H. BIEDERMANN, Graz
WÓLFELS ,,WESTKULTUR" UND DAS ARCHA.OLOGISCHE FAKTENMATERIAL
NORDWESTAFRIKAS
Ein oft z1t1erter, aber nur selten klar durchschaubarer Schlüsselbegriff in
WÓLFELS Studien vor allem der Vierzigerjahre ist jener der ,,Westkultur", den
er spater kaum noch verwendete. Er taucht in WÓLFELS jüngeren Arbeiten
dann nur noch in den postum publizierten ,,Monumenta Linguae Canariae"
auf, die jedoch zum GroBteil bereits in der Zeit um 1944 konzipiert worden
waren.
Da diese Epoche in der wissenschaftlichen Arbeit WÓLFELS einen Hohepunkt
an Produktivitat darstellte (trotz der bedrückenden auBeren Lebensumstande
in dieser Zeit), verdient es der erwahnte Begriff, sich mit ihm
eingehender auseinanderzusetzen.
Eine Textstelle, die sich mit der ,,Westkultur" auseinandersetzt, wurde
zunachst in Heft 33 der ,,ADEVA-Mitteilungen" (Graz 1973) und dann in
dem Neuabdruck dieser Zitatensammlung auf S. 1 des vorliegenden Bandes
abgedruckt, und zwar aus der programmatischen Arbeit ,,Die Hauptprobleme
WeiBafrikas" (1942). Es handelt sich dabei darum, daB WÓLFEL im Kulturbestand
der Altkanarier eine Reihe von Elementen erkannte, die sich
ofenbar nicht von solchen des Ostmittelmeeres ableiten lieBen. In diesem
Sinne nannte WÓLFEL Schriftzeichen-Formen, die an solche der kretischen
Linear-A-Schrift erinnern und mit · ihnen wurzelverwandt sein sollten,
,,Westschrift", und zwar vor allem aufgrund von eigenstandigen Ligaturen
und Formvarianten. WÓLFEL hatte den Plan, alles einschlagige Material zu
sammeln und in einem Buch mit dem Titel ,,Die kanarischen Altertümer und
die Westkultur" wiederzugeben (WÓLFEL 1965, S. 5, FuBnote), doch fand
er nie Zeit, diesen Plan zu realisieren. Ein kurzer und skizzenhafter Aufsatz
mit dem Titel ,,Die Westkultur. Aus der Frühgeschichte der Hochkulturen"
(Barcelona 1947) gibt praktisch keinen weiteren AufschluB. Nach dem Tode
des Forschers ( 1963) lagen zu dem gesamten Problemkomplex nur wenige
Notizen vor - Materialien, mit welchen sich seit 1969 das ,,Institutum
Canarium" auseinanderzusetzen bemüht. Stichwortartige Aufzeichnungen
dieser Art, sowie solche des Verfassers aus der Studienzeit bei WÓLFEL
( 1948-19 5 2) sallen helfen, Licht in das bestehende Halbdunkel zu werfen.
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Es ist zunachst nicht vollig klar, in welchem Sinne WÓLFEL den Begriff
,,Westkultur" angewendet wissen wollte, der auch bei Carl SCHUCHHARDT
vorkommt. Seine veroffentlichten Schriften enthalten in dieser Hinsicht viele
Dokumentationslücken.
Vorerst handelt es sich um eine Antithese auf die übliche Annahme des
,,ex oriente lux", demzufolge die Wiege aller altmediterranen Kulturentwicklung
im Nahen Osten zu suchen sei. Wurde früher fast allgemein
angenommen, daB die Megalithbauten Westeuropas barbarisierte Umformungen
altmittelmeerischer Bautypen ( etwa der agyptischen MastabaGraber)
seien, so hat dagegen nicht nur BOSCH-GIMPERA aufgrund des
typologischen Befundes seit jeher seine Stimme erhoben. WÓLFEL war vor
allem in AnschluB an die Publikationen von Vera und Georg LEISNER
davon überzeugt, daB es einen westlichen, an der Atlantikküste gelegenen
Nukleus des Megalithikums gegeben haben müsse, da vor allem die
GroBsteingraber Portugals altertümliche Typen reprasentieren. Seither haben
neue Radiokarbon-Datierungen ergeben, daB megalithische Anlagen der
Bretagne und der ihr vorgelagerten Inseln bereits vor 3500 v. Chr. bestanden
und daB daher ihre Ableitung aus den nun eindeutig als jünger erkannten,
reif-hochkulturlichen Bauformen Agyptens auch aus rein chronologischen
Gründen nicht mehr ernsthaft erwogen werden kann.
Sibylle von CLES-REDEN interpretierte in ihrem popularen Buch ,,Die
Spur der Zyklopen" WÓLFELS Auffassung folgendermaBen: ,,Mit der
Leisner'schen Theorie einer unabhangigen Entwicklung des Kuppel- und
Megalithgrabes auf der Pyrenaenhalbinsel gewinnen die alten, sicher ein
wenig von den Hypothesen über Platons sagenhaftes Atlantis angeregten
Visionen eines sehr frühen westlichen europaisch-afrikanischen Kulturzentrums
wieder an Boden. Der Wiener Forscher Prof. D. J. Wolfel, der vor
einigen Jahren nachzuweisen suchte, daB nicht nur die mykenischen
Kuppelgraber, sondern auch der Gedanke der Kollektivbestattung ihren
Ursprung im Westen hatten, mag sie ebenso für sich verbuchen wie die
neuentdeckten Felsbilder des Tassili" (1960, S. 216).
Dazu ist zu sagen, daB WÓLFEL sich gegen Assoziation der Westkultur
mit dem Atlantis-Mythus sicherlich verwahrt haben würde, gilt es doch unter
akademisch verankerten Fachleuten als einigermaBen anstofüg, dieses Thema
auch nur zu erwahnen - was angesicht der Fülle von unseriosen Phantasieblüten,
die sich mit ,,Atlantis" befassen, keineswegs erstaunlich ist.
WÓLFEL hatte in diesem Zusammenhang im Sinne seines kanarischen
Ausgangspunktes weniger W esteuropa als vielmehr das westliche Gebiet
8
Nordafrikas im Auge, das er als altes Siedlungsgebiet Europider als ,,Weilafrika"
ansprach ( ein Begriff, der durch die plausible Assoziatiation mancher
van LHOTE beschriebener Felsbilder des Tassili mit Negriden einige Einschrankungen
erfahren muB).
Im Hinblick auf die archaische Hochkultur der Kanaren vertrat WOLFEL
die Auffassung, daB auf den Inseln die eigentliche ,,W estkultur" in bloB
abgeleiteter und vergroberter Form faBbar sei; er verglich diese Situation mit
dem Verhaltnis Mykena (vereinfachte Formen des AuBenpostens) mit Kreta
(Zentrum mit hochstehender Kultur). Wo aber sollte dieses ,,weillafrikanische
Westkultur-Kreta" im Sinne dieser Auffassung zu finden sein?
WOLFEL hat darüber zwar nichts Schlüssiges publiziert, aber dem Autor
dieses Beitrages gegenüber in Gesprachen oft auf das nordwestafrikanische
Festland hingewiesen, und zwar vor allem auf das Gebiet der Spanischen
Sahara, das in den dreilliger Jahren als weitgehend unerforscht und van
fremdenfeindlichen Volksstammen bewohnt galt (NOWAK 1972), wie etwa
das tragische Schicksal des franzosischen Forschers M. VIEUCHANGE
beweist. WOLFEL war der Ansicht, in diesem damals unzuganglichen Raum
konnten sich archaologische Hinterlassenschaften verbergen, die mit seinem
hypothetischen W estkulturzentrum zusammenhingen.
Nun hat sich die Zuganglichkeit der ,,Sáhara español" vor etwa 40 Jahren
wesentlich verbessert, und auch die wissenschaftliche AufschlieBung des urund
frühgeschichtlichen Materials dieses Raumes hat groBe Fortschritte
gemacht. Bereits die 1946 erschienene Arbeit van M. ALMAGRO BASCH
(Prehistoria del norte de África y del Sáhara español) hat gezeigt, daB der betreffende
Raum zwar überaus interessantes Forschungsgut (Felsbilder, Waffenund
Werkzeugreste) enthalt, aber keine merklichen Spuren eines echten
Nukleus archaischer Hochkulturen.
Die unter der Agide des ,,Institutum Canarium" veranstalteten Kundfahrten
van 1971 (H. NOWAK, S. und D. ORTNER) und 1973 (H. NOWAK,
H. BIEDERMANN) erbrachten eine Erweiterung des Fundmateriales in
mannigfacher Hinsicht, wobei der Nachweis gelang, daB naturhafte Felsmalereien
in Form van Tier- und Menschenbildern - also nicht lediglich
schematisch strukturierte Farbspuren! - nicht bloB in den Bergstocken der
Zentralsahara auftreten, sondern auch so weit im Westen wie in den
,,schwarzen Bergen van Leyuad" nahe der Ansiedlung van Auserd (Río
de Oro).
Naturhafte Felsbilder sind jedoch, entgegen der früher zitierten
AuBerung van S. van CLES-REDEN, mit WOLFELS ,,Westkultur" nicht
9
in Zusammenhang zu bringen, weil es sich dabei immer um Kulturphanomene
handelt, die aus einer vorhochkulturlichen Schicht stammen.
WOLFEL dachte, wie er seinerzeit dem Autor mitteilte, an Funde in
Form von Steinbauten des megalithischen Typus, vielleicht auch an
stadtahnliche Siedlungszentren, und zwar vor allem in der Na.he der
Mündungen heute trockener FluBbetten. In erster Linie sei, WÓLFEL
zufolge, das hohergelegene Gelande landeinwarts der Wadis im Hinblick auf
Siedlungshügel zu untersuchen.
Die Luftbildarchaologie hatte in der Tat heute Moglichkeiten, Fragen
dieser Art zu beantworten, wie sie noch vor einigen Jahrzehnten nicht einmal
erahnt werden konnten (vgl. etwa VORBECK-BECKEL 1973). In der
Spanischen Sahara konnten jedoch grofüaumige Untersuchungen dieser Art
noch nicht durchgeführt werden.
Sepulkralbauten aus groBen Steinblocken wurden hingegen - ebenfalls in
der Na.he von Auserd - durch den der Forschung gegenüber sehr aufgeschlossenen
Capitán J. GONZÁLEZ FERNÁNDEZ beschrieben und fotografiert,
und zwar bei der Fundstelle Bu Lariac. Im Zuge der Forschungsfahrt
197 3 konnten H. NOW AK und der Autor auch diesen Ort untersuchen und
es zeigte sich, daB mehrere Steinblocke schwach sichtbare bildliche Darstellungen
von Tieren aufweisen, die mit groBer Wahrscheinlichkeit als Pferde
angesprochen werden konnen. Dies würde bedeuten, daB die Bauten kaum
alter sein konnen als etwa 3000 Jahre, denn das Pferd (noch nicht als Reit-,
sondern zunachst als Zugtier) taucht in Nordafrika erst um 1200 v. Chr. auf;
freilich fehlt der schlüssige Nachweis, daB die Pferdebilder gleichalt sind wie
die Steinbauten selbst (vgl. ,,Felsbilder der Spanischen Sahara" von
H. NOWAK und D. u. S. ORTNER, Graz 1975).
Ansammlungen von stelenartigen Steinsaulen beschrieb Raymond
MAUNY aus dem Tchad (Protohistoire et histoire de Ténéré du Kawar et des
régions voisines; Documents Scientifiques, Missions Berliet Ténéré, A.M.G.,
Paris 1962: ,,Mokto - Un ensemble des pierres dressées"), wobei diese
Steinsetzungen jedoch eher an ,,Cromlechs" erinnern. Aus Mali wurden in
Presseberichten ahnliche, wohl chronologisch relativ junge, Steinkreise
bekannt, jedoch liegt noch keine brauchbare Publikation darüber vor.
AnlaBlich der aben erwahnten Expedition in die Spanische Sahara von
1973 konnte übrigens auch reiches Belegmaterial für die groBe Rolle
gefunden werden, die zweiraderige Karren in der Petroglyphik einer
bestimmten Epoche spielen. Hier ist vor allem die Fundstatte Gleibat Mosdat
(so auch bei Almagro 1946; offizielle Schreibung lt. Karte: Gleibat el
10
Musdar) zu erwahnen. Die hier auftretenden Zweiradwagen sind nicht mit
jenen der weiter im Westen und Nordwesten gelegenen Gebiete zu
vergleichen, die in Seitenansicht gezeichnet und gemalt sind und die Pferde
in ,,fliegendem" oder ,,gestrecktem" Galopp und in einem sehr hochstehenden
Bewegungsstil wiedergeben. Die erwahnten Petroglyphen van
Gleibat Mosdat sind vielmehr ganz einfache Abbreviatur-Bilder zeichenhaften
Charakters, die das Fahrzeug in kindlich wirkender Vogelschau mit ,,seitlich
hochgeklappten" Radern an den Deichselenden zeigen. Die Diskrepanz
zwischen der leichten und eleganten Konstruktion des Wagens und der
unbeholfen wirkenden Wiedergabe ist so gro13, da13 vielleicht daran zu denken
ist, da13 die Schopfer der Felsbilder mit den Wagenbauern nichts zu tun
hatten, sondern blo13 das ihnen fremdartige Fahrzeug abbildeten (BIEDERMANN
bei NOWAK/ORTNER 1975). Auch die ,,Garamanten-Wagen"
sprechen durch ihre Stilisierung nicht dafür, da13 in der Spanischen Sahara ein
Zentrum zu suchen sei, das dem van WÓLFELS ,,Westkultur" einigerma13en
entsprochen haben kann (an dieser Stelle sei nur andeutend darauf
hingewiesen, da13 der gesamte Problemkomplex der Wagendarstellungen in
der Felsbildkunst Nordwestafrikas in neuester Zeit durch den franzosischen
Gelehrten Raymond MAUNY bearbeitet wird).
Das Felsbildermaterial selbst, das in dem erwahnten Band ( 197 5) erstmals
vorgelegt wird, ist an sich überaus interessant und vielgestaltig, stellt jedoch
in seiner Gesamtheit - verglichen etwa mit jenem, das FROBENIUS und
OBERMAIER in dem Band ,,Hadschra Maktuba" (1925, Neuauflage
Graz 1956) aus ,,Kleinafrika" vorlegten - eher eine etwas vereinfachte
Variante des erwahnten Bildmaterials aus dem Norden dar.
Hingegen ist im Laufe der letzten J ahre in Südmarokko durch André
SIMONEAU ein überaus reichhaltiges Felsbilder-Material erfa13t und dokumentiert
worden, das weit eher den Anspruch darauf erheben darf, für eine
einstige Nukleus-Region der Frühkultur sprechen zu konnen. Es handelt sich
vor allem um die Bergregionen rings um das Draa-Tal, mit ihren Fundplatzen
Tazout, Akka, Tidri, Hassi Tafenna, Ikhf n'Iraoun, Tachokalt u. a., die nicht
nur eine Fülle van Tierbildern aller Art aufweisen, sondern auch zahllose
Petroglyphen jener Art, die van WÓLFEL als ,,megalithische Petroglyphen"
bezeichnet wurden (Spiralen, konzentrische Kreise und ahnliche Symbole).
In der Spanischen Sahara sind Zeichen dieser Art seltener, kommen jedoch
ebenfalls vor, und zwar vor allem in der Fundstelle van Zug, Provinz Río de
Oro.
Diese Glyphen erinnern stark an solche aus Algerien, etwa van der
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Fundstatte Oued Djaret (ENGELJA.HRINGER 1972). Aus alldem scheint
sich zu ergeben, da.B kulturelle Zusammenhange im Neolithikum Nordafrikas
zwischen all den Regio nen am Südrand der ,,kleinafrikanischen Halbinsel"
bestanden, also etwa von den heutigen Schotts im Nordosten bis zum
Draa-Tal im Südwesten. Es ist dies auch das Haupt-Verbreitungsgebiet der
Wagen-Darstellungen.
Diese von der Gro.Ben Syrte zur Atlantikküste Nordwestafrikas hin
verlaufende Achse spielte ofenbar um etwa 3000 v. Chr. eine bis heute noch
nicht voll gewürdigte Rolle im Wechselspiel der Verbreitung der Frühkulturen.
Da.B auf diesem Wege auch die im weiteren Sinne ,,megalithischen"
Elemente weitergegeben wurden, ist mit gro.Ber Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Horen wir dazu, was WOLFEL (1941) über das Megalithikum der
Sahara schrieb - und zwar im Hinblick darauf, da.B diese Elemente sonst
nicht auf dem Land-, sondern auf dem Seewege verbreitet wurden.
,,Nun ist aber eine Verbreitung über die Sahara hin kontinental und nicht
maritim; oder etwa doch? Die Sahara hatte zur Megalithzeit noch ihre
gro.Ben Seebecken und gro.Ben Strome; es liegt also doch kein Widerspruch
zum maritimen Charakter ( der V erbreitung) vor."
Mit dem Hinweis darauf, da.B noch in frühgeschichtlicher Zeit viele
Küstenlinien Nordwestafrikas vollig anders verlaufen sein müssen als heute
und damit auch darauf, da.B einstiges vom Meer aus leicht erreichbares
Küstenland an alten Meeresbuchten infolge von Veranderungen der Küste
fast unzuganglich wurde, beginnt sich für uns die Situation einigerma.Ben zu
klaren. Da.B seismisch aktive Zonen wie jene um Agadir an der W estküste
Marokkos es als moglich erscheinen lassen, an Landsenkungen zu denken,
liegt auf der Hand. Aber auch die andere Moglichkeit, da.B einstiges
Küstengebiet durch das Wegrücken des Meeres nach Landhebungen ein vollig
anderes Gesicht bekam und dadurch an verkehrsma.Biger Erschlie.Bbarkeit
litt, führt im Hinblick auf einstige Kulturgebiete zu ahnlichen Resultaten.
Damit aber nahern wir uns thematisch recht weitgehend dem - was sehr
verstandlich ist - von der Mehrzahl der wissenschaftlich arbeitenden
Autoren geradezu verdrangten Thema ,,Atlantis" - von einer Seite freilich,
die eine Basis an faktischer Evidenz besitzt und mit unserioser Sensationsliteratur
nicht in Zusammenhang gebracht werden sollte. In diesem Zusammenhang
wird es nunmehr auch verstandlich, was S. v. CLES-REDEN
meinte, als sie WOLFELS ,,Westkultur" andeutungsweise mit dem mythischen
Inselreich von Atlantis in Verbindung brachte; und zwar handelt es
sich hier um eine Reihe von Studien, die aus wissenschaftshistorisch
12
bedingten Gründen von Prahistorikern und Archaologen weitgehend ignoriert
wurden, da sie von Fachleuten auf dem Gebiet der historischen Geographie
angestellt wurden.
Von etwa 1927 an erschienen in der Zeitschrift ,,Petermanns geographische
Mitteilungen" zahlreiche Aufsatze, und zwar vor allem von Albert
HERRMANN, Paul BORCHARDT und Adolf SCHULTEN, die sich mit dem
Thema Atlas/Atlantis auseinandersetzen. HERRMANN hat 1937 mit seinem
Aufsatz ,,Triton und die hellfarbigen Libyer" eine Art von Resumé daraus
gezogen (Rhein. Museum NF 86/1, Frankfurt 1937), Hans MÜHLESTEIN
setzte sich in seinem geistvollen Buch ,,Die verhüllten Gotter" (WienMünchen-
Basel 1957) nochmals damit auseinander. WÚLFEL hingegen konnte
seinen Plan, sein eigenes Gesamtbild in übersichtlicher Form darzubieten,
aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr verwirklichen.
Um diesen ganzen Kom plex von heute weitgehend wieder vergessenen
Darstellungen zu charakterisieren, moge ein Zitat aus der Arbeit ,,Atlantis
und der Liby-Athiopische Kulturkreis" von J. KARST (Heidelberg 1931)
Erwahnung finden:
,,In einer in Petermanns Geographischen Mitteilungen, Heft 1 /2 v. J. 19 27
erschienenen Untersuchung von Paul BORCHARDT über ,Platos Insel
Atlantis' (pg. 19ff.) wird die Behandlung der Streitfragen betrefs der
platonisch-solonischen Atlantis auf eine ganz neue Basis gestellt. Auf Grund
der alten Zeugnisse des Periplus, des Skylax und anderer mehr geht er von
der Tatsache aus, daB das numidisch-mauretanische Nordafrika noch in
frühistorischer Zeit als Insel angesehen wurde und wirklich in einer
urzeitlichen Periode auch als Insel oder Halbinsel südlich vom Saharameer
umschlossen und vom eigentlichen Afrika getrennt war. Die Saulen des
Herkules setzt er bei Gabes-Tacape am Ausflusse des Tritonissees in der
Kleine Syrte an. Da letzterer, der jetzige Schott-el-Djerid, in der Geographie
des ,Buches der Jubilaen' als Atel- oder Atalmeer bezeichnet wird,
identifiziert er das ,Atlantische' Meer des solonisch-platonischen Berichtes
mit dem Tritonsee. W eiter ausgeführt und gestützt ward diese Borchardtsche
Theorie sodann von Privatdozent Dr. Albert HERRMANN. Dieser energische
Verfechter einer kleinafrikanischen Atlantis brachte die Atlantis in enge
Verbindung mit Tartessos. Mit Borchardt situiert er die atlantische Metropole
oder sog. Poseidonsburg auf einer Insel des Atal- oder Tritonissees. Im Gegensatz
zu Adolf Schulten, der Tartessos als die alteste See- und Handelsstadt
des europaischen Westens im Guadalquivirdelta ansetzte, ware nach A. Herrmann
Tartessos ursprünglich in demselben Winkel der Kleinen Syrte gelegen
13
gewesen und in gewissem Sinne mit der Atlantismetropole zu identifizieren;
erst mit Erweiterung des geographischen Weltbildes sei Tartessos an die
Gibraltarmeerenge verlegt worden. ( Albert HERRMANN, Atlantis und
Tartessos, PGM. 1927, pg. 145ff.; id., Atlantis, Tartessos und die Séiulen
des Herakles, ibid., pg. 288-283.)
Zweifellos haben diese kombiniert Borchardt-Herrmannschen Forschungen
eine Fülle grundlegender, bisher nur halb geahnter oder ganz ignorierter
Erkenntnisse zutage gefordert. Durch dieselben ist festgestellt und dokumentarisch
erwiesen zunachst die urzeitliche Situation von Herkules-, Melkartoder
Atlassaulen einerseits bei Tacape an der Kleinen Syrte, andrerseits im
Hoggar (Ahaggarmassiv), der als der altere, einstens aus dem Saharameer
hervorragende Atlasberg zu gel ten hat; sodann eine ,Arkadia', die wesentlich
mit der primitiven Atlantisinsel Africa Minar sich deckt: wahrend man früher
die Atlas- und Hesperidensagen mit der peloponnesischen Arkadia verband
(Ulr. v. Wilamowitz-Moellendorf, Wernicke), wird hier Nordwestafrika als ihr
Schauplatz statuiert."
Auf die Details dieser Erwagungen und Hypothesen einzugehen, verbietet
das Thema des vorliegenden Aufsatzes. Klar ist nur, daB WÓLFEL zumindest
die Arbeiten von Albert HERRMANN gekannt und zum Teil ihre Nomenklatur
verwendet hat, wie u. a. sein Begleittext der TORRIANI-Edition
(1940) an manchen Stellen zeigt: auch dann, wenn er es geradezu angstlich
vermieden hat, den durch MiBbrauch kompromittierten und damit selbst
kompromittierend gewordenen Begrif ,,Atlantis" niederzuschreiben.
Dies ist angesichts der Tatsache, daB dieses Thema seit vielen Jahrzehnten
ein bevorzugtes Exerzierfeld von Phantasten aller Schattierungen war,
keineswegs verwunderlich. Hier jedoch handelt es sich nicht um wilde
Theorien von versunkenen Kontinenten, sondern um die Arbeitshypothese
eines jungsteinzeitlichen Kernraumes bestimmter Kulturelemente. WOLFEL
scheint daher den ,,anstoBigen" Begriff Atlantis (wenn er auch bei
HERRMANN auf einer absolut vertretbaren Basis abgehandelt wurde)
bewuBt durch den neutraleren einer ,,Westkultur" ersetzt zu haben.
Erwahnt soll hier noch werden, daB WÓLFEL immer dann, wenn er von
einer ,,Kultur" spricht, naturgemaB nicht den wesentlich enger gefaBten und
exakter umschreibbaren Begriff der prahistorischen ,,Kulturen" (etwa in der
Art der ,,Aunjetitzer" oder der ,,Tripolje-Kultur") meint; seine Basis ist
ethnologischer bzw. palethnologischer Natur und er meint etwa ,,Strukturen
geistiger Gemeinsamkeiten, die sich materiell manifestieren, aber auch ohne
Schwierigkeit über V olkergrenzen hinweg verbreiten konnen" - in dem
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Sinne etwa, den wir verwenden, wenn wir unreflektiert von einer ,,Kultur des
Barocks" sprechen.
Abgesehen von nomenklatorischen und ideengeschichtlich verstandlichen
Problemen dieser Art ist jedoch die rein sachliche Seite des ganzen
Komplexes bedeutsam, derzufolge der südmarokkanische und im Süden
anschlieBende Raum der Spanischen Sahara von Seiten der Altvolkerkunde
und der Frühgeschichte der Hochkulturen groBte Beachtung verdient.
Bine textlich abweichende V ersion eines Aufsatzes zum Thema des vorliegenden erscheint
in Bonn in der ,,Festschrift Bolko Frh. von Richthofen". Der Verfasser.
BIBLI OG RAPHIE
ALMAGRO-BASCH, M.: Prehistoria del norte de África y del Sáhara español.
Madrid 1946
BIEDERMANN, H.: Altkreta und die Kanarischen Inseln. In: ALMOGAREN Uahrb. d.
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WOLFEL, D. J.: Die Hauptprobleme Wei13afrikas. Archiv f. Anthropologie NF 27,
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WOLFEL, D. J.: Monumenta Linguae Canariae. Die kanarischen Sprachdenkmaler - eine
Studie zur Vor- und Frühgeschichte Wei13afrikas (revidiert durch A. Closs).
Graz 1965
SUMMARY
This article attempts to explain what D. J. Wolfel meant by his term
"Westkultur" (occidental culture) with regard to archaeology of North
Africa and the Mediterranean. That term figures prominently in Wolfel's
works of the forties. According to this essay it is likely that the Viennese
scholar was influenced by articles appearing in the magazine "Petermanns
geograph. Mitteilungen" in the early thirties, attempting to localize a kind of
"Atlantis" in the Atlas region. Although today these publications are partly
ignored, results of recent archaeological investigations seem to lend them
support.
RESUMEN
Este artículo trata de explicar como D. J. Wolfel ha compredido el término de
"Westkultur" ( cultura occidental) con respecto a la arquelogía de África del
Norte y del Mediterraneo - término de gran importancia en sus trabajos de
los años 1940. Probablemente estudios que trataban de localizar una clase de
"Atlántida" en la región del Atlas y que fueron publicados en "Petermanns
geograph. Mitteilungen" al principio de los años 30 hicieron un papel
importante. Resultados de recientes investigaciones arqueológicas parecen
contribuir a subrayar la importancia de estos trabajos poco conocidos hoy en
día.
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RESUMÉ
Il est le but de cette étude d'expliquer comment D. J. Wolfel a compris le
terme de «Westkultur» (culture occidentale) á l'égard de l'archéologie de
1' Afrique du Nord et du monde méditerranéen - un terme qu'il a employé
surtout dans ses travaux des années 40. Probablement des études qui
cherchaient á localiser une sor te d' « Atlantide » dans la région de l 'Atlas et
qui ont paru dans «Petermanns geograph. Mitteilungen» au debut des années
30 ont joué un role important. Des résultats récents de recherches
archéologiques semblent donner une importance nouvelle a ces travaux peu
connus de nos jours .
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Reste ,,megalithischer" Sepulkralbauten im Süden der Spanischen Sahara, Provinz Río de
Oro: o ben im Uad Ermima, unten bei Bu Lariac. Zeichnungen von H. Nowak, Almogaren
11/1971
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,,Garamanten-Wagen" mit Pferden in gestrecktem Galopp. Oued Djaret, Algerien (Engeljahringer
1972)
Zweiraderiger Wagen in kindlicher Perspektive mit ,,aufgeklappten" Radern. Eine der
,,troglodytischen" Punzungen der Fundstatte Gleibat Mosdat (Gleibat el Musdar), Provinz
Río de Oro.
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Flach eingeklopfte Tierfigur, wahrscheinlich Pferd, von einem der Langsteine aus der Stelengruppe von Bu Lariac, Río de Oro
(Bleistiftabreibung H.Biedermann)
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