inseln Die Kunde über die Kanarischen Inseln bei den arabischen Schriftstellern jener Zeit war durchaus in gewissem Umfang vor-handen. Zwar ungenau und verbrämt, wenn es sich um Übernah-men der antiken Berichte handelt, aber etwas realer, wenn eige-ne, arabische Erkenntnisse verarbeitet wurden. So schreibt der andalusische Geograph Abu Ubayd AL-BAKRI (1040-1094) in seinem Werk "Kitab al-masalik wa-l-mamalik" über die Glückli-chen Inseln ("Furtunâtash") im Ozean, gegenüber Tanger und dem Atlas-Gebirge, wo Wälder, Gemüse, hervorragende Früchte und aromatische Kräuter wachsen würden. Der Text scheint allerdings ein Auszug aus dem "Tractatio geographiae" ("Etimo-logiae" liber XIV / cap. V) des ISIDORUS von Sevilla (ca. 560 - 636) zu sein, der die Insulae Fortunatae behandelt. In der Plat- 64MMALMOGAREN XX/1/1989 zierung der Inseln gehen die Angaben jedoch auseinander: Wo AL-BAKRI detaillierter, aber zu nördlich ist, spricht ISIDORUS etwas unbestimmt von "Mauritanien gegenüber". Ein anderer Bericht von AL-BAKRI ist uns durch Šams AL-DIN DIMAŠQI (1256-1327) erhalten geblieben. Darin heißt es, dass ein Sturm einige Seefahrer zu den Glücklichen Inseln ver-schlagen habe. Sie hätten von einer Insel ausgehend die anderen erforscht. Dabei hätten die Eingeborenen erzählt, dass vor den Besuchern noch niemand aus dem Osten gekommen sei und man habe daraus geschlossen, dass außer dem umgebenden Meer nichts existiere. Die Seeleute seien dann mit vielen wunderbaren Dingen nach Andalusien zurückgesegelt und hätten viel zu be-richten gewusst. Daraufhin habe eine andere Gruppe von Schif-fen den Versuch gemacht, diese Inseln zu finden, sei aber erfolg-los und durch Stürme dezimiert zurückgekehrt. Das erwähnte Inseldenken dürfte allerdings nicht für Lanzarote bzw. Fuerte-ventura zutreffen, dessen Bewohner nach AL-EDRISI Anfang des 12. Jahrhunderts die marokkanische Küste kannten (& Kapitel 4). Einen der frühesten Berichte liefert uns Ibn Abd al-Munim AL-HIMYARI (?-1494). In seinem "Kitab ar-Rawd al-Mitar" erzählt er, dass Jasjas, ein junger Mann aus Córdoba, in der Mitte des 9. Jhs. mit einigen Freunden in den Ozean hinausgesegelt sei. Sie hätten die Gewässer zwischen dem "Negerland" und Britannien befahren. Nach einiger Zeit seien sie mit zahlreichem Vieh und wundersamen Nachrichten zurückgekehrt. In diesem Ozean wür-den gegenüber dem "Negerland" sechs Inseln liegen, genannt al- Chalidat, "die Ewigen". Auch bei YAQUT IBN-ABDALLAH (1179-1229, zitiert in BIEDERMANN 1983) sind es sechs Ewige Inseln, die am äußersten Rand des Maghreb zu finden sind. Bei IBN FATIMA (in IBN SAID AL-MAGRIBI / 13. Jh. a) sind die Ewigen Inseln eher die Madeiren oder die Azoren. Denn er schreibt, die 24 (sic) "Glücklichen Inseln" (Djazair al-Sa'adat) ALMOGAREN XX/1/1989MM65 würden zwischen den Ewigen Inseln und dem Festland (hier wohl die Iberische Halbinsel) liegen. Ibn al-Zayyat AL-TADILI (?-1230) vermerkt in seinem biogra-fischen Werk "Kitab al-tašawwuf ita riyal al-ta awwuf", dass der Mystiker und Reisende Abu Yahya al-Sa'ih um 1200 die Inseln im Meer des Magrib al-Aqsa besucht hätte, wo eine Vielzahl von Völkern leben würde, denen der Islam unbekannt sei. Al-Sa'ih hätte diesen Menschen die Lehren des Islam gepredigt und hätte sie erst verlassen, als diese das Tasbih-Gebet beherrschten. Die Richtigkeit dieser Überlieferung vorausgesetzt, war der islami-sche Einfluss auf die Religion der Insulaner sicher nicht von nachhaltiger Bedeutung. Einen weiteren Hinweis gibt uns IBN SAID AL-MAGRIBI (ca.1214 - ca.1286; in AL-MAQQARI 16. Jh.). Er spricht von sie-ben Ewigen Inseln westlich der marokkanischen Stadt Salé. Die Inseln seien bei klarem Wetter zu sehen. Dies gelingt nur, wenn die Kanaren gemeint sind, und zwar von dem heutigen Tarfaia (Cap Juby) aus, aber nicht von Salé. AL-MAGRIBI berichtet wei-ter, man würde auf diesen Inseln sieben männliche Götzenbilder vorfinden. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Nicco-loso da RECCO (& Kapitel 8) bei der portugiesischen Expedition von 1341 in einem Tempel auf Gran Canaria eine männliche Sta-tue entdeckte. Neben diesen in menschlichen Dimensionen be-schriebenen Statuen wird aber auch – z.B. von dem bereits er-wähnten YAQUT IBN-ABDALLAH – sehr fabelhaft von riesi-gen Bildsäulen gesprochen, die auf den sechs "Glücklichen In-seln" vorbeifahrenden Schiffen als Orientierungspunkte und Grenzmarkierungen dienen würden. Im Fragment des Pseudo- IBN QUTAYBA (SERRA RAFOLS 1949) ist von zwei weiteren Figuren die Rede, von denen die eine mit den Kanaren in Verbin-dung gebracht werden könnte; die andere ist wohl jenes sagen-hafte Felsgebilde auf Corvo, in dem man einen Reiter zu erken-nen glaubte, der mit einem Arm nach Westen weist. Dass es sich 66MMALMOGAREN XX/1/1989 hierbei um die arabische Verarbeitung der antiken Berichte von den Säulen des Herkules und z.T. auch um Assoziationen mit den meerseitig sichtbaren Felstürmen der Kanarischen Inseln und Azoren handelt, können wir mit großer Sicherheit annehmen. Und schließlich erfahren wir aus der "Muqaddima" des IBN-KHALDUN (1332-1406), dass von den "zahlreichen" Ewigen In-seln im Atlantik, nahe dem Festland, die drei größten auch die bekanntesten seien und dass diese bewohnt wären (siehe auch Kapitel 16). 4. Die acht Abenteurer des Edrisi Der angesehene arabische Geograph und Reisende, Abu- Abdallah-Muhammad AL-EDRISI (1090-1166), gibt uns in sei-nem Werk "Nuzhat al-mustaq fi ijtiraq al-afaq" (lateinische Über-setzung: Geographia Nubiensis) den detailliertesten Bericht über arabische Aktivitäten in Richtung Kanarische Inseln. EDRISI, der sich selbst in dem damals maurischen Lissabon (Achbouna) auf-gehalten hatte, konnte diese Geschichte aus erster Hand erfahren haben. Demnach hatten sich acht verschwägerte Araber aus Lissabon zusammengetan, um ein kleines Handelsschiff zu bauen. Sie rüs-teten es mit Trinkwasser und Proviant aus und stachen damit 1124 in See. Das Ziel der Mugharrirun genannten Abenteurer stand offenbar nicht genau fest. Mit Hilfe östlicher Winde erreichten sie nach elf Tagen einen Meeresteil, der ihnen wegen seiner ho-hen Wellen, seines dichten, übel riechenden Nebels und der zahl-reichen Klippen wenig zusagte. Sollten dies die Azoren mit ihren vulkanischen Ausdünstungen gewesen sein, dann müsste korrek-terweise die "Süd"-Angabe im folgenden Satz eine Südost-An-gabe sein. Weitere zwölf Tage Fahrt in südlicher Richtung brachten sie zur ersten Insel, auf der sie landeten. Sie nannten sie El-Gha-nam, die "Kleinvieh-Insel" ("Kleinvieh" kann bei den Arabern ALMOGAREN XX/1/1989MM67 Schaf oder Ziege bedeuten; letzteres erscheint am sinnvollsten), da sie auf ihr große Mengen kleiner Ziegen vorfanden, deren Fleisch sich aber als ungenießbar bitter erwies. Die den Haustie-ren zugehörigen Hirten entdeckten sie nicht auf der "großen, mit einer dichten Finsternis (Nebel) umgebenen Insel", dafür aber "eine Quelle mit sprudelndem Wasser, beschattet von einem wil-den Feigenbaum". Sie nahmen nur die Felle der Tiere mit und segelten nochmals zwölf Tage in südlicher Richtung, wo sie auf eine Insel stießen, die kultiviert und bewohnt aussah. Als sie sich der Insel näherten, tauchten Boote mit Eingeborenen auf, die die Seefahrer gefangen nahmen. Während einer drei Tage dauern-den Gefangenschaft lernten sie die Insulaner als gutgebaute, kup-ferhäutige Männer mit langen, lockeren Haaren kennen. Auch die Frauen sollen von großer Schönheit gewesen sein. Als die Mau-ren vor den Häuptling gebracht wurden und ihr Abenteuer er-zählten, hielt er ihnen die Nutzlosigkeit ihres Umherirrens vor. Schon sein Vater hätte einmal einige Untertanen losgeschickt, die nach einem Monat fruchtloser Fahrt wieder zurückgekehrt sei-en. Es existierte also durchaus nautisches Können und Entde-ckergeist unter den Altkanariern. Eigenschaften, die mögli-cherweise mit den zunehmenden Raubzügen zu ihren Inseln zu-gunsten einer freiwilligen Isolation aufgegeben bzw. auf den in-sularen Raum beschränkt wurden. Interessanterweise soll bei der Unterhaltung mit dem Häuptling ein Arabisch sprechender Ein-geborener als Dolmetscher gedient haben. Die Gefangenen wurden wieder in ihre Hütte zurückgebracht. Und als einmal der (seltene) Westwind wehte (wie bei winterli-chen Tiefdrucklagen), setzte man sie mit verbundenen Augen in "drei Tagen und drei Nächten" zur marokkanischen Küste über, wo sie an einem Strand mit auf den Rücken gebundenen Händen freigelassen wurden. Dort fand sie die berberische Bevölkerung und einer der Leute befragte sie nach der Entfernung zu ihrem Heimatland. Sie antworteten, sie könnten nicht viel mehr erzäh- 68MMALMOGAREN XX/1/1989 len, als dass zwei Monate Fahrt dazwischen liegen würden. Wo-rauf der Anführer der Abenteurer rief: "Va asafi!", sinngemäß "Oh, was ist mir widerfahren!". Von diesem Ausruf soll diese Ankerbucht den Namen Asafi erhalten haben – heute die Stadt Safi, die über 500 km im Nordosten von Lanzarote liegt, was allerdings die lange Zeit für das Übersetzen erklären würde. Enttäuscht und desillusioniert kehrten die Abenteurer nun nach Lissabon zurück. Trotz aller fabulierenden Züge kann diesem Bericht des EDRISI nicht ein realer Kern abgesprochen werden. Der eine oder andere Hinweis scheint durchaus auf die Kanaren zuzutreffen: z.B. die auffallende Schönheit der Menschen, die immer wieder auch von den späteren Konquistadoren erwähnt wird, der ara-bisch sprechende Dolmetscher und die Nähe zum marokkani-schen Festland. Nimmt man einige Angaben hinzu, die EDRISI an anderer Stelle macht, dann könnte auch die Konstellation der Inseln für die Kanaren sprechen. Er erwähnt nämlich Al- Akhwayn-al-Sahharayn, die "Insel der Zauber-Brüder", die Safi gegenüber liegen soll. Dies würde für Madeira zutreffen, das aber wegen seiner Unbewohntheit nicht in Frage kommt. Eher scheint hier Lanzarote oder Fuerteventura gemeint zu sein, wobei eine dieser Inseln vermutlich auch jene ist, die die acht Seefahrer als bewohnt vorfanden. Der französische Historiker D'AVEZAC (1848) sah in den beiden Zauber-Brüdern, die bei EDRISI Chirâm und Chirhâm heißen, die Lanzarote nördlich vorgelagerten Felsen Roque del Este und Roque del Oeste. Nach EDRISI waren die beiden Brü-der Piraten, die von den kanarischen Gewässern aus ihr Unwe-sen trieben und von Gott zur Strafe in zwei Felsen verwandelt wurden. EDRISI erwähnt ergänzend, dass die Entfernung zur "In-sel der Zauber-Brüder" so gering gewesen sei, dass die Bewoh-ner des Kontinents dort Rauch hätten aufsteigen sehen. Letzte-res ist freilich nur erklärbar wenn es sich um einen Vulkan-ausbruch gehandelt hat. Interessant, wenn auch sehr mit Vorsicht ALMOGAREN XX/1/1989MM69 zu genießen, ist EDRISIs Bemerkung, dass die Insel nach dem Verschwinden der beiden Piraten wieder bewohnt war. Zur Zeit der Besetzung ihrer Insel wären demnach die Ureinwohner ver-trieben gewesen. Der marokkanische Almoraviden-Sultan Ali-ben- Yusuf-ben-Tashufin (1106-1146) soll sogar – angeregt durch die wundersamen Nachrichten der Mugharrirun über die nahen Inseln – geplant haben, diese zu erobern, was aber sein überra-schender Tod verhindert habe. EDRISI erwähnt im Zusammenhang mit einer Gruppe von sechs "ewigen" Inseln, bei denen Ptolemäus die Zählung seiner Längengrade begonnen habe, also die Kanaren, noch weitere Na-men: Masfahan mit einem runden Berg in der Mitte (Tenerife) und "Lagous" oder "Lamghush", das als Nachbarinsel von "Masfahan" Gran Canaria sein könnte (Abb. 2). EDRISI, der bei der Beschreibung dieser Inseln eine sehr phantastische Version der Säulen-Geschichte bringt, erwähnt aber andererseits sehr konkret die Qualität des Ambras (Darmstein des Pottwals), das an ihren Küsten gefunden würde. Wale und Robben waren zur damaligen Zeit in den kanarischen Gewässern sehr häufig; noch heute zeugen Ortsnamen, wie "Lobos" (Seehund-Insel) und "Caleta del Sebo" (Bucht des Talgs – auf La Graciosa ist hier Walfett gemeint) von dieser Tatsache. Die von den Abenteurern zuerst entdeckte Ziegeninsel mit dem Quellwasser dürfte mit ziemlicher Sicherheit Madeira gewesen sein, das offiziell erst 1419-20 von den Portugiesen João Gon-çalves Zarco und Tristão Vaz Teixeira (wieder)entdeckt wurde und bis dahin unbewohnt war – von gelegentlichen Besuchen der Phönizier abgesehen, die es vermutlich im Rahmen ihrer Pur-purgewinnung anliefen. Von diesen könnten die herrenlosen (ver-wilderten) Ziegen stammen und auch die Feigenbäume, die sich von Vorderasien kommend im Mittelmeergebiet ausbreiteten; archäologische Zeugnisse dafür gibt es bis dato jedoch nicht. Die Portugiesen fanden zwar angeblich1 keine nennenswerten Säu-getiere auf Madeira vor, was aber nicht unbedingt gegen die Exis-tenz der Ziegen spricht, die sich in unzugängliche Gebiete zu- ! " # ! $ % 70MMALMOGAREN XX/1/1989 Insel "masfahan" (Tenerife) Insel "lagūs" (vermutl. Gran Canaria) Abb. 2 Nordwest-Marokko in der Darstellung des Edrisi (Ta-bula Rogeriana, entstanden 1154 auf Sizilien). Ausschnitt aus Konrad Mil-ler (1994): Mappae Arabi-cae.- Institut für Gesch. der Arabisch-Islamischen Wis-senschaft. (Univ. Frankfurt), Nachdruck der Ausg. Stutt-gart 1926-1931. Die Blick-richtung ist von Nord nach Süd! Der ursprünglich ara-bische Text wurde in lateini-sche Schrift übertragen. Meerenge von Gibraltar ALMOGAREN XX/1/1989MM71 rückgezogen haben konnten. Dies um so mehr, als zur Rodung ein Feuer gelegt wurde, das unkontrolliert mehrere Jahre ge-brannt haben soll (BARROS 1552). Valentin FERDINAND (1507) berichtet sogar ausdrücklich von Ziegen auf Porto-Santo, mit de-ren Fleisch die Kastilier auf ihren Fahrten von Andalusien zu den Kanarischen Inseln schon lange vor 1418 ihr Proviant aufzu-frischen pflegten. Die Lage Madeiras im Norden der Kanaren würde auch erklären, warum die acht Seefahrer die relativ lange Zeit von 12 Tagen benötigten, um zur nächsten Insel im Süden zu gelangen. Stimmt die Angabe "nach Süden", dann kann die Ziegeninsel kaum eine der Kanaren-Gruppe gewesen sein, die sich in öst-/westlicher Richtung ausdehnt. Nahe der Ziegeninsel lag – nach EDRISI – auch Raca oder Toyour, die "Vogel-Insel", die sich dann mit Porto-Santo, Deserta Grande oder vielleicht auch Selvagem Grande identifizieren ließe. Letztere ist zwar deutlich von Madeira entfernt, läge aber auf der Route. Es bleibt noch zu erwähnen, dass der arabische Schriftsteller IBN AL-WARDI (1260-1349) den Text des EDRISI aufgreift und damit wohl die erste Sekundärliteratur zu diesem Thema geschaf-fen hat. Im 14. Jh. folgte der marokkanische Reisende und Ge-schichtsschreiber IBN-BATTUTA (1304-1377) und im 15. Jh. AL-HIMYARI. Mit den geschilderten Überlieferungen wird – trotz allem Nebulösen – deutlich, dass maurische Seefahrer des 9. bis 12. Jhs. in Richtung der makaronesischen Archipele einen mehr oder weniger zielbewussten Entdeckergeist entwickelten, der den seefahrenden Europäern jener Zeit offenbar fehlte. Große An-strengungen der Araber blieben aber wohl aus der traditionellen Angst vor dem "Meer der Finsternis" (Atlantik) aus. 5. Genuesen und der Weg nach Indien: die Fahrten der Vi-valdis Auf Initiative und mit großem finanziellem Engagement des Genuesen Tedisio d'Oria, Sohn des berühmten Admirals Lamba 72MMALMOGAREN XX/1/1989 d'Oria, wurde im Winter 1290 eine Expedition vorbereitet, deren Ziel es war, den Seeweg von Genua nach Indien zu öffnen. D'Oria verzichtete zwar auf eine Teilnahme, konnte aber die Gebrüder Vadino und Ugolino (Guido) Vivaldi für die Fahrt gewinnen. Un-ter ihrer Leitung stachen im Mai 1291 die zwei Galeeren "Alle-granza" und "Sant'Antonio", beladen mit Handelsgut, in See. Nach einem Aufenthalt auf Mallorca und Zwischenstops an der spanischen Küste passierten sie die Straße von Gibraltar und se-gelten die afrikanische Küste entlang nach Süden. Die letzte Sich-tung der beiden Schiffe erfolgte nach der Chronik des Jacopo D'ORIA (Genova 1294) bei "Gozora" oder "Gozola", nach dem Berberstamm der Guezzoula in der Nähe des Cap Noun. Was dann geschah entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Ein wenig Licht in das Dunkel bringt uns – mit allem Vorbe-halt – die Erzählung eines anderen genuesischen Afrika-Fahrers: Antoniotto USODIMARE, der 1455 bis zum Fluss Gambia ge-kommen war. In der Handschriftensammlung "Itinerarium Antonii Ususmaris Civis Januensis" (17. Jh. / aufbewahrt in der Biblioteca Universitaria di Genova) ist die Kopie eines Briefes enthalten, den USODIMARE am 12. Dezember 1455 in Lissabon an seine Gläubiger in Genua schrieb. Darin berichtet er sehr un-glaubhaft, er habe im Gebiet des Gambia einen Landsmann ge-troffen, der von sich behauptete, der einzige überlebende Nach-komme der Besatzung der Vivaldi-Expedition zu sein. Und in einer anderen Handschrift der Sammlung heißt es, dass ein Schiff der Expedition auf der Höhe von Guinea gestrandet sei, während es das andere bis Menam in Äthiopien geschafft habe. Im "Libro del conoscimiento", einer Sammlung geographischer Informati-onen (Anonymus ca. 1385 / & Kapitel 12), wird erzählt, dass ein Schiff Amenuan in Äthiopien erreicht habe, wo es "zerbrochen sei" (in einem Sturm?) und von der Besatzung noch verlassen werden konnte. Das andere Schiff sei "entkommen" (diesem Sturm?) ohne dass man wisse, was dann geschah. Da für letzte- ALMOGAREN XX/1/1989MM73 res keine genaue Ortsangabe gemacht wird, ist offen, ob dies ebenfalls bei Amenuan passierte oder schon früher. Übereinstim-mend berichten beide Quellen von der Gefangennahme der ei-nen Schiffsbesatzung in Menam bzw. Amenuan. Der Kompilator des "Itinerarium", der bis auf den Brief nicht identisch mit USODIMARE ist, hat hier wohl auf Informanten zurückgegrif-fen, die das "Libro del conoscimiento" oder eine grobe Version davon kannten und verfälschte Teile daraus weitergaben. Die Daheimgebliebenen in Genua machten sich zunächst kei-ne Sorgen wegen des langen Ausbleibens der Vivaldi-Brüder, musste man in der damaligen Zeit doch mit ungefähr zehn Jah-ren für eine Afrika-Umrundung rechnen. Erst 1312 machte sich die erste Suchexpedition unter Lancelotto Malocello auf den Weg (& Kapitel 6) und – nach der Kalkulation einiger Historiker um 1315 (& HENNIG 1953) oder 1325 (BONNET REVERÓN 1944c, SALVADORI 1942) – eine zweite unter Sor Leone Vivaldi, Sohn des Ugolino. Die Route seiner Suchaktion verlief je nach Hypo-these zu Lande nach Ostafrika, über den Atlantik (um Afrika herum) oder über das Arabische Meer, wobei er schließlich in Mogadischu eine Spur seines Vaters gefunden haben soll. Die einzige Quelle über letzteres, auf der das ganze Denkgebäude seiner Suche basiert, ist das erwähnte "Libro del conoscimiento". Beide Fahrten der Vivaldis bewegen sich trotz dieser Informa-tionen doch sehr im Ungewissen und Legendenhaften, was letztlich eine Bewertung des Erfolgs oder Misserfolgs äußerst schwierig gestaltet. Vor allem die Suche des Sor Leone könnte eine romantisierende Erfindung des Autors des "Libro del conoscimiento" sein. Moderne Kritiker geben zu Bedenken, dass das von ihm genannte "Magdasor" auch das marokkanische Mogador (Essaouira) und nicht das somalische Mogadischu sein könnte (PÉREZ EMBID 1948). Die Vivaldis der ersten und ver-mutlich einzigen Expedition hätten es dann nur bis zur nordwe-stafrikanischen Küste geschafft, wobei die Mannschaften Schiff- 74MMALMOGAREN XX/1/1989 bruch erlitten und/oder von berberischen Piraten ins Landesinnere verschleppt wurden – eine Interpretation, die vernünftig erscheint, denn Marokko lag damals im Krieg mit der Republik Genua. Ob die Expedition der Gebrüder Vivaldi auch Kontakt mit den Kanaren hatte, muss – obwohl manches dafür spricht – im Be-reich des Spekulativen bleiben. Auszuschließen ist eine Sichtung oder sogar ein Betreten aufgrund der Meerenge zwischen Süd- Marokko und Fuerteventura bzw. Lanzarote nicht. Es ist auch zu vermuten, dass die Genuesen von der Existenz der Kanaren wussten und zum Zweck der Rast und Proviantauffrischung wohl lieber die "Glücklichen Inseln" als die unwirtliche afrikanische Küste angelaufen hätten. Einen vagen Hinweis finden wir bei dem italienischen Dichter Francesco PETRARCA (1304-1388). In seinem Werk "De vita solitaria" (1346) spricht er von einer "januensium armata classis", die nach der Überlieferung der Vä-ter auf den Kanaren gelandet sein soll. Ist dabei einer der beiden Franziskaner-Missionare, die auf der ersten Vivaldi-Expedition mitgenommen wurden, auf den Kanaren zurückgeblieben? In ei-nem von TORRIANI zitierten Passus aus der leider verscholle-nen Chronik des Advokaten Antonio de TROYA (Las Palmas de G.C. 1530 - Sta. Cruz de La Palma 1577) heißt es sinngemäß, dass hundert Jahre bevor Bethencourt (um den Jahreswechsel 1405/6) die Insel Hierro unterwarf, also ca. 1306, ein gewisser Yone (Yoñe bei VIERA, Jonne bei MARIN DE CUBAS; liegt hier eine Ver-stümmelung von "Giovanni" vor?) kurz vor seinem Tod die An-kunft des wahren Gottes prophezeit hätte. WIPF (1988) vermutet in Yone einen christlichen Missionar und setzt sein Wirken, fälschlicherweise von 1419 (nach TORRIANI) als Ankunftszeit Bethencourts ausgehend, in die Zeit Lancelotto Malocellos auf den Kanaren, die erst mit dem Jahr 1312 begann. Das Todesjahr des Yone rückt aber zeitlich eher in die Nähe der Vivaldi-Expedi-tion von 1291. Diese Ankunftszeit hätte Yone dann um rund 15 Jahre überlebt, was realistisch erscheint. ALMOGAREN XX/1/1989MM75 ALVAREZ DELGADO (1967: 320) signalisiert die Möglich-keit, dass der Name des ebenfalls als christlicher Missionar inter-pretierbaren Eiunche von Gomera eine Variante des Yone (iunech) von Hierro ist. Wir hätten es dann nur mit einer einzigen Person zu tun, die auf den beiden Nachbarinseln den christlichen Glau-ben verbreitete. Für einen Kontakt der Vivaldi-Expedition mit den Kanarischen Inseln spricht auch die auffällige Namensgleichheit der einen Ga-leere mit der Insel Alegranza, auf die man bei einer Annäherung von dem oben genannten Cap Noun als erste gestoßen sein konn-te. Nach einer Hypothese von MAGNAGHI (1935) haben die Gebrüder Vivaldi den Seeweg nach Indien nicht um Afrika her-um, sondern westwärts über den Atlantik gesucht und hatten die Kanarischen Inseln dabei fest im Visier. Selbst wenn die Planung einer Atlantik-Überquerung nach den damaligen Kenntnissen un-wahrscheinlich ist, bleibt immer noch die Möglichkeit, dass die Kanarischen Inseln auf dem Weg zum Äquator zufällig oder be-wusst angelaufen wurden. Als Denkmodell für eine Namensgebung durch die Vivaldis sei folgender Ablauf skizziert: Die "Allegranza" strandete an der nördlichsten Kanaren-Insel, die daraufhin den Namen dieses Schiffes erhielt. Das Schiff musste aufgegeben werden und seine komplette Besatzung wurde von der "Sant' Antonio" aufgenom-men. Nach dem Besuch anderer Inseln des Archipels (s.o.) stellte man fest, dass zwar der Proviant erneuert werden konnte, dass aber die Verhältnisse an Bord (fehlender Stauraum für doppelte Vorräte und Platznot in den Quartieren, erschwerte Manövrier-fähigkeit) gegen eine Fortsetzung der Expedition sprachen, die ja unbekannte Gewässer und Küsten zum Ziel hatte. Die "Sant' Antonio" segelte darauf in Richtung Festland zurück, wo sie von Arabern gekapert wurde. Die Abenteuer in den kanarischen Ge-wässern und die damit verbundene Namensgebung wurden von den Besatzungsmitgliedern während ihrer Gefangenschaft bzw. Versklavung weitererzählt und Kenntnis darüber gelangte nach 76MMALMOGAREN XX/1/1989 dem nicht allzu fernen Sevilla und von dort nach Genua. Letzte-res allerdings nicht vor 1312, denn erst zu diesem Zeitpunkt star-tete Malocello seine Suchaktion. Möglicherweise in Sevilla hörte der Autor des "Libro del conoscimiento" von den Vivaldis und verarbeitete die Nachrichten zu einer reichlich phantastischen Geschichte, deren realer Kern nur schwer zu extrahieren ist. Die Kanaren als Etappenziel oder Brückenkopf bei längeren Seefahrten zu benützen liegt auf der Hand und wurde in den fol-genden Jahrhunderten ausgiebig praktiziert, sowohl bei der Ero-berung Amerikas als auch bei der Entdeckung des indischen und pazifischen Ozeans. Wie auch immer die Realität im Fall der Vivaldi-Expedition aussehen mag, so muss ihr doch zugespro-chen werden, dass sie eine Ära der Entdeckungen einleitete, die vor allem den Seefahrern des westlichen Mittelmeerraumes neuen Auftrieb zur Erforschung der afrikanischen bzw. atlanti-schen Gewässer gab. 6. Die Landnahme des Lancelotto Malocello In den Annalen der Stadt Genua finden wir vom Anfang des 12. bis zum Ende des 14. Jhs. immer wieder Angehörige der Fa-milie Malocello (oder Marocello) unter den höheren Beamten der Republik (BONNET REVERÓN 1944c). Ein Mitglied der Fami-lie, Lancelotto Malocello, machte sich 1312 auf die Suche der ver-schollenen Gebrüder Vivaldi, ob aus eigenem Antrieb oder mit amtlichem Auftrag ist unbekannt. Über den Verlauf seiner See-reise erfahren wir nur Bruchstückhaftes aus verschiedenen alten Quellen. 1629 und 1630 veröffentlichte Pierre Bergeron in Paris Ausga-ben des als "Canarien" (& BOUTIER & LEVERRIER 1405) be-kannt gewordenen Augenzeugenberichts über die Eroberung der Kanaren durch Jean IV. de Bethencourt und Gadifer de la Salle. Basierend auf einer durch Jean V. de Bethencourt gefälschten ALMOGAREN XX/1/1989MM77 Vorlage heißt es im Kapitel XXXII über eine Episode auf Lanzarote: "...und einige Tage später schickte Gadifer einige Leu-te los, um Gerste zu suchen, denn sie hatten nur noch wenig Brot übrig; alsdann sammelten sie große Mengen des Getreides und lagerten es in einer alten Burg, die Lancelote Maloisel vor langer Zeit errichtet hatte, wie man sagt." Die gleiche Textstelle heißt in der 1888 wiederentdeckten Salle-Version des Canarien: "... und lagerten es in einer alten Burg, die Lancelote Maloisel vor langer Zeit errichtet hatte, als er dieses Land eroberte, wie man sagt." Offenbar wollten die Nachkommen Jean IV. nicht, dass der Ruhm der Eroberung Lanzarotes einem anderen zugesprochen wird, denn in der Bethencourt-Version des Canarien wird immer wieder der Versuch unternommen, die Rolle Jean IV. in übertrie-bener Weise zu glorifizieren. Dies rief nun einen Zweig der Familie Malocello auf den Plan, die mittlerweile in der Normandie unter dem Namen Maloisel seßhaft geworden war. Ein Anonymus aus dieser Familie veröf-fentlichte 1632 in Caen ein Traktat, in dem er gegen die Darstel-lung im Canarien protestiert und seinen italienischen Vorfahren als den ersten und wirklichen Eroberer Lanzarotes darstellt. In einem Brief, den der französische Schriftsteller Abbé J. Paulmyer am 19. April 1659 an den Historiker Du Chesne in Rouen schreibt (RONCIERE 1896), erfahren wir weiteres: Demnach bekräftige die Familie Maloisel Dokumente zu besitzen, die den Anspruch Malocellos, die Kanaren zuerst erobert zu haben, beweisen wür-den. Die Expedition habe er 1312 unternommen, angeregt durch einen (sehr zweifelhaften) Bericht normannischer Seeleute aus Cherbourg, die an der spanischen Küste Handel getrieben hätten und durch einen Sturm zu den Kanaren verschlagen worden sei-en. Sollte die Fahrt der "matelots de Cherebourg" jedoch auf Tat-sachen beruhen, dann stellt sich die Frage, was wirklich der Grund für Malocello war, seine Expedition zu unternehmen: die Suche nach den Vivaldis oder der Wunsch neue Inseln zu ero- 78MMALMOGAREN XX/1/1989 bern? Oder wollte er sogar das eine mit dem anderen verbinden? Letztlich muss ihm sein eigenes kleines "Reich" auf Lanzarote wichtiger gewesen sein, als die Suche nach den Landsleuten fort-zusetzen; dies um so mehr, als Malocello während seines Kana-ren- Aufenthaltes von dem Schicksal der versklavten Vivaldis, so wie es in Kapitel 5 angedeutet ist, erfahren haben konnte. Dem Brief Paulmyers entnehmen wir weiterhin, dass sich Malocello zumindest einen Teil von Lanzarote unterwarf und ein Fort erbaute. Er lebte dort 20 Jahre, bis er durch einen Aufstand der Insulaner mit Hilfe ihrer "Nachbarn" (Bewohner des nicht unterworfenen Teils der Insel oder Eingeborene von Fuerteven-tura?) vertrieben wurde. Warum waren die Eingeborenen so schlecht auf ihn zu sprechen? Hat er möglicherweise Angehörige von ihnen als Sklaven verkauft? 1328, also zur Zeit Malocellos auf den Kanaren, nahmen Mal-lorkiner zwanzig Untertanen des maurischen Königs von Grana-da gefangen (SEVILLANO COLOM 1972). Unter diesen befandt sich auch ein "Assamar ben Ali al-Canari". War dies ein Maure, der zufällig einen Namen hatte, der an die Kanaren anklingt, oder war es ein Maure, der die Kanaren besucht hatte, oder war es ein kanarischer Sklave, der seine Herkunft im Namen zum Ausdruck brachte? Die entsprechenden Dokumente (Archivo Histórico de Mallorca) bringen leider keine restlose Klärung. Das bereits zitierte "Libro del conoscimiento" liefert zusätzli-che Informationen über Malocello. Angeblich hat sein Autor selbst eine Reise zu den Kanaren unternommen und erfährt dort von seiner maurischen Begleitung, Lanzarote sei nach dem Ge-nuesen "Lançarote" benannt, der dort von den Eingeborenen um-gebracht worden sei. Letzteres kann wahrscheinlich verneint wer-den, denn nach RONCIERE (1925-27, Bd. 2) trat Malocello 1338 – wie einige andere Familienmitglieder auch – in französiche Dienste und nannte sich dann "Maloisel". Einen weiteren Hin-weis finden wir in den Notariatsakten von Genua. Demnach hat ALMOGAREN XX/1/1989MM79 dort am 1. April 1330 ein Lancerotto Marocello eine Unterschrift geleistet (BONNET REVERÓN 1944c). Nach den Aussagen der Maloisels im 17. Jh. hat Malocello aber mindestens bis 1332 auf Lanzarote gelebt. Entweder stimmt dieses Datum nicht und Malocello kehrte früher zurück, oder er hat seinen Aufenthalt auf Lanzarote tatsächlich unterbrochen. Weitere Details verdanken wir dem kanarischen Chronisten und Gelehrten Tomas Arias MARIN DE CUBAS (1694). In sei-nem Geschichtswerk "Historia de las siete Islas de Canaria" er-wähnt er im Libro I / Cap. II, dass ein Lançeloto Mailesol 1320 (!) Handel auf den Kanaren betrieb. Wenn Malocello tatsächlich als Händler auftrat, dann benötigte er auch Nachschub. Laufen-de Kontakte mit dem Festland während seines Kanaren-Aufent-haltes wären somit nicht unwahrscheinlich. Auch ein Besuch der anderen Inseln liegt nahe. MARIN DE CUBAS vermerkt darüber-hinaus (Cap. III), dass Malocello im "Puerto de Guanapayo", der heutigen Famara-Bucht an der Westküste Lanzarotes, ein Fort erbaute, dessen Grundmauern Bethencourt 90 Jahre später vor-fand und "vieu chastel" nannte. Tatsächlich soll das Fort der Überlieferung zufolge auf dem Vulkan Guanapay angelegt wor-den sein, der sich 6,6 km von der Küste entfernt bei der Stadt Teguise erhebt. Auf den Ruinen der Malocello-Burg wurde von den spanischen Herren der Insel zum Schutz vor Piratenüber-fällen erneut ein kleines Fort errichtet, dass aber seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Als der spanische König Felipe II. 1587 den italienischen Inge-nieur und Festungsbauer Leonardo TORRIANI beauftragte, die Möglichkeiten einer Befestigung der Kanarischen Inseln zu un-tersuchen, kam TORRIANI 1590 auch nach Lanzarote. 1596 wur-de das von Piraten stark ramponierte Castillo de Guanapay unter der Berücksichtigung der Vorschläge von TORRIANI restauriert und zur heute noch existierenden Erscheinungsform umgebaut. Die Hypothese des kanarischen Autoren Simón BENITEZ PA- 80MMALMOGAREN XX/1/1989 Abb. 3: Grundriss des Castillo de Santa Barbara oder Castillo de Guanapay auf Lanzarote nach der Restaurierung von 1596 (Zeichnung von Pedro Agustin del Castillo y Ruiz de Vergara 1686) ALMOGAREN XX/1/1989MM81 DILLA (1960), wonach er den Platz der Malocello-Burg an der Stelle des heutigen Castillo de San Gabriel in Arrecife vermutet, erscheint wenig fundiert; ebenso die Annahme von ALVAREZ DELGADO (1957b), die Burg sei im Rubicón errichtet worden. Beide Lokalitäten sind strategisch weitaus weniger günstig als der Vulkan Guanapay. 1984 ging eine Meldung durch die ka-narische Presse, wonach die lanzarotischen Amateur-Archäolo-gen Antonio Romero Mora und Agustin Pallarés Lasso in unmit-telbarer Nähe des Castillo de Guanapay (Abb. 3) ein Stück Mau-er und andere Siedlungsspuren fanden, die man mit der Malo-cello- Burg in Verbindung brachte. Dies erwies sich jedoch als un-haltbar, da es sich offenbar um neuere Reste im Zusammenhang mit dem Umbau handelte. Für einige Konfusion im Zusammenhang mit Lancelotto Malo-cello sorgte eine Textstelle im dritten Band der "Historia de Por-tugal", die der portugiesische Historiker Fortunato de ALMEIDA 1925 in Coimbra veröffentlichte. Er gibt dort den Text von drei Dokumenten wieder, in denen der portugiesische König Fernão I. 1370 die Inseln "Nossa Senhora a Franca" (= Lanzarote) und "Gomeira" (= Gomera) seinem Admiral Lançarote da Franca und später auch dessen Sohn, Lopo Afonso da Franca, vermacht. Die Authentizität dieser Dokumente wurde von der Fachwelt stark angezweifelt, da ALMEIDA weder das Original, noch eine Ko-pie beischaffen konnte. Vielmehr behauptete der Autor, die Do-kumente stammten aus einem Privatarchiv, das aber später zer-stört worden sei. Die portugiesische Geschichtsforschung über-ging daraufhin diese Texte durch Nichtbeachtung. Lediglich João Martins da SILVA MARQUES druckte sie in seiner 1944 erschie-nenen Dokumentensammlung "Descubrimentos Portugueses" ab. Das allerdings veranlasste den angesehenen belgischen Histo-riker Charles VERLINDEN (1958), diesen Dokumenten einen ge-wissen Wahrheitsgehalt beizumessen. In seinem Beitrag verweist er auf die hohe Bedeutung, die genuesisches nautisches Wissen für die Expansionspolitik Portugals hatte. Dies ist, wie wir im 82MMALMOGAREN XX/1/1989 Fall der Genuesen Niccoloso da Recco und Emmanuele Pessagno wissen, durchaus zutreffend. Letzterer wurde 1317 sogar zum portugiesischen Erb-Admiral ernannt. Extrem hypothetisch wird es aber, wenn VERLINDEN Lancelotto Malocello mit jenem Lançarote da Franca identifiziert und seine Entdeckung Lanza-rotes in das Umfeld der nautischen Aktivitäten des Admirals Pessagno stellt. Eine genaue Analyse seiner Argumentation (& SERRA RAFOLS 1961) fördert einige chronologische Ungereim-theiten zutage, die seine These als sehr unwahrscheinlich erschei-nen lassen. Ganz abgesehen von dem weiter oben Aufgeführten, sowie den Seekarten ab 1339, in denen die Umrisse Lanzarotes mit dem genuesischen Wappen gefüllt sind. Die Geographen der damaligen Zeit haben Lanzarote als Territorium der Republik Genua angesehen. Ja, mit der Zuerkennung der Souveränität über Genua wurden König Robert v. Neapel 1343 vom Papst sogar die ganzen Kanaren zugesprochen (Odorico RINALDI: "Annales Ecclesiasticae" für 1344). So wenig wir letztlich über die Unter-nehmung Malocellos wissen – mit ihr beginnt die konkrete Ge-schichtsschreibung der Kanarischen Inseln. 7. Unsichere Kontakte mit Gran Canaria 1339 Es sei kurz auf eine Quelle eingegangen, die uns einige schwer zu bewertenden Informationen über den ersten aragonesischen bzw. mallorkinischen Kontakt mit den Kanaren gibt: Fray José de SOSA (1678) erwähnt in seiner "Topografía de la Isla Fortu-nada Gran Canaria", dass Gran Canaria 1339 von zwei mallorki-nischen Schiffen angelaufen worden sei. Die Besatzung habe freundschaftlich mit den Eingeborenen verkehrt und habe sogar zwei Kapellen errichtet, gewidmet der Hln. Catalina bzw. dem Hl. Nicolas. Der Bau dieser Kapellen wird übrigens von allen anderen Chronisten späteren Fahrten zugeordnet und wäre wohl auch der Expedition von 1343 aufgefallen. ALMOGAREN XX/1/1989MM83 Bei der Abfahrt sollen die Mallorkiner versprochen haben, die Canarios ein zweites Mal zu besuchen. Sollte SOSA hier keine Daten mit späteren Ereignissen, etwa den Fahrten von 1342 oder 1352, verwechselt haben (wofür alles spricht), dann ist der in Kapitel 13 beschriebene Beginn der organisierten mallorkini-schen Christianisierung der Inseln viel früher anzusetzen. Und zwar vor den Besuch Reccos auf Gran Canaria! Erklärt sich dadurch sein freundlicher Empfang durch die Eingeborenen oder war es nur die unbekümmerte, noch nicht getrübte Neugier des "Wilden"? Für die Angaben SOSAs existieren keine nachprüfba-ren dokumentarischen Unterlagen, so dass diese Expedition sehr vorsichtig, wenn nicht sogar apokryph zu behandeln ist. 8. Recco und der Beginn portugiesischer Expansionspolitik Erst im 19. Jh. erhielt die Geschichtsforschung Kenntnis von einer Expedition, die Portugal im 14. Jh. zu den Kanaren ge-schickt hatte. Sebastiano Ciampi entdeckte in der Biblioteca Magliabecchi (heute Biblioteca Nazionale Centrale, Florenz) eine lateinisch abgefasste Sammelhandschrift und darin die Manus-kript- Kopie "De Canaria Et De Insulis Reliquis Ultra Hispaniam In Oceano Noviter Repertis". Sie Giovanni Boccaccio zuschrei-bend veröffentlichte er das Manuskript 1827 in Florenz. Von da ab erfuhr es zahlreiche italienische, portugiesische, spanische und französische Übersetzungen. Eine komplette deutsche Überset-zung liegt m.W. bislang nicht vor2 (Teilübersetzungen in HEN-NIG 1953 und VON LÖHER 1876). Der Text bzw. das verscholle-ne Urmanuskript wurde von florentinischen Händlern Ende 1341 in Sevilla aufgezeichnet und gibt den Bericht des Niccoloso da RECCO wieder. Eine vollständige Übersetzung des Textes würde den Rahmen die-ses Aufsatzes sprengen; deshalb an dieser Stelle nur eine Zusam-menfassung, ohne wichtige völkerkundliche Details auszulassen: & ' ! ( ) ' ) * + ) , - ./01* 2 3 4 5 # - 67 1 " + ) - 1* 8 " 9 : 8 $ 7;"<6 84MMALMOGAREN XX/1/1989 Vom portugiesischen König Afonso IV. beauftragt, verließen am 1. Juli 1341 zwei Karavellen und ein kleineres Schiff den Hafen von Lissabon. Sie standen unter der Leitung des Florenti-ners Angiolino del Tegghia dei Corbizzi. Navigator der Expedi-tion war der Genuese Niccoloso da RECCO (1327-1367). Die Be-satzungen setzten sich aus Florentinern, Genuesen, Kastiliern und "aliorum hispanorum" [vermutlich Portugiesen und Katala-nen] zusammen. Zur Ausrüstung der Schiffe gehörten auch Pfer-de und allerlei Kriegsgerät [was eindeutig den Charakter der Un-ternehmung wiederspiegelt, deren Ziel die politisch motivierte Eroberung der Kanaren war]. Nach fünf Tagen erreichten sie die erste Insel. Sie war sehr felsig und unbebaut, aber es gab große Mengen von Ziegen und anderen Tieren [vermutlich Fuerteven-tura]. Die zahlreichen wild aussehenden Bewohner liefen nackt umher. Den größten Teil ihres Raubgutes an Fellen und Talg nah-men die Schiffe von dieser Insel mit. Die folgende Insel war nur unwesentlich größer [Gran Cana-ria]. Die große Menschenmenge, die sie am Strand empfing, war nahezu nackt. Einige davon schienen sozial über den anderen zu stehen. Sie trugen gelb und rot gefärbte Ziegenfelle, die fein ver-arbeitet waren mit kunstvollen Nähten aus Darmfäden. Sie hat-ten auch einen Häuptling, dem sie viel Respekt und Gehorsam entgegenbrachten. Durch Gebärden zeigten die Leute an, dass sie mit den Schiffen Handel treiben wollten. Die Matrosen ruderten zum Strand, stiegen aber nicht aus, als sie feststellten, dass sie die Sprache nicht verstanden, die sehr schön und lebendig klang. Als die Insulaner sahen, dass man nicht an Land ging, begannen vier von ihnen zu den Booten hinauszuschwimmen. Diese vier Eingeborenen wurden zurückgehalten und nach Lissabon mitge-nommen. Die Schiffe umrundeten nun die Insel und man ent-deckte, dass der Norden stärker bebaut war als der Süden. Sie sahen viele kleine Häuser, umgeben von Feigenbäumen und Pal-men, sowie Gärten mit Hülsenfrüchten, Kohl und anderem Ge-müse. Bei einem Erkundungsgang an Land fiel die exakte Bau- ALMOGAREN XX/1/1989MM85 weise der Hütten mit rechteckigen Steinen und schönen Dach-hölzern auf. In den Häusern, die von ihren Bewohnern angesichts bewaffneter Eindringlinge verlassen wurden (ihre schrillen Rufe hörte man noch in der Umgebung), fand man ausgezeichnete ge-trocknete Feigen, die in Palmkörben aufbewahrt wurden; ebenso Gerste und Weizen, der ihnen viel größer und schwerer als der heimische vorkam. Die Räume waren sehr sauber und die Wän-de weiß verputzt. Sie stießen auch auf eine Art Tempel, der in keiner Weise verziehrt war, sondern nur eine Statue aus Stein enthielt. Sie stellte einen Mann dar, der bis auf einen Lenden-schurz aus Palmwedeln nackt war und in der einen Hand eine Kugel trug. Diese Statue wurde nach Lissabon mitgenommen [und ist uns aber leider nicht erhalten geblieben]. Als man weitersegelte, entdeckte man eine Insel mit einer gro-ßen Zahl wunderbar gewachsener, hoher Bäume [Hierro]. Die Nachbarinsel [Gomera] fiel durch ihre vielen Bäche mit hervor-ragendem Wasser, ihre Wälder mit wohlschmeckenden wilden Tauben und ihren Reichtum an allerlei Raubvögeln auf. Sie stie-ßen dann auf eine Insel, die hoch aufstieg und deren Gipfel von Wolken verhangen waren, die sich oft abregneten [La Palma]. Sobald der Himmel einmal aufklarte, sah man eine annehmbare Landschaft, die bewohnt erschien. Über dem imposanten Gipfel einer weiteren Insel türmte sich "etwas Weißes" zu wunderlichen Gebilden auf [Tenerife mit Rauchentwicklung über dem Teide]. Schließlich steuerten sie durch ruhiges Meer noch weitere sieben Inseln an, die zum Teil bewohnt und zum Teil unbewohnt waren [Lobos, von der das Seehundfleisch stammen dürfte, sowie Lan-zarote und die Isletas]. Obwohl die genannte Zahl exakt mit den noch fehlenden In-seln des kanarischen Archipels übereinstimmt, kann nicht aus-geschlossen werden, dass mit einer (oder mehreren) der unbe-wohnten Inseln die Madeira-Gruppe gemeint ist, die bei der Rückkehr nach Lissabon gestreift wurde. Für diese Möglichkeit 86MMALMOGAREN XX/1/1989 spricht die Tatsache, dass Madeira schon in den Karten von 1351, 1375, 1385 und 1413 sowie im Libro del Conoscimiento (ca. 1385) – also schon lange vor der Wiederentdeckung durch Zarco und Teixeira – mit dem italienischen Wort "legname" (Holz) benannt wurde. Generell vermerkt RECCO noch, 5 der 13 Inseln seien unter-schiedlich stark besiedelt gewesen, wobei sich die Insulaner we-gen ihrer Dialekte nicht von Insel zu Insel verstehen würden. Auch gebe es keine Wasserfahrzeuge, um von der einen zur an-deren Insel überzusetzen. Insgesamt seien die Inseln nicht sehr reich, aber das Erbeutete (4 jugendliche Sklaven, viele Ziegen-felle, Talg, Fischöl, Robben, rötliche Hölzer, rotbraune Tonerde und anderes) würde die Ausgaben wieder wett machen. Die Hei-matinsel der Gefangenen heiße Canaria und sei die am dichte-sten besiedelte. Die Eheschließung sei dort üblich und im Gegen-satz zu den verheirateten Frauen, die wenigstens einen Bastrock tragen würden, liefen die Jungfrauen ohne Scham ganz nackt herum. An Haustieren gebe es viele Ziegen, Schafe und Wild-schweine*, aber keine Ochsen, Kamele und Esel [*"silvestres" wohl im Sinne von freilaufend]. Die gefangenen Jungen werden als unbeschnitten, barfüßig, bartlos und von schöner Figur beschrieben. Sie trugen einen Len-denschurz aus Bast oder Palmfasern, der so befestigt war, dass weder Wind noch sonst etwas ihre Genitalien freilegen konnte. Ihr blondes [!] Haar trugen sie lang bis zum Nabel. Ihr Körper-bau war kräftig, bei einer Größe, die nicht die ihrer neuen Her-ren überschritt. Wenn die Gefangenen sangen war es angenehm zu hören, und wenn sie tanzten, erinnerte es an französische Tanzschritte. Ihr Auftreten wird als tapfer, intelligent, höflich, altruistisch und heiter bezeichnet. Die Verständigung mit ihnen erfolgte per Zeichensprache. Gebackenes Brot kannten sie nicht aber es schmeckte ihnen. Wein wiesen sie zurück und tranken nur Wasser. Käse war ihnen bekannt. Das Manuskript schließt mit der erstmaligen Überlieferung alt-kanarischer Sprachbeispiele, einer hochinteressanten Aufzählung ALMOGAREN XX/1/1989MM87 der Zahlen von 1 bis 16: nait, smetti, ammelotti, acodetti, simu-setti, sesetti, satti, tamatti, alda morana, marava, nait-marava, smatta-marava, amierat-marava, acodat-marava, simusat-ma-rava, sesatti-marava. Eine Untersuchung der Zahlen ist bei PIET-SCHMANN 1879, BONNET REVERÓN 1945a, CABRERA BARRETO 1971, KRÜSS 1975 und WÖLFEL 1954 / 1965 zu fin-den. Das abrupte Ende der Aufzählung bei 16 ist damit zu erklä-ren, dass uns der Bericht nur in einer Abschrift erhalten ist, bei der vom Kopisten eben bei 16 aufgehört wurde. RECCO könnte demnach mehr oder – bei späteren Hinzufügungen – auch weni-ger Zahlen genannt haben. Mit dieser Vielzahl kultureller Hin-weise kommt dem Recco-Bericht jedenfalls eine eminente Be-deutung zu. Erstmals bewegte sich die Berichterstattung im glaubhaft Realen. Nachdem die Expeditionsleiter wohl einsahen, dass mit ihrer kleinen Armada die Inseln nicht zu erobern waren, segelten sie zurück nach Portugal. Ihr Bericht musste dort großes Aufsehen erregt haben. Auch Afonso IV. musste sich in seinem Versuch, vor Kastilien Rechtsansprüche auf die Kanaren geschaffen zu haben, bestätigt gesehen haben. Um so unverständlicher ist es, dass von portugiesischer Seite die nächsten 74 Jahre kein weiter-er Eroberungsversuch stattfand (erst wieder 1415 durch João de Trasto). Afonso IV. versucht das in seinem Brief vom 12. Februar 1345 an Papst Clemens VI. (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982, II: 950) damit zu erklären, dass er durch die Kriege mit Kastilien und den Sarazenen abgehalten wurde. Die gefestigte Kenntnis über die Kanaren durch die Recco-Fahrt breitete sich jedenfalls mit Windeseile im westlichen Mittelmeerraum aus und führte zu weitreichenden Aktivitäten u.a. durch die Königreiche Mallorca, Aragón und Kastilien und durch den Heiligen Stuhl in Avignon. 9. Die ersten mallorkinischen Expeditionen von 1342-1345 Nur wenige Monate nach der Rückkehr der portugiesischen Ex- 88MMALMOGAREN XX/1/1989 pedition von 1341 werden bereits die ersten Unternehmungen von Mallorca aus gestartet. Am 16. April 1342 stellt Roger de Ro-venach, Stellvertreter des mallorkinischen Königs Jaume III., zwei Dokumente aus, in denen der Mallorkiner Francesc Desva-lers und seine Geschäftspartner die Lizenz erhalten, die "neuer-dings entdeckten" ("noveylament trobades") Inseln anzulaufen und "eine von den genannten Inseln oder irgendeine Ortschaft oder befestigte Ansiedlung .... einzunehmen und ihrem Lehns-herrn zu übereignen". Die kolonialistischen Absichten Jaumes III. sind damit klar erkenntlich. Desvalers wird dazu zum Kapitän ernannt, mit allen zivilen und gerichtlichen Vollmachten. Eine ähnlich abgefasste Konzession erhalten der mallorkinische Ka-pitän Bernat Valls und sein Kompagnon Guillem Safont (RUMEU DE ARMAS 1986). Beide Expeditionen – zumindest jene mit Desvalers – verlassen noch im April Palma de Mallorca und se-geln Richtung Kanaren: Francesc Desvalers mit den Koggen "Sta. Creu" und "Sta. Magdalena", Bernat Valls mit der "Santa Barba-ra". Neben diesen offiziell favorisierten Unternehmungen gab es noch zwei weitere, mehr private Expeditionen, die ebenfalls im April eine Lizenz für die Kanaren erhielten: die "Sant Joan" mit ihrem Eigner Domingo Gual und ein Schiff unbekannten Namens mit seinem Eigner Guillem Pere. Der Verlauf der Reisen ist in allen vier Fällen weitgehend un-bekannt. Nur von der Fahrt des Francesc Desvalers wissen wir, dass die Schiffe nach ca. fünfeinhalb Monaten zurückkehrten und möglicherweise auch das marokkanische Festland gestreift hat-ten (s.u.). Desvalers selbst verfasste noch 1350 ein Testament (ACPM). Aus einer Notariatsakte vom 26. Oktober 1342 geht wei-terhin hervor, dass einer der Mitfahrer von Desvalers, Pere Magre (Eigner der Sta. Creu), verstorben war, ohne dem Matrosen Guillem Jaffe den Lohn für die Kanarenfahrt ausgezahlt zu ha-ben (AHM). Diesen forderte er nun von den Erben ein. Ob schon von diesen oder erst von den in den Jahren 1343-1345 nachfolgenden Fahrten Sklaven mitgebracht wurden, lässt sich ALMOGAREN XX/1/1989MM89 nicht genau rekonstruieren. Die mallorkinischen Archive bieten jedenfalls mehrere Hinweise in diesem Zusammenhang. Zum Personal der Familie Desvalers gehörte 1345 auch ein Sklave von "Gutzola" (VICH & MUNTANER 1945: 207). 1345 war der "Bar-bier und Chirurgicus" Pedro Pujada Schiffsarzt bei einer 6 Mo-nate dauernden Expedition der Schiffsherren Llorens Osset und Bernat Isern zu den "illes de Canaria e Gutzola" (LLOMPART 1987: Dok. 2). Somit könnte der Sklave der Familie Desvalers sehr gut ein Berber des Guezzoula-Stammes sein, der einen Küs-tenstreifen im Süden Marokkos (gegenüber den Kanaren) be-wohnte; höchstwahrscheinlich ist aber auch, dass von den Kana-ren ebenfalls Menschen aus Profitgier geraubt wurden. Dies deu-tet die Existenz eines kanarischen Gefangenen an, der in einer polizeilichen Untersuchung vom 3. August 1345 als Arbeiter des Mallorkiners Jaume de Olesa auftaucht (LLOMPART 1984: 390). Wie wir noch sehen werden, waren dies nicht die einzigen Skla-ven von den Inseln. Weitere Informationen liefert uns eine Quelle, die in diesem Zusammenhang etwas überrascht: Der Züricher Domherr Felix Malleoli (1389 - ca. 1460), besser bekannt unter seinem Pseudo-nym HEMMERLIN, gibt in seinem Werk "De nobilitate et rusti-citate dialogus" ein fiktives Gespräch zwischen einem Edelmann und einem Bauern wieder, dessen Inhalt in Wirklichkeit der Bi-schof von Tortosa, Jaime de Aragón, einem Unbekannten mitge-teilt hatte. Da der Bischof bereits 1396 in Valencia gestorben war, konnte Hemmerlin ihn nicht persönlich gekannt haben. Es ist des-halb zu vermuten, dass seine Informationen über die Kanaren- Fahrten von einem unbekannten Schweizer Geistlichen stammen, der das tatsächliche Gespräch mit dem Bischof führte. Hier erfahren wir nun, dass ein Schiff des aragonesischen Kö-nigs hartnäckig von Piraten verfolgt wurde und auf der Flucht mehr zufällig die Kanaren entdeckte. Nach neun Tagen, in denen 90MMALMOGAREN XX/1/1989 sie ein stürmischer Ostwind vorantrieb, kam endlich die Sonne wieder hervor und sie sichteten am Morgen des zehnten Tages eine Insel mit spitzen Bergen [Gran Canaria]. "Als sie sich ihr nähern, erkennen sie in ungegerbte Tierhäute eingehüllte Männer und Frauen, die wie Hunde bellen. Dies war jedoch ihre gemein-same Sprache, in der sie sich klar verständigen konnten. Sie hat-ten im allgemeinen flache Gesichter, ähnlich den Affen." [Diese Angaben sind typisch für die damalige ungenaue Beobachtungs-weise und die Überheblichkeit gegenüber dem "Wilden". Die "flachen Gesichter" könnten allerdings auf einen Cromagnon- Typus hinweisen.] Ohne genau zu wissen, was sie tun sollten, umrundeten die Seeleute nun die Insel und landeten schließlich entkräftet. Die Eingeborenen nahmen sie freundlich auf und als man mittels Zeichensprache deutlich machte, dass man Hunger habe, rückten sie freiwillig Ochsen [Falschangabe, da Rindvieh unbekannt war], Schafe und Vögel [keine domestizierten] heraus. Die Eingeborenen pflegten das Fleisch roh zu essen [definitiv nicht] und als sie sahen, wie die Fremdlinge es über Feuer koch-ten, mit Salz würzten und aßen, wurden sie neugierig. Sie beka-men etwas von dem Fleisch ab, das ihnen sehr gut schmeckte und quittierten dies mit freudigen Ausrufen [dies ist sicher eine phantasievolle Ausschmückung, denn der Gebrauch des Salzes dürfte bei einer Küstenbevölkerung bekannt gewesen sein]. Nach einigen friedlich verlaufenen Tagen unternahmen die Ara-gonesen eine Erkundungsfahrt zu den benachbarten drei Inseln, bei der man sogar einige Eingeborene [als Fremdenführer] mit-nahm. Der Empfang auf diesen Inseln war ähnlich freundlich, wie auf der ersten. Die Eingeborenen sprachen jedoch einen anderen, deutlich von Insel zu Insel unterscheidbaren Dialekt3 [ein für alle Inseln durchgängiger prähispanischer Sprachanteil wird aber von DÍAZ ALAYÓN 1989 angenommen4]. Sie entdeckten dann auf ei-nen Hinweis der eingeborenen Führer hin im Westen noch eine fünfte Insel [Gomera?], deren Bewohner aber aufgrund ihrer Wild- ! " ! "" # " $ ! % ! & ' & ( #) " $ * ALMOGAREN XX/1/1989MM91 heit keine Annäherung zuließen [RECCO sprach auch von fünf bewohnten Inseln]. Sie kehrten daraufhin zur ersten Insel zurück, wo sie die Essgewohnheiten der Eingeborenen beobachteten, aber auch das freizügige Sexualverhalten: "... Männer und Frauen ver-einigten sich in aller Öffentlichkeit" und die "Frauen waren All-gemeingut". Hier könnte die Gastprostitution gemeint sein, die nach GOMEZ ESCUDERO auf Gran Canaria üblich war (siehe auch Kapitel 16). Der von Hemmerlin berichtete ungenierte Ge-schlechtsverkehr ist die einzige Schilderung dieser Art und es ist schwer zu beurteilen, ob dies eine reale Beobachtung oder eine Übertreibung ist. Letzteres würde zu dem von Pseudo-Wissen und Vorurteilen geprägten Bild passen, dass man sich zu jener Zeit von heidnischen Völkern machte. Aufschlussreich sind dagegegen die geographischen Kenntnisse der Eingeborenen, die von interinsularen Kontakten zeugen. Bemerkenswert sind auch die Informationen über die Abreise der Aragonesen: Demnach wurden ihnen quasi als Unterpfand eines Paktes oder der Vasallenschaft freiwillig einige Geisel mit-gegeben. Und als man versicherte, wiederkehren zu wollen, schied man in bestem Einvernehmen. HEMMERLIN erwähnt er-gänzend, dass dieses glücklich verlaufene Unternehmen zu ei-ner weiteren Kanaren-Expedition der gleichen Personen ange-regt hätte. Gerade diese letzten Details deuten auf die Fahrten von 1343 und 1352 hin. Denn für 1351 sind auf Mallorca zwölf Frauen und Männer von Gran Canaria dokumentarisch nachge-wiesen, die christianisiert waren, katalanisch sprechen gelernt hatten und als ortskundige Unterstützung für die Missionare der großen Expedition von 1352 vorgesehen waren (RUMEU DE AR-MAS 1986; s.u.). Aus einer amtlichen Untersuchung des 15. Jhs. (PEREZ DE CABITOS 1477 / 1901: 184) wissen wir außerdem, dass die Geiselmitgabe z.B. auf Tenerife durchaus Usus war. Die Seeleute aus Mallorca, dessen Übernahme durch den aragonesi-schen König Pedro IV. damals kurz bevorstand, konnten für spä-tere Chronisten auch als Aragonesen gelten. 92MMALMOGAREN XX/1/1989 Einige Analytiker des Hemmerlin-Textes geben zu Bedenken, dass die hier beschriebene Fahrt zu den Kanaren rein zufällig und ungewollt war. Sie stützen sich dabei auf eine Textstelle, in der es heißt: "Ohne Hoffnung und gegen ihren Willen stürzten sie sich mit vollen Segeln in die Unermesslichkeit des Ozeans." Dies könnte sich meines Erachtens auch auf die Verfolgung durch die Piraten und auf den Sturm beziehen, die sie von ihrer ur-sprünglich geplanten Route abbrachten. Hinzu kommt die Orien-tierungslosigkeit durch schlechte Sicht und sonnenlosen Himmel. Die Expedition von 1343 kann jedenfalls als geplant eingestuft werden. Hier die Fakten: Es gibt einen Hinweis auf einen "Jaume Olzina" aus Pollensa (Mallorca), einen entfernten Vorfahren des späteren Bischofs von Gran Canaria gleichen Namens (& Kapitel 20); ersterer soll 1343 auf den Kanaren gestorben sein (ROTGER 1897). Die erwähnte Rückkehr der Aragonesen lässt sich mit der Fahrt von 1352 in Verbindung bringen, bei der ein gewisser Guil-lem Fusser einer der Lizenzempfänger war. Ein Mann gleichen Namens wird in den Akten einer gerichtlichen Untersuchung vom September 1343 erwähnt, nach der ein Geistlicher aus Inca (Mal-lorca) mit ihm zusammen an einer Kanaren-Expedition teilge-nommen hatte und nach dieser Fahrt im Roussillon (Südfrank-reich) unterwegs war, wo er beraubt wurde (LLOMPART 1984: 386). Dieser Seereise kann man auch das kanarische Sklavenpaar zuordnen, von dem der mallorkinische Händler Francesc des Portells am 17. Dezember 1343 eine Frau mit dem christlichen Taufnamen "Joana" an Pedro IV. von Aragón verkaufte (LLOM-PART 1987: Dok.1). Aus dem Dokument geht weiterhin hervor, dass Jaume III. von Mallorca diese Fahrt autorisiert hatte. 10. Luis de la Cerda, erster "Fürst" aller Kanaren Die Kunde von den neu entdeckten Inseln wurde natürlich auch ALMOGAREN XX/1/1989MM93 in klerikalen Kreisen mit großem Interesse aufgenommen. Be-sonders die päpstliche Kurie musste hier ein vielversprechendes Betätigungsfeld gesehen haben, in dem es galt, frühzeitig kirch-lichen Einfluss zu verankern und diesen durch geographisch-po-litische Maßnahmen abzusichern. So erließ Papst Clemens VI. am 15. November 1344 in Avignon die Bulle "Tuae devotionis sinceritas" (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/II: 943ff), in der er Don Luis de la Cerda unter der Oberherrschaft des Papstes als "Principe de la Fortuna" einsetzt. Merkwürdigerweise werden in der Bulle nur elf Inseln aufgezählt und dazu noch in einer konfu-sen Benennung, die die Reisen von Malocello, Recco und Desvalers sowie die Seekarte von Dulcert ignoriert und weitge-hend eine Adaption der von Plinius aufgeführten Namen darstellt: Canaria, Ningaria, Pluviana, Capraria, Iunonia, Embronea, Athlantia, Hesperidum, Cernent, Gorgones und Goleta. Letztere sollte merkwürdigerweise noch im Mittelmeer liegen – gemeint war die Insel La Galite vor der tunesischen Küste. Diese Konzession gab Clemens VI. nur wenig später in Brie-fen vom 11. Dezember (Dok. DÉPREZ 1925: Nr. 1316 / 1317) an die Könige von Kastilien, Aragón und Portugal bekannt und bat gleichzeitig um Unterstützung (Erlaubnis für das Chartern von Schiffen, den Kauf von Lebensmittel und die Anwerbung von Sol-daten) für den geplanten Kreuzzug des Don Luis zu den Insulae Fortunatae. Ähnliche Briefe (Dok. DÉPREZ 1925: Nr. 1314 / 1315 / 1348 / 1349) gingen am 23. Dezember an die Herrscher von Frankreich, Neapel, Genua und der Dauphiné. Der erste dieser Briefe löste lebhaften Protest aus: vom portugiesischen König Afonso IV., der auf seine Rechte durch die Expedition von An-giolino del Tegghia verwies (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/II: 949), und vom kastilischen König Alfonso XI., der seine ererb-ten Rechte gefährdet sah und von den afrikanischen Eroberun-gen seiner Vorfahren schrieb (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/II: 951). Beide Monarchen erkannten aber schließlich widerwillig 94MMALMOGAREN XX/1/1989 den päpstlichen Erlass zugunsten Luis de la Cerdas an, ohne kon-krete Hilfe anzubieten. Die Diskussion über die Besitzrechte war damit aber noch nicht abgeschlossen, sondern sollte in den kom-menden Jahrzehnten verstärkt entbrennen. Noch am 28. November 1344 (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/ II: 947) gelobte Luis de la Cerda, genannt Luis de España, Infant von Kastilien, dem Papst treue Vasallenschaft und erhielt darauf aus den Händen des Pontifex Krone und Szepter als Zeichen sei-ner neuen Würde. Die Person des Don Luis ist uns recht gut be-kannt: Er war Urenkel Alfonso X. von Kastilien bzw. der vierte Sohn des Alfonso de la Cerda und wurde während dessen Exil in Frankreich geboren. Er wuchs in Spanien auf, wo er 1306 in ers-ter Ehe Doña Leonor de Guzmán heiratete (nach ihrem Tod ver-mählte er sich mit der Provenzalin Guiote d'Uzés). Wieder in Frankreich, erwarb er sich im Dienste Philippes IV. große Aner-kennung und wurde daraufhin mit einigen französischen Ort-schaften belehnt, darunter Talmont-sur-Gironde, nach dem er sich gerne Comte de Talmont nannte. 1340 wurde er zum französischen Admiral ernannt und nahm als solcher an den Kämpfen gegen die Engländer teil. 1344 war Don Luis einer der französischen Bot-schafter am päpstlichen Hof in Avignon. In dieser Eigenschaft hatte er direkten Kontakt zu Clemens VI., den er von seinen Plä-nen in Bezug auf die Kanarischen Inseln – ausgelöst durch sei-nen Wunsch nach einer eigenen Krone, die ihm durch die Enter-bung seines Vaters verwehrt geblieben war – überzeugen konnte. Im Besitz seines neuen Titels nahm er Verhandlungen mit dem Dauphin des Viennois, Humbert III., auf und schloss mit ihm Ja-nuar 1345 einen Vertrag (VALBONNAIS 1722, I: 334, II: 502) über die Bereitstellung von 18 Schiffen ab. Warum er für die Ausrüs-tung seiner Expedition zusätzlich den König von Aragón an-sprach, können wir nur vermuten: Schon die Vorbereitungen für den Bau einer Flotte dürften dem ungeduldigen Don Luis zu lan-ge gedauert haben. Sicher sah er Pedro IV., der aufgrund seiner ALMOGAREN XX/1/1989MM95 politischen Interessenlage freigiebiger als die Monarchen von Portugal und Kastilien sein mochte und dazu über Schiffe und mallorkinische Seeleute mit Kanaren-Erfahrung verfügte, als noch besseren Partner für seine Pläne an. Nach Vorgesprächen, die der Erzbischof von Neopatria, Jacobus de Patrajik, und der Edelmann Rodolfo de Lofeira im Namen Don Luis' führten, fand im August 1346 in dem katalanischen Kloster Poblet ein Treffen zwischen den beiden statt. Man diskutierte die Modalitäten ei-ner Zusammenarbeit und Pedro IV. war mit großem Interesse bereit, logistische und materielle Hilfe zu leisten und darüber-hinaus die Werbetrommel für das Unternehmen zu rühren. Er stellte drei Schiffe bereit und erlaubte eine weitgehende Versor-gung mit Kriegsgerät und Lebensmitteln innerhalb seiner Län-der, einschließlich des damals katalanischen Sardinien. Seine Un-tertanen in Mallorca forderte er sogar auf, einige der kanarischen Sklaven an Don Luis zu verkaufen und keine weiteren Raubzüge zu den Inseln zu unternehmen, ohne dessen Erlaubnis einzuho-len (Dok. ACA / VINCKE 1961: Nr. 9). Zur tatsächlichen Durchführung der Eroberungsfahrt mit den in Barcelona bereit liegenden Schiffen kam es jedoch nicht. Ge-nua verstand sich aufgrund der Unternehmung Malocellos als al-leiniger Souverän der Kanarischen Inseln und erinnerte Pedro IV. an einen gemeinsamen Vertrag, nach dem jeder aragonesi-sche Hafen, von dem ein Schiff zum Nachteil Genuas auslaufen würde, mit einer Konventionalstrafe von 50.000 Florinen zu rech-nen habe. Pedro IV. konfrontierte Don Luis daraufhin im Novem-ber 1346 mit der Alternative, entweder das Strafgeld zur Verfü-gung zu stellen oder aber auf der Basis eines eigenen Schiffes die Ausrüstung der Expedition in einem ausländischen Hafen und ohne aragonesische Seeleute fortzusetzen. Luis entschloss sich aber, trotz aller zu erwartenden Gegenaktionen der Genuesen, im Januar 1347 auszulaufen. Pedro IV. sah sich nun genötigt, in Briefen vom 19. und 20. Januar 1347 die Behörden von Barcelo- 96MMALMOGAREN XX/1/1989 na anzuweisen, unter allen Umständen ein Auslaufen zu verhin-dern (Dok. ACA / VINCKE 1961: Nr. 16/17). Und als Luis de España ca. zwei Jahre später starb, löste sich das Principado de la Fortuna in Luft auf. In seinem Testament vom 30. Juni 1348 vermachte er seine nur auf dem Papier bestandenen Rechte über die Kanaren zu drei Vierteln seinem Erstgeborenen, der ebenfalls Luis de España hieß (Dok. PAZ Y MELIA 1915). Der Rest fiel an einen natürlichen Sohn namens Juan de la Cerda. Dies führte aber zu keinerlei Aktivitäten, weder durch die Erben noch durch das Haus Medinaceli, auf das die Rechte später übergingen. Es seien an dieser Stelle ergänzend einige sehr zweifelhafte Berichte aufgeführt, wonach Schiffe des Don Luis doch Kontakt mit den Kanaren gehabt haben sollen. Der erste stammt von LÓPEZ DE GÓMARA (1552), der von Schiffen des Luis de la Cerda erzählt, die mit mallorkinischer Besatzung Gran Canaria erreicht hätten. Schon Leonardo TORRIANI (1590) spricht bei dieser Geschichte, die auch von ABREU GALINDO (1602) und späteren Chronisten erwähnt wird, von Vermutungen. ABREU GALINDO räumt allerdings ein, dass die Schiffe auch jemand anderer als Luis de la Cerda geschickt haben könnte. Heute nimmt man an, dass diese Geschichte, die z.B. von ABREU GALINDO recht ausführlich erzählt wird, eine Komprimierung aus Berichten von verschiedenen Fahrten ist, die sich in der Tra-dition der europäischen Seefahrer jener Zeit erhalten hatten. Die Jahreszahl "1344", die teilweise genannt wird, ist sicher eine Er-findung oder Verwechslung, denn sie liegt ein Jahr vor den ers-ten Verhandlungen, die Don Luis über die Zusammenstellung einer Flotte führte. Die Erzählung dürfte jedoch im Kern einiges Authentisches enthalten, das sich aber nur stückweise einzelnen Expeditionen zuordnen lässt (siehe die Ausführungen zu den Fahrten von 1352 und 1386 in Kapitel 13 bzw. 18). Eine Bericht mit ähnlichem Inhalt wird auch für das Jahr 1360 überliefert (SEDEÑO ca. 1507 / CASTILLO 1737). ALMOGAREN XX/1/1989MM97 Eine weitere, sehr konstruiert wirkende Geschichte präsentiert Girolamo BENZONI (1572, Kapitel "Breve discorso di alcune cose notabile delle Isole Canaria"), nach der Luis de la Cerda 1334 (sic) sogar persönlich an einer Expedition teilgenommen habe, die in unglückliche Kämpfe mit Gomerern verwickelt wor-den sein soll. Und schließlich erfahren wir von dem bereits zi-tierten OSUNA Y SAVIÑON, dass Don Luis 1345 von Cadiz aus mit drei mallorkinischen Schiffen in Richtung Kanaren ab-gesegelt sei. Aber nur das Schiff eines gewissen Alvaro Guerra habe (ohne Don Luis) das Ziel erreicht. Guerra hätte im Namen Luis de la Cerdas Lanzarote erobert, sei aber, nachdem Probleme mit den Eingeborenen und mit der Versorgung auftauchten, wieder abgereist. BONNET REVERÓN (1945b) hat diese Ge-schichte als reine Erfindung entlarvt. Auch TORRIANI wartet mit einer Variante auf, wonach die Flotte des Principe de la For-tuna ohne ihn die spanische Küste unter einem von ihm einge-setzten Hauptmann verlassen habe. Nach Passieren der Straße von Gibraltar seien die Schiffe verschollen "oder mit großem Scha-den, ohne etwas erreicht zu haben, zurückgekehrt". 11. Die Afrikafahrt des Jaume Ferrer Die Karten des Abraham Cresques (1375 / & Kapitel 22) und des (Simon) Mecia de Viladestes (1413), sowie das "Itinerarium Ususmaris" (& Kapitel 5) berichten uns von einer weiteren frü-hen Afrikafahrt eines Mallorkiners. In dem Begleittext der Kar-ten heißt es: "Das Schiff des Jacme (Jaume) Ferrer brach am Tag des Hlgn. Lorenz, dem 10. August 1346, auf, um nach dem Rio de Oro zu reisen". Mit "Rio de Oro" ist hier der Fluss Senegal (PÉREZ EMBID 1948: 105) oder der Wadi Draa (HENNIG 1953: 286) gemeint und nicht das heutige Küstengebiet gleichen Na-mens. Leider wissen wir nichts über die Rückkehr des Jaume Ferrer und so existieren auch keine Informationen über den Rei- 98MMALMOGAREN XX/1/1989 severlauf. Auch amtliche Dokumente liegen nicht vor, da die Jahr-gänge 1345-1348 des "Extracció d'oficis" in den mallorkinischen Archiven fehlen. Lediglich eine Textstelle bei MARIN DE CUBAS (1694/1986: 277) könnte mit Jaume Ferrer in Verbindung gebracht werden. Dort lesen wir, dass 1347 Aragonesen bei Adeje auf Tenerife lan-deten und von dem König "Betzenuriga" aufgesucht wurden. Nachdem aber ernsthafte Spannungen auftraten, zogen es die Aragonesen vor, abzusegeln, um nicht das Leben zu riskieren; vielleicht hatten sie versucht den König und sein Volk von ihrem Gott "Jucanche" abzubringen, was zu Streitigkeiten führte. Über die Person des Jaume Ferrer ist wenig bekannt. Aus ei-nem Empfehlungsbrief, den der Gouverneur von Mallorca, Arnau d'Erill, am 17. September 1343 an den aragonesischen Vize-admiral Mateu Mercer schrieb, geht hervor, dass sich Jaume Ferrer mit eigenem Schiff auf eine Handelsfahrt nach Flandern begeben hatte (LLOMPART 1984: Dok.2). Seine Afrika-Expedi-tion war also nicht die erste Fahrt jenseits von Gibraltar. Wie im Fall der Gebrüder Vivaldi, so ist auch bei der Zielset-zung des Jaume Ferrer eine Berührung der Kanarischen Inseln nicht auszuschließen bzw. sogar wahrscheinlich. Auf der Karte des Abraham Cresques ist über dem Schiff des Jaume Ferrer Tenerife mit dem Teide eingezeichnet (siehe Almogaren-Titel), in dessen Umfeld nach den Überlieferungen 1341 (& Kapitel 8) und 1393 (& Kapitel 20) Vulkanausbrüche stattfanden, die allerdings von den Geologen bis jetzt nicht lokalisiert werden konnten. Diese Naturereignisse wurden von den Seeleuten und Kartographen jener Zeit zum Anlass genommen, Tenerife "Insula del Infierno" (Hölleninsel) zu nennen. 12. Das "Libro del Conoscimiento" und die Namen der Ka-narischen Inseln Das "Libro del Conoscimiento de todos los reinos e tierras e ALMOGAREN XX/1/1989MM99 señorios que son por el mundo" wurde ca. 1385 von einem unbe-kannten Andalusier geschrieben. Bis zum 19. Jh., als drei Codi-ces des Manuskripts in Kopien des späten 15. Jhs. in der Natio-nalbibliothek von Madrid, in der Biblioteca del Palacio Real und in der Privatbibliothek Estébanez Calderón entdeckt wurden5, war der Text nur teilweise durch eine längere Zitierung im 'Canarien'6 (frühes 15. Jh.) bekannt. Ein fünfter Text5 mit Anmerkungen von Jerónimo de ZURITA ist nur als bibliographischer Hinweis über-liefert (BONNET REVERÓN 1944a). Erst 1877 erfolgte der Erst-druck in einer Ausgabe von Marcos JIMÉNEZ DE LA ESPADA (& ANONYMUS 1385). 1912 folgte eine englische Übersetzung der Madrider Ausgabe von Sir Clements MARKHAM. Das Buch besteht aus geographischen Notizen, eingebettet in eine fiktive Reisebeschreibung. Dass der Autor offenbar das Kartenmaterial seiner Zeit als Vorlage benutzte, um exotische Reisen zu erfinden, veranlasste einige Kritiker dazu, den Inhalt insgesamt als phantastisch abzutun. Dies wird dem Buch nicht gerecht, das bei allem Fabulieren auch interessante Informatio-nen enthält, die zum Teil, wie es scheint, auf Hörensagen und per-sönlichem Erleben basieren. Dem Libro del Conoscimiento kommt damit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Das Erstaunliche in Bezug auf die Kanaren ist die Exaktheit, mit der der (Franziskaner6-)Autor die Inseln aufzählt und benennt. Wo-her hatte er seine Kenntnisse? Waren es maurische Quellen, zu de-nen der Orden aufgrund der Missionarstätigkeit in Marokko gute Verbindungen haben konnte? Waren es Informationen aus erster Hand von Expeditionsteilnehmern selbst? Oder hat er die Inseln persönlich besucht, wie er bei einigen Textstellen vorzugeben ver-sucht? Er nennt die Inselgruppe "Islas de la Caridat". Ist hier span. caridad = "Wohltätigkeit" gemeint oder ist es eher eine Ableitung von arabisch "Al-Djazair-al-Chalidat" = "Ewige Inseln", was wiede-rum aus dem Almagest des Ptolemäus, 2. Jh., stammen könnte? Hier die einzelnen Namen: < $ = 8 > + $ " ?9 <@A -= ) % ...1 2 $ B C D ) E 03 = F G9 G ' ) "$F % 100MMALMOGAREN XX/1/1989 GRESA – eine Verstümmelung von italienisch "Graziosa" (unter den Spaniern dann "Graciosa"); LANÇAROTE – Kastilianisierung von (Insula de) Lanzarotus (Marocelus) der Karte von Dulcert; UEGIMAR – das "vegi mari" der Karte von Dulcert, also Lobos (zur Schreibweise siehe Kapitel 22); RACHAN – Verschreibung von italienisch "roccia", dem "rocha" späterer katalanischer Karten (= Roque del Este); ALEGRANÇA – hier wird deutlich, dass TORRIANI irrt, wenn er schreibt, dass Graciosa und Alegranza von Bethencourt be-nannt worden seien; eher kommen Italiener oder konkret die Gebr. Vivaldi in Betracht, deren Schiff "Allegranza" Kontakt mit den Kanaren gehabt haben konnte (& Kapitel 5); BEZIMARIN – eine Doppelnennung von Lobos (s.o.); FORTEVENTURA – eine Ableitung aus französisch "fort aven-ture" = "starkes Abenteuer" im Zusammenhang mit der Erobe-rung Fuerteventuras durch Bethencourt im 15. Jh. entfällt da-mit; eher scheint ein "dauerhaftes Glück" oder eine "tapfere Begebenheit" italienischen Ursprungs zuzutreffen; CANARIA – "Insula Canaria" für Gran Canaria stammt von Juba II. bzw. den Teilnehmern seiner Expedition (& Kapitel 1); TENEREFIZ – der Name "Tenerife" ("Berg weißer" = Schnee- Berg) stammt von den Eingeborenen der Nachbarinsel La Palma; GOMERA – das "Gommaria" des Dulcert; der Name stammt von Italienern (und wird aber von heutigen kanarischen Anhängern der Berber-Theorie gerne mit einem Stamm der Rif-Berber in Verbindung gebracht); FERO – Hierro (Ableitung von dem eingeborenen Inselnamen "Esero"; /s/ konnte sich bei den Altkanariern zu /f/ wandeln. Bei den Spaniern wurde dann Fero zu Ferro und zu Hierro). ARAGAUIA – höchst wahrscheinlich La Palma (das Wort klingt an den altkanarischen Namen "auarita / aguarita" der Einge-borenen dieser Insel an). Diese Aufzählung ist in vieler Hinsicht bemerkenswert: Der Spanier führt zum erstenmal in der Literaturgeschichte des Mit-telalters nahezu alle der dreizehn Kanarischen Inseln auf, und zwar ALMOGAREN XX/1/1989MM101 mit erstaunlichen Detailkenntnissen in der Nomenklatur und mit einer weitgehend richtigen Reihenfolge von Ost nach West. Wenn es stimmt, dass er die Redaktion seines Textes 1385 oder kurz dar-auf abgeschlossen hatte, dann hat er seine Kenntnisse mögli-cherweise z.T. aus dem medizeisch-laurentianischen Atlas von 1351 bezogen, in dem erstmals alle Inseln dargestellt werden; aber Tenerife – wie noch weitere zweihundert Jahre in vielen der nach-folgenden Karten – als "Insula de Infierno" und die anderen Inseln teilweise mit italienischen Phantasienamen. Aber auch Karten der mallorkinischen Kartographenschule konnten zur Verfügung ge-standen haben, so vielleicht ein Portolan kurz nach jenem des An-gelino Dulcert (1339) und der Atlas des Abraham Cresques (1375). Wir können hier ergänzen, dass es sich auch um eine originär italienische Karte gehandelt haben konnte. Als Urheber der Na-men bieten sich vorzugsweise Lancelotto Malocello und seine Begleiter an, die sich lange genug auf den Inseln aufhielten, und zum Teil auch die Vivaldis (& Kap. 5) sowie Niccoloso da Recco, der ja 1341, also zu Lebzeiten des Kompilators, in dessen Hei-matort Sevilla seine Erlebnisse berichtete. Recco hat offenbar La Palma und Tenerife nicht betreten, dafür kann er aber als Infor- Abb. 4 - Phantasiefigur eines einbeinigen Kanariers in einer späteren Kopie des spanischen "Libro del conoscimiento". 102MMALMOGAREN XX/1/1989 mant über die restlichen Kanarischen Inseln und den Made-irischen Archipel in Frage kommen (& Kapitel 8). Einen Italiener als Namensgeber bzw. Namensübermittler anzunehmen, wird auch durch die italienische Schreibweise einiger der Inselnamen unterstützt. Die restlichen Namen hatte der Kompilator kastili-anisiert bzw. weitgehend original – im Fall der schon altkanarisch vorliegenden Namen – übernommen. Katalanische Namensgeber, etwa Teilnehmer der ersten Expeditionen von 1342-45, kommen damit kaum in Betracht. Dafür, dass der Verfasser die Inseln nicht persönlich erlebte, spricht ein Fehler, den er sich bei der Aufzählung der Inseln ge-leistet hat: Neben "Tenerefiz" erwähnt er als weitere Insel eine "Isla del Infierno". Hat er bei dieser Doppelnennung, die sich auch bei Lobos wiederholt, Kartenkenntnisse und mündliche In-formationen durcheinander gebracht? Eine andere Unmöglich-keit ist die in eine Kopie des Urmanuskripts eingefügte Darstel-lung eines einbeinigen Kanariers (Abb. 4), was ebenfalls nicht von realen Ortskenntnissen zeugt. Eines steht jedoch fest: Bis auf Mña. Clara, Lobos und den Roque del Oeste (oder Roque del Infierno7) standen die Inselnamen bereits in der ersten Hälfte des 14. Jhs. mit ihrer nahezu endgültigen Schreibweise fest! "lipar-me" als Verschreibung von "li palme" taucht schon 1351 auf dem medizeischen Portolan auf, so dass auch der Name La Palmas italienische Urheber haben dürfte. Wer aber jeweils der tatsäch-liche Namensgeber war, soweit sich das überhaupt auf einzelne Personen reduzieren lässt, wird wohl immer im Dunkel der Ver-gangenheit bleiben. 13. Telde, das erste Bistum der Kanarischen Inseln Das kulturelle Klima, das in der Mitte des 14. Jhs. Mallorca beherrschte, war eindeutig von Ideengut geprägt, das der bedeu-tende mallorkinische Wissenschaftler, Denker und Missionar Ramón Llull (1234-1315), als Erbe hinterlassen hatte. Es hatte sich vor allem ein religiöser Eifer herangebildet, der die friedliche ;2 7 ) ) ) G# # = G - 1 ALMOGAREN XX/1/1989MM103 Verbreitung des Evangeliums bei den benachbarten heidnischen Völkern des westlichen Mittelmeerraumes und der Kanarischen Inseln zum Ziel hatte. So verwundert es nicht, dass 12 Eingebo-rene von Gran Canaria, die vermutlich von der Fahrt von 1343 stammten, nach ihrer Taufe freigelassen wurden und eine Ausbil-dung genossen, die sie zu Mittlern zwischen mallorkinischen Missionaren und den ehemaligen Stammesgenossen machen soll-te. Um das Vorhaben, das von Anfang an unter der Schirmherr-schaft von Pedro IV. stand, Realität werden zu lassen, mussten nur noch potente Kaufleute oder Reeder gefunden werden, de-ren merkantiles Interesse mit religiösem Sendungsbewusstsein gekoppelt werden konnte, und schließlich war auch noch der Segen des Papstes einzuholen. In Joan Doria und Jaume Segarra waren schnell zwei risiko-freudige mallorkinische Händler gefunden, die das Unternehmen finanzieren wollten und auch zuversichtlich waren, weitere Teil-nehmer dafür zu gewinnen. In der Bulle "Dum diligenter", die Clemens VI. am 15. Mai 1351 in Villeneuve-lès-Avignon heraus-gab (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 170f), werden die beiden in ihrer Funktion als Organisatoren des Kreuzzuges bestätigt und dieser mit außerordentlichem Ablass versehen. Das wichtigste an diesem Text ist jedoch, dass er in eindeutiger Weise das Vorhaben umreißt. Doria und Segarra versprechen, mit dreißig weiteren got-tesfürchtigen Männern Gran Canaria und seine Nachbarinseln zum Zweck der Missionierung aufzusuchen. Als katholisch vor-gebildete Dolmetscher sollten die bereits erwähnten ehemaligen Gefangenen von Gran Canaria eingesetzt werden. Diese Insel bot sich aufgrund der vorangegangenen Kontakte und der relativ ho-hen Bevölkerungsdichte als aussichtsreichstes Betätigungsfeld an. Sowohl Pedro IV. als auch Clemens VI. verfolgten das Vorha-ben mit größtem Interesse; der König von Aragón aus territoria-len, politischen Gründen und der Papst, der als Botschafter Got-tes die Chance sah, die Völker einer ganzen Inselgruppe dem 104MMALMOGAREN XX/1/1989 wahren Glauben zuzuführen, mit nicht minder expansionisti-schen Motiven. Dass Clemens VI. in größeren kirchenpolitischen Dimensionen dachte, zeigt sich in seiner Bulle "Celestis rex regum" vom 7. November 1351 (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 172ff). Darin gibt er die Errichtung einer Diözese in den Insulae Fortunatae bekannt und ernennt als ihren ersten Bischof den Kar-meliter Fray Bernardo Font (geboren 1304 in Palma de Mallor-ca). Diesen beauftragt er, "eine Kirchengemeinde zu gründen, da-rin eine Kathedrale zu bauen, und den Ort, wo sie errichtet wird, Stadt zu nennen". Diese für die Geschichte der Kanaren außerordentlich wichti-ge Bulle wird komplett erstmals von dem spanischen Karmeliter José Alberto XIMÉNEZ veröffentlicht (Bullarium Carmelitanum t.III, Roma 1768: 71f), ohne dass dies einen Einfluss auf die spa-nische Geschichtsschreibung des nachfolgenden Jahrhunderts ge-habt hätte. Kurz darauf (1772-1783) erscheinen die "Noticias de la Historia general de las Islas de Canaria" des kanarischen Chro-nisten José de VIERA Y CLAVIJO. Er ist der erste, der Fray Bernardo richtigerweise als ersten Bischof der Kanaren benennt. Seine Kenntnis darüber bezog er aus einem persönlichen Erleb-nis in Wien. VIERA Y CLAVIJO hielt sich Anfang 1781 in der Donaumetropole auf, wo er den Monsignore Giuseppe Garampi, apostolischer Nuntius am österreichischen Hof, kennenlernte. Dieser übergab ihm eine Notiz, in der er von einem Dokument berichtete, das in der Benediktinerabtei von Melk (Niederöster-reich) aufbewahrt würde. Darin sei von einem "Frater Bernardus insularum Fortuniae episcopus" die Rede, der zusammen mit an-deren Bischöfen am 8. Mai 1353 in Avignon einen Ablass für die Kirche des besagten Klosters gewährt habe. Auch für VIERA bezog sich diese Information auf die Diözese Rubicón auf Lanzarote (errichtet 1404 durch Papst Benedikt XIII.), die in vie-len Chroniken fälschlicherweise als der erste Bischofssitz der Kanaren angesehen wurde. ALMOGAREN XX/1/1989MM105 Die das Bistum Telde auf Gran Canaria betreffenden päpstli-chen Bullen waren zwar teilweise schon bekannt (z.B. Lucas WADDING: Annales Minorum t.IV, Lyon 1637 im Fall der Bulle vom 2. Juli 1369), wurden aber nicht mit den Kanaren in Verbin-dung gebracht. Auch GAMS (1873: 474) erwähnt in seiner be-rühmten Bischofsliste für 1353 (VIERA Y CLAVIJO folgend) ei-nen Frater Bernardus als Bischof "pro insulis Fortunatorum", aber nicht für Telde. Wenig später (1876) bezeichnete GAMS den "Bruder Bernardus" sogar als einzigen kanarischen Bischof vor 1406. Der erste moderne Historiker, der die Bedeutung der Bulle "Celestis rex regum" vom 7. November 1351 richtig erkannte, aber immer noch nicht Gran Canaria zuordnete, war der deutsche Franziskaner Conrad EUBEL (1892). Der von Joan Doria und Jaume Segarra geplante Kanaren- Kreuzzug nahm konkrete Formen an, als Guillén de Llagostera, Stellvertreter des aragonesischen Gouverneurs auf Mallorca, am 14. Mai 1352 einen Arnáu Roger zum Kapitän der Expeditions-flotte ernannte, die die Heiden "auf den rechten Glauben zurück-führen" sollte (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 176f). Weiterhin geht aus dem Dokument hervor, dass sich die Lizenznehmer Joan Doria, Jaume Segarra und Guillém Fusser (war dies jener Guillém Fusser, der bereits die Expedition von 1343 mitgemacht hatte?; & Kapitel 9) der Weisheit und der Vernunft des Arnáu Roger anver-trauen sollten und dass sie alle "adquirierten" Inseln als Lehen des Königs von Aragón erhalten würden. Dass Pedro IV. damit neben dem Seelenheil der Eingeborenen auch handfeste kolonia-listische Absichten verfolgte, ist offenkundig. Die Expedition wurde wohl kurz darauf durchgeführt, aber ihr Verlauf kann nur bruchstückhaft rekonstruiert werden. Die beiden Schiffe landeten gemäß den Überlieferungen (nach einem Zwischenstop auf Lanzarote / MARIN DE CUBAS, 1986: 61) im Osten Gran Canarias, in der Bucht von Melenara (bei Telde) oder von Gando. Es entwickelte sich ein friedliches Nebeneinander, 106MMALMOGAREN XX/1/1989 bei dem die mallorkinischen Missionare und ihre mitgebrachten kanarischen Helfer bei der Verbreitung des Evangeliums einige bescheidene Erfolge verbuchen konnten. In diese Zeit fällt ver-mutlich auch die Errichtung des ersten christlichen Gotteshau-ses, der "Casa de Oración" (almogaren bei den Eingeborenen) für den "Dios del Cielo" (Himmelsgott). Es ist weiterhin anzuneh-men, dass zum Zwecke des Handels mit den Eingeborenen und der Berichterstattung über den Fortgang der Mission weitere Fahrten zwischen Mallorca und Gran Canaria stattfanden. Bei diesen Fahrten (oder auch schon bei der von 1352, denn in der Konzession von Pedro IV. ist auch von den Familien der Lizenznehmer die Rede) sind wohl auch jene ersten mallorki-nischen Siedler auf die Insel gekommen, von denen es in den alten Chroniken heißt, sie hätten freundschaftlich mit den Einge-borenen gelebt, hätten Land und Vieh zugewiesen bekommen und seien mit den kanarischen Frauen Ehen eingegangen. Dabei sol-len die Mallorkiner den Eingeborenen auch einiges beigebracht haben, so z.B. den Hausbau und die Anpflanzung von Feigen-bäumen. KUNKEL (1987: 47) vermutet allerdings, dass der Fei-genbaum schon mit den Eingeborenen auf die Inseln kam und für Gran Canaria (& Kap. 8) und Tenerife ist er tatsächlich schon für die Zeit vor der Conquista nachgewiesen. Ob Bischof Bernardus die Insel jemals selbst betreten hat, geht aus den überlieferten Unterlagen nicht hervor, obwohl dies bei der Wichtigkeit seiner Person und seines Auftrages anzunehmen wäre. Manches deutet daraufhin, dass er in Telde keine "Kathe-drale" konsekrierte, wie es sein Auftrag gewesen war. Vielmehr wurde er 1354 zum Bischof von Santa Giusta auf Sardinien er-nannt. Unverständlich ist, wieso der Papst – inzwischen war es Innozenz VI. – das kanarische Bistum von 1354 bis zur Ernen-nung des zweiten Bischofs der Insulae Fortunatae sieben Jahre lang unbesetzt ließ. Erst am 2. März 1361 ernannte Innozenz VI. ALMOGAREN XX/1/1989MM107 einen Prädikanten-Mönch (Dominikaner) namens Fray Barto-lomé zum Nachfolger von Bernardo Font (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 181ff). Bischof Bartolomé starb allerdings uner-wartet ca. anderthalb Jahre nach seiner Ernennung, worauf der bischöfliche Stuhl auf Gran Canaria weitere siebeneinhalb Jahre vakant bleiben sollte. 14. Die militärische Intervention von 1366 Anfang 1366 müssen Umstände eingetreten sein, die Pedro IV. von Aragón dazu veranlassten, eindeutige Schritte zur Sicherung seines Besitzstandes über die Insulas de Canaria, wie sie jetzt genannt wurden, zu unternehmen. Dass die Gründe dafür z.B. in politischen Aktivitäten anderer Seemächte wie Genua oder Kas-tilien gelegen haben mochten, können wir nur mutmaßen. Jeden-falls stellte Pedro IV. am 26. Juni 1366 in Zaragoza ein Doku-ment aus (RUMEU DE ARMAS 1986: 183f), das einen Joan de Mora von Mallorca ermächtigte, sein Schiff mit vom König ge-liehenem Kriegsgerät auszurüsten und damit gegen die "Kanari-schen Inseln und andere Feinde" vorzugehen. Ob diese Expediti-on tatsächlich in die kanarischen Gewässer aufbrach, wissen wir nicht. Wenn ja, was aufgrund der Vorbereitungen fast anzuneh-men ist, dann erhebt sich die Frage über den Erfolg der Unter-nehmung und die Rückkehr des Joan de Mora. Letzteres könnte dann bejaht werden, denn es existieren amtliche Unterlagen über ihn aus der Zeit von Oktober 1369 bis Februar 1382 (Archivo de la Corona de Aragón / Maioricarum). 15. Die katalanische Mission von 1370 Mit der Bulle "Inter cetera" vom 2. Juli 1369 hatte Papst Urban V. den Minoriten (Franziskaner) Bonanat Tari zum Bischof von Telde ernannt (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 184f). Bemer- 108MMALMOGAREN XX/1/1989 kenswert ist hier, dass der Papst erstmals den Namen des Ortes auf Gran Canaria nennt, an dem der Bischof seinen Sitz haben sollte. Offenbar musste sich in Telde – ob mit oder ohne Zutun der beiden Vorgänger von Bischof Tari – der Kern einer aus Mal-lorkinern gebildeten Gemeinde entwickelt haben, die im sprach-lichen Umgang jener Zeit mit diesem von den Eingeborenen stammenden Ortsnamen benannt wurde und deren missionari-sches Wirken nicht über Anfangserfolge hinausgegangen war. Kenntnis darüber musste sich bis zum Heiligen Stuhl herumge-sprochen haben. War dies der Grund für Urban V., nach langen Jahren wieder einen kanarischen Bischof einzusetzen und die Missionierung voranzutreiben? Es scheint so, denn in der Bulle "Ad hoc semper" vom 31. August 1369 (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 187f) beauftragt er – auf Betreiben der beiden Barcelonesen Bertrán de Marmando und Pedro de Estrada – die Bischöfe von Tortosa und Barcelona, zehn weltliche Kirchenleute und zwanzig Franziskaner nach Gran Canaria zu schicken. Als Ausgangslage erwähnt er, was er von den Inseln gehört hatte: Abb. 5: Die Bulle Urbans V. vom 17. Juli 1369, in der er Fray Bonanat Tari nochmals als Bischof der Kanarischen Inseln bestätigt (Archivo Vaticano). ALMOGAREN XX/1/1989MM109 Dass es "auf Gran Canaria und den Nachbarinseln, genannt die Glücklichen, Menschen beiderlei Geschlechts gebe, die nicht mehr Gesetz und Glaubenszugehörigkeit besäßen, als die Anbe-tung der Sonne und des Mondes, und dass es leicht sein müsse, diese zum christlichen Glauben zu konvertieren". Und dies soll-te in deren Sprache oder mit Hilfe von Dolmetschern stattfinden! Die Bischöfe Guillén de Torelles (Barcelona) und Jaime de Aragón (Tortosa) scheinen diesen Auftrag durchgeführt zu ha-ben. Denn der bereits zitierte HEMMERLIN schreibt, dass eine weitere, organisierte Missionsexpedition zu den Kanaren aufge-brochen war. Die mitgenommenen Minoriten-Brüder hätten das Evangelium verkündet und die ebenfalls mitgereisten Fachleute für Landwirtschaft und Handwerk hätten den Eingeborenen al-lerlei Fertigkeiten und das Lesen beigebracht! Die fünfte Insel sei aufgrund ihrer wilden Bewohner davon ausgenommen gewe-sen. Keiner der Eingeborenen hätte privaten Besitz gehabt, son-dern alles würde gemeinschaftlich besessen. Viel mehr ist dem Text von Hemmerlin nicht zu entnehmen. Wie wir aber aus Be-richten der späteren kanarischen Chronisten wissen, haben die Eingeborenen ihren eigenen Glauben nicht so einfach aufgege-ben, wodurch sich der Christianisierungsprozess sehr schleppend gestaltete. HEMMERLIN gibt (als Auskunft des "Bischofs von Tortosa") die Jahreszahl 1370 schon für die erste Fahrt der Aragonesen an und stellt obige Fahrt als besagte "Rückkehr der Aragonesen" dar. Dabei hat offenbar er oder sein Informant – aus der zeitlichen und räumlichen Entfernung erklärbar – die Fahrten von 1342/43, 1352 und 1370 durcheinander gebracht. Wie in Kapitel 9 ausge-führt, dürfte nach den Indizien die erste Fahrt mit der Expedition von 1343 zu identifizieren sein und die Rückkehr eher mit jener von 1352, so dass die hier geschilderte Unternehmung die tatsäch-liche, 1370 von Bischof Jaime de Aragón organisierte Fahrt ist. 110MMALMOGAREN XX/1/1989 16. Verstärkte Kontakte ab 1377 – die ersten Fahrten der Kastilier und die Geburt der Ico In den Zeitraum kurz nach der katalanischen Missionsfahrt fällt eine weniger friedliche Kanaren-Expedition, von der uns der tunesische Historiker IBN-KHALDUN (1332-1406) berichtet. Demnach waren 1377 "Franken", womit die Araber damals Ara-gonesen meinten, in einen Kampf mit Kanariern verwickelt, bei dem sie einige von ihnen raubten und von diesen einen Teil auf dem marokkanischen Markt als Sklaven verkauften. Dort gin-gen sie dann in den Dienst des Sultans über und als sie Arabisch sprechen konnten, hätten sie von ihren Inseln erzählt. Dabei sei-en folgende Details genannt worden: Eisen war unbekannt; zum Pflügen benutzten sie Tierhörner; die Hauptnahrungsmittel wa-ren Gerste, Milch und Ziegenfleisch; sie verteidigten sich mit groben Schleuderwaffen; sie konnten segeln und sie beteten die aufgehende Sonne an. Unternehmungen dieser Art, die trotz aller missionarischen Bemühungen von den aragonesischen Behörden geduldet wur-den, waren natürlich wenig dazu geeignet, die Botschaft der Evangelisatoren zu unterstützen. Dies sollte sich in den kommen-den Jahren noch auf tragische Weise auswirken. Ein ähnlich unerfreuliches Kapitel beginnt mit der Aussendung der ersten Expeditionen von kastilischen Häfen aus, die alleine zum Zweck des Raubes und Sklavenfangs durchgeführt wurden. Die Kunde von den ohne Schutz einer europäischen Macht offen-stehenden afrikanischen Gewässern mit ihren beuteverheißenden Küsten und Inseln hatte sich natürlich auch bis Andalusien her-umgesprochen. Von dort wurden im letzten Viertel des 14. Jhs. einige Unternehmungen gestartet, die den Kanariern nur Verlust und Elend bringen sollten. Eine dieser Fahrten beschreibt TOR-RIANI: 1377 (vielleicht eine Verwechslung mit 1393) rüsteten sevillanische und baskische Unternehmer einige Schiffe aus, um die marokkanische Küste auszuplündern. Ein Sturm trieb sie aber ALMOGAREN XX/1/1989MM111 nach Lanzarote, wo sie trotz des Widerstandes der Bewohner ei-nen Teil der Insel verwüsteten und Männer und Frauen nach Spa-nien verschleppten. Ein solches Beispiel schnell verdienten Gel-des fand natürlich Nachahmer. 1387 tauchten z.B. in Valencia zwei getaufte kanarische Gefangene auf, für deren Loskauf 20 Florinen festgesetzt waren (AMV / Manuals de Consells). Ebenfalls 1377 ("poco más o menos") fand nach ABREU GA-LINDO auf Lanzarote, dem Tyterogaka(et) der Eingeborenen, ein weniger gefährliches Ereignis statt. Der baskische Edel-mann Martin Ruiz de Avendaño segelte als Kapitän im Dienste Kastiliens in den Gewässern zwischen England und Galizien, als ein Sturm die unter seinem Kommando stehenden Schiffe nach Lanzarote verschlug. Was wären die Chronisten ohne ihre "Stürme"? Dieses Unwetter jedoch soll historisch belegbar sein (ALVAREZ DELGADO 1957a). Avendaño wurde von den Ein-geborenen sehr freundlich empfangen, da er offenbar keine feindlichen Absichten hegte. Sie bewirteten ihn mit Fleisch, Milch und Käse. Er wurde auch zu König Zonzamas geführt, der ihn in seinem "Palast" empfing, dessen Grundmauern heu-te noch zu sehen sind. Nach der Überlieferung ging die Gast-freundschaft des Königs soweit, dass er Avendaño die eroti-schen Dienste seiner schönen Gattin Fayna anbot – Gastprosti-tution, wie sie auch auf Gomera (ZURARA 1448) und Gran Canaria (GÓMES 1463) Brauch war. Nach einer anderen Inter-pretation missbrauchte Avendaño ganz einfach die Gastfreund-schaft und verführte die gutgebaute Gastgeberin (HOZ 1962). Wobei diese vermutlich gar nicht so abgeneigt war, denn Zonzamas muss nicht mehr der jüngste gewesen sein, während Avendaño mit seiner Uniform und seinem galanten, jugendli-chen Auftreten (er war damals um die Dreißig) sicher großen Eindruck auf die Königin machte. Wie auch immer, neun Mo-nate nach seiner Abreise nach Spanien gebar Fayna ein Mäd-chen mit verdächtig heller Haut und blonden Haaren. Das Kind wurde Ico genannt und wuchs zu einer hübschen jungen Frau 112MMALMOGAREN XX/1/1989 heran. Es gibt jedoch eine Textstelle bei ABREU GALINDO, die vermuten lässt, dass Ico einen Zwillingsbruder hatte (& Kapitel 21). Zonzamas starb kurz darauf und sein Sohn Tinguafaya trat die Nachfolge an. ABREU GALINDO war der erste, der diese Begebenheit erzählte, und aufgrund ihrer romantischen Bestand-teile war sie auch bei den nachfolgenden Autoren ein beliebter Stoff, der auch poetisch verarbeitet wurde. Manche modernen Autoren vermuten, dass Avendaño vom Kö-nig nicht in seiner Burg, dem heutigen Zonzamas zwischen Tahiche und San Bartolomé, empfangen wurde; sondern, wie es im Canarien der Chronisten BOUTIER & LEVERRIER heißt, im sogenannten "Großen Dorf" (Grant Aldée), das an der Stelle des jetzigen Teguise lag und von den Eingeborenen angeblich Acatife genannt wurde. Die Echtheit des Ortsnamens "Acatife" ist in höchstem Maße anzuzweifeln, da dieses Wort im Canarien-B als Falschschreibung ("Lacatif") von "Laracif" (für Arrecife), wie es im Canarien-S heißt, auftritt. Acatife fand merkwürdigerweise als authentisches altkanarisches Wort Eingang in die Sekundär-literatur des 19. Jhs. und von da in zahlreiche neuere Publikatio-nen und sogar in den heutigen Sprachgebrauch auf Lanzarote. Schon WÖLFEL (1965) wies auf diesen Abschreibfehler hin und kürzlich erst wieder CIORANESCU (1982). 17. Konfusion um Fernando Ormel und Fernando de Castro Für 1384 überliefert uns TORRIANI einen Besuch des galizi-schen Edelmannes Hernando Ormel de Castro (bei ABREU GA-LINDO "Fernando Ormel, Conde de Uren"; bei VIERA Y CLA-VIJO "Fernando Ormel, Conde de Ureña o de Andeiro") auf Gomera. Trotz stattgefundener Feindseligkeiten mit dem Bruder des Häuptlings Amaluige sollen die ersten Gomeros bereits bei der Abfahrt der Spanier zum Christentum bekehrt gewesen sein. BONNET REVERÓN (1945a) vermutet, dass hier eine Na- ALMOGAREN XX/1/1989MM113 mensverwechslung mit "Fernão Dulmo", Gouverneur der Azoren- Insel Terceira, vorliegt, der Gomera erst 1486 bei der Suche nach der phantastischen "Ilha das Sete Cidades" angelaufen habe. Dies ist sehr hypothetisch, da nichts über den Verlauf der Reise, an der sogar der Nürnberger Geograph Martin Behaim teilgenom-men haben soll, Aufzeichnungen vorliegen. Die Herkunft des Fernão Dulmo ist umstritten (HENNIG 1956: 301ff). Er gehörte entweder zur flämischen Kolonie (Fernand van Olmen), die zu jener Zeit maßgeblich an der Besiedlung der Azoren beteiligt war, oder er stammte aus Süddeutschland (Ferdinand von Ulm). Was TORRIANI betrifft, so steht fest, dass er "Fernando Ormel" und den Portugiesen Fernando de Castro, der 1424 Gran Canaria attackierte, zu einer Person verschmolz. VIERA (für 1386) und ABREU (für 1375) weisen diese Gomera-Episode fälschlicherweise besagtem Fernando de Castro zu. Während ABREU bei Fernando Ormel von einer anderen, durch Sturm er-zwungenen Gomera-Fahrt spricht, sieht VIERA die Fahrten von Ormel und Castro sogar als alternativ an, was die Geschichte nur noch verworrener macht. Ganz abgesehen davon, dass die ge-schichtlichen Personen, die mit einem "Fernando Ormel, Conde de Uren" in Verbindung gebracht werden könnten, nicht für eine Fahrt im Jahr 1384 oder 1386 in Frage kommen. Dass die Chris-tianisierung Gomeras durch dieses unsichere Ereignis entschei-dend beeinflusst wurde, kann damit eher ausgeschlossen werden. Ein Hinweis aus dem Werk "Lo Chrestiá" des Katalanen Francesc Eiximenis (verfasst 1379-1391 / Bibl. Nac. Madrid, Ms. Nr. 1793) lässt allerdings vermuten, dass Gomera (neben Gran Canaria) schon Ende des 14. Jhs. Ziel franziskanischer Missionierung war. 18. Die dreizehn Eremiten von 1386 Trotz der vorangegangenen Versuche muss die Christianisie-rung der Kanaren nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben. Als Indiz dafür kann der Brief gewertet werden, den der König 114MMALMOGAREN XX/1/1989 von Aragón und Mallorca, Pedro IV., am 20. Februar 1386 an Papst Urban VI. schrieb (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 194f). Darin bittet er um besonderen Ablass für "einige armselige Ere-miten und andere Personen", die die Missionierung auf den Ka-narischen Inseln fortsetzen wollten. Dokumentarische Unterlagen über die tatsächliche Durchfüh-rung dieser Fahrt liegen uns nicht vor. In der mündlichen Über-lieferung haben sich allerdings einige Details erhalten, die von den Chronisten des 15. bis 18. Jahrhunderts unterschiedlich wie-dergegeben werden. Aus dem Canarien (Kap. 40 / 1986) wissen wir, dass der französische Eroberer Gadifer de la Salle 1403 auf Gran Canaria in der Gegend von Telde das Testament einiger "fraires chrestiens" fand, insgesamt 13 Personen, die vor zwölf Jahren – also ca. 1391 – als Verräter getötet worden waren. Aus der Erzählung der Expeditions-Chronisten BOUTIER & LEVER-RIER geht weiterhin hervor, dass die Mönche seit sieben Jahren das Evangelium auf der Insel verbreitet hatten, als ein Ereignis eingetreten sein muss, das das friedliche Zusammenleben abrupt zerstörte. Ob man nun annimmt, dass die Zeitangabe "vor zwölf Jahren" von den Eingeborenen etwas zu hoch überliefert wurde, oder dass erst ab der Niederschrift des Textes (ca. 1405) zurück zu rechnen ist, in beiden Fällen ergibt sich als Todesjahr der Mönche anstatt 1391 das Jahr 1393 und damit als Ankunftsjahr 1386 (alles zur Regierungszeit des Königs Gumidafe und seiner Frau Attidama-na). Dies würde zum einen mit dem oben zitierten Brief von Pedro IV. übereinstimmen und zum anderen mit der schrecklichen Raubfahrt von 1393, die uns noch im Kapitel 20 beschäftigen wird. Weitere Details wurden im Canarien leider nicht aufge-zeichnet. Als Auslöser für die Hinrichtung der Mallorkiner durch die Grancanarios werden in den alten Texten verschiedene Grün-de genannt, die ich hier nach Autoren geordnet aufzähle: ALMOGAREN XX/1/1989MM115 - Juan de Abreu Galindo - Eine so große Hungersnot erfasste die Insel, dass der Rat be-schloss, alle Neugeborenen weiblichen Geschlechts und alle Mallorkiner zu töten, damit die Lebensmittel besser ausreichten. In Bezug auf die Mallorkiner sei hinzugekommen, dass sich ei-nige von ihnen äußerst schändlich gegenüber Eingeborenen be-tragen hätten. Die Mallorkiner metzelte man an einem bestimm-ten Tag nieder, während die Mönche (bei ABREU GALINDO zwei) in eine tiefe Höhle bei Jinamar gestürzt wurden. - Leonardo Torriani - Trotz des Verbotes der Eingeborenen, nicht das Evangelium zu predigen und nicht fremdes Recht einführen zu wollen, setz-ten die Mallorkiner ihre Lehren fort und zwar um so mehr, als sich ihre Nachkommenschaft, die sie mit eingeborenen Frauen hatten, ebenfalls missionarisch betätigte. Die Eingeborenen, die nicht wollten, dass ihre alten Gesetze verändert werden, und die aufgrund der vielen Nachkommen der Mallorkiner mit kriegeri-schen Aktionen rechneten, töteten eines Tages alle Fremden mit-samt ihren Kindern. Die Franziskaner-Mönche wurden alle von einem hohen Berg gestürzt. - Pedro Agustín del Castillo - Dieser Autor erfindet eine von den anderen Chronisten völlig abweichende Version, in der er einen (freien !) Einheimischen namens Pedro "El Canario" (mit dem heidnischen Namen "Tife-rán") auftreten lässt, der Gadifer de la Salle seine Geschichte er-zählt und ihm ein Testament von dreizehn schiffbrüchigen Ka-stiliern übergibt, die 1382 unter ihrem Kapitän Francisco López an der Küste bei Niginiguada gelandet seien und sich "die drei-zehn Brüder" genannt hätten. Sie hätten elf Jahre friedlich mit den Eingeborenen gelebt, bis sie im Verlauf eines Piratenüber-falls (jenem von 1393) von den revoltierenden bzw. sich verteidi-genden Eingeborenen getötet worden wären. Ein gewisser "Pietre 116MMALMOGAREN XX/1/1989 le Canare" taucht zwar im Canarien auf, aber als von Spanien auf einem der Nachschub-Schiffe mitgebrachter Dolmetscher in einem ganz anderen Zusammenhang. ALVAREZ DELGADO (1982) räumt allerdings ein, dass er Gadifer de la Salle doch ei-nige Informationen über das "Testament der 13 Eremiten" gege-ben haben könnte. Pedro El Canario würde dann nicht aus dem Raub von 1393 stammen (& Kapitel 20), sondern aus einem zwi-schen 1393 und 1402. - Tomas Arias Marín de Cubas - Bei diesem Autor treten als Opfer gar keine Geistlichen auf, sondern nur 13 mallorkinische Siedler, die sich den unantastba-ren Priesterinnen der Grancanarios, jenen Harimaguadas des Cenobio de Valerón, unzüchtig genähert hätten. Wer diese heili-gen Ehren-Jungfrauen anrührte oder nur den Versuch machte, musste mit den schwersten Strafen rechnen. Und so wurden die Mallorkiner als Gesetzesbrecher und Verräter hingerichtet. Das Handeln der Eingeborenen habe außerdem eine große Hungers-not mitbestimmt, die als göttliche Strafe für das Paktieren mit Christen angesehen wurde. - José de Viera y Clavijo - Bei ihm war es nur das "Betragen", das den Insulanern Anlass zur simultanen Hinrichtung aller weltlichen Europäer gab, wäh-rend fünf Franziskaner in die Höhle von Jinamar gestürzt wur-den. Wie die vorgenannten Autoren, so erwähnt auch VIERA Y CLAVIJO die Errichtung der beiden Kapellen Sta. Catalina und S. Nicolas, die zeitlich durchaus mit der Fahrt von 1386 in Ver-bindung stehen könnte. So unterschiedlich diese Quellen auch das Ende der Expedi-tion von 1386 beschreiben, so lässt sich doch ein gewisses Grundmuster herausschälen. Es erscheint mir vor allem wich-tig, die Schicksale der weltlichen Siedler und der Missionare ALMOGAREN XX/1/1989MM117 zu trennen. Im Fall der Siedler mag es tatsächlich ein gewisses Betragen gewesen sein, welches das religiöse Ehrgefühl der In-sulaner auf das höchste beleidigt hatte. Und wenn dann noch eine Hungersnot und die leidvollen Erfahrungen des Überfalls von 1393 hinzukamen, dann dürfte es um so leichter gefallen sein, sich der Fremdlinge zu entledigen. Da Ausschweifungen bei den mallorkinischen Geistlichen weniger in Betracht kommen, dürf-ten die Gründe für ihre Hinrichtung anders gelagert sein. Sicher hat man bei ihnen zu einem gewissen Teil auch Sippenhaft ange-wendet, aber viel gravierender dürfte die tiefe Enttäuschung ge-wesen sein, die die Eingeborenen darüber empfinden mussten, dass trotz allen Predigens der christlichen Nächstenliebe ihre Mitmenschen verunglimpft und im Falle der Raubfahrt von 1393 von Landsleuten der Missionare sogar Mord, Plünderung und Versklavung betrieben wurden. Solche Missionare mussten fal-sche Propheten sein, die ihre Glaubwürdigkeit und ihre Lebens-berechtigung verwirkt hatten. So dürfte auch die Zerstörung der ersten Casa de Oración in Telde mit diesen Vorgängen in Verbin-dung zu bringen sein. Diese Diskrepanz zwischen christlicher Botschaft und der Realität, in der die Canarios immer wieder die Doppelzüngigkeit und den Verrat der Konquistadoren erleben mussten, war sicher mitbestimmend für die Zähigkeit, mit der sie in den folgenden Jahrzehnten ihre Inseln verteidigten. Ein nahezu unglaublicher Zufall der Archäologie wäre es, wenn die Anfang 1989 bei Bauarbeiten in Las Palmas (G.C.) gefundenen 14 Skelette mit obigen Vorgängen in Verbindung stehen würden. C14-Datierungen ergaben einen Sterbezeitraum von 1410 ' 70, so dass ein zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden kann. Weitere Skelette sind von dieser Fundstelle in der Calle León y Castillo noch zu erwarten. Wissenschaftler des Museo Canario vermuten in diesem Massengrab Opfer einer Seuche. Eine – soweit es möglich ist – exakte Ermittlung der Todesursache stand jedoch bei Redaktionsschluss dieses Auf- 118MMALMOGAREN XX/1/1989 satzes (11/1989) noch aus. Auch über die anthropologischen Merkmale der Skelette sind noch keine Details bekannt. 19. Tenerife – Schauplatz friedlicher Selbstmissionierung Auf Tenerife, das in unseren Betrachtungen bislang kaum eine Rolle spielte, begann – nach den alten Quellen zwischen 1388 und 1406 (nach HERNÁNDEZ PERERA / 1975 zwischen 1440 und 1450) – ein Prozess, der das religiöse Leben der Guanchen und erst recht das der nachfolgenden spanischen Insulaner nach-haltig beeinflusste. In dieser Zeit muss ein andalusisches Schiff in der Nähe von Tenerife (aufgrund der Strömungsverhältnisse vermutlich im Nordosten der Insel) Schiffbruch erlitten haben, bei dem eine Statue der Jungfrau Maria an Land geschwemmt wurde. Der Überlieferung nach wurde sie von Hirten an der Pla-ya de Chimisay bei Socorro im Kanton Güimar gefunden. Der von dem Fund unterrichtete Mencey (Häuptling) des Kantons, Acaymo, stellte die Statue, die als etwas Übernatürliches ange-sehen wurde, auf eine Art Altar in einer kleinen Höhle innerhalb seines Wohnbereiches im Barranco Chinguaro. Dort stand sie, bis ein getaufter Guanche seine Landsleute auf den christlichen Symbolgehalt der Figur aufmerksam machte. Dieser "Antón" genannte Eingeborene war, wie uns CAS-TILLO übermittelt, 1448 bei einer Expedition des Hernán Peraza el Viejo (siehe genealogische Tafel) als 6-jähriger Knabe an der Küste von Güimar aufgegriffen worden. Er wurde nach Fuerte-ventura gebracht (kaum Lanzarote, wie CASTILLO behauptet, das zu dieser Zeit nur nominell im Besitz des Hernán Peraza bzw. portugiesisch besetzt war), im christlichen Glauben unterrichtet, getauft und wie ein Familienmitglied aufgezogen. Als 1454/55 Diego García de Herrera in den Besitz der Inseln kam, wechselte Antón nach Lanzarote in den Haushalt des neuen Machthabers über. Einige Jahre später, als Antón seine Heimatinsel zusammen mit seinem Herrn besuchte, floh er und betätigte sich von da ab als ALMOGAREN XX/1/1989MM119 freiwilliger Fürsprecher für die Kastilier und ihren Glauben. Nach einer anderen Version wurde er sogar bewusst zu diesem Zweck auf Tenerife abgesetzt (ESPINOSA 1591). Die Statue der christlichen Mutter Gottes wurde von den Guanchen nun offen-bar mit ihrer eigenen Mutter (achmayex) des "Stützers von Him-mel und Erde" assoziiert und erhielt einen ehrenvollen Platz in der Höhle von Achbinico (= Cueva de San Blas). Sicher hat die-ser Marienkult zu den großen missionarischen Erfolgen beige-tragen, die der Franziskaner Fray Alfonso Bolaños bereits in den Jahren 1462 bis 1478 auf Tenerife erzielen konnte. Die Statue war zwar 1464 von Sancho de Herrera nach Lanzarote entführt wor-den, wurde aber nach kurzer Zeit wieder zurückgegeben. Erst 1496, als die Eroberung Tenerifes durch Alonso de Lugo abge-schlossen war, wurde die Statue von den Spaniern wiederentdeckt und genoss von da ab als Nuestra Señora de Candelaria auch bei der christlichen Bevölkerung große Verehrung. Die Herkunft der Statue, die 1826 bei einer Flut verloren ging, kann nach den neu-esten kunsthistorischen Untersuchungen der Repliken, Abbildun-gen und alten Beschreibungen (HERNANDEZ PERERA 1975) als andalusisch angenommen werden. Das uns vorliegende Material über die Missionsversuche der Mallorkiner weist eine deutliche Konzentrierung auf Gran Canaria auf. Tenerife scheint weitgehend unberücksichtigt geblie-ben zu sein. Dass die Missionierung der West-Inseln im 14. Jh. von Tenerife ausging, wie WIPF (1988: 73) in Bezug auf die Ver-breitung der Gottesnamen annimmt, lässt sich nach den Fakten der vorangegangenen Kapitel nicht bestätigen. Eine Verstärkung der Christianisierung zeichnet sich vielmehr ab 1402 ab: und zwar direkt auf den einzelnen Inseln im Zusammenhang mit den Eroberungsversuchen französischer, andalusischer und portugie-sischer Expeditionen und durch gezielte Missionierung der Fran-ziskaner; aber auch durch die ersten kastilischen Bischöfe der 120MMALMOGAREN XX/1/1989 Kanarischen Inseln, die von 1404 bis 1485 ihren Sitz auf Lan-zarote hatten (Diözese Rubicón). 20. Vorboten einer neuen Ära: die andalusischen Raubfahr-ten des ausgehenden 14. Jhs. Bischof Tari stand seiner Diözese Telde, die er wahrscheinlich nie persönlich betreten hatte, bis zu seinem Tod vor, der mit ungefähr 1390 anzusetzen ist. Auch von seinem (vorläufig letz-ten) Nachfolger, dem mallorkinischen Dominikaner Jaume Olzina, den Papst Clemens VII. am 31. Januar 1392 ernannte (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 195f), ist eine Fahrt zu den Kanaren nicht überliefert. Andererseits ist auch nicht auszu-schließen, dass er in den Monaten vor den tragischen Ereignis-sen von 1393 seiner Diözese einen Besuch abstattete. Später dürf-te er durch den schweren Rückschlag auf Gran Canaria und durch seine Berufung nach Zaragoza abgehalten worden sein. Hier zeigt sich ein gewisses Nachlassen des kirchlichen Interesses an den Kanarischen Inseln. Das gleiche lässt sich von Juan I. von Aragón feststellen, der Pedro IV. 1387 abgelöst hatte und sich mehr mit seinen iberischen Zielen befasste. Dieses Vakuum wurde nur allzu gerne von risikofreudigen Schiffseignern ausgenützt, die verstärkt von kastilischen, genauer gesagt andalusischen Häfen aus ihre Raubfahrten nach Afrika und zu den Kanarischen In-seln unternahmen. Aus diesen privaten Anfängen heraus sollte in kürzester Zeit die kastilisch-normannische Eroberung der Kanaren entstehen, die den Archipel ab 1402 unzertrennlich mit Spanien verband, was allerdings von Portugal endgültig erst mit dem Vertrag von Alcaçovas 1479/1480 anerkannt wurde. Die zahlreichen Expeditionen (ORTIZ DE ZUÑIGA 1677), die in den letzten Jahren des 14. Jhs. von katalanischen und anda-lusischen Häfen aus gestartet wurden, brachten den Canarios ne-ben den ersten Handelsbeziehungen auch viel Leid. Wir wissen konkret, dass 1391 die "Sta. Anna", ein Schiff der Eigner Barto- ALMOGAREN XX/1/1989MM121 lomeo Scarsafiga (aus Barcelona) und Bartolomeo Bargayó (aus Sevilla), beide gebürtige Genuesen, unter der nautischen Mitwir-kung des Andalusiers Juan González von einer Handelsfahrt nach Guinea zurückkehrte. Auf der Hinfahrt hatten sie Fuerteventura angelaufen und fünf- bis sechsjährige Kinder geraubt, deren pro-fitabler Verkauf in Barcelona durch Notariatsakten verbürgt ist (MITJA 1962). Ein Hinweis im Canarien (Version B, Kap. 56), den man mit dieser Fahrt in Verbindung bringen kann, spricht auch von einem Kontakt mit Gran Canaria. 1389 hatte sogar eine venezianische Flotte, auf der Fahrt nach bzw. von Flandern, die Kanarischen Inseln gestreift, wobei auch Sklaven geraubt wur-den. Der spanische Navigator dieses Unternehmens, Fernando de Murcia, verkaufte am 29. April 1389 in Mallorca eine 25-jährige kanarische Frau (Taufname "Magdalena") mit ihren drei Kindern ("Didaco" 6 Jahre, "Joana" 5 Jahre, "Francina" 20 Monate) an ei-nen Bernardo Berardo (LLOMPART 1987: Dok. 5). Diese Skla-ven waren wahrscheinlich der Beuteanteil des Piloten. Wenige Jahre später wurden die Kanarischen Inseln durch ei-nen weiteren Überfall heimgesucht, der weitreichende Folgen ha-ben sollte. 1390 hatte der elfjährige Enrique III. dem sevilla-nischen Edelmann Gonzalo Pérez Martel eine Lizenz zur Erobe-rung der Kanaren erteilt (ORTIZ DE ZUÑIGA 1677). Gewisse Rechte auf die Kanaren hatte sich aber möglicherweise auch des-sen Bruder (oder Vetter) Fernán Pérez Martel erworben (LADERO QUESADA 1977: 142f). Dies würde die Verwirrung um die Per-son "Hernán Peraza" auflösen, die vor allem von ABREU GALINDO als Lizenzempfänger (für 1385 und 1390) bzw. Expeditionsleiter (für 1385) und Vater eines anderen "Hernán Peraza" (= Fernán Peraza Martel oder Hernán Peraza el Viejo, Sohn des Gonzalo Pérez Martel) erwähnt wird und in Wirk-lichkeit sein Onkel war (siehe genealogische Tafel/Abb.6). Sehr hypothetisch im Hinblick auf die alten Quellen ist die Ansicht von PERAZA DE AYALA (1958), der in Juan de las Casas, 122MMALMOGAREN XX/1/1989 Schwiegervater des Fernán Peraza Martel, den wahren Lizenz-empfänger von 1390 und Protagonisten der Expedition von 1393 sieht, obwohl er wahrscheinlich nur einer der Geldgeber war. Der ganze Komplex um die Besitzrechte und Ansprüche auf die Kanarischen Inseln im Zeitraum zwischen 1390 und 1477 ist äu-ßerst diffizil und umfangreich, so dass an dieser Stelle leider nicht alle Aspekte aufgezeigt werden können. Das Vorhaben nahm Gestalt an, als sich unter der Führung des Gonzalo Pérez Martel, Señor de Almonaster, einige andalusische und baskische Abenteurer zusammentaten, um eine Flotte von fünf oder sechs Schiffen auszurüsten, die allein das Ziel hatten, die Kanarischen Inseln auszuplündern. Ende Mai oder Anfang Juni 1393 stachen die Schiffe unter der nautischen Leitung des Kapitäns Alvaro Becerra in See. Sie segelten von Sevilla aus zunächst die marokkanische Küs-te entlang und von dort aus nach Fuerteventura, Gran Canaria, Gomera und Tenerife (auf dem sie wegen eines Vulkanausbru-ches nicht landeten), um schließlich Lanzarote zu überfallen. Die wichtigsten literarischen Quellen über diese Vorgänge sind die Estefanía Mate de Luna Alonso Pérez Martel Guillen III. de las Casas Inés Fernández de Fuentes Abb. 6 - Die verwandtschaftlichen Beziehungen der andalusischen Adelsfamilien Pérez Martel, Peraza, Las Casas und Herrera im 14.-15. Jh. Sr. de Almonaster Srs. de las Islas Canarias (eingeborene Konkubine auf Lanzarote) Fernán Pérez Gonzálo Pérez Leonor Juan de las Casas 2Isabel Martel Martel Ruiz Peraza González Mexia Fernán Arias de Leonor Martel Fernán Peraza Martel Inés de las Casas Saavedra (Hernán Peraza el Viejo), Sra. de Huévar "El Bueno" Sr. de Valdeflores († 1452) Diego García Inés Peraza de las Casas Guillen Peraza de las Casas de Herrera 1Violante de Cervantes Sancho de Herrera 3Catalina da Fra Hernán Peraza "El Joven" 2Catalina Escobar d.Ä. 1Inés Fernández Hurtado, Sra. de Huévar (auch "Inés de Bracamonte") Juan de las Casas Sancha de Orta ? ALMOGAREN XX/1/1989MM123 "Crónica del rey don Enrique III." des königlichen Kanzlers Pedro LOPEZ DE AYALA (1406), die "Anales de Sevilla" des Diego ORTIZ DE ZUÑIGA (1677), das "Compendio Historial" des Esteban de GARIBAY Y ZAMALLOA (1571) und indirekt der Canarien. Weitere Details erfahren wir von späteren Chro-nisten und aus einem notariell beglaubigten Kaufvertrag, der am 27. Dezember 1393 in Barcelona ausgefertigt wurde (Dok. MITJA 1962: 346f). In diesem Vertrag geht es um einen zweijährigen kanarischen Sklaven, der durch ein Schiff des Pedro Minguellez (aus Zumaya / Kastilien), gechartert von dem Händler Juan Pérez de Gámez (aus Bermeo / Kastilien), von Gomera geraubt wurde. Dieser Sklavenfang dürfte mit großer Sicherheit der Armada des Pérez Martel zuzuordnen sein. Von den Überfällen auf Gran Canaria und Lanzarote berichtet relativ ausführlich MARIN DE CUBAS (libro I, cap. III). Die Lan-dungen auf diesen beiden Inseln sind auch die einzigen, von de-nen wir überhaupt Näheres erfahren. Zusammengefasst bietet sich folgendes Bild: Die Flotte landete im Osten Gran Canarias, wo die überlegenen Eindringlinge mordeten und plünderten und dabei Männer, Frauen und Vieh raubten. Zu den Entführten dürf-te auch jener "Pedro el Canario" gehört haben, der unter diesem christlichen Namen in den Jahren 1403 und 1404 als Dolmetscher für Gadifer de la Salle tätig war. Die Verteidigungsmaßnahmen der Grancanarios richteten sich bei diesem Überfall nicht nur gegen die Piraten, sondern in fataler Weise auch gegen die bereits ansässigen Mallorkiner (& Kapitel 18). Auf Lanzarote war die Ausbeute des Überfalls besonders groß: Sie verschleppten den König der Insel (Tinguaf
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Calificación | |
Colección | Almogaren |
Título y subtítulo | Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier |
Autor principal | Ulbrich, Hans-Joaquim |
Entidad | Institutum Canarium |
Publicación fuente | Almogaren |
Numeración | Número 20-1 |
Tipo de documento | Artículo |
Lugar de publicación | Hallein |
Editorial | Institutum Canarium |
Fecha | 1989 |
Páginas | pp. 060-138 |
Materias | Prehistoria ; Islas Canarias |
Copyright | http://biblioteca.ulpgc.es/avisomdc |
Formato digital | |
Tamaño de archivo | 1696492 Bytes |
Texto | ALMOGAREN XX/1/1989MM57 ALMOGAREN XX/1/1989 IC INSTITUTUM CANARIUM ICDIGITAL Separata XX/1-6 58MMALMOGAREN XX/1/1989 ICDIGITAL Eine PDF-Serie des Institutum Canarium herausgegeben von Hans-Joachim Ulbrich Technische Hinweise für den Leser: Die vorliegende Datei ist die digitale Version eines im Jahrbuch "Almogaren" ge-druckten Aufsatzes. Aus technischen Gründen konnte – nur bei Aufsätzen vor 1990 – der originale Zeilenfall nicht beibehalten werden. Das bedeutet, dass Zeilen-nummern hier nicht unbedingt jenen im Original entsprechen. Nach wie vor un-verändert ist jedoch der Text pro Seite, so dass Zitate von Textstellen in der ge-druckten wie in der digitalen Version identisch sind, d.h. gleiche Seitenzahlen (Pa-ginierung) aufweisen. Der im Aufsatzkopf erwähnte Erscheinungsort kann vom Sitz der Gesellschaft abweichen, wenn die Publikation nicht im Selbstverlag er-schienen ist (z.B. Vereinssitz = Hallein, Verlagsort = Graz wie bei Almogaren III). Die deutsche Rechtschreibung wurde – mit Ausnahme von Literaturzitaten – den aktuellen Regeln angepasst. Englischsprachige Keywords wurden zum Teil nach-träglich ergänzt. PDF-Dokumente des IC lassen sich mit dem kostenlosen Adobe Acrobat Reader (Version 7.0 oder höher) lesen. Für den Inhalt der Aufsätze sind allein die Autoren verantwortlich. Dunkelrot gefärbter Text kennzeichnet spätere Einfügungen der Redaktion. Alle Vervielfältigungs- und Medien-Rechte dieses Beitrags liegen beim Institutum Canarium Hauslabgasse 31/6 A-1050 Wien IC-Separatas werden für den privaten bzw. wissenschaftlichen Bereich kostenlos zur Verfügung gestellt. Digitale oder gedruckte Kopien von diesen PDFs herzu-stellen und gegen Gebühr zu verbreiten, ist jedoch strengstens untersagt und be-deutet eine schwerwiegende Verletzung der Urheberrechte. Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten: institutum-canarium.org almogaren.org Abbildung Titelseite: Original-Umschlag des gedruckten Jahrbuches. Institutum Canarium 1969-2014 für alle seine Logos, Services und Internetinhalte ALMOGAREN XX/1/1989MM59 Helmut Stumfohl: Aufgabe und wissenschaftliche Position des IC ....................................................... 7 Helmut Stumfohl: Die Urbevölkerung der Kanaren – Inselberber? Eine Klarstellung ............... 20 Lionel Galand: "T(h)" in Libyan and Canarian place-names ............................................................. 32 Carmen Díaz Alayón: Das Ortsnamenmaterial aus der Sicht sprachlicher Homogenität bzw. Verschiedenheit der Altkanarier .............................................. 42 Francisco Javier Castillo: Die altkanarischen Sprachen in den Quellen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts ................................................................................... 51 Hans-Joachim Ulbrich: Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier .............................................................. 60 Helmut Stumfohl: Bemerkungen zur Ethnogenese der alten Kanarier ............................................. 139 Francisco Javier Castillo: Die Sprache der Altkanarier in zwei Studien des 19. Jahrhunderts ............... 152 Carmen Díaz Alayón: Notizen über vorspanische kanarische Ortsnamen ................................................. 161 Siegbert Hummel: Idafe – Numen oder Menhir? ..................................................................................... 179 Gottfried Rahn: Vom Auftauchen der Schrift ......................................................................................... 181 • Zitieren Sie bitte diesen Aufsatz folgendermaßen / Please cite this article as follows: Ulbrich, Hans-Joachim (1989): Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier.- Almogaren XX/1/1989 (Institutum Canarium), Hallein 1990, 60-138 [updated 2006] PDF 60MMALMOGAREN XX/1/1989 ! " # $# %! Hans-Joachim Ulbrich Die Entdeckung der Kanaren vom 9. bis zum 14. Jahrhundert: Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier* Keywords: Spain, Portugal, Morocco, Italy, Canary Islands, Madeira, Aragón, discovery, geography, history, politics, Holy See 1. Das geschichtliche Vorfeld Trotz der bereits prähistorischen Besiedlung der Kanaren war die Kunde über ihre Existenz in der Antike, die uns die ersten Hinweise auf diese ostatlantische Inselgruppe liefert, sehr ver-schwommen oder uns genauer nicht überliefert. Was wir den an-tiken Quellen entnehmen können, bewegt sich bis auf wenige Ausnahmen im Bereich des Sagenhaften und Mythologisierten. Konkrete geographische Ansätze sind daher – zumindest bei den frühen Autoren – äußerst problematisch. Auffallend ist, dass die in mehreren Schüben bis in die ersten christlichen Jahrhunderte hinein stattgefundene Besiedlung des Archipels nicht zu einem sicher nachweisbaren Rückkontakt zum iberischen oder afrikanischen Festland geführt hat. Ob dies an den widrigen nautischen Verhältnissen – Gegenströmung durch den Kanarenstrom, Gegenwind durch Passat und Harmattan – gelegen hat oder kulturelle Hemmnisse vorhanden waren, lässt sich schwer nachvollziehen. Dass es parallel zur Besiedlung sehr-wohl auch einzelne, entdeckungsgeschichtlich relevante Besuche aus dem Mittelmeerraum bzw. vom nahen Festland aus gegeben hat, wissen wir aus einigen antiken Berichten und aus archäolo-gischen Hinweisen auf den Inseln selbst. Wir können mit einiger Sicherheit annehmen, dass bei Fahrten vom Festland aus neben reiner Entdeckerlust schon sehr früh auch wirtschaftliche und politische Interessen eine Rolle spiel-ten. Dies trifft zumindest auf die Betreiber des Purpurhandels *Mit Ergänzungen und Korrekturen des Autors von 2006. ALMOGAREN XX/1/1989MM61 Abb. 1 Eine von zahlreichen ver-schiedenen antiken Münzen – hier ein Silber-Denar – mit dem idealisierten Bildnis des Königs Juba II. von Maure-tanien. Neben seinem Hals eine Mondsichel. zu, die die Gewässer der benachbarten atlantischen Inseln und afrikanischen Küsten befuhren. Überliefert ist dies von den Phö-niziern und von dem mauretanischen König Juba II. (Abb.1), der schon um 20 v.Chr. eine Kanaren-Expedition aussandte, die erstmals greifbare wissenschaftliche Ergebnisse brachte. Auf-grund der damit gefestigten Kenntnisse über die "Insulae Fortu-natae" bzw. "Insulae Canariae" ist es um so erstaunlicher, dass die Inseln im Europa des frühen Mittelalters nahezu in Verges-senheit gerieten und in den Schriften jener Zeit mit wenig Rea-lismus beschrieben wurden. Auch der sich ab dem 7. Jh. bis nach Nordwestafrika und ab 711 bis nach Spanien ausbreitende Islam scheint die Kanaren kaum in seine hegemonistischen Absichten einbezogen zu haben, was natürlich einzelne Entdeckungsfahr-ten, zufällige Besuche und gezielte Raubzüge der Mauren nicht ausschließt. Besonders letzteres sollte der kanarischen Bevölke-rung noch bis in das 18. Jh. zu schaffen machen. Genauer historisch verifizierbare und damit auch besser da-tierbare Expeditionen zu den Kanaren sind erst für das 14. Jh. bzw. eingeschränkt für das 9. bis 13. Jh. festzustellen. Der Zeit-raum bis zur normannisch-spanischen Eroberung ab 1402 wird gerne als "vorspanische Geschichte der Kanaren" bezeichnet, was 62MMALMOGAREN XX/1/1989 aber, wie wir sehen werden, nicht korrekt ist, da Katalanen, Andalusier und Basken in größerem Ausmaß und mit weitrei-chenden Folgen bereits im 14. Jh. an der Entdeckung der Kana-ren teilhatten. Überhaupt ist der hier beschriebene Zeitraum für die kanarische Geschichte und die ihres politischen Umfeldes im Hinblick auf die Christianisierung der Inseln und auf die portu-giesisch- spanischen Kolonialbestrebungen von größter Bedeu-tung. Aus ethnologischer Sicht bringen die Seefahrer-Berichte dieser Expeditionen die ersten völkerkundlichen Informationen über die altkanarischen Ureinwohner. 2. Die angebliche Handschrift des Ibn-al-Qutiyya Abu Bakr Ibn-al-Qutiyya (?-1032) ist uns als historische Per-sönlichkeit überliefert: Er wirkte als Chronist, Imam und Lehrer im damals arabischen Córdoba und gehörte zu den wichtigen Männern des Reiches. In dem Buch "Resúmen de la geografia física y política, y de la história natural y civil de las Islas Canarias" (Sta. Cruz de Tenerife 1844) bringt der kanarische Au-tor Manuel OSUNA Y SAVIÑON die Zusammenfassung eines Manuskripts, das er Ibn-al-Qutiyya zuschreibt und das in der französischen Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt sein soll. Die Handschrift enthält, so behauptete OSUNA, den Bericht einer arabischen Kanaren-Expedition von 999, den wir hier in groben Zügen wiedergeben: Der arabische Kapitän Ben-Farroukh war zur Bewachung der portugiesischen Küste abkommandiert, als er die vielversprechenden Berichte einheimischer Seeleute über die "Glücklichen Inseln" hörte. Mit 130 Mann Besatzung segelte er daraufhin im Februar des Jahres 334 der Hedschra (945 nach unserer Zeitrechnung / OSUNA gibt fälschlicherweise 999 an) nach Gran Canaria und landete in der Nähe von Gando. Er durchstreifte das bewaldete Innere und stieß auf andere Araber, die bereits vor ihm die Insel entdeckt hatten und offenbar in Frie-den mit den Eingeborenen verkehrten. Die Landsleute führten ALMOGAREN XX/1/1989MM63 ihn nach Galdar, wo er mit dem Häuptling des Kantons, Gua-nariga, zusammentraf. Ben-Farroukh wurde vom "König" und seinem Rat freundlich aufgenommen; umsomehr, als er vorgab, der Kalif Abd-el-Meluk habe ihn geschickt, um Guanariga Freundschaft und einen Beistandspakt anzubieten. Der Häupt-ling war sehr angetan und versorgte die Besucher mit Fleisch, Früchten und Gofio (Paste aus geröstetem Mehl). Ben-Farroukh wendete sich von Gran Canaria aus zu der West-gruppe des Archipels (Tenerife, Gomera, La Palma und Hierro) und segelte dann nach Osten, wo er Fuerteventura und Lanzarote entdeckte. Zwei Fachkollegen OSUNAS, Gregorio CHIL Y NARANJO und René VERNEAU, haben noch im 19. Jh. vergeb-lich nach diesem Manuskript des Ibn-al-Qutiyya gesucht und es ist deshalb mit Recht zu vermuten, dass OSUNA der Fachwelt eine Märchengeschichte erzählt hat. Konkrete Fehler konnte BONNET REVERÓN (1944b) nachweisen. SERRA RAFOLS (1926) spricht von "Betrug". 3. Das frühe arabische Wissen über die Kanarischen Inseln Die Kunde über die Kanarischen Inseln bei den arabischen Schriftstellern jener Zeit war durchaus in gewissem Umfang vor-handen. Zwar ungenau und verbrämt, wenn es sich um Übernah-men der antiken Berichte handelt, aber etwas realer, wenn eige-ne, arabische Erkenntnisse verarbeitet wurden. So schreibt der andalusische Geograph Abu Ubayd AL-BAKRI (1040-1094) in seinem Werk "Kitab al-masalik wa-l-mamalik" über die Glückli-chen Inseln ("Furtunâtash") im Ozean, gegenüber Tanger und dem Atlas-Gebirge, wo Wälder, Gemüse, hervorragende Früchte und aromatische Kräuter wachsen würden. Der Text scheint allerdings ein Auszug aus dem "Tractatio geographiae" ("Etimo-logiae" liber XIV / cap. V) des ISIDORUS von Sevilla (ca. 560 - 636) zu sein, der die Insulae Fortunatae behandelt. In der Plat- 64MMALMOGAREN XX/1/1989 zierung der Inseln gehen die Angaben jedoch auseinander: Wo AL-BAKRI detaillierter, aber zu nördlich ist, spricht ISIDORUS etwas unbestimmt von "Mauritanien gegenüber". Ein anderer Bericht von AL-BAKRI ist uns durch Šams AL-DIN DIMAŠQI (1256-1327) erhalten geblieben. Darin heißt es, dass ein Sturm einige Seefahrer zu den Glücklichen Inseln ver-schlagen habe. Sie hätten von einer Insel ausgehend die anderen erforscht. Dabei hätten die Eingeborenen erzählt, dass vor den Besuchern noch niemand aus dem Osten gekommen sei und man habe daraus geschlossen, dass außer dem umgebenden Meer nichts existiere. Die Seeleute seien dann mit vielen wunderbaren Dingen nach Andalusien zurückgesegelt und hätten viel zu be-richten gewusst. Daraufhin habe eine andere Gruppe von Schif-fen den Versuch gemacht, diese Inseln zu finden, sei aber erfolg-los und durch Stürme dezimiert zurückgekehrt. Das erwähnte Inseldenken dürfte allerdings nicht für Lanzarote bzw. Fuerte-ventura zutreffen, dessen Bewohner nach AL-EDRISI Anfang des 12. Jahrhunderts die marokkanische Küste kannten (& Kapitel 4). Einen der frühesten Berichte liefert uns Ibn Abd al-Munim AL-HIMYARI (?-1494). In seinem "Kitab ar-Rawd al-Mitar" erzählt er, dass Jasjas, ein junger Mann aus Córdoba, in der Mitte des 9. Jhs. mit einigen Freunden in den Ozean hinausgesegelt sei. Sie hätten die Gewässer zwischen dem "Negerland" und Britannien befahren. Nach einiger Zeit seien sie mit zahlreichem Vieh und wundersamen Nachrichten zurückgekehrt. In diesem Ozean wür-den gegenüber dem "Negerland" sechs Inseln liegen, genannt al- Chalidat, "die Ewigen". Auch bei YAQUT IBN-ABDALLAH (1179-1229, zitiert in BIEDERMANN 1983) sind es sechs Ewige Inseln, die am äußersten Rand des Maghreb zu finden sind. Bei IBN FATIMA (in IBN SAID AL-MAGRIBI / 13. Jh. a) sind die Ewigen Inseln eher die Madeiren oder die Azoren. Denn er schreibt, die 24 (sic) "Glücklichen Inseln" (Djazair al-Sa'adat) ALMOGAREN XX/1/1989MM65 würden zwischen den Ewigen Inseln und dem Festland (hier wohl die Iberische Halbinsel) liegen. Ibn al-Zayyat AL-TADILI (?-1230) vermerkt in seinem biogra-fischen Werk "Kitab al-tašawwuf ita riyal al-ta awwuf", dass der Mystiker und Reisende Abu Yahya al-Sa'ih um 1200 die Inseln im Meer des Magrib al-Aqsa besucht hätte, wo eine Vielzahl von Völkern leben würde, denen der Islam unbekannt sei. Al-Sa'ih hätte diesen Menschen die Lehren des Islam gepredigt und hätte sie erst verlassen, als diese das Tasbih-Gebet beherrschten. Die Richtigkeit dieser Überlieferung vorausgesetzt, war der islami-sche Einfluss auf die Religion der Insulaner sicher nicht von nachhaltiger Bedeutung. Einen weiteren Hinweis gibt uns IBN SAID AL-MAGRIBI (ca.1214 - ca.1286; in AL-MAQQARI 16. Jh.). Er spricht von sie-ben Ewigen Inseln westlich der marokkanischen Stadt Salé. Die Inseln seien bei klarem Wetter zu sehen. Dies gelingt nur, wenn die Kanaren gemeint sind, und zwar von dem heutigen Tarfaia (Cap Juby) aus, aber nicht von Salé. AL-MAGRIBI berichtet wei-ter, man würde auf diesen Inseln sieben männliche Götzenbilder vorfinden. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Nicco-loso da RECCO (& Kapitel 8) bei der portugiesischen Expedition von 1341 in einem Tempel auf Gran Canaria eine männliche Sta-tue entdeckte. Neben diesen in menschlichen Dimensionen be-schriebenen Statuen wird aber auch – z.B. von dem bereits er-wähnten YAQUT IBN-ABDALLAH – sehr fabelhaft von riesi-gen Bildsäulen gesprochen, die auf den sechs "Glücklichen In-seln" vorbeifahrenden Schiffen als Orientierungspunkte und Grenzmarkierungen dienen würden. Im Fragment des Pseudo- IBN QUTAYBA (SERRA RAFOLS 1949) ist von zwei weiteren Figuren die Rede, von denen die eine mit den Kanaren in Verbin-dung gebracht werden könnte; die andere ist wohl jenes sagen-hafte Felsgebilde auf Corvo, in dem man einen Reiter zu erken-nen glaubte, der mit einem Arm nach Westen weist. Dass es sich 66MMALMOGAREN XX/1/1989 hierbei um die arabische Verarbeitung der antiken Berichte von den Säulen des Herkules und z.T. auch um Assoziationen mit den meerseitig sichtbaren Felstürmen der Kanarischen Inseln und Azoren handelt, können wir mit großer Sicherheit annehmen. Und schließlich erfahren wir aus der "Muqaddima" des IBN-KHALDUN (1332-1406), dass von den "zahlreichen" Ewigen In-seln im Atlantik, nahe dem Festland, die drei größten auch die bekanntesten seien und dass diese bewohnt wären (siehe auch Kapitel 16). 4. Die acht Abenteurer des Edrisi Der angesehene arabische Geograph und Reisende, Abu- Abdallah-Muhammad AL-EDRISI (1090-1166), gibt uns in sei-nem Werk "Nuzhat al-mustaq fi ijtiraq al-afaq" (lateinische Über-setzung: Geographia Nubiensis) den detailliertesten Bericht über arabische Aktivitäten in Richtung Kanarische Inseln. EDRISI, der sich selbst in dem damals maurischen Lissabon (Achbouna) auf-gehalten hatte, konnte diese Geschichte aus erster Hand erfahren haben. Demnach hatten sich acht verschwägerte Araber aus Lissabon zusammengetan, um ein kleines Handelsschiff zu bauen. Sie rüs-teten es mit Trinkwasser und Proviant aus und stachen damit 1124 in See. Das Ziel der Mugharrirun genannten Abenteurer stand offenbar nicht genau fest. Mit Hilfe östlicher Winde erreichten sie nach elf Tagen einen Meeresteil, der ihnen wegen seiner ho-hen Wellen, seines dichten, übel riechenden Nebels und der zahl-reichen Klippen wenig zusagte. Sollten dies die Azoren mit ihren vulkanischen Ausdünstungen gewesen sein, dann müsste korrek-terweise die "Süd"-Angabe im folgenden Satz eine Südost-An-gabe sein. Weitere zwölf Tage Fahrt in südlicher Richtung brachten sie zur ersten Insel, auf der sie landeten. Sie nannten sie El-Gha-nam, die "Kleinvieh-Insel" ("Kleinvieh" kann bei den Arabern ALMOGAREN XX/1/1989MM67 Schaf oder Ziege bedeuten; letzteres erscheint am sinnvollsten), da sie auf ihr große Mengen kleiner Ziegen vorfanden, deren Fleisch sich aber als ungenießbar bitter erwies. Die den Haustie-ren zugehörigen Hirten entdeckten sie nicht auf der "großen, mit einer dichten Finsternis (Nebel) umgebenen Insel", dafür aber "eine Quelle mit sprudelndem Wasser, beschattet von einem wil-den Feigenbaum". Sie nahmen nur die Felle der Tiere mit und segelten nochmals zwölf Tage in südlicher Richtung, wo sie auf eine Insel stießen, die kultiviert und bewohnt aussah. Als sie sich der Insel näherten, tauchten Boote mit Eingeborenen auf, die die Seefahrer gefangen nahmen. Während einer drei Tage dauern-den Gefangenschaft lernten sie die Insulaner als gutgebaute, kup-ferhäutige Männer mit langen, lockeren Haaren kennen. Auch die Frauen sollen von großer Schönheit gewesen sein. Als die Mau-ren vor den Häuptling gebracht wurden und ihr Abenteuer er-zählten, hielt er ihnen die Nutzlosigkeit ihres Umherirrens vor. Schon sein Vater hätte einmal einige Untertanen losgeschickt, die nach einem Monat fruchtloser Fahrt wieder zurückgekehrt sei-en. Es existierte also durchaus nautisches Können und Entde-ckergeist unter den Altkanariern. Eigenschaften, die mögli-cherweise mit den zunehmenden Raubzügen zu ihren Inseln zu-gunsten einer freiwilligen Isolation aufgegeben bzw. auf den in-sularen Raum beschränkt wurden. Interessanterweise soll bei der Unterhaltung mit dem Häuptling ein Arabisch sprechender Ein-geborener als Dolmetscher gedient haben. Die Gefangenen wurden wieder in ihre Hütte zurückgebracht. Und als einmal der (seltene) Westwind wehte (wie bei winterli-chen Tiefdrucklagen), setzte man sie mit verbundenen Augen in "drei Tagen und drei Nächten" zur marokkanischen Küste über, wo sie an einem Strand mit auf den Rücken gebundenen Händen freigelassen wurden. Dort fand sie die berberische Bevölkerung und einer der Leute befragte sie nach der Entfernung zu ihrem Heimatland. Sie antworteten, sie könnten nicht viel mehr erzäh- 68MMALMOGAREN XX/1/1989 len, als dass zwei Monate Fahrt dazwischen liegen würden. Wo-rauf der Anführer der Abenteurer rief: "Va asafi!", sinngemäß "Oh, was ist mir widerfahren!". Von diesem Ausruf soll diese Ankerbucht den Namen Asafi erhalten haben – heute die Stadt Safi, die über 500 km im Nordosten von Lanzarote liegt, was allerdings die lange Zeit für das Übersetzen erklären würde. Enttäuscht und desillusioniert kehrten die Abenteurer nun nach Lissabon zurück. Trotz aller fabulierenden Züge kann diesem Bericht des EDRISI nicht ein realer Kern abgesprochen werden. Der eine oder andere Hinweis scheint durchaus auf die Kanaren zuzutreffen: z.B. die auffallende Schönheit der Menschen, die immer wieder auch von den späteren Konquistadoren erwähnt wird, der ara-bisch sprechende Dolmetscher und die Nähe zum marokkani-schen Festland. Nimmt man einige Angaben hinzu, die EDRISI an anderer Stelle macht, dann könnte auch die Konstellation der Inseln für die Kanaren sprechen. Er erwähnt nämlich Al- Akhwayn-al-Sahharayn, die "Insel der Zauber-Brüder", die Safi gegenüber liegen soll. Dies würde für Madeira zutreffen, das aber wegen seiner Unbewohntheit nicht in Frage kommt. Eher scheint hier Lanzarote oder Fuerteventura gemeint zu sein, wobei eine dieser Inseln vermutlich auch jene ist, die die acht Seefahrer als bewohnt vorfanden. Der französische Historiker D'AVEZAC (1848) sah in den beiden Zauber-Brüdern, die bei EDRISI Chirâm und Chirhâm heißen, die Lanzarote nördlich vorgelagerten Felsen Roque del Este und Roque del Oeste. Nach EDRISI waren die beiden Brü-der Piraten, die von den kanarischen Gewässern aus ihr Unwe-sen trieben und von Gott zur Strafe in zwei Felsen verwandelt wurden. EDRISI erwähnt ergänzend, dass die Entfernung zur "In-sel der Zauber-Brüder" so gering gewesen sei, dass die Bewoh-ner des Kontinents dort Rauch hätten aufsteigen sehen. Letzte-res ist freilich nur erklärbar wenn es sich um einen Vulkan-ausbruch gehandelt hat. Interessant, wenn auch sehr mit Vorsicht ALMOGAREN XX/1/1989MM69 zu genießen, ist EDRISIs Bemerkung, dass die Insel nach dem Verschwinden der beiden Piraten wieder bewohnt war. Zur Zeit der Besetzung ihrer Insel wären demnach die Ureinwohner ver-trieben gewesen. Der marokkanische Almoraviden-Sultan Ali-ben- Yusuf-ben-Tashufin (1106-1146) soll sogar – angeregt durch die wundersamen Nachrichten der Mugharrirun über die nahen Inseln – geplant haben, diese zu erobern, was aber sein überra-schender Tod verhindert habe. EDRISI erwähnt im Zusammenhang mit einer Gruppe von sechs "ewigen" Inseln, bei denen Ptolemäus die Zählung seiner Längengrade begonnen habe, also die Kanaren, noch weitere Na-men: Masfahan mit einem runden Berg in der Mitte (Tenerife) und "Lagous" oder "Lamghush", das als Nachbarinsel von "Masfahan" Gran Canaria sein könnte (Abb. 2). EDRISI, der bei der Beschreibung dieser Inseln eine sehr phantastische Version der Säulen-Geschichte bringt, erwähnt aber andererseits sehr konkret die Qualität des Ambras (Darmstein des Pottwals), das an ihren Küsten gefunden würde. Wale und Robben waren zur damaligen Zeit in den kanarischen Gewässern sehr häufig; noch heute zeugen Ortsnamen, wie "Lobos" (Seehund-Insel) und "Caleta del Sebo" (Bucht des Talgs – auf La Graciosa ist hier Walfett gemeint) von dieser Tatsache. Die von den Abenteurern zuerst entdeckte Ziegeninsel mit dem Quellwasser dürfte mit ziemlicher Sicherheit Madeira gewesen sein, das offiziell erst 1419-20 von den Portugiesen João Gon-çalves Zarco und Tristão Vaz Teixeira (wieder)entdeckt wurde und bis dahin unbewohnt war – von gelegentlichen Besuchen der Phönizier abgesehen, die es vermutlich im Rahmen ihrer Pur-purgewinnung anliefen. Von diesen könnten die herrenlosen (ver-wilderten) Ziegen stammen und auch die Feigenbäume, die sich von Vorderasien kommend im Mittelmeergebiet ausbreiteten; archäologische Zeugnisse dafür gibt es bis dato jedoch nicht. Die Portugiesen fanden zwar angeblich1 keine nennenswerten Säu-getiere auf Madeira vor, was aber nicht unbedingt gegen die Exis-tenz der Ziegen spricht, die sich in unzugängliche Gebiete zu- ! " # ! $ % 70MMALMOGAREN XX/1/1989 Insel "masfahan" (Tenerife) Insel "lagūs" (vermutl. Gran Canaria) Abb. 2 Nordwest-Marokko in der Darstellung des Edrisi (Ta-bula Rogeriana, entstanden 1154 auf Sizilien). Ausschnitt aus Konrad Mil-ler (1994): Mappae Arabi-cae.- Institut für Gesch. der Arabisch-Islamischen Wis-senschaft. (Univ. Frankfurt), Nachdruck der Ausg. Stutt-gart 1926-1931. Die Blick-richtung ist von Nord nach Süd! Der ursprünglich ara-bische Text wurde in lateini-sche Schrift übertragen. Meerenge von Gibraltar ALMOGAREN XX/1/1989MM71 rückgezogen haben konnten. Dies um so mehr, als zur Rodung ein Feuer gelegt wurde, das unkontrolliert mehrere Jahre ge-brannt haben soll (BARROS 1552). Valentin FERDINAND (1507) berichtet sogar ausdrücklich von Ziegen auf Porto-Santo, mit de-ren Fleisch die Kastilier auf ihren Fahrten von Andalusien zu den Kanarischen Inseln schon lange vor 1418 ihr Proviant aufzu-frischen pflegten. Die Lage Madeiras im Norden der Kanaren würde auch erklären, warum die acht Seefahrer die relativ lange Zeit von 12 Tagen benötigten, um zur nächsten Insel im Süden zu gelangen. Stimmt die Angabe "nach Süden", dann kann die Ziegeninsel kaum eine der Kanaren-Gruppe gewesen sein, die sich in öst-/westlicher Richtung ausdehnt. Nahe der Ziegeninsel lag – nach EDRISI – auch Raca oder Toyour, die "Vogel-Insel", die sich dann mit Porto-Santo, Deserta Grande oder vielleicht auch Selvagem Grande identifizieren ließe. Letztere ist zwar deutlich von Madeira entfernt, läge aber auf der Route. Es bleibt noch zu erwähnen, dass der arabische Schriftsteller IBN AL-WARDI (1260-1349) den Text des EDRISI aufgreift und damit wohl die erste Sekundärliteratur zu diesem Thema geschaf-fen hat. Im 14. Jh. folgte der marokkanische Reisende und Ge-schichtsschreiber IBN-BATTUTA (1304-1377) und im 15. Jh. AL-HIMYARI. Mit den geschilderten Überlieferungen wird – trotz allem Nebulösen – deutlich, dass maurische Seefahrer des 9. bis 12. Jhs. in Richtung der makaronesischen Archipele einen mehr oder weniger zielbewussten Entdeckergeist entwickelten, der den seefahrenden Europäern jener Zeit offenbar fehlte. Große An-strengungen der Araber blieben aber wohl aus der traditionellen Angst vor dem "Meer der Finsternis" (Atlantik) aus. 5. Genuesen und der Weg nach Indien: die Fahrten der Vi-valdis Auf Initiative und mit großem finanziellem Engagement des Genuesen Tedisio d'Oria, Sohn des berühmten Admirals Lamba 72MMALMOGAREN XX/1/1989 d'Oria, wurde im Winter 1290 eine Expedition vorbereitet, deren Ziel es war, den Seeweg von Genua nach Indien zu öffnen. D'Oria verzichtete zwar auf eine Teilnahme, konnte aber die Gebrüder Vadino und Ugolino (Guido) Vivaldi für die Fahrt gewinnen. Un-ter ihrer Leitung stachen im Mai 1291 die zwei Galeeren "Alle-granza" und "Sant'Antonio", beladen mit Handelsgut, in See. Nach einem Aufenthalt auf Mallorca und Zwischenstops an der spanischen Küste passierten sie die Straße von Gibraltar und se-gelten die afrikanische Küste entlang nach Süden. Die letzte Sich-tung der beiden Schiffe erfolgte nach der Chronik des Jacopo D'ORIA (Genova 1294) bei "Gozora" oder "Gozola", nach dem Berberstamm der Guezzoula in der Nähe des Cap Noun. Was dann geschah entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Ein wenig Licht in das Dunkel bringt uns – mit allem Vorbe-halt – die Erzählung eines anderen genuesischen Afrika-Fahrers: Antoniotto USODIMARE, der 1455 bis zum Fluss Gambia ge-kommen war. In der Handschriftensammlung "Itinerarium Antonii Ususmaris Civis Januensis" (17. Jh. / aufbewahrt in der Biblioteca Universitaria di Genova) ist die Kopie eines Briefes enthalten, den USODIMARE am 12. Dezember 1455 in Lissabon an seine Gläubiger in Genua schrieb. Darin berichtet er sehr un-glaubhaft, er habe im Gebiet des Gambia einen Landsmann ge-troffen, der von sich behauptete, der einzige überlebende Nach-komme der Besatzung der Vivaldi-Expedition zu sein. Und in einer anderen Handschrift der Sammlung heißt es, dass ein Schiff der Expedition auf der Höhe von Guinea gestrandet sei, während es das andere bis Menam in Äthiopien geschafft habe. Im "Libro del conoscimiento", einer Sammlung geographischer Informati-onen (Anonymus ca. 1385 / & Kapitel 12), wird erzählt, dass ein Schiff Amenuan in Äthiopien erreicht habe, wo es "zerbrochen sei" (in einem Sturm?) und von der Besatzung noch verlassen werden konnte. Das andere Schiff sei "entkommen" (diesem Sturm?) ohne dass man wisse, was dann geschah. Da für letzte- ALMOGAREN XX/1/1989MM73 res keine genaue Ortsangabe gemacht wird, ist offen, ob dies ebenfalls bei Amenuan passierte oder schon früher. Übereinstim-mend berichten beide Quellen von der Gefangennahme der ei-nen Schiffsbesatzung in Menam bzw. Amenuan. Der Kompilator des "Itinerarium", der bis auf den Brief nicht identisch mit USODIMARE ist, hat hier wohl auf Informanten zurückgegrif-fen, die das "Libro del conoscimiento" oder eine grobe Version davon kannten und verfälschte Teile daraus weitergaben. Die Daheimgebliebenen in Genua machten sich zunächst kei-ne Sorgen wegen des langen Ausbleibens der Vivaldi-Brüder, musste man in der damaligen Zeit doch mit ungefähr zehn Jah-ren für eine Afrika-Umrundung rechnen. Erst 1312 machte sich die erste Suchexpedition unter Lancelotto Malocello auf den Weg (& Kapitel 6) und – nach der Kalkulation einiger Historiker um 1315 (& HENNIG 1953) oder 1325 (BONNET REVERÓN 1944c, SALVADORI 1942) – eine zweite unter Sor Leone Vivaldi, Sohn des Ugolino. Die Route seiner Suchaktion verlief je nach Hypo-these zu Lande nach Ostafrika, über den Atlantik (um Afrika herum) oder über das Arabische Meer, wobei er schließlich in Mogadischu eine Spur seines Vaters gefunden haben soll. Die einzige Quelle über letzteres, auf der das ganze Denkgebäude seiner Suche basiert, ist das erwähnte "Libro del conoscimiento". Beide Fahrten der Vivaldis bewegen sich trotz dieser Informa-tionen doch sehr im Ungewissen und Legendenhaften, was letztlich eine Bewertung des Erfolgs oder Misserfolgs äußerst schwierig gestaltet. Vor allem die Suche des Sor Leone könnte eine romantisierende Erfindung des Autors des "Libro del conoscimiento" sein. Moderne Kritiker geben zu Bedenken, dass das von ihm genannte "Magdasor" auch das marokkanische Mogador (Essaouira) und nicht das somalische Mogadischu sein könnte (PÉREZ EMBID 1948). Die Vivaldis der ersten und ver-mutlich einzigen Expedition hätten es dann nur bis zur nordwe-stafrikanischen Küste geschafft, wobei die Mannschaften Schiff- 74MMALMOGAREN XX/1/1989 bruch erlitten und/oder von berberischen Piraten ins Landesinnere verschleppt wurden – eine Interpretation, die vernünftig erscheint, denn Marokko lag damals im Krieg mit der Republik Genua. Ob die Expedition der Gebrüder Vivaldi auch Kontakt mit den Kanaren hatte, muss – obwohl manches dafür spricht – im Be-reich des Spekulativen bleiben. Auszuschließen ist eine Sichtung oder sogar ein Betreten aufgrund der Meerenge zwischen Süd- Marokko und Fuerteventura bzw. Lanzarote nicht. Es ist auch zu vermuten, dass die Genuesen von der Existenz der Kanaren wussten und zum Zweck der Rast und Proviantauffrischung wohl lieber die "Glücklichen Inseln" als die unwirtliche afrikanische Küste angelaufen hätten. Einen vagen Hinweis finden wir bei dem italienischen Dichter Francesco PETRARCA (1304-1388). In seinem Werk "De vita solitaria" (1346) spricht er von einer "januensium armata classis", die nach der Überlieferung der Vä-ter auf den Kanaren gelandet sein soll. Ist dabei einer der beiden Franziskaner-Missionare, die auf der ersten Vivaldi-Expedition mitgenommen wurden, auf den Kanaren zurückgeblieben? In ei-nem von TORRIANI zitierten Passus aus der leider verscholle-nen Chronik des Advokaten Antonio de TROYA (Las Palmas de G.C. 1530 - Sta. Cruz de La Palma 1577) heißt es sinngemäß, dass hundert Jahre bevor Bethencourt (um den Jahreswechsel 1405/6) die Insel Hierro unterwarf, also ca. 1306, ein gewisser Yone (Yoñe bei VIERA, Jonne bei MARIN DE CUBAS; liegt hier eine Ver-stümmelung von "Giovanni" vor?) kurz vor seinem Tod die An-kunft des wahren Gottes prophezeit hätte. WIPF (1988) vermutet in Yone einen christlichen Missionar und setzt sein Wirken, fälschlicherweise von 1419 (nach TORRIANI) als Ankunftszeit Bethencourts ausgehend, in die Zeit Lancelotto Malocellos auf den Kanaren, die erst mit dem Jahr 1312 begann. Das Todesjahr des Yone rückt aber zeitlich eher in die Nähe der Vivaldi-Expedi-tion von 1291. Diese Ankunftszeit hätte Yone dann um rund 15 Jahre überlebt, was realistisch erscheint. ALMOGAREN XX/1/1989MM75 ALVAREZ DELGADO (1967: 320) signalisiert die Möglich-keit, dass der Name des ebenfalls als christlicher Missionar inter-pretierbaren Eiunche von Gomera eine Variante des Yone (iunech) von Hierro ist. Wir hätten es dann nur mit einer einzigen Person zu tun, die auf den beiden Nachbarinseln den christlichen Glau-ben verbreitete. Für einen Kontakt der Vivaldi-Expedition mit den Kanarischen Inseln spricht auch die auffällige Namensgleichheit der einen Ga-leere mit der Insel Alegranza, auf die man bei einer Annäherung von dem oben genannten Cap Noun als erste gestoßen sein konn-te. Nach einer Hypothese von MAGNAGHI (1935) haben die Gebrüder Vivaldi den Seeweg nach Indien nicht um Afrika her-um, sondern westwärts über den Atlantik gesucht und hatten die Kanarischen Inseln dabei fest im Visier. Selbst wenn die Planung einer Atlantik-Überquerung nach den damaligen Kenntnissen un-wahrscheinlich ist, bleibt immer noch die Möglichkeit, dass die Kanarischen Inseln auf dem Weg zum Äquator zufällig oder be-wusst angelaufen wurden. Als Denkmodell für eine Namensgebung durch die Vivaldis sei folgender Ablauf skizziert: Die "Allegranza" strandete an der nördlichsten Kanaren-Insel, die daraufhin den Namen dieses Schiffes erhielt. Das Schiff musste aufgegeben werden und seine komplette Besatzung wurde von der "Sant' Antonio" aufgenom-men. Nach dem Besuch anderer Inseln des Archipels (s.o.) stellte man fest, dass zwar der Proviant erneuert werden konnte, dass aber die Verhältnisse an Bord (fehlender Stauraum für doppelte Vorräte und Platznot in den Quartieren, erschwerte Manövrier-fähigkeit) gegen eine Fortsetzung der Expedition sprachen, die ja unbekannte Gewässer und Küsten zum Ziel hatte. Die "Sant' Antonio" segelte darauf in Richtung Festland zurück, wo sie von Arabern gekapert wurde. Die Abenteuer in den kanarischen Ge-wässern und die damit verbundene Namensgebung wurden von den Besatzungsmitgliedern während ihrer Gefangenschaft bzw. Versklavung weitererzählt und Kenntnis darüber gelangte nach 76MMALMOGAREN XX/1/1989 dem nicht allzu fernen Sevilla und von dort nach Genua. Letzte-res allerdings nicht vor 1312, denn erst zu diesem Zeitpunkt star-tete Malocello seine Suchaktion. Möglicherweise in Sevilla hörte der Autor des "Libro del conoscimiento" von den Vivaldis und verarbeitete die Nachrichten zu einer reichlich phantastischen Geschichte, deren realer Kern nur schwer zu extrahieren ist. Die Kanaren als Etappenziel oder Brückenkopf bei längeren Seefahrten zu benützen liegt auf der Hand und wurde in den fol-genden Jahrhunderten ausgiebig praktiziert, sowohl bei der Ero-berung Amerikas als auch bei der Entdeckung des indischen und pazifischen Ozeans. Wie auch immer die Realität im Fall der Vivaldi-Expedition aussehen mag, so muss ihr doch zugespro-chen werden, dass sie eine Ära der Entdeckungen einleitete, die vor allem den Seefahrern des westlichen Mittelmeerraumes neuen Auftrieb zur Erforschung der afrikanischen bzw. atlanti-schen Gewässer gab. 6. Die Landnahme des Lancelotto Malocello In den Annalen der Stadt Genua finden wir vom Anfang des 12. bis zum Ende des 14. Jhs. immer wieder Angehörige der Fa-milie Malocello (oder Marocello) unter den höheren Beamten der Republik (BONNET REVERÓN 1944c). Ein Mitglied der Fami-lie, Lancelotto Malocello, machte sich 1312 auf die Suche der ver-schollenen Gebrüder Vivaldi, ob aus eigenem Antrieb oder mit amtlichem Auftrag ist unbekannt. Über den Verlauf seiner See-reise erfahren wir nur Bruchstückhaftes aus verschiedenen alten Quellen. 1629 und 1630 veröffentlichte Pierre Bergeron in Paris Ausga-ben des als "Canarien" (& BOUTIER & LEVERRIER 1405) be-kannt gewordenen Augenzeugenberichts über die Eroberung der Kanaren durch Jean IV. de Bethencourt und Gadifer de la Salle. Basierend auf einer durch Jean V. de Bethencourt gefälschten ALMOGAREN XX/1/1989MM77 Vorlage heißt es im Kapitel XXXII über eine Episode auf Lanzarote: "...und einige Tage später schickte Gadifer einige Leu-te los, um Gerste zu suchen, denn sie hatten nur noch wenig Brot übrig; alsdann sammelten sie große Mengen des Getreides und lagerten es in einer alten Burg, die Lancelote Maloisel vor langer Zeit errichtet hatte, wie man sagt." Die gleiche Textstelle heißt in der 1888 wiederentdeckten Salle-Version des Canarien: "... und lagerten es in einer alten Burg, die Lancelote Maloisel vor langer Zeit errichtet hatte, als er dieses Land eroberte, wie man sagt." Offenbar wollten die Nachkommen Jean IV. nicht, dass der Ruhm der Eroberung Lanzarotes einem anderen zugesprochen wird, denn in der Bethencourt-Version des Canarien wird immer wieder der Versuch unternommen, die Rolle Jean IV. in übertrie-bener Weise zu glorifizieren. Dies rief nun einen Zweig der Familie Malocello auf den Plan, die mittlerweile in der Normandie unter dem Namen Maloisel seßhaft geworden war. Ein Anonymus aus dieser Familie veröf-fentlichte 1632 in Caen ein Traktat, in dem er gegen die Darstel-lung im Canarien protestiert und seinen italienischen Vorfahren als den ersten und wirklichen Eroberer Lanzarotes darstellt. In einem Brief, den der französische Schriftsteller Abbé J. Paulmyer am 19. April 1659 an den Historiker Du Chesne in Rouen schreibt (RONCIERE 1896), erfahren wir weiteres: Demnach bekräftige die Familie Maloisel Dokumente zu besitzen, die den Anspruch Malocellos, die Kanaren zuerst erobert zu haben, beweisen wür-den. Die Expedition habe er 1312 unternommen, angeregt durch einen (sehr zweifelhaften) Bericht normannischer Seeleute aus Cherbourg, die an der spanischen Küste Handel getrieben hätten und durch einen Sturm zu den Kanaren verschlagen worden sei-en. Sollte die Fahrt der "matelots de Cherebourg" jedoch auf Tat-sachen beruhen, dann stellt sich die Frage, was wirklich der Grund für Malocello war, seine Expedition zu unternehmen: die Suche nach den Vivaldis oder der Wunsch neue Inseln zu ero- 78MMALMOGAREN XX/1/1989 bern? Oder wollte er sogar das eine mit dem anderen verbinden? Letztlich muss ihm sein eigenes kleines "Reich" auf Lanzarote wichtiger gewesen sein, als die Suche nach den Landsleuten fort-zusetzen; dies um so mehr, als Malocello während seines Kana-ren- Aufenthaltes von dem Schicksal der versklavten Vivaldis, so wie es in Kapitel 5 angedeutet ist, erfahren haben konnte. Dem Brief Paulmyers entnehmen wir weiterhin, dass sich Malocello zumindest einen Teil von Lanzarote unterwarf und ein Fort erbaute. Er lebte dort 20 Jahre, bis er durch einen Aufstand der Insulaner mit Hilfe ihrer "Nachbarn" (Bewohner des nicht unterworfenen Teils der Insel oder Eingeborene von Fuerteven-tura?) vertrieben wurde. Warum waren die Eingeborenen so schlecht auf ihn zu sprechen? Hat er möglicherweise Angehörige von ihnen als Sklaven verkauft? 1328, also zur Zeit Malocellos auf den Kanaren, nahmen Mal-lorkiner zwanzig Untertanen des maurischen Königs von Grana-da gefangen (SEVILLANO COLOM 1972). Unter diesen befandt sich auch ein "Assamar ben Ali al-Canari". War dies ein Maure, der zufällig einen Namen hatte, der an die Kanaren anklingt, oder war es ein Maure, der die Kanaren besucht hatte, oder war es ein kanarischer Sklave, der seine Herkunft im Namen zum Ausdruck brachte? Die entsprechenden Dokumente (Archivo Histórico de Mallorca) bringen leider keine restlose Klärung. Das bereits zitierte "Libro del conoscimiento" liefert zusätzli-che Informationen über Malocello. Angeblich hat sein Autor selbst eine Reise zu den Kanaren unternommen und erfährt dort von seiner maurischen Begleitung, Lanzarote sei nach dem Ge-nuesen "Lançarote" benannt, der dort von den Eingeborenen um-gebracht worden sei. Letzteres kann wahrscheinlich verneint wer-den, denn nach RONCIERE (1925-27, Bd. 2) trat Malocello 1338 – wie einige andere Familienmitglieder auch – in französiche Dienste und nannte sich dann "Maloisel". Einen weiteren Hin-weis finden wir in den Notariatsakten von Genua. Demnach hat ALMOGAREN XX/1/1989MM79 dort am 1. April 1330 ein Lancerotto Marocello eine Unterschrift geleistet (BONNET REVERÓN 1944c). Nach den Aussagen der Maloisels im 17. Jh. hat Malocello aber mindestens bis 1332 auf Lanzarote gelebt. Entweder stimmt dieses Datum nicht und Malocello kehrte früher zurück, oder er hat seinen Aufenthalt auf Lanzarote tatsächlich unterbrochen. Weitere Details verdanken wir dem kanarischen Chronisten und Gelehrten Tomas Arias MARIN DE CUBAS (1694). In sei-nem Geschichtswerk "Historia de las siete Islas de Canaria" er-wähnt er im Libro I / Cap. II, dass ein Lançeloto Mailesol 1320 (!) Handel auf den Kanaren betrieb. Wenn Malocello tatsächlich als Händler auftrat, dann benötigte er auch Nachschub. Laufen-de Kontakte mit dem Festland während seines Kanaren-Aufent-haltes wären somit nicht unwahrscheinlich. Auch ein Besuch der anderen Inseln liegt nahe. MARIN DE CUBAS vermerkt darüber-hinaus (Cap. III), dass Malocello im "Puerto de Guanapayo", der heutigen Famara-Bucht an der Westküste Lanzarotes, ein Fort erbaute, dessen Grundmauern Bethencourt 90 Jahre später vor-fand und "vieu chastel" nannte. Tatsächlich soll das Fort der Überlieferung zufolge auf dem Vulkan Guanapay angelegt wor-den sein, der sich 6,6 km von der Küste entfernt bei der Stadt Teguise erhebt. Auf den Ruinen der Malocello-Burg wurde von den spanischen Herren der Insel zum Schutz vor Piratenüber-fällen erneut ein kleines Fort errichtet, dass aber seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Als der spanische König Felipe II. 1587 den italienischen Inge-nieur und Festungsbauer Leonardo TORRIANI beauftragte, die Möglichkeiten einer Befestigung der Kanarischen Inseln zu un-tersuchen, kam TORRIANI 1590 auch nach Lanzarote. 1596 wur-de das von Piraten stark ramponierte Castillo de Guanapay unter der Berücksichtigung der Vorschläge von TORRIANI restauriert und zur heute noch existierenden Erscheinungsform umgebaut. Die Hypothese des kanarischen Autoren Simón BENITEZ PA- 80MMALMOGAREN XX/1/1989 Abb. 3: Grundriss des Castillo de Santa Barbara oder Castillo de Guanapay auf Lanzarote nach der Restaurierung von 1596 (Zeichnung von Pedro Agustin del Castillo y Ruiz de Vergara 1686) ALMOGAREN XX/1/1989MM81 DILLA (1960), wonach er den Platz der Malocello-Burg an der Stelle des heutigen Castillo de San Gabriel in Arrecife vermutet, erscheint wenig fundiert; ebenso die Annahme von ALVAREZ DELGADO (1957b), die Burg sei im Rubicón errichtet worden. Beide Lokalitäten sind strategisch weitaus weniger günstig als der Vulkan Guanapay. 1984 ging eine Meldung durch die ka-narische Presse, wonach die lanzarotischen Amateur-Archäolo-gen Antonio Romero Mora und Agustin Pallarés Lasso in unmit-telbarer Nähe des Castillo de Guanapay (Abb. 3) ein Stück Mau-er und andere Siedlungsspuren fanden, die man mit der Malo-cello- Burg in Verbindung brachte. Dies erwies sich jedoch als un-haltbar, da es sich offenbar um neuere Reste im Zusammenhang mit dem Umbau handelte. Für einige Konfusion im Zusammenhang mit Lancelotto Malo-cello sorgte eine Textstelle im dritten Band der "Historia de Por-tugal", die der portugiesische Historiker Fortunato de ALMEIDA 1925 in Coimbra veröffentlichte. Er gibt dort den Text von drei Dokumenten wieder, in denen der portugiesische König Fernão I. 1370 die Inseln "Nossa Senhora a Franca" (= Lanzarote) und "Gomeira" (= Gomera) seinem Admiral Lançarote da Franca und später auch dessen Sohn, Lopo Afonso da Franca, vermacht. Die Authentizität dieser Dokumente wurde von der Fachwelt stark angezweifelt, da ALMEIDA weder das Original, noch eine Ko-pie beischaffen konnte. Vielmehr behauptete der Autor, die Do-kumente stammten aus einem Privatarchiv, das aber später zer-stört worden sei. Die portugiesische Geschichtsforschung über-ging daraufhin diese Texte durch Nichtbeachtung. Lediglich João Martins da SILVA MARQUES druckte sie in seiner 1944 erschie-nenen Dokumentensammlung "Descubrimentos Portugueses" ab. Das allerdings veranlasste den angesehenen belgischen Histo-riker Charles VERLINDEN (1958), diesen Dokumenten einen ge-wissen Wahrheitsgehalt beizumessen. In seinem Beitrag verweist er auf die hohe Bedeutung, die genuesisches nautisches Wissen für die Expansionspolitik Portugals hatte. Dies ist, wie wir im 82MMALMOGAREN XX/1/1989 Fall der Genuesen Niccoloso da Recco und Emmanuele Pessagno wissen, durchaus zutreffend. Letzterer wurde 1317 sogar zum portugiesischen Erb-Admiral ernannt. Extrem hypothetisch wird es aber, wenn VERLINDEN Lancelotto Malocello mit jenem Lançarote da Franca identifiziert und seine Entdeckung Lanza-rotes in das Umfeld der nautischen Aktivitäten des Admirals Pessagno stellt. Eine genaue Analyse seiner Argumentation (& SERRA RAFOLS 1961) fördert einige chronologische Ungereim-theiten zutage, die seine These als sehr unwahrscheinlich erschei-nen lassen. Ganz abgesehen von dem weiter oben Aufgeführten, sowie den Seekarten ab 1339, in denen die Umrisse Lanzarotes mit dem genuesischen Wappen gefüllt sind. Die Geographen der damaligen Zeit haben Lanzarote als Territorium der Republik Genua angesehen. Ja, mit der Zuerkennung der Souveränität über Genua wurden König Robert v. Neapel 1343 vom Papst sogar die ganzen Kanaren zugesprochen (Odorico RINALDI: "Annales Ecclesiasticae" für 1344). So wenig wir letztlich über die Unter-nehmung Malocellos wissen – mit ihr beginnt die konkrete Ge-schichtsschreibung der Kanarischen Inseln. 7. Unsichere Kontakte mit Gran Canaria 1339 Es sei kurz auf eine Quelle eingegangen, die uns einige schwer zu bewertenden Informationen über den ersten aragonesischen bzw. mallorkinischen Kontakt mit den Kanaren gibt: Fray José de SOSA (1678) erwähnt in seiner "Topografía de la Isla Fortu-nada Gran Canaria", dass Gran Canaria 1339 von zwei mallorki-nischen Schiffen angelaufen worden sei. Die Besatzung habe freundschaftlich mit den Eingeborenen verkehrt und habe sogar zwei Kapellen errichtet, gewidmet der Hln. Catalina bzw. dem Hl. Nicolas. Der Bau dieser Kapellen wird übrigens von allen anderen Chronisten späteren Fahrten zugeordnet und wäre wohl auch der Expedition von 1343 aufgefallen. ALMOGAREN XX/1/1989MM83 Bei der Abfahrt sollen die Mallorkiner versprochen haben, die Canarios ein zweites Mal zu besuchen. Sollte SOSA hier keine Daten mit späteren Ereignissen, etwa den Fahrten von 1342 oder 1352, verwechselt haben (wofür alles spricht), dann ist der in Kapitel 13 beschriebene Beginn der organisierten mallorkini-schen Christianisierung der Inseln viel früher anzusetzen. Und zwar vor den Besuch Reccos auf Gran Canaria! Erklärt sich dadurch sein freundlicher Empfang durch die Eingeborenen oder war es nur die unbekümmerte, noch nicht getrübte Neugier des "Wilden"? Für die Angaben SOSAs existieren keine nachprüfba-ren dokumentarischen Unterlagen, so dass diese Expedition sehr vorsichtig, wenn nicht sogar apokryph zu behandeln ist. 8. Recco und der Beginn portugiesischer Expansionspolitik Erst im 19. Jh. erhielt die Geschichtsforschung Kenntnis von einer Expedition, die Portugal im 14. Jh. zu den Kanaren ge-schickt hatte. Sebastiano Ciampi entdeckte in der Biblioteca Magliabecchi (heute Biblioteca Nazionale Centrale, Florenz) eine lateinisch abgefasste Sammelhandschrift und darin die Manus-kript- Kopie "De Canaria Et De Insulis Reliquis Ultra Hispaniam In Oceano Noviter Repertis". Sie Giovanni Boccaccio zuschrei-bend veröffentlichte er das Manuskript 1827 in Florenz. Von da ab erfuhr es zahlreiche italienische, portugiesische, spanische und französische Übersetzungen. Eine komplette deutsche Überset-zung liegt m.W. bislang nicht vor2 (Teilübersetzungen in HEN-NIG 1953 und VON LÖHER 1876). Der Text bzw. das verscholle-ne Urmanuskript wurde von florentinischen Händlern Ende 1341 in Sevilla aufgezeichnet und gibt den Bericht des Niccoloso da RECCO wieder. Eine vollständige Übersetzung des Textes würde den Rahmen die-ses Aufsatzes sprengen; deshalb an dieser Stelle nur eine Zusam-menfassung, ohne wichtige völkerkundliche Details auszulassen: & ' ! ( ) ' ) * + ) , - ./01* 2 3 4 5 # - 67 1 " + ) - 1* 8 " 9 : 8 $ 7;"<6 84MMALMOGAREN XX/1/1989 Vom portugiesischen König Afonso IV. beauftragt, verließen am 1. Juli 1341 zwei Karavellen und ein kleineres Schiff den Hafen von Lissabon. Sie standen unter der Leitung des Florenti-ners Angiolino del Tegghia dei Corbizzi. Navigator der Expedi-tion war der Genuese Niccoloso da RECCO (1327-1367). Die Be-satzungen setzten sich aus Florentinern, Genuesen, Kastiliern und "aliorum hispanorum" [vermutlich Portugiesen und Katala-nen] zusammen. Zur Ausrüstung der Schiffe gehörten auch Pfer-de und allerlei Kriegsgerät [was eindeutig den Charakter der Un-ternehmung wiederspiegelt, deren Ziel die politisch motivierte Eroberung der Kanaren war]. Nach fünf Tagen erreichten sie die erste Insel. Sie war sehr felsig und unbebaut, aber es gab große Mengen von Ziegen und anderen Tieren [vermutlich Fuerteven-tura]. Die zahlreichen wild aussehenden Bewohner liefen nackt umher. Den größten Teil ihres Raubgutes an Fellen und Talg nah-men die Schiffe von dieser Insel mit. Die folgende Insel war nur unwesentlich größer [Gran Cana-ria]. Die große Menschenmenge, die sie am Strand empfing, war nahezu nackt. Einige davon schienen sozial über den anderen zu stehen. Sie trugen gelb und rot gefärbte Ziegenfelle, die fein ver-arbeitet waren mit kunstvollen Nähten aus Darmfäden. Sie hat-ten auch einen Häuptling, dem sie viel Respekt und Gehorsam entgegenbrachten. Durch Gebärden zeigten die Leute an, dass sie mit den Schiffen Handel treiben wollten. Die Matrosen ruderten zum Strand, stiegen aber nicht aus, als sie feststellten, dass sie die Sprache nicht verstanden, die sehr schön und lebendig klang. Als die Insulaner sahen, dass man nicht an Land ging, begannen vier von ihnen zu den Booten hinauszuschwimmen. Diese vier Eingeborenen wurden zurückgehalten und nach Lissabon mitge-nommen. Die Schiffe umrundeten nun die Insel und man ent-deckte, dass der Norden stärker bebaut war als der Süden. Sie sahen viele kleine Häuser, umgeben von Feigenbäumen und Pal-men, sowie Gärten mit Hülsenfrüchten, Kohl und anderem Ge-müse. Bei einem Erkundungsgang an Land fiel die exakte Bau- ALMOGAREN XX/1/1989MM85 weise der Hütten mit rechteckigen Steinen und schönen Dach-hölzern auf. In den Häusern, die von ihren Bewohnern angesichts bewaffneter Eindringlinge verlassen wurden (ihre schrillen Rufe hörte man noch in der Umgebung), fand man ausgezeichnete ge-trocknete Feigen, die in Palmkörben aufbewahrt wurden; ebenso Gerste und Weizen, der ihnen viel größer und schwerer als der heimische vorkam. Die Räume waren sehr sauber und die Wän-de weiß verputzt. Sie stießen auch auf eine Art Tempel, der in keiner Weise verziehrt war, sondern nur eine Statue aus Stein enthielt. Sie stellte einen Mann dar, der bis auf einen Lenden-schurz aus Palmwedeln nackt war und in der einen Hand eine Kugel trug. Diese Statue wurde nach Lissabon mitgenommen [und ist uns aber leider nicht erhalten geblieben]. Als man weitersegelte, entdeckte man eine Insel mit einer gro-ßen Zahl wunderbar gewachsener, hoher Bäume [Hierro]. Die Nachbarinsel [Gomera] fiel durch ihre vielen Bäche mit hervor-ragendem Wasser, ihre Wälder mit wohlschmeckenden wilden Tauben und ihren Reichtum an allerlei Raubvögeln auf. Sie stie-ßen dann auf eine Insel, die hoch aufstieg und deren Gipfel von Wolken verhangen waren, die sich oft abregneten [La Palma]. Sobald der Himmel einmal aufklarte, sah man eine annehmbare Landschaft, die bewohnt erschien. Über dem imposanten Gipfel einer weiteren Insel türmte sich "etwas Weißes" zu wunderlichen Gebilden auf [Tenerife mit Rauchentwicklung über dem Teide]. Schließlich steuerten sie durch ruhiges Meer noch weitere sieben Inseln an, die zum Teil bewohnt und zum Teil unbewohnt waren [Lobos, von der das Seehundfleisch stammen dürfte, sowie Lan-zarote und die Isletas]. Obwohl die genannte Zahl exakt mit den noch fehlenden In-seln des kanarischen Archipels übereinstimmt, kann nicht aus-geschlossen werden, dass mit einer (oder mehreren) der unbe-wohnten Inseln die Madeira-Gruppe gemeint ist, die bei der Rückkehr nach Lissabon gestreift wurde. Für diese Möglichkeit 86MMALMOGAREN XX/1/1989 spricht die Tatsache, dass Madeira schon in den Karten von 1351, 1375, 1385 und 1413 sowie im Libro del Conoscimiento (ca. 1385) – also schon lange vor der Wiederentdeckung durch Zarco und Teixeira – mit dem italienischen Wort "legname" (Holz) benannt wurde. Generell vermerkt RECCO noch, 5 der 13 Inseln seien unter-schiedlich stark besiedelt gewesen, wobei sich die Insulaner we-gen ihrer Dialekte nicht von Insel zu Insel verstehen würden. Auch gebe es keine Wasserfahrzeuge, um von der einen zur an-deren Insel überzusetzen. Insgesamt seien die Inseln nicht sehr reich, aber das Erbeutete (4 jugendliche Sklaven, viele Ziegen-felle, Talg, Fischöl, Robben, rötliche Hölzer, rotbraune Tonerde und anderes) würde die Ausgaben wieder wett machen. Die Hei-matinsel der Gefangenen heiße Canaria und sei die am dichte-sten besiedelte. Die Eheschließung sei dort üblich und im Gegen-satz zu den verheirateten Frauen, die wenigstens einen Bastrock tragen würden, liefen die Jungfrauen ohne Scham ganz nackt herum. An Haustieren gebe es viele Ziegen, Schafe und Wild-schweine*, aber keine Ochsen, Kamele und Esel [*"silvestres" wohl im Sinne von freilaufend]. Die gefangenen Jungen werden als unbeschnitten, barfüßig, bartlos und von schöner Figur beschrieben. Sie trugen einen Len-denschurz aus Bast oder Palmfasern, der so befestigt war, dass weder Wind noch sonst etwas ihre Genitalien freilegen konnte. Ihr blondes [!] Haar trugen sie lang bis zum Nabel. Ihr Körper-bau war kräftig, bei einer Größe, die nicht die ihrer neuen Her-ren überschritt. Wenn die Gefangenen sangen war es angenehm zu hören, und wenn sie tanzten, erinnerte es an französische Tanzschritte. Ihr Auftreten wird als tapfer, intelligent, höflich, altruistisch und heiter bezeichnet. Die Verständigung mit ihnen erfolgte per Zeichensprache. Gebackenes Brot kannten sie nicht aber es schmeckte ihnen. Wein wiesen sie zurück und tranken nur Wasser. Käse war ihnen bekannt. Das Manuskript schließt mit der erstmaligen Überlieferung alt-kanarischer Sprachbeispiele, einer hochinteressanten Aufzählung ALMOGAREN XX/1/1989MM87 der Zahlen von 1 bis 16: nait, smetti, ammelotti, acodetti, simu-setti, sesetti, satti, tamatti, alda morana, marava, nait-marava, smatta-marava, amierat-marava, acodat-marava, simusat-ma-rava, sesatti-marava. Eine Untersuchung der Zahlen ist bei PIET-SCHMANN 1879, BONNET REVERÓN 1945a, CABRERA BARRETO 1971, KRÜSS 1975 und WÖLFEL 1954 / 1965 zu fin-den. Das abrupte Ende der Aufzählung bei 16 ist damit zu erklä-ren, dass uns der Bericht nur in einer Abschrift erhalten ist, bei der vom Kopisten eben bei 16 aufgehört wurde. RECCO könnte demnach mehr oder – bei späteren Hinzufügungen – auch weni-ger Zahlen genannt haben. Mit dieser Vielzahl kultureller Hin-weise kommt dem Recco-Bericht jedenfalls eine eminente Be-deutung zu. Erstmals bewegte sich die Berichterstattung im glaubhaft Realen. Nachdem die Expeditionsleiter wohl einsahen, dass mit ihrer kleinen Armada die Inseln nicht zu erobern waren, segelten sie zurück nach Portugal. Ihr Bericht musste dort großes Aufsehen erregt haben. Auch Afonso IV. musste sich in seinem Versuch, vor Kastilien Rechtsansprüche auf die Kanaren geschaffen zu haben, bestätigt gesehen haben. Um so unverständlicher ist es, dass von portugiesischer Seite die nächsten 74 Jahre kein weiter-er Eroberungsversuch stattfand (erst wieder 1415 durch João de Trasto). Afonso IV. versucht das in seinem Brief vom 12. Februar 1345 an Papst Clemens VI. (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982, II: 950) damit zu erklären, dass er durch die Kriege mit Kastilien und den Sarazenen abgehalten wurde. Die gefestigte Kenntnis über die Kanaren durch die Recco-Fahrt breitete sich jedenfalls mit Windeseile im westlichen Mittelmeerraum aus und führte zu weitreichenden Aktivitäten u.a. durch die Königreiche Mallorca, Aragón und Kastilien und durch den Heiligen Stuhl in Avignon. 9. Die ersten mallorkinischen Expeditionen von 1342-1345 Nur wenige Monate nach der Rückkehr der portugiesischen Ex- 88MMALMOGAREN XX/1/1989 pedition von 1341 werden bereits die ersten Unternehmungen von Mallorca aus gestartet. Am 16. April 1342 stellt Roger de Ro-venach, Stellvertreter des mallorkinischen Königs Jaume III., zwei Dokumente aus, in denen der Mallorkiner Francesc Desva-lers und seine Geschäftspartner die Lizenz erhalten, die "neuer-dings entdeckten" ("noveylament trobades") Inseln anzulaufen und "eine von den genannten Inseln oder irgendeine Ortschaft oder befestigte Ansiedlung .... einzunehmen und ihrem Lehns-herrn zu übereignen". Die kolonialistischen Absichten Jaumes III. sind damit klar erkenntlich. Desvalers wird dazu zum Kapitän ernannt, mit allen zivilen und gerichtlichen Vollmachten. Eine ähnlich abgefasste Konzession erhalten der mallorkinische Ka-pitän Bernat Valls und sein Kompagnon Guillem Safont (RUMEU DE ARMAS 1986). Beide Expeditionen – zumindest jene mit Desvalers – verlassen noch im April Palma de Mallorca und se-geln Richtung Kanaren: Francesc Desvalers mit den Koggen "Sta. Creu" und "Sta. Magdalena", Bernat Valls mit der "Santa Barba-ra". Neben diesen offiziell favorisierten Unternehmungen gab es noch zwei weitere, mehr private Expeditionen, die ebenfalls im April eine Lizenz für die Kanaren erhielten: die "Sant Joan" mit ihrem Eigner Domingo Gual und ein Schiff unbekannten Namens mit seinem Eigner Guillem Pere. Der Verlauf der Reisen ist in allen vier Fällen weitgehend un-bekannt. Nur von der Fahrt des Francesc Desvalers wissen wir, dass die Schiffe nach ca. fünfeinhalb Monaten zurückkehrten und möglicherweise auch das marokkanische Festland gestreift hat-ten (s.u.). Desvalers selbst verfasste noch 1350 ein Testament (ACPM). Aus einer Notariatsakte vom 26. Oktober 1342 geht wei-terhin hervor, dass einer der Mitfahrer von Desvalers, Pere Magre (Eigner der Sta. Creu), verstorben war, ohne dem Matrosen Guillem Jaffe den Lohn für die Kanarenfahrt ausgezahlt zu ha-ben (AHM). Diesen forderte er nun von den Erben ein. Ob schon von diesen oder erst von den in den Jahren 1343-1345 nachfolgenden Fahrten Sklaven mitgebracht wurden, lässt sich ALMOGAREN XX/1/1989MM89 nicht genau rekonstruieren. Die mallorkinischen Archive bieten jedenfalls mehrere Hinweise in diesem Zusammenhang. Zum Personal der Familie Desvalers gehörte 1345 auch ein Sklave von "Gutzola" (VICH & MUNTANER 1945: 207). 1345 war der "Bar-bier und Chirurgicus" Pedro Pujada Schiffsarzt bei einer 6 Mo-nate dauernden Expedition der Schiffsherren Llorens Osset und Bernat Isern zu den "illes de Canaria e Gutzola" (LLOMPART 1987: Dok. 2). Somit könnte der Sklave der Familie Desvalers sehr gut ein Berber des Guezzoula-Stammes sein, der einen Küs-tenstreifen im Süden Marokkos (gegenüber den Kanaren) be-wohnte; höchstwahrscheinlich ist aber auch, dass von den Kana-ren ebenfalls Menschen aus Profitgier geraubt wurden. Dies deu-tet die Existenz eines kanarischen Gefangenen an, der in einer polizeilichen Untersuchung vom 3. August 1345 als Arbeiter des Mallorkiners Jaume de Olesa auftaucht (LLOMPART 1984: 390). Wie wir noch sehen werden, waren dies nicht die einzigen Skla-ven von den Inseln. Weitere Informationen liefert uns eine Quelle, die in diesem Zusammenhang etwas überrascht: Der Züricher Domherr Felix Malleoli (1389 - ca. 1460), besser bekannt unter seinem Pseudo-nym HEMMERLIN, gibt in seinem Werk "De nobilitate et rusti-citate dialogus" ein fiktives Gespräch zwischen einem Edelmann und einem Bauern wieder, dessen Inhalt in Wirklichkeit der Bi-schof von Tortosa, Jaime de Aragón, einem Unbekannten mitge-teilt hatte. Da der Bischof bereits 1396 in Valencia gestorben war, konnte Hemmerlin ihn nicht persönlich gekannt haben. Es ist des-halb zu vermuten, dass seine Informationen über die Kanaren- Fahrten von einem unbekannten Schweizer Geistlichen stammen, der das tatsächliche Gespräch mit dem Bischof führte. Hier erfahren wir nun, dass ein Schiff des aragonesischen Kö-nigs hartnäckig von Piraten verfolgt wurde und auf der Flucht mehr zufällig die Kanaren entdeckte. Nach neun Tagen, in denen 90MMALMOGAREN XX/1/1989 sie ein stürmischer Ostwind vorantrieb, kam endlich die Sonne wieder hervor und sie sichteten am Morgen des zehnten Tages eine Insel mit spitzen Bergen [Gran Canaria]. "Als sie sich ihr nähern, erkennen sie in ungegerbte Tierhäute eingehüllte Männer und Frauen, die wie Hunde bellen. Dies war jedoch ihre gemein-same Sprache, in der sie sich klar verständigen konnten. Sie hat-ten im allgemeinen flache Gesichter, ähnlich den Affen." [Diese Angaben sind typisch für die damalige ungenaue Beobachtungs-weise und die Überheblichkeit gegenüber dem "Wilden". Die "flachen Gesichter" könnten allerdings auf einen Cromagnon- Typus hinweisen.] Ohne genau zu wissen, was sie tun sollten, umrundeten die Seeleute nun die Insel und landeten schließlich entkräftet. Die Eingeborenen nahmen sie freundlich auf und als man mittels Zeichensprache deutlich machte, dass man Hunger habe, rückten sie freiwillig Ochsen [Falschangabe, da Rindvieh unbekannt war], Schafe und Vögel [keine domestizierten] heraus. Die Eingeborenen pflegten das Fleisch roh zu essen [definitiv nicht] und als sie sahen, wie die Fremdlinge es über Feuer koch-ten, mit Salz würzten und aßen, wurden sie neugierig. Sie beka-men etwas von dem Fleisch ab, das ihnen sehr gut schmeckte und quittierten dies mit freudigen Ausrufen [dies ist sicher eine phantasievolle Ausschmückung, denn der Gebrauch des Salzes dürfte bei einer Küstenbevölkerung bekannt gewesen sein]. Nach einigen friedlich verlaufenen Tagen unternahmen die Ara-gonesen eine Erkundungsfahrt zu den benachbarten drei Inseln, bei der man sogar einige Eingeborene [als Fremdenführer] mit-nahm. Der Empfang auf diesen Inseln war ähnlich freundlich, wie auf der ersten. Die Eingeborenen sprachen jedoch einen anderen, deutlich von Insel zu Insel unterscheidbaren Dialekt3 [ein für alle Inseln durchgängiger prähispanischer Sprachanteil wird aber von DÍAZ ALAYÓN 1989 angenommen4]. Sie entdeckten dann auf ei-nen Hinweis der eingeborenen Führer hin im Westen noch eine fünfte Insel [Gomera?], deren Bewohner aber aufgrund ihrer Wild- ! " ! "" # " $ ! % ! & ' & ( #) " $ * ALMOGAREN XX/1/1989MM91 heit keine Annäherung zuließen [RECCO sprach auch von fünf bewohnten Inseln]. Sie kehrten daraufhin zur ersten Insel zurück, wo sie die Essgewohnheiten der Eingeborenen beobachteten, aber auch das freizügige Sexualverhalten: "... Männer und Frauen ver-einigten sich in aller Öffentlichkeit" und die "Frauen waren All-gemeingut". Hier könnte die Gastprostitution gemeint sein, die nach GOMEZ ESCUDERO auf Gran Canaria üblich war (siehe auch Kapitel 16). Der von Hemmerlin berichtete ungenierte Ge-schlechtsverkehr ist die einzige Schilderung dieser Art und es ist schwer zu beurteilen, ob dies eine reale Beobachtung oder eine Übertreibung ist. Letzteres würde zu dem von Pseudo-Wissen und Vorurteilen geprägten Bild passen, dass man sich zu jener Zeit von heidnischen Völkern machte. Aufschlussreich sind dagegegen die geographischen Kenntnisse der Eingeborenen, die von interinsularen Kontakten zeugen. Bemerkenswert sind auch die Informationen über die Abreise der Aragonesen: Demnach wurden ihnen quasi als Unterpfand eines Paktes oder der Vasallenschaft freiwillig einige Geisel mit-gegeben. Und als man versicherte, wiederkehren zu wollen, schied man in bestem Einvernehmen. HEMMERLIN erwähnt er-gänzend, dass dieses glücklich verlaufene Unternehmen zu ei-ner weiteren Kanaren-Expedition der gleichen Personen ange-regt hätte. Gerade diese letzten Details deuten auf die Fahrten von 1343 und 1352 hin. Denn für 1351 sind auf Mallorca zwölf Frauen und Männer von Gran Canaria dokumentarisch nachge-wiesen, die christianisiert waren, katalanisch sprechen gelernt hatten und als ortskundige Unterstützung für die Missionare der großen Expedition von 1352 vorgesehen waren (RUMEU DE AR-MAS 1986; s.u.). Aus einer amtlichen Untersuchung des 15. Jhs. (PEREZ DE CABITOS 1477 / 1901: 184) wissen wir außerdem, dass die Geiselmitgabe z.B. auf Tenerife durchaus Usus war. Die Seeleute aus Mallorca, dessen Übernahme durch den aragonesi-schen König Pedro IV. damals kurz bevorstand, konnten für spä-tere Chronisten auch als Aragonesen gelten. 92MMALMOGAREN XX/1/1989 Einige Analytiker des Hemmerlin-Textes geben zu Bedenken, dass die hier beschriebene Fahrt zu den Kanaren rein zufällig und ungewollt war. Sie stützen sich dabei auf eine Textstelle, in der es heißt: "Ohne Hoffnung und gegen ihren Willen stürzten sie sich mit vollen Segeln in die Unermesslichkeit des Ozeans." Dies könnte sich meines Erachtens auch auf die Verfolgung durch die Piraten und auf den Sturm beziehen, die sie von ihrer ur-sprünglich geplanten Route abbrachten. Hinzu kommt die Orien-tierungslosigkeit durch schlechte Sicht und sonnenlosen Himmel. Die Expedition von 1343 kann jedenfalls als geplant eingestuft werden. Hier die Fakten: Es gibt einen Hinweis auf einen "Jaume Olzina" aus Pollensa (Mallorca), einen entfernten Vorfahren des späteren Bischofs von Gran Canaria gleichen Namens (& Kapitel 20); ersterer soll 1343 auf den Kanaren gestorben sein (ROTGER 1897). Die erwähnte Rückkehr der Aragonesen lässt sich mit der Fahrt von 1352 in Verbindung bringen, bei der ein gewisser Guil-lem Fusser einer der Lizenzempfänger war. Ein Mann gleichen Namens wird in den Akten einer gerichtlichen Untersuchung vom September 1343 erwähnt, nach der ein Geistlicher aus Inca (Mal-lorca) mit ihm zusammen an einer Kanaren-Expedition teilge-nommen hatte und nach dieser Fahrt im Roussillon (Südfrank-reich) unterwegs war, wo er beraubt wurde (LLOMPART 1984: 386). Dieser Seereise kann man auch das kanarische Sklavenpaar zuordnen, von dem der mallorkinische Händler Francesc des Portells am 17. Dezember 1343 eine Frau mit dem christlichen Taufnamen "Joana" an Pedro IV. von Aragón verkaufte (LLOM-PART 1987: Dok.1). Aus dem Dokument geht weiterhin hervor, dass Jaume III. von Mallorca diese Fahrt autorisiert hatte. 10. Luis de la Cerda, erster "Fürst" aller Kanaren Die Kunde von den neu entdeckten Inseln wurde natürlich auch ALMOGAREN XX/1/1989MM93 in klerikalen Kreisen mit großem Interesse aufgenommen. Be-sonders die päpstliche Kurie musste hier ein vielversprechendes Betätigungsfeld gesehen haben, in dem es galt, frühzeitig kirch-lichen Einfluss zu verankern und diesen durch geographisch-po-litische Maßnahmen abzusichern. So erließ Papst Clemens VI. am 15. November 1344 in Avignon die Bulle "Tuae devotionis sinceritas" (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/II: 943ff), in der er Don Luis de la Cerda unter der Oberherrschaft des Papstes als "Principe de la Fortuna" einsetzt. Merkwürdigerweise werden in der Bulle nur elf Inseln aufgezählt und dazu noch in einer konfu-sen Benennung, die die Reisen von Malocello, Recco und Desvalers sowie die Seekarte von Dulcert ignoriert und weitge-hend eine Adaption der von Plinius aufgeführten Namen darstellt: Canaria, Ningaria, Pluviana, Capraria, Iunonia, Embronea, Athlantia, Hesperidum, Cernent, Gorgones und Goleta. Letztere sollte merkwürdigerweise noch im Mittelmeer liegen – gemeint war die Insel La Galite vor der tunesischen Küste. Diese Konzession gab Clemens VI. nur wenig später in Brie-fen vom 11. Dezember (Dok. DÉPREZ 1925: Nr. 1316 / 1317) an die Könige von Kastilien, Aragón und Portugal bekannt und bat gleichzeitig um Unterstützung (Erlaubnis für das Chartern von Schiffen, den Kauf von Lebensmittel und die Anwerbung von Sol-daten) für den geplanten Kreuzzug des Don Luis zu den Insulae Fortunatae. Ähnliche Briefe (Dok. DÉPREZ 1925: Nr. 1314 / 1315 / 1348 / 1349) gingen am 23. Dezember an die Herrscher von Frankreich, Neapel, Genua und der Dauphiné. Der erste dieser Briefe löste lebhaften Protest aus: vom portugiesischen König Afonso IV., der auf seine Rechte durch die Expedition von An-giolino del Tegghia verwies (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/II: 949), und vom kastilischen König Alfonso XI., der seine ererb-ten Rechte gefährdet sah und von den afrikanischen Eroberun-gen seiner Vorfahren schrieb (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/II: 951). Beide Monarchen erkannten aber schließlich widerwillig 94MMALMOGAREN XX/1/1989 den päpstlichen Erlass zugunsten Luis de la Cerdas an, ohne kon-krete Hilfe anzubieten. Die Diskussion über die Besitzrechte war damit aber noch nicht abgeschlossen, sondern sollte in den kom-menden Jahrzehnten verstärkt entbrennen. Noch am 28. November 1344 (Dok. VIERA Y CLAVIJO 1982/ II: 947) gelobte Luis de la Cerda, genannt Luis de España, Infant von Kastilien, dem Papst treue Vasallenschaft und erhielt darauf aus den Händen des Pontifex Krone und Szepter als Zeichen sei-ner neuen Würde. Die Person des Don Luis ist uns recht gut be-kannt: Er war Urenkel Alfonso X. von Kastilien bzw. der vierte Sohn des Alfonso de la Cerda und wurde während dessen Exil in Frankreich geboren. Er wuchs in Spanien auf, wo er 1306 in ers-ter Ehe Doña Leonor de Guzmán heiratete (nach ihrem Tod ver-mählte er sich mit der Provenzalin Guiote d'Uzés). Wieder in Frankreich, erwarb er sich im Dienste Philippes IV. große Aner-kennung und wurde daraufhin mit einigen französischen Ort-schaften belehnt, darunter Talmont-sur-Gironde, nach dem er sich gerne Comte de Talmont nannte. 1340 wurde er zum französischen Admiral ernannt und nahm als solcher an den Kämpfen gegen die Engländer teil. 1344 war Don Luis einer der französischen Bot-schafter am päpstlichen Hof in Avignon. In dieser Eigenschaft hatte er direkten Kontakt zu Clemens VI., den er von seinen Plä-nen in Bezug auf die Kanarischen Inseln – ausgelöst durch sei-nen Wunsch nach einer eigenen Krone, die ihm durch die Enter-bung seines Vaters verwehrt geblieben war – überzeugen konnte. Im Besitz seines neuen Titels nahm er Verhandlungen mit dem Dauphin des Viennois, Humbert III., auf und schloss mit ihm Ja-nuar 1345 einen Vertrag (VALBONNAIS 1722, I: 334, II: 502) über die Bereitstellung von 18 Schiffen ab. Warum er für die Ausrüs-tung seiner Expedition zusätzlich den König von Aragón an-sprach, können wir nur vermuten: Schon die Vorbereitungen für den Bau einer Flotte dürften dem ungeduldigen Don Luis zu lan-ge gedauert haben. Sicher sah er Pedro IV., der aufgrund seiner ALMOGAREN XX/1/1989MM95 politischen Interessenlage freigiebiger als die Monarchen von Portugal und Kastilien sein mochte und dazu über Schiffe und mallorkinische Seeleute mit Kanaren-Erfahrung verfügte, als noch besseren Partner für seine Pläne an. Nach Vorgesprächen, die der Erzbischof von Neopatria, Jacobus de Patrajik, und der Edelmann Rodolfo de Lofeira im Namen Don Luis' führten, fand im August 1346 in dem katalanischen Kloster Poblet ein Treffen zwischen den beiden statt. Man diskutierte die Modalitäten ei-ner Zusammenarbeit und Pedro IV. war mit großem Interesse bereit, logistische und materielle Hilfe zu leisten und darüber-hinaus die Werbetrommel für das Unternehmen zu rühren. Er stellte drei Schiffe bereit und erlaubte eine weitgehende Versor-gung mit Kriegsgerät und Lebensmitteln innerhalb seiner Län-der, einschließlich des damals katalanischen Sardinien. Seine Un-tertanen in Mallorca forderte er sogar auf, einige der kanarischen Sklaven an Don Luis zu verkaufen und keine weiteren Raubzüge zu den Inseln zu unternehmen, ohne dessen Erlaubnis einzuho-len (Dok. ACA / VINCKE 1961: Nr. 9). Zur tatsächlichen Durchführung der Eroberungsfahrt mit den in Barcelona bereit liegenden Schiffen kam es jedoch nicht. Ge-nua verstand sich aufgrund der Unternehmung Malocellos als al-leiniger Souverän der Kanarischen Inseln und erinnerte Pedro IV. an einen gemeinsamen Vertrag, nach dem jeder aragonesi-sche Hafen, von dem ein Schiff zum Nachteil Genuas auslaufen würde, mit einer Konventionalstrafe von 50.000 Florinen zu rech-nen habe. Pedro IV. konfrontierte Don Luis daraufhin im Novem-ber 1346 mit der Alternative, entweder das Strafgeld zur Verfü-gung zu stellen oder aber auf der Basis eines eigenen Schiffes die Ausrüstung der Expedition in einem ausländischen Hafen und ohne aragonesische Seeleute fortzusetzen. Luis entschloss sich aber, trotz aller zu erwartenden Gegenaktionen der Genuesen, im Januar 1347 auszulaufen. Pedro IV. sah sich nun genötigt, in Briefen vom 19. und 20. Januar 1347 die Behörden von Barcelo- 96MMALMOGAREN XX/1/1989 na anzuweisen, unter allen Umständen ein Auslaufen zu verhin-dern (Dok. ACA / VINCKE 1961: Nr. 16/17). Und als Luis de España ca. zwei Jahre später starb, löste sich das Principado de la Fortuna in Luft auf. In seinem Testament vom 30. Juni 1348 vermachte er seine nur auf dem Papier bestandenen Rechte über die Kanaren zu drei Vierteln seinem Erstgeborenen, der ebenfalls Luis de España hieß (Dok. PAZ Y MELIA 1915). Der Rest fiel an einen natürlichen Sohn namens Juan de la Cerda. Dies führte aber zu keinerlei Aktivitäten, weder durch die Erben noch durch das Haus Medinaceli, auf das die Rechte später übergingen. Es seien an dieser Stelle ergänzend einige sehr zweifelhafte Berichte aufgeführt, wonach Schiffe des Don Luis doch Kontakt mit den Kanaren gehabt haben sollen. Der erste stammt von LÓPEZ DE GÓMARA (1552), der von Schiffen des Luis de la Cerda erzählt, die mit mallorkinischer Besatzung Gran Canaria erreicht hätten. Schon Leonardo TORRIANI (1590) spricht bei dieser Geschichte, die auch von ABREU GALINDO (1602) und späteren Chronisten erwähnt wird, von Vermutungen. ABREU GALINDO räumt allerdings ein, dass die Schiffe auch jemand anderer als Luis de la Cerda geschickt haben könnte. Heute nimmt man an, dass diese Geschichte, die z.B. von ABREU GALINDO recht ausführlich erzählt wird, eine Komprimierung aus Berichten von verschiedenen Fahrten ist, die sich in der Tra-dition der europäischen Seefahrer jener Zeit erhalten hatten. Die Jahreszahl "1344", die teilweise genannt wird, ist sicher eine Er-findung oder Verwechslung, denn sie liegt ein Jahr vor den ers-ten Verhandlungen, die Don Luis über die Zusammenstellung einer Flotte führte. Die Erzählung dürfte jedoch im Kern einiges Authentisches enthalten, das sich aber nur stückweise einzelnen Expeditionen zuordnen lässt (siehe die Ausführungen zu den Fahrten von 1352 und 1386 in Kapitel 13 bzw. 18). Eine Bericht mit ähnlichem Inhalt wird auch für das Jahr 1360 überliefert (SEDEÑO ca. 1507 / CASTILLO 1737). ALMOGAREN XX/1/1989MM97 Eine weitere, sehr konstruiert wirkende Geschichte präsentiert Girolamo BENZONI (1572, Kapitel "Breve discorso di alcune cose notabile delle Isole Canaria"), nach der Luis de la Cerda 1334 (sic) sogar persönlich an einer Expedition teilgenommen habe, die in unglückliche Kämpfe mit Gomerern verwickelt wor-den sein soll. Und schließlich erfahren wir von dem bereits zi-tierten OSUNA Y SAVIÑON, dass Don Luis 1345 von Cadiz aus mit drei mallorkinischen Schiffen in Richtung Kanaren ab-gesegelt sei. Aber nur das Schiff eines gewissen Alvaro Guerra habe (ohne Don Luis) das Ziel erreicht. Guerra hätte im Namen Luis de la Cerdas Lanzarote erobert, sei aber, nachdem Probleme mit den Eingeborenen und mit der Versorgung auftauchten, wieder abgereist. BONNET REVERÓN (1945b) hat diese Ge-schichte als reine Erfindung entlarvt. Auch TORRIANI wartet mit einer Variante auf, wonach die Flotte des Principe de la For-tuna ohne ihn die spanische Küste unter einem von ihm einge-setzten Hauptmann verlassen habe. Nach Passieren der Straße von Gibraltar seien die Schiffe verschollen "oder mit großem Scha-den, ohne etwas erreicht zu haben, zurückgekehrt". 11. Die Afrikafahrt des Jaume Ferrer Die Karten des Abraham Cresques (1375 / & Kapitel 22) und des (Simon) Mecia de Viladestes (1413), sowie das "Itinerarium Ususmaris" (& Kapitel 5) berichten uns von einer weiteren frü-hen Afrikafahrt eines Mallorkiners. In dem Begleittext der Kar-ten heißt es: "Das Schiff des Jacme (Jaume) Ferrer brach am Tag des Hlgn. Lorenz, dem 10. August 1346, auf, um nach dem Rio de Oro zu reisen". Mit "Rio de Oro" ist hier der Fluss Senegal (PÉREZ EMBID 1948: 105) oder der Wadi Draa (HENNIG 1953: 286) gemeint und nicht das heutige Küstengebiet gleichen Na-mens. Leider wissen wir nichts über die Rückkehr des Jaume Ferrer und so existieren auch keine Informationen über den Rei- 98MMALMOGAREN XX/1/1989 severlauf. Auch amtliche Dokumente liegen nicht vor, da die Jahr-gänge 1345-1348 des "Extracció d'oficis" in den mallorkinischen Archiven fehlen. Lediglich eine Textstelle bei MARIN DE CUBAS (1694/1986: 277) könnte mit Jaume Ferrer in Verbindung gebracht werden. Dort lesen wir, dass 1347 Aragonesen bei Adeje auf Tenerife lan-deten und von dem König "Betzenuriga" aufgesucht wurden. Nachdem aber ernsthafte Spannungen auftraten, zogen es die Aragonesen vor, abzusegeln, um nicht das Leben zu riskieren; vielleicht hatten sie versucht den König und sein Volk von ihrem Gott "Jucanche" abzubringen, was zu Streitigkeiten führte. Über die Person des Jaume Ferrer ist wenig bekannt. Aus ei-nem Empfehlungsbrief, den der Gouverneur von Mallorca, Arnau d'Erill, am 17. September 1343 an den aragonesischen Vize-admiral Mateu Mercer schrieb, geht hervor, dass sich Jaume Ferrer mit eigenem Schiff auf eine Handelsfahrt nach Flandern begeben hatte (LLOMPART 1984: Dok.2). Seine Afrika-Expedi-tion war also nicht die erste Fahrt jenseits von Gibraltar. Wie im Fall der Gebrüder Vivaldi, so ist auch bei der Zielset-zung des Jaume Ferrer eine Berührung der Kanarischen Inseln nicht auszuschließen bzw. sogar wahrscheinlich. Auf der Karte des Abraham Cresques ist über dem Schiff des Jaume Ferrer Tenerife mit dem Teide eingezeichnet (siehe Almogaren-Titel), in dessen Umfeld nach den Überlieferungen 1341 (& Kapitel 8) und 1393 (& Kapitel 20) Vulkanausbrüche stattfanden, die allerdings von den Geologen bis jetzt nicht lokalisiert werden konnten. Diese Naturereignisse wurden von den Seeleuten und Kartographen jener Zeit zum Anlass genommen, Tenerife "Insula del Infierno" (Hölleninsel) zu nennen. 12. Das "Libro del Conoscimiento" und die Namen der Ka-narischen Inseln Das "Libro del Conoscimiento de todos los reinos e tierras e ALMOGAREN XX/1/1989MM99 señorios que son por el mundo" wurde ca. 1385 von einem unbe-kannten Andalusier geschrieben. Bis zum 19. Jh., als drei Codi-ces des Manuskripts in Kopien des späten 15. Jhs. in der Natio-nalbibliothek von Madrid, in der Biblioteca del Palacio Real und in der Privatbibliothek Estébanez Calderón entdeckt wurden5, war der Text nur teilweise durch eine längere Zitierung im 'Canarien'6 (frühes 15. Jh.) bekannt. Ein fünfter Text5 mit Anmerkungen von Jerónimo de ZURITA ist nur als bibliographischer Hinweis über-liefert (BONNET REVERÓN 1944a). Erst 1877 erfolgte der Erst-druck in einer Ausgabe von Marcos JIMÉNEZ DE LA ESPADA (& ANONYMUS 1385). 1912 folgte eine englische Übersetzung der Madrider Ausgabe von Sir Clements MARKHAM. Das Buch besteht aus geographischen Notizen, eingebettet in eine fiktive Reisebeschreibung. Dass der Autor offenbar das Kartenmaterial seiner Zeit als Vorlage benutzte, um exotische Reisen zu erfinden, veranlasste einige Kritiker dazu, den Inhalt insgesamt als phantastisch abzutun. Dies wird dem Buch nicht gerecht, das bei allem Fabulieren auch interessante Informatio-nen enthält, die zum Teil, wie es scheint, auf Hörensagen und per-sönlichem Erleben basieren. Dem Libro del Conoscimiento kommt damit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Das Erstaunliche in Bezug auf die Kanaren ist die Exaktheit, mit der der (Franziskaner6-)Autor die Inseln aufzählt und benennt. Wo-her hatte er seine Kenntnisse? Waren es maurische Quellen, zu de-nen der Orden aufgrund der Missionarstätigkeit in Marokko gute Verbindungen haben konnte? Waren es Informationen aus erster Hand von Expeditionsteilnehmern selbst? Oder hat er die Inseln persönlich besucht, wie er bei einigen Textstellen vorzugeben ver-sucht? Er nennt die Inselgruppe "Islas de la Caridat". Ist hier span. caridad = "Wohltätigkeit" gemeint oder ist es eher eine Ableitung von arabisch "Al-Djazair-al-Chalidat" = "Ewige Inseln", was wiede-rum aus dem Almagest des Ptolemäus, 2. Jh., stammen könnte? Hier die einzelnen Namen: < $ = 8 > + $ " ?9 <@A -= ) % ...1 2 $ B C D ) E 03 = F G9 G ' ) "$F % 100MMALMOGAREN XX/1/1989 GRESA – eine Verstümmelung von italienisch "Graziosa" (unter den Spaniern dann "Graciosa"); LANÇAROTE – Kastilianisierung von (Insula de) Lanzarotus (Marocelus) der Karte von Dulcert; UEGIMAR – das "vegi mari" der Karte von Dulcert, also Lobos (zur Schreibweise siehe Kapitel 22); RACHAN – Verschreibung von italienisch "roccia", dem "rocha" späterer katalanischer Karten (= Roque del Este); ALEGRANÇA – hier wird deutlich, dass TORRIANI irrt, wenn er schreibt, dass Graciosa und Alegranza von Bethencourt be-nannt worden seien; eher kommen Italiener oder konkret die Gebr. Vivaldi in Betracht, deren Schiff "Allegranza" Kontakt mit den Kanaren gehabt haben konnte (& Kapitel 5); BEZIMARIN – eine Doppelnennung von Lobos (s.o.); FORTEVENTURA – eine Ableitung aus französisch "fort aven-ture" = "starkes Abenteuer" im Zusammenhang mit der Erobe-rung Fuerteventuras durch Bethencourt im 15. Jh. entfällt da-mit; eher scheint ein "dauerhaftes Glück" oder eine "tapfere Begebenheit" italienischen Ursprungs zuzutreffen; CANARIA – "Insula Canaria" für Gran Canaria stammt von Juba II. bzw. den Teilnehmern seiner Expedition (& Kapitel 1); TENEREFIZ – der Name "Tenerife" ("Berg weißer" = Schnee- Berg) stammt von den Eingeborenen der Nachbarinsel La Palma; GOMERA – das "Gommaria" des Dulcert; der Name stammt von Italienern (und wird aber von heutigen kanarischen Anhängern der Berber-Theorie gerne mit einem Stamm der Rif-Berber in Verbindung gebracht); FERO – Hierro (Ableitung von dem eingeborenen Inselnamen "Esero"; /s/ konnte sich bei den Altkanariern zu /f/ wandeln. Bei den Spaniern wurde dann Fero zu Ferro und zu Hierro). ARAGAUIA – höchst wahrscheinlich La Palma (das Wort klingt an den altkanarischen Namen "auarita / aguarita" der Einge-borenen dieser Insel an). Diese Aufzählung ist in vieler Hinsicht bemerkenswert: Der Spanier führt zum erstenmal in der Literaturgeschichte des Mit-telalters nahezu alle der dreizehn Kanarischen Inseln auf, und zwar ALMOGAREN XX/1/1989MM101 mit erstaunlichen Detailkenntnissen in der Nomenklatur und mit einer weitgehend richtigen Reihenfolge von Ost nach West. Wenn es stimmt, dass er die Redaktion seines Textes 1385 oder kurz dar-auf abgeschlossen hatte, dann hat er seine Kenntnisse mögli-cherweise z.T. aus dem medizeisch-laurentianischen Atlas von 1351 bezogen, in dem erstmals alle Inseln dargestellt werden; aber Tenerife – wie noch weitere zweihundert Jahre in vielen der nach-folgenden Karten – als "Insula de Infierno" und die anderen Inseln teilweise mit italienischen Phantasienamen. Aber auch Karten der mallorkinischen Kartographenschule konnten zur Verfügung ge-standen haben, so vielleicht ein Portolan kurz nach jenem des An-gelino Dulcert (1339) und der Atlas des Abraham Cresques (1375). Wir können hier ergänzen, dass es sich auch um eine originär italienische Karte gehandelt haben konnte. Als Urheber der Na-men bieten sich vorzugsweise Lancelotto Malocello und seine Begleiter an, die sich lange genug auf den Inseln aufhielten, und zum Teil auch die Vivaldis (& Kap. 5) sowie Niccoloso da Recco, der ja 1341, also zu Lebzeiten des Kompilators, in dessen Hei-matort Sevilla seine Erlebnisse berichtete. Recco hat offenbar La Palma und Tenerife nicht betreten, dafür kann er aber als Infor- Abb. 4 - Phantasiefigur eines einbeinigen Kanariers in einer späteren Kopie des spanischen "Libro del conoscimiento". 102MMALMOGAREN XX/1/1989 mant über die restlichen Kanarischen Inseln und den Made-irischen Archipel in Frage kommen (& Kapitel 8). Einen Italiener als Namensgeber bzw. Namensübermittler anzunehmen, wird auch durch die italienische Schreibweise einiger der Inselnamen unterstützt. Die restlichen Namen hatte der Kompilator kastili-anisiert bzw. weitgehend original – im Fall der schon altkanarisch vorliegenden Namen – übernommen. Katalanische Namensgeber, etwa Teilnehmer der ersten Expeditionen von 1342-45, kommen damit kaum in Betracht. Dafür, dass der Verfasser die Inseln nicht persönlich erlebte, spricht ein Fehler, den er sich bei der Aufzählung der Inseln ge-leistet hat: Neben "Tenerefiz" erwähnt er als weitere Insel eine "Isla del Infierno". Hat er bei dieser Doppelnennung, die sich auch bei Lobos wiederholt, Kartenkenntnisse und mündliche In-formationen durcheinander gebracht? Eine andere Unmöglich-keit ist die in eine Kopie des Urmanuskripts eingefügte Darstel-lung eines einbeinigen Kanariers (Abb. 4), was ebenfalls nicht von realen Ortskenntnissen zeugt. Eines steht jedoch fest: Bis auf Mña. Clara, Lobos und den Roque del Oeste (oder Roque del Infierno7) standen die Inselnamen bereits in der ersten Hälfte des 14. Jhs. mit ihrer nahezu endgültigen Schreibweise fest! "lipar-me" als Verschreibung von "li palme" taucht schon 1351 auf dem medizeischen Portolan auf, so dass auch der Name La Palmas italienische Urheber haben dürfte. Wer aber jeweils der tatsäch-liche Namensgeber war, soweit sich das überhaupt auf einzelne Personen reduzieren lässt, wird wohl immer im Dunkel der Ver-gangenheit bleiben. 13. Telde, das erste Bistum der Kanarischen Inseln Das kulturelle Klima, das in der Mitte des 14. Jhs. Mallorca beherrschte, war eindeutig von Ideengut geprägt, das der bedeu-tende mallorkinische Wissenschaftler, Denker und Missionar Ramón Llull (1234-1315), als Erbe hinterlassen hatte. Es hatte sich vor allem ein religiöser Eifer herangebildet, der die friedliche ;2 7 ) ) ) G# # = G - 1 ALMOGAREN XX/1/1989MM103 Verbreitung des Evangeliums bei den benachbarten heidnischen Völkern des westlichen Mittelmeerraumes und der Kanarischen Inseln zum Ziel hatte. So verwundert es nicht, dass 12 Eingebo-rene von Gran Canaria, die vermutlich von der Fahrt von 1343 stammten, nach ihrer Taufe freigelassen wurden und eine Ausbil-dung genossen, die sie zu Mittlern zwischen mallorkinischen Missionaren und den ehemaligen Stammesgenossen machen soll-te. Um das Vorhaben, das von Anfang an unter der Schirmherr-schaft von Pedro IV. stand, Realität werden zu lassen, mussten nur noch potente Kaufleute oder Reeder gefunden werden, de-ren merkantiles Interesse mit religiösem Sendungsbewusstsein gekoppelt werden konnte, und schließlich war auch noch der Segen des Papstes einzuholen. In Joan Doria und Jaume Segarra waren schnell zwei risiko-freudige mallorkinische Händler gefunden, die das Unternehmen finanzieren wollten und auch zuversichtlich waren, weitere Teil-nehmer dafür zu gewinnen. In der Bulle "Dum diligenter", die Clemens VI. am 15. Mai 1351 in Villeneuve-lès-Avignon heraus-gab (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 170f), werden die beiden in ihrer Funktion als Organisatoren des Kreuzzuges bestätigt und dieser mit außerordentlichem Ablass versehen. Das wichtigste an diesem Text ist jedoch, dass er in eindeutiger Weise das Vorhaben umreißt. Doria und Segarra versprechen, mit dreißig weiteren got-tesfürchtigen Männern Gran Canaria und seine Nachbarinseln zum Zweck der Missionierung aufzusuchen. Als katholisch vor-gebildete Dolmetscher sollten die bereits erwähnten ehemaligen Gefangenen von Gran Canaria eingesetzt werden. Diese Insel bot sich aufgrund der vorangegangenen Kontakte und der relativ ho-hen Bevölkerungsdichte als aussichtsreichstes Betätigungsfeld an. Sowohl Pedro IV. als auch Clemens VI. verfolgten das Vorha-ben mit größtem Interesse; der König von Aragón aus territoria-len, politischen Gründen und der Papst, der als Botschafter Got-tes die Chance sah, die Völker einer ganzen Inselgruppe dem 104MMALMOGAREN XX/1/1989 wahren Glauben zuzuführen, mit nicht minder expansionisti-schen Motiven. Dass Clemens VI. in größeren kirchenpolitischen Dimensionen dachte, zeigt sich in seiner Bulle "Celestis rex regum" vom 7. November 1351 (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 172ff). Darin gibt er die Errichtung einer Diözese in den Insulae Fortunatae bekannt und ernennt als ihren ersten Bischof den Kar-meliter Fray Bernardo Font (geboren 1304 in Palma de Mallor-ca). Diesen beauftragt er, "eine Kirchengemeinde zu gründen, da-rin eine Kathedrale zu bauen, und den Ort, wo sie errichtet wird, Stadt zu nennen". Diese für die Geschichte der Kanaren außerordentlich wichti-ge Bulle wird komplett erstmals von dem spanischen Karmeliter José Alberto XIMÉNEZ veröffentlicht (Bullarium Carmelitanum t.III, Roma 1768: 71f), ohne dass dies einen Einfluss auf die spa-nische Geschichtsschreibung des nachfolgenden Jahrhunderts ge-habt hätte. Kurz darauf (1772-1783) erscheinen die "Noticias de la Historia general de las Islas de Canaria" des kanarischen Chro-nisten José de VIERA Y CLAVIJO. Er ist der erste, der Fray Bernardo richtigerweise als ersten Bischof der Kanaren benennt. Seine Kenntnis darüber bezog er aus einem persönlichen Erleb-nis in Wien. VIERA Y CLAVIJO hielt sich Anfang 1781 in der Donaumetropole auf, wo er den Monsignore Giuseppe Garampi, apostolischer Nuntius am österreichischen Hof, kennenlernte. Dieser übergab ihm eine Notiz, in der er von einem Dokument berichtete, das in der Benediktinerabtei von Melk (Niederöster-reich) aufbewahrt würde. Darin sei von einem "Frater Bernardus insularum Fortuniae episcopus" die Rede, der zusammen mit an-deren Bischöfen am 8. Mai 1353 in Avignon einen Ablass für die Kirche des besagten Klosters gewährt habe. Auch für VIERA bezog sich diese Information auf die Diözese Rubicón auf Lanzarote (errichtet 1404 durch Papst Benedikt XIII.), die in vie-len Chroniken fälschlicherweise als der erste Bischofssitz der Kanaren angesehen wurde. ALMOGAREN XX/1/1989MM105 Die das Bistum Telde auf Gran Canaria betreffenden päpstli-chen Bullen waren zwar teilweise schon bekannt (z.B. Lucas WADDING: Annales Minorum t.IV, Lyon 1637 im Fall der Bulle vom 2. Juli 1369), wurden aber nicht mit den Kanaren in Verbin-dung gebracht. Auch GAMS (1873: 474) erwähnt in seiner be-rühmten Bischofsliste für 1353 (VIERA Y CLAVIJO folgend) ei-nen Frater Bernardus als Bischof "pro insulis Fortunatorum", aber nicht für Telde. Wenig später (1876) bezeichnete GAMS den "Bruder Bernardus" sogar als einzigen kanarischen Bischof vor 1406. Der erste moderne Historiker, der die Bedeutung der Bulle "Celestis rex regum" vom 7. November 1351 richtig erkannte, aber immer noch nicht Gran Canaria zuordnete, war der deutsche Franziskaner Conrad EUBEL (1892). Der von Joan Doria und Jaume Segarra geplante Kanaren- Kreuzzug nahm konkrete Formen an, als Guillén de Llagostera, Stellvertreter des aragonesischen Gouverneurs auf Mallorca, am 14. Mai 1352 einen Arnáu Roger zum Kapitän der Expeditions-flotte ernannte, die die Heiden "auf den rechten Glauben zurück-führen" sollte (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 176f). Weiterhin geht aus dem Dokument hervor, dass sich die Lizenznehmer Joan Doria, Jaume Segarra und Guillém Fusser (war dies jener Guillém Fusser, der bereits die Expedition von 1343 mitgemacht hatte?; & Kapitel 9) der Weisheit und der Vernunft des Arnáu Roger anver-trauen sollten und dass sie alle "adquirierten" Inseln als Lehen des Königs von Aragón erhalten würden. Dass Pedro IV. damit neben dem Seelenheil der Eingeborenen auch handfeste kolonia-listische Absichten verfolgte, ist offenkundig. Die Expedition wurde wohl kurz darauf durchgeführt, aber ihr Verlauf kann nur bruchstückhaft rekonstruiert werden. Die beiden Schiffe landeten gemäß den Überlieferungen (nach einem Zwischenstop auf Lanzarote / MARIN DE CUBAS, 1986: 61) im Osten Gran Canarias, in der Bucht von Melenara (bei Telde) oder von Gando. Es entwickelte sich ein friedliches Nebeneinander, 106MMALMOGAREN XX/1/1989 bei dem die mallorkinischen Missionare und ihre mitgebrachten kanarischen Helfer bei der Verbreitung des Evangeliums einige bescheidene Erfolge verbuchen konnten. In diese Zeit fällt ver-mutlich auch die Errichtung des ersten christlichen Gotteshau-ses, der "Casa de Oración" (almogaren bei den Eingeborenen) für den "Dios del Cielo" (Himmelsgott). Es ist weiterhin anzuneh-men, dass zum Zwecke des Handels mit den Eingeborenen und der Berichterstattung über den Fortgang der Mission weitere Fahrten zwischen Mallorca und Gran Canaria stattfanden. Bei diesen Fahrten (oder auch schon bei der von 1352, denn in der Konzession von Pedro IV. ist auch von den Familien der Lizenznehmer die Rede) sind wohl auch jene ersten mallorki-nischen Siedler auf die Insel gekommen, von denen es in den alten Chroniken heißt, sie hätten freundschaftlich mit den Einge-borenen gelebt, hätten Land und Vieh zugewiesen bekommen und seien mit den kanarischen Frauen Ehen eingegangen. Dabei sol-len die Mallorkiner den Eingeborenen auch einiges beigebracht haben, so z.B. den Hausbau und die Anpflanzung von Feigen-bäumen. KUNKEL (1987: 47) vermutet allerdings, dass der Fei-genbaum schon mit den Eingeborenen auf die Inseln kam und für Gran Canaria (& Kap. 8) und Tenerife ist er tatsächlich schon für die Zeit vor der Conquista nachgewiesen. Ob Bischof Bernardus die Insel jemals selbst betreten hat, geht aus den überlieferten Unterlagen nicht hervor, obwohl dies bei der Wichtigkeit seiner Person und seines Auftrages anzunehmen wäre. Manches deutet daraufhin, dass er in Telde keine "Kathe-drale" konsekrierte, wie es sein Auftrag gewesen war. Vielmehr wurde er 1354 zum Bischof von Santa Giusta auf Sardinien er-nannt. Unverständlich ist, wieso der Papst – inzwischen war es Innozenz VI. – das kanarische Bistum von 1354 bis zur Ernen-nung des zweiten Bischofs der Insulae Fortunatae sieben Jahre lang unbesetzt ließ. Erst am 2. März 1361 ernannte Innozenz VI. ALMOGAREN XX/1/1989MM107 einen Prädikanten-Mönch (Dominikaner) namens Fray Barto-lomé zum Nachfolger von Bernardo Font (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 181ff). Bischof Bartolomé starb allerdings uner-wartet ca. anderthalb Jahre nach seiner Ernennung, worauf der bischöfliche Stuhl auf Gran Canaria weitere siebeneinhalb Jahre vakant bleiben sollte. 14. Die militärische Intervention von 1366 Anfang 1366 müssen Umstände eingetreten sein, die Pedro IV. von Aragón dazu veranlassten, eindeutige Schritte zur Sicherung seines Besitzstandes über die Insulas de Canaria, wie sie jetzt genannt wurden, zu unternehmen. Dass die Gründe dafür z.B. in politischen Aktivitäten anderer Seemächte wie Genua oder Kas-tilien gelegen haben mochten, können wir nur mutmaßen. Jeden-falls stellte Pedro IV. am 26. Juni 1366 in Zaragoza ein Doku-ment aus (RUMEU DE ARMAS 1986: 183f), das einen Joan de Mora von Mallorca ermächtigte, sein Schiff mit vom König ge-liehenem Kriegsgerät auszurüsten und damit gegen die "Kanari-schen Inseln und andere Feinde" vorzugehen. Ob diese Expediti-on tatsächlich in die kanarischen Gewässer aufbrach, wissen wir nicht. Wenn ja, was aufgrund der Vorbereitungen fast anzuneh-men ist, dann erhebt sich die Frage über den Erfolg der Unter-nehmung und die Rückkehr des Joan de Mora. Letzteres könnte dann bejaht werden, denn es existieren amtliche Unterlagen über ihn aus der Zeit von Oktober 1369 bis Februar 1382 (Archivo de la Corona de Aragón / Maioricarum). 15. Die katalanische Mission von 1370 Mit der Bulle "Inter cetera" vom 2. Juli 1369 hatte Papst Urban V. den Minoriten (Franziskaner) Bonanat Tari zum Bischof von Telde ernannt (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 184f). Bemer- 108MMALMOGAREN XX/1/1989 kenswert ist hier, dass der Papst erstmals den Namen des Ortes auf Gran Canaria nennt, an dem der Bischof seinen Sitz haben sollte. Offenbar musste sich in Telde – ob mit oder ohne Zutun der beiden Vorgänger von Bischof Tari – der Kern einer aus Mal-lorkinern gebildeten Gemeinde entwickelt haben, die im sprach-lichen Umgang jener Zeit mit diesem von den Eingeborenen stammenden Ortsnamen benannt wurde und deren missionari-sches Wirken nicht über Anfangserfolge hinausgegangen war. Kenntnis darüber musste sich bis zum Heiligen Stuhl herumge-sprochen haben. War dies der Grund für Urban V., nach langen Jahren wieder einen kanarischen Bischof einzusetzen und die Missionierung voranzutreiben? Es scheint so, denn in der Bulle "Ad hoc semper" vom 31. August 1369 (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 187f) beauftragt er – auf Betreiben der beiden Barcelonesen Bertrán de Marmando und Pedro de Estrada – die Bischöfe von Tortosa und Barcelona, zehn weltliche Kirchenleute und zwanzig Franziskaner nach Gran Canaria zu schicken. Als Ausgangslage erwähnt er, was er von den Inseln gehört hatte: Abb. 5: Die Bulle Urbans V. vom 17. Juli 1369, in der er Fray Bonanat Tari nochmals als Bischof der Kanarischen Inseln bestätigt (Archivo Vaticano). ALMOGAREN XX/1/1989MM109 Dass es "auf Gran Canaria und den Nachbarinseln, genannt die Glücklichen, Menschen beiderlei Geschlechts gebe, die nicht mehr Gesetz und Glaubenszugehörigkeit besäßen, als die Anbe-tung der Sonne und des Mondes, und dass es leicht sein müsse, diese zum christlichen Glauben zu konvertieren". Und dies soll-te in deren Sprache oder mit Hilfe von Dolmetschern stattfinden! Die Bischöfe Guillén de Torelles (Barcelona) und Jaime de Aragón (Tortosa) scheinen diesen Auftrag durchgeführt zu ha-ben. Denn der bereits zitierte HEMMERLIN schreibt, dass eine weitere, organisierte Missionsexpedition zu den Kanaren aufge-brochen war. Die mitgenommenen Minoriten-Brüder hätten das Evangelium verkündet und die ebenfalls mitgereisten Fachleute für Landwirtschaft und Handwerk hätten den Eingeborenen al-lerlei Fertigkeiten und das Lesen beigebracht! Die fünfte Insel sei aufgrund ihrer wilden Bewohner davon ausgenommen gewe-sen. Keiner der Eingeborenen hätte privaten Besitz gehabt, son-dern alles würde gemeinschaftlich besessen. Viel mehr ist dem Text von Hemmerlin nicht zu entnehmen. Wie wir aber aus Be-richten der späteren kanarischen Chronisten wissen, haben die Eingeborenen ihren eigenen Glauben nicht so einfach aufgege-ben, wodurch sich der Christianisierungsprozess sehr schleppend gestaltete. HEMMERLIN gibt (als Auskunft des "Bischofs von Tortosa") die Jahreszahl 1370 schon für die erste Fahrt der Aragonesen an und stellt obige Fahrt als besagte "Rückkehr der Aragonesen" dar. Dabei hat offenbar er oder sein Informant – aus der zeitlichen und räumlichen Entfernung erklärbar – die Fahrten von 1342/43, 1352 und 1370 durcheinander gebracht. Wie in Kapitel 9 ausge-führt, dürfte nach den Indizien die erste Fahrt mit der Expedition von 1343 zu identifizieren sein und die Rückkehr eher mit jener von 1352, so dass die hier geschilderte Unternehmung die tatsäch-liche, 1370 von Bischof Jaime de Aragón organisierte Fahrt ist. 110MMALMOGAREN XX/1/1989 16. Verstärkte Kontakte ab 1377 – die ersten Fahrten der Kastilier und die Geburt der Ico In den Zeitraum kurz nach der katalanischen Missionsfahrt fällt eine weniger friedliche Kanaren-Expedition, von der uns der tunesische Historiker IBN-KHALDUN (1332-1406) berichtet. Demnach waren 1377 "Franken", womit die Araber damals Ara-gonesen meinten, in einen Kampf mit Kanariern verwickelt, bei dem sie einige von ihnen raubten und von diesen einen Teil auf dem marokkanischen Markt als Sklaven verkauften. Dort gin-gen sie dann in den Dienst des Sultans über und als sie Arabisch sprechen konnten, hätten sie von ihren Inseln erzählt. Dabei sei-en folgende Details genannt worden: Eisen war unbekannt; zum Pflügen benutzten sie Tierhörner; die Hauptnahrungsmittel wa-ren Gerste, Milch und Ziegenfleisch; sie verteidigten sich mit groben Schleuderwaffen; sie konnten segeln und sie beteten die aufgehende Sonne an. Unternehmungen dieser Art, die trotz aller missionarischen Bemühungen von den aragonesischen Behörden geduldet wur-den, waren natürlich wenig dazu geeignet, die Botschaft der Evangelisatoren zu unterstützen. Dies sollte sich in den kommen-den Jahren noch auf tragische Weise auswirken. Ein ähnlich unerfreuliches Kapitel beginnt mit der Aussendung der ersten Expeditionen von kastilischen Häfen aus, die alleine zum Zweck des Raubes und Sklavenfangs durchgeführt wurden. Die Kunde von den ohne Schutz einer europäischen Macht offen-stehenden afrikanischen Gewässern mit ihren beuteverheißenden Küsten und Inseln hatte sich natürlich auch bis Andalusien her-umgesprochen. Von dort wurden im letzten Viertel des 14. Jhs. einige Unternehmungen gestartet, die den Kanariern nur Verlust und Elend bringen sollten. Eine dieser Fahrten beschreibt TOR-RIANI: 1377 (vielleicht eine Verwechslung mit 1393) rüsteten sevillanische und baskische Unternehmer einige Schiffe aus, um die marokkanische Küste auszuplündern. Ein Sturm trieb sie aber ALMOGAREN XX/1/1989MM111 nach Lanzarote, wo sie trotz des Widerstandes der Bewohner ei-nen Teil der Insel verwüsteten und Männer und Frauen nach Spa-nien verschleppten. Ein solches Beispiel schnell verdienten Gel-des fand natürlich Nachahmer. 1387 tauchten z.B. in Valencia zwei getaufte kanarische Gefangene auf, für deren Loskauf 20 Florinen festgesetzt waren (AMV / Manuals de Consells). Ebenfalls 1377 ("poco más o menos") fand nach ABREU GA-LINDO auf Lanzarote, dem Tyterogaka(et) der Eingeborenen, ein weniger gefährliches Ereignis statt. Der baskische Edel-mann Martin Ruiz de Avendaño segelte als Kapitän im Dienste Kastiliens in den Gewässern zwischen England und Galizien, als ein Sturm die unter seinem Kommando stehenden Schiffe nach Lanzarote verschlug. Was wären die Chronisten ohne ihre "Stürme"? Dieses Unwetter jedoch soll historisch belegbar sein (ALVAREZ DELGADO 1957a). Avendaño wurde von den Ein-geborenen sehr freundlich empfangen, da er offenbar keine feindlichen Absichten hegte. Sie bewirteten ihn mit Fleisch, Milch und Käse. Er wurde auch zu König Zonzamas geführt, der ihn in seinem "Palast" empfing, dessen Grundmauern heu-te noch zu sehen sind. Nach der Überlieferung ging die Gast-freundschaft des Königs soweit, dass er Avendaño die eroti-schen Dienste seiner schönen Gattin Fayna anbot – Gastprosti-tution, wie sie auch auf Gomera (ZURARA 1448) und Gran Canaria (GÓMES 1463) Brauch war. Nach einer anderen Inter-pretation missbrauchte Avendaño ganz einfach die Gastfreund-schaft und verführte die gutgebaute Gastgeberin (HOZ 1962). Wobei diese vermutlich gar nicht so abgeneigt war, denn Zonzamas muss nicht mehr der jüngste gewesen sein, während Avendaño mit seiner Uniform und seinem galanten, jugendli-chen Auftreten (er war damals um die Dreißig) sicher großen Eindruck auf die Königin machte. Wie auch immer, neun Mo-nate nach seiner Abreise nach Spanien gebar Fayna ein Mäd-chen mit verdächtig heller Haut und blonden Haaren. Das Kind wurde Ico genannt und wuchs zu einer hübschen jungen Frau 112MMALMOGAREN XX/1/1989 heran. Es gibt jedoch eine Textstelle bei ABREU GALINDO, die vermuten lässt, dass Ico einen Zwillingsbruder hatte (& Kapitel 21). Zonzamas starb kurz darauf und sein Sohn Tinguafaya trat die Nachfolge an. ABREU GALINDO war der erste, der diese Begebenheit erzählte, und aufgrund ihrer romantischen Bestand-teile war sie auch bei den nachfolgenden Autoren ein beliebter Stoff, der auch poetisch verarbeitet wurde. Manche modernen Autoren vermuten, dass Avendaño vom Kö-nig nicht in seiner Burg, dem heutigen Zonzamas zwischen Tahiche und San Bartolomé, empfangen wurde; sondern, wie es im Canarien der Chronisten BOUTIER & LEVERRIER heißt, im sogenannten "Großen Dorf" (Grant Aldée), das an der Stelle des jetzigen Teguise lag und von den Eingeborenen angeblich Acatife genannt wurde. Die Echtheit des Ortsnamens "Acatife" ist in höchstem Maße anzuzweifeln, da dieses Wort im Canarien-B als Falschschreibung ("Lacatif") von "Laracif" (für Arrecife), wie es im Canarien-S heißt, auftritt. Acatife fand merkwürdigerweise als authentisches altkanarisches Wort Eingang in die Sekundär-literatur des 19. Jhs. und von da in zahlreiche neuere Publikatio-nen und sogar in den heutigen Sprachgebrauch auf Lanzarote. Schon WÖLFEL (1965) wies auf diesen Abschreibfehler hin und kürzlich erst wieder CIORANESCU (1982). 17. Konfusion um Fernando Ormel und Fernando de Castro Für 1384 überliefert uns TORRIANI einen Besuch des galizi-schen Edelmannes Hernando Ormel de Castro (bei ABREU GA-LINDO "Fernando Ormel, Conde de Uren"; bei VIERA Y CLA-VIJO "Fernando Ormel, Conde de Ureña o de Andeiro") auf Gomera. Trotz stattgefundener Feindseligkeiten mit dem Bruder des Häuptlings Amaluige sollen die ersten Gomeros bereits bei der Abfahrt der Spanier zum Christentum bekehrt gewesen sein. BONNET REVERÓN (1945a) vermutet, dass hier eine Na- ALMOGAREN XX/1/1989MM113 mensverwechslung mit "Fernão Dulmo", Gouverneur der Azoren- Insel Terceira, vorliegt, der Gomera erst 1486 bei der Suche nach der phantastischen "Ilha das Sete Cidades" angelaufen habe. Dies ist sehr hypothetisch, da nichts über den Verlauf der Reise, an der sogar der Nürnberger Geograph Martin Behaim teilgenom-men haben soll, Aufzeichnungen vorliegen. Die Herkunft des Fernão Dulmo ist umstritten (HENNIG 1956: 301ff). Er gehörte entweder zur flämischen Kolonie (Fernand van Olmen), die zu jener Zeit maßgeblich an der Besiedlung der Azoren beteiligt war, oder er stammte aus Süddeutschland (Ferdinand von Ulm). Was TORRIANI betrifft, so steht fest, dass er "Fernando Ormel" und den Portugiesen Fernando de Castro, der 1424 Gran Canaria attackierte, zu einer Person verschmolz. VIERA (für 1386) und ABREU (für 1375) weisen diese Gomera-Episode fälschlicherweise besagtem Fernando de Castro zu. Während ABREU bei Fernando Ormel von einer anderen, durch Sturm er-zwungenen Gomera-Fahrt spricht, sieht VIERA die Fahrten von Ormel und Castro sogar als alternativ an, was die Geschichte nur noch verworrener macht. Ganz abgesehen davon, dass die ge-schichtlichen Personen, die mit einem "Fernando Ormel, Conde de Uren" in Verbindung gebracht werden könnten, nicht für eine Fahrt im Jahr 1384 oder 1386 in Frage kommen. Dass die Chris-tianisierung Gomeras durch dieses unsichere Ereignis entschei-dend beeinflusst wurde, kann damit eher ausgeschlossen werden. Ein Hinweis aus dem Werk "Lo Chrestiá" des Katalanen Francesc Eiximenis (verfasst 1379-1391 / Bibl. Nac. Madrid, Ms. Nr. 1793) lässt allerdings vermuten, dass Gomera (neben Gran Canaria) schon Ende des 14. Jhs. Ziel franziskanischer Missionierung war. 18. Die dreizehn Eremiten von 1386 Trotz der vorangegangenen Versuche muss die Christianisie-rung der Kanaren nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben. Als Indiz dafür kann der Brief gewertet werden, den der König 114MMALMOGAREN XX/1/1989 von Aragón und Mallorca, Pedro IV., am 20. Februar 1386 an Papst Urban VI. schrieb (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 194f). Darin bittet er um besonderen Ablass für "einige armselige Ere-miten und andere Personen", die die Missionierung auf den Ka-narischen Inseln fortsetzen wollten. Dokumentarische Unterlagen über die tatsächliche Durchfüh-rung dieser Fahrt liegen uns nicht vor. In der mündlichen Über-lieferung haben sich allerdings einige Details erhalten, die von den Chronisten des 15. bis 18. Jahrhunderts unterschiedlich wie-dergegeben werden. Aus dem Canarien (Kap. 40 / 1986) wissen wir, dass der französische Eroberer Gadifer de la Salle 1403 auf Gran Canaria in der Gegend von Telde das Testament einiger "fraires chrestiens" fand, insgesamt 13 Personen, die vor zwölf Jahren – also ca. 1391 – als Verräter getötet worden waren. Aus der Erzählung der Expeditions-Chronisten BOUTIER & LEVER-RIER geht weiterhin hervor, dass die Mönche seit sieben Jahren das Evangelium auf der Insel verbreitet hatten, als ein Ereignis eingetreten sein muss, das das friedliche Zusammenleben abrupt zerstörte. Ob man nun annimmt, dass die Zeitangabe "vor zwölf Jahren" von den Eingeborenen etwas zu hoch überliefert wurde, oder dass erst ab der Niederschrift des Textes (ca. 1405) zurück zu rechnen ist, in beiden Fällen ergibt sich als Todesjahr der Mönche anstatt 1391 das Jahr 1393 und damit als Ankunftsjahr 1386 (alles zur Regierungszeit des Königs Gumidafe und seiner Frau Attidama-na). Dies würde zum einen mit dem oben zitierten Brief von Pedro IV. übereinstimmen und zum anderen mit der schrecklichen Raubfahrt von 1393, die uns noch im Kapitel 20 beschäftigen wird. Weitere Details wurden im Canarien leider nicht aufge-zeichnet. Als Auslöser für die Hinrichtung der Mallorkiner durch die Grancanarios werden in den alten Texten verschiedene Grün-de genannt, die ich hier nach Autoren geordnet aufzähle: ALMOGAREN XX/1/1989MM115 - Juan de Abreu Galindo - Eine so große Hungersnot erfasste die Insel, dass der Rat be-schloss, alle Neugeborenen weiblichen Geschlechts und alle Mallorkiner zu töten, damit die Lebensmittel besser ausreichten. In Bezug auf die Mallorkiner sei hinzugekommen, dass sich ei-nige von ihnen äußerst schändlich gegenüber Eingeborenen be-tragen hätten. Die Mallorkiner metzelte man an einem bestimm-ten Tag nieder, während die Mönche (bei ABREU GALINDO zwei) in eine tiefe Höhle bei Jinamar gestürzt wurden. - Leonardo Torriani - Trotz des Verbotes der Eingeborenen, nicht das Evangelium zu predigen und nicht fremdes Recht einführen zu wollen, setz-ten die Mallorkiner ihre Lehren fort und zwar um so mehr, als sich ihre Nachkommenschaft, die sie mit eingeborenen Frauen hatten, ebenfalls missionarisch betätigte. Die Eingeborenen, die nicht wollten, dass ihre alten Gesetze verändert werden, und die aufgrund der vielen Nachkommen der Mallorkiner mit kriegeri-schen Aktionen rechneten, töteten eines Tages alle Fremden mit-samt ihren Kindern. Die Franziskaner-Mönche wurden alle von einem hohen Berg gestürzt. - Pedro Agustín del Castillo - Dieser Autor erfindet eine von den anderen Chronisten völlig abweichende Version, in der er einen (freien !) Einheimischen namens Pedro "El Canario" (mit dem heidnischen Namen "Tife-rán") auftreten lässt, der Gadifer de la Salle seine Geschichte er-zählt und ihm ein Testament von dreizehn schiffbrüchigen Ka-stiliern übergibt, die 1382 unter ihrem Kapitän Francisco López an der Küste bei Niginiguada gelandet seien und sich "die drei-zehn Brüder" genannt hätten. Sie hätten elf Jahre friedlich mit den Eingeborenen gelebt, bis sie im Verlauf eines Piratenüber-falls (jenem von 1393) von den revoltierenden bzw. sich verteidi-genden Eingeborenen getötet worden wären. Ein gewisser "Pietre 116MMALMOGAREN XX/1/1989 le Canare" taucht zwar im Canarien auf, aber als von Spanien auf einem der Nachschub-Schiffe mitgebrachter Dolmetscher in einem ganz anderen Zusammenhang. ALVAREZ DELGADO (1982) räumt allerdings ein, dass er Gadifer de la Salle doch ei-nige Informationen über das "Testament der 13 Eremiten" gege-ben haben könnte. Pedro El Canario würde dann nicht aus dem Raub von 1393 stammen (& Kapitel 20), sondern aus einem zwi-schen 1393 und 1402. - Tomas Arias Marín de Cubas - Bei diesem Autor treten als Opfer gar keine Geistlichen auf, sondern nur 13 mallorkinische Siedler, die sich den unantastba-ren Priesterinnen der Grancanarios, jenen Harimaguadas des Cenobio de Valerón, unzüchtig genähert hätten. Wer diese heili-gen Ehren-Jungfrauen anrührte oder nur den Versuch machte, musste mit den schwersten Strafen rechnen. Und so wurden die Mallorkiner als Gesetzesbrecher und Verräter hingerichtet. Das Handeln der Eingeborenen habe außerdem eine große Hungers-not mitbestimmt, die als göttliche Strafe für das Paktieren mit Christen angesehen wurde. - José de Viera y Clavijo - Bei ihm war es nur das "Betragen", das den Insulanern Anlass zur simultanen Hinrichtung aller weltlichen Europäer gab, wäh-rend fünf Franziskaner in die Höhle von Jinamar gestürzt wur-den. Wie die vorgenannten Autoren, so erwähnt auch VIERA Y CLAVIJO die Errichtung der beiden Kapellen Sta. Catalina und S. Nicolas, die zeitlich durchaus mit der Fahrt von 1386 in Ver-bindung stehen könnte. So unterschiedlich diese Quellen auch das Ende der Expedi-tion von 1386 beschreiben, so lässt sich doch ein gewisses Grundmuster herausschälen. Es erscheint mir vor allem wich-tig, die Schicksale der weltlichen Siedler und der Missionare ALMOGAREN XX/1/1989MM117 zu trennen. Im Fall der Siedler mag es tatsächlich ein gewisses Betragen gewesen sein, welches das religiöse Ehrgefühl der In-sulaner auf das höchste beleidigt hatte. Und wenn dann noch eine Hungersnot und die leidvollen Erfahrungen des Überfalls von 1393 hinzukamen, dann dürfte es um so leichter gefallen sein, sich der Fremdlinge zu entledigen. Da Ausschweifungen bei den mallorkinischen Geistlichen weniger in Betracht kommen, dürf-ten die Gründe für ihre Hinrichtung anders gelagert sein. Sicher hat man bei ihnen zu einem gewissen Teil auch Sippenhaft ange-wendet, aber viel gravierender dürfte die tiefe Enttäuschung ge-wesen sein, die die Eingeborenen darüber empfinden mussten, dass trotz allen Predigens der christlichen Nächstenliebe ihre Mitmenschen verunglimpft und im Falle der Raubfahrt von 1393 von Landsleuten der Missionare sogar Mord, Plünderung und Versklavung betrieben wurden. Solche Missionare mussten fal-sche Propheten sein, die ihre Glaubwürdigkeit und ihre Lebens-berechtigung verwirkt hatten. So dürfte auch die Zerstörung der ersten Casa de Oración in Telde mit diesen Vorgängen in Verbin-dung zu bringen sein. Diese Diskrepanz zwischen christlicher Botschaft und der Realität, in der die Canarios immer wieder die Doppelzüngigkeit und den Verrat der Konquistadoren erleben mussten, war sicher mitbestimmend für die Zähigkeit, mit der sie in den folgenden Jahrzehnten ihre Inseln verteidigten. Ein nahezu unglaublicher Zufall der Archäologie wäre es, wenn die Anfang 1989 bei Bauarbeiten in Las Palmas (G.C.) gefundenen 14 Skelette mit obigen Vorgängen in Verbindung stehen würden. C14-Datierungen ergaben einen Sterbezeitraum von 1410 ' 70, so dass ein zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden kann. Weitere Skelette sind von dieser Fundstelle in der Calle León y Castillo noch zu erwarten. Wissenschaftler des Museo Canario vermuten in diesem Massengrab Opfer einer Seuche. Eine – soweit es möglich ist – exakte Ermittlung der Todesursache stand jedoch bei Redaktionsschluss dieses Auf- 118MMALMOGAREN XX/1/1989 satzes (11/1989) noch aus. Auch über die anthropologischen Merkmale der Skelette sind noch keine Details bekannt. 19. Tenerife – Schauplatz friedlicher Selbstmissionierung Auf Tenerife, das in unseren Betrachtungen bislang kaum eine Rolle spielte, begann – nach den alten Quellen zwischen 1388 und 1406 (nach HERNÁNDEZ PERERA / 1975 zwischen 1440 und 1450) – ein Prozess, der das religiöse Leben der Guanchen und erst recht das der nachfolgenden spanischen Insulaner nach-haltig beeinflusste. In dieser Zeit muss ein andalusisches Schiff in der Nähe von Tenerife (aufgrund der Strömungsverhältnisse vermutlich im Nordosten der Insel) Schiffbruch erlitten haben, bei dem eine Statue der Jungfrau Maria an Land geschwemmt wurde. Der Überlieferung nach wurde sie von Hirten an der Pla-ya de Chimisay bei Socorro im Kanton Güimar gefunden. Der von dem Fund unterrichtete Mencey (Häuptling) des Kantons, Acaymo, stellte die Statue, die als etwas Übernatürliches ange-sehen wurde, auf eine Art Altar in einer kleinen Höhle innerhalb seines Wohnbereiches im Barranco Chinguaro. Dort stand sie, bis ein getaufter Guanche seine Landsleute auf den christlichen Symbolgehalt der Figur aufmerksam machte. Dieser "Antón" genannte Eingeborene war, wie uns CAS-TILLO übermittelt, 1448 bei einer Expedition des Hernán Peraza el Viejo (siehe genealogische Tafel) als 6-jähriger Knabe an der Küste von Güimar aufgegriffen worden. Er wurde nach Fuerte-ventura gebracht (kaum Lanzarote, wie CASTILLO behauptet, das zu dieser Zeit nur nominell im Besitz des Hernán Peraza bzw. portugiesisch besetzt war), im christlichen Glauben unterrichtet, getauft und wie ein Familienmitglied aufgezogen. Als 1454/55 Diego García de Herrera in den Besitz der Inseln kam, wechselte Antón nach Lanzarote in den Haushalt des neuen Machthabers über. Einige Jahre später, als Antón seine Heimatinsel zusammen mit seinem Herrn besuchte, floh er und betätigte sich von da ab als ALMOGAREN XX/1/1989MM119 freiwilliger Fürsprecher für die Kastilier und ihren Glauben. Nach einer anderen Version wurde er sogar bewusst zu diesem Zweck auf Tenerife abgesetzt (ESPINOSA 1591). Die Statue der christlichen Mutter Gottes wurde von den Guanchen nun offen-bar mit ihrer eigenen Mutter (achmayex) des "Stützers von Him-mel und Erde" assoziiert und erhielt einen ehrenvollen Platz in der Höhle von Achbinico (= Cueva de San Blas). Sicher hat die-ser Marienkult zu den großen missionarischen Erfolgen beige-tragen, die der Franziskaner Fray Alfonso Bolaños bereits in den Jahren 1462 bis 1478 auf Tenerife erzielen konnte. Die Statue war zwar 1464 von Sancho de Herrera nach Lanzarote entführt wor-den, wurde aber nach kurzer Zeit wieder zurückgegeben. Erst 1496, als die Eroberung Tenerifes durch Alonso de Lugo abge-schlossen war, wurde die Statue von den Spaniern wiederentdeckt und genoss von da ab als Nuestra Señora de Candelaria auch bei der christlichen Bevölkerung große Verehrung. Die Herkunft der Statue, die 1826 bei einer Flut verloren ging, kann nach den neu-esten kunsthistorischen Untersuchungen der Repliken, Abbildun-gen und alten Beschreibungen (HERNANDEZ PERERA 1975) als andalusisch angenommen werden. Das uns vorliegende Material über die Missionsversuche der Mallorkiner weist eine deutliche Konzentrierung auf Gran Canaria auf. Tenerife scheint weitgehend unberücksichtigt geblie-ben zu sein. Dass die Missionierung der West-Inseln im 14. Jh. von Tenerife ausging, wie WIPF (1988: 73) in Bezug auf die Ver-breitung der Gottesnamen annimmt, lässt sich nach den Fakten der vorangegangenen Kapitel nicht bestätigen. Eine Verstärkung der Christianisierung zeichnet sich vielmehr ab 1402 ab: und zwar direkt auf den einzelnen Inseln im Zusammenhang mit den Eroberungsversuchen französischer, andalusischer und portugie-sischer Expeditionen und durch gezielte Missionierung der Fran-ziskaner; aber auch durch die ersten kastilischen Bischöfe der 120MMALMOGAREN XX/1/1989 Kanarischen Inseln, die von 1404 bis 1485 ihren Sitz auf Lan-zarote hatten (Diözese Rubicón). 20. Vorboten einer neuen Ära: die andalusischen Raubfahr-ten des ausgehenden 14. Jhs. Bischof Tari stand seiner Diözese Telde, die er wahrscheinlich nie persönlich betreten hatte, bis zu seinem Tod vor, der mit ungefähr 1390 anzusetzen ist. Auch von seinem (vorläufig letz-ten) Nachfolger, dem mallorkinischen Dominikaner Jaume Olzina, den Papst Clemens VII. am 31. Januar 1392 ernannte (Dok. RUMEU DE ARMAS 1986: 195f), ist eine Fahrt zu den Kanaren nicht überliefert. Andererseits ist auch nicht auszu-schließen, dass er in den Monaten vor den tragischen Ereignis-sen von 1393 seiner Diözese einen Besuch abstattete. Später dürf-te er durch den schweren Rückschlag auf Gran Canaria und durch seine Berufung nach Zaragoza abgehalten worden sein. Hier zeigt sich ein gewisses Nachlassen des kirchlichen Interesses an den Kanarischen Inseln. Das gleiche lässt sich von Juan I. von Aragón feststellen, der Pedro IV. 1387 abgelöst hatte und sich mehr mit seinen iberischen Zielen befasste. Dieses Vakuum wurde nur allzu gerne von risikofreudigen Schiffseignern ausgenützt, die verstärkt von kastilischen, genauer gesagt andalusischen Häfen aus ihre Raubfahrten nach Afrika und zu den Kanarischen In-seln unternahmen. Aus diesen privaten Anfängen heraus sollte in kürzester Zeit die kastilisch-normannische Eroberung der Kanaren entstehen, die den Archipel ab 1402 unzertrennlich mit Spanien verband, was allerdings von Portugal endgültig erst mit dem Vertrag von Alcaçovas 1479/1480 anerkannt wurde. Die zahlreichen Expeditionen (ORTIZ DE ZUÑIGA 1677), die in den letzten Jahren des 14. Jhs. von katalanischen und anda-lusischen Häfen aus gestartet wurden, brachten den Canarios ne-ben den ersten Handelsbeziehungen auch viel Leid. Wir wissen konkret, dass 1391 die "Sta. Anna", ein Schiff der Eigner Barto- ALMOGAREN XX/1/1989MM121 lomeo Scarsafiga (aus Barcelona) und Bartolomeo Bargayó (aus Sevilla), beide gebürtige Genuesen, unter der nautischen Mitwir-kung des Andalusiers Juan González von einer Handelsfahrt nach Guinea zurückkehrte. Auf der Hinfahrt hatten sie Fuerteventura angelaufen und fünf- bis sechsjährige Kinder geraubt, deren pro-fitabler Verkauf in Barcelona durch Notariatsakten verbürgt ist (MITJA 1962). Ein Hinweis im Canarien (Version B, Kap. 56), den man mit dieser Fahrt in Verbindung bringen kann, spricht auch von einem Kontakt mit Gran Canaria. 1389 hatte sogar eine venezianische Flotte, auf der Fahrt nach bzw. von Flandern, die Kanarischen Inseln gestreift, wobei auch Sklaven geraubt wur-den. Der spanische Navigator dieses Unternehmens, Fernando de Murcia, verkaufte am 29. April 1389 in Mallorca eine 25-jährige kanarische Frau (Taufname "Magdalena") mit ihren drei Kindern ("Didaco" 6 Jahre, "Joana" 5 Jahre, "Francina" 20 Monate) an ei-nen Bernardo Berardo (LLOMPART 1987: Dok. 5). Diese Skla-ven waren wahrscheinlich der Beuteanteil des Piloten. Wenige Jahre später wurden die Kanarischen Inseln durch ei-nen weiteren Überfall heimgesucht, der weitreichende Folgen ha-ben sollte. 1390 hatte der elfjährige Enrique III. dem sevilla-nischen Edelmann Gonzalo Pérez Martel eine Lizenz zur Erobe-rung der Kanaren erteilt (ORTIZ DE ZUÑIGA 1677). Gewisse Rechte auf die Kanaren hatte sich aber möglicherweise auch des-sen Bruder (oder Vetter) Fernán Pérez Martel erworben (LADERO QUESADA 1977: 142f). Dies würde die Verwirrung um die Per-son "Hernán Peraza" auflösen, die vor allem von ABREU GALINDO als Lizenzempfänger (für 1385 und 1390) bzw. Expeditionsleiter (für 1385) und Vater eines anderen "Hernán Peraza" (= Fernán Peraza Martel oder Hernán Peraza el Viejo, Sohn des Gonzalo Pérez Martel) erwähnt wird und in Wirk-lichkeit sein Onkel war (siehe genealogische Tafel/Abb.6). Sehr hypothetisch im Hinblick auf die alten Quellen ist die Ansicht von PERAZA DE AYALA (1958), der in Juan de las Casas, 122MMALMOGAREN XX/1/1989 Schwiegervater des Fernán Peraza Martel, den wahren Lizenz-empfänger von 1390 und Protagonisten der Expedition von 1393 sieht, obwohl er wahrscheinlich nur einer der Geldgeber war. Der ganze Komplex um die Besitzrechte und Ansprüche auf die Kanarischen Inseln im Zeitraum zwischen 1390 und 1477 ist äu-ßerst diffizil und umfangreich, so dass an dieser Stelle leider nicht alle Aspekte aufgezeigt werden können. Das Vorhaben nahm Gestalt an, als sich unter der Führung des Gonzalo Pérez Martel, Señor de Almonaster, einige andalusische und baskische Abenteurer zusammentaten, um eine Flotte von fünf oder sechs Schiffen auszurüsten, die allein das Ziel hatten, die Kanarischen Inseln auszuplündern. Ende Mai oder Anfang Juni 1393 stachen die Schiffe unter der nautischen Leitung des Kapitäns Alvaro Becerra in See. Sie segelten von Sevilla aus zunächst die marokkanische Küs-te entlang und von dort aus nach Fuerteventura, Gran Canaria, Gomera und Tenerife (auf dem sie wegen eines Vulkanausbru-ches nicht landeten), um schließlich Lanzarote zu überfallen. Die wichtigsten literarischen Quellen über diese Vorgänge sind die Estefanía Mate de Luna Alonso Pérez Martel Guillen III. de las Casas Inés Fernández de Fuentes Abb. 6 - Die verwandtschaftlichen Beziehungen der andalusischen Adelsfamilien Pérez Martel, Peraza, Las Casas und Herrera im 14.-15. Jh. Sr. de Almonaster Srs. de las Islas Canarias (eingeborene Konkubine auf Lanzarote) Fernán Pérez Gonzálo Pérez Leonor Juan de las Casas 2Isabel Martel Martel Ruiz Peraza González Mexia Fernán Arias de Leonor Martel Fernán Peraza Martel Inés de las Casas Saavedra (Hernán Peraza el Viejo), Sra. de Huévar "El Bueno" Sr. de Valdeflores († 1452) Diego García Inés Peraza de las Casas Guillen Peraza de las Casas de Herrera 1Violante de Cervantes Sancho de Herrera 3Catalina da Fra Hernán Peraza "El Joven" 2Catalina Escobar d.Ä. 1Inés Fernández Hurtado, Sra. de Huévar (auch "Inés de Bracamonte") Juan de las Casas Sancha de Orta ? ALMOGAREN XX/1/1989MM123 "Crónica del rey don Enrique III." des königlichen Kanzlers Pedro LOPEZ DE AYALA (1406), die "Anales de Sevilla" des Diego ORTIZ DE ZUÑIGA (1677), das "Compendio Historial" des Esteban de GARIBAY Y ZAMALLOA (1571) und indirekt der Canarien. Weitere Details erfahren wir von späteren Chro-nisten und aus einem notariell beglaubigten Kaufvertrag, der am 27. Dezember 1393 in Barcelona ausgefertigt wurde (Dok. MITJA 1962: 346f). In diesem Vertrag geht es um einen zweijährigen kanarischen Sklaven, der durch ein Schiff des Pedro Minguellez (aus Zumaya / Kastilien), gechartert von dem Händler Juan Pérez de Gámez (aus Bermeo / Kastilien), von Gomera geraubt wurde. Dieser Sklavenfang dürfte mit großer Sicherheit der Armada des Pérez Martel zuzuordnen sein. Von den Überfällen auf Gran Canaria und Lanzarote berichtet relativ ausführlich MARIN DE CUBAS (libro I, cap. III). Die Lan-dungen auf diesen beiden Inseln sind auch die einzigen, von de-nen wir überhaupt Näheres erfahren. Zusammengefasst bietet sich folgendes Bild: Die Flotte landete im Osten Gran Canarias, wo die überlegenen Eindringlinge mordeten und plünderten und dabei Männer, Frauen und Vieh raubten. Zu den Entführten dürf-te auch jener "Pedro el Canario" gehört haben, der unter diesem christlichen Namen in den Jahren 1403 und 1404 als Dolmetscher für Gadifer de la Salle tätig war. Die Verteidigungsmaßnahmen der Grancanarios richteten sich bei diesem Überfall nicht nur gegen die Piraten, sondern in fataler Weise auch gegen die bereits ansässigen Mallorkiner (& Kapitel 18). Auf Lanzarote war die Ausbeute des Überfalls besonders groß: Sie verschleppten den König der Insel (Tinguaf |
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