Almogaren XXX / 1999 Vöcklabruck 1999 65 - 75
Hans-Joachim Ulbrich
Gibt es neupunische Felsinschriften auf den
Kanarischen Inseln?
Es hat die Kanaren-Fachleute schon immer beschäftigt, ob die Phönizier
die Kanarischen Inseln im Altertum besucht haben; etwa auf einer der nautischen
Afrika-Expeditionen1 oder bei der Suche nach Möglichkeiten der Purpur-
Gewinnung. Beides wäre durchaus möglich - ob die spärlichen textlichen
Quellen dazu eindeutig sind oder nicht. Doch bei den wenigen Hinweisen
auf phönizisch-punische Kulturmerkmale2
, die bis jetzt auf den Kanarischen
Inseln entdeckt wurden, ist auch an kleine Gruppen punisch akkulturierter
Berber zu denken. Diese konnten als Sammler der auf den Kanaren
weit verbreiteten Färberflechte (Rocella- und Rocelletum-Arten [ span. orchilJa,
franz. orseille]) im Zeitraum 250 v. - 300 n.Chr. von nordafrikanischen
Geschäftsleuten auf einigen der Inseln angesiedelt worden sein - ab 100 v.Chr.
vielleicht sogar zusammen mit römisch akkulturierten Arbeitskollegen. Daß
phönizische und andere mediterrane Unternehmer neben der Purpurschnecke
(Murex-Arten), die an den kanarischen Küsten nicht heimisch ist, auch Flechten
als Ausgangsprodukt für die Farbherstellung verwendeten, können wir
nur vermuten. Die Gewinnung von Farbstof aus Pflanzen war im Altertum
zwar bekannt aber nicht sehr verbreitet. Es wurden jedoch anstelle des teuren
tierischen Purpurs gelegentlich auch pf lanzliche oder mineralische Ersatzfarben
verwendet. In der römischen Provinz Africa waren die Purpurfärbereien
verstaatlicht. Schließlich dürften auch die fischreichen kanarischen Gewässer
attraktiv für karthagische Unternehmer gewesen sein.
1 Phönizische Seeleute im Auftrag des ägyptischen Pharao Necho um 600 v.Chr., Sataspes
um 500 v.Chr., Hanno um 4 25 v.Chr.
2 Amphoren in pun. Formgebung, eine "neupunische" Felsinschrift (Cafiadas, Tenerife;
Gonzalez Anton et al. 1995: 156ff, 171, Foto XLII), ein punisch beeinflußter libysch-berberischer
Schriftstil (Lanzarote; Ulbrich 1996: 294), ein vielleicht karthagischer Aryballos
(Ulbrich 1997: 4 5f), phön. Personennamen in latein. Schrift auf Felsen von Fuerteventura
und Lanzarote sowie ein Tanit-Symbol (Tejera & Aznar 198 9: 52) auf einem mittelalterlichen
Brunnen Lanzarotes; dieses angebliche Symbol der phön. Göttin Tanit wurde von
Ulbrich (1990: 38) jedoch als Maurerzeichen der normannischen Erbauer interpretiert.
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Abb. 1 Inschrift und Stier auf einer k leinen
Stele, die in den Cafiadas de los Ovejeros,
Tenerife, gefunden wurde (Zeichnung
von R. de Balbin Behrmann 1995).
Eindeutig punische oder neupunische
Felsinschriften auf den Kanaren könnten
mehr als Gegenstände, die durch gelegentlichen
Handel erworben sein können,
Aufschluß über die Intensität der Kontakte altkanarischer Gruppen zur
punischen und spätpunischen (schon römerzeitlichen ) Kultur Nordafrikas geben.
Es sei deshalb der Versuch unternommen, die bisher in diesem Bereich auf den
Kanaren entdeckten Inschriften (und einige neue) auf ihren neupunischen Charakter
hin zu untersuchen.
Der älteste Fund dieser Art ist die in Fußnote 2 erwähnte Inschrift von
Tenerife. Abb. 1 zeigt diese Inschrift, deren Stil tatsächlich neupunisch anmutet.
Ich versuche von diesem Schriftsystem ausgehend eine Transkription:
1)
2)
G
G
+- Leserichtung im Neupunischen
? ?
N
T
T
?
*
W/K
M
* Ein Zeichen, dann z.B.
P oder G, oder zwei Zeichen
(siehe Abb.1 )?
Man sieht sofort (Zeile 1 ), daß die Transkription bei neupunischer Interpretation
zahlreiche Unsicherheiten in sich birgt. Bei dem alternativen Versuch
in Zeile 2 sind die Annahmen noch größer. Hier zeigt sich auch eine Problematik
der neupunischen Grapheme, deren Variationsbreite pro Lautwert bzw.
Ähnlichkeit bei unterschiedlichem Lautwert manchmal eine klare Transkription
erschweren. Man muß also konstatieren, daß sich eine über jeden Zweifel
erhabene Zuordnung zum Neupunischen nicht ergibt. Eine auch nur annähernd
sinnvolle Übersetzung, die uns mehr Auskunft über den Urheber geben könnte,
ist nicht möglich. Andererseits gibt es keine Schrift im kanarisch-mediterranen
Bereich, die dem optischen Gesamtbild dieser Grapheme näher kommt
als die neupunische.
Nun zu mehreren Inschriften, die bei Feldforschungen des Verfassers 1997
am Rand eines Abri3 im oberen Teil des Barranco de las Piletas (südlich EI
3 Die erwähnte Halbhöhle, an deren südlichem Rand sich die Inschriften befinden, hat
nach Auskunft des Besitzers des Geländes keinen besonderen Namen. Zur großen Wichtigkeit
des Barranco de las Piletas als Felsbild-Fundstelle sehe man Ulbrich 1998: 104.
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Moj6n / Lanzarote) entdeckt wurden ( Ulbrich 1998: Piletas XII). Sie umfassen
neben latino-kanarischer und Tifinagh-Schrift auch einen möglicherweise
als punisch/neupunisch identifizierbaren Schriftstil.
Diese auf S. 6869 dokumentierten Inschriften sind sehr unterschiedlich -
teilweise nur mit Vorbehalt - auf dem Fels erkennbar. Während Paneel A2
sehr eindeutig reproduzierbar ist, muß bei den sehr fein geritzten Paneelen
Cl, C2 und C3 von einem gewissen Unsicherheitsfaktor gesprochen werden.
Zu Abb. 2 (mittlere Zeile)
Folgende Aspekte sprechen für eine punische/neupunische Interpretation
und gegen eine latino-kanarische:
• Die 7-Form ist mit ihrer ausgeprägten Rundung und ihrer Gesamterscheinung
untypisch für ein latino-kanarisches S (S).
• Der extreme Größenunterschied zwischen der 7-Form und der o-Form ist
typisch für punische / neupunische Schrift.
• 70 könnte mit 'N oder cw transkribiert werden. 'N ist aus einer karthagischen
Inschrift bekannt und ist möglicherweise ein Architekturbegriff wie "Portiko"
oder "Kolonnade", was im altkanarischen Kontext wenig sinnvoll erscheint
(es sei denn, es bezieht sich in irgendeiner Form auf den Abri). cw
könnte die vereinfachte Darstellung einer Verbalform (3PS) sein, die vielleicht
mit "hat gelebt" (I:IWY, das auch in den Varianten cw, / cwc / cwH /
I:IW' auftaucht) zu übersetzen wäre4
• Dies würde besser zu FAU passen,
das als karthagischer Männername belegt ist (Karthago V III, 1957: 79). Zwei
Schriften innerhalb eines Wortes oder einer Zeile ist für altkanarische Verhältnisse
keine Besonderheit, wie Beispiele von Lanzarote und Fuerteventura
zeigen. Warum also nicht auch innerhalb eines zweizeiligen Textes?
Daß FAU und 'N/<W unabhängig voneinander eingeritzt wurden, kann natürlich
nicht ausgeschlossen werden. Ihre Patina ist als gleich anzusehen.
• Bei latino-kanarischer Interpretation würde sich SO ergeben, was spontan
keinen Sinn ergibt. Denkt man jedoch an den lanzarotischen Ortsnamen
S6o, etwa nach der Formel "Fau aus S6o", so ist einzubeziehen, daß der
prähispanische Ursprung von "S6o" eher unwahrscheinlich ist.
Zu Abb. 3-5
Die unterschiedliche Ritz-Stärke deutet auf verschiedene Schreibmittel: bei
den extrem feinen Linien in den Paneelen Cl und C3 vermutlich ein Messer,
bei Paneel C2 möglicherweise ein spitzer Stein. Die zwei Zeichen des Paneels
A2 ( Abb. 2) liegen in der Ritzbreite dazwischen, sind aber am tiefsten.
4 Ich verwende bei allen Übersetzungsversuchen das umfassende phönizische Wörterbuch
von Hoftijzer/Jongeling (1995).
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Abb. 2
Barranco de las P iletas XII,
Paneel A2 oben
Latino-kanarische Inschrift "FAU"
(oben); punische/neupunische (?)
Inschrift (Mitte); Tifinagh-Inschrift
(unten, zum Teil über die mittlere
Zeile geritzt)
.
20cm
Abb. 3
Barranco de las P iletas XII,
Paneel Cl oben
Darüber und d arunter-
68
01 Möglicherweise
punisch / neupunisch
- -
10 cm
Reproduktion mit Vorbehalt
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$ 1
Abb. 4
Barranco de las P iletas XII,
Paneel C2 oben
Darüber und darunterliegender linear-geometrischer
Stil wurde aus Gründen der besseren
Erkennbarkeit der Inschriften nicht abgebildet.
; . ID, c. 'ui
Vermutlich nicht zur
Schrift gehörend, sondern
zum linear-geometrischen
Stil
1:, =-1
20cm
. Abb. 5
Barranco de las Piletas XII,
Paneel C3
-
10cm
j
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Die in den folgenden Tabellen dargestellten Transkriptionen können nur
ein absolutes Provisorium sein. Der fundierte Versuch einer Transkription oder
gar einer Übersetzung der Inschriften muß meines Erachtens an der (teilweisen)
Unsicherheit der Reproduktion und an dem chaotischen Schreibstil scheitern.
Der unterschiedliche Duktus, in dem möglicherweise auch die Variationsbreite
mancher neupunischer Grapheme zum Ausdruck kommt, deutet auf
drei bis vier verschiedene Urheber. Nicht berücksichtigt in den Tabellen ist,
daß Äleph (a,e,o/u), He (a, e, o/u), Waw (u), I:Ieth (a), Jödh (i) und Ajin (a) im
Neupunischen einen Vokal darstellen können. Zeichen G2 könnte ein Mem
sein: , G (man sehe auch Abb. 7a links). Spiegelungen von Zeichen sind
in der altkanarischen Epigrafik mehrmals vorzufinden.
Transkriptions-Versuche auf Basis der neu punischen Schrift
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
< 1 (' 1. ( '/ I ( C (\ 1 Grapheme H ge- 'ij seglt L ? N w ? N L G ? Präefrierte Transkription
N
M y T B Alternativer Versuch
>G4 > G4 Anmerkung
8 7 6 5 4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
'° f1 () Q ) ; (1,\ ') Grapheme 'ij s C ? D p ? ? p Präefrierte Transkription
N
s s D Alternativer Versuch
= F4 = 04 Anmerkung
9 8 7 6 5 4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
u r Q v V\ X X C f/ Grapheme ' ' L C ? 'ij Q C ? y Präferierte Transkription
N
Alternativer Versuch
> Cl = F3 >E2 >Cl Anmerkung
9 8 7 6 5 4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
Q 7' "'
1 '( () ,. /V ( " Grapheme
Q s ? L 'ijj C p y L ? Präefrierte Transkription
N
R D G Alternativer Versuch
>E6 >F4
Buch- >G4 >(2 >Bl Anmerkung stabe?
70
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6 5 4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
1' 0 C r Cl w Grapheme
·; Q C N ? C :II Präefrierte Transkription
N '
Alternativer Versuch
>D9 >(8 >(2 Anmerkung
5 4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
r.i.. ( V V\ C Grapheme
? ? y N G Präferierte Transkription ·;
N
L C Alternativer Versuch
=B7 =(6 Anmerkung
4 3 2 1 Numerierung (Leserichtung )
c., \ / G N Grapheme
·; L ? ? ? Präefrierte Transkription
N
N M s Alternativer Versuch
>D6 Anmerkung
Es kann jedoch gesagt werden: Die Schwierigkeit, auf Fels zu "schreiben",
kann zur formalen Abwandlung mancher Grapheme und der sonst üblichen
Zeichenlage geführt haben. Dies und der gleichzeitige Gebrauch anderer antiker
Schriften auf Lanzarote hat möglicherweise zu einem neupunischen
Schriftstil (Mischstil) geführt, der als kanarische Sonderentwicklung betrachtet
werden kann - ähnlich wie die kanarische Variante der lateinischen Schrift,
das Latino-Kanarische.
Obwohl die Patina verschiedene Dunkeltöne aufweist, läßt sie keine gesicherte
zeitliche Einstufung der Inschriften zu. Eine neuzeitliche Kritzelei kann
deshalb z.T. nicht ausgeschlossen werden. Besonders Zeile B (Abb. 3 Mitte)
erinnert auf den ersten Blick an den arab. Personennamen "Muhammed", und
Zeile D (Abb. 4 links oben) an den span. Personennamen "Ricardo". Gibt es
nun Argumente, die gegen eine moderne Einstufung sprechen?
Dazu folgendes:
• Eine moderne Inschrift sollte mehr noch als eine antike einen lesbaren Sinn
ergeben. Bei keiner der Zeilen ist dies gegeben; auch nicht bei Zeile D, die
wie Ric- beginnt, dann aber kein -ardo auch nur annäherungsweise erkennen
läßt. Ebenso die Zeile B, die mit Muham- beginnen könnte, dann aber
ohne richtige Namensendung ausläuft. Warum in einer Zeile erst verständlich
und dann unverständlich? Besonders den optisch relativ gut auf dem
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Fels lesbaren Zeilen des Paneels C2 (Abb. 4) müßte sich eine moderne Sprache
zuordnen lassen, was nicht der Fall ist. Dem stehen an der gleichen
Fundstelle eindeutig als neuzeitlich erkennbare, viel größer geritzte Felskritzeleien
(englische Personennamen, moderne Datumsangaben usw.) gegenüber.
Sollten die vagen optischen Ähnlichkeiten zu den beiden Personennamen
zufällig sein?
• Alle Zeilen sind mit Linien-Gruppen (Parallelen, Überkreuzungen, Netze
usw.) des von den Kanarischen Inseln bekannten prähispanischen lineargeometrischen
Stils entweder überzogen oder über solche darübergeritzt.
Die Patina dieser Linien - teilweise richtiger Gesteinslack - und der Inschriften
ist jeweils weitgehend identisch .
Eine schnell urteilende Einstufung der Inschriften in die Neuzeit erscheint
mir deshalb ebensowenig gerechtfertigt wie eine zu optimistische Einordnung
in den punischen Kulturkreis. Die Tabellen zeigen, daß ein in sich stimmiges
Lautwertsystem nicht auf Anhieb aus den Graphemen abgeleitet werden kann.
Trotzdem tendiere ich - nicht nur aus den oben genannten, u.a. geschichtlichen
Erwägungen heraus - zur neupunischen Interpretation. Eine Beteiligung
phönizisch/punisch akkulturierter Menschen an der Besiedlung der Kanarischen
Inseln wird auch von den kanarischen Fachleuten nicht erst seit den
90er Jahren in zunehmendem Maße vertreten.
Zur Untermauerung möchte ich noch auf vier Felsinschriften aufmerksam
machen, die meines Erachtens auf solche phönizisch akkulturierten Urheber
(oder auf Phönizier selbst) hinweisen könnten. Abb. 6 zeigt ein Paneel von der
lanzarotischen Fundstelle Cueva Palomas (Fernes); wichtig für unsere Betrachtungen
ist die latino-kanarische Inschrift 1AM. lam- ist nicht nur der Beginn
zahlreicher altberberischer Personennamen, sondern auch ein phönizisches
Wort (Yam/Jam) mit der Bedeutung "Meer, maritim" oder "Meeresgott". Ich
neige hier zu letzterem, da die unmittelbare Nachbarschaft von Fußabbildungen
sehr gut einen kultischen Konnex andeuten kann. Wahrscheinlich wollte
man den Meeresgott wohlgesonnen für die Seefahrt zwischen dem afrikanischen
Festland und den Inseln machen. Der Glaube an die für das 13. Jh. v.
Chr. nachgewiesene phönizische Gottheit mag sich über einen längeren Zeitraum
bis in die Zeitenwende hinein erhalten haben.
Die drei anderen Inschriften (Abb. 7 a/b/c) stammen von Fuerteventura,
wobei der Entdecker in seinem diesbezüglichen Aufsatz (Pichl er 1997: 20 )
nur von "schriftähnlichen Zeichen" spricht. Da diese Aufreihungen von Zeichen,
die nach meiner Einschätzung als "ausgewachsene" Schrift mit einer
kohärenten grafischen Prägung erkennbar sind, weder dem latino-kanarischen
noch dem libysch-berberischen noch dem tartessischen noch dem südiberi-
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20 cm .. ir-, •' ji . . .,
_.,
·,J ./ ,..
:1 /
.,.,.
Abb.6
Kombination von latino-kanarischer
Schrift, Fußabbildungen und
linear-geometrischem Stil (Fernes,
Lanzarote)
Abb. 7 Felsinschriften von Fuerteventura (aus Pichl er 1997)
a)
'\'\lt liJ 11 \
'-1 \ II/\'
1
10 cm
b) c)
l )\ ' I\
1
10 cm 10 cm
Morro de Montaia Blanca
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sehen Typ entsprechen, gebe ich einer Interpretation den Vorrang, die das einzige
in diesem Raum noch heranzuziehende Schriftsystem aufgreift, nämlich
das phönizisch-punisch-neupunische. Nahezu alle Zeichen lassen sich dem typisch
neupunischen Zeicheninventar zuordnen: Beth, Däleth, Gimel, He, Waw,
Jödh, Lämed und Pe wären relativ sicher identifizierbar; nicht ganz so eindeutig
auch Mem, Nün und Täw.
Möglicherweise handelt es sich bei den Zeichenfolgen in Abb. 7 zum Teil
um "Schreibübungen" (besonders 7a). Die im Neupunischen etwas ungewöhnliche
Form k in Abb. 7b könnte ein gespiegeltes He (A)darstellen, wie wir es
von der libyo-phönizischen Schrift aus Andalusien kennen (Münze von
Turirecina; man sehe Sola Sole 1980: 61f und Tabelle S. 88). Daß die Zeile in
Abb. 7c senkrecht "geschrieben" wurde, ist für die beiden Ostinseln nichts
Ungewöhnliches; wir finden diese Abweichung von der horizontalen Norm
auch bei latino-kanarischen Inschriften. Gerade diese Zeile von Fuerteventura
zeigt das neupunische He in reinster Ausführung. Wir können deshalb ohne
große Probleme HHN transkribieren. Dies könnte man in H.HN trennen, was
mehrere unterschiedliche Übersetzungen zuließe. H ist u.a. der klassische phönizisch-
punische Artikel; HN ist u.a. ein Flüssigkeitsmaß.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Obwohl kaum eine andere Schriftfamilie
als die phönizisch-punisch-neupunische neben der libysch-berberischen
und der lateinischen in Frage kommt, muß die Existenz von neupunischer
Epigrafik auf den Kanarischen Inseln noch als äußerst unsicher angesehen
werden. Am ehesten neupunisch kann die Zeile in Abb. 7c eingestuft
werden. V ielleicht haben wir teilweise einen schriftlichen Mischstil vor uns,
der sich unter verschiedenen ethnischen Gruppen auf den Kanaren auch
sprachlich in einer Art "Pidgin" niederschlug? Das Altkanarische war ja kein
reines Altberberisch. Der Duktus scheint zum Teil von der schlanken latinokanarischen
Kursiven beeinflußt zu sein5
• Ganz abgesehen davon, daß aufgrund
unseres Wissens über die altkanarische und nordafrikanische Frühgeschichte
phönizische bzw. punische Spuren auf den Kanarischen Inseln geradezu
zu erwarten sind. Mögen weitere Feldforschungen neue Inschriften-Funde
bringen, die das Bild weiter erhellen.
5 In dieser Schrift taucht z.B. der eindeutig phönizische Männername ANIBAL mehrmals
auf Felsen von Fuerteventura auf (Pichler 1994: 174).
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Ich danke Herrn Prof. Dr. Wolfgang Röllig (Altorientalisches Seminar der Universität
Tübingen) für seine wertvollen Hinweise.
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