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und der geniale Mythenforscher Pettazoni entgegen, und
erwiesen, rein phänomenologisch arbeitend, die Idee vom
Urmonotheismus als illusionär. Doch bis heute gibt es Vertreter
der Urmonotheismus-Lehre in der Religionswissenschaft.
Pater W. Schmidt gehörte auch zu Wölfels Lehrern,
und von ihm hat Wölfel diese Theorie übernommen, was
dazu führte, dass dieser hervorragende Kenner, namentlich
der kanarischen Chroniken, seine Augen vor zumindest
merkwürdigen Tatbeständen schloss.
2 - Das Material
Es ist bekannt, dass sich die einzelnen Kanarischen
Inseln in ihrem kulturellen Habitus bei gewissen Ähnlichkeiten
doch zum grössten Teil voneinander unterscheiden. Das
zeigt sich sehr schön im archäologischen Fundmaterial, namentlich
in der Keramik. Sie deutet auf die verschiedenen
prähistorischen Besiedlungsepochen, aber auch die Ausgangsorte
hin, · von denen her die Siedler aus Alteuropa herüberkamen.
Es lassen sich indes Gruppierungen einander näherstehender
Inseln aufzeigen. So gehen Lanzarote und
Fuerteventura, die beiden östlichsten Inseln, in einigem zusammen.
Gran Canaria und Tenerife scheinen einiges Weniges
gemeinsam zu haben, ebenso Tenerife und Gomera,
aber dann auch wieder Gomera und Hierro, indes La Palma
abseits steht. Doch sind alles in allem die Verbindungen so
locker, dass sie kaum ins Gewicht zu fallen scheinen.
So verschiedenartig wie ihre materielle Kultur
scheint auch ihre Sprache gewesen zu sein, wie sich allein
schon aus dem Wortschatz der überlieferten Sprachreste ergibt.
Dabei liegt der Unterschied nicht etwa nur in der
P honetik, sondern zeigt sich auch in der Semantik, und es
darf wohl angenommen werden, dass auch die Syntax davon
betroffen ist.
Fructuoso meinte über die Sprache: "Tinham tambem
sua linguagem barbara, cada ilha a sua, com que se entendiam"
(Fructuoso 1964, 9, 3 f.) - "Sie hatten auch ihre
barbarische Sprache, jede Insel ihre eigene, mit der sie
sich verständigten".
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Indes G6mara geradezu sagt: "Cada isla hablaba su
lenguaje, y asi no se entendian unos a otros" (G6mara
1965, 1, 3 83) - "Jede Insel sprach ihre eigene Sprache. So
verstand keiner den anderen".
Natürlich geht vieles, z.B. in der Schreibung, auf
Kosten der Chronisten, die über die Kanaren berichteten,
angefangen von Abschreibefehlern, Hörfehlern, mangelhafter
Umsetzung des Gehörten in die Schriftlichkeit, keinerlei
einheitliche bzw. verbindliche Orthographie bei der Transkription
unbekannter Wörter, Nachlässigkeit mangels Interesse
bei der Aufzeichnung, Missverständnisse bezüglich des
Wortinhaltes, absichtliche Irreführung durch die kanarische
Gewährsperson u.a.m. Dem allem und mehr begegnet der
Sprachwissenschafter beim Studium des altkanarischen
Sprachmaterials. Eine keineswegs ermutigende Situation.
Man erfährt nun, dass die in Frage stehende Gottheit
auf allen Inseln verehrt worden sei. Bei Bartolome de
las Casas steht zu lesen: "Teri.an cognoscimiento de un
Dios y Criador de todas cosas, el cual daba galard6n a los
buenos y pena a los malos, y en esto concordaban todos
los aquellos islas, puesto que en los ritos y ceremonial discordaban"
(Las Casas 1957, 82b) - "Sie hatten Kenntnis
von einem Gott und Schöpf er aller Dinge, der die Guten
belohnte und die Schlechten bestrafte. Darin stimmen alle
auf diesen Inseln überein, obwohl sie in ihren Riten und
Gebräuchen sonst nicht übereinstimmen".
Die Deutung des Namens bewegt sich durchaus im
allgemeinen wie diejenige Torrianis über Gran Canaria:
"uennero in cognitione d'une solo Dio ehe dal cielo gouerna
tutte le cose di qua giu, da loro detto Acoran" ( Torriani
1979, 104) - "Sie kamen zur Kenntnis eines einzigen
Gottes, der im Himmel alle Dinge hier unten lenkt, und
der von ihnen Acoran genannt wird".
Abreu Galindo überliefert: "Decian que en lo alto
haba cosa que gobernaba las cosas de la tierra, que llamaban
Acoran, que es Dios" (Abreu Galindo 1977, 156, 18) -
"Sie sagten, dass es in der Höhe eine Sache gebe, die die
Dinge der Erde lenke, die sie Acoran nannten, das ist Gott".
Für Tenerif e gibt Millares: "acoran" "dios" (MLC
1965, 427 §88).
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Für La Palma sagt Abreu Galindo: "Pero no dejaban
de entender que en el cielo habia a quien se deb'ia referencia:
y al que ellos entend1an que estaba en el cielo, lo
llamaban Abora" (Abreu Galindo 1977, 270, 10) - "Aber
sie konnten nicht umhin zu glauben, dass es im Himmel einen
gab, dem man Ehrfurcht zollen müsse, und von dem sie
glaubten, dass er im Himmel sei. Den nannten sie Abora".
Für Gomera lautet der entsprechende Passus bei
Torriani: "ehe daua a intendere ehe nel Cielo u 'era un Dio
chiamato Orahan " (Torriani 1979, 182) " ... der lehrte
sie glauben, dass im Himmel ein Gott sei, genannt Orahan".
Für Hierro sagt Torriani: "G li huomimi adorauano un
Idolo maschio et le donne uno f emina, el maschio chiamauano
Eraoranzan ... " (Torriani 1979, 188) - "Die Männer
verehrten ein männliches Idol und die Frauen ein weibliches.
Das männliche nannten sie Eraoranzan .•• ".
Später fügt er hinzu, nach der Eroberung hätten die
Herrenos den Eraoranzan mit dem Christengott identifiziert:
" ... aplicaron a Dios Nuestro Sefior al nombre de
Eraoranzan" (Abreu Galindo 1977, 90, 16).
Wölfel zeigt (MLC 1965, 437) die Formen von Abreu
Galindo als "eraorahan", also wie Torriani; und Torrianis
Form "eranoranhan" glaubt er verlesen aus "erahoranhan".
Im letzteren Falle wäre das primäre 11h11 lediglich Hiatt
renner. Das vorausgehende "era" zieht er zum häufig belegten
"ar-/are-/ara-" (MLC 1965, 487 §176), dessen Funktion
oder Bedeutung er aber nicht klären kann (MLC 1965,
437 §100). Möglicherweise ist darin eine Erweiterung des
Artikelpräfixes "a-" zu sehen.
Ich habe aber bereits anderswo darauf hingewiesen,
dass das vorausgehende "era" möglichweise auf einen Höroder
Schreibfehler eines Chronisten vor Abreu und Torriani
zurückgeht, zu dem ungefähr gesagt worden sein mochte: "
.•. y el Dios, que adoraban, era (war) Oranhan" (diesen
Hinweis gab mir H. Nowak), sodass der herrefüsche Name
mit dem gomerischen bis auf den Nasal "n" übereinstimmen
würde. Im übrigen zeigt auch dieser Eraorahan sich als
im Himmel befindlich.
Der Überblick über die Zusammenstellung der Gottes-
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namen (siehe Tafel) zeigt, dass alle eine Lautgruppe gemeinsam
haben, die ausser einem einzigen Zeugnis aus Tenerife
alle samt und sonders "-ora-/-ura-/-oro-" lautet,
wobei "-ora" insgesamt deutlich überwiegt.
Wie selbstverständlich zieht Wölfel den vorausgehenden
Guttural "-c-" zu dieser Lautgruppe und nennt den
Gott "a-kor-an" (MLC 1965, 428, §88), indem er auf baskisch
"goren" verweist.
Ich habe hier meine Bedenken, so schnell vorzugehen,
denn das deutliche Zeugnis von Gomera und Hierro, das
keinen Guttural zeigt, macht mich stutzig. Schliesslich war
ja auch Wölfel nicht unbekannt, dass es ein Präfix "ach-"
gab (Wölfel 1965, 363 §8). Und gerade Tenerife zeigt dieses
"ach-" ausser bei den in der Liste aufgeführten Gottesnamen
"achoron" auch in der Gottestitulatur sehr schön:
Torriani ( 166):
Abreu (293, 24 ):
Torriani ( 167):
Abreu (301, 8):
ach-guaia-xerax
ach-guayer-xeran
ar-guai-cha
at-guay-cha
"Ach-" ist in diesen Fällen nur ein Präfix bzw. Demonstrativvariante
von "ar-" bzw. "at-11 (Wölfel 1965, 367 §11)
und bedeutet etwa "der, welcher".
Nichtsdestoweniger ist es durchaus legitim, den Guttural
des Gottesnamens zu der oben isolierten Lautgruppe
"-ora-" etc. hinzuziehen, "a-" als eine Art Artikel zu verstehen
und "-cora-n" zu lesen. Das häufig in Tenerife bei
Gottesnamen auftretende "ach-" müsste dann, wie es bereits
Wölfel tat, wohl als eine Palatalisierung des Gutturals
aufgefasst werden, als "atsch" (Wölfel 1965, 430 §93),
denn ich glaube nicht, dass man Torrianis Muttersprache
hier in Rücksicht ziehen muss, zumal auch Abreu Galindo
das "-eh-" gibt. Der Name "acoran" wäre auf Gran Canaria
"akoran", auf Tenerif e "atschoran" gesprochen worden.
Wenn man dann bei Abreu Galindo (1977, 298, 16)
für Tenerife ausdrücklich einem "coran" begegnet, das
"Mann" heisst, so darf wohl gefragt werden, ob im Gottes-
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namen nicht eben dieses "coran" auch vorliege. Zwar gibt
die Mehrzahl der Zeugnisse für Tenerife, und namentlich
von den zuverlässigen Chronisten, für den Gottesnamen eine
Form von "achoron" und dann gleich mit Erweiterung und
wohl so zu analysieren "a-chu-hu-ra-n", aber das Nebeneinander
von "coran" "Mann" und "acoran, achoron, achuhuran"
als Gottesname lässt dennoch die Vermutung einer
Verwandtschaft zu. Sollte unter Umständen das erweiternde
"-hu-" lediglich eine Steigerung oder Intensivierung
bedeuten, so hiesse der Gottesname soviel wie "Der Mann
(schlechthin), der Mann der Männer". Das würde freilich
für eine Gottesbezeichnung in einer archaischen Umgebung
sehr gut zutreffen. Die Gottheit wäre dann eine Art Überoder
Supermann, die Männlichkeit per se und männliche Potenz
schlechthin. Man vergleiche dazu etwa die Dschagga-
Neger, die Gott "Mensch des Himmels" nennen (Söderblom
1979, 140).
Die gutturallosen Formen Gomeras und Hierros sind
damit freilich nicht erklärt, und es wird ein langer Weg
werden, bis sie leidlich zufriedenstellend beiseite gelegt
werden können.
Ein nächster Schritt in diese Richtung wird sein, zu
ergründen, was der Gottesname bedeuten könnte. Dazu wird
es notwendig, die Titulatur des Gottes von Tenerife in ihrem
gesamten Wortlaut durchzugehen. Ich stelle zusammen:
Torriani ( 166) achuhuran achahucanac il grande
il sublime
Espinosa (34)
Abreu (293,26)
achuhurahan, achuhucanac
achguayaxerax = el grande, el sublime,
el que todo lo sustenta
achuhuayahan y achuhucanac y acguayaxerax
= el grande, el sublime, el que
todo lo sustenta
In diesen Gottestitulaturen trifft man bei den Zeugnissen
von Torriani und Espinosa wieder auf "achuhuran" und
mit abermaliger Erweiterung auf "achuhurahan".
Den Übersetzungen zufolge müssen die ersten Glieder
der Titulatur "der Grosse" heissen, die zweite "der Erha-
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bene" und die dritten bei Espinosa und Abreu "der, der alles
trägt, hält".
Es ist eine weitere Namenreihe zu betrachten:
Abreu (293,24) achguayerxeran achoron achaman
= sustentator de cielo y tierra
Espinosa (35) achguayaxerax, achorom, achman
= sustentator de cielo y tierra
Torriani ( 166) achguaiaxerax et ochoron achaman
= sostentatore del cielo et della terra
Zunächst scheint wieder eine klare Dreiteilung vorzuliegen:
Erhalter, Himmel, Erde. Dieser Eindruck wird aber
sofort durch Torrianis und Abreus ausdrücklichen Hinweis
"ataman" heisse "Himmel" ausgelöscht (Torriani 166; Abreu
301, 9). Als Referenzstelle geben die beiden Chroni-sten:
Torriani ( 166)
Abreu (301,8)
arguaicha fan ataman
arguaychafanataman
Dio del Cielo
el que tiene al
cielo
Aufgrund der fünf Stellen ist, was Wölfel und andere
bereits sahen (Wölfel 1965, 433 §97), mit Sicherheit zu sagen,
dass "ataman" und "achaman" Varianten ein und desselben
Wortes sind und "Himmel" bedeuten. Bleibt für "arguaicha,
atguaicha" "Dio" bzw. "el que tiene", d.i. "Gott"
bzw. "Erhalter". Hier liefert Abreu den Beweis, dass "Dio"
eine Pauschalierung Torrianis ist, denn er gibt:
Abr (293,26) acguayaxerax: ac-guaya-xerax
= el que todo sustenta
Abr (301,2) guayaxiraxi: guaya-xiraxi
= el que tiene el mundo
Daraus ist zu entnehmen, dass "guay-/guai-" offenbar die
spanischen Verben "sustentar, tener" deckt, wozu später
noch "cargar" tritt (Abreu 1977, 301, 4), was die deutsche
Übersetzung "stützen, haben, halten, tragen" erlaubt.
Bleibt für " xerax / xiraxi " die Übersetzung "todo" bzw.
"mundo", das ist "alles" bzw. "Welt" ( völlig gegen Wölfel,
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1965, 441 §106).
Ich stelle alle Belege zusammen:
Abreu (293, 24)
achguayerxeran achoron achaman = sustentador de cielo
y tierra
Espinosa (35)
achguayaxerax, achorom, achaman = sustentador de cielo y
tierra
Torriani ( 166)
achguaiaxerax et ochoron achaman = sostentatore del Cielo
et delle terra
Abreu (293, 26)
acguayaxerax = el que todo sustenta
Abreu (301, 2)
guayaxi raxi = el que tiene al mundo
Torriani ( 166)
armaxes guaiaxiraxi = la madre di colui ehe sostenta il
mondo
Abreu (301, 4)
atmayceguayaxiraxi = la madre del que carga el mundo
Espinosa (62)
achmayex, guayaxerax, ochoron, achaman = la madre del
sustentador del cielo y tierra
Abreu (301, 3)
chaxi raxi = la que carga al que tiene el mundo
Dass die letzte Übersetzung Abreu Galindos interpretierend
zu verstehen ist, zeigt nicht nur ihre Länge, sondern
der teilweise identische Wortlaut mit Torriani (Torriani
1979, 166).
Torriani (166) armaxes: ar-maxes sowie Abr (301, 4) atmayce:
at-mayce ist bestimmt zusammen zu sehen mit
"maica" "unsere Mutter" (Torriani 1979, 182, 93) und
"mayek" "meine Mutter" (Torriani 1979, 257, 55). - Das
"cha-" in "cha-xiraxi" gehört wohl mit "chamato" (cha-
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mato), der tinerfenischen Bezeichnung für "Frau" zusammen
(Abreu 1977, 298, 16). "cha-" wäre dann weibliches Präfix.
Zunächst wird man nach dem Unterschied "xerax"
und "xiraxi" fragen, und man möchte vermuten, "xerax"
wäre das Maskulinum und "xiraxi" das Feniminum. Dagegen
sprechen Abreus (Abr 1977, 301, 2) "guayaxiraxi" "el que
tiene al mundo" und andere (MLC 1965, 428 §90; 429 §91).
Sauber trennen sich die Wörter nur in der Bedeutung "xerax"
"tierra" (viermal), "todo" (einmal) und "xiraxi"
"mundo" (fünfmal). Aber ganz befriedigt diese Unterscheidung
auch nicht, da das "todo" von "xerax" mit
"mundo" von "xiraxi" zusammenfällt.
Es bleibt nichts anderes, als sich eine Dreiergruppe
von Titulaturen noch einmal anzusehen:
Abreu (293,24) achguayerxeran achoron achaman = sustentador
de cielo y tierra
Espinosa (35) achguayaxerax, achorom, achaman = sustentador
de cielo y tierra
Torriani (166) achguaiaxerax et ochoron achaman = sostentatore
del Cielo et della terra
Setzt man nun den Schlüssel an:
ach- = ar-Demonstrativpräfix
guaia = sustentatar, tener, cargar
xerax = tierra, todo
achaman = ataman, das ist cielo
so bemerkt man, dass "achoron/achorom/ochoron" nicht
übersetzt ist. Nun gibt Nufiez de la Pefia für die Gottestitulatur,
deren Form auf Gran Canaria "acoran" lautet,
für Tenerife mit "acoron" wieder (Wölfel 1965, 427
§88). Dazu identisch Viana "acoron", aber auch "achoron"
(Wölfel 1965, 427 §88), die Form, die auch Abreus Stelle
(Abreu 293,24) aufscheint. "achoron/achorom/ochoron" sind
demnach nichts als Varianten zum tinerfefiischen "achoran"
und dem "acoran" von Gran Canaria. Auf Seite 11
heisst es:
Torriani ( 166)
Espinosa (34)
Abreu (293,26)
achuhuran il grande
achuhurahan el grande
achuhuyahan el grande
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Diese Formen an "achoron/achorom/ochoron" aus Tenerif
e anzuschliessen, hiesse "achuhuran" in "a-chu-hura-
n" zu gliedern, wobei "-hu" die Reduplikation der Mittelsilbe
eines angesetzten "*achuran" wäre. Man könnte in
dieser Reduplikation eine Steigerungssilbe vermuten. "Cora/
chora/chura" bedeutet dann etwa "gross", "chuhura"
"grösser, sehr gross". Torrianis "achuhuran" wäre dann
nicht nur "der Grosse", sondern "der sehr Grosse". Das "ha-"
in der gleichfalls in Tenerife belegten Titelform "achu-
hu-ra-ha-n" bildet eine 2. Reduplikation zur Erreichung
des 3. Grades "der Grösste".
Ich stelle zusammen:
a-co -ra -n
a-cho -ro -n
a-chu-hu-ra -n
a-chu-hu-ra-ha-n
der Grosse (Gran Canaria)
der Grosse (Tenerife)
der sehr Grosse (Tenerife)
(atschu'uran)
der Grösste (Tenerif e)
(atschu' ura' an)
Gemeinsame Wurzel: "cora/chora/chura";
1. Reduplikation: "-hu-"
2. Reduplikation: "-ha-".
Das 11
0
11 in "acoran" wäre dann durch Senkung zwischen
vorausgehendem und nachfolgendem "a" zu klären.
Eine ursprüngliche Form des Gottesnamens- bzw. -titulatur
hätte dann "*acuran" lauten müssen. Oder dann ist das
tinerfefüsche "u" in "-chu-" infolge Anfügen der Silbe "hu-"
von 11
0
11 zu "u" erhoben worden. Dann bleibt allerdings
die Frage, warum die Reduplikationsform nicht
"*achohorahan" wurde. Oder sollte auf Gomera "Orahan"
und auf Hierro "(era)oranhan" eine ältere Form erinnert
worden sein?
Wäre noch einmal auf tinerfefüsch "coran" "Mann"
zurückzukommen. Stimmen die gemachten Vermutungen, so
hätte man in "coran" beides zu verstehen "Mann" und
"gross", bzw. "der Grosse" wäre gleichbedeutend mit dem,
was "Mann" heisst. Etwas kühn mag eine solche Hypothese
freilich scheinen, doch unsinnig ist sie nicht.
Weiterhin ist zu fragen, ob das "et" in Torrianis Titulatur
"achguaiaxerax et ochoron achaman" (Torriani 1979,
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166) so verstanden werden soll, dass die Titulatur in zwei
Gruppen zu trennen ist. Wäre "ochoron" dann Adjektiv zu
"achaman", mag Espinosa auch ein Komma dazwischen setzen?
Hiesse dann "ochoron achaman" "der grosse Himmel"?
Nun sei versucht, die Gottestitulaturen von Tenerife zu
übersetzen:
Abreu (293, 24)
achguayerxeran achoron achaman = der
ger) der Erde, der Grosse, der Himmel
(Träger) der Erde, der grosse Himmel
Erhalter (Trä=
der Erhalter
Espinosa (35) achguayaxerax, achoron, achaman = der Erhalter
(Träger) der Erde, der Grosse, der Himmel
Torriani (166) achguaiaxerax et ochoren achaman = der Erhalter
(Träger) der Erde und der grosse Himmel
Abreu (293, 26) acguayaxerax = der Erhalter (Träger) der
Erde
Abreu (301, 2) guayaxiraxi = der Erhalter (Träger) der
Welt
Torriani (166) armaxes guaiaxiraxi = die Mutter des Erhalters
(Trägers) der Welt
Abreu (301, 4) atmayceguayaxiraxi = die Mutter des Erhalters
(Trägers) der Welt
Espinosa (62) achmayex, guayaxerax, ochoron, achaman =
die Mutter des Erhalters (Trägers) der Welt, des Grossen,
des Himmels ( ••• des grossen Himmels)
Torriani (166) chaxiraxi = Weltfrau
Abreu (301, 3) chaxiraxi = Weltfrau
Torriani (166) achuhuran achahucanac = der sehr Grosse,
der Erhabene
Espinosa (34) achuhurahan achahucanac achguayaxerax = der
Grösste, der Erhabene, der Erhalter (Träger) der Erde
Abreu (293,26) achuhuyahan y achihucanac y acguayaxerax
= der Grösste und Erhabene und der Erhalter (Träger)
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der Erde.
3 - Der Urheber
Nach diesen zeitraubenden Analysen sind die Namen
zusammenzustellen, mit denen dieser sogenannte Hochgott
benannt wird:
Acoran (und Nebenformen) = der Grosse (il grande)
achuhuran = der sehr Grosse (erschlossen)
achuhurahan = der Grösste (erschlossen)
achahucanac = der Erhabene (il sublime)
guaia = der Erhalter (Träger) (el sustentador)
Diese Bezeichnungen sind in der
schaft als die stehenden Beiwörter der
heberfigur oder des Ur-hebers im Sinne
derblom 1979, 93 ff.) bekannt.
Religionswissensogenannten
UrSöderbloms
(Sö-
Die Urhebergestalt dient dem Archaiker dazu, alles,
was für ihn in der Welt einer Erklärung bedarf, auf diese
zurückzuführen (Söderblom 1979, 107, 152). Aus dem Urheber
sind unter Umständen die ersten Menschen entstanden
oder die ersten Menschen sind selber solche Urheber
gewesen (Söderblom 1979, 112); sie haben Tiere, Pflanzen
und Naturerscheinungen geschaffen, haben am Ur-Sprung
die moralisch-soziale Ordnung dieser Welt festgesetzt, die
Menschen mancherlei gelehrt, vor allem aber stammt von
ihnen die Einsetzung der Riten, Mysterien und andern geheimen
Zeremonien (Söderblom 1979, 107, 121), ja manchmal
haben sie sogar die Welt geschaffen (Söderblom 1979,
113). Allen Urhebern gemeinsam ist aber, dass sie mit
höchster Ehrfurcht genannt werden (Söderblom 1979, 112)
und dann etwa: Macher, Schöpfer -der Welt, Höchster, Erhabener,
Erhalter der Welt, Ordner der Welt usw. heissen.
Es handelt sich also genau um dieselbe Titulatur, die beim
kanarischen Acoran nachgewiesen werden kann.
Gemeinsam ist den Urhebern auch, dass sie im Kult
eine ganz untergeordnete oder überhaupt keine Rolle spielen.
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Dem liegt zugrunde, dass sich der Urheber nach getanem
Werke häufig in einen Stein, einen Baum, in einen heiligen
Gegenstand verwandelt oder dorthin geht, woher er gekommen
ist, oder er zieht sich an einen unzugänglichen Ort zurück,
entweder unter der Erde oder häufig irgendwo in den
Himmel (Söderblom 1979, 122). Von diesem Zeitpunkt ab
weiss man von ihm weiter nichts mehr, ausser dass er sich
um diese Welt kaum oder gar nicht mehr kümmert, sondern
allenfalls lediglich die Ordnung, die die Welt zusammenhält,
überwacht. Dieser Urheber ist daher weder von den Mitgliedern
des Götterpantheons, noch von den Menschen auf
irgendeine Weise erreichbar, geschweige denn beeinflussbar.
Die Menschen errichten ihm keine Altäre, bringen ihm keine
Opfer - wie beispielsweise auch die Herreios Eraoranhan
keine Opfer gebracht haben sollen (Torriani 1979, 188)
- und richten auch keine Gebete an ihn, denn ihn erreicht
keine Beeinflussung weder materieller noch immaterieller
Art. Nur in allerhöchster Not, dann, wenn die Ordnung der
Welt aus den Fugen zu gehen droht und um der Welt Bestand
gefürchtet werden muss, dann erst richtet der
Mensch einen verzweifelten Hilfeschrei an den Urheber,
dass er die Ordnung der Welt doch möge aufrecht erhalten.
Als solche Extremfälle gelten existenzbedrohende Katastrophen
wie Dürre, Wassernot, Erdbeben, Kriege etc. Von einer
solchen berichtet Abreu über Tenerif e:
"Cuando habian menester agua o ten'i.an alguna necesidad,
tomaban las ovejas y cabras, y con elles se juntaban
todes, hombres y mujeres y nifios en ciertas partes; y alli
las ten'i.an dando voces toda la gente y el ganado balando,
alrededor de una vara hincada en el suelo, sin que comiesen,
hasta que llov'ia" (Abreu 1977: 294, 2 ff.) - "Wenn sie
des Wassers bedurften oder irgendetwas notwendig brauchten,
nahmen sie die Schafe und Ziegen, und mit ihnen versammelten
sich alle, Männer und Frauen und Kinder an bestimmten
Orten. Dort blieben sie, während das ganze Volk
seine Stimme erhob und das Vieh blökte, um den in den
Boden gesteckten Pfahl, ohne zu essen, bis es regnete."
Auch Schwüre werden beim Urheber geleistet, da ein
solcher die Weltordnung zum Unterpfand setzt. Ein Meineidiger
vergeht sich nicht in erster Linie an seinen Mit men-
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sehen, sondern greift vielmehr gefährdend in die mühsam
im Gleichgewicht gehaltene Ordnung der Welt ein, er vergeht
sich am Urheber. Solche Tat kann nur mit dem Tod
gesühnt werden, weshalb für Meineidige in allen Rechtssatzungen
der Welt schwerste Strafen ausgesetzt sind.
Auch die Altkanarier schwuren bei Acoran, wie dem
Wortlaut des Schwurs, den jeder neue König auf Tenerife
ablegen musste, zu entnehmen ist:
"agogne, i acoran, i gnatzhagna chacognamet"
(Torriani, 1979: 164)
Ich übersetze aus dem Altkanarischen, soweit das möglich
ist:
"ich schwöre, o Acoran, beim Knochen dessen, der •.• "
Häufig wird der Urheber auch für den Tod verantwortlich
gemacht. Nicht nur hat er am Ur-sprung den Tod
zugelassen oder gar verursacht, sondern es wird ihm auch
später noch jeder unerklärbare Tod angelastet. Ob Acoran
auch in dieser Hinsicht dem Urheber gleicht, muss erst
durch sorgfältigstes Studium abgeklärt werden.
Das häufig beobachtete Sich-Zurückziehen des Urhebers
in den Himmel bringt ihn natürlich in dessen Nähe,
doch darf und kann der Urheber auf keinen Fall als die
Personifikation des Himmels auf gefasst werden, der durchaus
sein eigenes Numinosum ist, aber dass eine Verschmelzung,
eigentlich ein früher Synkretismus eintritt, ist gar
nicht selten. So sagen auch die Palmesen, Abora sei im
Himmel (estaba en el cielo; Abreu 1977: 270, 11) und
Eiunche von Gomera lehrt, dass im Himmel Orahan wohne
(Torriani 1979: 183). Wenn dann die Menschen von Gran
Canaria auf Bergeshöhen Acoran Milch und Butter opfern
(Torriani 1979: 115; Abreu 1977: 49), wo doch Opfer dem
Urheber fremd sind, so gelten diese Gaben möglicherweise
dem Himmelsnumen, wenn sie nicht direkt auf das Erdnumen,
die Mutter Erde zurückweisen (Wipf 1985).
Ähnliches ist vom Gebetsgestus zu sagen, den u.a.
Fructuoso mitteilt, wobei er eine wichtige andere Mitteilung
damit verknüpft:
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"Adoravam a um s6 Deus, alevantando as maos ao Ceu,
porque nao tinham 1dolos .•• " (Fructuoso 1964: 9, 2 ff.)
"Sie verehrten einen einzigen Gott. Sie erhoben die Hände
zum Himmel, weil sie keine Bilder (sc. von ihm) hatten •.• ".
Vom Urheber stellt man auch keine Bildnisse her. Neben
den Herrefios sollen auch die Bewohner von Tenerife keinerlei
Idole besessen haben, weil Abreu für Tenerif e behauptet,
die dortige Eingeborenen hätten nur an Gott und
seine Mutter geglaubt:
"Y no adoraban 1dolos, ni ternan ot ra cosa a quien adorar,
sino a Dios y a su madre" (Abreu 1977: 301, 5 ff.)
Nüchtern betrachtet wird man zunächst an ein Götterpaar
denken, dem die Spanier die Bedeutung Gottes und seiner
Mutter unterschoben, zumal auf Hierro mit der Identifikation
des Eraoranhan mit Gott und der Moneyba mit Maria
ein entsprechendes Phänomen zu beobachten ist (Wipf
1985).
So entsteht allmählich ein Bild, dass vermuten lässt,
in Acoran, Achoron, Abora, Orahan, Eraoranhan stosse man
auf eine allen Kanariern gemeinsame Urheberfigur oder,
wie Wölfel meinte, auf einen Hochgottglauben. Und beides
stellt sich als ein Irrtum heraus. Ein kleiner Satz in Torrianis
Chronik, bei dessen Übersetzung Wölfel unbegreiflicherweise
das entscheidende Wort übersehen hat, enthüllt
alles.
Misstrauisch wird man ja schon bei der Überlegung,
warum denn auf fünf der sieben Inseln, bei erwiesener
Verschiedenheit der Sprachen, die Namen des Gottes so
einheitlich gelautet hatten. Dazu tritt Las Casas' Mitteilung,
die Riten und Bräuche der einzelnen Inseln seien voneinander
verschieden gewesen, nur der Glaube an diesen
Schöpfergott gemeinsam.
11 • •• en esto concordaban todos los de aquellos islas, puesto
que en los ritos y ceremonias discordaban".
(Las Casas 1957: 82b)
11 ••• darin stimmten alle auf diesen Inseln überein, obwohl sie
<sonst> in den Riten und Bräuchen nicht übereinstimmten".
-59-
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Und schliesslich macht die allzu christliche Charakteristik
des Gottes noch zusätzlich hellhörig:
"el cual daba galard6n a los buenos y pena a los malos"
(Las Casas 1957: 82b)
"er belohnte die Guten und bestrafte die Schlechten"
4 - Der Gott, der ein Hund wurde
So berichtet Torriani:
"Hebbero etiandio huomini fatidici, iquali prodiceuano c10
c'haueua a uenire, fra'quali si fa mentione d'uno nomato
Eiunche ehe daua a intendere ehe nel Cielo u'era un Dio
chiamato Orahan, c 'haueua fatto tutte le cose et diceua
ehe doppo ch'egli fosse morto uenerieno a l'Isola nuoui
huomini iquali dirieno cio ehe si hauesse da adorare; .....
(Torriani 1979: 182)
"Sie hatten auch schicksalkundige Männer, die voraussagten,
was kommen musste. Unter diesen erwähnt man einen
mit Namen Eiunche, der lehrte, dass im Himmel ein Gott
sei, Orahan genannt, der alle Dinge gemacht habe, und
sagte, dass, nachdem er gestorben sei, neue Männer auf
diese Insel kämen, die sagen würden, was sie <sc. die Gomerer>
zu verehren hätten; ..... "
Dann folgt der entscheidende Satz:
"et diceua ehe l 'huomo pelloso adorate non era il uero Dio
de'Gomeri, ma suo nemico".
"und er sagte, dass der haarige Mann, d e n s i e v e r -
e h r t e n <von Wölf el ausgelassen>, nicht der wahre Gott
der Gomerer sei, sondern dessen <sc. des wahren Gottes>
Feind".
Daraus zu schliessen, dass die Gomerer zwar von
Orahan gehört hatten, ihn aber nicht (zumindest nicht alle)
verehrten, sondern einen Gott in anthropomorpher, dicht
behaarter Gestalt, ist wahrlich nicht schwer. Wer aber ist
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dieser haarige Kerl?
Nur eineinhalb Seiten weiter vorne berichtet Torriani
in seiner Chronik:
"Adorauano il demonio in figura d'huomo lanuto la loro
detto Hirguan (Torriani 1979: 1980).
"Sie verehrten den Teufel in der Gestalt eines wollhaarigen
Mannes, von ihnen Hi rguan genannt".
Hält man den zuerst gegebenen grösseren Abschnitt mit
diesem zweiten Satz zusammen, so ergibt sich daraus, dass
die Gomerer ihren Gott in anthropomorpher, männlicher,
überaus wollig behaarter Gestalt verehrten, der den Namen
Hirguan trug.
Da Eiunche diesen Hirguan Feind Orahans, d.i. Feind
des höchsten Gottes im Himmel nennt, und Hirguan mit
der Bezeichnung "demonio" belegt, so ist die Sache beinahe
klar, denn "demonio" ist der spanische und italienische
christliche Terminus technicus für das deutsche "Teufel".
Man fragt sofort weiter: War Eiunche Christ? War er
ein früher christlicher Missionar? War Hirguan der alte
gomerische Himmelsgott, der von dem eingeführten christlichen
Gott, den man mangels eines besseren Namens Orahan,
den Grassen, nannte, ins Abseits gedrängt und verteufelt
worden war? Eben letzteres zu beweisen, fällt verhäl
tnismässig leicht.
Zwei Dinge müssen abgeklärt werden:
1. Gibt es Beweise für einen Kontakt der Kanarier mit den
Christen v o r der spanischen Conquista durch Juan de Bethencourt,
im Falle von Gomera v o r dem Jahre 1405 (Abreu
1977: 75, 27).
2. Finden sich auf anderen Inseln gleichfalls Zeugnisse, die
geeignet sind, die Erscheinung von Gomera zu stützen.
Die erste f:'rage ist rasch beantwortet. Die Kanaren
lagen nicht eben von der Welt so isoliert im Weltmeer, wie
man gemeinhin annimmt. Kontakte gab es immer wieder,
wenn sie auch einseitig in Richtung Kanaren erfolgten. Ich
sehe von den wohl bereits phoinikischen, sicher aber römi-
-61-
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sehen und numidischen und später zu vermutenden arabischen
Landungen auf dem Archipel ab und blicke nur auf
die christlichen.
Noch anfangs des 14. Jh. werden die Inseln nicht,
zumindest nicht allgemein, zur Kenntnis genommen, während
der Genueser Lancilotto Maloicello bereits auf der
nach ihm benannten Insel Lanzarote landet, die er bis 1330
besitzt. Spätestens vor der Mitte des 14. Jh. sind schon alle
Inseln bekannt. 1342 fahren zwei Schiffe aus Mallorca zu
den Kanaren. Es ist anzunehmen, dass bereits in Zusammenhang
mit dieser Fahrt missioniert wurde, denn 1351
wird ein Bischof für die Kanaren ernannt und christianisierte
Eingeborene befinden sich auf Mallorca. 1369 und
1386 verbreiten Missionare aus Mallorca auf dem Archipel
das Christentum. 1394 ist ein Mallorquiner Bischof. Dazu
tritt das Zeugnis eines Dr. Troia, der behauptet,
"ehe fra questi barbari (cento anni innanzi ch'il Letancurt
i sogiogasse) ui fu uno detto Jone, ilquale al tempo della
sua morte predisse ehe doppo eh' ei fasse conuerso in ceneri
uenrebbe diluntano per il mare uestito di bianco il uero
Eranoranhan, alquale haueuano da credere et da ubedire"
(Torriani 1979: 190).
"dass unter diesen Barbaren <sc. Herrenos> (hundert Jahre
bevor sie Letancurt unterwarf) dort einer war, der Jone
hiess, der zur Zeit seines Todes vorausgesagt hätte, dass,
nachdem er sich zu Asche verwandelt habe, von weit her
über das Meer, weiss gekleidet, der wahre Eranoranhan,
käme, an den sie zu glauben und dem sie zu gehorchen
hätten".
Wie im Fall des gomerischen Eiunche scheint es sich
bei diesem Jone auf Hierro um einen frühen christlichen
Missionar gehandelt zu haben. Hundert Jahre vor Betancourts
Ankunft 1419 setzte seine Wirkenszeit in den Beginn
des 14. Jh., also genau in die Zeit des Lancilotto Maloicello.
Als weiteres Zeugnis ist jene Tibiabin der Insel
Fuerteventura zu nennen, deren Voraussage von der Ankunft
fremder Männer, die die Einwohner Fuerteventuras beraten,
vom Tode befreien, sie heiter, zufrieden und unsterb-
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lieh machen würden (Torriani 1979: 96), der Eroberung
durch Betancourt den Weg entscheidend ebneten.
Nach Torriani (1979: 184) kam Gomera 1384 zum
erstenmal mit Christen in Kontakt. Trotz kriegerischer
Auseinandersetzungen, die für die Christen nicht erfolgreich
endeten und ihren Abzug erforderten, sollen eine ganze Anzahl
von Gomerern zum Christentum übergetreten sein und
sogar die Namen christlicher Heiliger angenommen haben.
Eine weitere Merkwürdigkeit ist die Ankunft der
Nuestra Senora de Candelaria auf Tenerife, die sich nach
Torriani (1979: 160; 172) neunzig Jahre und nach Espinosa
(1980: 51) 105 Jahre vor der endgültigen Eroberung Tenerifes
auf der Insel ereignete, das wäre um ca. 1405 (nach
Torriani) respektive 1390 (nach Espinosa). Die Maria dürfte
höchstwahrscheinlich mit den Malloquinern nach Tenerife
gekommen sein.
Ich glaube, das Angeführte genügt, um den Beginn
der christlichen Missionierung der Kanarischen Inseln in den
Anfang des 14. Jh. zurückzuverlegen. Sie hätte spätestens
im letzten Viertel alle Inseln erfasst.
Man kennt ja ausserdem die Praxis der Missionare,
den christlichen Gott mangels eines besseren, den Grassen,
Hohen oder gar Grössten, Höchsten zu benennen. Alle bekannten
Umstände summiert, möchte ich den Ausgangspunkt
der Missionierung in Tenerif e vermuten. Dort hätten
die frühen Missionare das Wort "achoron" als Gottesbezeichnung
verwendet. Er wäre einerseits als "acoran" nach
Gran Canaria, und andererseits nach La Palma, Gomera und
Hierro gekommen. Die Formen Abora (La Palma), Orahan
(Gomera) und (Era)oranhan (Hierro), muss man wohl als
Verstümmelungen betrachten, die ihren Grund darin finden
könnten, dass das Wort "achoron" bzw. "achuhurahan" für
die Eingeborenen dieser Eilande keine inhaltliche Bedeutung
besass.
Die zweite Frage führt auf hochinteressante Wege.
Der Hirguan auf Gomera hat nämlich auf anderen Inseln
seine Gegenstücke. Zunächst ist da Abreus Bericht von La
Palma:
"A estos palmeros se les aparec'ia el demonio, en figura de
perro lanudo, y llamabanlo Iruene" (Abreu 1977: 270, 30)
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"Diesen Palmesen erschien der Teufel in Gestalt eines wollhaarigen
Hundes, den sie Iruene nannten".
Merkwürdig, wie in dieser Beschreibung, so knapp sie
ist, der Teufel als Hund so sehr dem Teufel in Menschengestalt
auf Gomera gleicht. Aber aufregend ist das noch
nicht. Spannend wird es erst bei Torriani, obwohl scheinbar
bis heute· niemand darauf geachtet hat. Denn Torriani
schreibt über die Pal mesen:
"Eran idolat ri, conciosia ehe adorauano il demonio in
forma di cane, detto apresso di loro Haguanran" (1979:
198) - "Sie <sc. die Palmesen> waren Götzendiener, weil
sie den Teufel in Gestalt eines Hundes verehrten, den sie
Haguanran nannten".
Soweit gleicht dieser Haguanran also völlig dem
Iruene Abreus. Dann aber fährt Torriani fort: "iquale diceuano
loro ch'egli habitaua nel Cielo da loro detto Tigotan,
et in terra in la cima di 'monti detti Tedote" (Torriani
1979: 198) - "Sie sagten von ihm, dass er im Himmel
wohnte, den sie Tigotan nennen, und auf Erden auf dem
Gipfel der Berge, die Tedote heissen".
Seit wann denn, so ist die Frage zu stellen, wohnt
der Teufel, und dazu noch in Hundegestalt, im Himmel
oder auf Bergspitzen? Dort wohnt doch Abora (Abreu 1977:
270, 11), so wie sich auf Gran Canaria Acoran im Himmel
aufhält (Abreu 1977: 156, 25 f.). Beim Chronisten liest
man weiter, dass die Einwohner daselbst mit den Magadas,
den Gottesjungfrauen, und mit dem Faycag (Abreu 1977:
157, 1; Torriani 1979: 115), dem Priester, auf Bergeshöhen
gestiegen seien, dem Acoran Milch und Butter als Opfer
darzubringen.
Wer selbst bis zu diesem Augenblick noch Bedenken
tragen könnte, etwas besonderes hinter dem Haguanran zu
sehen, dem muss sich die Sache erhellen, wenn er von diesem
Hund, der der Teufel ist, hört:
"ch'egli habitaua nel Cielo •.. et in terra in la cima
di' monti •.. , sopra i quali faceuano le loro adirationi et sacrifici
di late et butiro " (Torriani, 1979: 198) - "dass dieser
im Himmel wohnte •.. und auf der Erde auf dem Gipfel
der Berge .•. , auf dem sie ihn verehrten und ihm Milch und
Butter zum Opfer brachten".
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Man sieht, dem Hund und Teufel Haguanran werden
am gleichen Ort dieselben Opfergaben dargebracht, die man
auf Gran Canaria dem Acoran weiht, dagegen man von Opfern
und Verehrung für den Abora der Palmesen, der ebenfalls
das Recht auf Opfer hätte, nichts, aber auch nicht
das geringste hört.
Daraus ergibt sich: Abora ist ein für die Palmesen
fremder Gott, von dem sie nur eben wissen, dass er im
Himmel wohnt. Eingeführt wurde er aus Tenerife von
christlichen Missionaren vielleicht in der Mitte des 14. Jh.
oder später. Die Palmesen konnten sich mit ihm nur schwer
anfreunden und huldigten weiterhin auf den Bergeshöhen ihren
alten Himmelsgott, der sich hinter dem Namen Haguanran
verbirgt, und brachten ihm Opfer von Milch und Butter.
Die christlichen Missionare, die später im Gefolge der
spanischen Conquista die Insel erreichten, gingen wesentlich
r ücksichtsloser vor als ihre mallorquinischen Vorläufer. Sie
verteufelten den Haguanran buchstäblich und verbannten ihn
in eine zottige Hundegestalt.
Die Auffindung des einstigen Himmelsgottes in Gomera
und La Palma lässt natürlich den Wunsch entstehen,
auch auf den anderen Inseln, auf denen Acoran-Achoron
aufgetaucht waren, eventuell den ursprünglichen Gott zu
finden. Das erwies sich der Quellenlage wegen als nicht
ganz einfach. Methodisch ging ich so vor, dass ich alle
Teufelsbezeichnungen und alle Hundebezeichnungen nebeneinander
stellte. Dabei machte ich eine bemerkenswerte
Entdeckung. Siehe dazu Seite 67-68.
Bei Betrachtung dieser Zusammenstellung stellt man
als erstes fest, dass reine Bezeichnungen für den Teufel
vorliegen, die nichts mit den Bezeichnungen für Hund zu
tun haben, dass aber für Hund und hundegestaltige Teufel
identische oder voneinander abgeleitete Wörter verwendet
werden. Daraus geht hervor, dass die Bezeichnungen für
Teufel von jenen anderen Bezeichnungen zu trennen sind
und wohl Namenscharakter haben.
Gran Canarias "gabio/gabiot/galiot/gaviot" bezeichnet
n u r den Teufel; "cuna" n u r den kleinen Hund. "cena"
ist sicherlich Nebenform von "cuna" in Komposita; "tabi-/
tebi-/tibi-cena"bezeichnet dann wohl zunächst einen gros-
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sen, sehr dicht behaarten, zottigen Hund.
Damit wird das Problem auf geworfen, warum der sogenannte
Teufel Hundegestalt besitzt und auch Hund heisst.
Es ist ja durchaus nicht so, dass der Hund bei den Kanariern
als verwerfliches Tier erschien. Man kann das wohl
nur so erklären, dass die grossen, verwilderten Hunde, die
wohl auch gelegentlich einmal einen Menschen anfielen
oder Schafe und Ziegen rissen, als Verkörperung böser Dämonen,
chaotischer Mächte galten. Das erleichterte dann
die spätere Identifikation des Teufels mit dieser Hundegestalt
und die Übertragung des Wortes "tibicena" auf den
Erzfeind Christi. Man vergleiche dazu den Bericht Abreus,
1977: 149, 16 ft
Paralleles geschah auf Tenerife mit dem tinerfenischen
"guaiota/ guayota", der gleichfalls n u r den Teufel
bezeichnet, indes "cuncha" n u r den Hund meint. Gran
Canarias "cuna" ist wohl dem "cuncha" Tenerif es und. sicherlich
auch mit "cancha" gleichzusetzen. Das Wort "gucancha",
eine Erweiterung von "cancha", das mit "kleinen
Hund" umschrieben ist, benennt wohl den grossen dichtbehaarten
Hund und wird sekundär auf den Teufel übertragen.
Tinerfenisch "guaiota" könnte mit grancanarisch "gabiot/
gaviot" zusammengehen, zumal eine Escudero-Bearbeitung
die Formen "galiot/gaviot" und "guaiot" (Wölfel 1965:
442 §108) nebeneinander gibt. Der Laut zwischen "a" und
"i" scheint nicht sehr fest zu sein. Wie der Wechsel zwischen
"b" und "v" zeigt, wurde der intervokalische Laut als
stimmhaftes "h" gesprochen.
Im Tinerfefüschen wäre es ganz verstummt, eine
Tendenz, die man schon auf Gran Canaria hätte beobachten
können, wenn das Zeugnis der Escudero-Bearbeitung, die
die Form "guaiot" gibt, zuverlässig ist. "Guaiota" wäre zurückzuführen
auf ein "*guabiota". Vielleicht darf angesetzt
werden:
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*gRabiota
/ \
ga'hiot
Gran Canaria
guaiota
Tenerife
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Teufels- und Hundebezeichnungen
Quelle Insel Teufel Übersetzung
Abr Berth 183 GC gabio l e malin esprit
VR Berth 183 GC gabiot l e malin esprit
Mil X/222 GC galiot e l demonio
MyC II/XVII GC gaviot un demonio
Tor 165 T guaiota il demonio
Esp 35 T guayota el demonio
MyC II/XX T guayota demonio
Tor 180 G hirguan il demonio in
figura d'huomo
lanuto
Quelle Insel Teufel u. Hund Übersetzung
Abr Wölfel 445 GC tibicena e 1 demonio en
forma de perro
muy grande y
lanudo
Abr 149,19 GC tibizenas demonio •• como
grandes perros
lanudos
MxC II/XX T canchas y el demonio •••
gucancha en la (aparencia)
de perro grande
y lleno todo de
lana
Tor 198 p haguanran il demonio in
forma di cane
.•••. nel cielo
Abr 270,31 p iruene el demonio, en
figura de perro
lanudo
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Quelle Insel Hund Übersetzung
Bory so . cuna perros pequenos
Tor 108 GC tebicena il cane
Tor 108 GC atabicenen cane lanuto
Abr 297 ,25 T cancha perros pequenos
Bory so T cuncha chien
Mil X/240 T guacancha perro
Abr 167,27 p haguayan perro
------------------------------------------------------
Für Gomera ist unglücklicherweise kein Name für
Hund überliefert, doch bezeichnet Hirguan k e i n e Hundegestalt,
sondern eine menschliche.
Anders, aber nicht weniger verwickelt, liegt die Sache
für La Pal ma. Da die oben gegebenen Ausführungen
Torrianis "Haguanran" eindeutig als den alten Himmelsgott
kenntlich machen, so scheint dieses Wort zu gomerisch
"Hi rguan" gestellt werden zu können. Fatal ist nur, dass
Abreu für den von Torriani "Haguanran" genannten Gott
die Form "iruene" (Abreu 1977: 270, 31) bringt. Der
Schluss liegt auf der Hand, dass eins von den beiden Wörtern
nicht richtig sein kann, wenn man nicht mit dem Argument
einer - freilich nicht ohne weiteres einleuchtenden
- Dialektvariante aufwarten will.
Nun gibt Abreu (1977: 267, 27) eine Bezeichnung
"haguayan" mit der Übersetzung "perro", "Hund". Dieses
"haguayan" klingt sehr nach Torrianis "Haguanran". Nun
kann bei Abreu offenbar "y" an Stelle von "r" treten, wie
die Gottestitulatur "achuhuyahan" statt "achuhurahan"
zeigt. Es hiesse dann eigentlich "haguyan" "haguaran" und
zu Torrianis Form fehlte nur noch das Nasal "n" vor dem
"r". So hiesse denn "haguanran" doch eher "Hund" und
würde als Gottesbezeichnung eher problematisch. Ein Fragezeichen
aber bleibt doch.
"Iruene" hingegen hat bereits Wölfel zu gomerisch
"hirguan" <gespr. irwan> gezogen (Wölfel 1965: 443 §109).
Ein gemeinsamer Ansatz läge durchaus im Bereich des
Möglichen:
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gens- und Fruchtbarkeitsgottes halte. Das Bild der sich
paarenden Ziegen stellte dann den Hieros Gamos der Erdgöttin
mit dem Himmelsgott dar. Ich glaube im Ziegenbock
und der Ziege die ältere religionsgeschichtliche
Schicht fassen zu können, die in der klassischen Ausformung
U garits vom Ba' al- und Anat-Kult überdeckt wurde.
Die Brücke zum Vorderen Orient und nach Mesopotamien zu
schlagen zu jenen Ziegendarstellungen von Ras Samra (Wipf
1980b: Abb. 7) und weiter hinüber zum goldenen Ziegenbock
von Ur (Mallowan 1965: fig. 104), ist für mich nur
eine Frage der Konsequenz.
Da die ursprüngliche Bauernbevölkerung des Mittelmeeres,
Alteuropas und des Vorderen Orients samt Mesopotamiens
aus der gleichen Wurzel stammt und die materielle
Kultur der Altkanarier ganz jene altertümlichen Züge trägt,
so ist es meines Erachtens nicht abwegig, auch Verwandtschaft
in geistiger Kultur anzunehmen. Kleinviehzucht, .d.h.
Ziegen und Schafe spielten vor der Domestikation des Rindes
die zentrale Rolle im Leben dieser frühen Bauern. Ihr
Fruchtbarkeitsgott, der später die Gestalt eines mächtigen
Stierbullen annahm ( vgl. den kanaan. Bereich mit Ba' al),
und seine Geliebte in Kuhgestalt (im kanaan. Bereich Anat)
hatten mit Sicherheit ihre vorgängigen Entsprechungen
im Kleinviehbereich: Ziegenbock und Ziege.
Jedenfalls rechne ich durchaus damit, dass auf den
Kanaren ein Fruchtbarkeitsgott in Gestalt eines Ziegenbokkes
auf den Berghöhen hauste. Die erwähnte zottige Wolligkeit
des Hirguan auf Gomera wiese dann auf seine wahre,
ursprüngliche Tiergestalt hin: auf einen Ziegenbock.
Es wäre im Falle einer solchen Vermutung natürlich
zu begrüssen, wenn der Name der Gottheit irgendetwas
über das vermutete tiergestaltige Alter Ego verriete. Das
allenfalls beizuziehende pal mesische Wort für "Schaf, Ziege"
ist leider nur schlecht belegt. Berthelot gibt, wobei
Wölfel vermutet, er könnte es aus "Mar1n y Cubas haben:
"ciguena" (Wölfel 1965: § 179a).
"Ci-guen-a" liesse sich allenfalls zu "ir-uen-e" stellen.
Trüge das Vergleichswort, so hätte man vielleicht
"iruene" als der "Ziegenbockgestaltige" zu vermuten. Hier
aber gelangt man an die Grenze noch erlaubter Spekulation.
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Nichts weiter als Vermutung ist auch der Hinweis,
dass sich in Tenerife zur Erklärung von "hirguan/iruene" ein
"guan-" anbietet. Aber auch die Bedeutung dieses Wortes
ist arg umstritten. Wölfel führt es auf das Demonstrativum
"wa-11 "dieser, derjenige, welcher" und den relativ-genetischen
Partikel 11-n-11 zurück (Wölfel 1965, 405, §38). Dürfte
man vom Tinerfenischen her urteilen, so trüge die Gottheit
schlicht etwa den Namen: "Er, der". Das tönt so ehrfurchtsgebietend,
so distanziert, so rundum religiös, dass
sich der Zweifel an einer solchen Deutung umso mehr verstärkt,
je länger man mit ihr konfrontiert wird.
Leider nicht besser ergeht es, wenn man nach einer
Deutung des grancanarischen Wortes "gabiot", tinerfePi.isch
"guaiota", fragt.
Einmal fragt man sich, ob das angesetzte "*guab-"
<wab> wieder zum Demonstrativum "wa-" gehöre, so dass
auch dieser Gottesname auf ein "Er, der" hinausliefe. Aber
der nachfolgende Reibelaut auf Gran Canaria ist nicht hinwegzudiskutieren.
Und zudem bedeutete der Gottesname
dann auf allen vier Inseln dasselbe, also etwa in folgender
Form:
Gran Canaria:
Tenerife:
La Gomera:
La Palma:
Das befriedigt keineswegs.
w.
ga 10t
waiota
1rwan
irwene eventuell: awanran
Als nächstes zieht man die Form aus Tenerife "arguai-
cha" <arwaitscha> "der Träger, Stützer, Erhalter" hinzu.
"ar-guai-cha/ar-guay-cha" scheint zu "guai-ota/guayota"
zu passen. Ob man hier festeren Grund betritt? Wenn
auch die Form von Gran Canaria nach wie vor Schwierigkeiten
bereitet, so ist das möglichweise darauf zurückzuführen,
dass "gaviot" (immerhin einmal als Variante "guaiot") und
"guaiota" Sprachverschiedenheiten repräsentieren. Leider
steht der tinerfefiischen Bezeichnung "arguaicha" auf Gran
Canaria keine entsprechende Titulatur zur Seite. Man könnte
dort ein "*argauica" <argawika> vermuten.
Aber solche Rekonstruktionsversuche sind letztlich
nicht so wichtig. Bedeutungsvoll erscheint allein die Tatsa-
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ehe, dass in der Gottestitulatur Tenerifes offenbar der
Namensbestandteil "guai-" in "arguaicha" nachzuweisen ist.
"Guai-ota" wäre dann vielleicht zu deuten als "Träger,
Stützer, Erhalter •.• ", indes "-ot(a)" nicht zu erklären wäre
(Dagegen ganz anders Wölfel, MLC 1965, 442 f., wobei
Wölfel dort im Denkschema gut und böse verharrt. Wölfel
hat nicht erkannt, dass das als "el demonio" misszeichnete
Wesen gar kein böses Wesen ist). Dieser tinerfenische "Guai-
ota" wäre ursprünglich auf dem Teide Tenerifes und auf
dem Tirma Gran Canarias als "*gat>iot(a)" <wawiot(a)>
verehrt worden, bevor ihn Achoron-Acoran von dort mit
Unterstützung der spanischen Missionare vertrieb.
5 - Zusammenfasung
Am Ende dieser vorwiegend linguistischen Bet rachtungen,
die sich als sehr mühselig erwiesen, ist ein abschliessendes
Ergebnis zu formulieren.
Als gesichert darf angenommen werden, dass vor
dem Auftreten christlicher Missionen die Kanarier der Insel
Gran Canaria, Tenerife, La Palma, La Gomera und El Hierro
einen Gott auf Bergen verehrten, der seinen Sitz im
Himmel hatte, wie das Bergheiligtum Tirma auf Gran Canaria
und das literarische Zeugnis Torrianis im Falle von
Gomera und La Palma beweisen. Sein Name ist für Gran
Canaria und Tenerife als "Träger, Stützer, Erhalter ••. "
der Spur nachzuweisen. Man darf in ihm wohl ursprünglich
eine Urheberfigur erkennen, die aber mit dem Himmelsgott
verschmolz.
Für La Palma und La Gomera ist der Name dieser
Gottheit nicht mehr zu fassen. Wohl ist es möglich, dass
auch da der Name auf die Bedeutung "Träger, Stützer, Erhalter"
zurückgeht, doch lässt das Namenmaterial eigentlich
nur höchst zweifelhaft die Bedeutung "Er, der" zu, was allerdings
auf eine Urheberfigur auch gar nicht schlecht zuträfe.
Hingegen sind tierische Züge des Numens noch gut
überliefert, seine anthropomorphe Gestalt in La Gomera
betont. Die zottige Wolligkeit der Gestalt gibt Anlass zur
Frage, ob der Urheberfigur als Nagual ein Ziegenbock zuge-
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schrieben werden müsse. Zur Urheberfigur mit Funktionen
des Himmelsnumens träten Züge eines anthropomorphen
und theriomorphen Gottes der Fruchtbarkeit. Für die Einheit
von Himmels- und Fruchtbarkeitsnumen sprächen die
Regenrituale Gran Canarias (Abreu Galindo 1977, 157), Tenerifes
(Abreu Galindo 1977, 294,2) und El Hierros (Abreu
Galindo 1977, 90,23; Torriani 1979, 188; Wipf 1985), die
deutlich an einen Gott in der Höhe gerichtet sind. Für EI
Hierro aber sind weder der Name noch die tierische Gestalt
der alten Urheberfigur bzw. des Himmelsnumens fassbar.
In der ersten Hälfte des 14. Jh. kamen die ersten
christlichen Missionare, offenbar von Mallorca her, auf die
Kanaren. Die Missionare verkündeten die Lehre des einen
Gottes und nahmen aus der Titulatur des Himmels- und
Fruchtbarkeitsgottes von Tenerife - denn ich vermute aus
der Namensform des Gottes wie aus dem Bericht Torrianis
(1979, 167), dass die Missionierung der fünf Inseln Gran
Canaria, La Palma, La Gomera und EI Hierro von Tenerife
aus ging - die Titulatur "der Grosse, der Hohe" und bildeten
daraus den Gottesnamen "Achoron" und "Achuhuran"
für den christ liehen Gott.
Den alten Gott im Himmel aber vermochten diese
frühen Missionare nicht wesentlich zu stören und versuchten
es vielleicht auch gar nicht. Die fortschreitende Glaubensverkündigung
der Christen brachte den Namen Achuhurans
nach Gran Canaria, wo er zu "Acoran" umgebildet wurde,
gelangte nach La Palma und wurde dort zu "Abora", und
schliesslich erreichte er Ende des 14. Jh. La Gomera und
EI Hierro, wo eine offenbar tinerfenische Form "Achuhurahan"
zu "Orahan" gekürzt, bzw. zu "Eraoranhan" umgestaltet
wurde, wobei ich mehr und mehr vermute, dass die
herrefiische Form auf einem Missverständnis aus der Zeit
der spanischen Conquista herrührt und eigentlich "Oranhan"
heissen sollte. Die Namensformen aus La Palma, La Gomera
und EI Hierro geben Anlass zu vermuten, dass die Einwohner
dieser Inseln mit dem Wortinhalt des Namens nichts
anfangen konnten und ihn daher für ihren Gebrauch zurecht
bogen.
Das Hervorheben einer ihnen vertrauten Eigenschaft
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des Himmelsgottes konnte die Bewohner Gran Canarias und
Tenerif es nicht stören, daher hatten sie nichts gegen den
von den christlichen Glaubensbrüdern lancierten Gottesnamen
Achuhuran-Acoran einzuwenden. Etliche Bewohner traten,
wie bezeugt, zum christlichen Glauben über.
Auf Tenerife, so will es scheinen, könnte den Missionaren
ein besonderer Erfolg beschieden gewesen sein,
wenn Torrianis Bericht zuverlässig ist (Torriani 1979, 167),
denn er behauptet, die Bewohner von Tenerife hätten nur
Gott und seine Mutter verehrt; sonst hätten sie keinerlei
Idole gekannt. Ausserdem mutet die Erzählung von der Erschaffung
des ersten Menschen und der ersten Frau aus Erde,
wie in Tenerife überliefert, denn doch sehr biblisch an.
Zugleich bedenke man die sehr frühe Ankunft der Maria als
Nuestra Sefiora de Candelaria auf diesem Eiland.
Auf den übrigen Inseln vermochten die Missionare
sich indes nicht durchzusetzen, da offenbar dieser "Achuhuran-
Acoran", dessen Name nicht verstanden wurde, einfach
ins bestehende Pantheon synkretistisch eingebaut wurde.
Schliesslich resignierten die Mallorquiner Brüder und prophezeiten
wie Eiunche und Yone - hinter deren Namen
vielleicht sogar die Namen christlicher Missionare stecken -
lediglich noch, dass nach ihnen andere Männer kommen und
sie zum wahren Glauben bekehren würden. Sie konnten mit
Zuverlässigkeit vermuten, dass es nur eine Frage der Zeit
sein konnte, wann die Inseln erobert und die Bekehrung
einsetzen würde.
Die spanische Conquista des 15. Jh. verlief in allen
Stücken sehr viel rigoroser als die vorausgehende europäische
Kontaktnahme mit den Kanaren. Zwar duldete man
Acoran-Achuhuran-Orahan in einem ersten Missionierungsanlauf
als willkommenen Angelpunkt für die weitere Mission.
Der alte Himmels- und Fruchtbarkeitsgott hingegen fand
mit dem gesamten Pantheon keine Gnade mehr vor den Augen
der Christen. Die tierischen Züge des kanarischen Gottes,
seine Opfer Milch und Butter, seine Heiligtümer auf
den Bergen, seinen Kult sowie seinen eigentlichen Namen
wiesen die Mönche der riesigen wilden und zottigen Hundegestalt
eines bösen Dämons, den die Kanarier bereits zuvor
gekannt hatten, zu und machten ihn zum Gegenspieler Achu-
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huran-Acorans. So verwandelte sich der heitere Himmelsund
Fruchtbarkeitsgott in die finstere Gestalt eines grausigen
Hundes, in die Verkörperung des A kosmischen, des Bösen,
in die Gestalt des Teufels.
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