Jürgen KUNZ und Ute OTTMANN-KUNZ, Freising
,,STEINTISCHE" UND ,,STEINKISTEN" IN DEN TASSILI-N-AJJER
(ALGERIEN)
Fünf seit 1971 durchgeführte Surveys in die westlichen Bereiche des Ajjer-Berglandes
- einer Region, die zwar kartographisch einigermaBen erfaBt, doch topographisch
kaum erforscht ist - erbrachten in archaologischer Hinsicht auBer einer Vielzahl von
ergiebigen Felsbildstationen (Kunz 1974, 1977, 1980) auch zahllose Funde vielfaltiger
anderer Kulturhinterlassenschaften. Dazu gehoren vor allem Siedlungsspuren
in Form von Trockenmauerresten, Grabbauten verschiedenster Formengruppen und
sonstige unbestimmte Steinsetzungen.
In der letzten Gruppe fielen zwei Steinsetzungsformen besonders auf, die in der
vorliegenden Literatur für die Tassili-n-Aüer noch nicht erwahnt wurden. Es sind
dies trilithische, dolmenahnliche und kleine kistenformige, roh aus Steinplatten
gefügte Konstruktionen, die bisher noch keine Anhalte für eine chronologische,
funktionelle und kulturelle Einordnung erkennen lassen.
Bei dem ersten Bautyp tragen drei im Dreieck aufgerichtete Steinplatten eine
liegende Platte. Die Tragplatten stehen auf dem anstehenden Felsgrund und sind am
FuB mit Steinbrocken oder -platten verkeilt und gestützt. Bei der Erkundung des
ostlichen Bereichs des Aras-Plateaus im J ahr 197 5 sichteten wir im Gebiet zwischen
den Oued Irharmane und Tikadensermerdine etwa ein halbes Dutzend dieser Monumente.
Zwei davon wurden im Verlauf der Felsbildprospektion naher untersucht.
Das ausgepragteste Beispiel (Abb. 2) für diesen Bautypus steht auf einer Felsterrasse
oberhalb der drei groBen, nicht in den Karten verzeichneten, Dauerguelta von
Inilmes-Taraoulline (Gesamtwasserflache 1975 ca. 400 m2 ). Die Gesamthohe der
sorgfaltig gefügten Konstruktion betragt 1, 20 m. Die Deckplatte hat die Abmessungen
0,55 auf 0,85 m. Die Tragsteine weisen Breiten um 0,40 m auf. Die Plattenstarken
bewegen sich jeweils um 0,10 m. In der naheren Umgebung liegen einige
einfache Grabtumuli sowie mehrere Abris mit Malereifragmenten, die zeitlich nicht
eindeutig eingeordnet werden konnen. Ein flüchtig gebauter ,,Steintisch" ( Hohe
0,70 m, Deckplatte 0,75 auf 1.15 m) steht oberhalb des Oued Tikadensermerdine
(A bb. 3), unweit einer Felsbildstation, die Malereien der Rinderzeit und Gravierungen
sowie Schleifrillen und Napfe der Pferdestufe aufweist.
Bei beiden untersuchten Exemplaren liegen die Deckplatten mit der Langsachse
in NS-Richtung. Inwieweit diese Ausrichtung Zufall oder Absicht ist, konnen nur
Untersuchungen weiteren Fundmaterials klaren. Obwohl die meisten der im Verhaltnis
zu ihren realen Dimensionen überraschend eindrucksvollen Monumente auf den
die Oued begleitenden Hügeln standen, fanden sie sich auch an nicht hervortretender
Stelle.
Einiges spricht dafür, daB derartige Trilithe ursprünglich weitaus starker verbreitet
waren. Da die fragilen Konstruktionen durch anthropogene Einwirkung leicht zer-
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storbar sind, werden sie sich nur in wenig besuchten Gebieten erhalten haben. Die
uns begleitenden Tuareg wuBten zu berichten, daB es für ihre Kinder ein beliebtes
Spiel darstelle, solche Steinsetzungen umzuwerfen. Ein zerstortes Exemplar - das
einzige überhaupt auf dieser Reise - konnten wir bei der zweiten Begehung des
Aras-Plateaus 1977 im Oued I-n-Debdour feststellen.
Ajjer-Tuareg berichteten uns über weitere Vorkommen von Trilithen. So sollen sie
in Tifatassine/Tasedjebest kreisformig um einen zentralen ,,Steintisch" gruppiert
sein. Auch im ostlichen Fadnoun sind sie nach diesen Berichten vertreten. In den
zentralen Tassili-n-Ajjer südlich des Tanguet-Plateaus bei Isselelene sah J. Spruytte,
Vinon-sur-Verdon, im Halbrund stehende Trilithe (briefl. Mitteilung 12.10.1975).
H. Lhote konnte dagegen keine derartigen Steinsetzungen in den von ihm bearbeiteten
Regionen nachweisen (briefl. Mitteilung 28. 12. 1979 ). Ob es sich bei den
Angaben der Einheimischen wirklich um Trilithe handelt, ist nicht ganz sicher, da,
wie sich zeigte, die Tuareg nicht zwischen den dolmenahnlichen Konstruktionen und
den nachfolgend beschriebenen ,,Steinkisten" differenzieren. Die gemeldete Steinsetzung
von Tifatassine konnte von uns trotz zweier Versuche bisher nicht erreicht
werden. Technische, klimatische, vor allem aber bürokratische Hindernisse zeigten
wieder einmal, wie schwierig ein fester Arbeitsplan unter saharischen Bedingungen
durchzuführen ist. Man tut daher gut daran, sich beizeiten den Sahara-Verhaltnissen
ausgezeichnet angepaBten Wahlspruch der ehemaligen Compagnie Méhariste des
Ajjers ,,La patience est ma force" zu eigen zu machen.
Zu den ,,Steintischen" finden sich typologische Parallelen in anderen SaharaBerglandern.
Colonel Meinertzhagen (Rodd 1932) konnte sie im Ahaggar und
M. Milburn (1977) im Air dokumentieren.
Die zweite Steinsetzungsform, von der hier berichtet werden soll, wurde von uns
1977 in Ost-Aras oberhalb des Oued Tidjert festgestellt. Hier fanden sich dreizehn
kistenformige Steinmonumente, die auf einer leicht nach Westen, zum Oued hin,
geneigten Feinkiesflache (Reg) angelegt sind (Abb. 4 ). Ihre Anordnung laBt sich als
Spiralwindung mit unvollstandiger NE-Seite beschreiben, oder auch als zwei bogenformige
Gruppierungen, die sich mit den ôffnungen etwas verschoben gegenüberliegen
(Abb. 5). Die Anlage weist augenscheinlich keinerlei Intention einer geometrischen
Regelmafügkeit auf. Die Form der Anordnung ist keineswegs genau und auch
die Abstande der einzelnen Monumente untereinander sind nicht gleich. Als Baumaterial
dienten Platten und unregelmafüge Steinbrocken aus dem Verwitterungsschutt
des devonischen Sandsteins der Umgebung. Die ,,Deckel" bestehen immet
aus einer einzigen Steinplatte. Ursprünglich waren die kleinen ,,Steinkisten" sicherlich
allseitig geschlossen, wie danebenliegende Steine belegen. Heute ist immer
irgendeine Seite geoffnet. Das Innere erwies sich bis auf geringe Sandeinwehungen
als leer. Vier der Steinsetzungen (D, G, M, N) sind zerstort und nur an Agglomerationen
von Steinbrocken und -platten erkennbar. Bei den vorgefundenen Abmessungen
der Steinsetzungen - die Hohen bewegen sich um 0,40 bis 0,50 m bei Breiten
und Langen um 0,60 m - ist man versucht den ,,Steinkisten" irgendwelche Sitzfunktionen
zuzuschreiben. Von den ebenfalls aus Steinplatten gebauten rezenten
Schakalfallen unterscheiden sie sich jedenfalls deutlich in GroBe und Bauart.
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Ahnliche Baugefoge mit etwa gleichen Abmessungen beschreibt M. Milburn ( 1976,
Fig. 3) aus dem Air, wo sie allerdings in Verbindung mit Grabern auftreten.
Unseren Tuaregfohrern waren beide Steinsetzungstypen genauso ratselhaft wie
uns, und auch weitere Befragungen der Einheimischen erbrachten bisher noch kein
Ergebnis. Wie alles ,,Praislamische" werden auch diese Steinsetzungen den jabbaren 1
zugeschrieben. Die rezente kultische Verwendung von Trilithen wird von Palmers
( 1932) for die Tuareg des Sahel belegt. Angesichts des sparlichen untersuchten
Materials verbietet sich jedoch einstweilen noch eine ahnliche Einstufung for die
Trilithe der Tassili-n-Ajjer. Eine gesicherte Funktionsdeutung und zeitliche Zuweisung
ist jedenfalls aus den bisherigen Befunden nicht abzuleiten. Wie groB die Gefahr
einer Fehldeutung sein kann, wenn Steinsetzungen von vornherein eine
kultische Funktion und ,,praislamisches" Alter zugebilligt werden, zeigen Beobachtungen
von C. Kilian (1929). Er sah in der zentralen Sahara ,,des sortes de petits
dolmens, une pierre horizontale sur deux levées, édifiés de nos jours pour amuser les
petits Imouhar avec ce cheval artificiel . . . " und einfache von Tuareg angelegte
Steinkreise ,, pour le dressage ( der Kamele) comme pour la fête."
Dieselbe Gefahr besteht auch bei den vielen anderen rezenten oder subrezenten
Steinkonstruktionen, wie den kistenformigen Schakalfallen, den bienenkorbahnlichen
Steinkammern (adjrour) for die nachtliche Unterbringung der Jungziegen, den
aufgeschichteten Steinpfeilern (tougnout) als Markierung von Brunnen, usw., den
Windschutzschirmen ( tâfré, agror) aus locker geschichteten Steinen und den Feuerplatzen
(imakhaouil) aus aufgestellten Steinplatten, um nur einige zu nennen.
ANMERKUNG:
1) Ajer-Dialektform des Wortes isabaten: ,,Nom d'un peuple antique et disparu qui, dit-on habita !'Ahaggar
avant l'établissement de l'Islam dans le pays" (Père de Foucauld).
BIBLIOGRAPHIE
KILIAN, C.:
1929 Quelques observations et découvertes de ma mission de 1927-1928 aux confins imouhar-teda
dans le Sahara central et oriental, Acad. des Inscript. et Belles-Lettres, Paris.
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1974 Neue Sahara-Felsmalereien, Antike Welt, Heft 1, Küsnacht-Zürich.
1977 Neue Felsbildfunde in den westlichen Tassili-n-Aijer (Algerien), Paideuma, 23, Wiesbaden.
1980 Felsbilder der westlichen Tassili-n-Aijer (Algerien), in Müller-Karpe (Hrsg,): Beitrage zur
Allgemeinen und Vergleichenden Archaologie, München.
Felsbilder der westlichen Tassili-n-Aijer (Algerische Sahara), Akademische Druck- u. Verlagsanstalt,
Graz, in Vorbereitung.
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1976 Aïr occidental: essai de chronologie relative de quelques monuments lithiques, Almogaren,
VII, Graz.
1977 Ancient Libya, Arabia and the Sahara: Sorne Problems and Uncertainties, Almogaren, VIII,
Graz.
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PALMER, H. R.:
1932 Febr. ,,Trident" Sceptres from West Africa, MAN, London.
1933 Juni. Triliths in the Sudan, MAN, London.
RODD, F.:
1932 Juni. Tridents and Triliths in West Africa, MAN, London.
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82 Abb. 5: Schematischer Lage plan der Steinsetzungen im Oued Tidjert.
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