Almogaren XXIV-XXV/ 1993-1994 Hallein 1994 375 - 387
Wilhelm Paula
Wagendarstellungen in der Sahara und
ihre Beziehungen zu Alt-Europa
In Weißafrika gibt es an die 700 Felsbilder von Wagendarstellungen, wie
etwa im Tassili, Ahaggar, Adrar de Iforas, Südmarokko, Süd-Oranien, Ai'r,
Mauretanien und der Westsahara. Ein großer Teil der gemalten Felsbilder zeigt
ein Pferdegespann im "fliegenden Galopp", der mit der mykenischen Kunst
Kretas verwandt ist. Daneben fällt eine andere Stilart auf, die die Gespanne aus
der Vogelschau zeigt: die Räder sind seitlich "hochgeklappt" und die Prerde,
rechts und links der Deichsel, nach der jeweiligen Seite "umgelegt". Die gemalten
Felsbilder sind die älteren, Henry Lhote (1982) und andere (z.B. G.
Camps, 1978) möchten diese mit der Seevölkerinvasion in Zusammenhang bringen.
Die schematischen Wagengravierungen in der Sahara sind jünger, nach A.
Muzzolini (1982) kommen sie hauptsächlich in einem großen Bogen vor, der
die Gran Erg Occidentale westlich und nördlich umschließt. Zum geringen Teil
findet man sie auch in der südlichen Sahara (Fezzan). Die gemalten Wagendarstellungen
sind im Tassili und Hoggar zu finden.
Wie diese Gefährte wirklich aussahen, zeigt ein vollständig erhaltenes
Original aus einem ägyptischen Grab um 1390 v. Chr., das heute im Museum
von Florenz zu sehen ist. Das beim Wagenbau verwendete Holz stammt von
Ulme, Buche und Esche, die Radspeichen sind zusätzlich mit dicken Strängen
aus Birkenbast an der Radnabe befestigt, alles Materialien, die sehr weiter
nördlich zu Hause sind. Das sind Beweise dafür, daß der Wagen tatsächlich aus
eurasiatischer Handwerkstradition stammt.
J. Spruytte hat Versuche mit einem Nachbau des "ägyptischen" Wagens
gemacht und diese 1982 veröfentlicht. Es gibt keine Trense oder Zaumzeug,
die Zügel gehen direkt vom Maul des Prerdes zur Hand des Lenkers. Die Deichsel
hat vorne eine Querstange, wo die Zügel unter der Kehle des Prerdes befestigt
sind. Da Spruytte der Ansicht ist, daß die Vorfahren der Numidier-Pferde über
die Meerenge von Gibraltar kamen, die laut römischer Überlieferung kleine,
höchstens 1,50 m große Pferde verwendeten, nahm er für seine Versuche entsprechend
kleine Pferde einer südfranzösischen Rasse.
Die Ägypter hatten das Pferd und den Kampfwagen schon vor der HyksosInvasion
kennengelernt und sie benützten später einen Kriegswagen vom glei-
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eben Typ, wie er in Vorderasien und Europa benützt wurde, wo der Wagenkasten
direkt auf der Achse ruht; zum Wagenkämpfer gehörte auch der Fahrer, der die
Pferde führte.
Im Gegensatz zu diesen schweren Kriegswagen stehen leichte Rennwagen,
die ofensichtlich für einen anderen Zweck gebaut wurden. Diese waren
nur mit einer Person bemannt. Der Fahrer stand auf der Deichsel, was den
Vorteil hat, daß er Richtungsänderungen durch Gewichtsverlagerungen leichter
bewerkstelligen kann. Der vorerwähnte ägyptische Wagen, der - wie schon
erwähnt - in Florenz ausgestellt ist, wurde auf die gleiche Art und Weise gebaut.
Der Sahara-Rennwagen im naturalistischen Stil hat ein Gegenstück in
Schweden. So fand man im bekannten Grab von Kivik die Darstellung eines
Rennwagens, ähnlich den gemalten Felsbildern im Tassili und Hoggar. Das
Kivik-Grab fällt in die Stufe II der Bronzezeit (1500 bis 1300 v. Chr.) und sollte
wohl an ein Wagenrennen zu Ehren eines Toten erinnern.
Über mögliche Zusammenhänge dieser beiden Darstellungen muß man
weiter ausholen. Zunächst sei D. J. Wölfe) (1942, 108) erwähnt. Er schreibt:
"Der Rennwagen ist nicht etwas in Voderasien Entstandenes und in unser
Weißafrika führt der Weg nicht nur über die Landenge von Suez und die Meerenge
von Bab-el-Mandeb, sondern auch über Italien, Spanien und das Mittelmeer.
Die Megalithkultur, welche Weißafrika so nahe mit West-und Nordeuropa
verbindet, kennt den Rennwagen zweifellos, weil sie in mehreren ihrer
Hauptdenkmäler Rennbahnen anlegten, vgl. Stonehenge". Diese Aussage
Wölfels trifi den Kern des Problems, nämlich den Zusammenhang zwischen
Rennbahnen und dem Totenkult in der Megalithkultur; so befindet sich beispielsweise,
vom Heiligtum von Stonehenge etwa 700 m entfernt eine Rennbahn.
Diese Anlage ist 2700 m lang und 120 m breit (Schuchhardt, 1911 ). Eine
ähnliche Anlage findet man auf dem Burgberg von Maiden Castle und im
Langelau an der Senne. In beiden Fällen handelt es sich um zwei gerade Bahnen,
die mit Kehren verbunden waren, so wie wir es von römischen Rennbahnen
kennen (Evers, 1991).
Die bekannten Grabstelen von Mykene mit der Rennwagen-Darstellung
des toten Helden, sowie die ausführliche Schilderung eines Wagenrennens zu
Ehren des toten Patroklos, in der Ilias im 23. Gesang geschildert, weisen ebenfalls
auf einen Totenkult zu Ehren des Verstorbenen hin.
Doch zurück zu den Wagendarstellungen in der Sahara, die kleine Pferde
im sogenannten "fliegenden Galopp" abbildet. Diese Kunstform geht in Kreta
auf das Mittel-Minoisch II zurück und gelangte vielleicht als Erinnerung an die
Seevölkerzeit (Streitwagen-Geschwader der Archäer) bis in die Tassili-Berge.
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Die kleinen Pferde haben eine typische Ramsnase und Kruppe, wahrscheinlich
Kaltblüter, wie Wölfet (1962, 303) meint, und dürften über die Iberische
Halbinsel nach Nordafrika gekommen sein. Im Gegensatz dazu zeigen ägyptische
Pferde zur Amarna-Zeit (um 1400 v. Chr.) ein kräftiges und edles Tier der
orientalischen Pferderasse.
Wiesner (1939) ist der Ansicht, daß im westlichen Europa nur in Spanien
die Kenntnis des gezähmten Pferdes im 3. und zu Anfang des 2. Jahrtausends
vorhanden war. Den in Westeuropa einheimischen Kaltblüter kannte noch Strabo
(s. Wölfet, 1962, 304; s. Lit.-Angabe in Oldenburgs Abriß der Weltgeschichte,
München 1961) auf der Iberischen Halbinsel als wildlebendes Waldpferd. Bei
Grabungen in einer Siedlung am Dümmersee im Münsterland aus der
Ganggräber-Zeit (2300-1800 v. Chr.) fand man Pferdereste, die einem IslandPony
ähnlichen Pferdeschlag angehörten (Hancar, 1955).
Die kleinwüchsigen Kaltblüter erkennen wir heute noch in den Berberpferden
des Maghreb, es ist wenig elegant, von kleinem Wuchs, mit einem
kleinen Kopf und abfallendem Hinterteil. Dank seiner Anpassungsfähigkeit hat
es seine Eigenart aus der Frühzeit bewahrt. Es gibt drei Hauptkreise europäischer
Pferdezucht: Der westische, der indogermanische und der arktische. Der
westische war vom Kaltblutpferd gekennzeichnet, der indogermanische vom
Tarpan und der arktische vom Przewalski-Pferd. Der Übergang vom Wildpferd
zum gezähmten Pferd war ein fließender, nicht etwa wie in Nordamerika, wo
wenige Jahrzehnte genügten, um aus den wildbeuterischen Prärie-Indianern
eine Lebensform zu entwickeln, die eine verblüfende Ähnlichkeit mit dem
innerasiatischen Pferdehirtentum hatte. In der urindogermanischen Kultur war
die Zähmung des Wildpferdes ein mächtiger Leistungsanreiz, der zum Teil
auch sakrale Züge aufwies, siehe das älteste indogermanische Pferdeopfer von
Trälleborg in Schonen. Der Übergang vom ruhigen Bauernleben zur Pferdezucht
muß anfangs eine große Herausforderung gewesen sein. Nach Hancar (1955)
wurde das Pferd zuerst im frühen 3. Jahrtausend domestiziert und zwar im
Raum der Tripolje-Kultur im Dnjestr-Dnjepr-Raum ab 2800 v. Chr. Sie brachte
in Osteuropa die Ablösung der Indoiranier von den Indogermanen. Sie wanderten
von der kaspisch-turanischen Senke weiter und drangen mit dem Kriegswagen
bis Indien vor. Im Rigveda spielen Roß und Streitwagen eine wichtige Rolle,
Mithra und Varuna sind Streitwagenfahrer. Bei den Iranern ist Mithra der göttliche
Kriegsherr zu Wagen. Eine andere Stoßrichtung der indogermanischen
Streitwagenherren führte sie in die südliche Kaukasus-Gegend und weiter nach
Vorderasien. Die historisch bekannten Hurriter und Mitanni waren, zumindest
in der staatstragenden Oberschicht, Indogermanen. Bekannt ist der hethitische
Pferdetext - es handelt sich um eine Anweisung für ein Pferdetraining - aus dem
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14. Jahrhundert v. Chr., wo von einem Stallmeister namens Kikuli aus dem
Lande der Mitanni die Rede ist. Die Mariannu waren die Krieger-Elite mit dem
Streitwagen im Lande Mitanni.
Nachdem die ersten Anregungen der arischen Oberschicht im Raum Syrien-
Palästina schon vor den Hyksos nach Ägypten gelangten, bedienten sich die
Ägypter in den Endkämpfen gegen die Hyksos (um 1570 v. Chr.) erfolgreich
des Streitwagens. Unter Merneptha grifen die Libyer (auch Temehu und
Meschwesch genannt) im Jahre 1219 v. Chr. die Westgaue des Deltas unter
Führung von Merui an, wobei als Angrifspitze eine Gruppe von Seevölkern
operierte. Unter diesen waren am stärksten die Aquaiwasa (Achäer) und Tursa
(d.s. die Tyrenser bzw. die späteren Etrusker) vertreten, die wahrscheinlich als
Streitwagenkämpfer teilnahmen (Schachermeyr 1982, 43 ). Von den darauf folgenden
Kämpfen Ramses III. gegen die Seevölker wird berichtet, daß er 92
Kriegswagen erbeutete; anschließend im 11. Jahr seiner Regierung im zweiten
Libyerkrieg gegen die Meschwesch erbeutete er von diesen 183 rferde und
Esel und etwa 100 Wagen (Camps 1987).
Nun ist die Frage, wie der Streitwagen nach Griechenland kam. J. Wiesner
(1939) zufolge stoßen die idg. Streitwagenherren in den Donauraum vor und
drangen unaufhaltsam in die Ägäis vor. Die Schilderung Homers von den
streitwagenkämpfenden Thrakern, die auch als ausgezeichnete Rossezüchter
erwähnt werden , lassen eine Erinnerung an das 2. Jahrtausend v. Chr. erkennen.
Es waren wahrscheinlich die frühen Thraker, die den Streitwagen nach
Griechenland brachten. Zu Beginn der mykenischen Epoche sieht man auf den
Bildwerken eine ältere Pferderasse mit struppiger Mähne und buschigem
Schwanz, die aus dem Tarpan-Stamm gezüchtet wurde, aber bald zeigen diese
hochgewachsene, kräftige edle Tiere, die deutlich eine Zuchtentwicklung zeigen.
Es läßt sich aber auch vermuten, daß Kleinasien dabei eine Rolle spielte.
Das Pelopiden-Geschlecht stammte ursprünglich aus Lydien und brachte gemäß
Überlieferungen die Kunst des Streitwagenkampfes in die Argolis.
Die Sage von Oinomaos und Pelops und deren Wagenrennen quer durch
den Peloponnes zeigt die Achäer als perfekte Streitwagen-Spezialisten.
Schachermeyr vermutet, daß die Achäer als Söldner bei der Vertreibung der
Hyksos aus Ägypten um 1570 v. Chr. mithalfen, der große Goldreichtum in den
Sehachtgräbern dürfte damit im Zusammenhang stehen. Die mykenischen
Streitwagen haben wie die syrischen der gleichen Epoche eine andere Bauart
wie der eingangs erwähnte Florentiner-Wagen. Sie sind schwerer, haben auch
vierspeichige Räder, aber der Kasten sitzt mit seiner Mitte direkt auf der Achse
auf. Er hatte eine Zweimann-Besatzung und ist ein Kampfwagen, zum Unterschied
von den leichten Rennwagen der Sahara-Felsbilder, bei welchen der
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Fahrer vor dem Kasten auf der Deichsel steht.
Was den Streitwagen im Norden betrifft, so möchten einige Autoren einen
nordischen Ursprung annehmen. J. Lechler (1937; 1943) erwähnt eine
Ritzzeichnung auf der Steinkiste von Züschen bei Fritzlar aus dem 3. Jahrtausend
v. Chr. als älteste Wagendarstellung Europas; sie zeigt schematisch einen mit
zwei Rindern bespannten zweirädrigen Wagen. Am eindruckvollsten ist eine
Felszeichnung von Frännarp in Schonen (Südschweden), wo eine ganze
Wagenaufahrt von Rennwagen in schematischer Darstellung aus der mitleren
Bronzezeit gezeigt wird. Er deutet diese Darstellung als Wagenaufahrt für ein
Wagenrennen, um für die Pferdeopfer an die Götter die besten auszulesen. Als
Stütze seiner Meinung dient die Abbildung auf der Situla von Kufarn aus der
späten Hallstattzeit.
Wiesner (l 939) vertritt zunächst die Meinung, daß ein chronologischer
Vergleich zwischen dem mykenischen und dem nordischen Kreis zu dem Ergebnis
führt, daß Streitwagendarstellungen im Süden etwas älter als im Norden
sind, obwohl das Pferd im Norden viel eher bekannt ist. In der Tripolje LAKultur
wurde das Pferd ab 2800 v. Chr. domestiziert (Hancar 1955) und so
scheint die zusammenfassende Aufassung Wiesners (1939) naheliegend, daß
die Streitwagenbewegung später dann in der Bronzezeit im nordosteuropäischen
Tiefland ihren Ausgang genommen hat. Wenn man dieser Theorie zustimmt,
kann man annehmen, das sich diese schlagartig nach Norden und Süden (bzw.
Südosten) ausgebreitet hat, sodaß es schwierig wird von einem zeitlichen Vorrang
der Streitwagenbewegung zu sprechen. Pittioni (1929) meint, daß der Norden
den Streitwagen vom Süden (Griechenland) erhalten hat. Er begründet das
vornehmlich mit Kunstbetrachtungen, unter anderem wegen der klassischen
Spirale. Er glaubt, daß der Streitwagen sich im nordischen Kulturkreis nicht
lange gehalten und seine Verwendung einen episodenhaften Charakter hatte.
Die Felszeichnungen von Frännarp würden eine große Übereinstimmung mit
den griechischen Streitwagen ältester Form aus der mykenischen Frühzeit (1600-
1550 v. Chr.) aufweisen. Pittionis Meinung wird durch eine Felszeichnung aus
dem Val Camonica bestätigt, wo ein zweirädriger Streitwagen mykenischer
Bauart aufscheint. Die einzige naturalistische Darstellung des Rennwagens vom
Kivik-Grab möchte Pittioni ebenfalls aus dem "Süden zusammen mit orientalischen
Kunsterzeugnissen herleiten.
Anschließend sei die Kunst wieder mehr "nordisch" geworden, d.h. sie
nahm eine Entwicklung an, die sich durchwegs in schematischen Darstellungen
bei Wagen und Pferd zeigte. Hier muß darauf hingewiesen werden, daß die
oben angeführten schematischen Wagendarstellungen in der Sahara auf jeden
Fall jünger sind als die im Norden. Wie Adama von Scheltama (1923) gezeigt
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hat, ist der nordische Kreis völlig ornamental-geometrisch eingestellt.
Ake Ohlmarks (1974-1977) hat in diesem Zusammenhang eine äußerst
bedeutsame Arbeit veröffentlicht. Er nimmt Bezug auf die Entdeckung von
Oskar Montelius (1900) über die sogenannte ältere Bernsteinstraße in den
Flußsystemen Elbe, Donau und Oglio und der Verbreitung der bekannten BronzeSitulen
norditalienischer Herkunft und ist der Meinung, daß man in Spina an
der Po-Mündung den Bernstein gegen Gold eintauschte und dieses in BronzeSitulen
heimtransportierte. In der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen
Jahrtausends wurden die zurückkehrenden Händler oft von Kelten angegrifen
und manche Expedition kam nicht zu Hause an. Den Vermißten hätte man in
der Heimat kultische Ehren- und Totenmale geschafen.
Ohlmarks vertritt die Namenrebus-Theorie: In Ermangelung einer Schrift
in Felsbildern verewigt, bringt der Autor 41 Abbildungen von Felsbildern aus
Schweden mit ähnlichen aus dem Val Camonica. Diese Theorie Ohlmarks wird
durch zahlreiche aufallend nordisch anmutende Felsbilder bekräftigt. Seine
Abbildung 34 zeigt auch einen zweirädrigen Wagen in der Ansicht von oben in
linearer Ausführung.
Unabhängig von Ohlmarks Theorie ist es eine historische Tatsache, daß es
zu dieser Zeit sehr intensive Nord-Süd-Beziehungen gegeben hat. Die ältere
Bernsteinstraße hat besonders in der Spätbronzezeit große wirtschaftliche Bedeutung,
sie dürfte etwa bis zum 10. Jahrhundert v. Chr. gedauert haben. Neuere
Untersuchungen haben ergeben, daß der jütische Bernsteinjungteritär ist, im
Gegensatz zum baltischen Bernstein, der aus dem Alttertiär stammt (Wetzei,
1975) , und erst später in der Römerzeit nach dem Süden gelangte. So stammt
z.B. aller mykenischer Bernstein aus Jütland und gelangte sogar ab 2000 v. Chr.
über Kreta nach Ägypten (Hennig 1932,2). Das urzeitliche Zentrum von Val
Camonica hatte eine Schlüsselstellung auf dieser Nord-Süd-Route. Die enge
Verbindung mit dem mykenischen Bereich wird auf die bildnerisch bezeugte
Bedeutung der Metallwafen zurückgeführt. Ein in einem mykenischen
Königsgrab gefundener Bronzegegenstand weist große Ähnlichkeit mit
Felszeichnungen der Camunis auf (Anati 1974). Auf der letzten Etappe dieser
großen Überlandstraße in nordwestlicher Richtung wurde in Dohnsen bei Celle
eine Bronzetasse gefunden, die ein ähnliches Gegenstück in einer silbernen
Schale im Athener Museum hat; siehe dazu auch W. Paula (1990, 125 ff).
Beispiele von Rennwagenabbildungen im Zusammenhang mit dem
Totenkult sind dann im Europa des 1. Jahrtausends v. Chr. zahlreich. Felgenhauer
(1962) beschreibt die Darstellung eines Rennwagens auf einer - als Grabbeigabe
zu sehenden - Urne aus Rabensburg (Niederösterreich) aus der Hallstatt C-Zeit.
Bei den Ödenburger Umenfunden, die über die Gesichts-Urnen Nord-
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deutschlands dorthin gelangten, wird ein Zusammenhang mit einem vom Norden
abzuleitenden Totenkult vermutet.
Diese transkontinentalen Überlandbeziehungen machen es nunmehr verständlich,
daß auf dem Kivik-Grab ein zweirädriger Rennwagen zu sehen ist.
Eines der Bindeglieder dürfte im Florentiner-Wagen zu sehen sein, dessen Baugedanke
in einem Pharaonengrab aufscheint und dann über das Mitanni-Reich
bis Südrußland verfolgt werden kann. Die schon zitierte Aufahrt von Rennwagen
auf der Felszeichnung von Fränarp in Schonen haben wieder zahlreiche
Entsprechungen in Wagendarstellungen im naturalistischen Stil in der Sahara.
Einen dramatischen Höhepunkt erlebte der östliche Mittelmeerraum mit
seiner afrikanischen Küste zur Spätbronzezeit, wovon die Tempelwände von
Medinet-Habu in Kamak berichten. Auf diesen wird dargestellt, daß Ramses
III. nur mit größter Anstrengung den Seevölkersturm abwehren konnte. Wie
schon ausgeführt, dürften Achäer mit ihren Streitwagengeschwadern als Söldner
bei der Vertreibung der Hyksos beteiligt gewesen sein. Später finden wir sie
wieder als Bundesgenossen der Libyer - zusammen mit den Tursa - mit dem
Streitwagen gegen Merneptah kämpfen.
Lhote (1982) möchte diese Zeit als den Beginn der sogenannten libyschen
Streitwagen-Kultur bezeichnen. Muzzolini (1982) ist hingegen der Meinung,
daß mit der Gründung Kyrenes 630 v. Chr. diese Streitwagenbewegung ihren
Ausgang genommen hat. Pindar berichtet in seinen Siegesliedern (besonders
im 4. u. 5. pyth. Gesang) von den Wagenrennen in Kyrene, die Garamanten
hätten diese nachgeahmt. Eine "Vogue des courses" sei von Kyrene über
Nordafrika nach Westen gegangen. Zunächst sei bemerkt, daß in Ägypten zu
dieser Zeit Wagenrennen mit leichten Rennwagen, nur mit einer Person bemannt,
unbekannt waren. Vorbilder dafür sind vorerst in Kyrene, dann weiter
zurückgreifend bis Mykene und das übrige Europa bis hinauf nach Schweden
zu sehen.
Ludolf Malten (1911) hat in seiner frühen Arbeit wohlbegründete Argumente
angeführt, daß die erste Besiedlung Kyrenes bis in die Seevölkerzeit
zurückreicht. Der Kern seiner Ausführungen ist die peloponnesische EuphemosSage,
der Niederschlag einer älteren, unmittelbar vom Peloponnes (Kap
Tainaron) aus erfolgten Gründung Kyrenes vor dem Jahr 1000 v. Chr., als die
vom Norden her erfolgte Völkerverschiebung, zuletzt die Einfälle der Dorer,
die ältere Bevölkerung aus ihren alten Sitzen über das Meer drängte. Aus den
Siegesliedern Pindars (4. u. 5. pyth. Gesang), den Berichten Herodots (IV, 157-
167) und anderen sagengeschichtlichen Untersuchungen (s. Lit.-Hinweise bei
L. Malten) kann diese frühe Geschichte lebendig gemacht werden.
Erst 630 v. Chr. erfolgte die geschichtlich bezeugte Gründung Kyrenes
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von Thera aus durch die Dorer (Dynastie der Batiaden). Diese trafen bei der
Ankunft die älteren Vorbewohner, die "Antenoriden", ein "roßtümmelndes Geschlecht",
siehe Pindars 5. pythisches Gedicht über ein Wagenrennen von
Arkesilas IV. von Kyrene, sie hätten deren Tradition aufgenommen, indem sie
den Toten ihrer Vorgänger Grabesopfer brachten. Herodot (IV, 170) berichtet,
daß die Kyrenäer bei der Einwanderung den libyschen Volksstamm der Asbysten
vom Meer angedrängt haben. Wie weit die Erinnerung an die Seevölkerzeit
zurückreicht, zeigt, beispielsweise, die Sage von Triton in Gestalt von Eurypilos,
dem mythischen Urkönig der Syrte, der den Argonauten die heilige Erdscholle
für die spätere Gründung Kyrenes überreicht. Als Kommentar zu Malten schreibt
Wiesner (1941, 199, Anm. 58) folgendes: "Wir dürfen darin die Auswirkung
einer Bewegung erkennen, die im nordöstlichen Gebiet der Adria ihren Ausgang
genommen und auf dem Seewege sowohl die Apenninen-Halbinsel, als
auch die Kyrenaika und das Gebiet der mykenischen Kultur erreicht hat. Diese
"Seevölker" dürften größtenteils illyrischer Herkunft gewesen sein; nicht nur
zahlreiche illyrische Namen beiderseits der Adria sprechen dafür, sondern auch
die illyrische Herkunft des Philistemamens und Kyrenes". Die libysche
Streitwagenkultur steht mit den Seevölkern dieser Zeit und mit den Garamanten,
deren Königreich im Fezzan bis zur Römerzeit andauerte, in enger Verbindung.
Herodot berichtet, daß die Garamanten eine Quadriga besaßen und daß
die Libyer den Griechen beigebracht haben, vier Pferde an einen Wagen zu
spannen. Im Westen, d.h. südlich des Atlas, findet diese Kultur ihre Fortsetzung
in den Getulem, die den Wagen dann mehr und mehr aufgeben und als
Reiternomaden auftreten. Camps (1978) schreibt: " .... diesen Heren, zuerst
Fahrer von leichten Wagen, dann unerschrockene Reiter, kann man wohl auch
den Bau der bedeutenden Grabanlagen aus unbehauenen Steinen zuschreiben,
von denen einige - im Tassili - mehr als 300 m lang sind. Es handelt sich um
gewaltige ausgedehnte Pflasteranlagen, die in Form eines nach Osten geöffneten
Halbmondes angeordnet sind. An anderer Stelle sieht man Monumente mit
einer kreis- oder ellipsenförmigen Einfriedung, von der aus ebenfalls ein nach
Osten angelegter Gang in den zentralen Grabhügel führt."
Wölfel (1962) vermutet die Existenz von Wagenstraßen, aber da man seit
damals eine große Anzahl Wagenbilder gefunden hat, kann man diese Theorie
aufgeben. Siehe dazu auch Mauny (1974/1975), der diese Theorie als problematisch
bezeichnet, da man diese Wagenstraßen höchstens auf kleinen
Teilstrecken annehmen könnte. Das läßt vermuten, daß der Wagen in der Sahara
auf keinen Fall ein Nutzfahrzeug, vielmehr ein Prestige-Fahrzeug war, das
einem Anführer gehörte. In den Hoggar-Bergen ist eine Anlage von Rennbahnen
nicht möglich, aber die zahlreichen eindrucksvollen Grabanlagen, die von
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Camps zuvor beschrieben wurden, sind Ausdruck einer Erinnerung an große
Verstorbene der einzelnen Stämme und bezeugen so einen weitverbreiteten
Totenkult. Die Stammesführer bauten Prestigefahrzeuge in Form eines Rennwagens
und hielten so die Erinnerung wach an die Zeit der Jahrtausendwende,
wo Libyer mit ihren Verbündeten, nicht zuletzt mit dem großen Achäer-Kontingent
mit ihren Kampfwagen, das Pharaonenreich stürmten.
Abschließend sei ein Zitat von Wölfel (1951, 170/171) erwähnt: "Der
megalithische Kulturkreis beruht auf dem Totenkult, sein Hauptinhalt war die
Verehrung der Ahnen, auf welche alles bezogen wurde." Zahlreiche Denkmäler
dieses Kulturkreises auf der sogenannten "Dolmenstraße" von Gibraltar bis
Tunis erinnern an diese große Zeit der Menschheitsgeschichte Nordafrikas.
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Wagen aus dem bronzezeitlichen Kammergrab von Kivik (Schweden)
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Rished, Ki rchspiel Askum, Bohuslän (Schweden)
Valcamonica, Na uane Italien
385
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Detail aus der "Wagenaufahrt zum Rennen" (Frännarp, Kirchspiel Gryt, Schweden)
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Der Wagen von Rorenz
Situla von Kufarn
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