Hans Biedermann
GEISfESGESCHICHTLICHE GRUNDLAGEN DER
ENTDECKUNGSGESCHICHTE DER KANAREN
Wer sich mit der Erforschung des Westrandes
der alten europäischen Ökumene befasst, muss zunächst
den Begriff der "mythischen Geographie" der
Antike in Rechnung stellen. Er ist von der Erdkunde
in unserem Sinne dadurch unterscheidbar, dass hier
nicht die realen Kenntnisse der Umwelt beschrieben,
sondern das kosmologische Gesamtbild mit all seinen
Vorstellungsinhalten mit echten Erfahrungen einem
annähernden Einklang zugeführt wird. So verschmelzen
in der mythischen Geographie Inhalte von Religionen,
Weltschöpfungssagen und Erdkenntnis zu einer schwer
analysierbaren Einheit, und es ist nicht immer möglich,
daraus Hinweise auf reale See- und Landreisen
zur Erweiterung des Horizontes zu erhalten. Dieser
Gesichtspunkt ist im Hinblick auf die Erforschungsgeschichte
des atlantischen Westens von besonderer Bedeutung.
Fast weltweit verbreitet sind Weltbild-Vorstellungen,
denen zufolge die Wohnstätten der Toten
im Westen liegen (vor allem in den westlichen Meeren),
wo allabendlich die Sonne versinkt, worauf unser
Tagesgestirn dann den Abgeschiedenen leuchtet und
sie erwärmt. In den at lantischen Westen verlegten die
Mythen und Sagen vieler Völker älterer Kulturepochen
paradiesische Inselgefilde, und in dem westlichen
Meer, vor den Säulen des Herakles, siedelte Platon
sein versunkenes Inselreich Atlantis an. Schon altägyptische
Weltbild-Vorstellungen, mit der platonischen
Geschichtsmythe vermut lich quellenmässig zusammenhängend,
lokalisierten die Gefilde der Seligen im fernen
Westen und berichteten von den Jarufeldern (Sechet
Jaru), wo der Sonnengott allnächtlich den gerechtgefertigten
Toten Licht und Wärme schenkt.
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Die quellenkritische Analyse der Texte über 1m
Westmeer lokalisierte Mythen- und Märcheninseln, von
den homerischen Eilanden der Kalypso (Ogygia) und
Scheria über die von Plutarch erwähnte Insel (ca. 45
bis ca. 120 n. Chr., "De facie in orbe lunae"), auf
der Kronos von Zeus eingekerkert liegt, über die Hesperiden
und Go rgaden, die Insulae Fortunatae, die
Seelenverliese der hellenistisch-jüdischen Henoch-Vision
bis zu den keltischen Glücksländern und zur Insel
Antilia der Sieben Städte würde eine umfangreiche
Monographie erfordern.
Die im Hinblick auf atlantische Fabelinseln
besonders mythenfreudigen Kelten Nordwesteuropas
waren in dieser Hinsicht die Erben vorindogermanischer
Völker, die als Träger einer maritim verankerten
Lebensweise auch mit der Verbreitung der Megalithen
in Verbindung zu bringen sind. Für eine seriöse
Entschleierung des Zwischenreiches am Kreuzungspunkt
der Forschungsmaterialien von Archäologie, Altvölkerkunde,
Symbol- und Mythenforschung und Entdekkungsgeschichte
wäre gewissenhafte Detailarbeit auf
vielen Gebieten erforderlich, um in diesem zweifellos
faszinierenden Feld nicht in uferlose Spekulationen
abzugleiten. Wirklich greifbar sind für uns nur jene
Quellen, die in der frühchrist liehen Epoche Westeuropas
schriftlich fixiert wurden, oder jene Motive, die
in diesem Raum später (als Forschungsgegenstand der
volkskundlichen Sagenforschung) aufgezeichnet werden
konnten, deren Niederschrift also erst in der letzten
Zeit erfolgte.
Für die Bretagne hat die Situation der keltischen
Stämme D . Fink (1) so formuliert: "Die Bretonen
empfanden sich nicht nur am Ende der 'Welt' lebend,
sondern vor allem an der Schwellen zur 'anderen
Welt'. Daher rührt ihre tiefe Jenseitsverbundenhei
t. Die grossen Steinsetzungen der Megalithkultur,
die wir hier in einer Anhäufung wie sonst nirgends in
der Welt finden, sind ein Zeichen für den Totenkult
dieser Zeit." Wohnstätten der Totenseelen aber sind,
wie angedeutet, vor allem die Mytheninseln im West-
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meer, die in den Sagen und Legenden keltischer Seefahrertradition
erwähnt werden, zu welchen auch die
im Mittelalter hochgeschätzte "Navigatio Sancti Brandani"
(Brendani) gehört. Dabei war das nordwestliche
Europa selbst für die mediterranen Kulturen der Antike
bereits ein Bereich, der den Rand der menschlichen
Ökumene markierte und vom "Duft der Sage"
(0. Peschel) umhüllt war. Hier schon begann die ungewisse
Zwischenzone, wie sie u.a. in dem lateinischen
Lehrgedicht des Rufus Festus Avienus aufgrund
des Reiseberichtes des Karthagers Himilko (um 500 v.
Chr.) geschildert wird: dort "treibe kein Wind das
Schiff vorwärts, so tot sei das zähe Wasser des trägen
Meeres ... Immer gingen dort die Meeresungeheuer
hierhin und dahin, und die wilden Tiere schwämmen
zwischen den trägen, langsam dahinschwimmenden
Schiffen umher ... Himilko berichtet, dass das Meer
sich weit erstrecke; keiner habe Schiffe nach jener
Wasserfläche geführt, weil es auf dieser Tiefe an antreibenden
Winden fehle und kein Lufthauch vom
Himmel dem Schiff vorwärtshelfe; ferner, weil Dunkelheit
(caligo) das Tageslicht mit einer gewissen
Hülle umziehe, weil Nebel stets das Meer verdecke
und weil dort ständig bewölktes Wetter mit dicker
Luft herrsche" (2).
Zu der Ungewissheit eines Vorstosses in die
nur schattenhaft bekannte Welt der Küsten Nordwesteuropas
und des angrenzenden Meeres gesellte sich die
religiöse Scheu vor einem Vorstoss in den Ozean des
äussersten Westens. Dies zeigt etwa das Gedicht eines
Albinovanus Pedo, in den "Suasoriae" des Seneca (ca.
37 n. Chr.) zitiert, worin dem Mann am Steven folgende
Worte in den Mund gelegt werden: "Wohin werden
wir geführt? Sogar das Tageslicht flieht, und die
äusserste Natur verschliesst die verlassene Welt mit
beständiger Dunkelheit. Segeln wir etwa zu jenseitigen
Völkern hin, die unter einem anderen Himmelsstrich
wohnen, und nach einer anderen unbekannten Welt?
Die Götter rufen uns zurück und verbieten den Augen
der Sterblichen, die Grenze der Dinge zu schauen. Wes-
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halb verletzen wir fremde Meeresflächen mit unseren
Rudern und zerstören die friedlichen Wohnungen der
Götter ?" (3).
Freilich offenbart sich hierin nicht die sicherlich
realistischere Einstellung der westeuropäischen
Küstenbewohner, sondern jene der Mittelmeervölker.
Dass aber die Scheu vor dem Entweihen eines
dem Menschen nicht zustehenden Gefildes in der Tat
lange Zeit ein Hemmschuh bei der Planung und
Durchführung von Westfahrten war, ist nicht zu bezweifeln.
Hinzu kommen dabei Auswirkungen der alten
karthagischen Propaganda gegen solche nicht von ihnen
selbst durchgeführte Expeditionen, die einst bezweckt
hatte, griechisch-römische Kontakte mit den Zinnund
Purpurinseln zu erschweren. Somit deckten sich
abschreckende Berichte über die Unheimlichkeit und
die Gefahren dieser Regionen mit ererbten Bildern eines
Totenlandes im Okeanos des Westens, und beim
Studium der Quellen ist es oft, als wären "BermudaDreieck"-
Flunkereien der jüngsten Zeit schon in der
Antike vorweggenommen worden. Diese Angst vor dem
im Nordwesten von Mitteleuropa gelegenen Atlantik
wirkte vielfach im Mittelalter sehr fühlbar nach, wie
viele Dokumente zeigen. Die heilige Äbtissin Hildegard
von Bingen drückt sich in ihrem Werk "De operatione
Dei" (4) so aus:
"Gegen Westen schienen ausserhalb der Rundung
der Erde Finsternisse, die von beiden Seiten dieser
Rundung ... sich wie ein Bogen ausspannten. Zwischen
der West- und der Nordecke klafften zwei andere
- dichtere und noch gewaltigere - Finsternisse
wie ein entsetzliches Maul, das zum Verschlingen aufgerissen
war. Ausserhalb davon hafteten an ihnen noch
andere äusserst dichte Finsternisse, als wären sie deren
Maul und Rachen. Von diesen unermesslichen Finste
missen wusste ich nur, konnte sie aber nicht sehen
..... Zwischen der nördlichen und der westlichen Ecke
(der Welt) gibt es noch andere dichtere und bittere
Finsternisse, existiert in seiner ganzen Härte der
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Schlund des Höllenpfuhls, der die Seelen der Verdammten
verschlingt und mit harten Strafen peinigt
II
Es mag auf den ersten Blick nicht als angemessen
erscheinen, im Zusammenhang mit Entdekkungsgeschichte
einen mystisch-visionären Text zu zitieren.
Er illustriert aber auf recht deutliche Weise,
wie im Mittelalter Europas das Gesamtbild des atlantischen
Westens und Nordwestens beschaffen war.
Hier kommt nicht das zur Sprache, was möglicherweise
westeuropäische Küstenbewohner über die an ihren
Wohnraum angrenzenden Meeresgebiete wussten, sondern
nur, was von gebildeten (schreibkundigen) Zeitgenossen
aufgezeichnet wurde und bis in unsere Tage
erhalten geblieben ist. Dabei hat die eindringlich erlebte
"innere Wahrheit" des spirituellen Weltbildes
naturgemäss kaum etwas mit dem zu tun, was der rationale
Erkenntnisdrang als richtig einstuft.
Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir auch
die anderen einschlägigen Quellen dieser Epoche betrachten.
Für ihre meist geistlichen Autoren war vorwiegend
der heilgeschichtliche Erkenntniswert ausschlaggebend,
nicht aber topographischer Detailreichtum.
Rat ionale Erdkunde hatte in diesem Weltbild
keinen sehr hohen Stellenwert, und ein Schema
didaktischer Art wie eine Radkarte reichte völlig aus,
um die Gestalt der Erde als Zeugnis der göttlichen
Schöpfungsordnung darzulegen.
In der Realität gab es natürlich von den Küstenländern
aus immer wieder Vorstösse und Kundfahrten
in den Ozean, vorwiegend aus Bedarf an ertragreichen
Fischfanggebieten erklärbar (auch wenn
sich die gelegentlich geäusserte Hypothese von vorkolumbischen
baskischen Fahrten zur Neufundlandbank
nicht beweisen lässt). Die berühmte "Navigatio Sancti
Brandani" ist offensichtlich nur der christianisierte
Nachklang älterer Seefahrertraditionen Irlands, nunmehr
eingebettet in die Ideenwelt der neuen Religion.
Der heilige Brendan wird in dem betreffenden Text
auch nie als Entdecker der legendären Inseln im Westen
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bezeichnet, sondern als Nachvollzieher von früheren
Mönchsreisen in diese Gegend. Dabei wurden Seefahrersagen
wie jene von Bran Mac Febal, Maelduin und
der U1-Corra-Brüder bei Weglassung der Verheissungen
allzu irdisch anmutender Jenseitsfreuden moralisierend
bearbeitet und in das Gewand einer Meerespilgerfahrt-
Legende gekleidet. Ob sich die Traditionen von
den Fabelinseln und Ländern jenseits des Meeres eher
an einem keltischen (oder allgemein europäischen)
"Jenseits" im mystisch-religiösen Sinn oder an echten,
halbvergessenen Entdeckungen im Atlantik orientieren,
ist ein kaum lösbares Problem - obwohl der
möglichst getreue Nachvollzug der Brendansfahrt durch
Timothy Severin (1976-1977) die faktische Möglichkeit
erwiesen hat, den Nordatlantik mit den einfachen
nautischen Mitteln des 6. Jahrhhunderts in einem Currach-
Lederboot zu überqueren und die Neue Welt zu
erreichen. Bewiesen wurde naturgemäss nur, dass solche
Fahrten in diesem Sinnen vor sich gegangen sein
könnten, jedoch nicht, dass sie tatsächlich so stattgefunden
haben.
Zu berücksichtigen ist bei allen Erwägungen
durch hypothetische vorkolumbische Fahrten in die
Neue Welt, dass in Europa nur jene "aktenkundig"
werden konnten, bei welchen auch die Rückreise erfolgreich
hatte absolviert werden können. Die vermutlich
häufigeren Fahrten ohne Heimkehr konnten keinen
Niederschlag finden. In den USA existiert eine umfangreiche
Literatur über angebliche Spuren vorkolumbischer
Amerikafahrer (B. Fell u.a.), die vor allem in
den Neuenglandstaaten entdeckt worden sein sollen,
doch haben diese Hypothesen bisher kein positives
Echo seitens der anerkannten Exponenten der Wissenschaft
gefunden und weisen in ihrer Darbietung vielfach
methodische Mängel auf, die ihre Glaubwürdigkeit
stark beeinträchtigen.
Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass Grönland
geographisch bereits zur Neuen Welt gehört, dann
gibt es keinen Zweifel an vorkolumbischen Kontakten
zwischen Europa und Amerika. Dass es aber, davon
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abgesehen, seit den archäologischen Entdeckungen von
Helge lngstad auf Neufundland (L 'Anse aux Meadows)
unbezweifelbare Spuren gibt, die auf die Richtigkeit
der nordischen Vinlandfahrt-Überlieferungen im Sinne
von transantlantischen Amerikafahrten hinweisen, verleiht
diesen jahrzehntelang umstritten gewesenen Saga-
Traditionen ein sehr grosses Gewicht. Sicherlich
haben die Fahrten von Leif Erikson und Thorfinn
Karlsefni etwa in der Form tatsächlich stattgefunden,
wie es die isländischen Chroniken (zum Teil märchenhaft
ausgeschmückt) berichten.
Während im Nordatlantik die Furcht vor sagenhaften
Dunkelnebeln und dem "geronnenen Meer"
Kundfahrten behinderten, wirkte im Süden eine andere
imaginäre Grenze als Schranke gegen die Erforschung
der Westküste Afrikas und der angrenzenden Meeresgebiete:
das Kap Bojador, von welchem die Seefahrer
meinten, es sei wegen gefährlicher Meeresströmungen,
häufiger Nebel und der Unbewohnbarkeit des südlicher
gelegenen Landes nicht zu umsegeln. Der portugiesische
Prinz Heinrich "der Seefahrer", der in Wahrheit
nicht selbst aktiver Forschungsreisender, sondern der
grosse Theoretiker der Kundfahrten war (1394-1460),
koordinierte die maritimen Unternehmungen auf so
effektive Weise, dass neben der Überwindung der
nordwestafrikanischen Vorgebirge (Kap Bojador 1433;
Kap Blanco 1441; Kap Verde 1445) auch die atlantische
Inselwelt immer besser bekannt wurde. Frühere
Vorstösse in dieser Richtung, so der Brüder Vivaldi
( 1291 ), waren ohne echten Erfolg geblieben.
Interessant ist für uns besonders die Erforschungsgeschichte
des Kanarischen Archipels. Diese
Inselgruppe wurde von europiden Menschen bereits in
vorgeschichtlicher Zeit auf dem Seewege besiedelt,
und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach von der südlichen
Iberischen Halbinsel aus (5). Jüngere Kontakte
der Inselbewohner mit Nordwestafrika lassen sich
durch linguistische Vergleiche des von ihnen hinterlassenen
Sprachmaterials wahrscheinlich machen, und
Funde römischer Amphoren im Flachmeer vor den Kü-
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sten der Inseln zeigen deutlich genug, dass es in der
Antike - wie auch Schriftquellen melden - sporadische
Kontakte der Mittelmeervölker mit den "Insulae
Fortunatae" im Westmeer gab.
Eine schattenhafte Kunde von der Existenz
des Archipels mag sich bereits in den griechischen
Texten spiegeln, die von den "Hesperiden" und "Gorgaden"
im westlichen Okeanos erzählen, doch sind
hier mythische Konzepte so bedeutsam, dass die Interpretation
der betreffenden Stellen im geographischen
Sinne problematisch ist. Plinius d. Ä. berichtet
später über eine Expedition des Königs Juba I I. von
Mauritania im Jahre 25 v. Chr. nach den Inseln, wobei
die Sichtung von Hunden (canes) auf einer von ihnen
den Grund zu der Benennung "Insulae Canariae" dargestellt
habe. Im 2. Jahrhundert führt Claudius Ptolemäus
sechs Inseln namentlich an, und dieses Wissen
wurde in den folgenden Jahrhunderten immer wieder
rekapituliert, ohne dass neue Erkenntnisse dazukamen.
Die Beschreibungen der "lnsulae Fortunatae" in den
Enzyklopädien dieser Zeit, etwa im "Speculum naturale"
des Vincentius Bellovacensis (ca. 1 190-1264), vermehrt
die Nachrichten aus der Antike bloss um märchenhafte
Details. Die Kanaren mussten jedenfalls im
Mittelalter bloss wiederentdeckt und aus dem Bereich
der Sage in jenen der realen Erdkenntnis zurückgeholt
werden!
Als echter Beginn der mittelalterlichen Kontaktaufnahme
mit dem Archipel wird in den historischen
Quellen eine genuesische Seereise aus dem Jahr
1292 erwähnt, als Anfang der Conquista des Archipels
jedoch das Jahr 1312, als sich der Genuese Lancilotto
Malo(i)cello auf dem nach ihm benannten Lanzarote
festsetzte ( "lnsula de Lanzarotus Marocelus" auf der
Weltkarte des Angelino Dalorto von 1339). Um 1380
schrieb ein spanischer Franziskaner das "Libro del Conosci
miento del Mundo", das die Kenntnisse dieser
Epoche resümiert.
Früh setzten auch Bemühungen ein, die hellhäutigen
Altkanarier zu missionieren, und zwar vor al -
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lern von Mallorca aus. Die Geschichte der Eroberung
der Kanaren nimmt in vieler Hinsicht die spätere
Conquista der Länder in der Neuen Welt vorweg. Erwähnung
verdient die Tatsache, dass die Kapitulation
der letzten freien Altkanarier der Insel Tenerife, der
Guanchen, erst 1496 erfolgte, also erst nach der Entdeckung
Amerikas. Lange hatten sich die "weissen
Steinzeitmenschen" der Inseln gegen die spanischen
Eroberer gewehrt, ehe sie sich mit der Akkulturation
abfanden. - Dass die immer mehr zur Realität werdende
Kunde von der Existenz von Inseln im Atlantik
auch den bereits erwähnten Prinzen Heinrich den Seefahrer
sehr beschäftigte, ist verständlich. Die Entdekkung
der Kapverdischen Inseln wird dem Genuesen
Antonio Usodi mare und Alvisio Cadamosto zugeschrieben
( 1456). Die unbesiedelte Inselgruppe Madeira
Porto Santo war möglicherweise schon in der Antike
bekannt, und zwar unter dem Namen "Purpurariae",
weil dort ( wie auf den Kanaren) die einen Purpurersatz
liefernde Färberflechte Rocella tinctoria gesammelt
werden konnten, und zwar von Phöniziern und
Karthagern. Einer unbestätigten Überlieferung zufolge
soll sie um 1370 durch einen aus England fliehenden
Edelmann, dessen Schiff durch Stürme verschlagen
wurde, betreten worden sein.
Substantieller wurden die Quellen erst, als
1418 der Portugiese Joao Goncalves Zarco die Insel
Porto Santo sichtete, ebenfalls nach einer Verschlagung
durch Stürme, diesmal jedoch im Verlauf einer
p lanmässigen Westafrika-Kundfahrt. Bald darauf begann,
nach der Entdeckung von Madeira (1419), die
Besiedlung der beiden Inseln unter Ägide von Prinz
Heinrich. Unsicher ist, ob es nicht schon früher Kontakte
mit Madeira gegeben hat, wie die Betrachtung
alter Seekarten nahezulegen scheint. So könnte die
kartographische Darstellung von Inseln im Atlantik auf
dem Laurentiana-Portulan von 1352 bereits die Madeira-
Gruppe zeigen und auf urkundlich nicht greifbare
genuesische Entdeckungen dieser Inseln hinweisen;
doch ist es möglich, dass lediglich die ungefähre Lage
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sagenhafter Eilande hatte angedeutet werden sollen.
Diese führten noch lange Zeit auf alten Seekarten
und G loben ein Scheindasein.
Ebenfalls schwer durchschaubar sind die
Quellen über die Entdeckungsgeschichte der Azoren.
Auch in diesem Fall scheinen Seekarten eine vage
Kenntnis vor ihrer historisch registrierten Entdeckung
anzudeuten, während oft wiederholte Gerüchte über
Spuren einer karthagischen Präsenz auf der Insel Corvo
unbeweisbar geblieben sind. Im Jahr 1427 entdeckte,
soweit bekannt ist, der Portugiese Diogo da Silves die
Ostgruppe der Azoren, und der Ortsname "Sete Cidades"
auf San Miguel verewigt die Sage von der Insel
der Sieben Städte (Antilia, die später den Antillen
Westindiens den Namen gab). Menschen oder Spuren
von ihnen wurden hier im Zuge der bald erfolgenden
Besiedelung nicht gefunden. Die Westgruppe der Azoren
wurde später entdeckt und besiedelt, wobei als
Jahreszahlen 1452 und 1457-1458 genannt werden. Am
Ende des 15. Jahrhunderts war die Inselgruppe von
Portugiesen und (ab 1466) auch von Flamen besiedelt,
und infolge einer kleinen Siedlergruppe aus diesem
Raum hiessen sie längere Zeit hindurch "Ilhas Flamengas",
flandrische Inseln. Der heutige Name (Acores)
leitet sich von den Seevögeln ab, die vor der
portugiesischen Besiedlung des Archipels seine einzigen
Bewohner waren. Die Inseln bildeten lange Zeit einen
wichtigen Stützpunkt bei Seereisen über den Atlantik
nach Westindien, vor allem aber bei der Rückreise von
dort. Langsam begann sich der Nebel der alten Mythen
ab dem 14. Jahrhundert zu lichten, der so lange
den atlantischen Westen verhüllt hatte.
Dennoch waren im Mittelalter Mythos und
reale Erdkenntnis so eng miteinander verflochten, dass
Spekulationen über vergessene Kundfahrten in das
Westmeer und selbst mehrere Vorentdeckungen Amerikas
Tür und Tor geöffnet zu sein scheint. Es soll
daher darauf verzichtet werden, auf Hypothesen wie
jener einer Amerika-Fahrt des Walisers Madoc (angeblich
1170) oder des Franzosen Jean Cousin (1488) nä-
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her einzugehen. Nicht vergessen sollte immerhin werden,
dass Schiffe, die von der Strasse von Gibraltar
(den "Säulen des Herakles") aus die Kanaren ansteuern
und sie verfehlen, durch die Strömungen von
Meer und Wind zwangsläufig nach Westindien getragen
werden. Die prinzipielle Möglichkeit solcher vorkolumbischer
Kontakte über den Atlantik hinweg darf daher
nicht von der Hand gewiesen werden. Erwähnenswert
ist in diesem Zusammenhang, dass Leonardo Torriani,
Autor einer um 1590 entstandenen Chronik der Kanarischen
Inseln, im Rahmen einer Abhandlung über die
sagenhafte Insel Antilia zu berichten wusste (6):
"Einige aber meinen, dass diese Insel einst
von den Römern aufgefunden wurde, als sie, das zweifelhafte
Meer durchfahrend, die ersten Inseln der
Neuen Welt und Dominica entdeckten, wo römische
Münzen mit dem Bilde jenes grossen Cäsar gefunden
wurden, der die ganze Welt mit Geist und Wissen umfasste
..• ". Der Herausgeber des Torriani-Textes (D.
J. Wölfel, Leipzig 1940) meint, dass diese Nachricht
natürlich sehr zweifelhaft sei, doch könnte der Autor
sie auf den Kanaren erhalten haben, die wie die Azoren
Zwischenstation für die meisten Amerikafahrten
waren; und er erwähnt die auf den Kanaren bekannte
Geschichtstradition, derzufolge Kolumbus vor seiner
ersten Reise mit dem Kapitän eines nach einer Insel
im fernen Westen verschlagenen Schiffes zusammengetroffen
und dadurch in seinen Plänen bestärkt worden
sei (mehrere Historiker nennen den Namen des Lotsen:
Alonso Sanchez; "Ob diese Erzählung auf Wahrheit
oder Dichtung beruht, dürfte wohl schwerlich jemals
nachgewiesen werden können", R. Cronau 1896).
Auf den Kanaren herrschte übrigens bis in das 18.
Jahrhundert die Vorstellung, eine der Fabelinseln des
heiligen Brandanus befände sich in unmittelbarer Nähe
des Archipels, sei gelegentlich aus dem Nebel aufgetaucht
aufgetaucht und von portugiesischen Seeleuten
auch besucht worden. Die früher erwähnte Chronik
des Leonardi Torriani bildet sogar eine detaillierte
Phantasiekarte dieses märchenhaften Eilandes ab. Es
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scheint sich um eine Fata Morgana gehandelt zu haben,
die im Nebel über der Meeresfläche die Silhouette
der Kanareninsel La Palma erscheinen liess. Berichtet
wird von mehreren von den Kanaren ausgehenden
Suchexpeditionen nach jener Insel "San Borond6n",
vergleichbar mit den englischen Versuchen, im Jahr
1480 die Glücksinsel Brasil (Hy Breasail) zu erreichen,
die natürlich ergebnislos bleiben mussten.
Damit schliesst sich der Kreis, der die legendären
Traditionen, Mythen und Seefahrermärchen
von Inseln und Ländern im Westen Europas mit dem
Zeitalter der grossen Entdeckungen verbindet. Seine
Bedeutung und das Gewicht der in ihm gesetzten Leistungen
können wir nur dann in vollem Umfang würdigen,
wenn wir uns die tastenden und ungewissen Anfänge
des Strebens nach der Entschleierung des Unbekannten
in Antike und Mittelalter vergegenwärtigen,
ein faszinierendes Kapitel der Kulturgeschichte.
Anmerkungen
(1) So bei D. Fink: Mabik und der Wolkenriese.
Volksmärchen aus der Bretagne, Stuttgart 1977, S.254
(2) Zitiert in dem zweibändigen Werk des Polarforschers
Fritjof Nansen: Nebelheim, Entdeckung und Erforschung
der nördlichen Meere und Länder, Leipzig
1911, Band 1, S. 41 f.
(3) Ebenda Band 1, S. 87 f.
( 4) Hildegard von Bingen, Welt und Mensch. Das Buch
'De operatione Dei' aus dem Codex übersetzt von H.
Schipperges, Salzburg 1965, S. 188 f.
(5) Diskussion der diesbezüglichen Theorien und Auffassungen
bei H. Biedermann, Die Spur der Altkanarier,
Hallein 1983
(6) Leonardo Torriani (hrsg. D. J. Wölfel): Die Kanarischen
Inseln und ihre Urbewohner. Eine unbekannte
Bilderhandschrift vom Jahre 1590, Leipzig 1940, Reprint
Hallein 1979, S. 218 f.
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Torriani, L. (Hrsg. D. J. Wölfel) 1979 Die
Kanarischen Inseln und ihre Urbewohner. Eine unbekannte
Bilderhandschrift vom Jahre 1590. Leipzig
1940. Reprint Hallein 1979
Vincentius Bellovacensis (Vincent de Beauvais) - 1965
Speculum quadruplex. Douai 1624. Reprint Graz 1965
Eine textlich abweichende Version dieser Studie erschien
im 1. Band der Serie "Dokumente zur Geschich-
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te der europäischen Expansion" (Die mittelalterlichen
Ursprünge der europäischen Expansion), hrsg.
von Charles Verlinden und Eberhard Schmitt. Verlag
C. H. Beck, München 1986.
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