ALMOGAREN XLI/2010MM3
ALMOGAREN
XLI/2010
IC
ICDIGITAL Separata XLI-1
4MMALMOGAREN XLI/2010
ICDIGITAL
Eine PDF-Serie des Institutum Canarium
herausgegeben von
Hans-Joachim Ulbrich
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Inhaltsverzeichnis
(der kompletten Print-Version)
Hans-Joachim Ulbrich:
Die prähispanischen Ortsnamen in der Lanzarote-Karte
von Dámaso de Quezada y Chaves (18. Jh.) ................................................ 7
Samia Ait Ali Yahia:
Nouvelles stèles à inscriptions libyques de la Grande Kabylie ...................... 17
Franz Trost:
Das Feindbild der alten Ägypter .................................................................. 27
Nicole Honoré, Susan Searight-Martinet, France & François Soleilhavoup:
Wa-n-Kalia, un site rupestre dans l'Aramat, Libye ...................................... 65
Joaquín Caridad Arias:
Las antiguas divinidades Tanit, Támara o Tamar,
Tara o Tana y su proyección en la religión de los canarios ...................... 95
Werner Pichler & Alain Rodrigue:
Oued Rheris II: A new site of rock paintings in the South of Morocco ....... 113
Franz Trost:
Bemerkungen zu Herodots Angaben über ägyptische Könige .................... 135
Alain Rodrigue:
Les gravures rupestres de Smara (Sahara Occidental) –
note complémentaire .................................................................................. 139
Yves Gauthier, Bernard Veneur, Norbert Desaphy, Pierre Seuriel:
Nouvelles gravures en style de Tazina:
figurations du Nord de l'Immidir, Algérie ................................................. 149
Hartwig-E. Steiner:
Archäologische Fundstätten auf Selvagem Grande.
Erweiterte, revidierte Fundkarte nach der 2. IC-Expedition 2007. ............. 193
Hartwig-E. Steiner:
Historische Wirtschaftsbauten auf
Selvagem Grande / Ilhas Selvagens, Portugal ............................................. 205
Friedrich Berger:
Felskunst westlich von Dakhla (Ägypten) – Beispiele für Darstellungen
von Naturphänomenen, insbesondere von Wasser ................................... 269
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Ulbrich, Hans-Joachim (2010): Die prähispanischen Ortsnamen in der Lanzarote-
Karte von Dámaso de Quezada y Chaves (18. Jh.).- Almogaren XLI (Institutum
Canarium), Wien, 7-16
Zitieren Sie bitte diesen Aufsatz folgendermaßen / Please cite this article as follows:
ALMOGAREN XLI/2010MM7
Hans-Joachim Ulbrich
Die prähispanischen Ortsnamen in der Lanzarote-
Karte von Dámaso de Quezada y Chaves (18. Jh.)
Keywords: Canary Islands, Lanzarote, Dámaso de Quezada y Chavez, geography,
linguistics, prehispanic place-names
Abstract:
In his description of the Canary Islands (final redaction ca. 1779-1780) the Tenerife-born
Dámaso de Quesada y Chavez considered also several maps which show mainly the big
islands of the archipelago. The map of Lanzarote contains among other things two old-canarian
(prehispanic) place-names whose spelling deserves special attention.
Zusammenfasssung:
In seiner Beschreibung der Kanarischen Inseln (Endredaktion ca. 1779-1780) berücksich-tigte
der tinerfenische Autor Dámaso de Quezada y Chavez auch mehrere Landkarten,
die im wesentlichen die großen Inseln des Archipels zeigen. In der Karte von Lanzarote
sind u.a. zwei altkanarische Ortsnamen enthalten, deren Schreibweise eine besondere
Untersuchung verdient.
Resumen:
En su descripción de las Islas Canarias (redacción final aprox. 1779-1780), el autor tiner-feño
Dámaso de Quezada y Chavez contempló también varios mapas que, fundamental-mente,
muestran las islas mayores del Archipiélago. En el mapa de Lanzarote se recogen
entre otros dos topónimos que proceden de la época de los aborígenes y cuya gráfica
merece un estudio aparte.
1) Vorbemerkung
Der Wiener Ethnologe und Linguist Prof. Dr. Dominik Josef Wölfel, Initia-tor
der österreichischen Altkanarier-Forschung und geistiger Vater der Grün-der
des Institutum Canarium, unternahm Anfang 1930 eine Forschungsreise
nach Rom (Wölfel 1930 bzw. spanisch 1932), um im Vatikanischen Archiv die
Kanaren betreffende Dokumente zu finden und zu analysieren. Bei dieser Ge-legenheit
besuchte er auch das "Archiv der königlich-spanischen Botschaft
beim Heiligen Stuhl". Dort fand er zwei bis dahin noch nicht gedruckte Ma-nuskripte
des tinerfenischen Priesters Dámaso de Quesada y Chavez: das eine
zweibändig und das andere einbändig. Ersteres war unter dem Titel "Las
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Canarias ylustradas y puente yslena americana. Parte y tomo 1 / Parte y tomo
2" abgelegt (damalige Archivnr. AEER324-I bzw. AEER 324-II)¹, während
letzteres als "Canaria ilustrada y puente americhano situado en las afortunadas
7 yslas de Canaria. Compendio del descubrimiento, conquista, situacion y
dominio de ellas." verfügbar war (damalige Archivnr. AEER 324-III - man
sehe Abb.1). Die Chronologie der Informationen legt nahe, dass der einbändi-ge
Text seine Endredaktion ca. 1779 bis Anfang 1780 erfuhr, während der zwei-bändige
Text laut Titelblatt im Kern 1770 formuliert und bis 1784 ergänzt
wurde. Die moderne Druckausgabe von 2007 basiert demnach auf der einbän-digen
Handschrift, dem "Compendio".
Nach Rafael Padrón Fernández (Ausgabe 2007: CIII-CVIII) ist das Manus-kript
des "Compendio" in der Mitte des 20. Jhs. aus seinem Archiv in Rom
verschwunden, tauchte 1987 wieder auf als Auktionsobjekt von Sotheby's
(London) und wurde von der Spanischen Nationalbibliothek (Madrid) erwor-ben.
Dem Instituto de Estudios Canarios (La Laguna) kommt das Verdienst
zu, dieses interessante Manuskript nun endlich einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht zu haben.
Wölfel fertigte mit seiner Leica-Kamera Fotografien der drei Manuskript-teile
an und fügte die Positiv-Filme und Negativ-Papierabzüge seinem "Archi-vum
Canarium Wölfel" (ACW) bei, welches heute im Besitz des Institutum
Canarium (Wien) ist. Die hier verwendeten Abbildungen stammen aus dem
Kompendium und sind Scans der Papierabzüge von D.J. Wölfel.
Als Quelle der behandelten Ortsnamen wurde die Karte Nr. 1 "Lanzarote"
herangezogen (Abb. 2), die auch den äußersten Norden der Insel Fuerteventura
und die Isla de Lobos abbildet. Die ungenaue Positionierung vieler Toponyme
zeugt von wenig Ortskenntnis. Zahlreiche Orte fehlen. Sollte dem Franziska-ner-
Pater die Insel Lanzarote völlig fremd gewesen sein? Zur gebildeten
Schicht von Tenerife gehörend², müsste er diese Insel aus eigener Schau ge-kannt
haben, zumal die Franziskaner in der damaligen Inselhauptstadt Teguise
eine Kirche unterhielten (erbaut 1588-1590, 1618 abgebrannt und dann neu auf-gebaut).
Es sieht vielmehr so aus, als hätte Quezada y Chavez einen örtlichen
Informanten gehabt, dessen geografische Schilderungen er fehlerhaft in die
Karte übertrug. Der Inselumriss entspricht den Kenntnissen des 18. Jhs.
¹ AEER = Archivo de la Embajada de España cerca de la Santa Sede, Roma
2 Zur Person des Dámaso de Quezada y Chavez, zu seinem nebulösen Aufenthalt in Rom
und natürlich auch zur Analyse seines Werkes lese man die ausführlichen Vorbemerkungen
zur Ausgabe von 2007, die von Juan Manuel Bello León, Carmen Romero Ruiz, Dolores
Corbella Díaz und Rafael Padrón Fernández eingeleitet sowie von Paz Fernández Palo-meque,
Carmen Gómez-Pablos Calvo und Rafael Padrón Fernández herausgegeben wurde.
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Abb. 1 - Titelblatt des einbändigen Manuskripts (Reproduktion H.-E. Steiner) auf der
Basis einer Photographie von D.J. Wölfel, die sich heute im Archiv des Institutum
Canarium befindet. Zur besseren Lesbarkeit wurde der Scan vom Autor leicht ent-zerrt
und von mitfotografierten Stockflecken und Vergilbungen befreit.
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Abb. 2 - Folio 9 / [Mapa] No. I "Lanzarote" des Manuskripts von Quezada y Chavez (Re-produktion
von H.-E. Steiner auf der Basis eines Photos von D.J. Wölfel, welches sich zur
Zeit im Archiv des Institutum Canarium in Wien befindet). Zur Verbesserung der Optik
wurde der Scan vom Autor leicht entzerrt und von größeren Alterungsflecken befreit.
ALMOGAREN XLI/2010MM11
2) Die prähispanischen Ortsnamen (rechts die moderne Schreibweise)
argana Argana (heute Vorort der Inselhauptstadt Arrecife)
Famara Playa de Famara, Riscos de Famara
Femes Femés
Guine Güime (Schwanken n m im Altkanarischen möglich)
Harya Haria
Hiayza Yaiza
mala Mala
munique Völlig falsch im Norden platzierte Dublette von Munique
Munique Muñique
So Sóo (Name unsicher altkanarisch)
Tabaibas Las Tabaibitas (oft toponymisch verwendeter altkan. Pflanzenname)
Tao Tao (Diskussion Tao/Taso/Tas in Ulbrich 1995: 264, 2006: 251f)
Tayche Tahiche
Tinajo Tinajo
Zu allen prähispanischen Ortsnamen von Lanzarote sehe man die etymolo-gischen
Versuche bei Wölfel (1965: 650ff), Ulbrich (1995, 2006) und Díaz
Alayón (1988). Besonderes Interesse gilt im nächsten Kapitel speziell den
beiden Ortsnamen Harya / Haria und Hiayza / Yaiza.
3) Aspiration des anlautenden Vokals oder originärer Konsonant?
Der Fall Haria/Harya
In der Einführung zum Compendio bemerkt Corbella Díaz (S. LXXXVII),
dass im Kastilischen des 18. Jahrhunderts die Grapheme g, j und x alle den
Lautwert /h/ darstellen können, also einen Velar bzw. stimmlosen Frikativ wie
ch im deutschen "Fach, lachen". Tatsächlich schreibt Quezada y Chavez mehr-mals
h für /h/ und meint damit den Lautwert, den heute g (vor e/i) und j im
Spanischen haben. Und die Autorin fügt an, dass das h (manchmal als x ge-schrieben)
einen Hauchlaut darstellen kann, der aus dem lateinischen f oder
aus arabischen Phonemen hervorgegangen ist.
Ich hatte bereits in Ulbrich (1995: 236 bzw. Nr. 37) – an Wölfel anlehnend
– auf den möglichen Wechsel f h aufmerksam gemacht, nämlich Haria aus
Faria; letzteres eine Nennung des Portugiesen Gaspar Frutuoso 1590. Der
Vorgang ist bekannt: Das altspan. und andalusische anlautende h für j (Laut-wert
/h/) und auch das kast. stumme initiale h wird im Portugiesischen als f
geschrieben, wenn es um bestimmte lateinstämmige Wörter geht (Beispiele:
andalus. jigo "Feige, weibl. Scham", kast. higo "Feige", port. figo "Feige" von
lat. ficus "Feige" bzw. span. habichuela "weiße Bohne", port. fabagela "Bohnen-kaper"
von lat. faba "Bohne" oder kast. haya, port. faia von lat. fagus, alle drei
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"Buche"). Das anlautende f im Portugiesischen ist in solchen Fällen näher am
Latein, und bezogen auf das antike Lanzarote wäre das f bei Faria/Haria älter
als das h. Wir hätten demnach im Anlaut einen echten Konsonanten vor uns³,
obwohl die Behauchung eines anlautenden Vokals im kanarischen Dialekt
nicht unüblich ist. Was könnte Faria nun bedeuten?
Erinnern wir uns, dass Lanzarote während der letzten frühgeschichtlichen Ein-wanderungsphase
u.a. von römisch akkulturierten Berbern und Puniern besucht
und zum Teil besiedelt wurde, die höchstwahrscheinlich ca. 100 v. Chr.-200 n.Chr.
als Flechtensammler auf die Insel geschickt wurden (Ulbrich 2004: 36-39). Er-gänzend
zu den Lösungsangeboten in Ulbrich (1995: Nr. 37/46) möchte ich des-halb
auf lat. far/farris "Spelt, Dinkel, Schrot, Brot" hinweisen bzw. auf davon ab-stammend
lat. farina "Mehl". Wenn das intervokalische n schon bei den Urein-wohnern
entfallen wäre, dann hätten wir exakt faria vor uns. Ein Begriff aus der
Landwirtschaft würde zum Hochtal von Haria, wo heute noch Getreide angebaut
wird, passen. Im Spanischen gibt es jedoch den Latinismus harina "Mehl" und
ebenso im Portugiesischen mit farinha. Sollte sich Haria/Faria aus einem dieser
beiden Wörter ableiten, dann müssten m.E. Kenntnisse darüber in den Traditio-nen
und Erinnerungen der Bewohner vorhanden sein, was aber nicht der Fall ist.
Der Fall Yaiza/Hiayza
Als D.J. Wölfel 1943 die letzten Zeilen der damaligen Monumenta-Fassung
schrieb, hatte er als einziger Autor das Namenmaterial aus dem Manuskript
von Quezada y Chavez komplett erfasst, ausgewertet und in seine Wortsamm-lung
integriert. Wir können deshalb den Ausgaben von 1965/1996 entnehmen,
dass Wölfel die Schreibweise Hiayza gekannt und analysiert hat. Darüber hi-naus
existieren die Varianten Hayza/Haisa, Iaiza, Jaisa, Laisa (Ulbrich 1995:
285). War das initiale H nun eine kanarische oder altkanarische Aspiration4
des i oder Ausdruck eines prähispanischen wurzel-relevanten oder präfix-be-zogenen
Konsonanten? Die heute gebräuchliche Form Yaiza beginnt mit ei-nem
Palatal, einem Semikonsonanten wie das deutsche j. Die anderen Schreib-weisen
ließen Wölfel (1965: 666) einen initialen "lch-Laut mit Übergang zu y"
vermuten. Diese Annahme erschwert aber das Finden einer zufriedenstel-
³ Quesada y Chavez bringt (2007: 136f) in diesem Zusammenhang selbst ein Beispiel, wel-ches
m.E. aber nicht stimmig ist: Er geht davon aus, dass altspan. hunco "Binse"und kast.
juncal "Binsendikicht" mit port. funco (richtigerweise funcho) verwandt ist. Letzteres be-deutet
aber "Fenchel" und als funcho marinho auch "Meerfenchel" und leitet sich von lat.
f(o)eniculum "Fenchel" ab und nicht von lat. iuncus "Binse". Quezada y Chavez meint jenes
funcho, aus dem Funchal ("Fenchelfeld" oder hier eher "Meerfenchel-Feld"), der Name des
madeirischen Hauptortes, entstanden ist. Ein port. funco "Binse" gibt es nicht, vielmehr
wird "Binse" im Portugiesischen junco geschrieben, wie im heutigen Kastilisch auch.
4 Pharyngal mit mehr oder weniger Tendenz zum frikativen Velar (siehe auch Tabelle S. 14)
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lenden lexikalischen Entsprechung in den antiken Sprachen des umgebenden
Festlands. Vielleicht haben wir, aufgrund der Variante Hiayza von Quezada y
Chavez, aber auch einen initialen /fy/-Laut (wie in skand. "Fjord") vor uns –
also h aus f – oder einen /hi/-Laut (wie in deutsch "Chirurg")? Man sehe auch
den lanzarotischen Ortsnamen Jai/Jais mit heute anlautendem /h/ (Ulbrich
1995: 249). Oder handelt es sich um ein Kompositum wie hi-aisa bzw. fi-aisa?
Geht man von faysa (Wurzel fys) oder haysa (Wurzel hys/hys) aus, dann fin-det
man weder im Phönizischen/Punischen noch im berberischen Tamazi t
des benachbarten Marokko eine sinnvolle Lösung. Der Name entzieht sich
jedenfalls bis jetzt einer gesicherten etymologischen Deutung.
Schließlich muss auch hinterfragt werden, woher Quezada y Chavez spät im
18. Jh. diese Variante hatte, die womöglich auf der ungenauen Aussprache einer
einzigen Familie basiert. Ist möglicherweise das i in Hiayza ein dialektaler An-teil
der Behauchung und gehört damit nicht zur Wurzel oder zu einem Präfix?
Hat er die lokale Aussprache des Toponyms überhaupt richtig wiedergegeben?
Trotz aller erwähnten Unsicherheiten lohnt sich ein Blick in die Frühzeit
der nahen afrikanischen Küste. Benz (1972: 154) vermerkt für Marokko eine
wenig bekannte phönizische Gottheit namens Y N mit ungewisser Vokali-sierung
(möglich wäre u.a. ya an, ya en, ye an, ay an, ay en, i an)5. Der Name
taucht in einer Inschrift auf, in der ein Mann als Anbeter jenes Gottes genannt
wird ( bdy n = Diener des Y N). In Wölfel (1965: 666) und Ulbrich (1995:
284f) wurde darauf hingewiesen, dass der lanzarotische Ortsname Yaicen/
Yacen/Yazen mit Yaiza verwandt sein könnte, wenn ersterer das altkanarische
Plural-n verwendet – quasi Yaiza der Singular von Yaicen. Es käme aber auch
die Möglichkeit in Betracht, dass -n hier kein Plural-Suffix ist (Ulbrich 1995:
Tab. 2) wie auch nicht bei dem Gottesnamen und dass – bei den Altkanariern
nicht unüblich (Tabelle 4a in Ulbrich 1995: 318) – finales -n bei Yaiza entfallen
ist. Perfekt an das Theonym anklingend sind der Ortsname Ayasen von Fuer-teventura
und der altkanarische Personenname Guayasen (gua-yasen) von Gran
Canaria. Gua- kann mit berb. ua/wa "dieser, derjenige [... des/von]" bzw. u/w
"Sohn, Mann (... des/von)" gedeutet werden. Vielleicht ist hier nicht eine fami-liäre
Verwandtschaft gemeint, sondern die Beziehung eines Adoranten zu sei-nem
Gott oder eine geografische Herkunft.
Wenn die vorgenannten Überlegungen stimmen, dann hätten wir es tat-sächlich
mit einer schon altkanarischen Aspiration des anlautenden a zu tun,
5 Hier liegt aufgrund der Verwendung der Weiheformel wohl nicht der gr. Personenname "Iason"
vor, der vereinzelt auch von Berbern und Puniern verwendet wurde. Die griech. Heldenfigur des
Jason hielt sich der Sage nach kurz im tunesisch-libyschen Raum auf. Eine ähnliche Wurzel stellt
der pun. Ortsname yšn dar (Semitica XXXVII 1990: 111; erwähnt bei Jongeling 1994: 63, 199).
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also Haiza mit /h/. Dieser Lautwert wurde von den Spaniern gerne als h oder
j geschrieben, was exakt den bekannten Varianten (s.o.) von Yaiza entspricht.
Darüber hinaus könnte das Hiayza von Quesada y Chavez tatsächlich eine
Bedeutung haben, indem es eine möglicherweise nur lokale semikonsonanti-sche
Komponente (y) in der Aspiration dokumentiert, die schließlich zum ini-tialen
Y (oder I in einem Fall) führte.6 Auch Wölfels Annahme /lch/ /y/
bekäme dann wieder mehr Gewicht, zumal /y/ im kanarischen und andalu-sischen
Spanisch oft mit hohem frikativem Anteil gesprochen wird.
Initiales I/Y ist im Fall von Yaiza möglicherweise auch ein altberberisches
Präfix (Jongeling 1984: 71; 1994: xi) – also y-aisa*. Außerdem ist die einlei-tende
Silbe Ia-/Ya- weit verbreitet bei altberberischen Personennamen (Jon-geling
1984: 72, 75ff; Jongeling 1994: 59ff) – also vielleicht ya-isa* (* -n ent-fallen,
falls ursprünglich vorhanden, s.o.).
Zusammenfassend könnte man die Hypothese aufstellen, dass der Ortsna-me
Haria prähispanisch ist und aus dem Bereich der Landwirtschaft stammt
(lat. far, farina) und dass Yaiza aus einem phön. Gottesnamen (y n) hervorge-gangen
ist. Vielleicht pflegten mehrere Gruppen der punischen/berberischen
Flechtensammler einen Y N-Kult an unterschiedlichen Plätzen der Insel und
der Kultname wurde zum Ortsnamen7.
6 Tatsächlich kann z.B. kast. /hi/ im Andalusischen zu /y/ werden wie bei hierba/yerba
"Kraut/Kräuterpflanze" (de la Plata 1992: 61).
7 Wie bei den vielen Ortschaften namens "Herakleia" (u.a. in Sizilien, Griechenland, Tür-kei),
welche nach dem göttlichen griech. Helden Herakles (lat. Hercules) benannt sind.
p b b m
f
* *
t d
s** z n l r
š ž č (tš)
y
k g h
h
Die verwendeten konsonantischen Lautwert-Zeichen
! " # $
## ## ## ##
% # & ' $
%% # & ' #
4) Die spanischen Ortsnamen
Der Vollständigkeit halber seien auch die kompletten spanischen Ortsna-men
erwähnt, die im Text von Quezada y Chavez (2007: 59) nur teilweise
aufgelistet sind und dort in Einzelfällen von der Karte abweichend geschrie-ben
werden. Links in der nun folgenden Liste die lanzarotischen Namen aus
ALMOGAREN XLI/2010MM15
der Karte mit ihren orthographischen Eigenarten und Fehlern, rechts die heuti-gen
Namen sowie Erläuterungen zur geografischen Position falls notwendig:
Alegranza (Isla de) Alegranza, Teil des Archipiélago Chinijo
Casitas Las Casitas, zu weit im Südwesten platziert
Coloradas Playa de las Coloradas
Graciosa (Isla de) La Graciosa, Teil des Archipiélago Chinijo
La Gallarda Unauffindbar (ein Tanz), evtl. Los Guardianes
Montaña Clara (Isla de) Montaña Clara, Teil des Archipiélago Chinijo
Montaña Roxa Montaña Roja
pasito Pta. Pasito (bei Mala)
Plaia de Janubio Playa de Janubio ("Janubio" ist fraglich hispanisch)
Plaia del Arresife Arrecife de Orzola (viel zu weit im Süden platziert)
oder die Hauptstadt Arrecife, dann zu weit nördlich
Ponta gorda Playa Matagorda oder die nördlichere Pta. de Lomo
Gordo
Pta. de Moxon blanco Caleta del Mojón Blanco
Pta. del Caballo Unauffindbar
Pta. del Farrion Punta Fariones
Pta. del Rio (2 x) Caletón del Rio; viel zu weit im Norden
Pta. Gruesa Unauffindbar
Pta. y Monta. Colorada Evtl. Las Hoyas de Cho Colorado (dann zu weit nördlich)
Pto. de Naos Puerto de Naos (Stadtgebiet Arrecife)
Puerto y Pta. de Papagayo Playa de Papagayo, El Papagayo
Punta del Jablillo Unauffindbar (evtl. Pta. del Jablito)
Rio El Rio (Meeresarm zwischen Graciosa u. Lanzarote)
Roque de ambar Unauffindbar (auf Graciosa gibt es eine Playa del Ambar)
Roque del Este Nordöstlich vorgelagerte Insel
S. Bartolome San Bartolomé
Tias Tias (viel zu weit nordwestlich)
Vegueta La Vegueta
Villa Real Villa de San Miguel de Teguise bzw. (heute) Teguise
Für den Vergleich wurden die amtlichen Karten 1:25.000 (Cartografía Militar
de España / Servicio Geográfico del Ejército) herangezogen.
5) Literaturhinweise
Benz, Frank L. (1972): Personal names in the Phoenician and Punic inscrip-tions.-
Studia Pohl 8 (Biblical Institute Press), Rom, 511 S.
Corbella Díaz, Dolores (2007): Aspectos lingüísticos del Compendio (Quezada
y Chavez 2007: LXXXIII-CII)
16MMALMOGAREN XLI/2010
de la Plata, Juan (1992³): El habla de Jerez. Vocabulario jerezano.- Diario de
Cádiz / Ingrasa Edit., Cádiz, 128 S.
Díaz Alayón, Carmen (1988): Comentario toponímico de Lanzarote a propósito
de una antigua carta geográfica.- Anuario de Estudios Atlánticos 34, Mad-rid-
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Jongeling, Karel (1984): Names in neo-punic inscriptions.- Rijksuniversiteit
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Jongeling, Karel (1994): North African names from Latin sources.- CNWS
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Krahmalkov, Charles R. (2000): Phoenician-Punic Dictionary.- Orientalia
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Ulbrich, Hans-Joachim (1995): Prähispanische Ortsnamen von Lanzarote
(Kanarische Inseln).- Almogaren XXVI, Hallein, 213-350
Ulbrich, Hans-Joachim (2004): Transkulturelle Schriftvariation in den prä-hispanischen
Felsbildern Lanzarotes (Kanarische Inseln).- IC-Nachrichten
86 (Institutum Canarium), Wien, 35-40
Ulbrich, Hans-Joachim (2006): Altkanarische Toponyme in einem Text von
Luis Morote über Lanzarote.- Almogaren XXXVII (Institutum Canarium),
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Wölfel, D.J. (1930): Bericht über eine Studienreise in die Archive Roms und
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Anthropos XXV, St. Gabriel-Mödling, 711-724
Wölfel, D.J. (1932): Informe sobre un viaje de estudios a los archivos de Roma
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Wölfel, D.J. (posthum 1965): Monumenta Linguae Canariae. Die Kanarischen
Sprachdenkmäler.- bearbeitet von A. Closs (ADEVA), Graz, 928 S.
Wölfel, D.J. (posthum 1996): Monumenta Linguae Canariae. Monumentos de
la lengua aborígen canaria.- Dirección General del Patrimonio Histórico
(Gobierno de Canarias), Sta. Cruz de Tenerife, 2 ts. 1-402 / 403-1115 [Über-setzung
aus dem Deutschen von IC-Mitglied Dr. Marcos Sarmiento Pérez]