Barbara PISCHEL, Berlin
TUNESISCHER TOPOS Zweiter Teil
INHALT
Vorberner kung
A. TONGEF ÄSS in altertümlicher Technik
I. Der Töpferort Guellala auf Djerba
a Arbeiten mit der Töpferplatte
b Unterirdischer Lagerraum und Gefäßformen
II. Töpferinnen zwischen tunesischem Mogod und algerischer Kabylei
a Gebrauchsgerät und Zierat der Sedjenaner Irdenware
b Algerische Tongefäße
B. GRIECHISCHE BEZEICHNUNGEN in der tunesischen Töpferei
I. Die Johannisbrotbaumschote / KERAS als Farbstoff zur Bemalung von
Tongefäßen
II. Der Töpferofen von Nefta mit Tasota-Querschnitt
III. Kanoun und Temeni
VORBEMERKUNG
Die soeben Ende November 1976 im ,Hetjens-Museum, Deutsches Keramikmuseum',
Düsseldorf, geschlossene Ausstellung „Keramik aus dem Mittelmeerraum" zeigte
„Wasser-, Weingefäße und ölkrüge, wie sie in den Südprovinzen der Mittelmeerländer
vereinzelt, in N-Afrika generell noch benutzt werden, und wie sie früher in Europa
überall in Gebrauch waren, ehe Wasserleitung, Glas, Blech und Plastik sie überflüssig
machen" (Ausstellungsblatt). ,,Keramikkurse mit historischem Hintergrund" führt
Gustav Weiß in der Volkshochschule Zehlendorf (West-Berlin) durch: ,,Die Rekonstruktion
von historischen Techniken der Keramik wurde in einem zweijährigen
Turnus semesterweise gegliedert in Frühgeschichte/ Antike, Islam, Ostasien und
Altamerika. Parallel dazu läuft ein Kursus, der sich mit den Formen dieser Kulturkreise
befaßt. In beiden Kursen werden Skripten über historische Typen und
Techniken an die Hörer verteilt, in denen ein umfassender überblick über diese
Bereiche gegeben wird" (Volkshochschule Zehlendorf, Lehrplan Sept.-Dezember
1976, S. I-IV). Das Interesse von Ausstellungsbesuchern und aktiven ,Freizeit- oder
Abend-Töpfern' gilt in beiden unterschiedlichen Vorhaben deutscher Großstädte zur
Erwachsenenbildung Form und Geschichte von Ton und Keramik gleichermaßen.
Eine detaillierte Abhandlung zu Technik und Geschichte nordafrikanischer Tongefäße,
die sich auch auf die von mir 1965 für das Museum für Völkerkunde (Abtlg.
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Afrika) Berlin-Dahlem (West-Berlin) angekauften 400 Sammlungsstücke aus zehn
Orten Tunesiens bezieht, bietet sich als Tunesischer Topos II demnach direkt an.
A. TONGEFÄSSE IN ALTERTÜMLICHER TECHNIK
I. Der Töpferort Guellala auf Djerba (Tunesien)
In der wichtigsten nachhomerischen Quelle, dem Libyschen Logos (IV 168 ff.),
berichtet Herodot (484-424 v. Chr.) über die damals zweihundert Jahre zurückliegende
Ansiedlung des Battos und seiner Griechen: ,,Nachdem Battos und seine
Leute wieder auf der Insel angekommen waren und den Zurückgelassenen wieder zu
sich genommen hatten, besiedelten sie von Libyen selbst die Stelle gegenüber der
Insel namens Aziris, die nach beiden Seiten hin sehr schöne Täler einschließen und
an deren gegenüberliegender Seite ein Fluß vorbeiströmt". Bereits 613 v. Chr. war
die Stadt Kyrene in der heutigen Kyrenaika (Libyen) von eben diesem Battos aus
Thera als griechische Kolonie gegründet worden. Die Gründung ging also gleichzeitig
mit derjenigen des heutigen Marseille, ebenfalls durch Griechen, vor sich. Schon seit
damals, also rund 200 Jahre vor der geschichtlichen Bedeutung der Familie Barka,
der Hanno und Hannibal angehören, hieß das umliegende Festlandplateau Barka. Mit
diesem alten Landschafts- und dem (jüngeren) Familien-Namen hängen in der
Gegenwart die Personennamen M'Bark als männlicher und M'Barka als weiblicher
Vorname zusammen. Mit Vorliebe sind sie bei schwarzhäutigen Djeridbewohnern
üblich.
In der von Herodot genannten Stadt Aziris haben wir es mit dem heutigen Zarzis
zu tun, unmittelbar gegenüber der Insel Djerba, nach der gegenwärtigen Staatsgrenze
Tunesiens gegen Libyen (S) zu gelegen, zwischen zwei Oasen, in denen die „sehr
schönen Täler" zu erkennen sind. Seit römischer Zeit ist Zarzis (Aziris) mit der Insel
Djerba durch einen acht Kilometer langen Damm verbunden, den die Franzosen für
den modernen Autoverkehr nur zu befestigen brauchten. Von Zarzis kommend,
endet dieser Damm bei Meninx, an der Südostspitze der Insel Djerba. Von dort aus
sehen wir in der benachbarten südwestlichen Bucht das heutige Töpferdorf Guellala
auf Djerba.
Die nördlich bis auf 52 m Höhe ansteigenden höchsten Erhebungen der Insel sind
die Tonlager, in denen der Ton aus unterirdischen Stollen abgebaut wird, wobei auch
in der Gegenwart noch hin und wieder ein Töpfer sein Leben verliert. In Guellala
also formen berberisch sprechende Töpfer Tongefäße in altertümlicher Technik. Ein
Film „Töpferdorf Guellala" der tunesischen Ethnologin Frau FERCHIOU (Tunis)
hat mir auf dem IX. Internationalen Ethnologen- und Anthropologenkongreß
(Chicago 1973) einige Bewegungsabläufe dieser altertümlichen Töpferkunst, die mir
von meinem Einkauf 1964/1965 bekannt ist, wieder in Erinnerung gerufen.
a) Arbeiten mit der Töpferplatte (Bild 1)
Aus dem mit den nackten Füßen geschlämmten und gekneteten Tonteig dreht der
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Töpfer dicke Wülste. Dabei sitzt er im unterirdischen Atelier hinter einem
schrankenartigen Holzgestell auf einer schmalen Holzleiste, auf die durch die Tür,
eine Öffnung in der Erdwand, genügend Licht hereinfällt. Ohne Rad und ohne
Töpferscheibe formt der Töpfer aus den Tonwülsten zunächst die untere Hälfte eines
Hohlgefäßes, der Gargoulette, jenem bauchigen Vorratsgefäß für Getreide von
50-100 Liter Fassungsvermögen. Den auf dem nackten Boden liegenden Tonklumpen,
etwa 60 cm im Durchmesser, knetet er mit Armen und Händen so, daß ein
halbrundes Gefäß von ca. 50 cm Höhe und ca. 40 cm Durchmesser entsteht. Diese
hohle Tonkalotte stellt er zunächst auf den Boden seiner Höhlenwerkstatt. Er nimmt
nun einen zweiten Tonwulst, rollt diesen, wie eine Hausfrau den Christstollenteig, in
freier Hand glatt und geschmeidig. Danach holt er eine runde, feste Töpferplatte und
stellt das erste Teilstück, das kalottenähnliche Gefäß auf sie. Auch diese Töpferplatte
ist aus gleichem Ton, aber in getrenntem, früherem Arbeitsgang von ihm mit der
Hand geformt worden. Sie wird Geleb genannt und muß in der Sonne getrocknet,
danach im Töpferofen gebrannt werden und wieder einige Tage abkühlen, ehe sie
gebrauchsfertig ist. Im Durchmesser ist sie etwas größer als der Boden des
kalottenähnlichen Gefäßteiles, das nunmehr auf die Platte gesetzt wird. Auf der
Oberseite mit Rillen versehen, läßt sie das daraufgesetzte Gefäß leichter haften. Auf
der Inventarliste für das Museum für Völkerkunde Berlin vermerkte ich hierzu:
,,Geleb ursprüngliche Töpferscheibe" (heute unterscheide ich begrifflich deutlicher:
Töpferplatte) ,,mit gerilltem Muster, auf der die großen Gefäße gearbeitet werden:
für jedes Gefäß wird eine neue ,Scheibe' (also Platte) handgeformt. 50 cm
Durchmesser" (7. 7. 65, Inventarnummer 327). Hat der Töpfer nun auf eine solche
Töpferplatte sein erstes Teilstück gestellt, nimmt er den zweiten, geschmeidig
gekneteten Wulst von seinem hölzernen Arbeitsbrett. Mit Armen und Händen knetet
er ihn, unter Anwendung seines gesamten Oberkörpers als Krafthebel, auf die untere
Hohlform auf. Wie einen Wollfaden rollt er die ca. 8-10 cm dicke Tonwurst, in
immer enger werdenden Kreisen auf. Dabei drückt er den Ton an die untere
Hohlform stark an, knetet diese erneut mit der linken Hand und ringelt mit der
rechten Hand gleichzeitig den Wulst darauf. Beide Teile drückt er mit Ellbogen und
Unterarm zu einer Wand zusammen, wodurch sich beide Hohlformen zu einem
einzigen Gefäß buchstäblich ,ent-wickeln'. Die hierbei auf dem Erdboden lose
aufliegende Töpferplatte erzeugt durch ihren Widerstand gleichsam einen Druck,
wodurch der Boden des entstehenden Tongefäßes geglättet wird. Obwohl hierbei die
Töpferplatte nicht sichtbar beschädigt wird, wird sie vom Töpfer nur ein einziges
Mal als Arbeitsgerät verwendet. Nach ihrer Benutzung beim Töpfern eines einziges
Gefäßes wird sie im Lagerkeller abgestellt. An der Zahl der archivierten Töpferplatten
kann der Töpfer aus Guellala gleichsam seine bisherige Arbeitsleistung (über
Jahre hinaus) ablesen. Die für das Berliner Museum erworbene ,Geleb für Jarre'
(Bild 1) zeigt auf der Rückseite zwei Drudenfußornamente, die mit der Hand
eingeritzt worden sind. Mit ähnlichen Segenszeichen ist jede Töpferplatte geschmückt.
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b) Unterirdischer Lagerraum und Gefäßformen
Die noch größeren Gargouletten, die ca. einen Meter hohen Tonvasen mit ca.
hundert Liter Fassungsvermögen, bedürfen eines dritten Arbeitsganges. Kalotte und
zweiter Tonwulst werden bauchig geformt und nach oben offen gearbeitet. Im
dritten Arbeitsgang wird nun ein drittes Teilstück geformt: der Gefäßhals. Hierzu wird
der Ton mit Süßwasser angeschwemmt, wobei er eine rötliche Farbe annimmt,
während das mit salzhaltigem Grundwasser geschwemmte Gefäß, auch nach
Trocknen und Brand, von weißlicher Farbe ist. Schon durch seine Farbe wirkt der
rötliche Gefäßhals als Schmuck. Die fertig geformten Gefäße werden im Arbeitsraum,
der unter dem etwa einen halben Meter dicken Erdboden (Dach) weit und
geräumig ausgehoben ist, getrocknet. Erst nach einem Vortrocknen im Schatten
können die Gefäße an der Sonne nachgetrocknet werden und erst dann im
Guellala-Töpferofen bei 1200-1500° gebrannt werden. Nach solchem 24stündigem
Brand läßt der Töpfer die Gefäße allmählich im Ofen abkühlen und trägt sie in
seinen an den Arbeitsraum nach hinten unterirdisch anschließenden Keller. Dieser ist
durch eine Tür vom davorliegenden Arbeitsraum abgetrennt. Man geht also wie
durch einen Stollen in die Lager- und Abstellräume hinein. Einfache runde
Öffnungen in deren Decke, eben der regelrecht deckenden Erdschicht, sorgen, gleich
Lichtschächten, für Belüftung des Lagerkellers. Ein Lagerbestand von hundert oder
gar mehreren hundert Gefäßen für einen einzigen Töpfer sind dabei keine Seltenheit.
Nach Form und Größe sind in diesen Lagern geordnet:
die vierhenkelige Gargoulette, genannt Shrir (,Groß' - ca. 65 cm hoch, Inv.-Nr.
316),
die vierhenkelige kleinere Gargoulette, genannt Arwwa (,Vier' - ca.SO cm hoch,
Inv.-Nr. 318),
die kleine Gargoulette mit Kerbmuster,
der Trinkkrug mit Sieb für Legmi, den Palmensaft (Inv.-Nr. 328),
die Gargoulette mit Halswulst, genannt Jarre (das zweihenkelige Vorratsgefäß für
Quark, Honig, Oliven usw.)
und der zweihenkelige Ölkrug, Temeni genannt ( vgl. auch Inv.-Nr. 330-335).
Stefan Gsell (,,Publication de l'Association Historique de l'Afrique du Nord.
Fouilles de Gouraya", Leroux, Paris 1903) verdanken wir die Ausgrabungen von
Tongefäßen der römischen Gräber in Gouraya, Algerien. ,,Zu dieser Kategorie
Keramik", bemerkt Gsell, ,,gehören große Amphoren oder Jarren, feste Urnen mit
einem oder zwei Henkeln, von denen einige zur Aufbewahrung von Knochen
dienten, Wasserkrüge mit flachem Rand oder umgestülptem Schnabel, verschiedene
Flakons, Kruken, Parfumflaschen mit Hals oder oft auch verlängertem Fuß,
Kaffeeschalen, Teller, Suppenteller, Untertassen, Eßnäpfe mit hochgezogenem oder
ausladendem Rand usw. Die Erde ist grob, mit Unreinigkeiten durchsetzt, von gelber
oder rötlicher Farbe. Die Formen sind im allgemeinen schwer, die Wände dick und
oft schlecht ,gedreht' " ( also ein Zeichen für Arbeit ohne Töpferscheibe). Gsell fährt
fort: ,,Die Oberfläche ist völlig unglasiert. Während einige Gefäße mehr oder weniger
geschickt die gleichzeitige griechische Ware nachahmen, bieten andere einen
archaischen Anblick dar, der an jene Tonwaren erinnert, die die Griechen im
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7.-6. Jh. vor Chr. herstellten. Dies gilt insbesondere für die Wasserkrüge mit
umgestülptem Rand. Wir haben es hier mit einer volkstümlichen Keramik der armen
Leute zu tun. Man kümmerte sich kaum darum, sie zu perfektionieren: die gleichen
Typen blieben über Jahrhunderte in Gebrauch: einige bis in Römische Zeit. Selbst
heute finden wir manche Formen unter den lokalen Tongefäßen von Nabeul, in
Tunesien". Diese nordafrikanische Tradition endete nicht mit dem Beginn unseres
Jahrhunderts. Mit den Tongefäßen in altertümlicher Technik lebt sie bis heute fort.
Andrerseits weist Gsell an den großen Urnen (Figur S. 28) von Gouraya, an der
Küste zwischen Oran und Algier, Kerbmuster nach, die bis in das X. u. IX.
vorchristliche Jh. zurückgehen. Diese nordalgerischen Urnen gleichen den kleinen
Gargouletten ohne Henkel aus Djerba und weisen auf Etrurien zurück, deren
Einwohner in ihnen die Asche ihrer Toten aufhoben. Dieser nämliche Brauch ist
durch die Ausgrabungen von Utika (Museum) auch für Tunesien belegt.
Große Jarren, langgezogene Gefäßformen ohne glatten Boden, und Amphoren aus
Gouraya (Figur 18, S. 31) sind analogen Funden aus Karthago (ehern. Lavigerie, -
heutiges National-Museum Karthago) an die Seite zu stellen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die unter den Funden von Gsell häufigste
Form der ,Amphore fuselee, munie de 2 oreillons' (Spindel- oder Bänder-Amphore
mit zwei Henkeln, Figur 18 links). Sache und Wort lassen eine sehr alte Technik
erkennen, nämlich die, daß man offenbar das aus freier Hand geformte, nach unten
spitzzugehende feuchte Tongefäß mit Stricken (Seilen) wie eine Spindel mit Fäden
umwickelt hat, um die Tonform haltbar zu machen. Das Wort ,amphore fuselee' hält
,,Amphore fuselee", Bänderamphore aus Gouraya.
-Ausgrabungen von Stefan GSELL, 1903.
„KANOUN" aus dem von Gsell in GOURA Y A
ausgegrabenen Grab.
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ja das Wort ,fuseau'-Spindel (das seit dem 12. Jh. im Französischen belegt ist) in
diesem Sinne fest. Dieses weist auf das vulgärlateinische ,fusellus' und das älter
lateinische ,fissus-findere', das ,Gespaltene' hin, nämlich die zum Umwickeln
gespaltenen natürlichen Binsen oder Gräser (Lein oder Hanf). Die jüngeren Wörter
,ficelle' ( 1564) für Bindfaden und ,ficeler' ( 1694) für ,binden' unterstreichen die
ursprüngliche Wortbedeutung. Die Abbildung läßt die altertümliche Technik genau
erkennen. Die gedrehten Seile haben sich in den zunächst feuchten Ton eingeprägt,
von dem sie beim Trocknen, spätestens danach, abfielen oder leicht abgehoben
werden konnten. Wurde das Tongefäß nicht auch dort am Seil gehalten, wo kein
Sandboden verfügbar war, die unfertige Tonform also nicht stehen und nicht in ein
Gestell gestellt werden konnte? Der von manchen Töpfern beim Arbeiten mit der
Scheibe selbst noch heute in unseren Breiten (Barcelona, Torredembarra) benutzte
kleine Bindfaden zum Glätten der Oberfläche des Tones ist demnach als Relikt der
ursprünglichen Seilwinde, wie man das betreffende Werkzeug des Töpfers in der
altertümlichen Technik nennen kann, aufzufassen.
II. Töpferinnen zwischen tunesischem Mogod und algerischer Kabylei
Wie in Chipude auf der Kanaren-Insel Gomera „Herstellen eines Tongefäßes in
altertümlicher Technik ohne Verwendung der Töpferscheibe" (vgl. Titelbild der
Nachrichten des INSTITUTUM CANARIUM, Nr. 18/1975) geschieht, so arbeiten im
nordtunesischen Mogod Frauen noch heute als Töpferinnen. Im Zentrum der mit
Lavendel, Rosmarin, Weidensträuchern, Zwergkiefern, unbekannten Wurzelkräutern
oder Cistusrosen bewachsenen Macchia, wo Tunesierinnen mit ihren Töchtern im
Frühjahr Wurzeln und Blüten für das vegetabile Ambra sammeln, liegt Sedjenane.
Auf der Macchia gewinnen Köhler in Meilern Holzkohle, das landläufige Brennmaterial.
In und um Sedjenane töpfern Frauen. Ohne Zuhilfenahme von Formen
oder Töpferplatte kneten die Sedjenaner Töpferinnen aus grobkörniger Erde
buchstäblich Irdenware. Die geformten Gefäße stellen sie nicht in einen Töpferofen,
sondern - wie die Köhler ihr Holz zur Kohlegewinnung - in einen Meiler, auf mit
Erde und Sand gut zugeschüttete Glut, zum Brennen.
Die Bruchstellen meiner Inventarstücke (Nr. 9, 10), einer Salatschüssel und einer
dreiteiligen Schüssel, machen den Ton innen, nämlich an den Bruchstellen sichtbar.
In des Wortes ureigenster Bedeutung sind diese zufolge zu starken Brandes
kohlschwarz geworden. Der Grundton der Sedjenaner Irdenware ist hingegen
dunkelocker. Die gebrannte und später bemalte Töpferei (vgl. S. 54) wird mit einer
lasierenden Schicht überzogen, die wie ein Film die Bemalung schützt.
Bei Jafa, der Bahnstation für Einzelgehöfte, im stets grünen, weil wasserreichen
Mogod, 900 m über dem Meeresspiegel, steigt eine Blinde in den Zug, einen runden
ockerfarbenen bauchigen Tonkrug im ,Koffre' (der handgeflochtenen Binsentasche)
unter die Bank schiebend. ,,Ja, ihre Schwester mache solche Gefäße. Ich solle sie
einmal besuchen kommen. Ja, nur ,Frauen', bestätigt auch sie, ,,arbeiten solche
Gefäße".
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a) Gebrauchsgerät und Zierat der Sedjenaner Irdenware
Unter der von Frauen getöpferten Sedjenaner Irdenware unterscheide ich zwei
Arten:
Gebrauchsgerät, nämlich Hohlformen, und
Zieraten, nämlich Bildnerei, plastische, volle Formen.
Gebrauchsgerät
Material und Technik der handgefertigten Irdenware bedingen ihre grobe Form. Die
Hohlformen haben wenigsten 2-3 cm starke Wände. Geläufig sind: ein- und
mehrteilige Salatschüsseln - runde Teller - Suppenteller - Schalen -,- Schalen mit
flachem Boden - Ölkrug - Eierkorb - Platten und Soßenschüsseln - Kouskousschüsseln,
mit und ohne siebartigen Zwischenboden.
Der landläufige Feuertopf, ,Kanoun' genannt, kennt nach Größe und Form
zahlreiche Varianten, die hier im Mogod auch von Frauen getöpfert werden. Nur die
meterhohen Kanoun, die im Gegensatz zu den transportablen, Övchen (Stövchen)
vergleichbar, im Hof oder Gehege fest in den Boden eingetöpfert sind - was erklärt,
warum auch unsere Kachelöfen von Töpfermeistern gesetzt werden -, legen Frauen
und Männer gemeinsam an. (vgl. S. 50). Auch einen solchen Kanoun hat Gsell im
Grab von Gouraya (0,24 m) gefunden (Figur 19 S. 33). Dies spricht für die weite
Verbreitung dieses Tongefäßes bereits zu früherer Zeit. Eine Kleinplastik aus
punischer Zeit (Bardomuseum, Tunis) zeigt uns eine am hüfthohen Kanoun
hantierende Frau, die wir uns gleich den Berberinnen und Beduinenfrauen im
heutigen Mitteltunesien beim Brotbacken vorzustellen haben.
Zieraten
Bereits die Kanoun können als Aufsatz Zieraten tragen: einen Kamelrücken (Bild 2)
oder eine Moschee en miniature. Daneben gibt es im Mogod reine Schmuckfiguren
aus Ton: vielerlei Eidechsenarten (Bild 3, Inv.-Nr. B 209). Wohl gar ein Pferd oder
einen Hund, der doch sonst im mohammedanischen Raum als unrein gilt. Vor mir
steht ein Adler, 17 cm hoch (Bild 4a u. b), arabisch ,Nasr' genannt, den ich auf dem
bäuerlichen Markt von Mateur am 28. 4. 1966 gekauft habe. Vorder - und Rückseite
dieses Tonvogels in stelzender Haltung ist mit dunkel- und hellbraunen, teils dünnen,
teils dicken Strichen farbig abgesetzt und umrandet. Ohne diese braune Bemalung
wäre die Irdenform kaum als Vogel erkennbar. Auf der Schmalseite wiederholen sich
Striche und unterstreichen die plastische Form. Augen und Atemlöcher über dem
Schnabel des Vogels werden durch schwarze Tupfen markiert. Die Flächen zwischen
den Umrissen sind mit geometrischen Mustern, ländlichen hiesigen Geweben
vergleichbar, ausgefüllt. Diese Bemalung hält die geschichtliche Entwicklung fest:
,,Auch im Ornament ahmte man das Flechtwerk nach" (Feldhaus, Die Technik ...
Sp. 1177). Die beim Flechten mit Binsen, Gräsern oder Rohren notwendigen
Arbeitsformen wurde auf dem Tonzierat zu aufgesetzten Pinselstrichen, also zu
reinem Schmuck. Man könnte diese Muster buchstäblich ,Maße der Erde',
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geometrisch, nennen. Auch die historische Beobachtung: ,,Glasuren findet man
zuerst an kleinen Zieraten", wird durch die Sedjenaner heutige Frauentöpferei noch
bestätigt. Glasuren dürften von den Phöniziern nach Tunesien gebracht worden sein.
Aus dem 9. Jh. n. Chr. bewahrt der Mihrab von Kairouan einzigartige goldlasierende
Fliesen aus Bagdad. Die Araber selbst haben überall Glasuren verwendet, vornehmlich
zu Fliesen, die maßgeblich in allen Jahrhunderten von den nach Spanien
Ausgewanderten inspiriert, und daher ,andalusisch' genannt wurden. Die bekanntesten
glasierten Tonwaren fertigt heute in Tunesien Nabeul an: Hohlformen sowohl
wie Fliesen, also Gebrauchskeramik. Reine Zieraten, reine Schmuckformen mit
Glasuren, ohne jeglichen praktischen Zweck, kennt indessen nur Sedjenane.
Die Bemalung von Gebrauchsgerät wie Zierat geschieht von den Sedjenaner
Töpferinnen vorwiegend in braunen Tönen, die mit Braunrot abwechseln. Ehe wir
auf die Farben eingehen, wenden wir uns der Töpferei in altertümlicher Technik und
ihrer Verbreitung im benachbarten Algerien zu.
b) Algerische Tongefäße
Das Zentrum der Frauentöpferei in altertümlicher Technik, die im Mogod ihr
Reliktgebiet hat, liegt in Algerien. Dort ist durch Gesetz vom 5. 8. 1971 die ,Societe
Nationale de l'Artisanat Traditionnel' ins Leben gerufen worden, die für die
Berufsausbildung junger, auch männlicher Töpfer - auch in der bäuerlichen
Irdenware - sorgt. Reine Frauentöpferei hat sich in Algerien im westlichen Ammi
Moussa und in Mazouna (dem alten Mascara) erhalten. Das traditionelle Gebiet der
allgemein in Algerien ,berberisch' genannten Töpferei erstreckt sich östlich von der
Kabylei des Djurdjura über Soumman, die Kleine und Große Kabylei bis Quarensis
und Aures im Süden. Der Vorort von Algier, Kouba, gehört ebenso hierzu wie
Chenoua und Tlemcen im Westen, wie M'Zab und Gorara im Süden.
Sehen wir im tunesischen Bardo-Nationalmuseum oder im Museum des ,Office de
1' Artisant' in Bizerta vereinzelt ältere Sedjenaner Tongefäße, so sind in den
algerischen Museen (Oran, Algier, Constantine) reiche Kollektionen der altertümlichen
Tongefäße zu finden.
Als ,Arts traditionnels ruraux' (ländliche traditionelle Volkskunst) werden sie von
den ,Arts traditionnels urbains' (der städtischen Volkskunst) einerseits und den ,Arts
traditionnels sahariens' (der Volkskunst der Sahara) andrerseits unterschieden. Die
maßgebliche Publikation (L'Art Algerien ... S. 91) bemerkt zu den einzelnen
Volkskunstzweigen: ,,Die Mikrokeramik hat vornehmlich Tierform: Schlangen,
Hühner, Rebhühner, Kamele usw .... Die geformte Töpferei wird in der Sonne
getrocknet. Dann wird sie bemalt. Schließlich wird sie in Gemein!-chaftsöfen unter
freiem Himmel im Feuer gebrannt, die mit Vorliebe mit Bündeln trockenen
Buschwerks geheizt werden. Sobald die Tonformen vom Feuer weggezogen worden
sind, werden sie mit einem Stückchen Harz glasiert. Die Dekoration der in den
verschiedenen Algerischen Museen ausgestellten Stücke ist reich und vielfältig. Am
verbreitetsten sind geometrische Ornamente: Rauten, Halbkreise, wellenförmige und
gebrochene Linien, Tupfen, künstlerisch wie Räucherstäbchen auf die Oberfläche
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(oder das Innere des Tellers) verstreut, Spitzen- und Triangelformen. Auf zahlreichen
Stücken findet sich die Vierteilung. In sie werden (meistens dunkle) Bänder
hineinkomponiert. Guirlanden und Figuren sind gleichfalls häufig. Andere Dekorationen
dieser Tongefäße zeigen Blumen, Tiere (Fische auf einem Teller aus Djidjelli,
Museum Bardo, Algier), auch Gegenstände wie Scheren, schließlich Hände, Halbmond
und Sterne ... Manche dieser Motive finden wir auf Metallschmuck wieder"
(S. 16).
Folgende bemalte Töpfereien dieses berberischen Typus sind heute dem tune-sischen
Mogod wie der größeren Algerischen Volkskunstlandschaft gemeinsam:
dreiteilige Teller (Cap Aokas, Algerien)
Öllampen (Kleine Kabylei)
Sparbüchsen
Doppelhenkelkrug (sog. ,Braut', bzw. ,Doppelbraut' der
mitteldeutschen Volkstöpferei) ( Große Kabylei)
Kouskousschüssel
Milchkrug (Bouzina)
Runde Schalen (Ouarensis, Gr. Kabylei).
Wie die Vereinigung der Nationalen Handwerkskunst fördert auch das Landwirtschaftsministerium
Algeriens heute die Ausbildung in dieser traditionellen altertümlichen
Technik und sichert ihren Fortbestand.
B. GRIECHISCHE BEZEICHNUNGEN IN DER TUNESISCHEN TÖPFEREI
I. Die Johannisbrotbaumschote / KERAS
Den braunen Farbstoff für die geometrischen Muster auf Tongefäßen gewinnen die
Töpferinnen aus Sedjenane wie die Nabeuler Töpfer bis vor die Tore der Großstadt
Tunis heute wie seit alter Zeit aus der Schote des Johannisbrotbaumes. überall im
Lande fallen seine breitausladenden Baumkronen auf, überall in Tunesien werden -
wie gelegentlich bei uns - Johannisbrotbaumschoten als Genußmittel und Volksmedizin
verkauft. Aber nicht das Fruchtfleisch, sondern die in ihm verhüllten
Schoten und Kerne geben den Farbstoff für die verschiedenen braunen Töne, vom
hellsten bis zum Schwarzbraun. Die Schote des Johannisbrotbaumes nun wird im
Griechischen keras t<lipac: genannt, was soviel wie ,Horn, Stoff zur Bearbeitung'
bedeutet. In dieser heute noch vom tunesischen Töpfer als Handwerksgerät wie
Farbträger benutzten Johannisbrotbaumschote haben wir schlechthin das älteste
Hilfsgerät des Töpfers zu erkennen. ,,Die Früchte sind flache, bis zwei Dezimeter
lange und oft wie ein Horn gekrümmte Hülsen", stellt die Züricher Zeitung
(23. 11. 74) den Lesern unserer geographischen Breite den Johannisbrotbaum vor.
Der botanische Name Caratonia siliqua hält die griechische Wurzel keras t<epcic: fest.
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Von dieser Johannisbrotbaumschote kommen wir zur Tätigkeit des Töpfers,
dessen Qualitätsware vom Umgang mit der Johannisbrotbaumschote abhängt. Das
von ihrem Namen abgeleitete Verbum kerannymi 1<.epcivvvμt erlangt schließlich die
Bedeutung ,richtig Mischen, richtig verschmelzen' und meint damit den richtigen
Umgang mit der Töpfererde Keramos 1<.epaμ6<;.
Mit diesem griechischen Begriff wird aber nicht nur das Ausgangsmaterial
,Töpfererde', sondern zugleich auch „Alles aus Ton gefertigte irdene Gefäß,
Geschirr, Krug, Kruke, Urne, Topf, Tonne, Faß und Dachziegel" (Menge-Güthling
a. a. 0.) bezeichnet. Kein Wunder, daß das griechische Kerameus der Töpfer und das
Verbum kerameuo 1<.epaμevw Töpfer sein, Töpfe verfertigen, volkstümlich auch in
romanischen Sprachen erhalten blieben, vornehmlich dort, wo griechische Siedlungen
maßgeblich waren, sei es auf Djerba, sei es im Raum von Ampurias ( dem
umliegenden Katalonischen Keramikzentrum, vgl. meine Einkäufe für das Völkerkundemuseum
Berlin 1964 ), sei es schließlich in der griechischen Gründung von
Marseille, in dessen Umland nicht zufällig ein Ort ,Fayence' und das durch Picasso
wieder belebte Töpferdorf Vallauris (vgl. Zeitschrift Connaissance des Ceramiques
Proven;cales ...) liegen.
Das spanische ,Ceramista' wird für jeden Töpfer angewendet. Es beschränkt sich
nicht wie der Begrif ,Keramik' im Deutschen auf kunstgewerbliche Majolika. Das
französische ,Ceramique' umfaßt nach der noch heute gültigen Erklärung der
,Academie Franc;aise': ,,Porzellanmalerei, Hämmern von (Gold)Email und sogar
Herstellen von Glasmasse" (Robert ...) , worin die ursprüngliche Wortbedeutung, die
auf das ,richtige Verschmelzen' Wert legt, nachklingt.
Das weibliche Keramis r, K.Epaμu; wird philologisch (Menge-Güthling) als ,Platte
zum Abdecken' erklärt. Sollte die heute in Guellala ,Geleb' genannte Töpferplatte
ein Uüngeres) Synonym dafür sein? Geleb selbst läßt sich philologisch ja vom
griechischengelao-yeAciw ... ,glänzen, glänzend, zierlich, sauber, fein machen' ableiten.
Von der Aoristform egelasa E'YEA.aaa egelassa e-yEAaaaa und dem Verbaladjektiv
gelastos -yeAaaro<; also „einmal glätten" (Aorist!), die, welche ,,(ihre Keramikgefäße,
um einen glatten Boden zum Stehen zu erhalten) geglättet haben", entwickelte sich
der Ortsname ,Guellala'. Ohne um die philologische Bedeutung des ,einmaligen'
Handelns der Aoristform zu wissen, stellen die Keramiker, die Töpfermeister, die
Töpferplatte nach der philologischen Bedeutung eben bis heute, in zäher Traditionstreue,
nach einmaligem Gebrauch in ihren Keller- und Lagerräumen ab (siehe oben!).
Eine ,Platte zum Abdecken' aber im Sinne des klassischen weiblichen keramis
K.Epaμt<; nennt das Deutsche Brotmuseum in Ulm den aus dem Iran stammenden
Deckel einer in die Erde eingelassenen Backmulde aus dem 16. Jh. (Bild 7). Diese
Tonplatte deckte dasjenige Erdloch ab, in dem Brot gebacken wurde. Ein arabischer
Sinnspruch ist als kreisförmiges Ornament neben kleinen Noppen, die zum Anfassen
des Deckels auf der Oberseite dienen, angebracht. Wo finden sich weitere
Bindeglieder zwischen beiden Formen dieser Tonplatte, der Töpferplatte von
Guellala und der Tonplatte zum Brot backen aus dem Iran? Läßt sich auch dort die
ununterbrochene Tradition der Töpferei aus griechischer Zeit bis heute nachweisen?
Die Schote des Johannisbrotbaumes keras K.Epa<; hat nicht nur für die Bennenung
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der Töpfer und ihre altertümliche Technik, sondern auch für die heutige Bemalung
eine besondere Bedeutung. ,,Die Hülse (der Johannisbrotschote) enthält 40-50%
Saccharol, Eiweiße, Pektin, Gerbsäure und Buttersäure" (Züricher Zeitung a. a. 0.).
Diese Analyse macht auch einem modernen Chemiker verständlich, worin das
Geheimnis der altertümlichen Töpferei Nordafrikas beruht: Die Buttersäure läßt die
braune Bemalung fettig erscheinen, die Gerbsäure glättet die Oberschicht der
,Freske', denn wie in der klassischen Freskomalerei wird die braune Johannisbrotfarbe
beim Bemalen auf das immer wieder von neuem befeuchtete Tongefäß
aufgetragen. Nur so hält die zunächst weiße (weil eiweißhaltige) Farbe auf dem Ton
fest, die sich erst nach gutem Eintrocknen in einen braunen Ton verfärbt. Die
Eiweiße der Johannisbrotschote schließlich bilden dabei den dauerhaften, unsichtbaren
Klebstoff, mit dem sich die schmückende Farbschicht beim Eintrocknen in
den Ton einprägt. Wer von uns aber weiß nicht, daß Saccharide, Süßstoffe, von
brauner Farbe sind? Man denke etwa an den Kandiszucker, dunkelbraunen Syrup
oder an Melasse. Wie wichtig der Johannisbrotbaum in der Geschichte der
technischen Kultur ist, zeigt uns nicht nur die Wortfamilie unserer Töpfer, der
keramistoi 1<.epaμwroi, sondern auch der arabische Name für eine Johannisbrotbaumschote:
,charruba'. Ein einziges Sämchen aus solcher Schote war das ursprüngliche
Gewicht für Edelsteine und Gold, uns Modernen als Karat im etymologischen oder
botanischen Zusammenhang kaum noch geläufig.
II. Der Töpferofen von Nefta mit Tasota-Querschnitt
Im südtunesischen Djerid, in Nefta, begegnen uns keine Tongefäße, sondern das
Brennen von Ziegeln in einem Töpferofen, der selbst aus glasierten Ziegeln gemauert
ist (Bild 5 a-c). Aufriß des Töpferofens und glasierte Klinkerziegel vo,1 Nefta
machen uns gleichermaßen mit zwei altertümlichen Techniken bekannt.
a. Im Aufriß erinnert die Bauweise des Töpferofens von Nefta einerseits an
altbabylonische Technik etwa des Ischtartores, andrerseits ist sein Querschnitt
demjenigen des Tasota an der Westküste Marokkos (vgl. Friedrich Seick, a. a. 0. S.
200-203) vergleichbar. Der Töpferofen von Nefta selbst steht in einer runden
Erdmulde, ist gleichsam unter die Erdoberfläche in eine Vertiefung hineingebaut, so
daß der Rauch aus dem Ofen über dem Erdboden entlangzieht, und daß
herausfallende Glut weder überirdische Flächenbrände verursacht, noch auf der
Erdoberfläche befindliche Gegenstände und Menschen beschädigen kann.
b. Bei näherer Betrachtung dieses Töpferofens im westlichen Teil der Stadt Nefta
fallen uns seine glasierten Ziegel, aus denen er gebaut worden ist, und gerillte Muster
auf diesen Ziegeln auf. Heute werden keine Ziegel mehr mit Rillenmuster, wohl aber
noch glasierte Tonziegel im Ofen gebrannt. Wie aus einem Teig Kuchenstücke, so
werden aus einem glatten, auf dem Erdboden ausgestrichenen Tonteig die einzelnen
rechteckigen Ziegel herausgeschnitten, aber noch zusammenhängend liegen gelassen,
um einem ersten Trockenprozeß durch die Sonne ausgesetzt zu sein. Erst danach
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werden die Ziegeln einzeln in eine Glasur getaucht und schließlich in den Töpferofen
stückweise, einzeln so neben- und übereinander geschichtet, daß Form und
gleichmäßige Glasur erhalten bleiben. Die fertigen, klinkerähnlichen, glasierten,
hellfarbenen Ziegelsteine (gelblich-ocker) sind für den traditionellen Djeridbaustil
wie für moderne Gebäude (etwa den von zwei sowjetrussischen Architekten erbauten
Sahara-Palast Nefta) charakteristisch. Eigentümlichkeit dieses Stiles ist es, die
hellfarbenen Ziegelsteine zu erhabenen Mustern zu versetzen, damit die Wandflächen
reliefartig zu beleben. Hierdurch entstehen in der südlichen Sonne besonders
reizvolle Licht- und Schattenspiele.
Das Schichten der Ziegel im Neftaer Töpferofen aber, das Zuweisen eines
bestimmten Platzes für jeden einzelnen Ziegel, das Einrangieren der Vielzahl zu einund
demselben Brand, führen uns zum Namen des Tasota.
In ihm ist zweifellos die griechische Wurzel tasso rciaaw „aufstellen, einen
bestimmten Platz oder Posten anweisen, einrangieren" enthalten. Wir können also
den Töpferofen von Nefta dank der altertümlichen Technik des Einragierens der
einzeln zugeschnittenen Ziegel von Sprachlichen her mit dem Tasota von Marokko in
eine Linie stellen.
Damit rückt der Aufriß des Töpferofens von Nefta in die Nähe der Tasota
genannten Bauweise, die sich von Marokko aus jenseits der Straße von Gibraltar wie
ein Gürtel parallel zur Mittelmeerküste fortsetzt, und deren Herkunft immer wieder
Rätsel aufgab. Ich denke an die Schäferhütten oder Feldhüterhäuser, die bald ,Borie',
bald ,Capitelle', bald ,Maison Gauloise' genannt werden. Ihre Bauweise beruht,
obwohl regional verschieden, was den Aufriß oder den Grundriß angelangt, bald
rund bald quadratisch, auf dem Prinzip des Tasota - des tasso rciaaw (Bild 6a-c).
Die genannten Bauten werden ja auch ,aufgestellt', wenn nicht aus glasierten
Ziegeln, so aus meist unbehauenen Feldsteinen (meistens Kalk oder Kreideformation).
Die gebrochenen Steine werden ,einrangiert'; jeder einzelne erhält einen
bestimmten Platz oder ,Posten angewiesen', wie es die griechische Wurzel sagt. Mit
dem Gürtel dieser Tasota-Bauweise von Marokko, über Südfrankreich (Perigord),
nördlich hinauf bis zum Gard-Fluß und Uzes, östlich bis zur Provence (Senanque
und Gordes) und zum Luberongebirge, haben wir den Bereich einer altertümlichen
mittelmeerischen Bautechnik eingekreist. Die glasierten Ziegel des Djerid haben, bei
gleichem Aufriß des von ihnen geschichteten, angeordenten Töpferofens, in der
Bautechnik ihres Landes bis heute Bedeutung behalten.
III. Kanoun und Temeni
Die Namen für zwei eigentümliche tunesiche Tongefäße in altertümlicher Technik
verweisen uns an unseren Ausgangspunkt, die Besiedlung Südtunesiens durch
Griechen des Battos im 7. vorchristlichen Jahrhundert, zurück: Kanoun Kavovv und
Temeni reμevL.
Das im heutigen Berberischen wie Arabischen übereinstimmend benutzte ,Kanoun'
für den kleinen oder großen Feuertopf ist ein Lehnwort aus dem Griechischen.
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Hier bedeutet es „Rohrkorb, überhaupt Korb für Brot, Früchte und Opfergeräte".
Diese philologische Erklärung des Begrifes aus klassischer griechischer Kultur läßt
sich am heutigen tunesischen Brauch verfolgen. Im Alltag dient der Kanoun zum
Zubereiten des Nationalgetränkes ,the a la Menthe' (den, manchmal bis zu 24
Stunden lang gekochten, schwarzen starken Tee, der mit Pfefferminzsud oder einem
frischen Minzeblatt gewürzt wird). Zu Hause ist die Teezubereitung Angelegenheit
der Frau, sei es für die eigene Familie, sei es für Gäste, über deren Bewirtung nur sie,
nie der Ehemann zu bestimmen hat. In der Öffentlichkeit dagegen bereitet der Mann
diesen Tee auf einem Kanoun zu: im Gebüsch, auf der offenen Straße, vor der
Moschee, auf dem Markt, bei Anpflanzungen neuer Kulturen in der Steppe oder am
Rande der Sahara. Am Festtag werden auf dem Kanoun Leber und Innereien des
Hammels gebraten, was am Hauptfest, dem Laid El Khebir in Erinnerung an
Abrahams Opferung, die hier manchmal auf Ismail, nicht ausschließlich auf Isaak
bezogen wird, geschieht. Die Frau ist ihrerseits dafür zuständig und dazu
verpflichtet, zum Fest der Hochzeit, der Jaffa auf Djerba, während die Braut zur
,heimlichen Brautnacht' reitet, den Kanoun mit Räucherwerk zu schwenken. Wie die
gemalten geometrischen Muster auf dem Sedjenaner Kanoun des Geflecht des
Rohrkorbes erkennen lassen und damit auf die älteste Bezeichnung des griechischen
,kanoun' Kavovv hinweisen, so lassen die Festbräuche der heutigen Tunesier
reliktartig erkennen, daß der Kanoun noch wie einst ,Korb für Opfergeräte' ist. Als
Opfer sind sowohl die auf dem Kanoun gebratenen Innereien wie das Räucherwerk
(Harze, öle, Wurzeln) der Frauen bei der Hochzeit zu werten.
Temeni - TEμEVt wird der uns schon bekannte Ölkrug in der nur ihm
vorbehaltenen Form der Guellala-Töpfer genannt. Mit diesem Gefäßnamen bleibt auf
Djerba der Name des Titanen Temenos erhalten. Der Titanenname führt uns zum
Königsstamm der Temenidai - TEμEvÜ>at. Aus diesem Stamm kam Temenion, der
den makedonischen Ort Argolis gründete. Dessen Bewohner, also die Stadtbewohner,
wurden seitdem nach ihm Temenites genannt.
Waren Griechen aus Argolis, waren Temenites TEμEvfrEc; unter den Leuten des
Battos, die Azaris-Zarzis gründeten? Haben sie den zweihenkeligen ölkrug Temeni
auf Djerba eingeführt? Die Traditionskette der griechischen Begriffe Kanoun und
Temeni legt uns diese Frage nahe. Jedenfalls ist die Traditionszähigkeit nordafrikanischer,
vornehmlich tunesischer Töpfer nicht nur durch die Ausgrabungen von Gsell
für die ersten nachchristlichen Jahrhunderte, sondern auch durch Wörter und
Sachen bewiesen.
Nachdem uns der Tunesische Topos I zu Polyphem geführt hatte, weisen uns die
Tongefäße in altertümlicher Technik zum Titan Temenos zurück. Mit Polyphems
Halbbruder aber, dem Titan Triton, wird sich als letzter der Tunesische Topos III
beschäftigen.
Abgeschlossen, 4. 12. 197 6 Barbara Pischel
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BENUTZTE SPEZIALLITERATUR
HERODOT: Der Libysche Logos, IV, 145-199 (Goldmann-Taschenbuch)
MENGE-GÜTHLING: Griechisches Wörterbuch 19132
MUSEE d'ALGERIE: L'Art Algerien populaire et contemporain, Collection art et Culture, SNED,
Juli 1973, 91 S. ISBN 84-399-1252-8
REVAULT, JACQUES: Arts traditionnels en Tunisie. Ofice National de l'Artisanat, Tunisie 1967,
144 s.
FELDHAUS, FRANZ MARIA: Die Technik der Vorzeit, der geschichtlichen Zeit und der
Naturvölker, 1400 Sp. u. Anh. / Heinz Moos-Verlag, München 19652
ZUSAMMENFASSUNG
In archaischer Technik werden
A. Tongefäße (Gebrauchsgerät und Zieraten)
I. in Tunesien
a von Männern in Guellala auf Djerba mittels Töpferplatte,
b von Frauen in Sedjenane im Mogod aus freier Hand geformt
II. in Algerien
neuerdings auch vom Landwirtschaftsministerium und der ,Societe Nationale
de l'Artisanat Traditonnel' (seit 1971) gefördert
B. Ziegel
im tunesischen Nefta im Djerid
in tiefgelegenen Töpferöfen aus glasierten Ziegeln gebrannt.
Die technisch bedeutsame Form der in Guellala benutzten Töpferplatte ,Geleb',
die auf griechische Wurzeln zurückweist, ist mit einer Tonplatte zum Brotbacken aus
dem Iran (16. Jh.) vergleichbar.
Die architektonische Anlage des Töpferofens von Nefta und seine Variante
werden mit dem Aufriß und Querschnitt des marokkanischen Tassota (vgl. S. 50)
verglichen. Als ,Borie', ,Maisan Gauloise' oder ,Capelle' gibt es solche Bauten in
Frankreich, parallel zur Mittelmeerküste.
Die Etymologie der Wortfamilie ,Keramik' geht auf den griechischen Namen für
Johannisbrotbaum (keras K€pac;) zurück, die der tunesische Töpfer de facto heute
noch als Handwerkszeug und Farbstoff verwendet. Die historisch 613 v. Chr. für das
Plateau von Barka (Libyen) und spätestens seit dem 5. Jh. v. Chr. für Zarzis
nachgewiesene Besiedlung mit Griechen erklärt die tunesische Tradition dieser und
anderer griechischer Begriffe in der Töpferei des heutigen Nordafrika.
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RESUME
D' anciennes techniq ues dans la ceramiq ue nordafricaine (Tunisie)
D'anciennes techniques sont employees pour production de ceramique comme
suit:
A. objets d'usage quotidien et decorations
I. en Tunisie
a travaillees par les potiers de Guellala (Djerba) se servant d'une fourniture
ronde (appelee «GELEB»)
b par des femmes-potiers de Sedjenane (Mogod) qui travaillent a l'aide de
leurs propres mains
II. en Algerie
qui protege de telles techniques par les soins du Ministere d' Agriculture
ainsi que par la Societe Nationale de l'Artisanat Traditionnel (depuis 1971)
B. Finition de tuiles
cuites dans des fournaux anciens a Nefta (Djerid Tunisien), qui sont etablis
en tuiles vernies et qui servent a tasser les tuiles recentes ( etymologie Tasota
- verbe grec tasso uiaaw - tasser)
Comparaison du fourneau de Nefta au «tassota» du Maroc et aux «cabanes
gauloises», « bories», « capelles» au Sud de la France.
D'expressions techniques a la base du grec keras KEpac; (caroube), apportees par
des colons grecs ( 613 a. Chr.) sont gardes jusq u' a nos jours ( kanoun, Kavovv temeni
TEμEVlTEc;).
1. Töpferplatte aus Guellala, Djerba, Tunesien/Museum f. Völkerkunde Berlin-Dahlem,
Kat. Nr. III B 2406 (Ankauf durch die Verfasserin 1965), Museumsaufnahme.
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2. Kanoun in Kamelgestalt, Irdenware aus Sedjenane, Tunesien, dto. Kat. N. III B 2082.
3. Eidechse, irdener Zierat aus Sedjenane, Tunesien, dto. Kat. Nr. B 2099.
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Ul
Ul
4. Tonadler, Markt Mateur, Tunesien 28. 4. 66. - a) Vorderseite, b) Rückseite, auf der es den kleinen Stelzvogel mit Blumenzweig in der
Mitte besonders zu beachten gilt.
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a) b)
c)
5. Töpferofen aus Nefta, Südtunesien (1969 ). Aufnahme B. Pischel. - a) vor den geschichteten
Ziegeln Einblick in die ausgehobene Ofengrube. - b) Aufblick auf den eingemauerten Teil dieser
Ofengrube mit eingebauter Röste des Töpferofens (Originalgröße ca. 1,50 m Durchmesser.
c) Ofenloch eines zweiten, über den Erdboden herausragenden Töpferofens aus gemusterten,
leichtglasierten Steinen.
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a)
6. Diverse Ansichten des Tasota-Typs in Südfrankreich. a) Cabane Gauloise / Perigord.
b) Capitelle / Luberon.
b)
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7. Verschluß einer Ofenmulde, 16. Jh. Goubad-Ghabus, Iran. Original und Aufnahme: Deutsches
BORTMUSEUM, Ulm, Archiv-Nr. 2535. Arabische Umschrift „Unsere Arbeit ist das Brotbacken".
lieferbar
Graz 1970.
Unveränderter Nachdruck
der 3.Aujl. Gießen 1898,
2 Bände, 2 284 Seiten,
8°, cloth.
Graz 1970.
Reprint of the 3rd edition Gießen 1898.
2 vols., 2 284 pp., 8vo, cloth.
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Original ca. 40 cm Durchmesser.
WAHRMUND, ADOLF
Handwörterbuch der arabischen und deutschen Sprache
Wahrmunds Wörterbuch ist ein dringendes Desiderat. Es ist das einzige arabisch-deutsche
Handwörterbuch, das zum Studium klassischer und mittelarabischer Texte verwendbar
ist, und das nicht nur durch seinen reichen Wortschatz, sondern vor allem
durch Wahrmunds Meisterschaft im Aufmden passender Äquivalente unübertroffen ist.
Der „Wahrmund" läßt sich daher durch kein anderes vergleichendes Wörterbuch, wie
das französische von Belot oder das englische von Hava, ersetzen:
Prof. Dr. R. Seilheim, Orientalisches Seminar der Universität
Frankfurt a.M.
Wahrmund, Adolf, Orientalist, geb. am 10.Juni 1827 in Wiesbaden, studierte in Göttingen
protestantische Theologie, klassische und orientalische Philologie. Im Jahre 1850
ging Wahrmund nach Wien, wo er seine Studien der orientalischen Sprachen fortsetzte.
In den Jahren 1853-1861 war er an der Hofbibliothek in Wien angestellt. 1862 habilitierte
er sich an der Universität Wien für Arabisch, Persisch und Türkisch. Wahrmund
starb im Jahre 1913.
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