Helmut Stumfohl
NAME UND LOKALISIERUNG DER KANARISCHEN INSELN
IM ALTERTUM UND DAS PROBLEM DER "CANARII". Zu
Jose Juan Jimenez Gonzalez "Die Canarios. Ein Berberstamm
im Hohen Atlas."
Die oben angeführte Arbeit von Jose Juan Jimenez
Gonfalez wirft drei Probleme auf:
1 - Das Problem der antiken Nachrichten über die Kanaren,
Madeira, die Azoren und überhaupt mögliche Fahrten
im Atlantik.
2 - Das Problem des Namens der Kanaren beziehungsweise
seine Deutung.
3 - Die Beziehung des Namens "lnsulae Canariae" zum
Namen des bei Plinius d. Ä. genannten Berberstamms der
"Canarii" im westlichen Atlas bzw. dessen Abdachung bis
zum Küstenland am Atlantik.
Meines Erachtens wird die vorliegende Arbeit (1)
diesen Problemen nicht gänzlich gerecht.
Die Antike hinterliess uns eine Reihe von Nachrichten
über Inseln und Inselgruppen im offenen Meer, im
Okeanos, westlich der Säulen des Herakles. Diese waren
für die spätere antike Anschauung unbedingt die beiden
Bergstöcke nördlich und südlich der Strasse von Gibraltar,
die selbst einfach so hiess. Unser Problembereich bleibt
davon unberührt, dass man sich ursprünglich die Säule oder
Säulen des Herakles weiter östlich bzw. im Norden dachte;
in ihnen darf man einen missverstandenen Reflex einer
Himmelssäule erblicken, die vielleicht auf megalithisches
Gedankengut zurückgeführt werden kann, womit wir auf
einem scheinbaren Umweg wieder in unserem Problembereich
wären: der Atlasgipf el oder der Pico de Teide als
Himmelssäulen!
Diese antiken Nachrichten in fabelhaft-legendarischer
oder mythisch-poetischer oder poetisierender Ge-
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stalt, aber auch in einem rein geographisch-politischen
Kontext, gilt es ein wenig zu sondern.
Wir haben gute Gründe anzunehmen, dass Legendäres,
Mythisches, Poetisches, sei es auch noch so ausgeschmückt,
verzerrt oder entstellt, auf eine reale Basis zurückzuführen
ist. Wir wissen heute nur zu gut, dass alle
alten Völker ihr geschichtliches oder geographisches Wissen
gerne in mythischer Verkleidung darstellten (2).
Diese Inseln bzw. Inselgruppen westlich der Säulen
des Herakles waren in der antiken Auffassung "Insulae
Fortunatae" - "G lückliche Inseln" oder "Nesoi makarön" -
"Inseln der Seligen", "Hesperides" - "Westliche oder Inseln
der Herrinnen des Westens", "lnsulae Gaetulae" -
"Gaetulische Inseln" oder "lnsulae Purpurariae" - "Purpurinseln".
Sie werden oft durcheinandergeworfen, einander
gleichgesetzt oder doch wieder als verschiedene bet rachtet.
Sie fügen sich weiterhin ein in den Bereich der legendären
oder halblegendären Inseln, mit denen die Phantasie
oder dunkle Kenntnis den Atlantik versah: Brasil,
Antillia, die Inseln des Brandanus etc.
Für unsere Zwecke kommen insbesondere Nachrichten
über die Kanaren, in fernerer Hinsicht über die Azoren
und Madeira in Betracht, oft miteinander verwechselt.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind alle diese Inseln
bzw. Inselgruppen bereits von den Phönikern bzw. Karthagern
erreicht worden, womit nicht gesagt sein soll, dass
sie oder gar die Ägypter bereits Amerika erreicht hätten
- aber die Azoren erreicht zu haben, kann ihnen zugetraut
werden, wobei es dahingestellt bleibt, ob dies ein Zufall
war oder Ergebnis bewusster Schiffahrt, die zu regelmässigen
Kontakten führte. Abgesehen vom natürlichen "Verschleiss"
solcher Nachrichten, die von Unwissenden und
Unkritischen entstellt werden, muss auch an die Möglichkeit
der sogenannten "Schiffermärchen" gedacht werden,
die man erzählte und verbreitete, um die Konkurrenz bei
Handelsfahrten oder auch kolonisatorischen Unternehmungen
auszuschalten: Märchen vom allbekannten Typus der
zusammenschlagenden Felsen, der Maelst röme oder des geronnenen
Meers. Dazu kommt die Poetisierung solcher
Nachrichten: die Inseln, die ohnedies Gefühl und Phantasie
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stark erregen, werden zum "locus amoenus", zum idyllischen
Ort, auf dem alles im Überfluss gedeiht, ewige Jugend
und paradiesische Zustände herrschen.
Auch ist die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass
man auch absichtlich falsche und verworrene, irreführende
Entfernungsangaben verbreitete, natürlich wieder um die
Konkurrenz auszuschalten. Hierbei wird man verständlicherweise
übertrieben haben. Hierzu kommen die Fehler der
Abschreiber, die gerade bei Zahl- und Massangaben zweifellos
bedeutend gewesen sind. Dass Zahlenangaben in alten
Texten mit Vorsicht und Kritik zu behandeln sind,
lehrt nicht nur etwa Herodot mit seinen völlig unmöglichen
Angaben über die Stärke des Heeres des Xerxes (3);
auch jede Bibelexegese hat sich damit herumzuschlagen
und verschiedene Zahlenangaben kritisch zu sondern: tatsächliche,
mögliche, wahrscheinliche, symbolische, allegorische,
phantastische, etwa die Zahl der Israeliten des Auszugs,
die ganz unmöglich ist ( 4 ). So sind auch die antiken
Angaben über Tagesreisen von Schiffen und darauf beruhende
Entfernungsangaben mit Vorsicht aufzufassen, wozu
auch die Grössenangaben gehören, etwa die der platonischen
Atlantisberichte.
Henning (5) hält es für sicher, dass die Phönizier
bzw. Karthager bereits die Kanarischen Inseln kannten.
Mindestens muss der schneebedeckte Gipfel des Pico de
Teide an klaren Tagen noch von der marokkanischen Küste
für scharfe Augen sichtbar gewesen sein; die Krümmung
des Erdballs kann ihn noch nicht völlig unsichtbar gemacht
haben. D.h. Bewohner des westlichen Atlas bzw. des Küstenlandes
kann dieser Anblick vertraut gewesen und damit
zur Kenntnis der Karthager gelangt sein.
Es ist also anzunehmen, dass die Expedition König
Jubas von Numidien bzw. Mauretanien (etwa 50 v. Chr. bis
25. n. Chr.; die Expedition fand etwa um die Zeit von
Christi Geburt statt) keineswegs ins völlig Unbekannte
vorstiess. Auf sie bezieht sich Plinius d. Ä. (6), der Jubas
Bericht und andere Nachrichten benützt und teilweise
durcheinanderbringt. Es geht dabei besonders um die Frage,
wie sich "lnsulae Fortunatae" und "Insulae Purpurariae"
zu einander verhalten. Er behauptet (7), dass die
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"Glücklichen Inseln" von den "Purpurinseln" 625.000 Passus
entfernt seien, was einer Entfernung vom 937 ,5 km entspricht.
Das wäre etwa die Entfernung von Gadeira/Gadire
(Cadiz) nach Madeira oder von den Kanarische Inseln -
Lanzarote am ehesten - nach Madeira. Andererseits aber
spricht Plinius von den Inseln der Gaetuler (8), eines numidischen
Stammes im atlantischen Küstenbereich, gegenüber
den Inseln der Autololer, auf denen Purpur gewonnen
wird. Hier handelt es sich zweifellos um küstennahe Inseln
von der Art der sandigen Inseln bei Cerne, Mogador etc.,
die zum Teil heute landf est geworden sein können. Auf
diesen wurde in von Juba eingerichteten Manufakturen aus
der atlantische Purpurschnecke Purpur gewonnen. In diesem
Zusammenhang erwähnt Plinius (9) die "gaetulischen Klippen"
als Standort der Purpurschnecke: "omnes scopuli Gaetuli
nuricibus purpuris." An anderer Stelle berichtet er,
dass der beste asiatische Purpur in Tyrus, der beste afrikanische
in Mennix (auf der Insel Djerba vor der tunesischen
Küste) . und an der gaetulischen Küste gewonnen
werde; der beste europäische übrigens im Bereich von
Sparta, woraus hervorgeht, dass der Purpurfarbstoff nicht
nur aus der Purpurschnecke, sondern auch aus der Purpurflechte
gewonnen wurde ( 11 ).
Übrigens besteht die Möglichkeit, dass der Name
Gaetuli bis zum heutigen Tag fortlebt. Die Berge um die
Bucht von Algeciras (an der Südküste Spaniens) heissen
spanisch "Sierra de los Gazules", was von Hans Wolff (12)
zu berberisch "ghezzul" gestellt wird, was "mager" heisse.
Man könnte darin die Bezeichnung für sehnige Krieger erblicken
und an Vergils Lobspruch für die kriegerischen
Gaetuler erinnern: " ••• Gaetuli urbes, genus insuperabile
bello", " ••. Städte der Gaetuler, ein Volk, unschlagbar im
Kampfe" (13). Strabo (14) kennt übrigens ein Volk der
"schwarzen Gaetuler" - "Melanogaityloi" - diese könnten
identisch sein mit den "äthiopischen" Stamm der Perorsi,
den Plinius (15) als die nächsten Nachbarn der Gaetuli
erwähnt; diese westlichen Äthiopen sind offenbar eine
dunkelhäutige, aber europäide Unterschicht, die sich in
vielen Berberstämmen, zum Beispiel den Tuaregs, findet,
die erst nachträglich durch Nachkommen importierter Ne-
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gersklaven einen negroiden Einschlag bekam.
Nach Treidler (16) sind die Insulae Fortunatae mit
den Kanarischen Inseln und diese mit den Purpurinseln zu
identifizieren! Das heisst, mit der antiken Kenntnis der
Kanarischen Inseln, von den Karthagern bzw. Phöniziern
zuerst gewonnen, durch Numider und Römer erneuert,
werden die Kanarischen Inseln mit als Purpurinseln betrachtet,
was möglicherweise schon in der zu vermutenden
karthagischen Bezeichnung der Inseln ausgedrückt war. Für
die Kanarischen Inseln kommt auch der Saft des Drachenbaums
als mögliche Quelle eines roten Farbstoff es in Betracht.
Plinius ( 17) erwähnt einige, zum Teil stark entstellte,
Namen der Kanarischen Inseln, darunter Junonia, das
vielleicht mit Fuerteventura zu identifizieren ist. Für die
Ent fernung Junonia-Gadeira gibt er eine e1mgermassen
korrekte Zahl von 750.000 Passus, was etwa 1100 km entspricht.
Hier interessiert besonders der Name der Insel,
der offenbar auf eine dunkle Kunde von der Verehrung einer
Göttin oder Priesterin zurückgeht. In Mythologie und
Epik spiegelt sich die in der Verbindung von Insel und
Göttin: Ortygia, die Insel der Artemis ( wo immer sie die
Griechen lokalisierten, z. B. bei Syrakus), Kalypso, Kirke
auf ihren Inseln.
Hieher gehört wohl die merkwürdige Stelle in der
Odyssee ( 18), wo von einer Tochter des Atlas auf waldiger
Insel die Rede ist, draussen im Ozean, wo sich die
Säulen befinden, die Erde und Himmel auseinanderhalten.
Die göt tliche Nymphe ist Kalypso. Sie wird parallelisiert
durch die Insel der Artemis (19). Auf dieser befinden sich
die Fluren der Seligen, die "pedion Elysiön" (20). Dazu
gehören auch Plutarchs (21) Inseln der Seligen, zwei Inseln,
zehntausend Stadien - 1800 km - von Iberien entfernt.
Es handelt sich um zwei Inseln, in denen man Madeira
und seine Nachbarinsel Porto Santo erblicken kann,
eine verschwommene Kunde von ihrer Existenz (21). Damit
mischt sich eine verdunkelte Anschauung des Pico de Teide,
der mit Atlas, ursprünglich der Himmelssäule, zu ident
ifizieren ist. Dabei ist schwer zu sagen, ob zuerst der Pico
de Teide oder das Atlasmassiv gemeint war (22).
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Hieher gehört nun auch die Erklärung des Namens
der Kanaren, d.h. für Gran Canaria, die Plinius (23) andeutet,
wonach die Insel nach den grossen Hunden benannt
sei, von denen Juba sogar zwei mitbrachte. Dies scheint
eine typische Volksetymologie zu sein. Weit eher ist anzunehmen,
dass die karthagische Bezeichnung der Inseln oder
der Hauptinsel das phönizische und gemeinsemitische Wort
für "roten Farbstoff, Purpur" enthalten habe, das karthagisch
etwa "*kana/k na" gelautet haben muss. Es entspricht
dem arabischen "al-kinna", dem türkischen "kina".
Aus derselben Wurzel wurde übrigens das Land Kanaan benannt,
also "Rotland, Land der roten Erde". Assyrisch
hiess es Kinahi, Kinahhi, hebräisch Kenaan, in der Septuaginta
als Chanaan transkribiert. Auch die griechische Bezeichnung
für das kanaanäische Küstenland - Phoinikia -
besagt dasselbe, jedenfalls mit einem Hinweis auf die
Qualität "rot" - sei nun die rote Erde oder der Saft der
Purpurschnecke massgebend gewesen. Das griech. "phoinix"
- Purpur - ist nicht zu verwechseln mit dem Namen des
Sagenvogels Phoinix, der einer ägyptischen Bezeichnis entstammt
und einem dritten "phoinix", ebenfalls ungriechischer
Herkunft, das Dattelpalme bedeutet. Vermutlich waren
es die Gewährsmänner des Plinius oder seines Gewährsmannes
Sebosus, welche diese U mdeutung vornahmen
(24).
Wenn übrigens in der Bibel Kanaan als Sohn Harns
beschrieben wird, so enthält diese Genealogie wohl eine
Ahnung davon, dass es an der Ostküste des Mittelmeers
eine nichtsemitische Vorbevölkerung gegeben hat (25).
Immerhin könnte auch mit der Möglichkeit gerechnet
werden, dass der Name der Kanaren überhaupt der
kanarischen Vorbevölkerung selbst entstammt und da wiederum
dem nichtberberischen mediterranen Substrathintergrund,
sodass die Deutung auf "Purpurinsel II und die
nochmalige Umdeutung als "Hundeinsel" einer zweifachen
Umsetzung durch volksetymologische Entstellung verdankt
würde.
Der Geograph von Ravenna (26) erwähnt eine westschottische
Insel Cana, heute noch Canna; dazu wäre die
turdetanische Stadt Canaca in Hispania Baetica (27) zu
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stellen; Plinius (28) kennt ebenda eine Stadt Canama, vielleicht
dieselbe (29).
Unklar bleibt, wie es sich mit der grossen Insel
verhält, die nach Diodorus Siculus (30) Libyen gegenüber
mitten im Meer liegt, bewaldet ist, schiffbare Flüsse hat
und ein so angenehmes Klima, dass man sie für den
Wohnsitz göttlicher Wesen halten könnte. Vielleicht verbirgt
sich Madeira dahinter, dass zwar keine schiffbaren
Flüsse hat, aber immerhin stattliche Gewässer, die, als
Madeira noch dicht bewaldet war (wonach es auf portugiesisch
auch heisst), gewiss stärkere Wasserführung hatten
(31).
Diodor (32) erwähnt auch, dass die Tyrrhener diese
Insel besiedeln wollten, obgleich sie von den Karthagern
entdeckt worden war; die Karthager verhinderten dies,
weil sie die Insel für sich selbst als etwaiges Rückzugsgebiet
ausersehen hatten.
Plinius (33) berichtet von der Expedition des Konsuls
Suetonius Paulinus 66 nach Christi Geburt - der mit
einer Heerschar in den westlichen Atlas zog. Die Römer
sahen da Schnee auf den Höhen, Wälder mit Elefanten -,
eine schwarze Wüste am Fuss des Berges und am Flusse
Ger (an ihn erinnert das Kap Ghir) trafen sie auf einen
Stamm, der "Canarios" genannt wurde (im Singular Canarii)
und zwar angeblich wegen der Tatsache, dass sie dieselbe
Nahrung hatten wie die Rasse der Hunde und sich
mit ihnen das Fleisch der wilden Tiere teilten: "Canarios
appellari, quippe victum eius animalibus promiscuum his
esse et dividua ferarum viscera." Es ist n i c h t die Rede
davon, dass sie Hundefleisch assen (obwohl dies natürlich
der Fall gewesen sein kann wie bei vielen Berberstämmen),
sondern dass sie sich wie wilde Hunde verhielten.
Aus dem Namen des Stammes lässt sich allerdings
nicht ablesen, dass darin eine Gemeinsamkeit mit den Bewohnern
Gran Canarias und dem Namen der Inseln ausgedrückt
sei. Dieser Name, offenbar von den Römern verliehen,
weist wirklich auf den Hundebezug zurück, kann aber,
aus den oben dargelegten Gründen, n i c h t zur Deutung
des Namens der Inseln herangezogen werden; damit entfällt
natürlich die Vorstellung, dass dadurch die berberi-
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sehe Abstammung der Bewohner Gran Canarias nahegelegt
würde. Nicht im mindesten wird dadurch bewiesen, dass,
um es umgekehrt zu sagen, die Guanchen einfach ein Berberstamm
gewesen wären - womit natürlich nicht gesagt
ist, dass es keine Beziehung zu den Berbern gegeben hätte,
aber diese war viel verwickelter und diffiziler als eine
blosse einlinige Abstammung.
Der Stamm der Canarii ist einfach mit denselben
Wortmitteln benannt wie die volksetymologische Umsetzung
des Kanariernamens. Dass sich Volksnamen mehrfach in
verschiedenen Wohnbereichen wiederholen, ist oft gemerkt
worden. Es kann sich um verschiedene Splitter ein und
desselben Volkes bzw. Stammes handeln: es können Namen
übertragen worden sein; sie können aber auch ganz verschiedenartige
Völker bzw. Stämme bezeichnen, ohne dass
deshalb daraus auf genetische Beziehungen oder gar
Identität geschlossen werden dürfte.
Wir haben den Namen "Germani" dreimal in weit
voneinander entfernten geographischen Räumen: als Bezeichnung
linksrheinischer Germanenstämme, der dann auf
alle Germanen übertragen wurde, selbst aber wohl, trotz
Much, ein keltischer oder mindestens von Kelten umgeformter
Name ist, der offenbar auch den Römern gut gefiel
wegen seines wohl nur zufälligen Gleichklangs mit lat.
"germani", d.h. "Echte, Wohlgeborene, Brüder" (34). Wir
haben in Hispanien die "Germani Oretani", offensichtlich
ein iberischer Stamm, keine Keltiberer; und wir haben die
"Germani" oder "Karmani" als iranischen Stamm in der
Gegend des heutigen Kermanshah, das immer noch nach
ihnen heisst; möglicherweise geht auch Karaman in Anatolien
auf diesen Namen zurück.
Niemand wird nun die iberischen, iranischen und
linksrheinischen Germani cisrhenani als ein und denselben
Volksstamm erklären wollen.
Ein anderes Beispiel, noch näher unserem geographischen
Raum beheimatet, bietet der Dreiklang von hispanischen
Iberi, kaukasischen Iberi und irländischen Iberi/Hiberni
- letzteres mit einem falschen h-Vorschlag, den das
Wort in römischem Mund erhielt (vgl. lat. arena/harena -
auch die römische Unterschicht war sich wie ein echter
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Cockney der anlautenden "h" nicht ganz sicher!) und einem
adjektivischen "n-", das in vielen geographischen Ableitungen
erscheint (Turdetani, Oretani, silvanus, Viennensis,
Teutoni/Teutones etc.). Hier zeigt sich, wie komplex
unser Problem sein kann, denn obgleich alle drei Volksgruppen
vermutlich ein und derselbe Substratgrund verbindet,
sind die Namen ziemlich sicher nicht identisch und
beweisen vor allen Dingen noch nicht die ethnische Identität.
Möglicherweise gehören die hispanischen und irischen
Iberi/Hiberni wirklich auch namensmässig zusammen; die
kaukasischen Iberi hingegen - die Vorfahren der heutigen
Georgier - sind vermutlich von Semiten her benannt,
wohl also von den Assyrern; das Wort bedeutet etwa "die
Drüberen". Immerhin wäre es denkbar, dass auch die hispanischen
Iberer von den Karthagern mit einem Wort aus
derselben semitischen Wortwurzel benannt worden wären;
dann würde der Gleichklang mit Iberi/Hiberni darauf beruhen
können, dass man die semitische Bezeichnung bewusst
wählte, weil sie schon an eine heimische Bezeichnung anklang
(35).
Für die Beziehung des Altkanarischen bzw. des Guanche
zum Berberischen gilt vor allen Dingen, was schon
in meinem Halleiner Vortrag "Alteuropäisch und Altkanarisch"
(36) unter "Schlussfolgerungen" gesagt wurde.
Man kann daher n i c h t einen "Canarii" benannten
Berberstamm des westlichen Atlas a 1 s B e w e i s der
berberischen Abkunft der alten Kanarier betrachten und
noch weniger damit einen etwaigen umgekehrten Schluss
begründen, dass die alten Kanarier, speziell die Guanchen,
eirifach ein Berberstamm oder eine Gruppe solcher gewesen
seien, obgleich solche Beziehungen unstreitig vorhanden
sind. Sie sind aber w e s e n t 1 i c h k o m p 1 i z i e r t e r
u n d d i f f i z i 1 e r als man sich das bei den Verfechtern
eines mehr oder weniger reinen Berbertums der alten
Kanarier vorstellt, aber auch komplizierter und komplexer
als sich das Wölf el einst dachte.
Immerhin deuten seine Ansichten, etwas programmatisch
in einem Aufsatz ausgesprochen (37), meines
Erachtens die einzig mögliche Richtung an:
"Der Vergleich (des Altkanarischen) mit dem Ber-
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berischen hat sich als der fruchtbarste erwiesen. Das Berberische
ist der Schlüssel für den grössten Raum innerhalb
des Trümmerfeldes der eingeborenen Sprachen der Kanaren.
Aber dieser Schlüssel öffnet weder alle Türen noch
alle Räume dieses Gebäudes. Wir haben eine ganze Reihe
von Wörtern, die im Berberischen und im Altkanarischen
identisch sind, semantisch wie phonetisch. Darunter aber
zeigen einige Wörter einen sehr jungen Einfluss des modernen
Berberischen. Es gibt aber auch wohletablierte
Ausdrücke, die jedem Vergleich mit dem modernen Berberischen
trotzen; Wendungen und Verben, die jeder Analyse
aufgrund des Berberischen widerstehen."
Wölfet selbst hat wenige Sätze vor dem Obenstehenden
auf mögliche Vergleichsgrundlagen im Altägyptischen,
Baskischen und den Kaukasus-Sprachen hingewiesen,
zusätzlich zum Berberischen, versteht sich. Wir können dies
heute anders sagen: er wies auf Beziehungen zum grossem
Komplex des mediterranen Substrats hin.
Schon die Tatsache, dass immer wieder andere Berberdialekte
zum Vergleich herangezogen werden müssen -
nicht nur der von If ni bzw. das Schlöch - und darüber
hinaus zu Sprachen des weiteren hamitisch-westsudanischen
Umfelds wie Haussa und Ful, zeigt deutlich, dass es sich
um keine einlinige, lineare Beziehung zwischen dem Kanarischen
und den Berberdialekten handeln kann.
Dieses Beziehungssgefüge oder -geflecht lässt sich
nach einigen Grundsätzen wie folgt charakterisieren: wir
haben
1) in den alt kanarischen Sprachresten einen Wortschatz,
der sich am ehesten mit Wörtern und Wendungen
verschiedener Berbersprachen vergleichen lässt, aber kein
Berberdialekt ist dabei wirklich bevorzugt und kein Wortfeld
lässt sich in einem bestimmten Dialekt ganz oder
auch nur überwiegend zuordnen.
2) Dieses Beziehungsfeld lässt sich am besten und
sachlichsten darstellen, indem man den meines Erachtens
z w i n g e n d e n S c h l u s s zieht, dass Altkanarisch
und Berberisch in einem g e m e i n s a m e n S u b -
s t r a t g r u n d g e m e i n s a m e W u r z e 1 n haben,
dass aber w e d e r das Altkanarische n o c h das Berberi-
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sehe a 11 e i n diesem Wurzelgrund entstammen.
3) Weder das Substrat, das wir das mediterrane
nennen, noch die Gruppe der Berberdialekte waren jemals
ein einheitlicher Sprachblock, sondern von vornherein ein
Gefüge mehr oder weniger verwandter Dialektgruppen oder
Dialektpopulationen, die mehr oder weniger untereinander
verständl ich waren und sich in mannigfachen Überschneidungen
und Konvergenzen berühren. Insoferne stellen gerade
die Berberdialekte eine Art Museum eines älteren Zustandes
dar, in dem es eben nicht zu grösseren Systematisierungen
durch politische, rel igiöse, ökonomische Zwänge
gekommen war, die allein meines Erachtens über grössere
geographische Räume hinweg einheitliche Sprachgebilde
mit verbindlich fixiertem Vokabular bzw. Grammatik
schaffen (38). Der gegenwärtige Zustand der Berbersprachen
und ihre gegenseitige Beziehung kann uns als ein
Modell, als ein Analogon älterer Sprachzustände dienen.
4) Ein bestimmter Prozentsatz des altkanarischen
Wortschatzes wird sich nirgendwo einordnen lassen und
würde auch dann nicht eingeordnet werden können, wenn
wir die Dialektpopulation des Altmediterranen und Protoberberischen
sprachlich d.h. wortschatzmässig überschauen
könnten: es wäre unwahrscheinlich, wenn es nicht sekundäre
Sonderentwicklungen auf den Inseln gegeben hätte.
5) Gewisse berberische und pseudo-berberische Elemente
gehen offensichtlich auf rezente Zuwanderung von
Berbern nach der conquista zurück. Sie können zu einer
Art Re-Berberisierung geführt haben, zur Verstärkung vorhandener
berberischer Elemente oder solcher, die dem
Berberischen analog waren, weil sie nach dem Vorbild
berberischen Materials, aber in Isolation und Sonderentwicklung
entstanden waren.
Anmerkungen
( 1) Jose Juan Jirnenez Gonzälez, Die Canarios. Ein Berberstamm
im Hohen Atlas. Siehe diesen Almogaren, 141-147
(2) Für mythisch-poetisierende Nachrichten vgl.Karl-Heinz
Peiff er: Antike Quellen zur Geschichte der Atlantikfahrten,
in: Almogaren III, Hallein 1972, pp. 175-196; für die
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geographisch-historischen Analysen aller in Frage kommenden
Texte vgl. Richard Henning, Terrae Incognitae,
Leiden 1944, Bd. 12 ; ferner Alois Closs, Die nautischen
Voraussetzungen der kanarischen Landnahme und transatlantische
Kultureinflüsse, in: Almogaren II, 1971, pp. 21-38;
James Krüss, Die glücklichen Inseln bei lateinischen Dichtern,
in: Almogaren VIII, 1976, pp. 11-14. Vgl. weiterhin
Hans Biedermann, Die Spur der Altkanarier. Eine Einführung
in die Altvölkerkunde der Kanarischen Inseln, Hallein
1983, pp. 5-17
(3) Herodot VII, 60: 1,700.000 Mann! Für Herodot, Plinius,
Strabo, Diodorus Siculus, Vergil, Plutarch wurden die Ausgaben
der Loeb Classical Library benützt.
(4) Exodus XII, 37: 600.000! Alles in allem. 6 und seine
Vielfachen gehört zu den symbolischen Zahlen; die Zahl 6
symbolisiert das Vollkommene, nämlich die vier Richtungen
in der Horizontalen, die Himmelsrichtungen, dazu die
beiden Richtungen nach oben und nach unten.
(5) Hennig, op. cit., pp. 44-50
(6) Historia naturalis =h.n. VII, pp. 203-204
(7) Vgl. besonders auch Hans Treidler in Pauly-Wissowas
"Realencyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft
=RE s. v. Purpurariae Insulae, RE 23, 2 = 46. Halbband,
Stuttgart 1959, coll. 2020-2928
(8) Plinius h.n. VI, 201
(9) Plinius h.n. V, 12
(10) Plinius IX, 127
( 11) PI inius VI, 204
(12) Hans Felix Wolff, Das Gesicht des Rif, Berlin 1927,
pp. 22-23
(13) Vergil, Aeneis IV, 40
(14) Strabo, Geographia II, 131, 17
(15) Plinius h.n. X, 16
(16) Treidler op. cit.
(17) Plinius h.n. VI, 204
(18) Homer, Odyssee I, 51-54. Der Text der Tempel-Klassiker
wurde benützt.
(19) Odyssee V, 223
(20) Odyssee XV, 402-407; vgl. IV, 563.
(21) Plutarch, Parallel-Biographien, Sertorius cp. 8
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(22) Hennig, op. cit., pp. 40-50
(23) Plinius VI, 205
(24) Dazu Johanna Schmidt, Jenseits der Säulen des
Herakles, in: Anuario de Estudios Atlanticos, Madrid-Las
Palmas, 1941, pp. 1-4
(25) James Krüss, Die Namen der Kanarischen Inseln,
Vortrag bei der Jahrestagung des Institutum Canarium,
Bozen 1977
(26) V, 31-32=Ravennatis Anoynimi id est Geographus Ravennas
Kosmographia et Guidonis Geographia, ed. Joseph
Sehnetz in: Itineraria Romana 2, Leipzig 1940
(27) Ptolemaios, Geographias Hyphegesis, nach der Ausgabe
von K. Müller, Paris 1883, II, 4, 10
(28) Plinius h.n. III, 11
(29) Alfred Holder, Alt-celtischer Sprachschatz, Leipzig
1896, 12 Graz 1961 s.v.
(30) Diodorus Siculus V, 19-1-2
(31) Hennig op. cit, pp. 40-50
(32) Diodorus Siculus V, 20
(33) Plinius h.n. V, 1, 14-15
(34) Rudolf Much, Der Name der Germanen, in: Sitzungsbericht
d. Akad. d. Wissensch. in Wien, Phil.-Hist. Kl.
195, 2, Wien 1923
(35) Helmut Stumfohl, Alteuropäisch und Altkanarisch, eine
Abgrenzung, in: Almogaren XIII-XIV, Hal lein 1982/83,
pp. 7-56; dasselbe in "Kanarische Studien I". Hal lein 1986,
pp. 17-18
(36) Stumfohl, op. cit., pp. 42-44
(37) Dominik Josef Wölfe}, Le Probleme des Rapports du
Guanche et du Berbere, in: Hesperis, Archives Berberes et
Bul letin de } 'Institut des Hautes Etudes Marocaines, Paris
1953, Nr.3-4, p. 5
(38) Lionel Galand, Unite et Diversite du vocabulaire herbere,
in: Atti della Settimana Maghrebina, Cagliari-Milano
1969, pp. 5-20
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